The Project Gutenberg EBook of Geschichte von England seit der
Thronbesteigung Jakob's des Zwe, by Thomas Babington Macaulay

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Title: Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten.
       Zweiter Band

Author: Thomas Babington Macaulay

Translator: Wilhelm Hartwig Beseler

Release Date: December 29, 2009 [EBook #30793]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTE VON ENGLAND--ZWEITER BAND ***




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Clerus : Klerus
Collegium : Kollegium
Pepys’ : Pepys’s, Citters’ : Citters’s und ähnliche


3. Kapitel
Inhalt

4. Kapitel
Inhalt

Thomas Babington Macaulay’s

Geschichte von England

seit der

 

Thronbesteigung Jakob’s des Zweiten.

 


 

Aus dem Englischen.

 


Vollständige und wohlfeilste Stereotyp-Ausgabe.

 

Zweiter Band

 

----

Leipzig, 1854.
G. H. Friedlein.
 
III.1
Drittes Kapitel.

England im Jahre 1685.


III.3

Inhalt.


Seite
Einleitung 5

Große Veränderung in dem Zustande Englands seit 1685

6

Bevölkerung Englands im Jahre 1685

6

Die Zunahme der Bevölkerung im Norden größer als im Süden

8
Staatseinkünfte im Jahre 1685 10
Das Militairsystem 12
Die Seemacht 17
Die Artillerie 22
Kosten der Civilverwaltung 23

Große Einkünfte der Minister und Höflinge

24
Zustand des Ackerbaues 25
Mineralreichthum des Landes 29
Zunahme der Grundrente 31
Die Landgentlemen 31
Die Geistlichkeit 34
Die Freisassen 41
Wachsthum der Städte 41
Bristol 42
Norwich 42
Andere Provinzialstädte 44
Manchester 45
Leeds 45
Sheffield 46
Birmingham 46
Liverpool 47
Die Badeorte 47
Cheltenham 48
Brighton 48
Buxton 48
Tunbridge Wells 48
Bath 49
London 50
Die City 51

Der vornehme Theil der Hauptstadt

55
Die Londoner Polizei 58
Beleuchtung von London 59
III.4 Whitefriars 59
Der Hof 60
Die Kaffeehäuser 62
Schwierigkeiten des Reisens 65

Schlechter Zustand der Landstraßen

66
Die Diligencen 69
Straßenräuber 71
Die Gasthöfe 73
Die Briefposten 74
Zeitungen 76
Die Neuigkeitsbriefe 77
Der „Observator“ 78

Seltenheit von Büchern auf dem Lande

79
Weibliche Erziehung 79

Literarische Bildung der Gentlemen

80

Einfluß der französischen Literatur

81

Unsittlichkeit der schönen Literatur Englands

82

Zustand der Wissenschaft in England

87
Zustand der schönen Künste 91
Lage des niederen Volks 93
Löhne der Feldarbeiter 93
Löhne der Fabrikarbeiter 95

Arbeit der Kinder in den Fabriken

96

Löhne verschiedener Klassen von Handwerkern

97
Zahl der Armen 97

Welchen Nutzen die Fortschritte der Civilisation dem gemeinen Volke brachten

99

Täuschung welche die Menschen verleitet, das Glück früherer Geschlechter zu überschätzen

101
[4. Kapitel]
III.5

Einleitung. In diesem Kapitel gedenke ich eine Schilderung des Zustandes zu geben, in welchem sich England zu der Zeit befand, als die Krone von Karl II. auf seinen Bruder überging. Eine solche Schilderung kann allerdings nur sehr unvollkommen sein, da sie aus spärlichem und zerstreutem Material gebildet ist; indessen wird sie doch vielleicht zur Berichtigung mancher falschen Ansichten dienen, welche das Verständniß oder das Interesse der nachfolgenden Erzählung beeinträchtigen würden.

Wenn wir die Geschichte unserer Vorfahren mit wirklichem Nutzen studiren wollen, müssen wir uns stets sorgfältig vor dem Irrthume hüten, den die wohl bekannten Namen von Familien, Orten und Ämtern sehr leicht hervorrufen, und dürfen nie vergessen, daß das Land, von dem wir lesen, ganz verschieden war von dem, in welchem wir leben. Wie jede Erfahrungswissenschaft die Tendenz zur Vervollkommnung in sich trägt, so liegt auch in jedem menschlichen Wesen der Wunsch, seine Lage zu verbessern. Diese beiden Prinzipien waren oft hinreichend zum raschen Fortschreiten der Civilisation, selbst wenn derselben große öffentliche Calamitäten und schlechte Einrichtungen hindernd im Wege standen. Kein gewöhnliches Unglück, keine, gewöhnlichen Regierungsfehler können in gleichem Maße das Sinken einer Nation herbeiführen, wie die unterbrochenen Fortschritte der Naturwissenschaften und das stete Streben jedes Einzelnen nach Verbesserung seiner Lage das Emporblühen einer Nation befördern. Man hat viele Beispiele davon, daß verschwenderischer Aufwand, hohe Abgaben, verkehrte Handelsbeschränkungen, verderbte Gerichtshöfe, unglückliche Kriege, Aufstände, Verfolgungen, Feuersbrünste und Überschwemmungen nicht im Stande waren, das Kapital so rasch zu vernichten, wie die Thatkraft einzelner Bürger es zu schaffen vermochte. Es ist nicht schwer zu beweisen, daß in unserem Lande der Nationalreichthum seit mindestens sechs Jahrhunderten in fast ununterbrochenem Wachsen begriffen ist; daß er unter den Tudors größer war als unter den Plantagenets; daß er unter den Stuarts größer war als unter den Tudors; daß er trotz Kriegen, Belagerungen und Confiscationen zur Zeit der Restauration größer war als beim Zusammentritte des Langen Parlaments; daß er trotz schlechter Verwaltung und Verschwendung, trotz öffentlichen Bankerotts, trotz zweier kostspieligen und unglücklichen Kriege, trotz verheerender Seuchen und Feuersbrünste beim Tode Karls II. größer war als bei seiner Wiedererhebung auf den Thron. Dieser Fortschritt erhielt, nachdem er bereits mehrere Jahrhunderte gedauert, um die Mitte des achtzehnten einen ungeheuren Aufschwung und hat seine Schnelligkeit während des neunzehnten verdoppelt. Wir haben es theils unserer geographischen, theils unserer sittlichen Lage zu danken, daß wir mehrere Menschenalter hindurch von Übeln verschont geblieben sind, welche anderwärts die Anstrengungen des Gewerbfleißes hemmten und die Früchte desselben zerstörten. Während der ganze Continent, von Moskau bis Lissabon, der III.6 Schauplatz blutiger und verheerender Kriege war, sah man bei uns kein feindliches Banner, außer als Trophäe. Während rund um uns her Revolutionen stattgefunden haben, ist unsere Regierung niemals gewaltsam gestürzt worden. Seit hundert Jahren hat unsere Insel keinen Tumult gesehen, der so bedeutend gewesen wäre, daß man ihn einen Aufstand hätte nennen können. Nie ist bei uns das Gesetz, weder durch die Volkswuth, noch durch königliche Tyrannei mit Füßen getreten worden. Der öffentliche Credit ist heilig gehalten worden und die Rechtspflege stets rein gewesen. Selbst in Zeiten, welche der Engländer mit gutem Grunde schlimme Zeiten nennen kann, haben wir noch immer die bürgerliche und religiöse Freiheit in einem Maße genossen, das fast jede andere Nation der Welt als ein reichliches betrachtet haben würde. Jedermann hatte die vertrauensvolle Überzeugung, daß der Staat ihn im Besitze dessen was er sich durch Betriebsamkeit erworben und durch weise Sparsamkeit gesammelt, schützen werde. Unter dem wohlthätigen Einflusse des Friedens und der Freiheit blühten die Wissenschaften und wurden in einem vorher nicht gekannten Umfange zu praktischen Zwecken angewendet.

Große Veränderung in dem Zustande Englands seit 1685. Die Folge davon ist, daß in unserem Lande eine Veränderung stattgefunden, von der die Geschichte der alten Welt kein ähnliches Beispiel aufzuweisen hat. Könnte das England von 1685 durch einen Zauberprozeß vor unsere Augen gebracht werden, so würden wir nicht eine Gegend unter Hunderten, nicht ein Haus unter Tausenden erkennen. Der Gutsbesitzer würde seine eigenen Felder, der Städter seine eigene Straße nicht wieder erkennen. Alles hat sich verändert bis auf die großen Hauptzüge der Natur und einige wenige dauerhafte Werke der menschlichen Kunst. Den Snowdon und Windermere, die Cheddar-Klippen und Beachy-Head würden wir wohl finden, auch hier und da einen normännischen Dom oder ein altes Schloß erkennen, das die Kriege der Rosen mit angesehen; aber mit wenigen solchen Ausnahmen würde uns Alles fremd sein. Viele Tausend Quadratmeilen, welche gegenwärtig reiche Getreidefelder und Wiesen sind, durchschnitten von grünen Hecken und Zäunen und besäet mit freundlichen Dörfern und reizenden Landsitzen, würden sich unseren Blicken als mit Ginsterbüschen bedeckte Moore oder den wilden Enten überlassene Sümpfe darstellen. Wo wir jetzt große Fabrikstädte und Seehäfen erblicken, deren Name und Ruf bis an die äußersten Enden der Welt reicht, würden wir nur einzelne hölzerne Hütten mit Strohdächern finden. Selbst die Hauptstadt würde zu einem Umfange zusammenschrumpfen, welche den ihrer heutigen Vorstadt am südlichen Themseufer nicht übersteigen dürfte. Nicht minder auffallend würden uns Tracht und Sitten des Volks, Geräthschaften und Equipagen, so wie die innere Einrichtung der Läden und Wohnungen erscheinen. Eine solche Veränderung in dem Zustande einer Nation hat gewiß mindestens eben so gegründeten Anspruch auf die Beachtung des Geschichtsschreibers, wie ein Wechsel der Dynastie oder des Ministeriums.

Bevölkerung Englands im Jahre 1685. Für den Forscher, der sich einen richtigen Begriff von dem Zustande eines Staates zu einer gegebenen Zeit bilden will, muß es eine der ersten Aufgaben sein zu untersuchen, wieviel Bewohner derselbe damals hatte. Leider kann man die Volkszahl Englands im Jahre 1685 nicht mit vollkommener Genauigkeit bestimmen, denn zu jener Zeit hatte noch kein großer Staat die weise III.7 Einrichtung einer periodischen Volkszählung angenommen. Man überließ das der Schätzung jedes Einzelnen und da solche Schätzungen gewöhnlich ohne gründliche Untersuchung und unter dem Einflusse von Leidenschaften und Vorurtheilen angestellt wurden, so war das Ergebniß derselben oft widersinnig und lächerlich. Selbst verständige Londoner gaben die Bevölkerung der Hauptstadt zu mehreren Millionen Seelen an. Viele behaupteten allen Ernstes, die Einwohnerzahl habe sich während der fünfunddreißig Jahre zwischen der Thronbesteigung Karls I. und der Restauration um zwei Millionen vermehrt.1 Selbst unmittelbar nach den Verheerungen, welche Pest und Feuer angerichtet, pflegte man zu sagen, daß London noch immer anderthalbe Million Einwohner zähle.2 Dagegen verfielen einige Andere, denen solche Übertreibungen zuwider waren, in das entgegengesetzte Extrem. So behauptete Isaak Vossius, ein Mann von unbestreitbaren Talenten und Kenntnissen, daß in England, Schottland und Irland zusammengenommen nicht mehr als zwei Millionen Menschen lebten.3

Es fehlt uns indessen nicht an den nöthigen Quellen, um die lächerlichen Irrthümer, zu denen Einige durch Nationaleitelkeit und Andere durch eine krankhafte Sucht nach Paradoxen verleitet wurden, zu berichtigen. Es existiren drei verschiedene Berechnungen, welche vorzugsweise Beachtung verdienen, da sie völlig unabhängig von einander, nach ganz verschiedenen Prinzipien angestellt wurden, und doch in ihren Resultaten nur wenig von einander abweichen.

Eine dieser Berechnungen wurde im Jahre 1696 von Gregor King, Lancaster Herold, einem Statistiker von großem Scharfblick und treffendem Urtheile, vorgenommen. Die Grundlage seiner Schätzungen bildete die Häuserzahl, wie sie im Jahre 1690 von den Beamten, welche die letzte Heerdsteuer erhoben, angegeben ward. Er gelangte dadurch zu dem Resultate, daß sich die Bevölkerung Englands auf nahe an fünf und eine halbe Million Seelen belief.4

Um die nämliche Zeit wünschte König Wilhelm III. die Mitgliederzahl der verschiedenen religiösen Secten zu erfahren, in welche die Gesammtbevölkerung zerfiel. Zu dem Ende wurden genaue Forschungen angeordnet und ihm aus allen Kirchspielen des Reichs Berichte vorgelegt, aus denen sich ergab, daß die Zahl der englischen Unterthanen ungefähr fünf Millionen und zweimalhunderttausend betragen mußte.5

III.8

Endlich hat in unseren Tagen Mr. Finlaison, ein Beamter von großer Einsicht und Geschäftstüchtigkeit, die alten Gemeinderegister den Prüfungen unterworfen, zu denen ihn die Fortschritte der Neuzeit in der Statistik in den Stand setzten, und seine Ansicht geht dahin, daß zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Bevölkerung Englands etwas unter fünf Millionen und zweimalhunderttausend Seelen betrug.6

Von diesen drei Schätzungen, welche ganz unabhängig von einander durch verschiedene Personen und nach verschiedenen Materialien aufgestellt wurden, übersteigt die höchste, die von King, die niedrigste, die von Finlaison, noch nicht um ein Zwölftel. Wir können daher zuversichtlich behaupten, daß unter der Regierung Jakobs II. England zwischen fünf und sechsthalb Millionen Einwohner zählte. Nimmt man die höchste Schätzung an, so hatte es damals weniger als ein Drittel der gegenwärtigen Bewohnerzahl und nicht ganz dreimal so viel als jetzt seine riesige Hauptstadt allein enthält.

1. Observations on the Bills of Mortality, vom Kapitain John Graunt (Sir William Petty) Kap. 11.

2.

„Sie birgt in ihren Mauern

Voll Fünfzehnhundert Tausend, die ihr Leben

D’rin verbringen.“

Great Britain’s Beauty, 1671.

3. Isaac Vossius, de Magnitudine Urbium Sinarum, 1685. St. Evremond sagt uns, daß Isaak Vossius öfter und ausführlicher über diesen Gegenstand sprach, als es in den höheren Kreisen gern gesehen wurde.

4. King’s Natural and Political observations, 1696. Diese werthvolle Abhandlung, die man so lesen muß, wie der Verfasser sie schrieb, und nicht in dem Auszuge von Davenant, findet sich in einigen Ausgaben von Chalmers’s Estimate.

5. Dalrymple’s Appendix to Part II. Book I. Das Verfahren, die Bevölkerung nach der Kopfzahl der Religionssecten zu berechnen, war lange üblich. Gulliver sagt von dem Könige von Brobdingnag: „Er lachte über meine einfältige Arithmetik, wie er dieselbe zu nennen beliebte, weil ich die Zahl unseres Volks nach einer Berechnung der Mitglieder unserer verschiedenen religiösen und politischen Parteien schätzte.“

6. Vorrede zu den Population Returns von 1831.

Die Zunahme der Bevölkerung im Norden größer als im Süden. Die Zunahme der Bevölkerung ist zwar in allen Theilen des Landes stark gewesen, im Durchschnitt aber in den nördlichen Provinzen viel bedeutender als in den südlichen. Ein großer Theil des Landes jenseit des Trent befand sich in der That bis zum achtzehnten Jahrhunderte in einem Zustande von Rohheit. Physische und moralische Ursachen verbanden sich, um die Ausbreitung der Civilisation in diesen Gegenden zu hemmen. Das Klima war rauh, der Boden im Allgemeinen von solcher Beschaffenheit, daß er einer geschickten und mühsamen Pflege bedurfte, und in einer Gegend, welche häufig der Schauplatz von Kriegen war und selbst in nominellen Friedenszeiten beständig durch schottische Räuberbanden beunruhigt wurde, konnte man wohl kaum viel Gewerbfleiß und Betriebsamkeit erwarten. Vor der Vereinigung der beiden britischen Kronen und noch lange nachher war ein eben so großer Unterschied zwischen Middlesex und Northumberland als heutzutage zwischen Massachusetts und den Austeilungen jener Squatters im fernen Westen des Mississippi, welche mit Büchse und Dolch eine rohe Justiz ausüben. Noch unter der Regierung Karl’s II. waren die Spuren, welche jahrhundertelange Metzeleien und Plünderungen zurückgelassen, viele Meilen südlich vom Tweed, an dem Aussehen des Landes und an dem gesetzlosen Treiben des Volks deutlich zu erkennen. Um diese Zeit gab es dort noch eine Menge Straßenräuber, welche davon lebten, daß sie die Wohnungen plünderten und ganze Viehherden forttrieben. Bald nach der Restauration hielt man es für nöthig, sehr strenge Gesetze zu erlassen, um diesem Unwesen zu steuern. Die Behörden von Northumberland und Cumberland wurden ermächtigt, zur Vertheidigung des Eigenthums und der Ordnung bewaffnete Mannschaften zu errichten, und zur Deckung der Kosten, welche die Aushebung und der Unterhalt dieser Truppen verursachten, wurden örtliche Abgaben auferlegt.7 Die Gemeinden wurden angewiesen, Bluthunde zu halten, um damit auf die Freibeuter Jagd zu machen. Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts konnten sich viele alte Leute noch sehr gut der Zeit erinnern, wo diese fürchterlichen Hunde III.9 in Gebrauch waren.8 Doch selbst mit diesen Hülfsmitteln war es oft unmöglich, die Räuber bis in ihre Schlupfwinkel im Gebirge und in den Sümpfen zu verfolgen, denn die topographische Kenntniß jener Gegenden war damals noch sehr unvollkommen. Selbst nach dem Regierungsantritte Georg’s III. war zum Beispiel der Weg von Borrowdale nach Ravenglas über das Gebirge noch ein Geheimniß, das von den Thalbewohnern, von denen einige in ihrer Jugend wahrscheinlich auf diesem Wege den Verfolgungen der Justiz entronnen waren, sorgfältig bewahrt wurde.9 Die Landsitze des Adels und die größeren Pachthöfe waren befestigt; die Rinder wurden des Nachts unter den Wetterdächern des Hauses angebunden, was man „Peel“ nannte; die Bewohner schliefen nur mit den Waffen zur Seite; man hielt beständig große Steine und kochendes Wasser in Bereitschaft, um den Räuber, der es etwa wagte, die kleine Besatzung anzugreifen, zu zerschmettern und zu verbrühen. Kein Reisender wagte sich in diese Gegend, ohne vorher sein Testament zu machen. Die Richter, welche auf ihrer Rundreise begriffen waren, ritten bewaffnet und von einer starken Bedeckung unter dem Commando der Sheriffs begleitet, mit der ganzen Schaar der Anwälte, Schreiber und Diener von Newcastle nach Carlisle. Man mußte sich mit Lebensmitteln versehen, denn diese Gegend war eine Wildniß, in der nichts zu bekommen war. Der Platz unter einer riesigen Eiche, wo die Cavalcade Halt zu machen pflegte, um das Mittagsmahl einzunehmen, ist heutigen Tages noch nicht vergessen. Die ungewöhnliche Strenge, mit der die Strafrechtspflege dort gehandhabt wurde, machte einen erschütternden Eindruck auf solche Beobachter, welche bis dahin in ruhigeren Distrikten gelebt hatten. Wer bei einem Einbruche oder einem Viehdiebstahle ergriffen wurde, den verurtheilten die von Haß und dem Gefühle der gemeinsamen Gefahr erfüllten Geschwornen mit der summarischen Schnelligkeit eines Kriegsgerichts bei einer Meuterei, und die Verurtheilten wurden zu Zwanzigen an den Galgen geschickt.10 Noch zu einer Zeit, deren sich manche Leute der jetzigen Generation erinnern können, fand der Waidmann, den die Verfolgung des Wildes zu den Quellen des Tyne führte, die Haiden in der Umgegend von Keeldar Castle von Menschen bewohnt, die kaum weniger wild waren, als die Indianer von Kalifornien, und hörten mit Erstaunen halb nackte Weiber einen wilden Gesang anstimmen, während die Männer mit geschwungenen Dolchen einen Kriegstanz aufführten.11

Langsam und mit großer Mühe wurde endlich die Ruhe in dem Grenzgebiete hergestellt, und mit derselben fanden sich auch Gewerbfleiß und alle Künste des Lebens ein. Mittlerweile machte man die Entdeckung, daß die Gegenden nördlich vom Trent in ihren Kohlenlagern eine reichere Quelle des Wohlstandes besaßen, als die Goldgruben von Peru, und man überzeugte sich bald, daß in der Nähe dieser Lager fast jede Fabrik mit großem Vortheil betrieben werden konnte. In Folge dessen begann III.10 eine anhaltende Auswanderung nach dem Norden. Aus den Bevölkerungslisten von 1841 ergab es sich, daß die ehemalige erzbischöfliche Provinz York zwei Siebentel der gesammten Einwohnerzahl Englands enthielt, während man zur Zeit der Revolution annahm, daß nur ein Siebentel der Gesammtbevölkerung auf diese Provinz komme.12 In Lancashire hat sich die Einwohnerzahl um das Neunfache vermehrt, während sich dieselbe in Norfolk, Suffolk und Northamptonshire kaum verdoppelt hat.13

7. Statutes 14 Car. II. c. 22; 18 & 19 Car. II. c. 3; 29 & 30 Car. II. c. 2.

8. Nicholson and Bourne, Discourse on the ancient State of the Border, 1777.

9. Gray’s Journal of a Tour in the Lakes, Oct. 3. 1769.

10. North’s life of Guildford. Hutchinson’s History of Cumberland, parish of Brampton.

11. Siehe Sir Walter Scotts Tagebuch vom 7. Oct. 1827 in seiner Biographie von Lockhart.

12. Dalrymple Appendix to Part II. Book I. Die Heerdgeldlisten ergeben so ziemlich dasselbe Resultat. Die Heerde in der Provinz York betrugen nicht den sechsten Theil der sämmtlichen Heerde Englands.

13. Ich mache hier natürlich keinen Anspruch auf strenge Genauigkeit; allein ich glaube, daß wer sich die Mühe nehmen will, die letzten Heerdgeldlisten aus der Regierungszeit Wilhelms III. mit dem Ergebnisse der Volkszählung von 1841 zu vergleichen, zu einem Resultate gelangen wird, das von dem meinigen nicht erheblich abweicht.

Staatseinkünfte im Jahre 1685. Von dem Ertrage der Steuern können wir mit größerer Sicherheit und Genauigkeit sprechen als von der Bevölkerung. Die öffentlichen Einnahmen Englands waren klein im Verhältniß zu den Hilfsquellen, die es schon damals besaß, oder im Vergleich mit den Summen, welche von den Regierungen der Nachbarländer erhoben wurden. Sie hatten sich zwar seit der Restauration fast beständig vermehrt, betrugen aber doch wenig mehr als drei Viertel von denen der Vereinigten Provinzen und kaum ein Fünftel von denen Frankreichs.

Der bedeutendste Einnahmeposten war die Accise, welche im letzten Jahre der Regierung Karl’s einen Reinertrag von fünfhundertfünfundachtzigtausend Pfund Sterling abwarf. Der Nettoertrag der Zölle belief sich in demselben Jahre auf fünfhundertdreißigtausend Pfund. Diese Abgaben lasteten nicht schwer auf der Nation. Die Heerdsteuer erregte ein viel lauteres Murren, obgleich sie bei weitem weniger eintrug. Allerdings steht auch die Unzufriedenheit, welche durch directe Steuern hervorgerufen wird, fast immer in keinem Verhältniß zu der Menge des Geldes, das sie dem Staatsschatze einbringen, und die Heerdsteuer war selbst unter den directen Steuern noch eine ganz besonders drückende, denn sie konnte nur durch Besichtigung der Wohnungen festgestellt werden, und derartige Besuche sind den Engländern von jeher in einem Grade verhaßt gewesen, von dem sich andere Ländern nur einen schwachen Begriff machen können. Die ärmeren Einwohner waren oft nicht im Stande, ihr Heerdgeld zur rechten Zeit zu bezahlen, und wenn dieser Fall eintrat, wurden sie ohne Gnade ausgepfändet, denn die Steuer war verpachtet, und der Steuerpächter ist sprichwörtlich der habgierigste und unerbittlichste Gläubiger. Die Einsammler wurden laut beschuldigt, daß sie ihre mißliebige Pflicht mit anmaßender Härte ausübten; man sagte, daß, sobald sie auf der Schwelle eines Hauses erschienen, die Kinder zu weinen begannen und die alten Weiber eiligst ihr Küchengeschirr versteckten. Ja das einzige Bett einer armen Familie ward zuweilen weggenommen und verkauft. Der jährliche Reinertrag dieser Steuer belief sich auf zweimalhunderttausend Pfund.14

III.11

Rechnen wir zu den eben erwähnten drei Hauptquellen der Staatseinkünfte die königlichen Domänen, welche damals viel bedeutender waren als gegenwärtig, die Naturalleistungen und Zehnten, welche noch nicht der Kirche überwiesen waren, die Herzogthümer Cornwall und Lancaster, sowie die Geldstrafen und Geldbußen, so finden wir, daß das gesammte Jahreseinkommen der Krone recht gut auf ungefähr eine Million viermalhunderttausend Pfund geschätzt werden kann. Ein Theil dieses Einkommens war erblich, das übrige war Karl auf Lebenszeit gesichert, und er durfte ganz nach Belieben darüber verfügen. Was er an dem Aufwande für die verschiedenen Departements der Verwaltung ersparen konnte, war ein Beitrag zu seiner Privatchatulle. Von dem Postwesen, dessen Erträgnisse das Parlament dem Herzoge von York zugetheilt hatte, werden wir nachher ausführlicher sprechen.

Auf den Einkünften des Königs lastete — oder hätte vielmehr lasten sollen, — die jährliche Ausgabe von achtzigtausend Pfund als Zinsen für die Summe, welche die Cabale betrügerischer Weise im Staatsschatze zurückgehalten hatte. So lange Danby an der Spitze der Finanzverwaltung stand, hatten die Gläubiger ihre Zinsen erhalten, wenn auch nicht mit der strengen Pünktlichkeit der neueren Zeit; seine Nachfolger im Schatzamte aber hatten es weniger verstanden oder es weniger für nöthig erachtet, den öffentlichen Credit aufrecht zu erhalten. Seit dem Siege, den der Hof über die Whigs davongetragen, war nicht ein Farthing bezahlt worden, und die darunter Leidenden hatten keine Aussicht, eher etwas zu erhalten, als bis eine neue Dynastie und mit dieser ein neues System zur Herrschaft gelangte. Es kann keinen größeren Irrthum geben, als wenn man glaubt, die Erfindung, die Bedürfnisse des Staatshaushaltes durch Anlehen zu decken, sei durch Wilhelm III. auf unserer Insel eingeführt worden. Schon seit undenklichen Zeiten haben alle englischen Regierungen Schulden gemacht. Die Revolution brachte nur den Gebrauch mit, dieselben ehrlich zu bezahlen.15

Durch Beraubung der Staatsgläubiger wurde es möglich, mit einem Einkommen von ungefähr vierzehnhunderttausend Pfund, nebst einigen III.12 gelegentlichen Zuschüssen aus Frankreich, die nothwendigen Ausgaben der Regierung und den verschwenderischen Aufwand des Hofes zu bestreiten. Denn die Last, welche am schwersten auf den Finanzen der großen Staaten des Continents lag, wurde bei uns kaum gefühlt. In Frankreich, in Deutschland und in den Niederlanden wurden mitten im Frieden Armeen unterhalten, wie Heinrich IV. und Philipp II. sie in Kriegszeiten nicht verwendeten. Allenthalben erhoben sich Bastionen und Schanzwerke, welche nach Systemen angelegt waren, die Parma und Spinola nicht gekannt hatten. Es wurden Vorräthe von Geschützen und Kriegsbedarf aufgehäuft, welche selbst Richelieu, den die vorhergehende Generation als einen Schöpfer von Wunderwerken betrachtet hatte, fabelhaft genannt haben würde. Man konnte in diesen Ländern nicht viele Meilen weit reisen, ohne den Trommelwirbel eines auf dem Marsche begriffenen Regiments zu hören oder von den Schildwachen auf der Zugbrücke einer Festung angerufen zu werden.

14. In der Pepys’schen Bibliothek finden sich einige Balladen aus jener Zeit über das Heerdgeld, von denen ich hier einige Proben anführen will:

Sobald die guten Damen den Heerdmann kommen seh’n,

Flieh’n sie erschreckt hinweg mit Topf und Krug;

Im ganzen Lande ist Eine unter Zehn

Der bei dem Worte Heerdmann nicht entschlüpft ein Fluch.

Ferner:

Wie plündernde Soldaten stürmen sie herein

Zu rauben selbst dem Armen sein letztes Gut;

Wie auch die Kinder angstvoll mögen schrei’n

Nichts beuget ihren frechen Übermuth.

Im Britischen Museum finden sich Knittelverse über denselben Gegenstand und in gleichem Sinne:

Und wenn die Armuth nicht bezahlen kann

Greift rohe Hand das einz’ge Bett selbst an

Auf das der Arme legt sein müdes Haupt.

So Ruh’ und Brod zugleich man raubt.

Ich ergreife diese Gelegenheit, die erste, die sich mir darbietet, um dem Vorsteher und dem Vicevorsteher des Magdalenencollegiums zu Cambridge für die freundliche Bereitwilligkeit zu danken, mit der sie mir die werthvollen Pepys’schen Sammlungen zugänglich machten.

15. Meine hauptsächlichsten Autoritäten für diese finanziellen Angaben finden sich in den Commons’ Journals vom 1. und 20. März 1688—89.

Das Militairsystem. Auf unsrer Insel hingegen konnte man lange leben und weite Reisen machen, ohne ein einziges Mal durch irgend einen kriegerischen Anblick oder Ton daran erinnert zu werden, daß die Vertheidigung der Nationen eine Wissenschaft und ein Beruf geworden war. Die meisten jungen Engländer unter fünfundzwanzig Jahren hatten vielleicht noch nie eine Compagnie regulärer Truppen gesehen, und von den Städten, welche zur Zeit des Bürgerkrieges feindliche Heere tapfer zurückgeschlagen hatten, war kaum eine jetzt im Stande, eine Belagerung auszuhalten. Die Thore waren Tag und Nacht geöffnet, die Gräben waren ausgetrocknet und die Wälle hatte man verfallen lassen oder sie nur in so weit erhalten, damit sie den Bewohnern an schönen Sommerabenden zu einem angenehmen Spaziergange dienen konnten. Von den alten Stammburgen der früheren Barone waren viele durch die Kanonen Fairfax’ und Cromwell’s zerschmettert und lagen jetzt in Trümmerhaufen, auf denen Epheu wucherte. Die verschont gebliebenen hatten ihren kriegerischen Character verloren und waren jetzt ländliche Paläste des hohen Adels. Die Wallgräben waren in Behälter für Karpfen und Hechte verwandelt, die Mauern waren mit duftenden Sträuchern und Gebüschen bepflanzt, zwischen denen sich gewundene Pfade zu reizenden Lusthäusern schlängelten, die mit Spiegeln und Gemälden reich geschmückt waren.16 Auf den Vorgebirgen der Seeküste und auf vielen Anhöhen des Binnenlandes sah man noch hohe Pfähle mit leeren Fässern auf den Spitzen derselben. Diese Fässer waren einst mit Pulver gefüllt gewesen. In Zeiten der Gefahr wurden hier Wachen aufgestellt, und wenige Stunden nachdem ein spanisches Segel im Kanal entdeckt oder nachdem ein Schwarm schottischer Räuber über den Tweed gegangen war, loderten funfzig Meilen in der Runde Signalfeuer empor und ganze Grafschaften traten unter die Waffen. Doch viele Jahre waren verflossen, seit die Lärmfeuer geleuchtet hatten, und sie wurden nur noch mehr als merkwürdige Erinnerungszeichen an alte Sitten, denn als Theile einer für die Sicherheit des Staates nöthigen Einrichtung angesehen.17

III.13

Die einzige Armee, die das Gesetz anerkannte, war die Miliz. Diese Streitmacht war durch zwei kurz nach der Restauration erlassene Parlamentsacte umgestaltet worden. Jeder, der aus Grundeigenthum ein jährliches Einkommen von fünfhundert Pfund bezog oder ein bewegliches Vermögen von sechstausend Pfund besaß, war verpflichtet, auf seine Kosten einen Reiter zu liefern, zu equipiren und zu unterhalten, und wer funfzig Pfund jährlich von Grundbesitz bezog oder sechshundert Pfund bewegliches Vermögen hatte, mußte in gleicher Weise einen Lanzknecht oder einen Musketier stellen. Kleinere Grundbesitzer wurden zu einer Art Societät verbunden, für welche unsre Sprache keinen besonderen Namen hat, die aber ein Athenienser eine Synteleia genannt haben würde, und jede solche Societät war gehalten, je nach ihren Mitteln einen Reiter oder einen Fußsoldaten zu liefern. Die Gesammtzahl der auf diese Weise zusammengebrachten Reiterei und Infanterie wurde gewöhnlich auf hundertdreißigtausend Mann geschätzt.

Kraft der alten Verfassung des Reichs und durch die neuere feierliche Anerkennung beider Parlamentshäuser war der König der einzige Generalcapitain dieser starken Streitmacht. Die Lord Lieutenants und ihre Stellvertreter befehligten unter ihm und bestimmten die Zusammenkünfte zur Waffenübung und Musterung. Diese Übungen und Musterungen durften jedoch nicht mehr als vierzehn Tage im Jahre Zeit wegnehmen. Die Friedensrichter waren ermächtigt, für Disciplinarvergehen leichte Strafen zuzuerkennen. Die Krone trug zu den gewöhnlichen Kosten nichts bei; wenn aber die Miliz gegen den Feind aufgeboten wurde, so fiel ihr Unterhalt den allgemeinen Staatseinkünften zur Last und sie war dann der äußersten Strenge der Kriegsgesetze unterworfen.

Von Vielen wurde jedoch die Miliz nicht mit freundlichem Auge betrachtet. Leute, die oft auf dem Continent gereist waren und die trotzige Entschiedenheit bewundert hatten, mit welcher in den von Vauban erbauten Festungen jede Schildwache sich bewegte und sprach, die die gewaltigen Heere gesehen hatten, die sich auf allen Straßen Deutschlands dahin wälzten, um den Osmanen von den Thoren Wiens zu verjagen, und die über die wohlgeordnete Pracht der Haustruppen König Ludwigs gestaunt hatten, machten sich bei jeder Gelegenheit darüber lustig, wie die plumpen Bauern von Devonshire und Yorkshire marschirten, sich bewegten und ihre Gewehre oder Piken trugen. Die Feinde der Freiheiten und der Religion Englands blickten mit entschiedener Abneigung auf eine Streitmacht, welche nicht ohne die größte Gefahr gegen diese Freiheiten und gegen diese Religion verwendet werden konnte, und sie benutzten jede Gelegenheit, um das ländliche Kriegsvolk zu verspotten.18 Und selbst aufgeklärte Patrioten III.14 mußten bei Vergleichung der ungeübten Truppen mit den wohl disciplinirten Bataillonen, welche in Kriegszeiten binnen wenigen Stunden an die Küste von Kent oder Sussex gelangen konnten, eingestehen, daß, so gefährlich auch die Unterhaltung eines stehenden Heeres sein könne, es am Ende doch noch weit gefährlicher sei, die Ehre und Unabhängigkeit des Landes in einem Kampfe zwischen Bauern unter der Anführung von Friedensrichtern, und langgedienten Kriegern unter dem Commando der Marschälle Frankreichs aufs Spiel zu setzen. Im Parlament mußte man jedoch solche Ansichten mit einiger Vorsicht aussprechen, denn die Miliz war eine außerordentlich populäre Institution. Jede tadelnde Bemerkung gegen dieselbe erregte den Unwillen beider großen Parteien im Staate und ganz besonders derjenigen, die sich vorzugsweise durch ihren Eifer für die Monarchie und für die anglikanische Kirche auszeichneten. Das Aufgebot der Grafschaften wurde fast ausschließlich durch Tories vom Adel und von der Gentry befehligt, und diese, stolz auf ihren militairischen Rang, betrachteten jede Beleidigung des Dienstes, dem sie angehörten, als eine Beleidigung ihrer selbst. Auch erkannten sie recht gut, daß Alles was gegen die Miliz gesagt wurde indirect für ein stehendes Heer sprechen sollte, und der bloße Name eines stehenden Heeres war ihnen schon verhaßt. Eine solche Armee hatte bereits einmal in England geherrscht und unter dieser Herrschaft war der König ermordet, der Adel seiner Ehren und Titel beraubt, die bürgerlichen Grundbesitzer ausgeplündert und die Kirche verfolgt worden. Es gab kaum einen Landedelmann, der nicht eine Geschichte von Beschimpfungen und Unbilden zu erzählen wußte, die er oder sein Vater von Seiten der Soldaten des Parlaments zu ertragen gehabt hatte. Jener alte Cavalier hatte es mit ansehen müssen, wie die Hälfte seines Stammschlosses in die Luft gesprengt ward; einem Andern waren seine uralten Ulmen umgehauen worden; ein Dritter konnte nicht in die Kirche seines Sprengels gehen, ohne durch die verstümmelten Wappen und Standbilder seiner Ahnen daran erinnert zu werden, daß Cromwells Rothröcke einst diese Räume zum Stall für ihre Pferde benutzt hatten. In Folge dessen waren gerade die Royalisten, welche am bereitwilligsten persönlich für den König gekämpft haben würden, die Letzten, von denen er die Mittel zur Werbung regulärer Truppen zu verlangen wagen durfte.

Gleichwohl hatte Karl einige Monate nach seiner Wiedereinsetzung angefangen, eine kleine stehende Armee zu errichten. Er fühlte, daß ohne einen besseren Schutz als den der Miliz und seiner Leibwächter sein Palast und seine Person in der Nähe einer großen Stadt, in der es von eben erst entlassenen kriegslustigen Männern der fünften Monarchie wimmelte, kaum sicher sein würden. Trotz seiner Sorglosigkeit und Verschwendungssucht beschloß er daher, seine Ausgaben für Vergnügungen in soweit zu beschränken, daß er die zum Unterhalt einer Leibgarde erforderliche Summe ersparte. Mit der Zunahme des Handels und des öffentlichen Wohlstandes vermehrten sich auch seine Einkünfte, und er wurde dadurch in den Stand gesetzt, trotz des gelegentlichen Murrens der Gemeinen, seine reguläre Streitmacht nach und nach zu verstärken. Noch wenige Monate vor dem Ende seiner Regierung erhielt dieselbe einen ansehnlichen Zuwachs. III.15 Die kostspielige, nutzlose und ungesunde Besitzung Sanger, wurde den umwohnenden Barbaren überlassen und die aus einem Regiment Reitern und zwei Regimentern Fußvolk bestehende Garnison nach England zurückgebracht.

Die kleine Armee, welche Karl II. auf diese Art gebildet, war der Keim zu seinem großen und berühmten Heere, das in dem gegenwärtigen Jahrhundert siegreich in Madrid und Paris, in Canton und Kandahar eingezogen ist. Die Leibgarden, welche jetzt zwei Regimenter bilden, bestanden damals aus drei Abtheilungen, von denen jede ohne die Offiziere zweihundert Carabiniers zählte. Dieses Corps, dem die Bewachung des Königs und der Königlichen Familie anvertraut war, hatte einen ganz eigenthümlichen Character. Selbst die Gemeinen wurden „Gentlemen von der Garde“ genannt; viele von ihnen waren von guter Familie und hatten während der Bürgerkriege Offizierstellen bekleidet. Ihr Sold war bedeutend höher als in unsrer Zeit der des bevorzugtesten Regiments und würde damals als ein ganz anständiges Einkommen für den jüngeren Sohn eines Landedelmanns betrachtet worden sein. Ihre schönen Pferde, ihre kostbaren Schabracken, ihre Brustharnische und ihre mit Bändern, Sammet und Goldtressen reich verzierten Wämser nahmen sich in St. James Park prächtig aus. Jeder Abtheilung war ein kleines Corps Grenadier-Dragoner beigegeben, welche von niederer Herkunft waren und auch geringeren Sold erhielten. Eine andere Truppe Leibcavallerie, die sich durch blaue Röcke und Mäntel unterschied und daher noch jetzt „die Blauen“ genannt wird, lag gewöhnlich in der Umgegend der Hauptstadt in Garnison. Eben so stand in der Nähe der Hauptstadt das Corps, welches gegenwärtig als das erste Dragonerregiment bezeichnet wird, damals aber das einzige derartige Regiment der englischen Armee war. Dieses Regiment war erst kürzlich aus der von Tanger zurückgekehrten Reiterei gebildet worden. Ein besonderer Zug Dragoner, der keinem Regiment angehörte, stand unweit Berwick, um die Räuber des Grenzgebiets im Schach zu halten, denn zu diesem Dienste wurde der Dragoner als besonders geeignet betrachtet. Später ist er ein bloßer Reitersoldat geworden; im siebzehnten Jahrhundert aber beschrieb ihn Montecucculi genau als einen Fußsoldaten, der sich des Pferdes nur dazu bediente, um schneller an den Ort zu gelangen, wo es militairischen Dienst zu verrichten gab.

Die Gardeinfanterie bestand aus zwei Regimentern, welche damals, wie noch jetzt das erste Regiment Fußgarden und die Coldstreamgarden genannt wurden und in der Regel um Whitehall und St. James Palast Dienste thaten. Da es damals noch keine Kasernen gab, nach der „Petition um Recht“ aber Militair in Privatwohnungen nicht einquartirt werden durfte, so waren alle Alehäuser in den Stadttheilen Westminster und Strand mit Rothröcken angefüllt.

Außerdem gab es noch fünf andere Infanterieregimenter. Eines davon, das sogenannte Admiral’s-Regiment, war speciell für den Dienst auf der Flotte bestimmt, und die vier übrigen werden noch jetzt als die vier ersten Linienregimenter bezeichnet. Zwei davon repräsentirten zwei Brigaden, welche auf dem Continente lange Zeit den Ruf der britischen Tapferkeit aufrecht erhalten hatten. Das erste oder Königliche Regiment hatte unter dem großen Gustav zur Befreiung Deutschlands wesentlich beigetragen, und das dritte Regiment, das sich durch fleischfarbene Aufschläge unterschied, welche ihm den allbekannten Namen der „Buffs“ (Rothgelben oder Büffelhäute) verschafften, hatte unter Moritz von Nassau III.16 nicht weniger tapfer für die Befreiung der Niederlande gefochten. Diese beiden wackeren Truppen waren endlich nach langen, wechselvollen Kämpfen von Karl II. aus dem fremden Dienste zurückgerufen und auf den englischen Militairetat gesetzt.

Die beiden Regimenter, welche gegenwärtig als das zweite und vierte Linienregiment bezeichnet werden, waren 1685 eben erst aus Tanger zurückgekehrt und hatten von dort grausame und ausschweifende Gewohnheiten mitgebracht, die sie während ihres langjährigen Krieges mit den Mauren angenommen. Außerdem lagen noch einige Compagnien Fußvolk, welche noch keinem Regimente einverleibt waren, als Garnison in Tilburg’ Fort, Portsmouth, Plymouth und einigen anderen wichtigen Plätzen an oder unweit der Küste.

Seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts war in der Bewaffnung der Infanterie eine wichtige Veränderung eingetreten. Die Lanze war nach und nach durch die Muskete verdrängt worden, und am Schlusse der Regierung Karl’s II. waren die meisten seiner Fußsoldaten Musketiere. Es befanden sich indessen noch immer eine bedeutende Anzahl Lanzenträger darunter. Jede Truppengattung wurde gelegentlich im Gebrauche der Waffe geübt, welche vorzugsweise der anderen Gattung angehörte. Der Fußsoldat war zum Gebrauch beim Handgemenge mit einem Seitengewehr versehen; der Dragoner war bewaffnet wie ein Musketier und trug ebenfalls noch eine Nebenwaffe, die im Laufe vieler Jahre nach und nach eingeführt wurde und welche die Engländer damals Dolch (dagger) nannten, für die aber seit unsrer Revolution der französische Name Bajonett angenommen ist. Das Bajonett scheint jedoch damals noch kein so furchtbares Mordwerkzeug gewesen zu sein, als es nachmals geworden ist, denn es wurde in der Mündung des Gewehres befestigt und der Soldat verlor viel Zeit mit dem Herausziehen des Bajonetts, wenn er feuern wollte, und mit dem Aufstecken desselben, wenn er im Sturm angreifen mußte.

Die reguläre Armee, welche zu Anfang des Jahres 1685 in England unterhalten wurde, bestand mit Einschluß der Offiziere aus etwa siebentausend Mann Fußvolk und ungefähr siebzehnhundert Mann Reitern und Dragonern. Die sämmtlichen Kosten ihres Unterhalts beliefen sich auf etwa zweihundertneunzigtausend Pfund jährlich, das heißt noch nicht ein Zehntel von dem, was das französische Heer damals in Friedenszeiten kostete. Der Tagessold eines Gemeinen von der Leibgarde war vier Schilling, bei den Blauen zwei und ein halber Schilling, bei den Dragonern achtzehn Pence, bei der Fußgarde zehn Pence und bei der Linie acht Pence. Die Disciplin war locker und sie konnte auch nicht anders sein. Das englische gemeine Recht wußte nichts von Kriegsgerichten und machte in Friedenszeiten keinen Unterschied zwischen dem Soldaten und jedem andren Bürger; auch durfte es die Regierung damals nicht wagen, selbst das loyalste Parlament um ein Aufruhrgesetz anzugehen. Wenn daher ein Soldat seinen Obersten zu Boden schlug, so traf ihn dafür nur die gewöhnliche, auf Thätlichkeiten und Mißhandlungen gesetzte Strafe, und wenn er einem Befehl nicht gehorchte, oder auf seinem Wachposten einschlief oder desertirte, so verwirkte er dadurch gar keine gesetzliche Strafe. Allerdings wurden unter der Regierung Karl’s II. ohne Zweifel militairische Strafen verhängt, aber doch nur selten und in einer Weise, daß sie die öffentliche Aufmerksamkeit nicht erregten und keine Berufung an die Gerichtshöfe von Westminsterhall veranlaßten.

III.17

Ein solches Heer war sicherlich nicht geeignet, fünf Millionen Engländer zu knechten; es würde kaum im Stande gewesen sein, einen Aufstand in London zu unterdrücken, wenn die Stadtmiliz sich den Aufrührern angeschlossen hätte. Auch konnte der König, im Fall ein Aufstand in England ausbrach, nicht erwarten, daß er aus seinen anderen Besitzungen Beistand erhalten würde, denn obgleich sowohl Schottland als Irland ein eignes Heer unterhielten, so war dieses doch eben nur hinreichend, um die puritanischen Unzufriedenen des ersteren Landes und die papistischen Unzufriedenen des andren im Schach zu halten. Indessen hatte die Regierung eine andre bedeutende militairische Hülfsquelle, die nicht unberücksichtigt bleiben darf. Im Dienste der Vereinigten Provinzen standen sechs schöne Regimenter, welche früher der tapfere Ossory befehligt hatte. Von diesen Regimentern waren drei in England und drei in Schottland ausgehoben und ihr Landesfürst hatte sich das Recht vorbehalten, sie zurückrufen zu können, sobald er ihrer Hülfe gegen einen auswärtigen oder einheimischen Feind bedürfe. Inzwischen wurden sie unterhalten, ohne daß sie ihm selbst das Geringste kosteten, und standen unter einer vorzüglichen Disciplin, der er sie zu unterwerfen nicht hätte wagen dürfen.19

16. Man sehe zum Beispiel die Schilderung der Wälle von Marlborough in Stokeley’s Itinerarium Curiosum.

17. Chamberlayne’s State of England, 1684.

18. Dryden drückt in seinem Cymon und Iphigenia mit der ihm eigenen rücksichtslosen Derbheit die Besinnungen aus, welche unter den kriechenden Schmeichlern Jakobs II. im Schwunge waren:

Das ganze Land erdröhnt vom lauten Lärme

Der roh sich tummelnden Milizenschwärme.

Viel Mäuler ohne Arm, kostspiel’ges Heer:

Im Frieden eine Last, im Krieg ’ne schwache Wehr.

Einmal im Monat tobt die Schaar durch’s Land,

Ist stets, nur nicht wenn man sie braucht, zur Hand.

So sieht man sie am Morgen der Parade

In Reih’ und Glied in ihrem Waffenstaate,

Bereit zum kurzen, flücht’gen Kriegesspiel.

Dann geht’s zum Trinkgelag’, dem wahren Ziel.

19. Die meisten Materialien, welche ich zu diesem Nachweis über die reguläre Armee benutzt habe, findet man in den auf Befehl König Wilhelm’s IV. und unter der Leitung des Generaladjutanten veröffentlichten Historical Records of Regiments. Außerdem sehe man Chamberlayne’s State of England, 1684; Abridgement of the english Military Discipline, auf besonderen Befehl gedruckt, 1685, und Exercise of foot, auf Befehl J. J. M. M., 1690.

Die Seemacht. Wenn aber das Mißtrauen des Parlaments und der Nation es dem Könige unmöglich machten, ein achtunggebietendes stehendes Heer zu unterhalten, so stand ihm kein ähnliches Hinderniß entgegen, England zur ersten Seemacht zu erheben. Whigs und Tories waren gleich bereit, jeden Schritt beifällig aufzunehmen, der darauf hinzielte, eine Macht zu verstärken, welche gegen die bürgerliche Freiheit nichts vermochte, während sie der beste Schutz für die Insel gegen auswärtige Feinde war. Die größten von englischen Soldaten verrichteten Heldenthaten, deren sich die damalige Generation erinnern konnte, waren im Kampfe gegen englische Fürsten ausgeführt worden. Unsere Seeleute dagegen hatten ihre Siege über fremde Feinde erfochten und den vaterländischen Boden vor Verwüstung und Plünderung bewahrt. Der Schlacht von Naseby erinnerte sich mindestens die Hälfte der Nation mit Abscheu, und selbst der von Dunbar nur mit einem Stolze, der nicht frei war von schmerzlichen Gefühlen; an die Niederlage der Armada aber und an die Seeschlachten Blake’s gegen die Holländer und Spanier dachten alle Parteien mit ungetrübter Begeisterung zurück. Seit der Restauration hatten sich die Gemeinen, selbst in Zeiten, wo sie höchst mißvergnügt und geizig waren, stets bis zur Verschwendung freigebig gezeigt, sobald es das Interesse der Seemacht galt. Während Danby Minister war, hatte man ihnen vorgestellt, daß viele Schiffe der königlichen Flotte alt und nicht mehr seetüchtig seien, und obgleich das Haus damals eben nicht in freigebiger Stimmung war, so bewilligte es doch eine Summe von nahe an sechsmalhunderttausend Pfund zum Bau von dreißig neuen Kriegsschiffen.

Die Freigebigkeit der Nation war jedoch durch die Sünden der Regierung fruchtlos gemacht worden. Die Liste der königlichen Kriegsfahrzeuge III.18 sah zwar ganz stattlich aus; sie zählte neun Linienschiffe ersten, vierzehn zweiten, neununddreißig dritten Ranges und viele kleinere. Allerdings waren die Linienschiffe erster Größe damals kleiner als in unseren Tagen die des dritten Ranges, und die der dritten Größe würden gegenwärtig nicht mehr für sehr große Fregatten gelten. Dessen ungeachtet würde diese Flotte, wenn sie wirklich vorhanden gewesen wäre, von den größten Machthabern als eine furchtbare betrachtet worden sein. Aber sie existirte nur auf dem Papiere. Gegen das Ende der Regierung Karl’s war seine Flotte in einem so schlechten, verfallenen Zustande, daß man es kaum glauben würde, wäre es nicht durch die ganz von einander unabhängigen und übereinstimmenden Aussagen von Zeugen bestätigt, deren Zuverlässigkeit über jeden Zweifel erhaben ist. Pepys, damals der ausgezeichnetste Admiral Englands, entwarf im Jahre 1684 für den König eine Denkschrift über den Stand seines Verwaltungszweiges. Einige Monate später legte Bonrepaux, der fähigste Kopf in der französischen Admiralität, der eigens zu dem Zwecke nach England gekommen war, um die Stärke seiner Seemacht zu untersuchen, Ludwig das Resultat seiner Nachforschungen vor. Beide Berichte stimmen im Wesentlichen mit einander überein. Bonrepaux erklärte, er habe Alles in Unordnung und in jämmerlichem Zustande gefunden, die Überlegenheit der französischen Seemacht werde in Whitehall mit Beschämung und Neid anerkannt und der Zustand unsrer Marine und unserer Schiffswerften biete schon an sich hinreichende Bürgschaft dafür, daß wir uns in die europäischen Streitigkeiten nicht mischen würden.20 Pepys berichtete seinem Gebieter, daß die Verwaltung des Seewesens ein beispielloses Gewebe von Geldverschwendung, Bestechung, Unwissenheit und Sorglosigkeit sei, daß man keiner Schätzung trauen dürfe, daß kein Vertrag gehalten, kein Verbot durchgesetzt würde. Die Schiffe, zu deren Bau die kürzliche Freigebigkeit des Parlaments die Regierung in den Stand gesetzt und welche noch nie den Hafen verlassen hatten, waren von so schlechtem Holze gezimmert, daß sie weniger seetüchtig waren als die alten Wracks, welche vor dreißig Jahren durch die Kanonen der Holländer und Spanier zerschossen wurden. Einige von den neuen Kriegsschiffen waren wirklich schon so verfault, daß sie auf ihren Ankerplätzen sinken mußten, wenn sie nicht schleunigst reparirt wurden. Und dabei wurden die Matrosen so unpünktlich bezahlt, daß sie froh waren, wenn sie einen Wucherer fanden, der ihre Soldanweisungen mit vierzig Procent Abzug kaufte. Die Commandanten, welche keine mächtigen Freunde bei Hofe hatten, waren noch schlimmer daran, und mehrere Offiziere, welche bedeutende Rückstände zu fordern hatten, waren, nachdem sie die Regierung viele Jahre hindurch vergebens um Bezahlung angegangen, aus Mangel an einem Stück Brod gestorben.

Die meisten brauchbaren Kriegsschiffe wurden von Männern befehligt, III.19 welche nicht für den Seedienst erzogen und gebildet waren. Dies war allerdings kein Mißbrauch, den die Regierung Karl’s eingeführt hatte. Kein alter oder neuer Staat hatte bis dahin den Seedienst streng von dem Landkriegsdienste getrennt. Bei den großen civilisirten Nationen der alten Welt hatten Cimon und Lysander, Pompejus und Agrippa zur See so gut wie zu Lande Schlachten geliefert, und auch der Aufschwung, den die Schifffahrtskunde am Schlusse des fünfzehnten Jahrhunderts nahm, hatte keinen wesentlichen Fortschritt in der Theilung des Dienstes zur Folge gehabt. Bei Flodden wurde der rechte Flügel des siegreichen Heeres von dem englischen Admiral befehligt; bei Jarnac und Moncontour führte der französische Admiral die Reihen der Hugenotten. Weder Johann von Österreich, der Sieger von Lepanto, noch Lord Howard von Effingham, dessen Leitung die britische Seemacht anvertraut war, als die Spanier sich in feindseliger Absicht unseren Küsten näherten, hatte eine seemännische Erziehung genossen. Der als Schiffscommandant so hoch gerühmte und gefeierte Raleigh hatte mehrere Jahre in Frankreich, den Niederlanden und Irland als Soldat gedient. Blake hatte sich durch seine geschickte und tapfere Vertheidigung einer Binnenstadt ausgezeichnet, bevor er den übermüthigen Stolz Hollands und Castiliens zur See beugte. Das nämliche System war auch nach der Restauration noch befolgt worden, man hatte die Führung großer Flotten Ruprecht und Monk übertragen, von denen Ersterer vorzugsweise als ein feuriger und waghalsiger Reiteroffizier bekannt war und Letzterer die Heiterkeit seines Schiffsvolks erregte, wenn er, um die Richtung seines Schiffes verändern zu lassen, „links abgeschwenkt!“ commandirte.

Um diese Zeit aber kamen kluge Männer zu der Einsicht, daß die raschen Fortschritte in der Kriegskunst, wie in der Schifffahrtskunde es nöthig machten, zwischen diesen beiden bisher vermischten Berufsarten eine Scheidelinie zu ziehen. Das Commando eines Regiments sowohl wie eines Schiffes war jetzt eine Beschäftigung, welche die ganze Thätigkeit eines Mannes in Anspruch nahm. Die französische Regierung beschloß daher im Jahre 1672, junge Männer aus guter Familie von früher Jugend an ausschließlich für den Seedienst heranbilden zu lassen. Anstatt aber dieses treffliche Beispiel nachzuahmen, verlieh die englische Regierung nicht nur nach wie vor hohe Schiffscommando’s an Offiziere des Landheeres, sondern wählte dazu sogar solche Leute, denen man auch zu Lande einen wichtigen Posten nicht mit Ruhe hätte übertragen können. Jeder junge Laffe von adeliger Abkunft, jeder sittenlose Höfling, für den eine der Maitressen des Königs ein gutes Wort einlegte, durfte hoffen, daß ein Linienschiff und mit demselben die Ehre des Landes und das Leben von Hunderten wackerer Seeleute seiner Obhut anvertraut werden würde. Daß er in seinem Leben noch keine andre Reise zu Wasser als auf der Themse gemacht, daß er sich bei einem Sturme nicht auf den Füßen erhalten und die Längengrade nicht von den Breitengraden unterscheiden konnte, war Nebensache. Eine vorhergehende Ausbildung für seinen Beruf wurde nicht für nöthig erachtet, oder man schickte ihn höchstens auf kurze Zeit auf ein Kriegsschiff, wo er keiner Disciplin unterworfen, mit ausgezeichneter Achtung behandelt wurde und seine Zeit unter Vergnügungen und Lustbarkeiten hinbrachte. Lernte er in den wenigen Stunden zwischen Schmausen, Trinken und Spielen die Bedeutung einiger technischer Ausdrücke und die Benennungen der Compaßstriche, so war er vollkommen III.20 befähigt, um das Commando eines Dreideckers zu übernehmen. Diese Schilderung ist durchaus nicht übertrieben. Im Jahre 1666 diente der siebzehnjährige John Sheffield, Earl von Mulgrave, als Freiwilliger zur See gegen die Holländer. Er brachte sechs Wochen auf seinem Schiffe zu, amüsirte sich nach Möglichkeit in Gesellschaft einiger junger vornehmer Wüstlinge und kehrte dann nach Hause zurück, um das Commando einer Reitertruppe zu übernehmen. Hierauf ging er nicht wieder zur See bis zum Jahre 1672, wo er abermals in die Marine eintrat und fast sogleich zum Kapitain eines Schiffes von vierundachtzig Kanonen, das für das schönste der ganzen Flotte galt, ernannt wurde. Er war damals dreiundzwanzig Jahr alt und hatte im Ganzen keine drei Monate auf der See zugebracht. Sobald er wieder ans Land zurückkam, wurde er zum Obersten eines Infanterieregiments ernannt. Dies ist ein Beispiel von der Art und Weise, wie zur damaligen Zeit die höchsten Befehlshaberposten in der Marine vergeben wurden, und zwar ist es noch ein günstiges Beispiel, denn es fehlte Mulgrave allerdings an Erfahrung, aber wenigstens nicht an Talent und Muth. Auf dieselbe Art wurden jedoch auch Andere befördert, welche nicht nur keine guten Offiziere waren, sondern denen es selbst an der geistigen und sittlichen Befähigung fehlte, jemals gute Offiziere zu werden und deren einzige Empfehlung darin bestand, daß sie sich durch thörichte Verschwendung und Lasterhaftigkeit zu Grunde gerichtet hatten. Der Hauptköder, der diese Leute in den Seedienst lockte, war der Gewinn, den sie durch die Beförderung edler Metalle und anderer werthvoller Waaren von einem Hafen zum andern ziehen konnten, denn das Atlantische wie das Mittelländische Meer wurden damals durch Seeräuber aus der Barbarei so unsicher gemacht, daß die Kaufleute werthvolle Ladungen nicht gern einem anderen als einem Kriegsschiffe anvertrauten. Auf diese Weise verdiente ein Kapitain zuweilen mehrere Tausend Pfund Sterling durch eine kurze Seereise, und über dieses einträgliche Geschäft vernachlässigte er nur zu oft das Interesse seines Landes und die Ehre seiner Flagge, erniedrigte sich fremden Mächten gegenüber, mißachtete die bestimmtesten Befehle seiner Vorgesetzten, lag unthätig in einem Hafen, während er auf einen Seeräuber von Salleh Jagd machen sollte, oder segelte mit einer Geldladung nach Livorno, während seine Instructionen ihn nach Lissabon riefen. Und dies Alles konnte er ungestraft thun. Der nämliche Einfluß, der ihm den Posten, für den er ganz untauglich war, verschafft hatte, erhielt ihn auch auf demselben. Ein Admiral, der von diesen verderbten und leichtsinnigen Palastgünstlingen zum Besten gehalten wurde, wagte es kaum, ihnen schüchtern mit dem Kriegsgericht zu drohen. Zeigte ein Offizier mehr Pflichtgefühl als seine Kameraden, so gelangte er bald zu der Einsicht, daß er dadurch Geld verlor, ohne Ehre zu gewinnen. Zu einem Kapitain, der durch strenge Befolgung der Admiralitätsbefehle sich eine Ladung entgehen ließ, die ihm viertausend Pfund Sterling eingebracht haben würde, sagte Karl mit unedler Leichtfertigkeit, er sei ein rechter Narr, daß er so gewissenhaft gehandelt habe.

Die Disciplin der Flotte war durchgängig in allen Rangverhältnissen gleich. Wie der höfische Kapitain die Admiralität verachtete, so wurde er wieder von seiner Mannschaft verachtet. Es ließ sich nicht verhehlen, daß er in seemännischen Kenntnissen jedem Matrosen an Bord nachstand, und man konnte daher nicht erwarten, daß alte Seeleute, die mit den Stürmen der Tropengegenden und mit den Eisbergen der Polarmeere vertraut III.21 waren, einem Vorgesetzten, der von Wind und Wellen nicht mehr wußte, als man auf einer Fahrt in vergoldeter Barke zwischen Whitehall-Stairs und Hampton-Court lernen konnte, pünktlichen und ehrerbietigen Gehorsam leisten sollte. Einem solchen Neuling die Leitung eines Schiffes anzuvertrauen, war geradezu unmöglich. Diese wurde demnach dem Kapitain entzogen und dem ersten Leutnant übertragen; aber diese Theilung der Autorität hatte unzählige Nachtheile in ihrem Gefolge. Eine strenge Grenzlinie war nicht gezogen und konnte vielleicht auch nicht gezogen werden; daher gab es beständig Streit und Zank. Der Kapitain, der um so gebieterischer auftrat, je unwissender er war, behandelte seinen Leutnant mit vornehmer Geringschätzung, und der Leutnant, der wohl wußte, wie gefährlich es für ihn werden konnte, wenn er sich seinen mächtigen Vorgesetzten zum Feinde machte, gab nur zu oft gegen seine Überzeugung nach kurzem Widerstreben nach, und man konnte noch von Glück sagen, wenn Schiff und Mannschaft nicht dabei zu Grunde gingen. In der Regel waren die unschädlichsten unter den hochadeligen Kapitainen diejenigen, welche die Leitung ihres Schiffes ganz und gar anderen Händen überließen und sich nur damit beschäftigten, Geld zu verdienen und zu verschwenden. Diese Herren führten indeß ein so glänzendes und üppiges Leben, daß sie bei all’ ihrer Habgier doch nur selten reich wurden. Sie kleideten sich beständig wie zu einer Galacour in Versailles, speisten von Silbergeschirr, tranken die feinsten Weine und hielten förmliche Harems auf ihren Schiffen, während Hunger und Skorbut unter der Mannschaft wütheten und täglich Leichname über Bord geworfen wurden.

Dies war der gewöhnliche Character derjenigen, welche damals Gentlemen-Kapitaine genannt wurden. Zum Glück für unser Vaterland gab es jedoch unter ihnen auch Schiffscommandeure ganz anderer Art, Männer, die ihr ganzes Leben auf dem Meere zugebracht und sich von der niedrigsten Stufe zu Rang und Auszeichnung emporgearbeitet und gekämpft hatten. Einer der vorzüglichsten von diesen Offizieren war Sir Christoph Mings, der als Kajütenjunge in den Dienst trat, im tapferen Kampfe gegen die Holländer fiel und von seiner Mannschaft unter Thränen und Rachegelübden zu Grabe getragen ward. Von ihm stammten gewissermaßen durch eine eigenthümliche Art von Nachkommenschaft eine Reihe tapferer und erfahrener Seeleute ab. Sein Kajütenjunge war Sir John Narborough, und dessen Kajütenjunge wieder Sir Cloudesley Shovel. Dem ausgezeichneten natürlichen Verstande und dein unerschrockenen Muthe dieser Klasse von Männern ist England zu großem Danke verpflichtet, den es nie vergessen darf. Durch solche energische Charactere wurden trotz schlechter Verwaltung und trotz der Mißgriffe höfischer Admiräle, viel traurige und gefahrvolle Jahre hindurch unsere Küsten beschützt und der gute Ruf unserer Flagge aufrecht erhalten. Dem Nichtseemanne erschienen diese „Theerjacken“, wie man sie nannte, als ein ganz sonderbares und halb wildes Geschlecht. Ihre Kenntnisse beschränkten sich lediglich auf ihren Beruf, und auch diese waren mehr praktischer als theoretischer Art. Außerhalb ihres Elements waren sie einfältig wie Kinder; ihr Benehmen war unbeholfen, selbst in ihrer Treuherzigkeit lag etwas Rauhes und wo ihre Rede nicht mit Seemannsausdrücken durchflochten war, strotzte dieselbe nur zu häufig von Flüchen und Schwüren. Dies waren die Befehlshaber, unter deren strenger Zucht jene rauhen Krieger gebildet wurden, nach denen Smollet im folgenden Jahrhundert den Leutnant Bowling und den Commodore III.22 Trunnion zeichnete. Es scheint jedoch unter keinem der Stuarts einen einzigen Flottenoffizier gegeben zu haben, wie er nach den Begriffen unserer Zeit sein soll, das heißt ein Mann, der in der Theorie wie in der Praxis seines Berufs gleich erfahren, gegen alle Gefahren des Kampfes und des Sturmes abgehärtet ist und dabei doch einen gebildeten Geist und feine Manieren besitzt. Es gab in der Flotte Karl’s II. Gentlemen und Seemänner; aber die Seemänner waren keine Gentlemen und die Gentlemen keine Seemänner.

Die englische Seemacht hatte nach den genauesten Schätzungen, welche auf uns gekommen sind, mit einem Aufwande von dreihundertachtzigtausend Pfund jährlich in gutem Zustande erhalten werden können. In Wirklichkeit aber wurden vierhunderttausend Pfund für dieselbe ausgegeben, und mit wie geringem Nutzen, haben wir eben gesehen. Die französische Marine kostete ungefähr eben so viel zu unterhalten, die holländische dagegen bedeutend mehr.21

20. Ich beziehe mich hier auf eine Depesche von Bonrepaux an Seignelay vom 8—18. Februar 1680. Sie wurde während des Friedens von Amiens für Fox aus den französischen Archiven abgeschrieben und mir nebst anderen Materialien, welche dieser große Mann zusammengetragen hat, durch die Gefälligkeit der verstorbenen Lady Holland und des gegenwärtigen Lord Holland zur Benutzung anvertraut. Ich muß noch bemerken, daß ich selbst inmitten der Unruhen, welche vor kurzem Paris bewegten, keine Schwierigkeiten fand, um durch die Liberalität der dortigen Beamten Auszüge zu erlangen, die einige Lücken in Fox’ Sammlung ausfüllen.

21. Meine Angaben über den damaligen Zustand der Marine sind hauptsächlich aus Pepys geschöpft. Der Bericht, den er Karl II. im Mai 1684 vorlegte, ist, wie ich glaube, nie gedruckt worden. Die Handschrift befindet sich im Magdalenen-Collegium zu Cambridge. Ebendaselbst befindet sich auch ein werthvolles Manuscript, das eine ausführliche Abhandlung über das Seewesen des Landes im December 1684 enthält. Pepys’ Memoirs relating to the State of the Royal Navy for Ten Years, determined December 1688, sowie sein Tagebuch und sein Briefwechsel während seines Aufenthalts in Tanger, sind gedruckt, und ich habe diese Schriften vielfach benutzt. Man sehe außerdem Sheffield’s Memoirs, Teonge’s Diary, Aubrey’s Life of Monk, The Life of Sir Cloudesley Shovel, 1708, und Commons’ Journal vom 1. und 20. März 1688—89.

Die Artillerie. Die Kosten der britischen Artillerie waren im siebzehnten Jahrhundert im Vergleich mit den Ausgaben für andere Bedürfnisse des Heeres und der Flotte, weit geringer als gegenwärtig. Wohl befanden sich bei allen Besatzungen Geschütze und an diesem und jenem wichtigen Platze auch ein Ingenieur; aber es gab kein besonderes Artillerieregiment, keine Brigade Sappeurs und Mineurs und keine Anstalt, in der junge Leute die wissenschaftliche Seite der Kriegführung lernen konnten. Die Schwierigkeit, Feldstücke zu transportiren, war außerordentlich groß. Als Wilhelm einige Jahre später aus Devonshire nach London marschirte, erregte der Kriegsapparat, den er mit sich führte, obgleich ein solcher auf dem Festlande schon längst in Gebrauch war und derselbe gegenwärtig in Woolwich als roh und schwerfällig gelten würde, bei unseren Vorfahren die nämliche Bewunderung, mit der die Indianer Amerika’s die kastilianischen Büchsen betrachteten. Von dem Pulvervorrathe, welcher damals in den britischen Festungen und Zeughäusern aufbewahrt wurde, sagen patriotische Schriftsteller der damaligen Zeit, daß derselbe den Nachbarvölkern wohl Respect einflößen werde. Er belief sich auf vierzehn- bis fünfzehntausend Fässer, ungefähr ein Zwölftel des Quantums, das man in unseren Tagen immer vorräthig zu halten für nöthig erachtet. Die Ausgaben für die Artillerie betrugen im Durchschnitt etwas über sechzigtausend Pfund jährlich.22

III.23

Die Gesammtkosten für den Effektivbestand der Armee, der Marine und der Artillerie beliefen sich auf etwa siebenhundertfunfzigtausend Pfund. Ausgaben für den nichtaktiven Dienst, welche gegenwärtig einen sehr bedeutenden Theil unserer Staatslasten bilden, gab es damals so gut wie gar nicht. Nur eine sehr geringe Anzahl von Seeoffizieren, die nicht im wirklichen Dienste angestellt waren, bezog halben Sold. Auf der Liste stand kein Leutnant und sogar kein Kapitain, der nicht ein Schiff ersten oder zweiten Ranges befehligt hatte. Da nun das Land damals nur siebzehn Schiffe ersten und zweiten Ranges besaß, welche jemals zur See gewesen waren, und ein großer Theil der Offiziere, welche derartige Schiffe commandirt hatten, einträgliche Posten zu Lande bekleideten, so können die Ausgaben unter dieser Rubrik in der That nur sehr unbedeutend gewesen sein.23 Bei dem Landheere wurde der halbe Sold ebenfalls nur als eine besondere und zeitweilige Vergünstigung einer kleinen Anzahl von Offizieren zweier bevorzugter Regimenter bewilligt.24 Das Hospital von Greenwich war noch nicht gegründet; das von Chelsea war im Bau begriffen, aber die Kosten dieser Anstalt wurden zum einen Theil durch einen Abzug von der Löhnung der Truppen, zum andern durch Privatbeiträge bestritten. Der König versprach nur zwanzigtausend Pfund zu den Baukosten und fünftausend Pfund jährlich zum Unterhalt der Invaliden beizusteuern.25 Daß auch Invaliden außerhalb des Hospitals Pensionen erhalten sollten, lag nicht im Plane des Unternehmens. Der Gesammtaufwand für den nicht aktiven Land- und Seedienst kann zehntausend Pfund des Jahres kaum überstiegen haben. Jetzt beträgt derselbe täglich über zehntausend Pfund.

22. Chamberlayne’s State of England, 1684; Commons’ Journals vom 1. März und 20. März 1688—89. Im Jahre 1833 wurde nach reiflicher Erwägung festgesetzt, daß beständig hundertsiebzigtausend Fässer Schießpulver vorräthig gehalten werden sollten, und diese Norm wird noch jetzt festgehalten.

23. Aus den Urkunden der Admiralität geht hervor, daß Flaggenoffizieren im Jahre 1668 halber Sold gewährt wurde, Kapitainen ersten und zweiten Ranges erst seit 1674.

24. Verordnung in den War Office Records, d. d. 26. März 1678.

25. Evelyn’s Diary vom 27. Januar 1682. Ich habe eine geheime Kabinetsordre vom 17. Mai 1683 gesehen, welche Evelyn’s Aussage bestätigt.

Kosten der Civilverwaltung. Von den Kosten der Civilverwaltung trug die Krone nur einen kleinen Theil. Die große Mehrzahl der Beamten, denen die Ausübung der Justiz und die Aufrechthaltung der Ordnung übertragen war, leisteten ihre Dienste dem Publikum entweder ganz unentgeltlich, oder sie wurden auf eine Weise bezahlt, daß diese Ausgabe den Staatseinnahmen nicht zur Last fiel. Die Sheriffs, Mayors und Aldermen der Städte, die Landedelleute, welche als Friedensrichter fungirten, die Oberkonstabels (Head-boroughs), Bailiffs und Unterkonstabels kosteten dem Könige nichts. Die höheren Gerichtshöfe wurden hauptsächlich durch den Ertrag ihrer Gebühren unterhalten.

Unsere Vertretung an auswärtigen Höfen war nach einem äußerst sparsamen Fuße eingerichtet. Der einzige diplomatische Agent, der den Titel eines Gesandten führte, residirte in Konstantinopel und wurde zum Theil von der Türkischen Compagnie unterhalten. Sogar am Hofe von Versailles hatte England nur einen Geschäftsträger, und an dem spanischen, schwedischen und dänischen Hofe nicht einmal einen solchen. Die Gesammtausgaben unter dieser Rubrik können im letzten Jahre der Regierung Karl’s II. nicht viel über zwanzigtausend Pfund betragen haben.26

26. Jakob II. schickte Gesandte nach Spanien, Schweden und Dänemark, aber dennoch betrug der jährliche Aufwand für die Diplomatie unter seiner Regierung nicht viel über dreißigtausend Pfund. Siehe Commons’ Journals vom 20. März 1688—89, und Chamberlayne’s State of England, 1684, 1688.

III.24

Große Einkünfte der Minister und Höflinge. Diese Sparsamkeit war jedoch keineswegs lobenswerth. Karl war wie immer knauserig am unrechten Orte und freigebig am unrechten Orte. Die Staatsdiener ließ er darben, um Höflinge zu mästen. Die Ausgaben für die Flotte, für das Geschützwesen, für Pensionirung bedürftiger alter Offiziere und für die auswärtigen Gesandtschaften müssen der jetzigen Generation sehr gering erscheinen. Dagegen wurden die persönlichen Günstlinge des Königs, seine Minister und die Kreaturen dieser Minister mit dem Gelde des Landes förmlich überschüttet. Ihre Gehalte und Pensionen waren im Vergleich zu den Einkünften des hohen Adels, der Gentry und der Handels- und Gewerbsleute jener Zeit ungeheuer. Die größten Vermögen im Königreiche überstiegen damals wenig mehr als zwanzigtausend Pfund Renten. Der Herzog von Ormond hatte jährlich zweiundzwanzigtausend Pfund,27 der Herzog von Buckingham, bevor sein großes Vermögen sich durch Verschwendung vermindert, neunzehntausendsechshundert Pfund zu verzehren.28 Georg Monk, Herzog von Albemarle, der zum Lohn für seine ausgezeichneten Dienste mit unermeßlichen Kronländereien beschenkt worden und wegen seiner Geldgier wie wegen seines Geizes gleich bekannt war, hinterließ fünfzehntausend Pfund jährlicher Einkünfte von Grundstücken und sechzigtausend Pfund zinsbar angelegte Kapitalien, welche höchst wahrscheinlich sieben Prozent trugen.29 Diese drei Herzöge galten allgemein für drei der reichsten englischen Unterthanen. Der Erzbischof von Canterbury kann kaum fünftausend Pfund jährlich gehabt haben.30 Das durchschnittliche Einkommen eines weltlichen Peers wurde von den Bestunterrichteten auf dreitausend Pfund, das eines Baronets auf neunhundert, das eines Mitglieds des Unterhauses auf weniger als achthundert Pfund geschätzt.31 Tausend Pfund jährlich galt als ein hohes Einkommen für einen Rechtsanwalt. Auf zweitausend Pfund brachte man es kaum beim Gerichtshofe der Kings-Bench, die Kronanwälte ausgenommen.32 Aus dem allen ergiebt es sich, daß ein öffentlicher Beamter gut bezahlt gewesen wäre, wenn er den vierten oder fünften Theil von dem bekommen hätte, was gegenwärtig als ein angemessener Gehalt betrachtet wird. Trotzdem aber standen sich die höheren Staatsbeamten thatsächlich eben so gut als jetzt, ja nicht selten noch besser. Der Lord Schatzmeister hatte zum Beispiel achttausend Pfund jährlich, und wenn der III.25 Staatsschatz durch eine Commission verwaltet wurde, so hatten die derselben angehörenden jüngeren Lords sechzehnhundert Pfund. Der Zahlmeister des Heeres bekam von allem Gelde, das durch seine Hände ging, eine Provision, die sich auf ungefähr fünftausend Pfund im Jahre belief. Der Oberkammerherr hatte fünftausend Pfund, die Zollcommissäre jeder zwölfhundert, die Kammerherrn jeder tausend Pfund jährlich.33 Allein der feste Gehalt war damals der geringste Theil des Einkommens eines öffentlichen Beamten. Von den Edelleuten an, welche den weißen Stab und das große Siegel führten, bis herab zu dem untersten Zollbeamten und Aichmeister wurde ungescheut und ungestraft ausgeübt, was man jetzt grobe Bestechlichkeit nennen würde. Titel, Stellen, Ämter und Begnadigungen wurden von den hohen Würdenträgern des Reichs täglich auf offenem Markte verkauft, und jeder Schreiber in irgend welchem Staatsbureau ahmte das böse Beispiel nach so gut er konnte.

Während des letzten Jahrhunderts ist kein auch noch so mächtiger Premierminister im Amte reich geworden, mehrere setzten sogar ihr Privatvermögen zu, um ihre hohe Stelle auch äußerlich würdig auszufüllen. Im siebzehnten Jahrhundert dagegen konnte ein Staatsmann, der an der Spitze der Verwaltung stand, in nicht zu langer Zeit, ohne Ärgerniß zu geben, ein Vermögen sammeln, das mehr als hinreichend war, um ein fürstliches Haus zu führen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Einkommen eines Premierministers während seiner Amtsführung das jedes anderen Unterthanen weit überstieg. Die Stelle des Lord Lieutenants von Irland wurde auf vierzigtausend Pfund jährlich geschätzt.34 Die Einkünfte des Kanzlers Clarendon, Arlingtons, Lauderdale’s und Danby’s waren kolossal. Der prachtvolle Palast, den das gemeine Volk von London Dunkirk-House nannte, die stattlichen Pavillons, die Fischteiche, der Thiergarten und die Orangerie von Euston, der mehr als italienische Luxus von Ham mit seinen Statuen, Springbrunnen und Vogelhäusern waren einige von den vielen Zeichen, welche den kürzesten Weg zu unermeßlichen Reichthümern andeuteten. Dies ist auch die wahre Ursache der rücksichtslosen Heftigkeit, mit welcher die Staatsmänner der damaligen Zeit nach hohen Ämtern rangen, der Zähigkeit, mit der sie, aller Mühseligkeiten, Demüthigungen und Gefahren ungeachtet, daran hingen, und der schmachvollen Erniedrigungen, zu denen sie sich herabließen, um dieselben zu behaupten. Selbst in unsrer Zeit würde, so groß auch die Macht der öffentlichen Meinung und so streng der Maßstab der Rechtschaffenheit gegenwärtig ist, eine beklagenswerthe Veränderung in dem Character unserer Staatsmänner ernstlich zu befürchten sein, wenn der Posten des ersten Lords des Schatzes oder des Staatssekretärs hunderttausend Pfund jährlich eintrüge. Zum Glück für unser Land sind die Einkünfte der höchsten Beamtenklasse nicht nur keineswegs im Verhältniß zu der allgemeinen Vermehrung unsres Wohlstandes gestiegen, sondern sie haben sich sogar positiv vermindert.

27. Carte’s Life of Ormond.

28. Pepys’s Diary vom 14. Februar 1688—89.

29. Siehe den Bericht über den Prozeß Bath-Montague, der im December 1693 durch den Lord Siegelbewahrer Somers entschieden ward.

30. Dreiviertel Jahr lang, von Weihnachten 1689 an wurden die Einkünfte des Erzbisthums Canterbury durch einen von der Krone dazu angestellten Beamten erhoben. Die Rechnungsablage dieses Beamten befindet sich gegenwärtig im Britischen Museum (Lansdown Mscrpts. 885). Die Bruttoeinnahme während dieser drei Quartale betrug nicht ganz viertausend Pfund, und der Unterschied zwischen dem Brutto- und dem Nettoeinkommen war jedenfalls nicht unbedeutend.

31. King’s Natural and Political Conclusions. Davenant, On the Balance of Trade. Sir W. Temple sagt: „Die Einkünfte eines Hauses der Gemeinen haben selten viermalhunderttausend Pfund überstiegen.“ Dessen Memoiren. 3. Theil.

32. Langton’s Conversations with Chief Justice Hale, 1672.

33. Commons’ Journals vom 27. April 1689; Chamberlayne’s State of England, 1684.

34. Siehe die Reisen des Großherzogs Cosmus.

Zustand des Ackerbaues. Die Thatsache, daß sich der Ertrag der Steuern in England während eines Zeitraums von etwa zwei langen Menschenleben um das Dreißigfache III.26 vermehrt hat, ist auffallend und mag auf den ersten Anblick fast etwas Erschreckendes haben. Aber wen die Vermehrung der öffentlichen Lasten beunruhigt, der wird sich vielleicht wieder beruhigen, wenn er dagegen die Zunahme der öffentlichen Hülfsquellen in Erwägung zieht. Im Jahre 1685 überstieg der Werth der Bodenerzeugnisse bei weitem den aller anderen Früchte des menschlichen Fleißes. Gleichwohl befand sich damals der Ackerbau in einem Zustande, den man heutzutage roh und unvollkommen nennen würde. Die besten Statistiker jener Zeit schätzten den Umfang des pflügbaren Ackerlandes und des Weidelandes auf nicht viel über die Hälfte des gesammten Flächeninhalts der Monarchie.35 Das Übrige bestand angeblich aus Moor, Sumpf und Waldungen. Die Richtigkeit dieser Berechnungen wird durch die Reisebücher und Landkarten des siebzehnten Jahrhunderts vollkommen bestätigt. Aus diesen Büchern und Karten geht klar und deutlich hervor, daß viele Straßen, welche gegenwärtig durch endlose Obstpflanzungen, Wiesen und Bohnenfelder führen, damals über nichts als Haiden, Sümpfe und Jagdgehege gingen.36 Auf den Zeichnungen englischer Landschaften, welche damals für den Großherzog Cosmus angefertigt wurden, sieht man kaum eine Baumhecke, und zahlreiche Strecken, welche jetzt vortrefflich angebaut sind, erscheinen kahl wie die Ebene von Salisbury.37 Bei Enfield, wo man fast noch den Rauch der Hauptstadt sehen kann, war ein Gebiet von fünfundzwanzig Meilen im Umfange, das nicht mehr als drei Häuser und fast gar keine umfriedigten Felder enthielt. Das Rothwild tummelte sich dort zu Tausenden wie in einem amerikanischen Urwalde.38 Ich muß hierbei bemerken, daß wilde Thiere von bedeutender Größe damals noch viel zahlreicher waren als jetzt. Zwar waren die letzten Wildschweine, welche zum Vergnügen des Königs gehegt wurden und die mit ihren Hauern das angebaute Land verwüsten durften, während des zügellosen Treibens zur Zeit der Bürgerkriege durch das erbitterte Landvolk vernichtet, und der letzte Wolf, der auf unsrer Insel gehaust, kurz vor dem Ende der Regierung Karl’s II. in Schottland erlegt worden. Aber viele jetzt ganz ausgestorbene oder doch nur sehr selten vorkommende Arten von Säugethieren und Vögeln waren noch sehr gewöhnlich. Der Fuchs, dessen Leben gegenwärtig in vielen Grafschaften fast so heilig gehalten wird als das eines Menschen, wurde lediglich als eine Landplage betrachtet. Oliver St. John sagte dem Langen Parlamente, Stafford sei nicht als ein Hirsch oder Hase zu betrachten, auf den man noch einige Rücksicht nehmen könne, sondern als ein III.27 Fuchs, den man auf jede Weise verfolgen und ohne Mitleid todtschlagen müsse. Dieser Vergleich würde nichts weniger als glücklich gewählt sein, wenn man denselben gegen einen Landedelmann unserer Zeit aussprechen wollte; zu St. John’s Zeiten aber wurden nicht selten große Vertilgungkriege gegen die Füchse veranstaltet, zu denen sich die Landleute mit allen Hunden, die sie auftreiben konnten, eifrig drängten. Es wurden Fallen gelegt und Netze gestellt und kein Pardon gegeben; die Erlegung eines trächtigen Weibchens wurde als eine That betrachtet, welche den Dank der ganzen Nachbarschaft verdiente. Das Hochwild war damals in Gloucestershire und Hampshire so gewöhnlich, wie jetzt in den Grampian-Gebirgen. Die Königin Anna erblickte einst auf einer Reise nach Portsmouth ein Rudel von nicht weniger als fünfhundert Stück. Den wilden Stier mit seiner weißen Mähne begegnete man noch zuweilen in einigen südlichen Wäldern. Der Dachs grub noch an jedem Hügelabhange, der mit dichtem Gebüsch bewachsen war, seinen dunklen, gewundenen Bau. Wilde Katzen hörte man noch häufig des Nachts in der Nähe der Wildmeisterwohnungen heulen. Der gelbbrüstige Marder wurde noch in Cranbourne Chase seines Pelzes wegen gejagt, dem man nur das Zobelfell vorzog. Sumpfadler, welche von einer Flügelspitze bis zur andern über neun Fuß maßen, stellten den Fischen an der Küste von Norfolk nach. Auf allen Dünen vom Britischen Kanal bis nach Yorkshire schwärmten riesige Trappen in Schaaren von funfzig bis sechzig Stück umher und wurden oft mit Windhunden gehetzt. Die Moorgegenden von Cambridgeshire und Lincolnshire waren jedes Jahr einige Monate lang mit ungeheuren Schwärmen von Kranichen bedeckt. Durch die Fortschritte des Landbaues sind einige dieser Thiergattungen völlig ausgerottet; andere Arten haben sich so vermindert, daß das Volk ein Exemplar davon anstaunt, wie einen bengalischen Tiger oder einen Eisbär.39

Das Fortschreiten dieser großen Veränderung läßt sich nirgends leichter verfolgen als in der Gesetzsammlung. Die Anzahl der seit der Thronbesteigung König Georg’s II. genehmigten Einhegungsakte beträgt über viertausend, und der kraft dieser Bewilligungen eingefriedigte Flächenraum übersteigt nach mäßiger Schätzung zehntausend Quadratmeilen. Wieviel Quadratmeilen früher gar nicht, oder doch schlecht angebauten Landes in der nämlichen Zeit von den Besitzern ohne specielle Genehmigung der Behörden eingefriedigt und sorgfältig cultivirt wurden, läßt sich bloß muthmaßen. Man kann jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß im Laufe von wenig mehr als einem Jahrhunderte der vierte Theil von England aus einer Wildniß in einen Garten verwandelt worden ist.

Selbst in denjenigen Theilen des Reichs, welche zu Ende der Regierung Karl’s II. am besten angebaut waren, stand die Landwirthschaft ungeachtet der großen Fortschritte, die seit den Bürgerkriegen darin gemacht waren, doch noch nicht auf einer solchen Stufe, daß man heutzutage von ihr sagen würde, sie sei mit Geschick betrieben worden. Bis III.28 jetzt hat die Regierung leider noch keine wirksamen Maßregeln angeordnet, um genaue Aufstellungen über den Ertrag des englischen Grund und Bodens zu erhalten. Der Geschichtsschreiber muß sich daher mit einigem Mißtrauen an die Angaben derjenigen Statistiker halten, welche am meisten in dem Rufe der Sorgfalt und Zuverlässigkeit stehen. Der gegenwärtige Durchschnittsertrag an Weizen, Roggen, Gerste, Hafer und Hülsenfrüchten wird auf weit über dreißig Millionen Quarters geschätzt. Die Weizenernte, die zwölf Millionen Quarters nicht überstiege, würde als eine schlechte gelten. Nach einer Berechnung Gregor King’s vom Jahre 1696 betrug damals die jährliche Gesammtproduction von Weizen, Roggen, Gerste, Hafer und Hülsenfrüchten etwas unter zehn Millionen Quarters. Den Ertrag des Weizens, welcher damals nur auf dem fettesten Lehmboden erbaut und nur von der wohlhabenderen Klasse consumirt wurde, schätzte er auf weniger als zwei Millionen Quarters. Karl Davenant, ein scharfsinniger und wohlunterrichteter, aber durchaus charakterloser und gehässiger Politiker, wich zwar in einigen Punkten der Berechnung von King ab, gelangte aber so ziemlich zu demselben allgemeinen Resultate.40

Die sogenannte Wechselwirthschaft verstand man damals noch sehr unvollkommen. Man wußte zwar, daß einige seit Kurzem auf unserer Insel eingeführte Pflanzen, namentlich die weiße Rübe, ein vortreffliches Winterfutter für Schafe und Rinder gaben; allein es war noch nicht gebräuchlich, das Vieh damit zu füttern. Es war daher keineswegs leicht, die Thiere während der Jahreszeit, wo das Gras selten wird, zu erhalten. Beim Beginn der kalten Witterung wurden sie denn auch in großer Menge geschlachtet und eingesalzen und mehrere Monate hindurch aß selbst der Reiche fast gar kein frisches Fleisch, ausgenommen Wild und Flußfische, welche eben deshalb damals in der Haushaltung eine viel wichtigere Rolle spielten als gegenwärtig. Aus dem Northumberland Household Book ersehen wir, daß unter der Regierung Heinrichs VII. selbst die Gentlemen im Gefolge eines großen Earl nur während der kurzen Zeit zwischen der Mitte des Sommers und Michaelis frisches Fleisch genossen. Im Laufe von zwei Jahrhunderten waren jedoch schon manche Verbesserungen in der Viehzucht eingetreten, und unter Karl II. legten die Familien ihren Wintervorrath von gesalzenem Fleische, das man damals Martinsfleisch nannte, nicht vor Anfang Novembers ein.41

Die Schafe und Rinder jener Zeit waren im Vergleich mit denen, welche heutzutage auf unsere Märkte getrieben werden, sehr klein.42 Unsere einheimischen Pferde waren zwar brauchbar, aber nicht besonders geschätzt und ziemlich wohlfeil. Die zuverlässigsten Autoritäten in der Berechnung des Nationalreichthums schlugen sie im Durchschnitt auf nicht höher als funfzig Schilling das Stück an. Die Pferde ausländischer Zucht wurden allgemein vorgezogen, und für die schönsten galten die spanischen Zelter, welche für den Bedarf des Luxus und des Kriegs eingeführt wurden. Die Kutschen des hohen Adels wurden von grauen flamändischen III.29 Stuten gezogen, welche für die elegantesten Traber galten und besser als irgend ein einheimischer Schlag geeignet sein sollten, die damaligen plumpen Equipagen über das holperige Straßenpflaster von London zu schleppen. Weder das Zugpferd noch das Racepferd der Neuzeit waren damals bekannt. Erst zu einer viel späteren Periode wurden die Vorfahren der riesigen Vierfüßler, welche jetzt von allen Fremden zu den größten Merkwürdigkeiten der Weltstadt gerechnet werden, aus dem Moorlande von Walcheren, die Ahnen eines Childers und Eclipse43 aus den Sandwüsten Arabiens zu uns gebracht. Indessen war schon damals unser Adel und unsre Gentry für die Vergnügungen der Rennbahn leidenschaftlich eingenommen. Man sah die Nothwendigkeit ein, unsere Gestüte durch Beimischung fremden Blutes zu veredeln, und zu diesem Zwecke war vor kurzem eine beträchtliche Anzahl von Pferden aus der Barbarei eingeführt worden. Zwei Männer, deren Autorität in solchen Dingen besonderes Gewicht hatte, der Herzog von Newcastle und Sir John Fenwick, erklärten, daß der geringste Klepper aus Tanger eine schönere Nachkommenschaft erzeugen werde, als man sie von dem besten Hengste unserer einheimischen Zucht erwarten könne. Sie ahneten damals schwerlich, daß eine Zeit kommen würde, wo die Fürsten und Edelleute der Nachbarstaaten eben so eifrig bemüht waren, Pferde aus England zu beziehen, als die Engländer damals nach der Einführung von Berberrossen trachteten.44

35. King’s Natural and Political Conclusions. Davenant, On the Balance of Trade.

36. Siehe das Itinerarium Angliae, 1675, von John Ogilby, königl. Kosmographen. Nach seiner Beschreibung befanden sich in einem großen Theile des Landes zu beiden Seiten der Straßen nichts als Wald, Sumpf und Haide. Auf einigen seiner Karten sind die durch eingehegtes Land gehenden Straßen mit Linien, und die durch uneingehegtes führenden mit Punkten bezeichnet. Der verhältnißmäßige Umfang des nicht eingehegten Landes, das, wenn es überhaupt angebaut war, doch sehr schlecht angebaut sein mußte, scheint sehr bedeutend gewesen zu sein. Zwischen Abingdon und Gloucester zum Beispiel, eine Strecke von vierzig bis funfzig Meilen, befand sich nicht eine einzige Einfriedigung, zwischen Biggleswade und Lincoln kaum eine solche.

37. Eine große Anzahl von diesen höchst interessanten Zeichnungen befinden sich in der Sammlung, welche Grenville dem Britischen Museum vermacht hat.

38. Evelyn’s Diary vom 2. Juni 1675.

39. Siehe White’s Selborne; Bell’s History of British Quadrupeds; Gentleman’s Recreation, 1686; Aubrey’s Natural History of Wiltshire, 1685; Morton’s History of Northamptonshire, 1712; Willoughby’s Ornithology, herausgegeben von Ray, 1678; Latham’s General Synopsis of Birds und Sir Thomas Browne’s Account of Birds found in Norfolk.

40. King’s Natural and Political Conclusions; Davenant, On the Balance of Trade.

41. Siehe die Almanachs von 1684 und 1685.

42. Siehe M’Culloch’s Statistical Account of The British Empire III. Thl. 1. Kap. 6. Abschn.

43. Namen berühmter Rennpferde der Neuzeit.  Anm. d. Übers.

44. King und Davenant wie oben; der Herzog von Newcastle über die Reitkunst; Gentleman’s Recreation, 1686. Die scheckigen flandrischen Stuten waren zu Pope’s Zeiten und auch noch später Zeichen von Vornehmheit. Das gemeine Sprichwort „die graue Stute ist das beste Pferd“ hat, wie ich vermuthe, seinen Ursprung ebenfalls in dem Vorzuge, den man den grauen flandrischen Stuten vor den schönsten englischen Kutschpferden gab.

Mineralreichthum des Landes. So groß aber auch die Vermehrung der Erzeugnisse des Pflanzen- und Thierreichs war, so erscheint sie doch nur unbedeutend im Vergleich mit der Zunahme unseres Mineralreichthums. Im Jahre 1685 war das Zinn von Cornwall, welches vor mehr als zwei Jahrtausenden die tyrischen Schiffe bis über die Säulen des Herkules hinaus gelockt hatte, noch eines der werthvollsten unterirdischen Erzeugnisse der Insel. Die Quantität, welche davon alljährlich gewonnen wurde, belief sich einige Jahre später auf sechzehnhundert Tonnen, ungefähr ein Drittel des gegenwärtigen Ertrags.45 Aber die in der nämlichen Gegend befindlichen Kupferadern wurden zur Zeit Karl’s II. noch fast gar nicht beachtet, und kein Grundeigenthümer brachte sie mit in Anschlag, wenn er den Werth seines Besitzthums feststellte. Gegenwärtig liefern Cornwall und Wales zusammen jährlich nahe an 15,000 Tonnen Kupfer im Werthe von fast anderthalb Millionen Pfund Sterling, das heißt dem ungefähren doppelten Werthe der jährlichen Ausbeute aller englischen Bergwerke irgend welcher Art zusammengenommen im siebzehnten Jahrhunderte.46 Das erste Steinsalzlager war nicht lange III.30 nach der Restauration in Cheshire entdeckt worden, scheint aber damals noch nicht ausgebeutet worden zu sein. Das Salz, welches durch ein rohes Verfahren aus Salzquellen gewonnen wurde, war nicht sehr geschätzt. Die Pfannen, in denen die Bereitung geschah, dünsteten einen Schwefelgeruch aus und nach vollendeter Verdampfung war die zurückgebliebene Substanz fast unbrauchbar. Die Ärzte schrieben die unter den Engländern verbreiteten Skorbut- und Lungenaffectionen diesem ungesunden Gewürz zu. Es wurde daher von den höheren und mittleren Ständen nur selten gebraucht und in Folge dessen fand eine regelmäßige und bedeutende Einfuhr aus Frankreich statt. Gegenwärtig decken unsere Quellen und Bergwerke nicht allein unseren eigenen großen Bedarf, sondern versenden jährlich noch ungefähr 700 Millionen Pfund vortrefflichen Salzes nach dem Auslande.47

Noch viel bedeutender sind die Fortschritte unsrer Eisenerzeugung. Schon lange existirten auf unsrer Insel Eisenwerke, aber sie wollten nicht gedeihen und wurden weder von der Regierung noch vom Publikum mit günstigen Augen angesehen. Es war damals noch nicht gebräuchlich, zum Schmelzen des Erzes Kohlen anzuwenden und der ungeheure Verbrauch von Holz machte die Staatsökonomen besorgt. Schon unter der Regierung Elisabeth’s klagte man laut darüber, daß ganze Wälder geschlagen wurden, um die Schmelzöfen zu speisen und das Parlament war eingeschritten, indem es den Fabrikanten verbot, Bauholz zu brennen. In Folge dessen gerieth die Fabrikation ins Stocken. Zu Ende der Regierung Karl’s II. wurde ein großer Theil des Eisenbedarfs für das Land von auswärts eingeführt und die Gesammtmasse des bei uns gewonnenen Eisens betrug nicht über zehntausend Tonnen. Gegenwärtig gilt dieser Fabrikationszweig für gedrückt, wenn weniger als eine Million Tonnen im Jahre producirt werden.48

Noch ist ein Mineral zu erwähnen, das vielleicht wichtiger ist als selbst das Eisen. Obwohl die Steinkohle in den Fabriken noch fast gar keine Verwendung fand, so war sie doch in einigen Gegenden, die so glücklich waren, große Lager davon zu besitzen, wie auch in der Hauptstadt, welche zu Wasser leicht damit versehen werden konnte, bereits das gewöhnliche Brennmaterial. Man kann mit Recht annehmen, daß damals mindestens die Hälfte der aus allen Gruben gewonnenen Menge in London verbraucht wurde. Die Consumtion Londons erschien den Schriftstellern jener Zeit ungeheuer und ward von ihnen oft als ein Beweis für die Größe der Hauptstadt erwähnt. Sie erwarteten kaum Glauben zu finden, wenn sie versicherten, daß in dem letzten Regierungsjahre Karls II. 280,000 Chaldrons, das heißt etwa 350,000 Tonnen zur Themse gebracht worden seien. Gegenwärtig braucht London jährlich nahe an 3½ Millionen Tonnen und die gesammte Jahresausbeute des Landes darf nach der mäßigsten Schätzung nicht unter 30 Millionen Tonnen angeschlagen werden.49

45. Siehe eine interessante Note von Tonkin in Lord de Dunstanville’s Ausgabe von Carew’s Survey of Cornwall.

46. Borlase’s Natural History of Cornwall, 1758. Meine Angabe der gegenwärtig erzeugten Kupfermenge ist den statistischen Verzeichnissen des Parlaments entnommen. Davenant schätzte den jährlichen Ertrag aller Bergwerke Englands im Jahre 1700 auf sieben- bis achtmalhunderttausend Pfund Sterling.

47. Philosophical Transactions Nr. 53, Nov. 1669, Nr. 66, Dec. 1670, Nr. 103, Mai 1674, Nr. 156, Febr. 1683—1684.

48. Yarranton, England’s Improvement by Sea and Land, 1677; Porter’s Progress of the Nation. Siehe auch die gedrängte, aber ungemein klare Geschichte der britischen Eisenwerke in M’Culloch’s Statistical Account of the British Empire.

49. Siehe Chamberlayne’s State of England, 1684, 1687; Angliae Metropolis, 1691; M’Culloch’s Statistical Account of the British Empire III. Thl. 2. Kap. (Ausg. v. 1847). Im Jahre 1845 betrug die nach London gebrachte Kohlenmenge nach den Parlamentslisten 3,460,000 Tonnen.

III.31

Zunahme der Grundrente. Während diese großen Veränderungen vor sich gingen, war die Grundrente, wie sich erwarten ließ, in fortwährendem Steigen. In einigen Districten hat sie sich mehr als verzehnfacht, in anderen nur verdoppelt; im Durchschnitt aber kann man annehmen, daß sie um das Vierfache gestiegen ist.

Ein großer Theil dieser Einkünfte vertheilte sich unter die Landgentlemen, eine Klasse von Leuten, deren Stellung und Character klar zu erkennen von großer Wichtigkeit ist, denn durch ihren Einfluß und ihre Leidenschaften wurde das Schicksal der Nation in mehreren wichtigen Krisen entschieden.

Die Landgentlemen. Wir würden sehr irren, wenn wir glaubten, daß die Squires des siebzehnten Jahrhunderts ihren heutigen Nachkommen, mit den Grafschaftsabgeordneten und Vorsitzenden der Quartalsitzungen der Friedensrichter, wie wir sie kennen, eine genaue Ähnlichkeit gehabt hätten. Der Landgentleman unsrer Zeit erhält in der Regel eine sehr gute Erziehung, besucht nach genossener vortrefflicher Schulbildung eine ausgezeichnete Universität und es wird ihm jede Gelegenheit geboten, um etwas Tüchtiges zu lernen. Er hat sich gewöhnlich in fremden Ländern umgesehen, hat einen großen Theil seines Lebens in der Hauptstadt zugebracht und die verfeinerten Sitten der Hauptstadt begleiten ihn auf das Land. Es giebt vielleicht keine reizenderen Wohnungen, als die Landsitze der englischen Gentry. In den Parks und Gartenanlagen erscheint uns die durch die Kunst verschönerte, aber nicht verwischte Natur in ihrem lieblichsten Gewande. In den Gebäuden verbindet sich taktvolle Einsicht mit gutem Geschmack, um eine glückliche Vereinigung von Comfort und Eleganz zu erzeugen. Die Gemälde, die musikalischen Instrumente und die Bibliothek würden in jedem anderen Lande als ein Beweis von der feinen Bildung ihres Eigenthümers betrachtet werden. Ein Landgentleman, der die Revolution erlebte, bezog damals aus seinem Grundbesitz wahrscheinlich nur etwa den vierten Theil der Einkünfte, die seine gegenwärtige Nachkommenschaft genießt. Er war daher im Vergleich mit dieser ein armer Mann und in der Regel genöthigt, mit kurzen Unterbrechungen auf seinem Gute zu wohnen. Reisen auf dem Continente, eine häusliche Einrichtung in London oder selbst nur häufige Besuche der Hauptstadt waren Genüsse, die sich nur die großen Gutsbesitzer erzeugen konnten. Man kann dreist behaupten, daß von zwanzig Squires, deren Namen unter den Friedensrichtern und Grafschaftsvorständen figurirten, nicht einer war, der alle fünf Jahre einmal nach London gekommen oder je in seinem Leben nach Paris gereist wäre. Manche Gutsherren hatten eine Erziehung genossen, die sich von der ihrer Dienstleute wenig unterschied. Oft hatte der Erbe eines Gutes während seiner Knaben- und Jünglingsjahre auf dem Stammsitze seiner Familie keine anderen Hofmeister, als Lakaien und Wildhüter, und lernte kaum soviel, damit er seinen Namen unter einen gerichtlichen Verhaftbefehl schreiben konnte. Besuchte er eine Schule oder eine Universität, so kehrte er gewöhnlich schon vor dem zwanzigsten Jahre in die Abgeschiedenheit des väterlichen Hauses III.32 zurück und wenn ihn die Natur in geistiger Beziehung nicht besonders reich, begabt hatte, vergaß er bald seine akademischen Studien über ländlichen Beschäftigungen und Vergnügungen. Sein wichtiges Geschäft war die Sorge für seine Besitzung. Er untersuchte Kornproben, betastete Ferkel und an Markttagen schloß er beim Glase mit den Vieh- und Hopfenhändlern Verkäufe ab. Seine Hauptvergnügungen beschränkten sich fast ausschließlich auf Jagd und Pferderennen und auf die Genüsse einer rohen Sinnlichkeit. Seine Rede und seine Aussprache waren so, wie wir sie jetzt nur von dem ungebildetsten Menschen erwarten würden; seine Flüche, seine rohen Scherze und unsauberen Schimpfworte wurden in dem breitesten Dialecte seiner Provinz ausgesprochen. Schon nach den ersten Worten, die er sprach, konnte man leicht unterscheiden, ob er aus Somersetshire oder aus Yorkshire war. Er kümmerte sich wenig um die Ausschmückung seines Hauses, und wenn er wirklich einen derartigen Versuch machte, war das Resultat selten etwas Besseres als geschmacklose Entstellung. Der Unrath des Wirthschaftshofes sammelte sich unter den Fenstern seines Schlafzimmers und die Kohlköpfe und Stachelbeersträucher wuchsen bis dicht vor die Hausthür. Sein Tisch war reich besetzt mit ordinären Speisen und Gäste waren ihm an demselben herzlich willkommen. Da aber in der Klasse, der er angehörte, die Gewohnheit, übermäßig viel zu trinken, allgemein war und seine Mittel ihm nicht erlaubten, jeden Tag eine zahlreiche Gesellschaft mit Burgunder und Kanariensect zu berauschen, so war ein starkes Bier das gewöhnliche Getränk. Die Biermasse, welche zur damaligen Zeit consumirt wurde, war in der That ungeheuer, denn es wurde damals unter den mittleren und niederen Ständen nicht nur von denen getrunken, die es gegenwärtig trinken, sondern es ersetzte auch den jetzigen Genuß von Wein, Thee und Branntwein. Nur in vornehmen Häusern oder bei festlichen Gelegenheiten kamen ausländische Getränke auf die Tafel. Die Frau vom Hause, welche gewöhnlich das Mahl selbst bereitet hatte, zog sich zurück, sobald die Schüsseln geleert waren und ließ die Herren beim Ale und beim Tabak, denen die Schwelger in lärmender Fröhlichkeit oft noch so lange zusprachen, bis sie unter den Tisch fielen.

Nur sehr selten hatte der Landedelmann hin und wieder einen Blick in die vornehmen Zirkel gethan, und was er davon sah, diente eher dazu, seinen Verstand zu verwirren, als aufzuklären. Da er seine Ansichten über Religion, Verfassung, fremde Länder und frühere Zeiten nicht aus eigenen Studien und Beobachtungen oder aus der Unterhaltung mit gebildeten Leuten, sondern nur aus den Traditionen seines beschränkten Gesellschaftskreises geschöpft hatte, so waren es die Ansichten eines Kindes. Trotzdem hing er mit der Zähigkeit an denselben, welche unwissenden Menschen, die gewohnt sind, mit Schmeicheleien überhäuft zu werden, eigen ist, dabei besaß er zahlreiche und heftige Abneigungen. Er haßte Franzosen und Italiener, Schotten und Iren, Papisten und Presbyterianer, Independenten und Baptisten, Quäker und Juden. Gegen London und die Londoner hegte er einen Widerwillen, der mehr als einmal bedeutende politische Folgen hatte. Seine Gattin und seine Tochter standen in Bildung und Kenntnissen unter einer Haushälterin oder einem Kammermädchen unserer Tage. Sie näheten und spannen, braueten Stachelbeerwein, setzten Früchte ein und buken Wildpasteten.

Aus dieser Beschreibung des englischen Esquires könnte man schließen, III.33 daß er sich wenig von einem Müller oder einem Schenkwirthe unserer Zeit unterschied; allein wir haben noch einige wesentliche Characterzüge zu erwähnen, welche diese Meinung bedeutend modificiren werden. So mangelhaft seine Bildung und seine Kenntnisse auch waren, so zeigte er sich doch in einigen wichtigen Punkten als ein ächter Gentleman. Als Mitglied einer stolzen und mächtigen Aristokratie zeichnete er sich durch manche den Aristokraten eigene, theils gute, theils schlechte Eigenschaften aus. Sein Familienstolz war größer als der eines Talbot oder eines Howard. Er kannte die Stammbäume und Wappen aller seiner Nachbarn, er konnte sagen, welche von ihnen sich widerrechtlich angemaßt hatten, Wappenträger zu halten, und welche so unglücklich waren, Urenkel von Aldermen zu sein. Er war Gerichtsherr und übte als solcher bei den Bewohnern der Umgegend unentgeltlich eine patriarchalische und rohe Justiz aus, welche trotz zahlreicher Irrthümer und gelegentlicher Acte von Tyrannei immer noch besser war als gar keine. Er war ferner Offizier bei der Miliz, und mochte diese militairische Würde den Tapferen, welche an einem Feldzuge in Flandern Theil genommen, auch lächerlich erscheinen, so erhob sie ihn doch in seinen eigenen Augen, wie in denen seiner Nachbarn. Übrigens war es auch in der That ungerecht, seine militairischen Functionen zu verspotten. In jeder Grafschaft gab es ältere Gentlemen, welche Zeiten gesehen hatten, in denen der Dienst der Bürgerwehr kein Kinderspiel war. Der Eine war nach der Schlacht von Edgehill von Karl I. zum Ritter geschlagen worden; ein Andrer trug noch das Pflaster auf einer Wunde, die er bei Naseby erhalten; ein Dritter hatte sein altes Schloß vertheidigt, bis Fairfax die Thür mit einer Petarde sprengte. Die Anwesenheit dieser ergrauten Cavaliere mit ihren alten Schwertern, ihren alten Pistolenholftern und ihren alten Geschichten von Goring und Lunsford verlieh den Musterungen der Miliz ein ernstes und kriegerisches Gepräge, das ihnen sonst gefehlt haben würde. Selbst diejenigen Landgentlemen, welche zu jung waren, als daß sie sich mit den Kürassieren des Parlaments geschlagen haben konnten, waren wenigstens von Jugend auf von den zurückgelassenen Spuren der letzten Kriege umgeben gewesen und waren mit den Geschichten der tapferen Heldenthaten ihrer Väter und Oheime genährt worden. So bestand der Character des englischen Esquire des siebzehnten Jahrhunderts aus zwei Elementen, die wir nicht gewohnt sind, beisammen zu finden; seine Unwissenheit, seine mangelhafte Bildung, seine rohen Neigungen und seine gemeine Sprache würden heutzutage als ein Zeichen von durchaus plebejischer Herkunft und Erziehung betrachtet worden sein: dessen ungeachtet war er entschieden ein Patrizier und besaß in hohem Maße die Tugenden und Fehler, welche denen eigen sind, die ihrer Geburt nach einen hohen Rang einnehmen und an Befehlen, an Decorum und an Selbstachtung gewöhnt sind. Einer Generation, welche gewohnt ist, ritterliche Gesinnungen nur im Verein mit wissenschaftlicher Bildung und feinen Manieren zu finden, wird es nicht leicht, sich einen Mann mit dem Benehmen, dem Vocabularium und der Redeweise eines Karrenführers zu denken, der gleichwohl in Sachen der Herkunft und der Rangordnung ungemein streng und bereit ist, eher sein Leben aufs Spiel zu setzen, als einen Flecken auf die Ehre seines Hauses werfen zu lassen. Indessen können wir uns eben nur durch die Vereinigung dieser Eigenschaften, welche in unserer eigenen Erfahrung selten oder nie beisammen gefunden werden, einen richtigen Begriff von III.34 dem Landadel bilden, der die Hauptstärke der Heere Karl’s I. war und lange Zeit mit bewundernswerther Treue die Interessen seiner Nachkommen vertheidigte.

Dieser rohe, ungebildete und selten gereiste Landgentleman war gewöhnlich ein Tory; aber obgleich ein entschiedener Anhänger der erblichen Monarchie, hegte er doch keine parteiliche Vorliebe für die Höflinge und Minister. Er war, und nicht ohne Grund, der Meinung, daß Whitehall mit den verderbtesten Creaturen angefüllt sei; er glaubte, daß ein Theil der ungeheuren Summen, die das Parlament seit der Restauration bewilligt, von schlauen Staatsmännern unterschlagen, ein anderer an Possenreißer und ausländischen Courtisanen vergeudet worden sei. Sein stolzes englisches Herz empörte sich bei dem bloßen Gedanken, daß die Regierung seines Vaterlandes von Frankreich Vorschriften annehmen sollte. In der Regel selbst ein alter Cavalier oder doch der Sohn eines solchen, gedachte er mit heftigem Unwillen des schnöden Undanks, mit dem die Stuarts ihre unglücklichen Freunde belohnt hatten. Wer ihn über die Geringschätzung, mit der er behandelt, und über die Verschwendung, mit der die Bastarde von Lorchen Gwynn und Madame Carwell ausgestattet wurden, murren hörte, hätte ihn für eine Rebellion reif halten können; aber sein Unmuth dauerte nur so lange, als der Thron in Gefahr schwebte. Gerade wenn Diejenigen, die der Monarch mit Reichthümern und Ehrenbezeigungen überhäuft hatte, ihn verließen, schaarten sich die zur Zeit seines Glücks so mürrischen und widersetzlichen Landedelleute wie ein Mann um ihn. So kamen sie Karl II., nachdem sie zwanzig Jahre lang gegen seine schlechte Regierung gemurrt hatten, im Augenblicke der äußersten Gefahr zu Hülfe, als seine eigenen Staatssekretäre und Lords des Schatzes von ihm abfielen, und setzten ihn in den Stand, die Opposition vollständig zu besiegen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sie auch seinem Bruder Jakob die nämliche Hingebung bewiesen haben würden, wenn er sich noch im letzten Augenblicke hätte enthalten können, ihre heiligsten Gefühle zu verletzen; denn eine Institution, aber auch nur diese eine, achteten sie noch höher als die erbliche Monarchie, und diese Institution war die englische Kirche. Ihre Liebe zu dieser war zwar nicht das Resultat des Nachdenkens oder des Studiums, denn nur wenige unter ihnen hätten einen aus der heiligen Schrift oder aus der Kirchengeschichte hergeleiteten Grund angeben können, weshalb sie den Lehren, den Gebräuchen und der Verfassung dieser Kirche anhingen, und eben so wenig waren sie, im Ganzen genommen, strenge Beobachter des allen christlichen Secten gemeinsamen Sittengesetzes; aber die Erfahrung vieler Jahrhunderte beweist uns, daß Menschen im Stande sein kennen, für eine Religion, deren Glaubenssätze sie nicht verstehen und nach deren Vorschriften sie so gut als gar nicht handeln, bis zum letzten Athemzuge zu kämpfen und die Gegner derselben erbarmungslos zu verfolgen.50

50. Meine Schilderung des Landadels des 17. Jahrhunderts ist zu vielen Quellen entlehnt, als daß ich sie hier anführen könnte. Ich muß daher meine hier angesprochenen Ansichten der Beurtheilung Derer überlassen, welche die Geschichte und die leichtere Literatur jener Zeit studirt haben.

Die Geistlichkeit. Die Landgeistlichkeit war in ihrem Toryismus sogar noch heftiger als die Landgentry und dabei ein kaum minder wichtiger Stand. Es muß jedoch bemerkt werden, daß der Geistliche als III.35 Individuum, verglichen mit dem Gentleman als solchem, auf einer viel tieferen Stufe stand als in unseren Tagen. Die hauptsächlichste Finanzquelle der Kirche war der Zehnten, und der Zehnten bildete damals einen viel geringeren Theil des Einkommens, als gegenwärtig. King schätzte die Gesammteinkünfte der Parochial- und Collegiatgeistlichen auf nicht mehr als vierhundertachtzigtausend Pfund Sterling jährlich, Davenant auf fünfhundertvierundvierzigtausend Pfund. Gegenwärtig übersteigen sie sicherlich das Siebenfache der letzteren Summe. Der Durchschnittsertrag der Landrente ist nach seiner Schätzung in gleichem Verhältnisse gestiegen, und daraus folgt, daß die Pfarrer und ihre Vikare im Vergleich zu den benachbarten Rittern und Squires im siebzehnten Jahrhunderte viel ärmer gewesen sein müssen, als im neunzehnten.

Die gesellschaftliche Stellung des Geistlichen war durch die Reformation völlig verändert worden. Vor diesem Zeitabschnitte bildeten die Geistlichen die Majorität im Hause der Lords; sie kamen an Glanz und Reichthum den vornehmsten weltlichen Baronen gleich, ja sie übertrafen diese zuweilen darin und bekleideten in der Regel die höchsten Staatsämter, der Lordschatzmeister war häufig ein Bischof, der Lordkanzler war es fast stets. Der Geheimsiegelbewahrer und der Staatsarchivar waren ebenfalls gewöhnlich Priester, Diener der Kirche versahen die wichtigsten diplomatischen Geschäfte, kurz, man war der Ansicht, daß der ganze, sehr bedeutende Zweig der Verwaltung, zu dessen Führung der rauhe, kriegerische Adel untauglich war, speziell den Theologen zustehe. Eben deshalb nahmen Männer, welche dem Lagerleben abgeneigt, dabei aber von dem Drange beseelt waren, eine hohe Stellung im Staate zu erlangen, in der Regel die Tonsur. Man zählte unter ihnen Söhne unserer vornehmsten Familien und nahe Verwandte des Thrones, wie die Scroop und Neville, die Bourchier, die Stafford und die Pole. Die Klöster bezogen die Einkünfte ungeheurer Grundbesitzungen und den ganzen sehr bedeutenden Theil des Zehnten, der sich gegenwärtig in den Händen von Laien befindet. Bis um die Mitte der Regierung Heinrich’s VIII. war daher kein Beruf so lockend für ehrgeizige und habsüchtige Charactere, als der Priesterstand. Dann aber trat eine gewaltsame Veränderung ein. Die Abschaffung der Klöster entzog der Kirche zu gleicher Zeit den größten Theil ihres Reichthums und das Übergewicht im Oberhause des Parlaments. Kein Abt von Glastonbury oder von Reading saß mehr unter den Peers und bezog Einkünfte, welche denen eines mächtigen Earl gleichkamen. Die fürstliche Pracht eines Wilhelm von Wykeham und eines Wilhelm von Wayneflete war verschwunden, der rothe Hut des Kardinals und das silberne Kreuz des Legaten waren dahin. Überdies hatte der Clerus auch den Einfluß verloren, der die natürliche Folge der Überlegenheit an geistiger Bildung ist. Wenn ehedem ein Mann lesen konnte, vermuthete man sogleich, daß er dem geistlichen Stande angehöre; zu einer Zeit aber, welche Laien, wie Wilhelm Cecil und Nikolaus Bacon, Roger Ascham und Thomas Smith, Walter Mildmay und Franz Walsingham hervorbrachte, war es nicht mehr nöthig, Prälaten als ihren Kirchspielen herbeizurufen, damit sie Verträge abschlössen, die Finanzen beaufsichtigten oder die Justiz verwalteten. Der geistliche Stand hatte nicht nur aufgehört, eine nothwendige Bedingung zur Übernahme hoher Staatsämter zu sein, sondern er begann sogar als eine Eigenschaft betrachtet zu werden, welche dazu unfähig machte. Die weltlichen Beweggründe, welche III.36 früher so viele intelligente, strebsame und vornehme junge Männer bestimmt hatten, das Priestergewand anzulegen, existirten somit nicht mehr. Unter zweihundert Pfarreien brachte noch nicht eine soviel ein, als ein Mann von Stande zu seinem Unterhalt für nöthig erachtete. Es gab zwar noch einträgliche Stellen in der Kirche, doch ihrer waren sehr wenige und selbst die reichsten erschienen dürftig im Vergleich mit dem Glanze, der früher die Fürsten der Kirche umgeben hatte. Das Haus, das ein Parker und Grindal führten, mußte Denen ärmlich vorkommen, die sich der kaiserlichen Pracht Wolsey’s, seiner Paläste, Whitehall und Hampton Court, welche die Lieblingswohnungen der Könige geworden waren, der drei glänzenden Tafeln, welche täglich in seinem Speisesaale gedeckt wurden, der vierundvierzig prachtvollen Chorröcke, die in seiner Kapelle hingen, der kostbaren Livreen seiner Bedienten und der vergoldeten Streitäxte seiner Leibwächter erinnerten. So verlor der geistliche Stand seine Anziehungskraft für die höheren Klassen, und während des ganzen Jahrhunderts nach der Thronbesteigung der Königin Elisabeth sah man kaum einen einzigen Jüngling von vornehmer Geburt in den Priesterstand treten. Zu Ende der Regierung Karl’s II. gab es zwei Bischöfe und vier oder fünf Geistliche mit einträglichen Stellen, welche Peerssöhne waren; aber diese wenigen Ausnahmen verwischten den Mißcredit nicht, der auf dem ganzen Stande lastete. Der Klerus wurde in seiner Gesammtheit als eine plebejische Klasse betrachtet. Und in der That, auf einen Geistlichen, der wie ein Gentleman lebte, kamen zehn andere, die nicht viel mehr als Hausdiener waren. Ein großer Theil von denjenigen, welche keine Pfründen hatten oder deren Pfründen zu gering waren, um ein anständiges Auskommen zu gewähren, lebte in den Häusern von Laien. Daß diese Sitte die Würde des geistlichen Standes untergraben mußte, hatte man schon längst erkannt; Laud hatte sich bemüht, eine Änderung herbeizuführen und Karl I. hatte mehr als einmal auf das Bestimmteste anbefohlen, daß es nur vornehmen und angesehenen Familien gestattet werden solle, Hauskaplane zu halten.51 Aber diese Verordnungen wurden nicht mehr befolgt. Während der Herrschaft der Puritaner konnten auch wirklich viele abgesetzte Diener der anglikanischen Kirche auf keine andere Art Obdach und Brod erhalten, als indem sie sich royalistischen Familien anschlossen, und diese zu den Zeiten der bürgerlichen Unruhen angenommene Sitte bestand noch lange nach der Wiederherstellung der Monarchie und des Episcopats. In den Häusern freisinniger und gebildeter Leute wurde der Kaplan allerdings freundlich und anständig behandelt, seine Unterhaltung, sein wissenschaftlicher und geistlicher Rath wurden als reichliche Gegenleistung für die ihm gewährte Kost, Wohnung und Besoldung betrachtet, allein so war es nicht bei der Mehrzahl der Landedelleute. Der ungebildete und unwissende Squire hielt es für ein nothwendiges Attribut seiner Würde, daß ein Priester in vollem Ornate an seiner Tafel das Tischgebet sprach und wußte es so einzurichten, daß er die Würde mit Sparsamkeit vereinigte. Für Kost, ein Dachstübchen und zehn Pfund Sterling jährlich war ein junger Levit — dies war die damals übliche Benennung — zu haben, und dafür mußte er nicht nur seine amtlichen Functionen verrichten, sondern auch die geduldige Zielscheibe des III.37 Witzes und den stets bereitwilligen Zuhörer abgeben, bei schönem Wetter jederzeit zum Kegeln, bei Regenwetter zum Beillespiel bei der Hand sein und zuweilen sogar die Ausgabe für einen Gärtner oder einen Bedienten ersparen, denn nicht selten verstutzte der hochwürdige Mann die Obstbäume, oder striegelte die Pferde, oder bezahlte die Rechnung des Hufschmieds, oder ging mit einem Briefe oder einem Packete zehn Meilen weit über Land. Er durfte zwar mit am Familientische essen, aber man erwartete von ihm, daß er sich mit der einfachsten Kost begnügte; er durfte sich seinen Teller mit Pökelfleisch und Möhren füllen so oft er wollte, sobald aber die Torten und Pasteten erschienen, stand er auf und ging auf die Seite, bis er wieder gerufen wurde, um Gott für eine Mahlzeit zu danken, die er nur theilweise genossen hatte.52

Nachdem er einige Jahre so gedient, fand er vielleicht eine Anstellung, die sein Auskommen sicherte; aber oft mußte er dieses Glück durch eine Art von Simonie erkaufen, welche mehreren Generationen von Spöttern reichen Stoff zu Witzeleien lieferte. Es war gebräuchlich, daß er mit der Pfarre zugleich auch eine Frau nahm. Diese hatte gewöhnlich bei seinem Principal in Dienst gestanden, und er konnte von Glück sagen, wenn man sie nicht in dem Verdacht hatte, die Gunst ihres Herrn in zu reichem Maße besessen zu haben. Der Character der ehelichen Verbindungen, welche der Geistliche der damaligen Zeit zu schließen pflegte, bezeichnet in der That am besten die Stellung, die er in der Gesellschaft einnahm. Ein Oxforder, der einige Monate nach dem Tode Karl’s II. schrieb, beklagte sich bitter nicht nur über die Geringschätzung, mit der auf dem Lande der Advokat und der Apotheker auf den Pfarrer herabsahen, sondern auch darüber, daß man jedes junge Mädchen aus anständiger Familie eindringlich ermahnte, nie einen geistlichen Anbeter zu ermuthigen, und daß eine junge Dame durch Nichtachtung dieser Vorschrift fast in gleichem Grade entehrt wurde, wie durch eine unerlaubte Liebe.53 Clarendon, der gewiß der Kirche nicht feind war, erwähnt es als einen Beweis von der durch die große Revolution herbeigeführten Verschmelzung der verschiedenen Stände, daß einige junge adelige Fräulein sich mit Geistlichen verbunden hatten.54 Ein Kammermädchen wurde gewöhnlich als die geeignetste Lebensgefährtin für einen Pfarrer betrachtet. Die Königin Elisabeth selbst hatte dieses Vorurtheil gewissermaßen förmlich sanctionirt durch die specielle Verordnung, daß kein Geistlicher sich erlauben dürfe, ein Dienstmädchen ohne Erlaubniß ihrer Herrschaft zu heirathen.55 Daher waren denn mehrere Generationen hindurch III.38 die Liebesverhältnisse zwischen Geistlichen und Dienstmädchen ein unerschöpfliches Thema für Scherz und Spott, und es dürfte nicht leicht sein, in den Theaterstücken des siebzehnten Jahrhunderts ein einziges Beispiel zu finden, daß ein Geistlicher eine Frau bekommt, die sich über den Rang einer Köchin erhebt.56 Selbst noch unter der Regierung Georg’s II. bemerkte ein Geistlicher, der scharfsinnigste Beobachter der Lebensweise und der Sitten seiner Zeit, daß in reichen Häusern der Kaplan der letzte Trost für eine Kammerzofe von zweideutigem Rufe sei, die keine Hoffnung mehr habe, den Hausverwalter zu kapern.57

In der Regel machte der Geistliche, der seinen Kaplanposten um einer Pfarre und einer Gattin willen aufgegeben, sehr bald die Erfahrung, daß er seine Knechtschaft nur mit einer andren vertauscht hatte. Es gab unter funfzig Pfarrstellen noch nicht eine, die ihrem Inhaber so viel eintrug, daß er mit seiner Familie anständig leben konnte. In dem Maße als die Kinder sich mehrten und heranwuchsen, zog Noth und Elend in das Haus des Pfarrers ein; die Löcher im Dache seines Presbyteriums und in seinem einzigen Rocke wurden immer größer und zahlreicher; oft mußte er durch Handarbeit auf dem Felde, durch Füttern der Schweine oder durch Auf- und Abladen von Düngerkarren sein tägliches Brod verdienen und selbst die äußerste Anstrengung schützte ihn nicht immer davor, daß der Gerichtsbote ihm auf dem Wege der Execution seine Concordanz und sein Schreibzeug nahm. Es war ein Festtag für ihn, wenn er in die Küche eines vornehmen Hauses eingelassen und von der Dienerschaft mit kaltem Braten und Bier bewirthet wurde. Seine Kinder erhielten keine bessere Erziehung als die der benachbarten Landleute; die Söhne mußten den Acker pflügen und die Töchter in Dienst gehen. Zu studiren war ihm unmöglich, denn die Summe, für welche das Patronatrecht seines Amtes hätte verkauft werden können, würde kaum zur Anschaffung einer guten theologischen Bibliothek hingereicht haben; er mußte sich daher schon überaus glücklich schätzen, wenn er auf seinem Regale zwischen den Töpfen und Schüsseln etwa ein Dutzend alter Bücher stehen hatte. In einer so ärmlichen Lage mußte auch ein hervorragender und lernbegieriger Geist verrosten.

Zwar fehlte es auch damals der englischen Kirche nicht an Geistlichen, die sich durch Talente und wissenschaftliche Bildung auszeichneten, aber diese waren nicht unter dem Landvolke zerstreut. Sie concentrirten sich in einigen Städten, wo die Mittel und Gelegenheiten, sich Kenntnisse zu erwerben und die Verstandeskräfte durch häufige Übung auszubilden, in Überfluß vorhanden waren.58 An solchen Orten fand man Theologen, welche durch Talent, Beredtsamkeit, umfassende Kenntniß der Literatur, der Wissenschaft und des Lebens befähigt waren, ihre Kirche gegen Ketzer und Zweifler siegreich zu vertheidigen, die Aufmerksamkeit eines frivolen und weltlichen Zuhörerkreises zu fesseln, öffentliche Verhandlungen zu III.39 leiten und der Religion selbst bei dem ausschweifendsten Hofe Achtung zu verschaffen. Einige beschäftigten sich damit, die Tiefen der metaphysischen Theologie zu erforschen; Andere waren in der Auslegung der Bibel gründlich bewandert; noch Andere verbreiteten Licht über die dunkelsten Stellen der Kirchengeschichte. Diese zeigten sich als vollendete Meister in der Logik, Jene widmeten sich der Redekunst mit solchem Eifer und Erfolg, daß ihre Vorträge noch heute mit vollem Rechte für Muster des Styls gelten. Diese ausgezeichneten Männer fanden sich jedoch fast ohne Ausnahme nur auf den Universitäten, an den großen Kathedralen, oder in der Hauptstadt. Barrow war kürzlich in Cambridge gestorben, Pearson war von dort auf die Bischofsbank versetzt worden, und Cudworth und Heinrich More lebten noch daselbst. South und Pococke, Jane und Aldrich waren in Oxford, Prideaux in dem Kapitel von Norwich, Whitby in dem von Salisbury. Vorzugsweise aber war es die Londoner Geistlichkeit, von der man überhaupt stets wie von einer besonderen Klasse sprach, welche den Ruf der Gelehrsamkeit und Beredtsamkeit ihres Standes aufrecht erhielt. Die ersten Kanzeln der Hauptstadt waren damals mit einer bedeutenden Anzahl ausgezeichneter Männer besetzt, unter denen man auch einen großen Theil der Hauptwürdenträger der Kirche wählte. Sherlock predigte im Temple, Tillotson in Lincoln’s Inn, Wake und Jeremias Collier in Gray’s Inn, Burnet im Archive, Stillingfleet in der St. Paulskathedrale, Patrik in der St. Paulskirche in Coventgarden, Fowler in St. Giles, Cripplegate, Sharp in St. Giles in the Fields, Tenison in St. Martin, Sprat in St. Margaret, Beveridge in St. Peter in Cornhill. Von diesen zwölf Männern, die sich sämmtlich einen berühmten Namen in der Kirchengeschichte gemacht haben, wurden zehn Bischöfe und vier von diesen zehn Erzbischöfe. Ebenso waren fast die einzigen bedeutenden theologischen Werke, welche von einem Landgeistlichen herrührten, die von Georg Bull, der später Bischof von St. David wurde, und auch diese Werke würde Bull schwerlich zu Stande gebracht haben, hätte er nicht ein Gut geerbt, dessen Verkauf ihm die Mittel gewährte, sich eine Bibliothek anzuschaffen, wie sie damals wahrscheinlich kein anderer Landgeistlicher in England besaß.59

So zerfiel der anglikanische Klerus in zwei Klassen, die in Bezug auf Kenntnisse, Sitten und gesellschaftliche Stellung weit verschieden von einander waren. Die eine von diesen beiden Klassen, welche für die Städte und Höfe herangebildet war, enthielt Männer, welche gründliche Kenntniß der alten und neuen Wissenschaften besaßen; Männer, welche fähig waren, gegen einen Hobbes oder Bossuet mit allen Waffen der Polemik aufzutreten; Männer, welche in ihren Kanzelreden die Schönheit und Erhabenheit des Christenthums mit solchem Scharfsinn und so kräftiger Sprache zu schildern verstanden, daß selbst der gleichgültige Karl II. ihnen aufmerksam zuhörte und der übermüthige Buckingham zu hohnlächeln vergaß; Männer, welche ihre Bildung, ihre feinen Manieren und ihre Weltkenntniß befähigte, die Gewissensräthe der Reichen und Adeligen zu sein; Männer, mit denen Halifax gern über das Wohl und Wehe der III.40 Staaten sprach und von denen Dryden, wie er sich nicht scheute offen zu gestehen, schreiben gelernt hatte.60 Der andren Klasse war ein bescheideneres und härteres Loos bestimmt. Sie war auf dem platten Lande zerstreut und bestand größtentheils aus Leuten, die nicht wohlhabender und auch nicht viel gebildeter waren als kleine Pächter oder höhere Dienstboten. Und dennoch war bei diesen Landgeistlichen, die ihr Leben nur kärglich mit den Zehntgarben und Zehntferkeln fristeten und nicht die entfernteste Aussicht hatten, es je in ihrem Berufe zu etwas Höherem zu bringen, das Gefühl der Amtswürde am stärksten. Unter den Theologen, welche der Stolz der Universitäten und die Freude der Hauptstadt waren, und die Reichthum und hohen Rang entweder schon besaßen oder doch gegründete Hoffnung hatten, solche zu erlangen, gab es eine der Zahl nach sehr bedeutende Partei von höchst ehrenwerthem Character, die sich zu den constitutionellen Regierungsgrundsätzen hinneigte. Diese Partei lebte auf dem freundschaftlichsten Fuße mit Presbyterianern, Independenten und Baptisten, sie würde gern allen protestantischen Secten die unbeschränkteste Duldung gewährt und selbst einige Änderungen in der Liturgie bewilligt haben, um die aufrichtigen und redlichen Nonconformisten auszusöhnen. Von solcher Toleranz und Mäßigung aber wollte der Landgeistliche nichts wissen. Er war in der That stolzer auf seinen zerrissenen Rock als seine Vorgesetzten auf ihren Purpur und Batist. Gerade das Bewußtsein, daß er sich in Bezug auf seine gesellschaftliche Stellung nur wenig von den Landleuten unterschied, vor denen er predigte, war der Grund, warum er einen übertrieben hohen Werth auf die geistliche Würde legte, die ihm allein Anspruch auf ihre Achtung gab. Da er in beständiger Abgeschiedenheit gelebt und nur wenig Gelegenheit gehabt hatte, durch Lesen oder durch mündliche Unterredungen seine Ansichten zu modificiren, so glaubte und predigte er die Lehren von dem unveräußerlichen Erbrechte, dem passiven Gehorsam und der Verwerflichkeit des Widerstandes in ihrer ganzen abgeschmackten Ungereimtheit. Seit langer Zeit im Kriege mit den Dissenters der Nachbarschaft haßte er diese nur zu oft lediglich um des Unrechts willen, das er ihnen zugefügt und fand an den Fünfmeilen-61 und der Conventikelacte nichts weiter auszusetzen, als daß diese verhaßten Gesetzte nicht schärfer wären. Den ganzen Einfluß, den seine amtliche Stellung ihm verlieh, und dieser Einfluß war sehr groß, verwendete er mit leidenschaftlichem Eifer zu Gunsten des Toryismus. Man würde sehr irren, wollte man glauben, daß die Macht des Klerus damals geringer war als jetzt, weil der Landpfarrer im Allgemeinen nicht als ein Gentleman angesehen wurde, weil er sich nicht um die Hand einer Tochter des Gutsherrn bewerben durfte, weil er in höheren Gesellschaftszirkeln keinen Zutritt hatte und man es ihm überließ, mit den Dienstleuten zu trinken und zu rauchen. Der Einfluß einer ganzen Klasse richtet sich keineswegs nach dem Ansehen der einzelnen Glieder derselben. Ein Kardinal ist gewiß ein viel angesehenerer Mann als ein Bettelmönch, aber es würde ein gewaltiger Irrthum sein, wenn man annehmen wollte, daß das Kardinalscollegium deshalb eine größere Herrschaft über die öffentliche III.41 Meinung in Europa ausgeübt, als zum Beispiel der Franziskanerorden. In Irland steht gegenwärtig ein Peer weit höher im Ansehen als ein römisch-katholischer Priester; dennoch aber giebt es in Munster und Connaught wenige Grafschaften, in denen bei einem Wahlkampfe ein Verein von Priestern gegen eine Verbindung von Peers nicht den Sieg davon tragen würde. Im siebzehnten Jahrhunderte war die Kanzel für einen großen Theil der Bevölkerung das, was heutzutage die periodische Presse ist. Kaum einer von den Bauern, die zur Pfarrkirche kamen, hatte je in seinem Leben eine Zeitung, oder eine politische Flugschrift zu Gesicht bekommen. Mochten die Kenntnisse ihres Seelenhirten noch so gering sein, jedenfalls war er unterrichteter als sie. Allwöchentlich sprach er einmal zu ihnen und Niemand erwiderte etwas auf seine Reden; bei jeder wichtigen Gelegenheit ertönten auf vielen tausend Kanzeln zu gleicher Zeit heftige Schmähungen gegen die Whigs und Ermahnungen zum Gehorsam gegen den Gesalbten des Herrn, und die Wirkung dieser Reden war ungeheuer. Von allen Ursachen, welche nach der Auflösung des Oxforder Parlaments die heftige Reaction gegen die Exclusionisten hervorriefen, scheinen die Predigten der Landpfarrer die wirksamsten gewesen zu sein.

51. Heylin’s Cyprianus Anglicus.

52. Eachard, Causes of the Contempt of the Clergy; Oldham, Satire adressed to a Friend about to leave the University; Tatler, 255, 258. Auch in den Reisen des Großherzogs Cosmus, Anhang A, wird gesagt, daß die englische Geistlichkeit eine „niedrig geborene“ Klasse sei.

53. A causidico, medicastro, ipsaque artificum farragine, ecclesiae rector aut vicarius contemnitur et fit ludibrio. Gentis et familiae nitor sacris ordinibus pollutus censetur: foeminisque natalitio insignibus unicum inculcatur saepius praeceptum, ne modestiae naufragium, faciant, aut, (quod idem auribus tam delicatulis sonat) ne clerico se nuptas dari patiantur. — Angliae Notitia von T. Wood am New-College, Oxford 1686.

54. Clarendon’s Life II. 21.

55. Siehe die Verordnungen von 1559 in der Sammlung des Bischofs Sparrow. Jeremias Collier spricht in seinem Essay of Pride ebenfalls mit einem Unwillen von dieser Verordnung, welcher beweist, daß sein eigner Stolz noch nicht gebeugt war.

56. Roger und Abigail in Fletcher’s Scornful Lady, Bull und die Amme in Vanbrugh’s Relapse, Smirk und Susanna in Shadwell’s, Lancashire Witches sind nur einige Beispiele.

57. Swift’s Directions to Servants.

58. Diese Unterscheidung zwischen Land- und Stadtgeistlichen wird von Eachard besonders hervorgehoben und muß Jedem auffallen, der die Kirchengeschichte der damaligen Zeit studirt.

59. Nelson’s Life of Bull. Wie schwer es dem Landgeistlichen damals war, sich Bücher anzuschaffen, darüber findet man Näheres in der Biographie von Thomas Bray, dem Gründer der Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums.

60. „Ich habe ihn (Dryden) oft mit wahrem Vergnügen äußern hören, daß er sein geringes schriftstellerisches Talent nur dem häufigen Lesen der Schriften des großen Erzbischofs Tillotson verdanke.“ Congreve’s Widmung zu Dryden’s Schauspielen.

61. Siehe S. 22 im zweiten Kapitel.  D. Übers.

Die Freisassen. Dem Einflusse des Landadels und der Landgeistlichkeit hielt indessen der Einfluß der Freisassen, einer höchst energischen und biederen Klasse, einigermaßen die Wage. Die kleinen Grundbesitzer, welche mit eigner Hand ihr Feld bestellten und ein mäßiges Einkommen genossen, ohne sich um Wappen und Helmbüsche zu kümmern oder nach einem Sitze auf der Richterbank zu trachten, bildeten damals einen viel bedeutenderen Theil der Bevölkerung als gegenwärtig. Wenn man den besten Statistikern jener Zeit glauben darf, so lebten nicht weniger als hundertsechzigtausend Gutsbesitzer, welche mit ihren Familien mehr als ein Siebentel der ganzen Bevölkerung ausgemacht haben müssen, von dem Ertrage kleiner Freigüter. Das durchschnittliche Jahreseinkommen dieser kleinen Grundeigenthümer, bestehend aus Renten, Nutznießungen und Miethzinsen, wurde auf sechzig bis siebzig Pfund Sterling geschätzt. Man hatte berechnet, daß die Anzahl der Gutsbesitzer, welche ihren Grund und Boden selbst bebauten, größer war als die Zahl Derer, welche die Güter Anderer pachtweise bewirthschafteten.62 Ein großer Theil der Freisassen hatte sich seit dem Beginn der Reformation zu dem Puritanismus hingeneigt, war im Bürgerkriege auf die Seite des Parlaments getreten, hatte auch nach der Restauration dabei beharrt, Presbyterianer- und Indepedentenprediger zu hören, hatte die Exclusionisten bei den Wahlen stets kräftig unterstützt und betrachtete selbst nach der Entdeckung des Ryehousecomplots und der Verbannung der Whighäupter das Papstthum und die Willkürherrschaft noch mit ungeschwächter Feindseligkeit.

62. Ich habe hierbei Davenant’s Schätzung zum Grunde gelegt, die etwas niedriger ist als die von King.

Wachsthum der Städte. So groß auch die Veränderungen waren, die seit der Revolution auf dem platten Lande vorgingen, in den Städten waren sie noch viel staunenerregender. Gegenwärtig ist ein Sechstel der ganzen Bevölkerung in den Provinzialstädten von mehr als dreißigtausend Einwohnern zusammengedrängt. Zur Zeit Karl’s II. hatte noch keine einzige Provinzialstadt im ganzen Reiche dreißigtausend Einwohner, nur vier zählten zehntausend Seelen.

III.42

Bristol. Der Hauptstadt zunächst, aber noch immer in ungeheurem Abstande, kamen Bristol, damals der wichtigste Seehafen, und Norwich, damals die erste Fabrikstadt Englands. Beide sind seitdem von jüngeren Nebenbuhlerinnen weit überflügelt worden, haben aber gleichwohl beide sehr bedeutende positive Fortschritte gemacht, denn die Bevölkerung von Bristol hat sich vervierfacht, die von Norwich mehr als verdoppelt.

Pepys, welcher Bristol acht Jahre nach der Restauration besuchte, war erstaunt über den Glanz dieser Stadt. Allerdings scheint er keinen hohen Maßstab angelegt zu haben, denn er bezeichnet es als ein Wunder, daß man in Bristol allenthalben nichts als Häuser erblicke, wenn man sich umsehe. Danach scheint es, daß in keiner andren ihm bekannten Stadt, London ausgenommen, die Häuser Wald und Feld völlig verdrängt hatten. So groß Bristol damals erschien, bedeckte es doch nur einen sehr kleinen Theil des Flächenraumes, den es gegenwärtig einnimmt. Einige Kirchen von ausgezeichneter Schönheit erhoben sich aus einem Labyrinth von engen Gäßchen, deren Häuser keine besonders festen Grundmauern hatten. Fuhr ein Wagen oder Karren durch diese Gassen, so lief er Gefahr, zwischen den Häusern stecken zu bleiben oder in die Kellergewölbe einzubrechen. Die Waaren wurden daher fast ausschließlich auf kleinen, von Hunden gezogenen Karren in die Stadt gebracht und die reichen Einwohner trugen ihren Wohlstand nicht in goldstrotzenden Equipagen zur Schau, sondern indem sie sich auf ihren Gängen durch die Stadt von einer zahlreichen Dienerschaft in prächtiger Livree begleiten ließen und glänzende Gastmähler gaben. Der Pomp bei Taufen und Leichenbegängnissen überstieg dort Alles, was man irgend anderwärts in England sah. Die Gastfreundschaft dieser Stadt war weit berühmt, ganz besonders die Collationen, mit denen die Besitzer der Zuckerraffinerien ihre Gäste bewirtheten. Diese Mahlzeiten wurden in dem Siedekessel servirt und waren stets von einem aus dem besten spanischen Weine bereiteten köstlichen Getränk begleitet, das im ganzen Lande unter dem Namen „Bristolmilch“ bekannt war. Der damals blühende Handel mit den nordamerikanischen Pflanzungen und mit Westindien gestattete diesen Luxus. Die Leidenschaft für den Handel mit den Colonien war so allgemein, daß es in Bristol kaum einen Krämer gab, der nicht Handelsgüter am Bord eines nach Virginien oder nach den Antillen bestimmten Schiffes gehabt hätte. Diese Geschäfte waren allerdings zum Theil nicht der ehrenvollsten Art. In überseeischen Besitzungen der Krone war große Nachfrage nach Arbeitern und diesem Bedarfe wurde theilweis durch ein förmliches Preß- und Menschenraubsystem genügt, das sich in den englischen Seehäfen gebildet hatte. Dieses System wurde nirgends mit solcher Thätigkeit und in solchem Umfange betrieben als in Bristol. Selbst die höchsten Magistratsbeamten der Stadt scheuten sich nicht, sich durch einen so schmachvollen Handel zu bereichern. Aus den damaligen Heerdgeldlisten geht hervor, daß die Häuserzahl im Jahre 1685 gerade fünftausenddreihundert betrug. Die Zahl der Bewohner eines Hauses dürfen wir kaum höher annehmen, als sie in der City von London war, und hier kamen damals auf je zehn Häuser fünfundfünfzig Personen. Demnach muß die Bevölkerung von Bristol sich auf ungefähr neunundzwanzigtausend Seelen belaufen haben.63

63. Evelyn’s Diary, June 27. 1654; Pepys’s Diary, June 13. 1668; Roger North’s Lives of Lord Keeper Guildford, and of Sir Dudley North; Petty’s Political Arithmetic. Ich habe Petty’s Angaben zum Grunde gelegt, aber in den daraus hergeleiteten Folgerungen habe ich mich an King und Davenant gehalten, die zwar nicht geschickter waren als jener, aber den Vortheil hatten, daß sie nach ihm kamen. Bezüglich des Menschenhandels, wegen dessen Bristol berüchtigt war, sehe man North’s Life of Guildford, 121. 216. und die Rede Jeffreys’ in der „Unparteiischen Geschichte seines Lebens und Todes“ zusammengedruckt mit den „Blutigen Assisen“. Sein Styl war, wie immer, roh und widerlich, aber ich kann den Verweis, den er den Magistratsbeamten von Bristol gab, nicht zu seinen Verbrechen zählen.

III.43

Norwich. Norwich war die Hauptstadt einer großen und fruchtbaren Provinz, der Sitz eines Bischofs und eines Kapitels und der Hauptsitz des wichtigsten Fabrikationszweiges. Manche ausgezeichnete Männer der Wissenschaft hatten in letzter Zeit dort gelebt und keine Stadt des Landes, die Hauptstadt und die Universitätsstädte ausgenommen, enthielt so viele Sehenswürdigkeiten. Die Mitglieder der Royal Society waren der Meinung, schon die Bibliothek, das Museum, das Vogelhaus und der botanische Garten Sir Thomas Browne’s seien einer weiten Reise werth. Auch besaß Norwich einen kleinen Hof. Im Herzen der Stadt stand ein alter Palast der Herzöge von Norfolk, der für das größte städtische Wohnhaus im ganzen Lande, mit Ausnahme von London, galt. Dieser Palast, zu dem ein Ballhaus, eine Kegelbahn und ein großer Park gehörte, der sich an den Ufern des Wansum hinzog, ward zu Zeiten von der vornehmen Familie der Howard bewohnt, welche ein Haus führte wie mancher kleine Souverain. Die Getränke wurden den Gästen in Bechern von reinem Golde gereicht, selbst die Kohlenschaufeln und Feuerzangen waren von Silber. Die Wände waren mit Gemälden von italienischen Meistern geschmückt und die Zimmer mit einer prächtigen Sammlung von Gemmen gefüllt, die jener Earl von Arundel gekauft hatte, dessen Marmorbilder jetzt eine Zierde von Oxford sind. Hier war im Jahre 1671 König Karl mit seinem Hofstaate glänzend bewirthet worden, hier waren jedes Jahr von Weihnacht bis zum Dreikönigstag alle Gäste willkommen. Für das gemeine Volk floß das Bier in Strömen; drei Wagen, von denen einer, der vierzehn Personen faßte, fünfhundert Pfund Sterling gekostet hatte, fuhren jeden Abend in der Stadt umher, um die Damen zu den Festlichkeiten zu holen, und der Tanz wurde jedesmal mit einem glänzenden Festmahle beschlossen. Wenn der Herzog von Norfolk nach Norwich kam, wurde er empfangen wie ein König, der in seine Residenz einzieht. Die Glocken der Kathedrale und der Kirche St. Peter-Mancroft wurden geläutet, die Kanonen des Schlosses abgefeuert und der Mayor und die Aldermen überreichten ihrem hohen Mitbürger Glückwunschadressen. Im Jahre 1693 fand man durch wirkliche Zählung, daß die Bevölkerung von Norwich zwischen achtundzwanzig- und neunundzwanzigtausend Seelen betrug.64

Viel tiefer als Norwich, aber doch immer hoch in Ansehen und Bedeutung standen die Hauptstädte einiger anderen Grafschaften. Es geschah damals selten, daß ein Landgentleman mit seiner Familie nach London kam; seine Metropole war die Hauptstadt der Grafschaft und dort verlebte er zuweilen einen Theil des Jahres. Jedenfalls riefen ihn Geschäfte und Vergnügungen, Assisen, Quartalsitzungen, Wahlen, Musterungen der III.44 Miliz, Pferderennen und andere Festlichkeiten oft dahin. Dort waren die Säle, in denen die Richter in ihren scharlachrothen Röcken und begleitet von Trompetern und Hellebardieren zweimal des Jahres im Namen des Königs ihre Verhandlungen eröffneten. Dort waren die Märkte, auf welchen die Umgegend ihr Getreide, ihr Vieh, ihre Wolle und ihren Hopfen zum Verkauf brachte, sowie die großen Jahrmärkte, zu denen selbst Kaufleute von London kamen und wo die Landkrämer ihren Jahresbedarf an Zucker, Schreibmaterialien, Stahlwaaren und Kleiderstoffen einkauften. Dort waren endlich die Läden und Magazine, aus denen die angesehendsten Familien der Nachbarschaft ihre Spezereiwaaren und Modeartikel bezogen. Einige von diesen Städten hatten außerdem wegen geschichtlicher Erinnerungen eine gewisse Berühmtheit. Bald war es eine Kathedrale, die in aller Kunst und Pracht des Mittelalters strahlte, bald ein Palast, den eine lange Reihe von Prälaten bewohnt hatte, bald ein Domkapitel, umgeben von den ehrwürdigen Wohnungen der Dechanten und Canonici, bald ein festes Schloß, das in alter Zeit den Nevilles oder De Vere widerstanden hatte und das noch die neueren Spuren der Rache Cromwell’s oder Ruprecht’s zeigte.

64. Fuller’s Worthies; Evelyn’s Diary, Oct. 17. 1671; Journal of E. Browne, dem Sohne des Sir Thomas Browne, vom Januar 1663—64; Blomfield’s History of Norfolk; History of the City and County of Norwich, 2 vols. 1768.

Andere Provinzialstädte. Unter diesen interessanten Städten zeichneten sich namentlich York, die Hauptstadt des Nordens, und Exeter, die Hauptstadt des Südens, aus. Keine von beiden kann damals viel über zehntausend Einwohner gehabt haben. Worcester, die Königin des Ciderlandes, zählt deren achttausend, Nottingham wahrscheinlich eben so viel. Gloucester, berühmt durch seine entschlossene Vertheidigung, welche Karl I. so verderblich wurde, hatte gewiß zwischen vier- und fünftausend, Derby nicht ganz viertausend. Shrewsbury war der Hauptort eines großen fruchtbaren Bezirks, und die Sitzungen der Marken von Wales wurden daselbst gehalten. In der Sprache der Gentry viele Meilen im Umkreise von Wrekin hieß „zur Hauptstadt gehen“ so viel als nach Shrewsbury gehen. Die Stutzer und Damen, der Provinz ahmten so gut sie konnten, auf den Promenaden am Ufer des Severn die Moden und Sitten von St. James-Park nach. Die Einwohnerzahl belief sich auf ungefähr siebentausend.65

Die Bevölkerungen aller dieser Städte haben sich seit der Revolution mehr als verdoppelt, in einigen ist sie auf das Siebenfache gestiegen. Die Straßen sind fast durchgängig neu gebaut, das Stroh ist durch Schiefer, das Holz durch Backsteine ersetzt worden. Unser gegenwärtiges Pflaster III.45 und unsere Straßenbeleuchtung, die prachtvolle Ausstattung vieler Kaufläden und die in den Wohnungen der Gentry herrschende geschmackvolle Eleganz würden im siebzehnten Jahrhundert wie eben so viele Wunder angestaunt worden sein; dessen ungeachtet haben die alten Provinzialhauptstädte jetzt bei weitem nicht die relative Wichtigkeit, die sie ehedem hatten. Jüngere Städte, die von unseren früheren Geschichtsschreibern selten oder gar nicht erwähnt werden und welche keine Vertreter ins Parlament schickten, sind unter den Augen noch lebender Personen zu einer Größe herangewachsen, die unsere Generation mit Stolz und Bewunderung, aber auch nicht ohne Angst und Besorgniß betrachtet.

65. Aus den Tauf- und Sterbelisten in Drake’s Geschichte geht hervor, daß die Bevölkerung von York im Jahre 1730 ungefähr dreizehntausend Seelen betrug. Exeter hatte noch 1801 nur siebzehntausend Einwohner. Die Bevölkerung von Worcester wurde kurz vor der Belagerung im Jahre 1646 gezählt. Siehe Nash’s History of Worcestershire. Ich habe auf die während eines Zeitraums von vierzig Jahren wahrscheinliche Zunahme Rücksicht genommen. Im Jahre 1740 wurde durch eine Zählung die Bevölkerung von Nottingham gerade zehntausend Seelen stark gefunden. Siehe Dering’s History. Die Einwohnerzahl von Gloucester läßt sich aus der Häuserzahl, welche King in den Heerdgeldlisten fand, sowie aus den Geburts- und Sterbetabellen in Atkyns’ Geschichte leicht ermitteln. Derby zählte 1712 viertausend Einwohner. Siehe Wolley’s M.S. History, die in Lyson’s Magna Britannia erwähnt ist. Die Bevölkerung von Shrewsbury wurde im Jahre 1695 durch wirkliche Zählung ermittelt. Bezüglich der Annehmlichkeiten von Shrewsbury sehe man Farquhar’s Recruiting Officer. Farquhar’s Schilderung wird durch eine Ballade in der Pepys’schen Bibliothek bestätigt, deren Refrain lautet: „Shrewsbury für mich“.

Manchester. Indessen waren die hervorragendsten dieser Städte schon im siebzehnten Jahrhunderte als wichtige Sitze des Gewerbfleißes bekannt. Ja ihr rasches Emporblühen und ihr Reichthum ward sogar zuweilen in einer Sprache geschildert, welche Jedem, der ihren gegenwärtigen Glanz steht, spaßhaft vorkommt. Eine der bevölkertsten und blühendsten war Manchester. Der Protector hatte sie aufgefordert, einen Vertreter in sein Parlament zu schicken und die Schriftsteller aus der Zeit Karl’s II. nennen sie eine betriebsame und reiche Stadt. Seit einem halben Jahrhunderte schon wurde Baumwolle von Cypern und Smyrna dahin gebracht, aber die Fabrikation war noch in ihrer Kindheit, denn Whitney hatte noch nicht gelehrt, wie der Rohstoff in fast fabelhaften Quantitäten erlangt werden konnte, so wenig als Arkwright die Kunst gezeigt, sie mit einer zauberhaften Geschwindigkeit und Akkuratesse zu verarbeiten. Die jährliche Gesammteinfuhr erreichte zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts noch nicht zwei Millionen Pfund, ein Quantum, das gegenwärtig kaum den Bedarf von achtundvierzig Stunden decken würde. Diese wundervolle Handelsstadt, die an Einwohnerzahl und Reichthum so viele berühmte Hauptstädte, wie Berlin, Madrid und Lissabon bei weitem übertrifft, war damals noch ein kleiner und schlecht gebauter Marktflecken mit kaum sechstausend Einwohnern. Damals hatte es nicht eine einzige Presse, jetzt hat es hundert Druckereien; damals besaß es nicht eine einzige Kutsche, jetzt zählt es zwanzig Wagenfabrikanten.66

66. Blome’s Britannia, 1678; Aikin’s Country round Manchester; Manchester Directory, 1845; Baines, History of the Cotton Manufacture. Die besten Aufschlüsse über die Bevölkerung von Manchester im siebzehnten Jahrhundert fand sich in einem von dem Rev. R. Parkinson verfaßten Aufsatze im Journal of the Statistical Society vom October 1842.

Leeds. Leeds war schon damals der Hauptsitz der Wollenmanufactur von Yorkshire, aber die älteren Einwohner erinnerten sich noch recht gut der Zeit, als das erste Backsteinhaus, damals und noch lange nachher das „rothe Haus“ genannt, erbaut worden war. Sie rühmten sich laut ihres zunehmenden Wohlstandes und der ungeheuren Tuchverkäufe, welche unter freiem Himmel auf der Brücke abgeschlossen wurden. Hunderte, ja Tausende von Pfunden Sterling wurden an einem einzigen lebhaften Markttage umgesetzt. Die zunehmende Bedeutung von Leeds hatte die Aufmerksamkeit mehrerer aufeinanderfolgenden Regierungen auf diese Stadt gelenkt. Karl I. gewährte ihr gewisse städtische Vorrechte und Oliver Cromwell forderte sie auf, einen Vertreter in das Haus der Gemeinen zu senden. Aus den Heerdgeldlisten scheint jedoch klar hervorzugehen, III.46 daß die Bevölkerung des ganzen Stadtgebiets, zu welchem damals mehrere Dörfer gehörten, unter der Regierung Karl’s II. die Zahl von siebentausend Seelen nicht überstieg. Im Jahre 1841 zählte es deren mehr als hundertfunfzigtausend.67

67. Thoresby’s Ducatus Leodensis; Whitaker’s Loidis and Elmete; Wardell’s Municipal History of the Borough of Leeds.

Sheffield. Ungefähr eine Tagereise südlich von Leeds lag am Saume einer wilden Moorstrecke ein alter jetzt reich angebauter, damals aber unfruchtbarer und nicht einmal eingehegter Gutsbezirk, der unter dem Namen Hallamshire bekannt war. Dort gab es Eisen im Überfluß und die daselbst fabricirten plumpen Messer wurden im ganzen Lande verkauft. Geoffrey Chaucer erwähnt ihrer in seinen Canterbury Tales. Die Fabrikation machte jedoch während der nächstfolgenden drei Jahrhunderte nur sehr langsame Fortschritte. Dieser Umstand läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß der Handel fast während jenes ganzen langen Zeitraums den Bestimmungen unterworfen war, welche der Gutsherr und dessen Gerichtshof vorzuschreiben für gut fanden. Die feineren Messerschmiedewaaren wurden daher theils in London fabricirt, theils vom Continent eingeführt. Erst unter Georg I. hörten die britischen Ärzte auf, die feinen Instrumente, deren sie zu ihren chirurgischen Operationen bedurften, aus Frankreich zu beziehen. Die Mehrzahl der Werkstätten von Hallamshire befand sich in einem Marktflecken, der in der Nähe des herrschaftlichen Schlosses entstanden war und der noch unter Jakob I. ein elender Ort mit etwa zweitausend Einwohnern war, von denen der dritte Theil aus halbverhungerten und halbnackten Bettlern bestand. Aus den Kirchenregistern ergiebt sich mit ziemlicher Gewißheit, daß die Bevölkerung zu Ende der Regierung Karl’s II. noch nicht viertausend Seelen betrug. Man sah dort eine Menge Krüppel und jeder Reisende erkannte auf den ersten Blick die verderblichen Wirkungen einer der Gesundheit und Kraft des menschlichen Körpers höchst nachtheiligen Beschäftigung. Dies war das Sheffield, welches gegenwärtig mit seinen Vorstädten hundertzwanzigtausend Einwohner zählt und seine vortrefflichen Messer, Scheeren und chirurgischen Instrumente bis nach den entferntesten Weltgegenden versendet.68

68. Hunter’s History of Hallamshire.

Birmingham. Birmingham ward zu Oliver’s Zeiten noch nicht für wichtig genug gehalten, um im Parlament durch ein Mitglied vertreten zu sein. Indessen waren die dortigen Fabrikanten schon ein sehr betriebsames Völkchen, dessen Wohlstand sich fortwährend vermehrte. Sie waren stolz auf den Ruf, den ihre Eisenwaaren, wenn auch noch nicht in Peking und Lima, in Bokhara und Timbuktu, so doch in London und selbst in Irland genossen. Eine minder ehrenvolle Berühmtheit hatten sie als Falschmünzer erlangt. Der Spottname „Birminghams“, den die Torypartei den Demagogen gab, welche einen heuchlerischen Eifer gegen das Papstthum zur Schau trugen, war eine Anspielung auf die dort verfertigten falschen Groatstücke. Die Bevölkerung der Stadt, welche gegenwärtig nicht viel unter zweimalhunderttausend Seelen beträgt, belief sich damals noch nicht auf viertausend. Die Birminghamer Knöpfe fingen eben erst an bekannt zu werben, von Birminghamer Schießgewehren hatte noch kein Mensch etwas gehört, und die Stadt, aus der zwei Generationen III.47 später die Prachtwerke Baskerville’s hervorgingen, welche alle Buchhändler Europa’s in Erstaunen setzten, hatte damals noch nicht einen einzigen ordentlichen Buchladen, wo man eine Bibel oder einen Kalender kaufen konnte. Nur an den Markttagen kam ein Buchhändler, Namens Michael Johnson, der Vater des großen Samuel Johnson, von Lichfield, um auf einige Stunden seine Marktbude zu öffnen, und diese literarische Bezugsquelle wurde lange Zeit für den Bedarf genügend erachtet.69

Diese vier Hauptsitze unsrer großartigen Fabrikindustrie verdienen besondere Erwähnung. Es würde ermüdend sein, wollten wir außerdem alle die jetzt dicht bevölkerten und reichen Bienenstöcke des Gewerbfleißes anführen, welche vor hundertfunfzig Jahren noch Dörfer ohne Pfarrkirche oder öde Moorstrecken waren, auf denen nur Birkhühner und andres Wild hauste. Nicht minder wichtig sind die Veränderungen in den Ausfuhrplätzen gewesen, durch welche sich die Erzeugnisse der englischen Webstühle und Schmieden nach allen Weltgegenden ergießen.

69. Blome’s Britannia, 1763; Dugdale’s Warwickshire; North’s Examen, 321; Vorrede zu Absalom and Achitophel; Hutton’s History of Birmingham; Boswell’s Life of Johnson. Im Jahre 1690 starben in Birmingham 150 Personen und 125 Kinder wurden getauft. Ich glaube daß die jährliche Sterblichkeit nicht mehr als vier Prozent betrug; in London war sie viel bedeutender. Ein Geschichtsschreiber in Nottingham rühmte funfzig Jahre später die außerordentliche Gesundheit seiner Vaterstadt, in der die Sterblichkeit nur 3⅓ Prozent betrug. Siehe Dering’s History of Nottingham.

Liverpool. Liverpool zählt gegenwärtig dreimalhunderttausend Einwohner und der Rauminhalt der in seinen Hafenregistern eingezeichneten Schiffe beträgt zwischen vier- und fünfmalhunderttausend Tonnen. Mehr als einmal ist im dortigen Zollhause in einem Jahre eine Summe bezahlt worden, welche das Gesammteinkommen der englischen Krone im Jahre 1685 um mehr als das Dreifache übersteigt. Die Einnahme des Postamtes zu Liverpool übertrifft selbst seit der Portoermäßigung die Summe, die das Postwesen des ganzen Reiches dem Herzoge von York eintrug. Seine riesigen Docks, Quais und Waarenspeicher werden zu den Weltwundern gerechnet, und doch scheinen sie für den Bedarf des ungeheuren Merseyhandels kaum zu genügen, so daß bereits eine rivalisirende Stadt am andren Ufer des Flusses rasch emporwächst. Zu den Zeiten Karl’s II. wurde Liverpool als eine aufblühende Stadt beschrieben, welche neuerdings große Fortschritte gemacht habe und mit Irland und den Zuckercolonien einen ergiebigen Handel treibe. Binnen sechzehn Jahren hatte sich der Ertrag der Zölle verachtfacht und die damals als ungeheuer betrachtete Summe von fünfzehntausend Pfund Sterling jährlich erreicht. Die Bevölkerung kann jedoch kaum viertausend Seelen überstiegen haben, der Gehalt seiner Schiffe betrug ungefähr vierzehnhundert Tonnen, das heißt weniger als der Tonnengehalt eines einzigen unserer jetzigen Ostindienfahrer erster Klasse, und die Anzahl der zum Hafen gehörenden Seeleute darf auf nicht mehr als zweihundert Köpfe angeschlagen werden.70

70. Blome’s Britannia; Gregson’s Antiquities of the County Palatine and Duchy of Lancaster, Part. II.; Petition von Liverpool in dem Privy Council Book, May 10, 1686. Im Jahre 1690 war die Zahl der Sterbefälle in Liverpool hunderteinundfunfzig, die der Taufen hundertzwanzig. Im Jahre 1844 belief sich der Reinertrag der Zölle in Liverpool auf 4,365,526 Pf. St. 1 Schill. 8 P.

Die Badeorte. So wuchsen die Städte empor, in denen Reichthümer III.48 erworben und aufgehäuft wurden. Nicht minder rasch erhob sich eine andre Klasse von Städten, in denen der anderwärts erworbene Reichthum entweder aus Gesundheitsrücksichten oder um des Vergnügens willen verzehrt wird. Von den bedeutendsten derselben sind einige erst seit den Zeiten der Stuarts entstanden.

Cheltenham. Cheltenham ist jetzt größer als irgend eine Stadt des ganzen Reichs im siebzehnten Jahrhundert, London allein ausgenommen, während es im siebzehnten und noch zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts von Lokalgeschichtschreibern nur als ein ländliches Kirchspiel erwähnt wird, das am Fuße der Cotswold-Hügel liege und guten Boden für Ackerbau und Weide habe. An der Stelle, welche gegenwärtig mit freundlichen Straßen und Landhäusern bedeckt ist, wuchs damals Korn und weidete Vieh.71

71. Atkyns’ Gloucestershire.

Brighton. Brighton wurde als ein ehemals wohlhabender Ort geschildert, der eine Menge kleiner Fischerboote besessen und in seiner höchsten Blüthe etwa zweitausend Einwohner gehabt habe, jetzt aber seinem Untergänge entgegeneile. Das Meer spülte ein Haus nach dem andren fort und die Stadt mußte endlich ganz verschwinden. Noch vor neunzig Jahren konnte man zwischen den Steinen und dem Seetang am Strande die Trümmer eines alten Forts sehen, und alte Leute konnten noch die Spuren der Grundmauern einer Straße von mehr als hundert Hütten bezeichnen, die von den Wogen verschlungen worden war. Nach diesem Unglücke verödete der Ort bald dermaßen, daß man die dortige Pfarrei kaum noch des Besitzes werth hielt. Einige arme Fischer fuhren jedoch fort, ihre Netze auf den Küstenfelsen zu trocknen, wo jetzt eine Stadt, die mehr als zweimal so groß und volkreich ist, als das Bristol der Stuarts in einer Ausdehnung von mehreren Meilen ihre freundliche und fantastische Fronte dem Meere zeigt.72

72. Magna Britannia; Grose’s Antiquities; New Brighthelmstone Directory, 1770.

Buxton. England war jedoch im siebzehnten Jahrhundert durchaus nicht ohne alle Badeorte. Die Gentry von Derbyshire und der benachbarten Grafschaften begab sich nach Buxton, wo sie in niedrigen hölzernen Hütten zusammengepfercht und mit einem Brode von Hafermehl und einem Fleische bewirthet wurden, welches die Gastwirthe für Hammelfleisch ausgaben, das aber die Consumenten stark in dem Verdachte hatten, daß es von Hunden herrührte.73

73. Tour in Derbyshire, by Thomas Browne, Son of Sir Thomas Browne.

Tunbridge Wells. Weit mehr Anziehendes hatte Tunbridge Wells, das etwa eine Tagereise von London in einer der reichsten und kultivirtesten Gegenden des Reiches lag. Gegenwärtig erblicken wir daselbst eine Stadt, die der Einwohnerzahl nach vor hundertsechzig Jahren die vierte oder fünfte Stadt Englands gewesen wäre. Die Eleganz der Läden und der Luxus der Privatwohnungen übertrifft jetzt Alles was England damals irgendwo aufzuweisen hatte. Als der Hof kurz nach der Restauration Tunbridge Wells besuchte, war es noch keine Stadt, sondern man sah nur eine Anzahl Hütten, etwas freundlicher und sauberer als die gewöhnlichen Hütten jener Zeit, welche in der nächsten Umgebung der III.49 Heilquellen zerstreut umherlagen. Einige von diesen Hütten waren transportabel und wurden auf Schleifen versetzt wohin man es wünschte. In diese Hütten kam die feine Welt von London, des Geräusches und des Rauches der Hauptstadt müde, zuweilen im Sommer, um frische Luft einzuathmen und einen Vorgeschmack vom Landleben zu erhalten. Während der Saison wurde täglich in der Nähe der Quellen eine Art Markt gehalten. Die Frauen und Töchter der Landwirthe von Kent brachten aus den umliegenden Dörfern Rahm, Obst, Weißkehlchen und Wachteln zum Verkauf, und mit ihnen zu scherzen und zu tändeln, ihre Strohhüte und ihre kleinen Füßchen zu rühmen, war für Wüstlinge, welche der prätentiösen Manieren der Schauspielerinnen und Hofdamen überdrüssig waren, ein angenehmer Zeitvertreib. Putzmacherinnen, Galanteriewaarenhändler und Juweliere kamen von London und eröffneten unter den Bäumen einen Bazar. In der einen Bude fand der Politiker seine Tasse Kaffee und die Londoner Zeitung; in einer andren wurde heimlich Basset gespielt; an schönen Abenden fanden sich Musikanten ein und auf einem weichen Rasenplatze wurde der Mohrentanz aufgeführt. Im Jahre 1685 war eben unter den Brunnengästen eine Sammlung zum Bau einer Kirche eröffnet worden, welche auf Verlangen der damals überall dominirenden Tories dem heiligen Karl, dem Märtyrer, geweiht werden mußte.74

74. Memoires de Grammont; Hasted’s History of Kent; Tunbridge Wells, a Comedy, 1678; Causton’s Tunbridgialia, 1688; Metellus, a poem on Tunbridge Wells, 1693.

Bath. Der wichtigste Badeort Englands war jedoch unstreitig Bath. Die dortigen Heilquellen waren schon zu den Zeiten der Römer berühmt und mehrere Jahrhunderte lang war die Stadt der Sitz eines Bischofs gewesen. Aus allen Theilen des Landes strömten die Kranken dahin und selbst der König hielt dort zuweilen seinen Hof. Bei alledem war Bath damals nur ein winkeliger Ort von vier- bis fünfhundert Häusern, welche unweit des Avon innerhalb einer alten Befestigungsmauer zusammengedrängt waren. Es giebt noch Abbildungen von den schönsten dieser Häuser, welche große Ähnlichkeit mit den schlechtesten Hütten und Schenken an der Radcliffestraße zeigen. Selbst die damaligen Reisenden klagten über die Enge und Unsauberkeit der Straßen. Die schöne Stadt, welche gegenwärtig selbst das Auge Derer entzückt, die an den Anblick der Meisterwerke eines Bramante und Palladio gewöhnt sind, und deren Boden durch den Genius von Anstey und Smollett, von Frances Burney und Johanna Austen eine klassische Berühmtheit erlangt hat, existirte damals noch nicht. Die jetzige Milsomstraße war noch ein Stück Feld, das weit außerhalb der Umfassungsmauer lag, und Baumhecken durchzogen den Platz, den gegenwärtig der „Crescent“ und der „Cirkus“ einnehmen. Die bedauernswerthen Kranken, denen der Gebrauch der Heilquellen verordnet war, mußten in Räumen zubringen, welche, um uns des Ausdrucks eines damaligen Arztes zu bedienen, mehr einem Stalle, als einer menschlichen Wohnung glichen. Über den Luxus und die Bequemlichkeiten, welche die zum Zwecke, der Kur oder des Vergnügens dahin kommenden vornehmen Badegäste in den Häusern fanden, haben wir vollständigere und genauere Nachrichten, als sie sonst in Bezug auf derartige Gegenstände zu erlangen sind. Ein Schriftsteller, der ungefähr sechzig Jahre nach der Revolution III.50 eine Beschreibung der Stadt herausgab, schildert mit großer Genauigkeit die Veränderungen, die im Bereiche seiner Erinnerung daselbst stattgefunden haben. Er versichert uns, daß in seinen jüngeren Jahren die Badegäste in Zimmern schlafen mußten, welche nicht viel besser waren als die Dachkammern, die er später von den Dienstleuten bewohnt fand. Der Fußboden der Speisezimmer war mit keinem Teppiche bedeckt und mit einer aus Ruß und Dünnbier bereiteten Flüssigkeit überstrichen, um seine Unsauberkeit zu verbergen; keine Wand war gemalt, kein Herd oder Kaminmantel war von Marmor, eine Platte von ordinären Quadern und Feuerböcke, die nicht mehr als einige Schillinge kosteten, wurden für genügend erachtet. Die besten Zimmer waren mit einem groben wollenen Stoffe ausgeschlagen und mit Rohrstühlen versehen. Leser, die sich für die Fortschritte der Civilisation und der nützlichen Künste interessiren, werden dem bescheidenen Topographen für die Aufzeichnung dieser Details dankbar sein und es vielleicht bedauern, daß anspruchsvollere Geschichtschreiber ihre Erzählungen von Schlachten und politischen Intriguen nicht zuweilen um einige Seiten abkürzen, um uns mitzutheilen, wie es in den Wohn- und Schlafzimmern unserer Voreltern aussah.75

75. Siehe Wood’s History of Bath, 1749; Evelyn’s Diary, June 27. 1654; Pepys’s Diary, June 12, 1668; Stukeley’s Itinerarium Curiosum; Collinson’s Somersetshire; Dr. Peirce’s History and Memoirs of the Bath, 1713, book I, chap. 8, obs. 2. 1684. Ich habe mehrere alte Pläne und Abbildungen von Bath, besonders einen höchst interessanten, der mit Ansichten der Hauptgebäude eingefaßt ist, vor Augen gehabt. Letzterer ist v. Jahre 1717.

London. London nahm im Verhältniß zu den anderen Städten des Königreichs zur Zeit Karl’s II. einen viel höheren Rang ein als gegenwärtig. Seine Bevölkerung ist jetzt wenig mehr als sechsmal so stark wie die von Manchester oder Liverpool; unter Karl II. aber überstieg dieselbe die von Bristol oder Norwich um mehr als das Siebzehnfache. Ich glaube nicht, daß es noch eine andre Hauptstadt in der Welt giebt, deren Größe in einem ähnlichen Verhältnisse zu der zweiten Stadt des Landes steht. Man hat guten Grund zu glauben, daß London schon 1685 seit etwa einem halben Jahrhundert die volkreichste Stadt in Europa war. Die Einwohnerzahl, welche jetzt mindestens neunzehnhunderttausend Seelen beträgt, belief sich damals wahrscheinlich auf nicht viel über eine halbe Million.76 Als Handelsstadt hatte London nur eine Nebenbuhlerin, die jedoch längst überflügelt ist: das mächtige, und reiche Amsterdam. Die englischen Schriftsteller rühmten den Wald von Masten, der von der Brücke bis zum Tower den Fluß bedeckte, und die enormen Summen, welche im Zollhause von Thames Street eingingen. Es unterliegt in der That keinem Zweifel, daß der Handel der Hauptstadt damals zu dem Handel des ganzen Landes in einem günstigeren Verhältnisse stand als jetzt; allein unserer Generation müssen die übrigens wohlbegründeten Lobpreisungen unserer Vorfahren doch ein wenig komisch vorkommen. Der Inhalt der der Stadt gehörenden Schiffe, den sie als ungeheuer betrachteten, scheint siebzigtausend Tonnen nicht überstiegen zu haben. Allerdings war dies damals mehr als ein Drittel des Tonnengehalts sämmtlicher Schiffe des Landes, gegenwärtig aber ist es nur ein Viertel von dem Tonnengehalte Newcastle’s, und der Tonnengehalt der Themsedampfer III.51 allein dürfte ihm ziemlich gleichkommen. Der Ertrag der Zölle belief sich 1685 in London auf ungefähr dreihundertdreißigtausend Pfund jährlich; in unseren Tagen übersteigt der Reinertrag derselben zehn Millionen.77

Wenn man die zu Ende der Regierung Karl’s II. erschienenen Pläne von London betrachtet, so findet man, daß damals nur erst der Kern der gegenwärtigen Hauptstadt existirte. Die Stadt erstreckte sich noch nicht in unmerklichen Abstufungen weit über die ländliche Umgegend. Es zogen sich noch keine langen Reihen von Landhäusern, umrankt von Hollunder und Bohnenbaum, von dem großen Mittelpunkte des Reichthums und der Civilisation bis zu den Grenzen von Middlesex und tief ins Herz von Kent und Surrey hinein. Man dachte noch nicht an die Anlage der endlosen Reihen von Waarenmagazinen und der künstlichen Seen, die sich jetzt im Osten der Stadt vom Tower bis Blackwall erstrecken. Im Westen sah man kaum eines von den stattlichen Häusern, in denen jetzt die Reichen und Vornehmen wohnen, und Chelsea, das gegenwärtig über vierzigtausend Einwohner zählt, war noch ein bloßes Dorf, dessen Bevölkerung tausend Seelen nicht überstieg.78 Im Norden weidete das Vieh und Jäger streiften mit ihren Hunden und Flinten umher, wo sich jetzt der Borough Marylebone befindet, sowie auf der noch weit größeren Fläche, welche die Boroughs Finsbury und Tower Hamlets bedecken. Islington war fast noch eine Einöde, deren friedliche Stille die Dichter gern dem lärmenden Getümmel des Ungeheuers London gegenüberstellten.79 Im Süden ist die Hauptstadt jetzt mit ihren Vorstädten durch mehrere Brücken verbunden, die an Schönheit und Festigkeit den stolzesten Bauwerken der Cäsaren nicht nachstehen. Im Jahre 1685 hemmte nur eine einzige Linie unregelmäßiger Bögen, mit einer Anzahl schmutziger und halb verfallener Häuser bedeckt und nach einer der nackten Barbaren von Dahomey würdigen Sitte mit etwa zwanzig verwesenden Köpfen verziert, die Schifffahrt auf dem Flusse.

76. Nach King fünfhundertdreißigtausend.

77. Macpherson’s History of Commerce; Chalmers’s Estimate; Chamberlayne’s State of England, 1684. Der Gehalt der dem Londoner Hafen gehörenden Dampfer betrug zu Ende des Jahres 1847 etwa sechzigtausend Tonnen. Die jährlichen Zolleinnahmen beliefen sich von 1842—45 auf durchschnittlich elf Millionen Pfd. Sterl.

78. Lyson’s Environs of London. Von 1680—90 wurden in Chelsea jährlich nicht mehr als zweiundvierzig Kinder getauft.

79. Cowley, Discourse of Solitude.

Die City. Der wichtigste Theil der Hauptstadt war die City. Sie war zur Zeit der Restauration größtentheils aus Holz und Mörtel erbaut worden, die wenigen Backsteine, die man dazu verwendet, waren schlecht gebrannt, die Buden, in denen die Waaren feilgeboten wurden, traten weit in die Straße hervor und die oberen Stockwerke der Häuser hingen gleichsam über ihnen. Einige Beispiele von dieser Bauart kann man noch in den Straßen sehen, die bei dem großen Brande verschont geblieben waren. Diese Feuersbrunst hatte binnen wenigen Tagen einen Flächenraum von ziemlich einer Quadratmeile mit den Trümmern von neunundachtzig Kirchen und dreizehntausend Häusern bedeckt. Die City aber war mit einer Schnelligkeit wiedererstanden, welche die Bewunderung der Nachbarländer erweckte. Leider wurde die vorherige Richtung und Breite der Straßen zum großen Theile beibehalten und da sie ursprünglich zu einer Zeit angelegt waren, wo selbst die Prinzessinnen zu Pferde III.52 reisten, waren sie meist zu schmal, damit Räderfuhrwerke einander bequem ausweichen konnten. Reiche Leute konnten daher zu jener Zeit, wo sechsspännige Equipagen ein modischer Luxus waren, die City nicht gut bewohnen. Der Baustyl der neuen Häuser war übrigens weit schöner als der der niedergebrannten und das gewöhnliche Baumaterial waren Ziegelsteine von viel besserer Qualität, als die früher benutzten. An der Stelle der früheren Pfarrkirchen hatten sich eine Menge neuer Kathedralen, Thürme und Thürmchen erhoben, welche das fruchtbare Genie Wren’s bekundeten. Überall, mit Ausnahme eines einzigen Punktes, waren die Spuren der verheerenden Feuersbrunst vollständig verschwunden, aber noch lange sah man unzählige Arbeiter, gigantische Gerüste und Massen behauener Steine an der Stelle, wo sich der stolzeste aller protestantischen Tempel langsam aus den Trümmern der alten St. Paulskathedrale erhob.80

Seit jener Zeit hat sich der ganze Character der City durchaus verändert. Gegenwärtig kommen die Bankiers, die Großhändler und die vornehmsten Detailhändler an den sechs Werktagen der Woche jeden Morgen dahin, um ihre Geschäfte zu besorgen, aber sie wohnen in anderen Theilen der Hauptstadt oder auf nahegelegenen Landsitzen mit schönen Parken und Gärten. Diese Umwälzung in den Privatgewohnheiten hat eine politische Veränderung von nicht geringer Wichtigkeit hervorgebracht. Die reichen Kaufleute hängen nicht mehr mit der Vorliebe, die Jedermann für seine Heimath empfindet, an der City und es knüpfen sich keine häuslichen Zuneigungen und Annehmlichkeiten mehr an diesen Namen, denn der häusliche Herd, die Kinderstube, die gesellige Tafel und das trauliche Bett befinden sich nicht mehr dort. Lombard Street und Threadneedle Street sind weiter nichts mehr als Lokalitäten zum Arbeiten und Geldverdienen; um das erworbene Geld auszugeben und zu genießen geht man anderswohin. Des Sonntags oder des Abends nach den Geschäftsstunden sind viele Höfe und Passagen, in denen es wenige Stunden zuvor von eiligen Füßen und ängstlichen Gesichtern wimmelte, still und einsam wie ein Friedhof. Die Häupter des Handelsstandes sind nicht mehr Bürger der City; sie vermeiden und verachten fast die städtischen Ehren und Pflichten und überlassen dieselben Anderen, welche zwar ebenfalls ganz nützliche und achtbare Männer sein mögen, aber doch nur selten den fürstlichen Handelshäusern angehören, deren Firmen in der ganzen Welt bekannt sind.

Im siebzehnten Jahrhunderte dagegen wohnten die Kaufleute auch in der City. Die noch vorhandenen Wohnhäuser der ehemaligen reichen Bürger sind zu Comptoirs und Waarenmagazinen eingerichtet, aber man sieht es ihnen noch heute an, daß sie ursprünglich den Palästen des hohen Adels an Schönheit und Pracht nicht nachstanden. Sie stehen zum Theil III.53 in abgelegenen und düsteren Höfen und haben unbequeme Zugänge, aber ihr Umfang ist bedeutend und ihr Aussehen majestätisch. Ihre Eingänge sind mit reicher Bildhauerarbeit verziert, die Treppenhäuser und Vorplätze sind prächtig und die Fußböden zuweilen auf französische Art parquettirt. Der Palast Sir Robert Clayton’s in der alten Judenstadt enthielt einen prachtvollen Speisesaal mit Wandgetäfel von Cedernholz und mit Frescogemälden, welche die Kämpfe der Götter und Titanen darstellten.81 Sir Dudley North verwendete viertausend Pfund, eine Summe, welche damals für einen Herzog schon bedeutend gewesen wäre, auf die reiche Ausschmückung seiner Wohnzimmer in Basinghall Street.82 In solchen Häusern entfalteten noch unter den letzten Stuarts die Häupter der großen Firmen eine außerordentliche Pracht und Gastfreundschaft, und die stärksten Bande des Interesses und des Herzens fesselten sie an dieselben. Hier hatten sie ihre Jugend verlebt, ihre Freundschaften geschlossen, ihre Gattinnen kennen gelernt und ihre Kinder heranwachsen sehen; hier ruhten die irdischen Überreste ihrer Eltern, an deren Seite sie ebenfalls einst ruhen wollten. Unter solchen Verhältnissen mußte sich in hohem Maße der glühende Patriotismus entwickeln, welcher Denen eigen ist, die auf einem engen Raume beisammenleben. London war dem Londoner, was Athen zu den Zeiten des Perikles dem Athener, was Florenz dem Florentiner des fünfzehnten Jahrhunderts war. Der Bürger war stolz auf die Größe seiner Stadt, legte hohen Werth auf die Wahrung ihres Ansehens wie auf die Bekleidung von städtischen Ehrenämtern und war eifersüchtig auf ihre Freiheiten.

Zu Ende der Regierung Karl’s II. erfuhr der Stolz der Londoner eine schmerzliche Demüthigung. Ihr alter Freibrief war ihnen genommen und die Magistratur neu organisirt worden. Alle städtischen Beamten waren Tories und die Whigs, obgleich an Zahl und Reichthum ihren Gegnern überlegen, sahen sich von jedem Ehrenamte ausgeschlossen. Indessen hatte sich der äußere Glanz der städtischen Verwaltung durch diesen Wechsel eher noch vermehrt als vermindert. Unter der Herrschaft einiger Puritaner, welche unlängst an der Spitze der Behörden gestanden, hatte der alte Ruf der City hinsichtlich des heiteren Wohllebens in der That abgenommen, unter dem neuen Magistrate aber, der einer lebenslustigeren Partei angehörte und an dessen Tafel oft vornehme und angesehene Gäste von jenseit Temple Bar zu finden waren, wurden Guildhall und die Säle der großen Gesellschaften oft durch glänzende Gastmähler belebt. Bei diesen Banketten wurden Oden, die der gekrönte Dichter der Corporation zu Ehren des Königs, des Herzogs und des Mayors verfaßt hatte, unter Musikbegleitung gesungen. Es wurde stark getrunken und laut gejubelt. Ein toryistischer Beobachter, der oft an diesen Gelagen Theil genommen, bemerkt, daß die Sitte, nach ausgebrachten Toasten donnernde Hurrahs erschallen zu lassen, sich aus jener fröhlichen Zeit herschreibe.83

III.54

Der höchste städtische Beamte entfaltete eine fast königliche Pracht. Der vergoldete Staatswagen, welcher jetzt alljährlich von der gaffenden Menge bewundert wird, existirte damals allerdings noch nicht, denn bei feierlichen Gelegenheiten erschien der Lordmayor zu Pferde, begleitet von einer zahlreichen Cavalcade, die an Pracht nur dem Gefolge nachstand, das bei einer Krönung den Monarchen vom Tower nach Westminster geleitete. Er zeigte sich öffentlich nie ohne seinen prachtvollen Mantel, sein schwarzes Sammetbarett, seine goldene Kette, seine Juwelen und ein großes Gefolge von Läufern und Garden.84 Dieser ihn beständig umgebende Pomp hatte auch durchaus nichts Lächerliches in den Augen der damaligen Zeitgenossen, denn er entsprach nur der Stellung, welche dieser Mann als Repräsentant der Macht und Würde der Stadt London im Staate einnahm. Diese Stadt, welche damals im ganzen Lande nicht ihres Gleichen, ja nicht einmal eine ihr nahekommende Rivalin hatte, übte fünfundvierzig Jahre lang einen fast eben so großen Einfluß auf die Politik Englands aus, wie Paris in unseren Zeiten auf die Politik Frankreichs. An Intelligenz war London allen übrigen Theilen des Königreichs weit überlegen, und eine Regierung, welche die Unterstützung und das Vertrauen der Hauptstadt besaß, konnte in einem Tage Geldmittel erlangen, zu deren Aufbringung in den übrigen Theilen der Insel viele Monate nöthig gewesen wären. Auch die militairischen Hülfsquellen der Hauptstadt waren nicht zu verachten. Die Gewalt, welche in anderen Theilen des Landes die Lordleutnants ausübten, war in London einer Commission von angesehenen Bürgern anvertraut. Unter den Befehlen dieser Commission standen zwölf Regimenter Infanterie und zwei Regimenter Kavalerie. Allerdings würde diese Armee von Handlungsdienern und Schneidergesellen, deren Hauptleute Gemeinderäthe und deren Obersten Aldermen waren, gegen reguläre Truppen nicht lange Stand gehalten haben, aber es gab damals auch nur sehr wenig reguläre Truppen im Lande. Daher mußte eine Stadt, die binnen einer Stunde zwanzigtausend von natürlichem Muthe beseelte und leidlich bewaffnete Streiter, denen es keineswegs ganz an militairischer Disciplin fehlte, ins Feld stellen konnte, eine eben so werthvolle Bundesgenossin als furchtbare Feindin sein. Man hatte noch nicht vergessen, daß Hampden und Pym durch die Londoner Miliz gegen gesetzwidrige Tyrannei vertheidigt worden, daß in der kritischen Zeit des Bürgerkrieges die Londoner Miliz nach Gloucester marschirt war, um die Belagerung dieser Stadt aufzuheben, noch daß sie bei der Bewegung gegen den Militairdespotismus, der auf den Sturz Richard Cromwell’s folgte, eine sehr bedeutende Rolle gespielt hatte. Man kann ohne Übertreibung behaupten, daß Karl I. nie besiegt worden wäre, wenn er die City nicht gegen sich gehabt hätte, und daß Karl II. ohne den Beistand der City schwerlich hätte wiedereingesetzt werden können.

Aus diesen Verhältnissen läßt es sich auch erklären, warum trotz des Zuges, der seit einer langen Reihe von Jahren die Aristokratie allmälig nach der weltlichen Seite Londons führte, einige wenige Männer von hohem Range bis auf die neueste Zeit in der Nachbarschaft der Börse und von Guildhall wohnen blieben. Als Shaftesbury und Buckingham in heftiger und rücksichtsloser Opposition gegen die Regierung verwickelt III.55 waren, glaubten sie ihre Intriguen nirgends so sicher und bequem betreiben zu können, wie unter dem Schutze der städtischen Behörden und der Miliz. Shaftesbury wohnte daher in Aldersgate Street, in einem Hause, das noch jetzt an seinen Säulen und guirlandenartigen Verzierungen, dem geschmackvollen Werke Inigo’s, leicht zu erkennen ist. Buckingham hatte seinen Palast unweit Charing Croß, die ehemalige Wohnung der Erzbischöfe von York, niederreißen lassen und während an dieser Stelle neue Straßen und Gassen entstanden, welche noch jetzt seinen Namen führen, zog er es vor, in Dowgate zu wohnen.85

80. Die ausführlichsten und glaubwürdigsten Aufschlüsse über den damaligen Zustand der Londoner Gebäude findet man auf den Plänen und Zeichnungen im Britischen Museum und in der Pepys’schen Bibliothek. Die schlechte Beschaffenheit der Backsteine, aus denen die alten Häuser von London bestehen, wird auch in den Reisen des Großherzogs Cosmus erwähnt. Einen Bericht über den Bau der St. Paulskirche findet man in Ward’s London Spy. Ich schäme mich fast, derartige schlechte Literatur zu citiren, aber beim Forschen nach Materialien habe ich oft noch tiefer herabsteigen müssen, wenn dies überhaupt möglich ist.

81. Evelyn’s Diary, Sept. 20. 1672.

82. Roger North’s Life of Sir Dudley North.

83. North’s Examen. Dieser höchst unterhaltende Schriftsteller hat uns eine kleine Probe von dem poetischen Entzücken hinterlassen, dem sich die Pindare der City zuweilen hingaben:

Zu dem verehrten Sir John Moore

Blick’ noch die Nachwelt stolz empor!

84. Chamberlayne’s State of England, 1684; Angliae Metropolis, 1690; Seymour’s London, 1734.

85. North’s Examen, 116. Wood, Ath. Ox. Shaftesbury. The Duke of Buckingham’s Litany.

Der vornehme Theil der Hauptstadt. Dies waren jedoch nur seltene Ausnahmen. Fast alle hochadeligen Familien Englands hatten die Mauern der City schon längst verlassen. Der Stadttheil, in dem sich die Mehrzahl ihrer Wohnhäuser befand, liegt zwischen der City und den Straßen, welche gegenwärtig als die vornehmsten gelten. Nur wenige Große behielten ihre ererbten Paläste zwischen dem Strand und dem Flusse inne. Am gesuchtesten waren damals die stattlichen Wohnungen südlich und westlich von Lincoln’s Inn Fields, die Piazza of Coventgarden, Southampton Square, jetzt Bloomsbury Square genannt, und King’s Square in Soho Fields, der gegenwärtig Soho Square heißt. Bloomsbury Square wurde selbst fremden Fürsten als eines der Wunder Englands gezeigt.86 Soho Square, der eben erst angelegt war, wurde von unseren Vorfahren mit einem Stolze betrachtet, den ihre Nachkommen wohl schwerlich theilen werden. So lange das Glück des Herzogs von Monmouth blühte, dessen Palast sich auf der Südseite erhob, hatte der Platz den Namen Monmouth Square geführt. Die Façade dieses Palastes war zwar unschön, aber imposant und reich verziert. Die Wände der Prunkgemächer waren mit Schnitzwerk in Früchten, Laubgewinden und Wappenfiguren geschmückt und mit gesticktem Seidenstoffe ausgeschlagen.87 Jetzt ist von dieser Pracht nichts mehr vorhanden und man findet in diesem ehedem aristokratischen Stadttheile nicht eine einzige aristokratische Wohnung mehr. Etwas weiter nördlich von Holborn, am Saume von Weiden und Kornfeldern, standen zwei berühmte Paläste, jeder mit einem großen Garten. Der eine davon, zu jener Zeit Southampton House und später Bedford House genannt, ward vor etwa fünfzig Jahren niedergerissen, um einem neuen Stadttheile Platz zu machen, der mit seinen Plätzen, Straßen und Kirchen eine große Fläche bedeckt, die im siebzehnten Jahrhundert ihrer Pfirsichen und Schnepfen wegen berühmt war. Der andre, Montague House, der sich durch seine Fresken und seine Möbeln auszeichnete, brannte einige Monate nach dem Tode Karl’s II. bis auf den Grund nieder, wurde aber alsbald wieder durch ein neues und viel prächtigeres Montague House ersetzt, das, nachdem es lange Zeit so mannichfaltige und kostbare Schätze der Kunst, Wissenschaft und Literatur geborgen, wie sie schwerlich je zuvor unter einem Dache vereinigt waren, unlängst einem noch prachtvolleren Gebäude Platz gemacht hat.88

III.56

Dem Hofe näher, auf einem Platze mit Namen St. James Fields, waren vor Kurzem St. James’ Square und Jermyn Street angelegt und zur Bequemlichkeit der Bewohner dieses Stadttheils die St. Jameskirche eröffnet worden.89 Golden Square, der in der nächstfolgenden Generation von Lords und Staatsministern bewohnt wurde, war damals noch nicht begonnen. Überhaupt sah man im Norden von Piccadilly noch keine anderen Wohnungen als einige alleinstehende, fast ländlich aussehende Häuser, von denen das berühmteste der von Clarendon erbaute kostspielige Palast war, den man den Spottnamen Dunkirk House gegeben hatte. Nach dem Sturze seines Erbauers war er vom Herzoge von Albemarle angekauft worden. Das Hotel Clarendon und Albemarle Street erinnern noch an die Lage des Platzes.

Wer sich damals in die Gegend verlief, welche jetzt den schönsten und lebhaftesten Theil von Regent Street bildet, sah sich in einer Einöde, wo er vielleicht so glücklich war, eine Schnepfe schießen zu können.90 Weiter nördlich zog sich die Straße nach Oxford zwischen Hecken hin. Einige hundert Yards gegen Süden sah man die Gartenmauern einiger großen Häuser, die nicht mehr als zur Stadt gehörend betrachtet wurden. Auf der Westseite befand sich eine Wiese, berühmt durch eine Quelle, welche später der Conduit Street (Wasserleitungsstraße) den Namen gab. Östlich war ein Feld, über welches damals kein Londoner ohne Grauen gehen kennte. An dieser von jeder menschlichen Wohnung entfernten Stelle war zwanzig Jahre früher, zur Zeit der großen Pest, eine ungeheure Grube angelegt worden, in welche die Leichenkarren allnächtlich Haufen von Todten warfen. Das Volk war der Meinung, die Erde sei dadurch verpestet und könne nicht ohne Gefahr für das menschliche Leben wieder ausgegraben werden. Erst nachdem zwei Generationen vorübergegangen waren, ohne daß die Pest zurückkehrte, und nachdem der unheimliche Platz schon auf allen Seiten von Häusern umgeben war, wagte man es endlich, ihn zu bebauen.91

Wir würden uns sehr irren, wenn wir glaubten, daß irgend eine der Straßen oder einer der Plätze so ausgesehen habe wie jetzt. Die große Mehrzahl der Häuser ist seitdem ganz oder theilweis neugebaut worden. Die vornehmsten Stadttheile würden, wenn sie uns jetzt in ihrer damaligen Gestalt vor Augen träten, uns durch ihr schmutziges Aussehen und durch ihre verdorbene Atmosphäre abstoßen. In Coventgarden wurde ganz nahe bei den Wohnungen der Großen ein unsauberer und lärmender Markt gehalten. Obstweiber riefen ihre Waare aus, Kärrner schlugen sich und Kohlstengel und verfaulte Äpfel lagen haufenweis vor den Hausthüren der Herzogin von Berkshire und des Bischofs von Durham.92

Der Mittelpunkt von Lincoln’s Inn Fields war ein freier Platz, III.57 auf dem sich jeden Abend der Pöbel wenige Schritte von Cardigan House und Winchester House versammelte, um die Reden von Marktschreiern anzuhören und Bärentänze oder Kämpfe zwischen Hunden und Stieren anzusehen. Eine widerliche Unreinlichkeit herrschte auf dem ganzen Platze, Pferde wurden daselbst zugeritten und das Bettelvolk war dort so lärmend und zudringlich wie in den am schlechtesten verwalteten Städten des Continents. Die Bezeichnung „Lincoln’s-Inn-Bettler“ war sprichwörtlich. Die ganze Sippschaft kannte das Wappen und die Livree jedes mildthätigen Großen in der nächsten Umgebung und sobald die sechsspännige Equipage Seiner Herrlichkeit erschien, hinkten und krochen sie schaarenweis herbei, um ihn durch ihr Gewinsel zu belästigen. Diese Unordnungen währten trotz vielfacher Unfälle und jeweiligen gerichtlichen Einschreitens so lange, bis unter der Regierung Georg’s II. der Staatsarchivar, Sir Joseph Jeckyll, mitten auf dem Platze zu Boden geschlagen und fast ermordet wurde. Jetzt endlich wurde er eingezäunt und durch freundliche Gartenanlagen verschönert.93

St. James Square war der Sammelplatz für allen Unrath, alle Asche und alle todten Katzen und Hunde von Westminster. Eine Zeitlang gab ein Stockkämpfer dort seine Vorstellungen; später erbaute ein frecher Mensch aus eigner Machtvollkommenheit einen Schuppen zur Aufbewahrung von Lumpen und anderen Abgängen, unter den Fenstern der vergoldeten Prunksäle, in denen die ersten Magnaten des Reichs, die Norfolk, die Ormond, die Kent und die Pembroke Gastmähler und Bälle gaben. Erst nachdem diese Unzuträglichkeiten ein ganzes Menschenalter gedauert hatten und viel darüber geschrieben worden war, wendeten sich die Bewohner an das Parlament und erhielten die Erlaubniß, den Platz einzäunen und einige Bäume auf demselben pflanzen zu dürfen.94

Wenn sich der von der vornehmsten Klasse der Gesellschaft bewohnte Stadttheil in einem solchen Zustande befand, so läßt sich leicht denken, daß die große Masse der Bevölkerung Dinge ertragen mußte, welche jetzt für unerträglich gehalten werden würden. Das Straßenpflaster war abscheulich und alle Fremden schrieen Zeter darüber; die Abzugskanäle waren so schlecht, daß bei starkem Regen die Gossen zu reißenden Strömen wurden. Mehrere humoristische Dichter haben die Wuth besungen, mit der sich diese schwarzen Ströme Snow Hill und Ludgate Hill hinabwälzten, um Fleet Ditch einen ansehnlichen Beitrag an animalischem und vegetabilischem Unrath aus den Buden der Metzger und der Gemüsehändler zuzuführen. Durch die vorüberfahrenden Wagen und Karren wurde dieses schmutzige Wasser nach allen Seiten hin emporgesprützt, so daß jeder Fußgänger III.58 sich möglichst weit von dem Fahrwege zu entfernen, suchte. Die Sanftmütigen und Schüchternen gaben die Mauer frei, der sich die Dreisteren und Stärkeren bemächtigten; begegneten einander aber zwei Starrköpfe, so drückten sie die Hüte ins Gesicht und stießen sich so lange herum, bis der Schwächere in den Rinnstein taumelte. War der Besiegte ein Poltron, so zog er mit der Drohung, es werde sich schon eine Gelegenheit finden, ab; war er dagegen rauflustig, so endete die Geschichte zuweilen mit einem Zweikampfe hinter Montague House.95

Die Häuser waren damals nicht nummerirt, was auch nur geringen Nutzen gehabt haben würde, da die große Mehrzahl der Kutscher, Sänftenträger, Hausknechte und Laufburschen Londons nicht lesen konnte. Man mußte sich daher solcher Kennzeichen bedienen, die auch der Unwissendste verstand, und zu dem Ende waren alle Läden mit gemalten Schildern versehen, welche den Straßen ein eben so freundliches als seltsames Ansehen gaben. Der Weg von Charing Croß nach Whitechapel führte durch eine endlose Reihe von Mohrenköpfen, Königseichen, Blauen Bären und Goldenen Lämmern, welche verschwanden, sobald sie dem gemeinen Volke nicht mehr als Wegweiser dienen konnten.

Des Abends war eine Fußwanderung durch London in der That mit ernsten Schwierigkeiten und selbst mit Gefahren verknüpft. Die Fenster wurden geöffnet und allerhand Gefäße ohne Rücksicht auf die Vorübergehenden ausgeschüttet. Fälle, Quetschungen und Arm- oder Beinbrüche kamen sehr häufig vor, denn bis zum letzten Regierungsjahre Karl’s II. ließ man die meisten Straßen des Nachts in tiefster Finsterniß. Diebe und Straßenräuber konnten ungestraft ihr Handwerk ausüben, doch waren diese von den friedlichen Bürgern kaum so gefürchtet, als eine andre Klasse von Bösewichtern. Es war ein Lieblingsvergnügen der übermüthigen jungen Herren, des Nachts durch die Stadt zu schwärmen und Fenster einzuwerfen, Sänften umzustürzen, ruhige Leute zu prügeln und hübsche Damen durch rohe Zudringlichkeiten zu belästigen. Seit der Restauration hatten schon mehrere Dynastien dieser Tyrannen die Straßen beherrscht. Die „Muns“ und die „Tityre Tus“ hatten den „Hectors“ Platz gemacht und auf die „Hectors“ waren neuerdings die „Scourers“ gefolgt. Später kam der „Nicker“, der „Hawcubite“ und der noch weit mehr gefürchtete „Mohawk“.96

86. Reisen des Großherzogs Cosmus.

87. Chamberlayne’s State of England, 1684; Pennant’s London; Smith’s Life of Nollekens.

88. Evelyn’s Diary, Oct. 10. 1683, Jan. 19. 1685—86.

89. Stat. 1. Jac. I. c. 22. Evelyn’s Diary, Dec. 7. 1684.

90. Der alte General Oglethorpe, der 1785 starb, versicherte, das er dort zu den Zeiten der Königin Anna Vögel geschossen habe. Siehe Pennant’s London und Gentleman’s Magazine, July 1785.

91. Das Pestfeld ist noch auf Plänen angegeben, welche zu Ende der Regierung Georg’s I. erschienen.

92. Man sehe einen höchst interessanten Plan von Coventgarden, der ums Jahr 1690 für Smith’s History of Westminster gestochen wurde. Ferner auch Hogarth’s „Morgen“, welcher zu der Zeit gemalt wurde, als die Häuser der Piazza noch von vornehmen Leuten bewohnt waren.

93. London Spy; Tom Brown’s Comical View of London and Westminster; Turner’s Propositions for the employing of the Poor, 1678; Daily Courant and Daily Journal vom 7. Juni 1733; Case of Michael v. Allestree, 1676, 2 Levinz p. 172. Michael war von zwei Pferden, welche Allestree auf Lincoln’s Inn Fields einfuhr, niedergeworfen worden. Die Anklage lautete dahin, daß der Angeklagte „porta deux chivals ungovernable en un coach, et improvide, incaute, et absque debita consideratione ineptitudinis loci la eux drive pour eux faire tractable et apt pur un coach, quels chivals, pur ceo que, per leur ferocite, ne poient estre rule, curre sur le plaintiff et le noie.“

94. Stat. 12. Geo. I. c. 25; Commons’ Journals, Febr. 25, March 2. 1725—26; London Gardener, 1712; Evening Post, March 23. 1731. Ich habe diese Nummer der „Evening Post“ nicht erlangen können und führe sie daher nur auf Verantwortung Malcolm’s an, der sie in seiner History of London erwähnt.

95. Lettres sur les Anglois, geschrieben während der ersten Regierungsjahre Wilhelm’s III.; Swift’s City Shower; Gay’s Trivia. Johnson pflegte oft ein interessantes Gespräch zu erzählen, das er in Bezug auf das Geben und Nehmen der Mauerseite mit seiner Mutter gehabt.

96. Oldham’s Imitation of the 3d Satire of Juvenal, 1682; Shadwell’s Scourers, 1690. Wer die Volksliteratur dieser und der nächstfolgenden Generation kennt, dem werden leicht noch andere Autoritäten beifallen. Man kann annehmen, daß es einige Tityre Tus waren, die kurz nach der Restauration als ächte Kavaliere Milton die Fenster einwarfen. Ich bin überzeugt, daß der Dichter diese Quälgeister von London im Sinne hatte, als er die schönen Strophen niederschrieb:

Und wenn in prächt’gen Städten das Geräusch

Des frechen Übermuths emporsteigt zu

Den höchsten Thürmen, wenn des Abends Schatten

Sich auf die Straßen senken, dann tobt Belial’s Gezücht

Vom Weine trunken lärmend hin und her.

Die Londoner Polizei. Die Maßregeln zur Aufrechthaltung der Ruhe waren höchst mangelhaft. Zwar gab es eine Verordnung des III.59 Gemeinderaths, nach welcher mehr als tausend Nachtwächter fortwährend von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang auf den Beinen sein und daß jeder Einwohner der Reihe nach diesen Dienst versehen sollte, allein diese Verordnung wurde nur sehr lässig durchgeführt. Wenige von Denen, welche aufgefordert waren, verließen das Haus und diese Wenigen fanden es meist angenehmer, in den Bierhäusern zuzubringen als durch die Straßen zu wandern.97

97. Seymour’s London.

Beleuchtung von London. Es muß bemerkt werden, daß im letzten Jahre der Regierung Karl’s II. in dem Polizeiwesen der Hauptstadt eine wichtige Veränderung eintrat, welche zum Wohle der Gesammt­bevölkerung vielleicht eben so viel beigetragen hat, als manche andre viel berühmtere Umwälzung. Ein spekulativer Kopf, Namens Eduard Heming, erhielt ein Patent, durch welches ihm auf eine bestimmte Anzahl Jahre die Beleuchtung London’s ausschließlich überlassen wurde. Gegen eine mäßige Vergütung verpflichtete er sich in mondlosen Nächten von Michaelis bis zum Tage Maria Verkündigung, Abends von sechs bis zwölf Uhr an jeder zehnten Hausthür ein Licht anzubringen. Wer jetzt die Hauptstadt das ganze Jahr hindurch von der Abend- bis zur Morgendämmerung in einem Lichtmeere strahlen sieht, gegen welches die festlichen Illuminationen wegen der Siege von La Hogue und Blenheim matt erschienen sein würden, der wird vielleicht bei dem Gedanken an Heming’s Laternen lächeln, die ungefähr den dritten Theil des Jahres während einiger Stunden der Nacht vor jedem zehnten Hause einen schwachen Lichtschein verbreiteten. Heming’s Zeitgenossen waren andrer Meinung; sein Plan fand enthusiastischen Beifall, erfuhr aber auf der andren Seite auch die heftigsten Angriffe. Die Freunde des Fortschritts priesen ihn als den größten Wohlthäter seiner Vaterstadt. Was waren, fragten sie, die vielgerühmten Erfindungen des Archimedes im Vergleich zu der Verbesserung dieses Mannes, der die Schatten der Nacht in helles Tageslicht verwandelt! Aber trotz dieser beredten Lobeserhebungen hatte auch die Sache der Finsterniß ihre Vertheidiger. Es gab zu jener Zeit Schwachköpfe, die sich der Einführung dieses sogenannten „neuen Lichtes“ eben so hartnäckig widersetzten, wie sich die Thoren unsrer Zeit der Einführung der Kuhpockenimpfung und der Eisenbahnen und die Thoren der grauen Vorzeit ohne Zweifel der Einführung des Pfluges und der Buchstabenschrift widersetzt haben. Noch viele Jahre nach Ertheilung des Patents an Heming gab es ganze Stadttheile, in denen keine Lampe zu sehen war.98

98. Angliae Metropolis, 1690, Sect. 17, unter der Überschrift: „On the new lights“. — Seymour’s London.

Whitefriars. Man kann daraus leicht schließen, in welchem Zustande sich damals diejenigen Stadttheile London’s befunden haben mögen, die von dem Auswurfe der Gesellschaft bewohnt waren. Einer von diesen Stadttheilen war ganz besonders berüchtigt. An den Grenzen der City und des Temple war im dreizehnten Jahrhunderte ein Kloster für Karmeliter, die sich durch ihre weißen Kaputzen unterschieden, erbaut worden. Die Räume dieses Klosters waren vor der Reformation eine Zufluchtsstätte für Verbrecher gewesen und es besaß noch immer das Privilegium, verfolgte Schuldner vor der Verhaftung zu schützen. Das ganze III.60 Kloster war daher beständig, vom Keller bis zum Dachboden, mit solchen Leuten angefüllt, von denen ein großer Theil Schurken und Wüstlinge waren, die gewöhnlich noch verworfenere Weibspersonen mit in dieses Asyl brachten. Die bürgerliche Gewalt war nicht im Stande, in einem Stadtbezirke, der von solchen Bewohnern wimmelte, Ordnung zu halten, und so wurde Whitefriars der Lieblingsaufenthalt aller Derjenigen, die sich von dem lästigen Zwange des Gesetzes befreien wollten. Obgleich sich die dem Kloster gesetzlich zustehenden Vorrechte nur auf Schuldverhältnisse erstreckten, so fanden doch auch Betrüger, falsche Zeugen, Fälscher und Räuber daselbst bereitwillige Aufnahme. Unter einem so verzweifelten Gesindel war ein öffentlicher Beamter seines Lebens nicht sicher. Auf den Ruf „zu Hülfe!“ stürmten Raufbolde mit Schwertern und Knitteln und kampflustige Weiber mit Bratspießen und Besenstielen zu Hunderten herbei, und der unberufene Eindringling konnte noch von Glück sagen, wenn er ohne Kleider und am ganzen Körper zerschlagen die Straße wieder erreichte. Selbst ein Verhaftbefehl von Seiten des Oberrichters von England konnte nicht ohne den Beistand einer Compagnie Soldaten vollzogen werden. Solche Überreste von dem Barbarismus des rohesten Zeitalters fanden sich in geringer Entfernung von den Zimmern, in denen Somers Geschichte und Rechtswissenschaft studirte, von der Kirche, in welcher Tillotson predigte, von dem Kaffeehause, wo Dryden über Poesie und Theater sein Urtheil abgab, und von dem Saale, in welchem die Königliche Societät das Sternensystem Isaak Newton’s prüfte.99

99. Stowe’s Survey of London; Shadwell’s squire of Alsatia; Ward’s London Spy; Stat. 8. and 9 Gul. III. cap. 27.

Der Hof. Jede der beiden Städte, welche zusammen die Hauptstadt England’s bildeten, hatte ihren besonderen Mittelpunkt, der seine Anziehungskraft ausübte. In der Hauptstadt des Handels war dieser Centralpunkt die Börse, in der Hauptstadt der vornehmen Welt der königliche Palast. Letzterer behauptete jedoch seinen Einfluß nicht so lange als die Börse. Die Revolution führte eine vollständige Veränderung des Verhältnisses zwischen dem Hofe und den höheren Klassen der Gesellschaft herbei. Man kam nach und nach dahinter, daß der König für seine Person sehr wenig zu vergeben hatte, daß Adelsdiplome und Orden, Bisthümer und Gesandtschaften, Schatz- und Zahlmeisterposten in der Schatzkammer, ja selbst Stallmeister- und Kammerherrnstellen eigentlich nicht von ihm, sondern von seinen Räthen vergeben wurden. Jeder Ehrgeizige und Habsüchtige sah ein, daß er weit besser für seinen Vortheil sorge, wenn er die Herrschaft in einem Flecken von Cornwall erlangte und dem Ministerium in einer kritischen Parlamentssession gute Dienste leistete, als wenn er der Gesellschaft und selbst der Günstling seines Fürsten wurde. Die Menge der Stellenjäger war daher alltäglich nicht in den Vorzimmern Georg’s I. und Georg’s II., sondern in denen Walpole’s und Pelham’s zu finden. Auch muß bemerkt werden, daß die nämliche Revolution, die es unseren Königen unmöglich machte, das ihnen zustehende Patronatsrecht im Staate lediglich zur Befriedigung ihrer persönlichen Neigungen auszuüben, uns mehrere Könige gab, die in Folge ihrer Erziehung und ihrer Gewohnheiten unfähig waren, freundliche und angenehme Wirthe zu sein. Sie waren auf dem Continent geboren und erzogen und fühlten III.61 sich nie recht heimisch auf unsrer Insel. Wenn sie unsre Sprache überhaupt sprachen, so sprachen sie sie doch ohne Eleganz und nur mit Anstrengung, verstanden unsren Nationalcharacter nie vollkommen und versuchten es kaum, sich unsere Nationalsitten anzueignen. Zwar erfüllten sie den wichtigsten Theil ihrer Pflicht besser als irgend einer ihrer Vorgänger, denn sie regierten streng den Gesetzen gemäß, aber nie konnten sie die ersten Gentlemen des Reichs, die Oberhäupter der gebildeten Gesellschaft werden. Wenn sie einmal den Zwang der Etikette abwarfen, so geschah es nur in einem sehr kleinen Kreise, in welchem kaum ein englisches Gesicht zu erblicken war und sie fühlten sich nie glücklicher, als wenn sie auf einen Sommer in ihr Geburtsland entfliehen konnten. Sie empfingen zwar an bestimmten Tagen unsren Adel und unsre Gentry, aber dieser Empfang war eine bloße Formalität und wurde zuletzt so feierlich wie ein Leichenbegängniß.

Anders war es am Hofe Karl’s II. Whitehall war während seines Aufenthalts daselbst der Brennpunkt der politischen Intriguen und der vornehmen Vergnügungen. Die Hälfte aller Ränke und Umtriebe der ganzen Hauptstadt wurde unter seinem Dache gesponnen. Wer es verstand, sich die Gunst des Fürsten oder seiner Maitresse zu erwerben, der durfte hoffen, sich emporzuschwingen, ohne der Regierung Dienste geleistet zu haben, ja ohne einem Minister nur von Ansehen bekannt zu sein. Dieser erlangte eine Fregatte, Jener eine Compagnie, ein Dritter die Begnadigung eines reichen Verbrechers, ein Vierter die Pachtung von Kronländereien unter billigen Bedingungen. Sprach der König den Wunsch aus, daß ein unbeschäftigter Advokat zum Richter, oder ein ausschweifender Baronet zum Peer ernannt werden mochte, so fügten sich auch die ernstesten Räthe der Krone nach schüchterner Einsprache.100 Das Interesse führte daher beständig eine Menge Bittsteller an die Thore des Palastes und diese waren stets geöffnet. Der König hielt jeden Tag vom Morgen bis zum Abend offenes Haus für die gute Gesellschaft von London, mit alleiniger Ausnahme der heftigsten Whigs. Einem Gentlemen wurde es fast niemals schwer, zu der Person des Königs zu gelangen. Das Lever war ein solches im wahren Sinne des Worts, denn jeden Morgen fanden sich einige hochstehende Männer ein, um ihrem Gebieter Gesellschaft zu leisten und ihn zu unterhalten, während er sich ankleiden ließ, und ihn dann auf seinem Morgenspaziergange durch den Park zu begleiten. Jeder der bei Hofe gehörig vorgestellt war, konnte ohne besondere Einladung in den Palast kommen, um den König speisen, tanzen oder spielen zu sehen, und konnte das Vergnügen haben, ihm höchst interessante und unterhaltende Geschichten von seiner Flucht aus Worcester und von den Leiden, die er als Staatsgefangener in den Händen der frömmelnden und anmaßenden Priester Schottland’s hatte ertragen müssen, erzählen zu hören. Anwesende, die Seine Majestät erkannte, wurden oft mit einem freundlichen Worte beglückt. Dieses Verfahren erwies sich als weit nutzbringender für den König als das seines Vaters oder seines Großvaters. Auch der starrste Republikaner aus Marvel’s Schule konnte dem Zauber einer solchen Freundlichkeit III.62 und Herablassung nicht leicht widerstehen, und mancher alte Veteran, in dessen Herzen der Gedanke an unvergoltene Opfer und Dienste zwanzig Jahre lang bitteren Groll gehäuft hatte, fühlte sich für Wunden und Vermögensconfiscation durch den freundlichen Blick seines Souverains und durch ein „Gott grüß’ Euch, alter Freund!“ in einem Augenblicke entschädigt.

So wurde Whitehall ganz natürlich die Hauptquelle aller Neuigkeiten. Wenn sich das Gerücht verbreitete, daß irgend etwas Wichtiges geschehen sei oder geschehen werde, so strömte alsbald das Volk dahin, um aus der ersten Hand Nachricht zu erhalten. Die Corridors hatten dann das Aussehen eines modernen Clubzimmers in bewegter Zeit. Sie waren angefüllt mit Leuten, die sich erkundigten, ob die holländische Post eingetroffen sei, welche Nachrichten der Expresse aus Frankreich gebracht, ob Johann Sobiesky die Türken geschlagen habe oder ob der Doge von Genua wirklich in Paris sei. Dies waren Dinge, von denen man ungescheut sprechen durfte, allein es gab auch andere, über die man nur leise Erkundigungen einzog und Auskunft gab. War Rochester durch Halifax verdrängt? Sollte das Parlament einberufen werden? Ging der Herzog von York wirklich nach Schottland? War Monmouth wirklich aus dem Haag zurückberufen wurden? Man versuchte es in den Mienen des Ministers zu lesen, der sich eben durch das Gewühl drängte, um in das königliche Kabinet zu gehen, oder aus demselben zurückkehrte. Aus dem Tone, in welchem Seine Majestät mit dem Lord Präsidenten gesprochen, oder aus dem Lächeln, mit dem Seine Majestät einen Scherz des Lord Geheimsiegelbewahrers beehrt hatte, wurden allerhand Schlüsse gezogen, und binnen wenigen Stunden hatten sich die aus solchen geringfügigen Anzeichen geschöpften Hoffnungen oder Befürchtungen durch alle Kaffeehäuser vom St. Jamespalast bis zum Tower verbreitet.101

100. Siehe Sir Roger North’s Account of the way in which Wright was made a judge, und Clarendon’s Account of the way in which Sir George Savile was made a peer.

101. Die Quellen, denen ich meine Mittheilungen über den Hof entlehnt habe, sind zu zahlreich, als daß ich sie alle hier anführen könnte. Unter anderen sind es die Depeschen von Barillon, Citters, Ronquillo und Adda, die Reisen des Großherzogs Cosmus, die Tagebücher von Pepys, Evelyn und Teonge und die Memoiren von Grammont und Reresby.

Die Kaffeehäuser. Das Kaffeehaus darf nicht bloß oberflächlich berührt werden, denn es hätte damals nicht mit Unrecht eine höchst wichtige politische Institution genannt werden können. Seit Jahren war kein Parlament versammelt gewesen; der Gemeinderath der City war nicht mehr der Repräsentant der Gesinnung der Bürger; Volksversammlungen, Reden, Beschlüsse und das ganze übrige neuere Getriebe der Agitation war noch nicht angekommen, es gab noch kein Zeitungswesen, das dem unsrigen ähnelte. Unter solchen Umständen waren die Kaffeehäuser die Hauptorgane, durch welche sich die öffentliche Meinung der Hauptstadt äußerte.

Das erste derartige Etablissement war zur Zeit der Republik von einem mit der Türkei Handel treibenden Kaufmanne errichtet worden, der bei den Muhamedanern Geschmack an ihrem Lieblingsgetränk gefunden hatte. Die Annehmlichkeit, in allen Theilen der Stadt Zusammenkunftsorte zu haben und die Abende sehr wohlfeil in Gesellschaft zubringen zu können, war so groß, daß sich die Mode rasch verbreitete. Jeder Mann aus den höheren und mittleren Ständen ging täglich in sein Kaffeehaus, III.63 um Neuigkeiten zu erfahren und darüber zu sprechen, und jedes Kaffeehaus hatte einen oder mehrere Wortführer, deren Reden der große Haufe mit Bewunderung anhörte und welche bald das wurden, als was man auch die Journalisten unsrer Zeit bezeichnet hat: ein vierter Stand des Reichs. Der Hof hatte das Erstehen dieser neuen Macht im Staate schon längst mit mißliebigem Auge betrachtet und es war auch unter Danby’s Verwaltung ein Versuch gemacht worden, die Kaffeehäuser zu schließen; aber Männer aller Parteien vermißten ihre gewohnten Versammlungsorte so schmerzlich, daß ein allgemeines Wehgeschrei ertönte. Die Regierung wagte es daher nicht, so allgemein und entschieden ausgesprochenen Wünschen entgegen eine Verordnung durchzuführen, deren Gesetzmäßigkeit wohl in Zweifel gezogen werden konnte. Seitdem waren zehn Jahre vergangen und während dieses Zeitraums hatte sich die Zahl und der Einfluß der Kaffeehäuser beständig vermehrt. Fremde machten die Bemerkung, daß das Kaffeehaus das sei, wodurch sich London wesentlich von allen anderen Städten unterscheide, daß es die eigentliche Heimath des Londoners sei und daß Derjenige, der einen Gentleman aufsuchen wolle, nicht danach zu fragen pflege, ob er in Fleet Street oder in Chancery Lane wohne, sondern ob er den „Griechen“ oder den „Regenbogen“ besuche. Niemand war von diesen Lokalen ausgeschlossen, der seinen Penny bezahlte. Indessen hatte jeder Rang und Stand und jede religiöse und politische Farbe ihr besondres Hauptquartier. In der Nähe von St. James Park waren Kaffeehäuser, in denen sich Stutzer versammelten, deren Kopf und Schultern mit schwarzen oder weißen Perrücken von nicht geringerem Umfange bedeckt waren, wie sie jetzt der Kanzler und der Sprecher des Hauses der Gemeinen tragen. Die Perrücke stammte aus Paris, eben so auch der übrige Staat des feinen Herrn: der gestickte Frack, die mit Fransen besetzten Handschuhe und die Troddelschnur, die das Beinkleid über den Hüften festhielt. Dort wurde in dem Dialecte gesprochen, der noch lange, nachdem er in den vornehmen Kreisen aus der Mode gekommen war, im Munde Lord Foppington’s die Lachlust des Theaterpublikums reizte.102 Die Atmosphäre hatte Ähnlichkeit mit der eines Parfümerieladens und der Tabak war in jeder andren Form als in der eines lieblich duftenden Schnupftabaks streng verpönt. Fiel es einem mit den Sitten bei Hauses noch Unbekannten etwa ein, eine Pfeife zu verlangen, so belehrten ihn das höhnische Lächeln der Anwesenden und die kurzen Antworten der Kellner sehr bald, daß er besser thun würde, anderswohin zugehen. Er hatte auch nicht weit zu gehen, denn in den meisten Kaffeehäusern wurde geraucht wie in einer Wachstube und Fremde wunderten sich zuweilen darüber, daß so viele Leute ihre Wohnung verließen, um beständig in einem solchen Nebel und Gestank zu sitzen. Am stärksten wurde in Will’s Kaffeehause geraucht. Dieses berühmte Haus, das zwischen Coventgarden und Bow Street lag, war den schönen Wissenschaften geweiht. Die Hauptgegenstände der Unterhaltung waren dort die poetische Gerechtigkeit und III.64 die Einheit von Raum und Zeit; es gab eine Faction für Perrault und die Neueren, eine andere für Boileau und die Alten. Die eine Gruppe diskutirte darüber, ob das „Verlorene Paradies“ nicht hätte in Reimen geschrieben werden sollen, einer andern bewies ein mißgünstiges Poetlein, daß das „Gerettete Venedig“ im Theater hätte ausgezischt werden sollen. Nirgends konnte man unter einem Dache eine größere Mannichfaltigkeit von Gestalten sehen: Earls mit Sternen und Ordensbändern, Geistliche in ihren Priesterröcken, naseweise Templer, schüchterne Knaben von den Universitäten, Übersetzer und Indexmacher in zerrissenen Flausröcken. Das ärgste Gedränge war immer in der Nähe des Platzes, auf dem John Dryden saß. Im Winter war dieser Platz im wärmsten Winkel unweit des Kamins, im Sommer auf dem Balcon. Ihn zu begrüßen und seine Meinung über Racine’s neuestes Trauerspiel oder über Bossu’s Werk über die epische Dichtkunst zu hören, galt für ein Glück. Eine Prise aus seiner Dose war eine Ehre, die einem jungen Enthusiasten den Kopf verrücken konnte. Es gab ferner Kaffeehäuser, in denen man die angesehensten Ärzte consultiren konnte. Der Doctor John Radcliffe, der im Jahre 1685 von allen Londoner Ärzten die ausgedehnteste Praxis besaß, kam täglich um die Zeit, wo es an der Börse am lebhaftesten war, aus seiner Wohnung in Bow Street, damals einem eleganten Stadttheile von London, in Garraway’s Kaffeehaus, wo man ihn regelmäßig, von Wundärzten und Apothekern umgeben, an einem besonderen Tische fand. Auch gab es puritanische Kaffeehäuser, in denen man keinen Schwur hörte, und wo glattköpfige Männer in näselndem Tone von Gnadenwohl und Verdammniß sprachen; ferner jüdische Kaffeehäuser, wo sich schwarzäugige Geldwechsler aus Venedig und Amsterdam versammelten, und endlich papistische, in denen, wie die guten Protestanten glaubten, Jesuiten bei der Kaffeetasse über den Plan zu einem neuen großen Brande brüteten und silberne Kugeln gossen, um damit den König zu erschießen.103

Diese geselligen Gewohnheiten bildeten einen characteristischen Zug des Londoners der damaligen Zeit. Er war in der That ein von dem englischen Provinzbewohner ganz verschiedenes Wesen, und es bestand damals zwischen diesen beiden Klassen noch nicht der Verkehr, wie gegenwärtig. Nur sehr vornehme und reiche Leute pflegten ihren Aufenthalt zwischen Stadt und Land zu theilen. Wenige Landedelleute kamen in ihrem Leben dreimal nach London, und ebensowenig war es damals Mode, daß die wohlhabenderen Bewohner der Hauptstadt im Sommer einige Wochen lang die frische Landluft einathmeten. Das Londoner Stadtkind wurde auf dem Dorfe angestaunt, als ob es sich in ein Hottentotten-Kraal verlaufen hätte. Wenn auf der andren Seite ein Gutsbesitzer aus Lincolnshire oder Shropshire in Fleet Street erschien, so wurde er von den Stadtbewohnern eben so leicht unterschieden, wie ein III.65 Türke oder ein Lascar. Seine Kleidung, sein Gang, seine Sprache, die Art und Weise, wie er die Läden anstaunte, in die Rinnsteine stolperte, gegen die Lastträger anrannte und unter den Dachtraufen stehen blieb, machte ihn zu einem willkommenen Schlachtopfer für Gauner und zu einer trefflichen Zielscheibe für muthwillige Spaßvögel. Raufbolde stießen ihn absichtlich in die Gosse, Miethkutscher bespritzten ihn vom Kopf bis zu den Füßen, und wenn er mit bewunderndem Entzücken den Lord Mayor mit seinem glänzenden Gefolge vorüberziehen sah, untersuchten gewandte Diebe mit alter Bequemlichkeit die weiten Taschen seines Reitrockes. Verschmitzte Gauner, noch wund von der Peitsche des Zuchtmeisters, knüpften ein Gespräch mit ihm an und dünkten ihm die liebenswürdigsten und rechtschaffensten Männer, die er jemals kennen gelernt. Geschminkte Dirnen, der Auswurf von Lewkner Lane und Whetstone Park, gab sich ihm gegenüber für Gräfinnen und Hoffräuleins aus. Wenn er sich nach dem Wege nach St. James erkundigte, schickte man ihn nach Mile End. Trat er in einen Laden, so erkannte man in ihm sogleich einen Käufer für solche Waaren, die kein Mensch sonst haben mochte, und man hing ihm verlegene Stickereien, kupferne Ringe und Uhren auf, die nicht gehen wollten. Ließ er sich in einem eleganten Kaffeehause blicken, so wurde er alsbald die Zielscheibe des rücksichtslosen Spottes der Stutzer und ernsterer Neckereien von Seiten der Studenten. Voll Ärger und Verdruß kehrte er sehr bald auf sein Landgut zurück und fand in der Ehrerbietung seiner Pächter und in der Unterhaltung mit seinen heiteren Genossen Trost für die erlittenen Demüthigungen und Kränkungen. Hier fühlte er sich wieder als Mann von Gewicht und erblickte Niemanden über sich, ausgenommen, wenn er bei den Assisen seinen Platz neben dem Richter einnahm oder wenn er bei der Musterung der Miliz den Lordlieutenant begrüßte.

102. Die Haupteigenthümlichkeit dieses Dialectes bestand darin, daß in einer Menge von Wörtern das o wie a ausgeprochen wurde. So wurde z.B. stork (Storch) stark ausgesprochen. Siehe Vanbrugh’s Relapse. Lord Sunderland war ein großer Meister in dieser Hofsprache, wie Roger North sie nennt, und Titus Oates affectirte dieselbe, in der Hoffnung, für einen eleganten Gentleman gehalten zu werden. Examen, 77, 254.

103. Letters sur les Anglois; Tom Brown’s Tour; Ward’s London Spy; The Character of a Coffee-House, 1673; Rules and Orders of the Coffee-House, 1674; Coffee-Houses vindicated, 1675; A Satyr against Coffee; North’s Examen, 138; Life of Guildford, 152; Life of Sir Dudley North, 149; Life of Dr. Radcliffe, published by Curll, 1715. Die unterhaltendste Beschreibung von Will’s Kaffeehause befindet sich in The City and County Mouse. Eine interessante Stelle über den Einfluß der Kaffeehausredner kommt auch in Halstead’s Succinct Genealogies, 1685, vor.

Schwierigkeiten des Reisens. Ein Haupthinderniß für die Verschmelzung der verschiedenen Elemente der Gesellschaft war die große Schwierigkeit, die es unseren Vorfahren machte, wenn sie sich an einen andren Ort begeben wollten. Mit alleiniger Ausnahme des Alphabets und der Buchdruckerkunst haben diejenigen Erfindungen, welche die Entfernung abkürzten, zur Civilisation unsres Geschlechts am meisten beigetragen. Jede Vervollkommnung der Communicationsmittel bringt der Menschheit sowohl in materieller, als auch in moralischer und intellectueller Hinsicht Nutzen und erleichtert nicht nur den Austausch der verschiedenen Natur- und Kunstproducte, sondern trägt auch zur Beseitigung nationaler und provinzieller Vorurtheile und zur engeren Verbindung aller Zweige der großen menschlichen Familie bei. Im siebzehnten Jahrhundert waren die Bewohner von London zu fast jedem praktischen Zwecke von Reading weiter entfernt, als heutzutage von Edinburg, und von Edinburg weiter als jetzt von Wien.

Den Unterthanen Karl’s II. war übrigens die Kraft, die in unseren Tagen eine beispiellose Umwälzung in allen menschlichen Dingen hervorgebracht, welche Flotten in den Stand gesetzt hat gegen Wind und Fluth zu steuern, und Bataillone, mit Gepäck und Geschützen ganze Reiche mit der Geschwindigkeit des besten Renners zu durcheilen, nicht mehr ganz unbekannt. Der Marquis von Worcester hatte unlängst die Expansivkraft des durch Hitze verdünnten Wassers erkannt, und nach vielen Versuchen war es ihm gelungen, eine rohe Dampfmaschine zu construiren, die er III.66 Feuerwasserwerk nannte und als eine bewunderungswürdige Fortbewegungsmaschine von außerordentlicher Kraft bezeichnete.104 Aber man hielt den Marquis für wahnsinnig und überdies war er als Papist bekannt. Seine Erfindungen fanden daher keine günstige Aufnahme; sein Feuerwasserwerk gab vielleicht Stoff zu einem Vortrage in der Königlichen Societät, aber zu einem praktischen Zwecke wurde es nicht angewendet. Schienenwege gab es damals noch nicht, einige hölzerne ausgenommen, von den Kohlengruben in Northumberland bis an die Ufer des Tyne.105 Die inneren Wasserverbindungen waren ebenfalls noch sehr spärlich; zwar hatte man einige Versuche gemacht, die Flüsse zu vertiefen und zu dämmen, aber mit sehr geringem Erfolge. Kaum ein einziger schiffbarer Kanal war nur projectirt. Die damaligen Engländer sprachen mit einer neidischen Bewunderung von dem großen Kanale, durch welchen Ludwig XIV. den Atlantischen Ocean mit dem Mittelländischen Meere verbunden hatte. Sie ahneten nicht, daß ihr ganzes Land einige Generationen später auf Kosten von Privatunternehmern von künstlichen Strömen durchschnitten sein würde, welche viermal so lang sind als die Themse, der Severn und der Trent zusammengenommen.

104. Century of Inventions, 1663, No. 68.

105. North’s Life of Guildford, 136.

Schlechter Zustand der Landstraßen. Die Reisenden und Waaren wurden meist auf den Landstraßen von Ort zu Ort geschafft und diese befanden sich in einem viel schlechteren Zustande, als man es bei dem Grade von Reichthum und Civilisation, den die Nation schon damals erreicht, hätte erwarten sollen. Die besten Verbindungswege hatten tiefe Geleise, steile Abhänge und waren im Dunkeln kaum von den zu beiden Seiten befindlichen Haiden und Sümpfen zu unterscheiden. Der Alterthumsforscher Ralph Thoresby war in Gefahr, sich auf der großen Nordstraße zwischen Barnby Moor und Tuxford zu verirren und verirrte sich wirklich zwischen Doncaster und York.106 Pepys und seine Gattin, welche mit eigner Equipage reisten, verirrten sich zwischen Newbury und Reading; auf der nämlichen Reise verirrten sie sich noch einmal in der Nähe von Salisbury, wo sie die Nacht fast hätten auf freiem Felde zubringen müssen.107 Nur bei gutem Wetter konnte die Straße in ihrer ganzen Breite von Räderfuhrwerk benutzt werden. Oft lag tiefer Koth zu beiden Seiten und nur ein schmaler Streifen festen Bodens zog sich zwischen dem Moraste hin.108 Zu solchen Zeiten gab es häufigen Aufenthalt und Streit, denn die Straße war zuweilen lange von Fuhrleuten versperrt, die einander nicht ausweichen wollten. Es kam fast täglich vor, daß Kutschen stecken blieben, bis ein Ochsenvorspann aus dem nächsten Dorfe herbeigeschafft werden konnte, um sie aus dem Schlamme zu ziehen. In der schlechten Jahreszeit aber hatte der Reisende mit noch viel größeren Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Thoresby, der oft von Leeds nach der Hauptstadt und zurück reisen mußte, hat in seinem Tagebuche eine Reihe von Gefahren und Unfällen aufgezeichnet, die für eine Reise nach dem Eismeere oder durch die Wüste Sahara vollkommen genug sein würden. Einmal erfuhr er, daß zwischen Ware und London die Flüsse ausgetreten III.67 waren, daß Reisende sich nur durch Schwimmen gerettet hatten und daß ein Hausirer, der dies, auch hatte versuchen wollen, ums Leben gekommen war. In Folge dieser Nachrichten lenkte er von der Heerstraße ab und ritt über einige Wiesen, wo ihm das Wasser bis an den Sattel ging.109 Auf einer andren Reise entging er mit knapper Noth der Gefahr, von einer Überschwemmung des Trent hinweggespült zu werden. Später einmal mußte er des schlechten Zustandes der Straße wegen vier Tage in Stamford liegen bleiben und wagte dann die Weiterreise nur in Gesellschaft von vierzehn Mitgliedern des Hauses der Gemeinen, welche mit Führern und einem zahlreichen Gefolge nach London zum Parlament reisten.110 Auf den Straßen von Derbyshire waren die Reisenden in steter Gefahr, den Hals zu brechen und mußten oft absteigen und ihre Pferde führen.111 Die Hauptstraße durch Wales nach Holyhead war in einem solchen Zustande, daß im Jahre 1685 ein Vicekönig, der sich nach Irland begab, fünf Stunden brauchte, um den vierzehn Meilen langen Weg von St. Asaph nach Conway zurückzulegen. Zwischen Conway und Beaumaris mußte er eine große Strecke zu Fuß gehen und seine Gemahlin in einer Sänfte tragen lassen. Sein Wagen konnte ihm nur mit Beihülfe vieler Hände in unverändertem Zustande nachgeschickt werden. In der Regel wurden die Wagen in Conway auseinandergenommen und von kräftigen waleser Landleuten bis ans Ufer der Menaistraße getragen.112 In einigen Theilen von Kent und Sussex konnten im Winter nur die stärksten Pferde durch den Schlamm kommen, in den sie bei jedem Schritte versanken. Die Märkte mußten deshalb oft mehrere Monate ausgesetzt werden. Es wird erzählt, daß die Feldfrüchte zuweilen an einem Orte unbenutzt verfaulten, während an einem wenige Meilen davon entfernten Orte der Vorrath bei weitem nicht dem Bedarf entsprach. Die Räderfuhrwerke wurden in dieser Gegend meist von Ochsen gezogen.113 Als der Prinz Georg von Dänemark bei nassem Wetter das prächtige Schloß Petworth besuchte, brauchte er sechs Stunden zu neun Meilen Wegs und mehrere kräftige Männer mußten zu beiden Seiten des Wagens gehen, um denselben zu stützen. Von den Wagen seines Gefolges wurden mehrere umgeworfen und beschädigt. Es existirt noch ein Brief von einem seiner Kammerdiener, worin der gute Mann sich beklagt, daß er in vierzehn Stunden nicht ein einziges Mal ausgestiegen sei, außer wenn sein Wagen umwarf oder im Kothe stecken blieb.114

Eine Hauptursache der schlechten Beschaffenheit der Heerstraßen scheint die Mangelhaftigkeit der Gesetze gewesen zu sein. Jedes Kirchspiel war verpflichtet, die durch sein Gebiet führende Chaussee in Stand zu halten. Zu dem Ende mußte jeder Landmann sechs Tage im Jahre unentgeltlich daran arbeiten, und genügte dies nicht, so wurden Arbeiter gemiethet und die Kosten durch freiwillige Beiträge aufgebracht. Daß eine Heerstraße, III.68 welche zwei große Städte verbindet, die einen lebhaften und einträglichen Handel mit einander treiben, auf Kosten der zwischen ihnen zerstreuten ländlichen Bevölkerung unterhalten werden soll, ist offenbar unbillig, und diese Unbilligkeit war namentlich bei der großen Nordstraße in die Augen fallend, indem dieselbe durch sehr arme und dünn bevölkerte Districte führte, aber sehr wohlhabende und volkreiche mit einander verband. Es liegt wohl klar am Tage, daß man den Gemeinden von Huntingdonshire nicht zumuthen konnte, eine Straße in Stand zu halten, welche durch den lebhaften Handelsverkehr zwischen dem Westen von Yorkshire und London arg zugerichtet wurde. Bald nach der Restauration erregte dieser Übelstand die Aufmerksamkeit des Parlaments und es wurde eine Verordnung, das erste unserer zahlreichen Chausseegesetze, erlassen, durch welche den Reisenden und Gütern eine kleine Abgabe als Beitrag zu den Unterhaltungskosten dieser wichtigen Verbindungslinie auferlegt ward.115 Diese Neuerung erregte jedoch heftiges Murren und die übrigen großen Zugänge nach der Hauptstadt blieben daher noch lange unter dem alten Systeme, bis endlich, nicht ohne große Schwierigkeiten, eine Veränderung vorgenommen wurde. Ungerechte und zwecklose Steuern, an die das Volk einmal gewöhnt ist, zahlt es oft williger als eine neue, wenn auch noch so vernünftige Abgabe. Erst nachdem viele Schlagbäume gewaltsam zerstört, in vielen Bezirken die bewaffnete Macht gegen das Volk eingeschritten und viel Blut vergossen worden war, gewann das zweckmäßige System festen Boden.116 Der Verstand siegte nach und nach über das Vorurtheil und gegenwärtig ist unsre Insel mit einem Netze von dreißigtausend Meilen vortrefflicher Chausseen überzogen.

Auf den besseren Landstraßen wurden zur Zeit Karl’s II. schwere Güter gewöhnlich durch öffentliche Frachtfuhrwerke befördert. In dem Strohe dieser Frachtwagen nistete immer ein Häufchen Passagiere, welche nicht die Mittel hatten, um in einer Kutsche oder zu Pferde zu reisen und die durch Gebrechlichkeit oder durch ihr Gepäck verhindert waren, zu Fuße zu gehen. Die Kosten der Versendung von Frachtgütern auf diesem Wege waren enorm. Von London nach Birmingham betrug die Fracht sieben Pfund, von London nach Exeter zwölf Pfund Sterling für die Tonne.117 Dies machte pro Tonne etwa fünfzehn Pence auf die Meile, ein Drittel mehr als später auf den besten Chausseen bezahlt wurde, und fünfzehnmal so viel als jetzt die Eisenbahngesellschaften verlangen. Bei manchen nützlichen Gegenständen waren die hohen Frachtkosten so gut wie ein Prohibitivzoll. Besonders Steinkohlen sah man nirgends als in den Districten, wo sie zu Tage gefördert wurden, oder höchstens in den Gegenden, wohin sie zur See gebracht werden konnten, weshalb sie auch im südlichen England allgemein unter dem Namen „Seekohlen“ bekannt waren.

Auf Nebenwegen und namentlich durch das ganze Gebiet nördlich von York und westlich von Exeter wurden die Frachtgüter durch lange III.69 Züge von Packpferden befördert. Diese starken und frommen Thiere, deren Schlag jetzt ausgestorben ist, wurden von einer eignen Menschenklasse geführt, welche große Ähnlichkeit mit den spanischen Maulthiertreibern gehabt zu haben scheint. Dem unbemittelten Reisenden war es oft willkommen, wenn er auf einem Packsattel zwischen zwei Waarenballen unter der Obhut dieser kräftigen Führer reisen konnte. Die Kosten dieser Reisegelegenheit waren gering, aber die Karawane ging nur im Schritt und die Kälte war daher im Winter oft nicht zu ertragen.118

Die Reichen reisten gewöhnlich in eigenen Wagen und mit wenigstens vier Pferden. Der humoristische Dichter Cotton versuchte es von London nach dem Peakgebirge nur zweispännig zu fahren; in St. Albans aber überzeugte er sich, daß die Reise entsetzlich langweilig werden würde, und er änderte daher seinen Plan. Sechsspännige Equipagen sieht man heutzutage fast nie mehr, außer bei feierlichen Gelegenheiten. Die häufige Erwähnung solcher Equipagen in alten Büchern kann uns leicht zu dem Irrthum führen, diesen Aufwand der Prachtliebe zuzuschreiben, während er in Wirklichkeit nur eine sehr unangenehme Nothwendigkeit war. Zur Zeit Karl’s II. reiste man mit sechs Pferden, weil man mit wenigeren große Gefahr lief, im Kothe stecken zu bleiben. Selbst sechs Pferde waren nicht immer hinreichend. Unter der nächsten Generation beschrieb Vanbrugh mit geistreichem Humor die Reise eines zum Parlamentsabgeordneten gewählten Landedelmanns nach London. Alle Anstrengungen der sechs Pferde, deren zwei vom Pfluge weggenommen waren, vermochten bei dieser Gelegenheit die Familienkutsche nicht dagegen zu schützen, daß sie in den Schlamm gebettet wurde.

106. Thoresby’s Diary, Oct. 21, 1680, Aug. 3, 1712.

107. Pepys’s Diary, June 12. & 16. 1668.

108. Ibid. Feb. 28. 1660.

109. Thoresby’s Diary, May 17. 1695.

110. Ibid. Dec. 27. 1708.

111. Tour in Derbyshire, by J. Browne, son of Sir Thomas Browne, 1662. Cotton’s Angler, 1676.

112. Correspondence of Henry Earl of Clarendon, Dec. 30. 1685, Jan. 1. 1686.

113. Postlethwaite’s Dict., Roads. Geschichte von Hawthurst in der Bibliotheca Topographica Britannica.

114. Annals of Queen Anne, 1703. Appendix No. 3.

115. 15, Car. II. c. 1.

116. Die Nachtheile des alten Systems sind in vielen Petitionen, die sich in dem Commons’ Journal von 1725—26 finden, schlagend dargethan. Welche heftige Opposition das neue System fand, kann man aus dem Gentleman’s Magazine von 1749 ersehen.

117. Postlethwaite’s Dictionary, Roads.

118. Loidis and Elmete. Marshall’s Rural Economy of England. Roderich Random kam 1739 auf einem Packpferde aus Schottland nach Newcastle.

Die Diligencen. Die öffentlichen Reisegelegenheiten waren neuerdings sehr verbessert worden. Während der ersten Jahre nach der Restauration war die Diligence zwischen London und Oxford zwei Tage unterwegs, und in Beaconsfield wurde übernachtet. Im Frühjahr 1669 ward endlich eine wichtige und kühne Neuerung versucht. Es wurde angekündigt, daß ein Wagen, den man die „fliegende Kutsche“ nannte, die ganze Reise zwischen Aufgang und Untergang der Sonne machen werde. Das muthige Unternehmen ward von den Häuptern der Universität feierlich berathen und genehmigt und erregte damals das Interesse in gleichem Maße, wie heutzutage die Eröffnung einer neuen Eisenbahn. Der Vicekanzler bestimmte in einer an allen Straßenecken angeschlagenen Bekanntmachung Ort und Stunde der Abfahrt. Der Versuch gelang vollkommen. Um sechs Uhr Morgens fuhr der Wagen von dem Platze vor dem Allerseelen-Collegium in Oxford ab, und um sieben Uhr Abends stiegen die muthigen Gentlemen, welche die gefährliche Reise zuerst gewagt hatten, wohlbehalten am Thore ihres Gasthofes in London aus.119 Dadurch wurde der Wetteifer der Schwesteruniversität rege gemacht, und bald war eine Diligence eingerichtet, welche die Passagiere ebenfalls in einem Tage von Cambridge nach London brachte. Zu Ende der Regierung Karl’s II. fuhren dreimal wöchentlich solche fliegende Kutschen von London nach den wichtigsten Provinzialstädten. Aber keine Diligence und selbst kein Frachtwagen III.70 scheint weiter nach Norden als bis York und weiter nach Westen als bis Exeter gefahren zu sein. Eine Eilkutsche machte im Sommer gewöhnlich ungefähr funfzig Meilen den Tag; im Winter aber, wo die Wege schlecht und die Nächte lang waren, wenig mehr als dreißig. Die Diligencen von Chester, York und Exeter erreichten während der schönen Jahreszeit London gewöhnlich in vier Tagen, um Weihnachten aber nicht vor dem sechsten Tage. Die Passagiere, sechs an der Zahl, saßen alle im Innern des Wagens, denn es kamen so häufig Unfälle vor, daß es lebensgefährlich gewesen wäre, die Imperiale zu besteigen. Das gewöhnliche Fahrgeld betrug im Sommer etwa dritthalb Pence auf die Meile, im Winter etwas mehr.120

Diese Art zu reisen, welche der Engländer unserer Tage als unerträglich langsam betrachtet haben würde, dünkte unseren Vorfahren wunderbar, ja erschreckend schnell. In einem wenige Monate vor dem Tode Karl’s II. erschienen Werke werden die Eilkutschen als alle ähnlichen Fuhrwerke, die die Welt je gesehen, weit übertreffend gepriesen. Ganz besonders wird ihre Schnelligkeit gerühmt und triumphirend mit dem Schneckengange der festländischen Posten verglichen. Mit diesen Lobeserhebungen vermischten sich jedoch auch klagende und schmähende Stimmen. Die Einführung der neuen Diligencen hatte in der That die Interessen einiger Klassen beeinträchtigt, und außerdem erhoben, wie immer, Viele aus bloßer Beschränktheit und zäher Anhänglichkeit an das Bestehende, ein lautes Geschrei gegen diese Neuerung, lediglich deshalb, weil es eben eine Neuerung war. Man behauptete mit Heftigkeit, daß eine solche Beförderungsweise der Pferdezucht und der edlen Reitkunst verderblich werden, daß die Themse, welche so lange eine wichtige Schule für Seeleute gewesen sei, aufhören werde, die Hauptfahrstraße von London nach Windsor hinauf und nach Gravesend hinunter zu sein, daß Hunderte von Sattlern und Sporern ruinirt und zahlreiche Gasthöfe, in denen Reisende mit eigenem Geschirr abzusteigen pflegten, veröden und keine Abgaben mehr zahlen würden, daß es in den neuen Wagen im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt sei, daß die Passagiere durch Kranke und durch schreiende Kinder arg belästigt würden, daß die Kutsche zuweilen so spät an Ort und Stelle ankomme, daß man kein Abendessen mehr erhalten, und zuweilen so frühzeitig abfahre, daß man noch kein Frühstück bekommen könne. Aus allen diesen Gründen wurde ganz ernstlich darauf angetragen, daß es keinem öffentlichen Wagen erlaubt sein solle, mehr als vier Pferde vorzuspannen, öfter als ein Mal wöchentlich zu fahren und mehr als dreißig Meilen den Tag zurückzulegen. Man hoffte, daß wenn dieses Regulativ angenommen würde, Jedermann, mit Ausnahme von Kranken und Gebrechlichen, zu der früheren Art des Reisens zurückkehren würde. Petitionen in diesem Sinne von verschiedenen Corporationen der City, von mehreren Provinzialstädten und von den Richtern mehrerer Grafschaften wurden dem Könige im Ministerrathe überreicht. Wir lächeln jetzt über dergleichen Dinge, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß unsere Nachkommen, wenn sie die Geschichte der Opposition lesen, welche die Verbesserungen des neunzehnten III.71 Jahrhunderts von Seiten der Habsucht und des Vorurtheils erfahren haben, ebenfalls lächeln werden.121

Trotz der Vortheile, welche die Eilkutschen gewährten, pflegten gesunde und kräftige Leute, die nicht viel Gepäck bei sich zu führen brauchten, längere Reisen noch häufig zu Pferde zu machen. War dem Reisenden um schnelles Fortkommen zu thun, so bediente er sich dazu der Postpferde. Auf allen großen Hauptstraßen waren in gemessenen Entfernungen frische Reitpferde und Führer zu bekommen. Jedes Pferd kostete für die Meile drei Pence und vier Pence erhielt der Führer für die Station. Wenn die Wege gut waren, konnte man auf diese Weise eine geraume Zeit so schnell vorwärts kommen, wie durch irgend ein vor der Erfindung der Dampfkraft in England bekanntes Transportmittel. Postchaisen gab es damals noch nicht, auch konnten Diejenigen, welche mit eigener Equipage reisten, in der Regel die Pferde nicht wechseln. Nur der König und die vornehmsten Staatsbeamten konnten Relais bestellen. So reiste Karl gewöhnlich in einem Tage von Whitehall nach Newmarket, ein etwa fünfundfünfzig Meilen langer Weg in durchaus ebener Gegend, und dies galt bei seinen Unterthanen für eine außerordentliche Geschwindigkeit. Evelyn machte diese Reise einmal, in Gesellschaft des Lordschatzmeisters Clifford. Der Wagen ward von sechs Pferden gezogen, welche zuerst in Bishop Stortford und dann noch einmal in Chesterford gewechselt wurden. Die Reisenden erreichten Newmarket in der Nacht. Eine solche Art zu reisen scheint jedoch als ein nur Fürsten und Ministern zustehender Luxus betrachtet worden zu sein.122

119. Anthony à Wood’s Life of himself.

120. Chamberlayne’s State of England, 1684. Man sehe auch das Verzeichniß der öffentlichen Personen- und Frachtwagen am Schlusse des Buches, betitelt Angliae Metropolis, 1690.

121. John Cresset’s Reasens for suppressing Stage Coaches, 1672. Diese Gründe wurden später in einer Abhandlung betitelt: The Grand Concern of England explained, 1673, aufgenommen. Cresset’s Angriff gegen die Diligencen rief einige Erwiderungen hervor, die mir vorgelegen haben.

122. Chamberlayne’s State of England, 1684. North’s Examen, 105, Evelyn’s Diary, Oct. 9, 10. 1871.

Straßenräuber. Mochte man indeß reisen wie man wollte, stets war man der Gefahr ausgesetzt, angefallen und beraubt zu werden, wenn man nicht in zahlreicher und wohlbewaffneter Gesellschaft reiste. Der berittene Straßenräuber, den unsre Generation nur noch aus Büchern kennt, war auf jeder Hauptstraße zu finden, ganz besonders aber hausten diese Banditen auf den öden Strecken, welche zur Seite der großen Chausseen unweit London lagen. Am berüchtigtsten in dieser Beziehung waren vielleicht die Hounslow-Haide an der großen Weststraße und der Finchley-Anger an der großen Nordstraße. Die Studenten von Cambridge zitterten selbst am hellen Tage, wenn sie sich dem Eppingwalde näherten. Seeleute, welche eben in Chatham ihren Sold ausgezahlt bekommen hatten, mußten häufig ihre Börsen bei Gadshill herausgeben, welcher Ort hundert Jahre früher von dem größten aller Dichter als Schauplatz der Missethaten Poins’ und Fallstaff’s gefeiert worden war. Die Behörden schienen oft nicht zu wissen, wie sie die Räuber behandeln sollten. Einmal wurde in der Gazette angekündigt, daß mehrere Personen, welche stark im Verdachte des Straßenraubes ständen, gegen die aber keine genügenden Beweise vorlägen, in Newgate in Reitkleidern zur Schau ausgestellt werden sollten; auch sollten ihre Pferde gezeigt werden und alle Gentlemen, welche kürzlich ausgeplündert worden, waren eingeladen, die sonderbare Ausstellung III.72 in Augenschein zu nehmen. Ein andermal wurde einem Räuber öffentlich Straflosigkeit zugesichert, wenn er einige ungeschliffene Diamanten von ungeheurem Werthe herausgebe, die er bei einem Überfalle der Harwicher Eilpost entwendet hatte. Kurze Zeit darauf erschien eine andre Bekanntmachung, in der den Gasthaltern bedeutet wurde, daß die Regierung ein wachsames Auge auf sie habe, indem ihr verbrecherisches Einverständniß mit den Banditen es diesen möglich mache, die Heerstraßen ungestraft zu beunruhigen. Daß dieser Verdacht nicht ungegründet war, beweisen die letzten Geständnisse einiger reuiger Straßenräuber jener Zeit, denen die Wirthe offenbar ähnliche Dienste geleistet hatten, wie Farquhar’s Bonifaz dem Gibbet leistete.123

Um das gefährliche Handwerk mit Erfolg und Sicherheit betreiben zu können, mußte der Straßenräuber ein kühner und gewandter Reiter und sein Äußeres und sein Benehmen von der Art sein, wie man es von dem Besitzer eines schönen Pferdes erwartete. Er nahm daher in der Gemeinschaft der Diebe einen hohen Rang ein, besuchte die elegantesten Kaffee- und Spielhäuser und wettete auf der Rennbahn mit vornehmen Männern.124 Zuweilen war er auch wirklich von guter Herkunft und Bildung. Es knüpfte sich daher und knüpft sich vielleicht jetzt noch ein romantisches Interesse an die Namen der Freibeuter dieser Klasse. Der große Hause war ganz versessen auf die Geschichtchen von ihrer Wildheit und Verwegenheit, von gelegentlichen Acten der Großmuth und Gutherzigkeit, von ihren Liebschaften, ihren wunderbaren Entweichungen, ihren verzweifelten Kämpfen und ihrem männlichen Benehmen vor Gericht und auf dem Karren. So wurde von Wilhelm Nevison, dem großen Räuber von Yorkshire, erzählt, daß er von allen Viehhändlern des Nordens eine bestimmte Abgabe erhob, wogegen er nicht allein selbst sie verschonte, sondern sie auch gegen alle anderen Räuber schützte, daß er die Börsen auf die höflichste Manier abforderte, von dem, was er den Reichen genommen, den Armen reichlich gab, daß die königliche Gnade ihm einmal das Leben schenkte, daß er aber dessenungeachtet wiederholt sein Glück versuchte und endlich im Jahre 1685 in York am Galgen starb.125 Es wurde ferner erzählt, wie Claude Duval, der französische Page des Herzogs von Richmond, daß Räuberhandwerk ergriff, der Hauptmann einer gefürchteten Bande wurde und die Ehre hatte, in einem königlichen Erlasse gegen berüchtigte Missethäter zuerst genannt zu werden; wie er an der Spitze seiner Schaar den Wagen einer Dame anhielt, in welchem er eine Beute III.73 von vierhundert Pfund fand, von denen er nur hundert nahm und die übrigen dreihundert der schönen Eigenthümerin unter der Bedingung ließ, daß sie dafür mit ihm einen Coranto auf der Haide tanzte; wie er durch seine feurige Galanterie die Herzen aller Frauen gewann, wie seine Geschicklichkeit im Gebrauche der Waffen ihn zum Schrecken aller Männer machte und wie er endlich im Jahre 1670 im Weinrausch ergriffen ward; wie vornehme Damen ihn im Gefängniß besuchten und sich mit Thränen für sein Leben verwendeten; wie der König ihn auch begnadigt haben würde, hätte der Richter Morton, der Schrecken aller Straßenräuber, nicht Einsprache dagegen erhoben und gedroht, sein Amt niederzulegen, wenn man dem Gesetze nicht seinen Lauf lasse, und wie nach der Hinrichtung der Leichnam mit allem Gepränge von Wappenschildern, Wachskerzen, Trauerbehängen und stummen Wächtern zur Parade ausgestellt wurde, bis der nämliche herzlose Richter, der sich der Gnade des Königs widersetzt, Beamte abschickte, um die Todtenfeier zu stören.126 Gewiß hat die Phantasie starken Antheil an diesen Anekdoten, aber sie verdienen deshalb nicht minder erwähnt zu werden, denn es ist eine ebenso authentische als bedeutungsvolle Thatsache, daß solche Erzählungen, mochten sie nun wahr oder unwahr sein, bei unseren Vorfahren ein bereitwilliges und gläubiges Ohr fanden.

123. Siehe die London Gazette vom 14. Mai 1677, vom 4. Aug. 1687 und vom 5. Dec. 1687. Die letzte Beichte Augustin King’s, welcher der Sohn eines ausgezeichneten Theologen und in Cambridge erzogen war, aber im März 1688 zu Colchester gehängt wurde, ist höchst interessant.

124.

Aimwell. Erlauben Sie, Sir, habe ich Sie nicht in Will’s Kaffeehause gesehen?

Gibbet. Ja, Sir, und auch bei White.

Beaux’ Stratagem.

125. Gent’s History of York. Ein andrer Straßenräuber von derselben Art, Namens Biß, wurde 1695 in Salisbury gehängt. In einer Ballade, die sich in der Pepys’schen Bibliothek befindet, wird seine Vertheidigung vor dem Richter folgendermaßen dargestellt:

Was sagt Ihr nun, mein edler Lord,

Was war so Böses d’ran?

Nur reiche Filze haßte Biß

Der tapfre, brave Mann.

126. Pope’s Memoirs of Duval, welche kurz nach der Hinrichtung erschienen. Oates’ Εἰκὼν βασιλικὴ, Theil I.

Die Gasthöfe. Die mannichfachen Gefahren, denen der Reisende ausgesetzt war, wurden durch die Dunkelheit noch bedeutend vergrößert, und er wünschte daher für die Nacht ein schützendes Obdach, das nicht schwer zu erlangen war. Die Gasthöfe Englands sind schon von Alters her berühmt. Unser erster großer Dichter (Chaucer) hat schon die vortrefflichen Bequemlichkeiten geschildert, die sie den Reisenden des vierzehnten Jahrhunderts darboten. Neunundzwanzig Personen nebst ihren Pferden fanden in den geräumigen Zimmern und Ställen des „Waffenrocks“ in Southwark Platz. Die Speisen waren vortrefflich und die Weine so, daß sie die Tischgesellschaft zum reichlichen Genusse verleiteten. Zweihundert Jahre später, unter der Regierung Elisabeth’s, gab Wilhelm Harrison eine anziehende Beschreibung von dem Überflusse und dem Comfort der großen Gasthöfe. Er sagte, das ganze übrige Europa habe nichts Ähnliches aufzuweisen. Es gab Gasthöfe, in denen zwei- bis dreihundert Menschen mit ihren Pferden ohne Schwierigkeit Aufnahme und Unterhalt finden konnten. Die Betten, die Teppiche und vor Allem die Fülle und Sauberkeit des Leinzeugs setzten Jedermann in Erstaunen. Auf den Tafeln sah man nicht selten kostbares Silbergeschirr und manche Schilder hatten dreißig bis vierzig Pfund Sterling gekostet. Im siebzehnten Jahrhundert hatte England schon Überfluß an vortrefflichen Gasthöfen jeden Ranges. Oft fand der Reisende in einem kleinen Dorfe ein Gasthaus, wie Walton es beschrieben hat, wo die steinernen Fußböden von Sauberkeit glänzten, wo die Wände mit Balladen geschmückt waren, die Betten nach Lavendel dufteten und ein behagliches Feuer, ein Krug guten Bieres und ein Gericht Forellen, im nahen Bache frisch gefangen, für wenig Geld zu haben waren. In den größeren Gasthöfen fand man Betten mit seidenen Vorhängen, feine Küche und Claret, wie er in London nicht III.74 besser getrunken wurde.127 Auch die Wirthe, sagte man, seien ganz verschieden von den Gastwirthen anderer Länder. Auf dem Festlande war der Wirth der Tyrann Derer, die seine Schwelle überschritten, in England war er ihr Diener. Der Engländer fühlte sich nie heimischer, als wenn er es sich in seinem Gasthofe bequem machte. Selbst reiche Leute, die sich in ihrem eigenen Hause jeden nur denkbaren Luxus erzeugen konnten, pflegten oft ihre Abende im Gesellschaftszimmer eines nahen Gasthofes zuzubringen; sie schienen der Meinung zu sein, daß sie Comfort und Freiheit nirgends in gleicher Vollkommenheit genießen konnten. Diese Neigung war mehrere Generationen hindurch ein characteristischer Zug der Nation. Die Ungebundenheit und Fröhlichkeit des Gasthoflebens bot lange Zeit unseren Roman- und Schauspieldichtern reichen Stoff. Johnson erklärte, ein Stuhl im Gasthause sei der Thron des irdischen Glücks, und Shenstone beklagte sich sanft darüber, daß kein auch noch so befreundetes Privathaus den Wanderer so freundlich und zuvorkommend aufnehme, als das Dach eines Gasthofes.

In den Hotels unsrer Zeit findet man manche Annehmlichkeiten, welche im siebzehnten Jahrhundert in Hampton Court und Whitehall unbekannt waren. Im Ganzen genommen aber ist soviel gewiß, daß die Verbesserung unserer Gasthöfe mit den Verbesserungen unserer Straßen und unserer Beförderungsmittel keineswegs gleichen Schritt gehalten hat. Dies kann auch nicht auffallen, denn es liegt auf der Hand, daß unter übrigens gleichen Verhältnissen die Gasthäuser da am besten sein werden, wo die Beförderungsmittel am mangelhaftesten sind. Je schneller man reisen kann, um so weniger bedarf es zahlreicher angenehmer Ruheplätze für den Reisenden. Wer vor hundertsechzig Jahren aus einer entfernten Grafschaft in die Hauptstadt kam, brauchte in der Regel unterwegs zwölf bis fünfzehn Mahlzeiten und fünf bis sechs Nachtquartiere. War er ein vornehmer Mann, so erwartete er überall eine wohlbesetzte Tafel und eine bequeme, ja selbst elegante Wohnung. Gegenwärtig fliegen wir von York oder Exeter nach London beim Sonnenschein eines einzigen Wintertages. Der Reisende hält sich daher jetzt selten bloß der Ruhe und Erfrischung halber unterwegs auf, und die Folge davon ist, daß Hunderte vortrefflicher Gasthöfe gänzlich in Verfall gerathen sind. Binnen Kurzem wird man gute Häuser dieser Art nur noch an solchen Orten finden, wo sich beständig viel Fremde in Geschäften oder zum Vergnügen aufhalten.

127. Siehe den Prolog zu den Canterbury Tales, Harrison’s Historical Description of the Island of Great Britain und Pepys’ Beschreibung seiner Reise im Sommer 1668. Auch in den Reisen des Großherzogs Cosmus wird die Vorzüglichkeit der englischen Gasthöfe erwähnt.

Die Briefposten. Die Art und Weise der Briefbeförderung zwischen entfernten Punkten mag der jetzigen Generation ein mitleidiges Lächeln entlocken, aber sie würde die Bewunderung und den Neid der gebildetsten Nationen des Alterthums sowie der Zeitgenossen Raleigh’s und Cecil’s erregt haben. Bereits unter Karl I. war eine rohe und mangelhafte Briefpost eingerichtet worden, der Bürgerkrieg aber hatte sie wieder zerstört. Unter der Republik wurde der Plan von neuem aufgenommen. Nach der Restauration ward der Ertrag der Postanstalt, nach Abzug aller Kosten, dem Herzoge von York überwiesen. Auf den meisten Routen gingen und kamen die Briefposten nur einen Tag um den andren; in III.75 Cornwall, in den Sümpfen von Lincolnshire und zwischen den Bergen und Seen von Cumberland erhielt man sogar nur einmal wöchentlich Briefe. Während einer Reise des Königs wurde täglich eine Briefpost von London nach dem Orte expedirt, wo der Hof sich eben aufhielt. Ebenso bestand eine tägliche Postverbindung zwischen London und den Dünen, welcher Vorzug zuweilen auch auf Tunbridge Wells und Bath ausgedehnt wurde, während der Monate, wo diese Bäder von den Großen zahlreich besucht waren. Die Postfelleisen wurden zu Pferde, am Tage wie bei Nacht, mit einer Schnelligkeit von etwa fünf Meilen in der Stunde befördert.128

Das Briefporto war übrigens nicht die einzige Ertragsquelle dieser Anstalt. Das Postamt war außerdem allein berechtigt, Postpferde zu liefern, und die Zähigkeit, mit der man dieses Monopol aufrecht erhielt, beweist am besten, daß es sehr einträglich war.129 Hatte indessen ein Reisender eine halbe Stunde gewartet, ohne das gewünschte Pferd erhalten zu haben, so durfte er anderwärts eins miethen.

Die Erleichterung des Briefverkehrs zwischen den verschiedenen Theilen von London gehörte ursprünglich nicht zu den Zwecken des Postamts. Unter der Regierung Karl’s II. aber errichtete ein unternehmender Bürger der Hauptstadt, Namens Wilhelm Dockwray, mit großen Kosten eine Pennypost, durch welche Briefe und Packete in den geschäftsreichen und belebten Straßen zunächst der Börse täglich sechs- bis achtmal, in den entfernteren Stadttheilen aber viermal besorgt wurden. Diese Verbesserung stieß, wie jede andre, auf heftigen Widerstand. Die Austräger beklagten sich, daß man ihren Verdienst schmälere und rissen die Anschläge ab, in denen der Plan dem Publikum mitgetheilt wurde. Die durch Godfrey’s Ermordung und durch die Auffindung von Coleman’s Papieren hervorgerufene Erbitterung hatte damals gerade ihren Höhepunkt erreicht und die Pennypost wurde daher allgemein als eine papistische Erfindung ausgeschrieen. Man behauptete, der große Doctor Oates habe den Verdacht geäußert, daß die Jesuiten hinter dem Plane steckten und daß man die Briefbeutel bei näherer Untersuchung voll verrätherischer Papiere finden werde.130 Der Nutzen des Unternehmens war jedoch so groß und in die Augen springend, daß aller Widerstand erfolglos blieb. Sobald es sich zeigte, daß die Spekulation einträglich war, verklagte der Herzog von York den Unternehmer wegen Eingriffs in sein Monopol und die Gerichtshöfe sprachen sich zu Gunsten des Ersteren aus.131

Der Ertrag des Postamts steigerte sich von allem Anfang an fortwährend. Im Jahre der Restauration hatte ein Ausschuß des Hauses der Gemeinen nach sorgfältiger Prüfung den reinen Gewinn auf ungefähr zwanzigtausend Pfund geschätzt; zu Ende der Regierung Karl’s II. betrug derselbe schon wenig unter funfzigtausend Pfund, und dies galt damals für eine ungeheure Summe. Die Bruttoeinnahme belief sich auf etwa siebzigtausend Pfund. Das Porto für einen einfachen Brief betrug bis zu achtzig Meilen zwei Pence, für eine größere Entfernung drei Pence. III.76 Es stieg im Verhältniß zu dem Gewicht des Packets.132 Gegenwärtig wird ein einfacher Brief bis ans äußerste Ende von Schottland oder Irland für einen Penny befördert und das Postpferdmonopol besteht schon längst nicht mehr. Trotzdem beläuft sich die jährliche Bruttoeinnahme dieses Departements auf mehr als achtzehnhunderttausend Pfund und der Nettoertrag auf siebenhunderttausend Pfund. Es ist daher kaum zu bezweifeln, daß die Zahl der gegenwärtig durch die Post beförderten Briefe siebzigmal so groß ist als sie zur Zeit der Thronbesteigung Jakob’s II. war.

128. Stat. 12 Car. II. c. 35. Chamberlayne’s State of England, 1684. Angliae Metropolis, 1690. London Gazette, June 12. 1685, Aug. 15. 1687.

129. London Gazette, Sept. 14. 1685.

130. Smith’s Current Intelligence, March 30. & April 3. 1680.

131. Angliae Metropolis, 1690.

132. Commons’ Journals, Sept. 4, 1660, March 1. 1688—89. Chamberlayne, 1684. Davenant on the Public Revenue, Discourse IV.

Zeitungen. Der wichtigste Theil der Packereien, welche die alten Posten beförderten, waren die Neuigkeitsbriefe. Im Jahre 1685 gab es noch nichts, was der heutigen Londoner Tagespresse ähnlich sah, und es konnte auch nichts Derartiges geben. Weder das nöthige Kapital, noch das nöthige Geschick war dazu vorhanden; auch fehlte die Freiheit, ein nicht minder wesentlicher Mangel als der des Kapitals und der Geschicklichkeit. Allerdings stand die Presse damals noch nicht unter einer allgemeinen Censur, denn das kurz nach der Restauration erlassene Censurgesetz war schon 1679 nicht mehr in Kraft. Jedermann konnte daher auf eigne Gefahr und ohne vorherige Genehmigung von Seiten irgend eines öffentlichen Beamten eine Geschichte, eine Predigt oder ein Gedicht drucken; aber die Richter waren einstimmig der Meinung, daß diese Freiheit sich nicht auch auf Zeitungen erstrecke, und daß nach dem gemeinen Rechte Englands Niemand ohne specielle Erlaubniß der Krone berechtigt sei, politische Neuigkeiten zu veröffentlichen.133 So lange die Whigpartei noch mächtig war, hielt die Regierung es für gerathen, eine Übertretung dieser Regel vorkommendenfalls nicht zu streng zu nehmen. Während des großen Kampfes wegen der Ausschließungsbill durften viele Zeitungen erscheinen, wie die Protestant Intelligence, die Current Intelligence, die Domestic Intelligence, die True News, der London Mercury.134 Keine von diesen erschien jedoch öfter als zweimal wöchentlich und keine überstieg in Umfang ein einfaches kleines Blatt. Die Quantität des Stoffes, die der ganze Jahrgang einer dieser Zeitungen enthielt, war nicht größer als man oft in zwei Nummern der „Times“ findet. Nach Besiegung der Whigs hatte der König nicht mehr nöthig, bei der Ausübung des ihm nach dem Ausspruche aller seiner Richter unzweifelhaft zustehenden Hoheitsrechts besondere Rücksichten zu nehmen. So durfte denn auch gegen das Ende seiner Regierung keine Zeitschrift mehr ohne seine Genehmigung erscheinen, und diese wurde ausschließlich der „London Gazette“ ertheilt. Auch die „London Gazette“ erschien nur Montags und Donnerstags. Der Inhalt einiger Nummern bestand gewöhnlich in einer königlichen Proklamation, einigen toryistischen Adressen, der Anzeige von einigen Beförderungen, einen Bericht von einem Scharmützel zwischen den Kaiserlichen und den Janitscharen an der Donau, das Signalement eines Straßenräubers, die Ankündigung eines von zwei hochstehenden Personen veranstalteten Hahnenkampfes und eine Anzeige, welche dem Wiederbringer III.77 eines entlaufenen Hundes eine Belohnung zusicherte. Dies Alles füllte zwei Seiten von mäßig großem Format. Alle Mittheilungen über Angelegenheiten von hoher Bedeutung waren in dem hölzernsten und förmlichsten Style abgefaßt. Wenn es indessen der Regierung zuweilen beliebte, die öffentliche Neugierde in Betreff eines wichtigen Vorfalls zu befriedigen, so wurde ein großer Bogen ausgegeben, der ausführlichere Mittheilungen enthielt, als die Gazette sie geben konnte; aber weder diese noch irgend eine amtlich gedruckte Beilage brachte je eine Nachricht, deren Veröffentlichung nicht den Zwecken des Hofes diente. Die wichtigsten parlamentarischen Verhandlungen und Staatsprozesse, von denen uns die Geschichte erzählt, wurden mit tiefem Stillschweigen übergangen.135 In der Hauptstadt ersetzten die Kaffeehäuser einigermaßen die fehlenden Zeitungen; dahin strömten die Londoner, wie einst die alten Athener nach dem Marktplatze, um zu hören, ob etwas Neues geschehen sei. Dort konnte man erfahren, wie brutal ein Whig am vorigen Tage in Westminsterhall behandelt worden war, welche haarsträubenden Berichte von den Folterqualen der Covenanters die Briefe aus Edinburg enthielten, wie gröblich die Admiralität die Krone bei der Verproviantirung der Flotte betrogen und welche schweren Anschuldigungen der Geheimsiegelbewahrer in Betreff des Heerdgeldes gegen das Schatzamt erhoben habe.

133. London Gazette vom 5. und 17. Mai 1680.

134. Eine höchst interessante und meines Wissens die einzige Sammlung dieser Zeitungen befindet sich im Britischen Museum.

135. So wird zum Beispiel von den wichtigen Parlamentsverhandlungen vom November 1685, wie von dem Prozesse und der Freisprechung der sieben Bischöfe kein Wort erwähnt.

Die Neuigkeitsbriefe. Aber Diejenigen, welche von der großen Schaubühne des politischen Kampfes entfernt waren, konnten von dem, was daselbst vorging, nur durch die sogenannten Neuigkeitsbriefe regelmäßig Nachricht erhalten. Das Schreiben derartiger Briefe wurde daher in London ein Erwerbszweig, wie es dies jetzt bei den Eingeborenen Indiens ist. Der Neuigkeitsschreiber wanderte von Kaffeehaus zu Kaffeehaus, um Nachrichten zu sammeln, drängte sich in den Sitzungssaal der Old Bailey, wenn daselbst ein interessanter Prozeß verhandelt wurde, und erlangte sogar zuweilen Zutritt in die Galerien von Whitehall, wo er bemerken konnte, wie der König und der Herzog aussahen. Auf diese Weise sammelte er Materialien zu Wochenberichten, welche bestimmt waren, eine Provinzialstadt oder einen ländlichen Magistrat zu erleuchten. Dies waren die Quellen, aus denen die Bewohner der größeren Provinzialstädte und die Gesammtheit der Landgentry und der Geistlichkeit fast allein ihre ganze Kenntniß der Geschichte ihrer Zeit schöpften. Wir dürfen annehmen, daß es in Cambridge eben so viele Leute gab, welche gern erfahren wollten, was in der Welt vorging, als in irgend einer andren Stadt des Königreichs, London ausgenommen. Dennoch hatten die Doctoren des Rechts und die Magister der freien Künste in Cambridge während eines großen Theils der Regierung Karl’s II. keine andre regelmäßige Neuigkeitsquelle als die Londoner Gazette, bis endlich die Dienste eines der Nachrichtensammler in der Hauptstadt angenommen wurden. Es war ein denkwürdiger Tag, an welchem die ersten Neuigkeitsbriefe aus London auf einem Tische des einzigen Kaffeehauses von Cambridge ausgelegt waren.136 Auf dem Wohnsitze eines reichen Mannes auf dem Lande wurde III.78 der Neuigkeitsbrief stets mit Ungeduld erwartet, und acht Tage nach seiner Ankunft war er durch die Hände von zwanzig Familien gegangen. Er lieferte den umwohnenden Squires den Stoff zu ihrer Unterhaltung an Winterabenden und den benachbarten Pfarrern Themata zu heftigen Predigten gegen Whiggismus oder Papismus. Bei genauer Nachsuchung in den Archiven alter Familien würden sich ohne Zweifel noch viele von diesen merkwürdigen Journalen finden. Einige werden in unseren öffentlichen Bibliotheken aufbewahrt und eine Reihenfolge derselben, welche einen werthvollen Theil der von Sir Jakob Mackintosh gesammelten literarischen Schätze bildet, wird im Verlaufe dieses Werks noch dann und wann citirt werden.137

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß es damals keine Provinzialblätter gab. Ja es gab sogar, außer in der Hauptstadt und in den beiden Universitätsstädten, kaum noch einen Buchdrucker im Königreiche. Die einzige Presse in England nördlich vom Trent scheint sich in York befunden zu haben.138

136. Roger North’s Life of Dr. John North. Über die Neuigkeitsbriefe sehe man das Examen, 133.

137. Ich ergreife diese Gelegenheit, um der Familie meines lieben und verehrten Freundes, Sir Jakob Mackintosh meinen wärmsten Dank dafür auszusprechen, daß sie mir die Materialien zur Benutzung überließ, die er zu einer Zeit gesammelt hatte, als er ein ähnliches Werk wie das vorliegende zu schreiben gedachte. Ich habe nie eine so werthvolle Sammlung von Auszügen aus öffentlichen und Privatarchiven gesehen, und ich glaube nicht, daß irgendwo noch eine zweite von gleichem Umfange existirt. Der richtige Scharfblick, mit dem Sir Jakob aus großen Massen geschichtlichen Stoffes das Werthvollste auswählte und das Werthlose unbeachtet ließ, versteht nur Derjenige zu würdigen, der nach ihm das nämliche Gebiet bearbeitet hat.

138. Life of Thomas Gent. Ein vollständiges Verzeichniß aller im Jahre 1724 vorhanden gewesenen Druckereien befindet sich in Nichol’s Literary Anecdotes of the eighteenth century. Obgleich sich binnen wenigen Jahren die Zahl der Pressen bedeutend vermehrt hatte, gab es doch in vierunddreißig Grafschaften, darunter Lancashire, noch keinen Buchdrucker.

Der „Observator.“ Die „London Gazette“ war übrigens nicht das einzige Organ, durch welches die Regierung dem Volke politische Belehrung ertheilte. Dieses Journal enthielt nur spärliche Nachrichten ohne Commentar; ein andres, ebenfalls unter dem Patronat des Hofes erscheinendes Journal, brachte dagegen nur Commentare ohne Nachrichten. Dieses Blatt, „der Observator“ betitelt, wurde von einem alten toryistischen Pamphletschreiber, Namens Roger Lestrange, herausgegeben. Es fehlte diesem Lestrange durchaus nicht an schriftstellerischer Gewandtheit und an Schlauheit; seine Diction war zwar gemein und durch einen damals im Vorzimmer und im Wirthshause für witzig geltenden Jargon verunziert, aber dennoch nicht ohne Schwung und Kraft. In jeder Zeile aber, die aus seiner Feder floß, zeigte sich sein heftiger und unedler Character. Als die ersten Nummern des „Observator“ erschienen, gab es allerdings einige Entschuldigungsgründe für seine Bitterkeit, denn die Whigs waren damals mächtig und er hatte zahlreiche Gegner zu bekämpfen, deren rücksichtslose Heftigkeit eine gleiche Sprache zu rechtfertigen schien. Im Jahre 1685 aber war alle Opposition unterdrückt, und ein edler Character würde es daher verschmäht haben, eine Partei, die nicht antworten durfte, zu beschimpfen und die traurige Lage von Gefangenen, Verbannten und beraubten Familien noch zu verschlimmern; aber dem hämischen Lestrange war selbst das Grab und das Trauerhaus nicht heilig. Im letzten Monate der Regierung Karl’s II. starb Wilhelm Innkyn, ein hochbetagter und angesehener III.79 Dissenterpfarrer, der wegen keines andren Vergehens, als weil er Gott auf die Weise anbetete, welche damals von dem ganzen protestantischen Europa allgemein angenommen war; grausame Verfolgungen zu erdulden hatte, in Newgate an Gram und Entbehrungen. Dem Ausdruck der innigen Theilnahme von Seiten des Volks konnte man nicht Schweigen gebieten, und es folgte daher dem Sarge ein Zug von hundertfunfzig Wagen. Selbst Höflinge betrauerten den Verstorbenen und sogar der gedankenlose König zeigte einige Theilnahme. Lestrange allein brach in ein rohes Freudengeheul aus, lachte über das weibische Mitleid der Trimmer, erklärte laut, daß der lästerliche alte Heuchler seine wohlverdiente Strafe erhalten, und gelobte alle Scheinheiligen und falschen Märtyrer nicht nur bis zum Tode, sondern noch über das Grab hinaus zu bekriegen.139 Dies war der Geist des Blattes, welches damals das Orakel der Torypartei und ganz besonders der Landgeistlichkeit war.

139. Observator vom 29. und 31. Januar 1685. Calamy’s Life of Baxter. Nonconformist Memorial.

Seltenheit von Büchern auf dem Lande. Die Literatur, welche durch das Postfelleisen verbreitet werden konnte, bildete damals den größten Theil der geistigen Nahrung, welche den Geistlichen und Richtern auf dem Lande zu Gebote stand. Die Beförderung großer Packete von einem Orte zum andren war mit solchen Schwierigkeiten und Kosten verknüpft, daß ein umfangreiches Werk mehr Zeit brauchte, um von Paternoster Row nach Devonshire oder Lancashire zu gelangen, als gegenwärtig nach Kentucky. Wie spärlich eine Landpfarre damals selbst mit solchen Büchern versehen war, die ein Theolog am nöthigsten braucht, ist schon bemerkt worden. Die Häuser der Gentry waren nicht reichlicher versehen. Nur wenige Landedelleute der Grafschaft hatten so gute Bibliotheken, wie man sie jetzt in jedem Bedientenzimmer und in der Ladenstube jedes Krämers findet. Ein Esquire, der auf seinem Fensterbrete zwischen Angeln und Vogelflinten den Hudibras und Baker’s Chronicle, Tarlton’s Jests und die Seven Champions of Christendom liegen hatte, galt bei seinen Nachbarn für einen großen Gelehrten. Selbst in der Hauptstadt gab es damals noch weder Leihbibliotheken noch Lesezirkel; aber diejenigen Bücherfreunde, welche nicht viel kaufen konnten, hatten dort wenigstens ein Aushülfsmittel. Die Läden der großen Buchhändler in der Umgebung der Paulskirche waren den ganzen Tag mit Lesern gefüllt und ein bekannter Kunde durfte oft auch ein Buch mit nach Hause nehmen. Auf dem Lande fehlte diese Annehmlichkeit, was man lesen wollte, mußte man kaufen.140

140. Cotton scheint, wie aus seinem Angler hervorgeht, auf seinem Fensterbrete Platz genug für seine ganze Bibliothek gehabt zu haben, und Cotton war ein wissenschaftlich gebildeter Mann. Selbst als Franklin 1724 das erstemal nach London kam, waren Leihbibliotheken daselbst noch unbekannt. Von dem Zudrange zu den Buchläden im Stadtviertel Little Britain spricht Roger North in der Lebensbeschreibung seines Bruders Johann.

Weibliche Erziehung. Die Literaturschätze der Gattin und Töchter des Grundherrn bestanden gewöhnlich in einem Gebetbuche und einem Receptbuche. Indessen verloren sie in der That wenig bei ihrer ländlichen Abgeschiedenheit, denn selbst in den höchsten Ständen und unter Verhältnissen, welche die geistige Ausbildung erleichterten, genossen die Engländerinnen zur damaligen Zeit eine schlechtere Erziehung als jemals III.80 seit dem Wiederaufblühen der Wissenschaften. In früherer Zeit studirten sie die Meisterwerke des antiken Genius, in unseren Tagen kümmern sie sich zwar wenig um die todten Sprachen, sind aber dafür mit der Sprache Pascal’s und Molière’s, Dante’s und Tasso’s, Göthe’s und Schiller’s vertraut, und es giebt kein reineres und eleganteres Englisch als das, welches gebildete Frauen gegenwärtig sprechen und schreiben. Während der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts aber scheint die Bildung des weiblichen Geistes fast ganz vernachlässigt worden zu sein. Eine junge Dame, die nur die oberflächliche Kenntniß der Literatur besaß, galt für ein Wunder. Hochgeborne, vornehm erzogene und mit guten natürlichen Anlagen ausgestattete Ladies waren nicht im Stande eine Zeile in ihrer Muttersprache ohne orthographische und stylistische Fehler zu schreiben, deren sich jetzt eine Armenschülerin schämen würde.141

Die Erklärung liegt sehr nahe. Maßlose Ausschweifung, die natürliche Wirkung übertriebener Strenge, war damals vorherrschend und die Ausschweifung hatte ihre gewöhnliche Folge, die sittliche und geistige Erniedrigung der Frauen, nach sich gezogen. Ihren körperlichen Reizen pflegte man rohe und freche Huldigungen darzubringen, aber die Bewunderung und das Verlangen, welche ihre Schönheit erregte, war selten mit Achtung, wahrer Zuneigung und irgend einem ritterlichen Gefühl gepaart. Die Eigenschaften, welche sie zu Lebensgefährtinnen, Rathgeberinnen und vertrauten Freundinnen befähigten, stießen die Wüstlinge von Whitehall eher ab, als daß sie sie anzogen. Ein Ehrenfräulein, die sich so kleidete, daß ihrem Busen das vollste Recht widerfuhr, die beständig liebäugelte, wollüstig tanzte, sich durch vorlaute Keckheit auszeichnete, sich nicht entblödete, mit Kammerherren und Offizieren zu kokettiren, schlüpfrige Lieder mit bezeichnendem Ausdrucke zu singen, und sich zur Ausführung eines muthwilligen Streiches als Page zu verkleiden, hatte an diesem Hofe mehr Aussicht, gefeiert und bewundert zu werden, die Beachtung des Königs auf sich zu ziehen und einen reichen und vornehmen Gatten zu erobern, als eine Johanna Gray oder Lucie Hutchinson gehabt haben würden. Unter solchen Umständen mußte das Maaß der weiblichen Bildung nothwendig sehr niedrig sein, und es war gefährlicher, über diesem Maße zu stehen, als unter demselben. Äußerste Unwissenheit und Leichtfertigkeit wurden bei einer Dame viel eher entschuldigt, als der geringste Anflug von Pedanterie. Von den nur zu berühmten Frauen, deren Portraits wir noch jetzt an den Wänden von Hampton Court bewundern, pflegten wenige etwas Besseres zu lesen als Akrosticha, Spottlieder und Übersetzungen der „Clelia“ und des „Großen Cyrus“.

141. Ein Beispiel mag genügen. Die Königin Marie hatte gute natürliche Anlagen, war von einem Bischofe erzogen, eine Freundin der Geschichte und Poesie und wurde von den ausgezeichnetsten Männern als eine hochgebildete Frau betrachtet. Zu der Bibliothek im Haag befindet sich eine prachtvolle Bibel, die ihr bei der Krönung in der Westminsterabtei überreicht worden war. Auf dem Titelblatte dieser Bibel stehen folgende von ihr eigenhändig geschriebene Worte: „This book was given the King and I, at our crownation. Marie R.“

Literarische Bildung der Gentlemen. Die literarischen Kenntnisse selbst der vollendetsten Gentlemen jener Zeit scheinen bei weitem nicht so solid und gründlich gewesen zu sein, als in früheren oder späteren Zeiten. Griechische Gelehrsamkeit wenigstens blühte unter der Regierung III.81 Karl’s II. bei uns nicht, wie sie vor dem Bürgerkriege geblüht hatte und lange nach der Revolution wieder blühte. Es gab wohl auch Gelehrte, denen die ganze griechische Literatur von Homer bis Photius genau bekannt war, aber solche Gelehrte fanden sich fast ausschließlich nur unter den Geistlichen der Universitätsstädte, ja selbst dort waren ihrer nur wenige, und diese wenigen nicht gebührend geschätzt. In Cambridge wurde es durchaus nicht für nöthig gehalten, daß ein Theolog die Bibel in der Ursprache lesen konnte.142 Auch in Oxford stand die Gelehrsamkeit auf keiner höheren Stufe. Als sich unter der Regierung Wilhelm’s III. das ganze Christchurch-Kollegium wie ein Mann erhob, um die Ächtheit der Briefe des Phalaris zu vertheidigen, stand diesem großen Kollegium, welches damals als der Hauptsitz der Philologie im ganzen Lande betrachtet wurde, nicht soviel attische Gelehrsamkeit zu Gebote, als sie heutzutage mancher Gymnasiast besitzt. Nach dem allen wird man leicht denken können, daß eine todte Sprache, welche die Universitäten vernachlässigten, von den Laien nicht viel studirt wurde. Zu einer früheren Zeit hatten die Poesie und die Beredtsamkeit Griechenlands einen Raleigh und Falkland entzückt, zu einer spätern Periode entzückten sie einen Pitt und Fox, einen Windham und Grenville; während der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts aber gab es in England kaum einen bedeutenden Staatsmann, der eine Seite von Sophokles oder Plato mit Genuß lesen konnte.

Gute Lateiner gab es dagegen in Menge. Allerdings hatte auch damals die Sprache Roms ihren Character als Weltsprache noch nicht ganz verloren und war in manchen Ländern Europa’s dem Reisenden und Diplomaten noch unentbehrlich. Die Fertigkeit, sie gut zu sprechen, war daher viel häufiger als zu unsrer Zeit, und es fehlte weder Oxford noch Cambridge an Dichtern welche bei einer feierlichen Gelegenheit glückliche Nachahmungen der Verse, in denen Virgil und Ovid die Größe des Augustus gepriesen hatten, am Fuße des Thrones niederlegen konnten.

142. Roger North erzählt uns, daß sein Bruder Johann, welcher Professor der griechischen Sprache in Cambridge war, sich über die allgemeine Vernachlässigung dieser Sprache unter der Universitätsgeistlichkeit bitter beklagte.

Einfluß der französischen Literatur. Doch auch das Latein wurde durch einen jüngeren Nebenbuhler verdrängt. Frankreich behauptete damals fast in jeder Beziehung den Vorrang. Sein militairischer Ruhm hatte den Höhepunkt erreicht, es hatte wichtige Coalitionen besiegt, Verträge dictirt und große Städte und Provinzen unterworfen; es hatte den kastilianischen Stolz gezwungen, ihm den Vorrang zuzugestehen, es hatte italienische Fürsten sich unterthan gemacht, sein Verfahren war in allen Angelegenheiten der feinen Lebensart, vom Zweikampfe bis zur Menuett maßgebend; es bestimmte, welchen Schnitt der Rock eines Gentleman haben, wie lang seine Perrücke, ob seine Absätze hoch oder niedrig und ob sein Hutband breit oder schmal sein müsse. In der Literatur gab es der Welt Gesetze, ganz Europa war des Ruhmes seiner Schriftsteller voll, kein andres Land hatte einen tragischen Dichter wie Racine, einen komischen wie Molière, einen so liebenswürdigen Tändler wie Lafontaine, einen so gewandten Redner wie Bossuet aufzuweisen. Der literarische Ruhm Italiens und Spaniens war untergegangen, der von Deutschland war noch nicht aufgegangen. Das Genie der ausgezeichneten Männer, III.82 welche die Hauptstadt Frankreichs zierten, strahlte daher in einem Glanze, welcher durch den Contrast noch mehr hervorgehoben ward. In der That, Frankreich übte damals eine Weltherrschaft aus, wie selbst die römische Republik sie nie erreicht hatte, denn als Rom in politischer Beziehung herrschte, war es in den Künsten und Wissenschaften Griechenlands demüthiger Schüler; Frankreich hatte auf die benachbarten Länder zu gleicher Zeit den Einfluß, den Rom auf Griechenland, und den, welchen Griechenland auf Rom ausübte. Das Französische erhob sich rasch zur Weltsprache, zur Sprache der feinen Gesellschaft und zur Sprache der Diplomatie. An mehreren Höfen sprachen die Fürsten und der Adel sie besser und eleganter als ihre Muttersprache. Auf unsrer Insel war jedoch diese sklavische Unterordnung noch nicht so weit gediehen als auf dem Continent, weder unsere guten noch unsere schlechten Eigenschaften waren fremden Ursprungs. Doch auch bei uns huldigte man der literarischen Überlegenheit unserer Nachbarn, wenn auch ungeschickt und ungern. Die wohlklingende toskanische Sprache, die allen vornehmen Herren und Damen am Hofe Elisabeth’s so geläufig war, kam aus der Mode. Ein Gentleman, der den Horaz oder Terenz citirte, galt in feiner Gesellschaft für einen prahlerischen Pedanten; verzierte er aber seine Unterhaltung mit französischen Brocken, so war dies der beste Beweis, den er von seinen Talenten und seiner Bildung geben konnte.143 Neue Regeln der Kritik, neue Muster des Styls kamen in die Mode. Die gesuchte Gespreiztheit, welche Donne’s und Cowley’s Verse verunziert hatte, verschwand aus unsrer Poesie. Unsre Prosa verlor zwar an edlem Schwunge, an kunstvollem Satzbau und an wohllautender Abwechselung im Vergleich mit der einer früheren Periode, aber sie wurde klarer, gefälliger und besser geeignet zur Polemik und zum Erzählen. Es ist unmöglich, in diesen Veränderungen den Einfluß französischer Muster und französischen Beispiels zu verkennen. Selbst große Meister unsrer Sprache verschmähten es nicht in ihren werthvollsten Werken sich französischer Ausdrücke zu bedienen, wo ebenso bezeichnende und wohlklingende englische ganz nahe lagen144 und aus Frankreich wurde die Tragödie in Versen bei uns eingeführt, eine exotische Pflanze, welche in unsrem Boden siechte und bald einging.

143. Butler sagt in einer sehr beißenden Satire:

Citirst Du Griechen und Lateiner,

So bist Du der Pedanten einer;

Doch flechtest Du französ’sche Brocken ein

Gilt’s für verdienstlich und für fein.

144. Das gröbste Beispiel dieser Art, dessen ich mich entsinne, kommt in einem Gedicht auf die Krönung Karl’s II. von Dryden vor, der es gewiß nicht durch Wortarmuth entschuldigen konnte, daß er einer fremden Sprache Worte entlehnte:

Hither in summer evenings you repair

To taste the fraicheur of the cooler air

(Hier bringst im Sommer Du die Abendstunden hin,

Um kühle, frische Luft mit Wonne einzuzieh’n.)

Unsittlichkeit der schönen Literatur Englands. Unsere Schriftsteller würden wohl gethan haben, wenn sie auch den Anstand nachgeahmt hätten, den ihre großen französischen Zeitgenossen mit wenigen Ausnahmen beobachteten, denn die Unsittlichkeit der englischen Schauspiele, Satiren, Lieder und Romane jener Zeit ist ein arger Flecken auf unsrem Nationalruhm. Die Quelle des Übels ist leicht zu finden. Die Schöngeister III.83 und die Puritaner standen nie auf freundlichem Fuße mit einander, es fand keine Sympathie zwischen diesen beiden Klassen statt. Sie betrachteten das ganze System des menschlichen Lebens aus verschiedenen Gesichtspunkten und in verschiedenem Lichte. Der Ernst der einen war der andern Spott, die Vergnügungen jeder von beiden waren der andren ein Greuel. Dem finstren Rigoristen dünkte selbst das unschuldige Spiel der Phantasie ein Verbrechen, und den leichteren und lebenslustigeren Characteren bot das feierliche Wesen der eifernden Brüder reichen Stoff zu Spötteleien. Von der Reformation bis zu dem Bürgerkriege hatte fast jeder mit einem feinen Scharfblicke zur Auffindung des Lächerlichen begabte Schriftsteller eine Gelegenheit ergriffen, um den glatthaarigen, näselnden und weinerlichen Heiligen, die ihre Kinder nach dem Buche Nehemia tauften, die beim Anblick des Hans im Grünen145 im Stillen seufzten und die es für gottlos hielten, am Weihnachtstage Rosinensuppe zu essen, etwas anzuhaben. Es kam jedoch eine Zeit, wo auch an die Lacher die Reihe kommen sollte, ein ernstes Gesicht zu machen. Nachdem die strengen, abstoßenden Zeloten zwei Generationen hindurch reichen Stoff zu Witzeleien geliefert hatten, erhoben sie sich mit bewaffneter Hand, siegten, herrschten und traten mit schadenfrohem Lächeln die ganze Schaar der Spötter unter die Füße. Die Wunden, welche der heitere Muthwille geschlagen, wurden mit der finstren, unerbittlichen Rachgier vergolten, welche Frömmlern eigen ist, die ihren Groll für Tugend halten. Die Theater wurden geschlossen und die Schauspieler gestäupt. Die Presse ward unter die Aufsicht strenger Censoren gestellt, die Musen von ihren Lieblingssitzen, Cambridge und Oxford vertrieben. Cowley, Crashaw und Cleveland wurden ihrer Lehrstühle entsetzt, der junge Candidat für akademische Würden mußte nicht mehr ovidische Briefe oder virgilische Hirtengedichte schreiben, sondern er wurde von einer Synode finstrer Supralapsarier genau über Tag und Stunde seiner Wiedergeburt befragt. Ein solches System mußte natürlich eine Menge Heuchler hervorbringen. Unter dem schlichten Rocke und hinter der Maske des strengen Ernstes verbarg sich viele Jahre lang das glühende Verlangen nach zügelloser Freiheit und Rache. Dieses Verlangen wurde endlich gestillt. Die Restauration befreiete Tausende von Geistern von einem unerträglich gewordenen Joche. Der alte Kampf begann von neuem und zwar mit nie gekannter Erbitterung; es war kein Kampf des Scherzes mehr, sondern ein Krieg auf Tod und Leben. Der Rundkopf hatte von Denen, die er verfolgt, keine bessere Behandlung zu erwarten, als ein grausamer Sklaventreiber von aufständischen Sklaven, welche die Spuren seiner Halseisen und seiner Peitschen noch an sich tragen.

Der Krieg zwischen Verstand und Puritanismus wurde bald ein Krieg zwischen Verstand und Moralität. Die durch eine lächerliche Karrikirung der Tugend hervorgerufene Erbitterung verschonte auch die wirkliche Tugend nicht mehr. Alles was der näselnde Rundkopf mit Ehrfurcht betrachtet hatte, wurde verhöhnt, und was er verdammt hatte, ward begünstigt. Weil er gegen die geringfügigsten Kleinigkeiten Bedenken erhoben hatte, III.84 würde jeder Gewissensskrupel ins Lächerliche gezogen. Weil er seine Fehler mit der Maske der Frömmigkeit verhüllt hatte, so wurde Jedermann dazu aufgemuntert, mit cynischer Frechheit die abscheulichsten Laster dem Blicke des Publikums preiszugeben. Weil er unerlaubte Liebe mit herzloser Strenge bestraft hatte, wurden jungfräuliche Unschuld und eheliche Treue schamlos verspottet. Dem scheinheiligen Jargon, der sein Schibboleth war, wurde ein anderer, nicht minder widerlicher und häßlicher Jargon gegenübergestellt. Wie er den Mund nicht öffnete, ohne sich biblischer Worte zu bedienen, so öffnete die neue Brut von Schöngeistern und Gentlemen nie den Mund, ohne Zoten hervorzubringen, deren sich jetzt ein Lastträger schämen würde, und ohne den Schöpfer anzurufen, daß er die Heuchler verfluchen, verderben, vernichten und verdammen möge.

Es ist daher kein Wunder, daß unsre schöne Literatur, als sie zugleich mit der früheren bürgerlichen und kirchlichen Verfassung wieder auflebte, eine beispiellose Unsittlichkeit zur Schau trug. Nur wenige ausgezeichnete Männer, die einer früheren und besseren Periode angehörten, blieben frei von der allgemeinen Ansteckung. Waller’s Poesien athmeten noch immer die Gefühle, welche ein ritterlicheres Geschlecht beseelt hatten. Cowley, der sich als treuer Anhänger des Thrones und als Gelehrter auszeichnete, erhob muthig seine Stimme gegen die Unsittlichkeit, welche die Literatur wie die Loyalität schändete. Ein noch größerer Dichter, durch Leiden, Gefahren, Armuth, Schmähungen und Blindheit zu gleicher Zeit hart geprüft,146 ließ, nicht achtend des wüsten Lärms, der rings um ihn tobte, einen so erhabenen und heiligen Gesang ertönen, daß er die Lippen der hehren Tugenden nicht entweiht haben würde, die er mit seinem geistigen Blicke, den kein Ungemach verdunkeln konnte, ihre amaranthnen und goldenen Kronen auf das Jaspispflaster herabwerfen sah. Butler’s starker und fruchtbarer Genius entging zwar nicht ganz der herrschenden Ansteckung, nahm aber die Seuche nur in milderer Form in sich auf. Aber dies waren Männer, deren Geist in einer vergangenen Welt gebildet worden war. An ihre Stelle trat bald eine jüngere Generation von Schöngeistern, und der vorherrschende Character dieses Geschlechts, von Dryden bis herab zu Durfey, war eine gefühl- und schamlose, prahlerische und dabei geschmacklose, inhumane Unzüchtigkeit. Der Einfluß dieser Schriftsteller war ohne Zweifel schädlich; aber er hätte noch weit schädlicher werden können, wenn sie minder verderbt gewesen wären. Das Gift, welches sie gaben, war so stark, daß es nach kurzer Zeit mit Ekel wieder ausgeworfen wurde. Keiner von ihnen verstand die gefährliche Kunst, Bilder unerlaubter Lust in ein anziehendes und edles Gewand zu kleiden, keiner von ihnen sah ein, daß auch die Wollust ein gewisses Decorum verlangt, daß Verhüllung lockender sein kann als Nacktheit, und daß die Phantasie durch leise Andeutungen, die sie zu eigner Thätigkeit reizen, mächtiger erregt wird, als durch plumpe Schilderungen, die sie gedankenlos in sich aufnimmt.

Der Geist der antipuritanischen Reaction weht fast durch die ganze schöne Literatur der Regierungsepoche Karl’s II. Die wahre Quintessenz dieses Geistes aber findet sich im komischen Drama. Die Schauspielhäuser, welche die rücksichtslosen Fanatiker in den Tagen ihrer Herrschaft geschlossen hätten, waren wieder gefüllt und zu ihren früheren Reizen hatten sich neue III.85 und mächtigere gesellt. Scenerien, Kostüme und Dekorationen, die zwar heutzutage für dürftig und geschmacklos gelten würden, die aber dem Blicke Derer, welche zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts auf den schmutzigen Bänken der „Hoffnung“ oder unter dem Strohdache der „Rose“ gesessen hatten, von unglaublicher Pracht erschienen sein würden, entzückten die Augen der Menge. Der Zauber des schönen Geschlechts wurde herbeigerufen, um den Zauber der Kunst zu unterstützen, und der junge Schauspieler sah mit einer den Zeitgenossen Shakespeare’s und Jonson’s unbekannten Gefühlserregung liebende und muthige Heldinnen durch holde Damen dargestellt. Von dem Augenblicke ihrer Wiedereröffnung an wurden die Theater Pflanzstätten des Lasters, und das Übel griff immer weiter um sich. Die Unsittlichkeit der Darstellungen verscheuchte bald die anständigen Leute, und die Frivolen und Schamlosen, welche zurückblieben, verlangten mit jedem Jahre stärkere Reizmittel. So verdarben die Künstler die Zuschauer und umgekehrt die Zuschauer die Künstler, bis endlich die Unsittlichkeit der Bühne einen Grad erreichte, der Jeden in Erstaunen setzen muß, welcher nicht berücksichtigt, daß äußerste Erschlaffung die natürliche Folge höchster Anspannung ist und daß nach dem regelmäßigen Laufe der Dinge auf ein Zeitalter der Heuchelei ein Zeitalter der Schamlosigkeit folgen mußte.

Nichts characterisirt jene Zeit besser als das angelegentliche Bestreben der Dichter, ihre lockersten Verse Frauen in den Mund zu legen. Am weitesten trieb man die Frechheit in den Epilogen, welche fast stets von den beliebtesten Schauspielerinnen gesprochen wurden, und es war ein Hochgenuß für das verderbte Publikum, die unanständigsten Zeilen aus dem Munde eines schönen Mädchens zu hören, von der man annehmen kennte, daß sie ihre Unschuld noch nicht verloren hatte.147

Unser damaliges Theater entlehnte viele seiner Intriguen und Charactere den Spaniern, den Franzosen und den alten englischen Meistern; aber was unsere dramatischen Dichter berührten, das beschmutzten sie auch. In ihren Nachahmungen wurden die Häuser der ehrenwerthen und hochherzigen kastilianischen Herren Calderon’s Pfühle des Lasters, Shakespeare’s Viola eine Kupplerin, Molière’s Menschenfeind ein Ehrenräuber, Molière’s Agnes eine Ehebrecherin. Nichts war so rein und heroisch, daß es bei der Verarbeitung durch jene schmutzigen und gemeinen Hände nicht schmutzig und gemein geworden wäre.

So stand es mit dem Schauspiel, und das Schauspiel war derjenige Zweig der schönen Literatur, in welchem der Dichter die meiste Aussicht hatte, sich mit der Feder seinen Unterhalt zu erwerben. Bücher wurden so wenig gekauft, daß selbst ein Mann mit dem berühmtesten Namen für das Verlagsrecht des besten Werkes nur ein geringes Honorar erwarten durfte. Es giebt keinen sprechenderen Beleg für diese Behauptung, als das Schicksal von Dryden’s letztem Geistesproducte, seinen Fabeln. Dieser Band erschien zu einer Zeit, wo Dryden allgemein als der erste lebende Dichter Englands anerkannt war. Derselbe enthält ungefähr zwölftausend Zeilen. Der Versbau ist wunderschön, die Erzählungen und Schilderungen voll Leben. Noch heutzutage entzücken „Palamon und Arcite“, „Cymon III.86 und Iphigenia“, „Theodora und Honoria“ jeden Kritiker wie jeden Schulknaben. Die Sammlung enthält auch das „Fest Alexanders“, die herrlichste Ode in unsrer Sprache. Dryden erhielt für das Verlagsrecht funfzig Pfund Sterling, das heißt weniger als heutzutage zuweilen für zwei Beiträge für eine Zeitschrift bezahlt wird.148 Dessenungeachtet scheint das Honorar im Verhältniß nicht niedrig gewesen zu sein, denn das Buch ging nur langsam und erst zehn Jahre nach dem Tode des Verfassers wurde eine zweite Auflage nöthig. Wer für die Bühne schrieb, konnte mit weit geringerer Anstrengung viel größere Summen erwerben. So erhielt Southern für ein einziges Stück siebenhundert Pfund;149 Otway schwang sich durch den Erfolg seines „Don Carlos“ aus tiefster Armuth zu vorübergehendem Reichthum empor;150 Shadwell bekam für eine einzige Vorstellung seines „Squire of Alsatia“ hundertdreißig Pfund,151 Die Folge davon war, daß Jedermann, der von dem Ertrage seiner Geistesproducte leben mußte, Theaterstücke schrieb, gleichviel ob er inneren Beruf dazu hatte oder nicht. So auch Dryden. Als Satyriker wetteiferte er mit Juvenal, als didactischer Dichter hätte er, bei Sorgfalt und Studium, vielleicht Lucretius an die Seite gestellt werden können, und außerdem ist er unter den lyrischen Dichtern, wenn nicht der erhabenste, doch der glänzendste und ergreifendste. Aber die Natur, die ihn mit so vielen seltenen Gaben reich ausgestattet, hatte ihm das dramatische Talent versagt. Dennoch vergeudete er die ganze Kraft seiner besten Jahre an dramatische Werke. Er war zu einsichtsvoll, um nicht zu erkennen, daß ihm die Fähigkeit mangelte, Charactere durch den Dialog zu zeichnen, und er that sein Möglichstes, um diesen Mangel bald durch überraschende und ergötzliche Wendungen, bald durch edle Deklamation, bald durch wohllautende Verse; bald durch schlüpfrige Zweideutigkeiten, zu verdecken, welche dem Geschmack eines profanen und sittenlosen Publikums nur zu wohl entsprachen. Dennoch erlangte er nie einen dramatischen Erfolg, ähnlich denen, welche die Anstrengungen einiger Männer belohnten, die an Talent überhaupt tief unter ihm standen. Er schätzte sich glücklich, wenn er hundert Guineen für ein Stück erhielt, ein karger, aber jedenfalls höherer Lohn, als ihm jede andre literarische Arbeit von gleichem Umfange eingebracht, haben wurde,152

Die Unterstützung, welche den Schöngeistern jener Zeit von Seiten des Publikums zu Theil wurde, war so gering, daß sie sich gezwungen sahen, ihr Einkommen zu erhöhen, indem sie die Börsen der Großen in Contribution setzten. Jeder reiche und gutherzige Lord wurde daher von den Autoren mit so zudringlicher Bettelei und so kriechender Schmeichelei belästigt, wie sie unsrer Zeit unglaublich erscheinen müssen. Von dem Gönner, dem ein Werk gewidmet wurde, erwartete der Verfasser, daß er ihn mit einer goldgefüllten Börse belohnen werde. Das für die Widmung eines Buches bewilligte Geschenk war oft bedeutender, als die Summe, welche irgend ein Verleger für das Verlagsrecht bezahlt haben würde. Es wurden daher oft Bücher lediglich um der Zuneigung willen gedruckt. Dieser Handel mit Lob hatte die Wirkung, welche davon zu erwarten war. III.87 Eine an Unsinn, ja zuweilen an Gottlosigkeit streifende Schmeichelei war keine Schande für den Dichter, die Welt verlangte keine Unabhängigkeit, Wahrhaftigkeit und Selbstachtung von ihm, kurz, er war in moralischer Beziehung ein Mittelding zwischen einem Kuppler und einem Bettler.

Zu den anderen Fehlern, welche den literarischen Character schändeten, kam gegen das Ende der Regierung Karl’s II. die maßloseste Heftigkeit des Parteigeistes. Die Schöngeister als Stand waren durch ihren alten Haß gegen den Puritanismus bewogen worden, auf die Seite des Hofes zu treten, und hatten sich als nützliche Bundesgenossen erwiesen. Dryden insbesondere hatte dem Hofe gute Dienste geleistet. Sein „Absalom und Achitophel“, die größte Satire der neueren Zeit, hatte die Hauptstadt in Erstaunen gesetzt, mit beispielloser Schnelligkeit selbst in ländliche Bezirke den Weg gefunden und allenthalben, wo sie erschien, die Exclusionisten tief gekränkt und den Muth der Tories gehoben. Wir dürfen jedoch über die Bewunderung, die wir der edlen Diction und dem schönen Versbau zollen, die wichtige Unterscheidung zwischen Gutem und Bösem nicht außer Acht lassen. Der Geist, von welchem Dryden und viele seiner Standesgenossen damals gegen die Whigs beseelt waren, verdient hämische Bosheit genannt zu werden. Die servilen Richter und Sheriffs jener schlimmen Zeit konnten das Blut nicht so schnell vergießen, als die Dichter danach schrieen. Das Verlangen von mehr Opfern, abscheuliche Späße über den Strang und bittere Verhöhnung Derjenigen, welche, nachdem sie dem Könige in der Stunde der Gefahr treu zur Seite gestanden, ihm jetzt zu einer nachsichtigen und großmüthigen Behandlung seiner besiegten Feinde riethen, wurden auf offener Bühne ausgesprochen, und zwar, damit das Maß der Schuld und Schande voll werde, von Frauen, in denen man so jeden Funken von Mitgefühl zu ersticken suchte, nachdem sie schon längst gelernt hatten, alle Sittlichkeit von sich zu werfen.153

145. Jack in the Green, ein Scherz der Essenkehrer, den sie am 1. Mai vorzunehmen pflegen und welcher darin besteht, daß sie den Längsten von ihnen in ein mit Blumen und grünen Zweigen umgebenes taugliches Korbgeflecht stecken, so daß man fast nichts von ihm sieht.  D. Übers.

146. Milton.  Der Übers.

147. Jeremias Collier hat diese schmachvolle Unsitte mit gewohnter Kraft und Schärfe gegeißelt.

148. Der Contract findet sich in Sir Walter Scott’s Ausgabe von Dryden’s Werken.

149. Siehe Shiels’s Life of Southern.

150. Siehe Rochester’s Trial of the Poets.

151. Aus einem Bericht über die englische Bühne.

152. Life of Southern by Shiels.

153. Sollte dieser oder jener Leser meine Ausdrücke zu stark finden, so rathe ich ihm, Dryden’s Epilog in seinem „Herzog von Guise“ zu lesen und dabei im Auge zu behalten, daß derselbe von einer Dame gesprochen wurde.

Zustand der Wissenschaft in England. Es ist eine bemerkenswerthe Thatsache, daß, während die leichtere Literatur Englands auf diese Art ein wunder Fleck und eine Schmach der Nation wurde, der englische Genius in der Wissenschaft eine Umwälzung bewirkte, die bis an’s Ende aller Zeiten zu den glänzendsten Leistungen des menschlichen Geistes gezählt werden wird. Bacon hatte den guten Samen zu ungünstiger Zeit in einen trägen Boden gesäet. Auch hatte er keine frühzeitige Ernte erwartet und in seinem letzten Testamente seinen Ruhm feierlich dem nächsten Zeitalter vermacht. Während einer ganzen Generation war seine Philosophie trotz aller Unruhen, Kriege und Verbannungen in einigen wenigen reich begabten Köpfen langsam gereift. Während Parteien um die Herrschaft über einander kämpften, hatte sich eine kleine Schaar von Weisen mit lobenswerther Verachtung von dem Kampfe zurückgezogen und sich dem edleren Zwecke gewidmet, die Herrschaft des Menschen über die Materie zu erweitern. Sobald die Ruhe wieder hergestellt war, fanden diese Lehrer ohne Mühe aufmerksame Zuhörer, denn die Schule, durch welche die Nation gegangen war, hatte den öffentlichen Geist in eine Stimmung versetzt, die ihn zur Aufnahme der Verulamischen Lehren wohl geeignet III.88 machte. Die bürgerlichen Unruhen hatten die Fähigkeiten der gebildeten Klassen geweckt und eine rastlose Thätigkeit und eine unersättliche Wißbegierde hervorgerufen, wie sie unter uns nie zuvor gekannt war. Jene Unruhen hatten jedoch auch die Wirkung gehabt, daß politische und religiöse Reformpläne in der Regel mit Argwohn und Verachtung angesehen wurden. Zwanzig Jahre lang hatten sich rührige und scharfsinnige Männer vorzugsweise damit beschäftigt, Verfassungen mit und ohne höchste Beamten, mit erblichen Senaten, mit durch das Loos zu wählenden Senaten, mit jährlich wechselnden Senaten oder mit bleibenden Senaten zu entwerfen. Nichts war bei diesen Plänen vergessen. Alle Einzelnheiten, die ganze Nomenclatur, das ganze Ceremonial der imaginären Regierung war vollständig ausgeführt: Polemarchen und Phylarchen, Tribus und Galaxien,154 der Lord Archon und der Lord Strategus, welche Wahlurnen grün und welche roth, welche Kugeln von Gold und welche von Silber sein, welche Beamten Hüte und welche schwarze Sammtkappen mit Troddeln tragen, wie das Scepter gehalten werden und wann die Herolde sich entblößen sollten; alle diese und noch hundert andere derartige Kleinigkeiten waren von Männern nicht gewöhnlicher Fähigkeiten und wissenschaftlicher Bildung ernstlich erwogen und festgestellt.155 Aber die Zeit für solche Träume war vorüber, und wenn wirklich noch hier und da ein zäher Republikaner sich damit beschäftigte, so bewog ihn doch die Furcht, öffentlich ausgelacht und des Hochverraths angeklagt zu werden, in der Regel zur sorgfältigsten Geheimhaltung seiner Phantasiegebilde. Es war jetzt unpopulär und gefährlich, nur ein Wort gegen die Grundgesetze der Monarchie laut werden zu lassen, aber kühne und erfinderische Köpfe konnten sich dafür entschädigen, indem sie auf die bisherigen Grundgesetze der Natur mit mitleidiger Geringschätzung herabsahen. Der in dem einen Bette gedämmte Strom suchte sich gewaltsam ein andres; der revolutionäre Geist konnte in der Politik nicht mehr thätig sein und fing daher an, sich mit noch nicht dagewesener Kraft und Regsamkeit in jedem Zweige der Naturwissenschaften zu rühren. Das Jahr 1660, die Epoche der Wiedereinsetzung der alten Verfassung, ist zugleich auch der Zeitpunkt, mit dem der Einfluß der neuen Philosophie beginnt. In diesem Jahre wurde die königliche Societät gegründet, welche das Hauptwerkzeug einer langen Reihe von rühmlichen und heilsamen Reformen werden sollte.156 Binnen wenigen Monaten wurde die Experimentalwissenschaft allenthalben Mode. Die Transfusion des Blutes, das Wägen der Luft und die Fixirung des Quecksilbers nahmen im Geiste des Publikums die Stelle ein, welche bis vor Kurzem die Controversen der Rota ausgefüllt hatten. Ideen über vollkommenere Verfassungsformen machten Träumen von Flügeln, mit denen man vom Tower bis zur Abtei fliegen konnte, und von doppelkieligen Schiffen Platz, bei denen ein Scheitern, selbst im heftigsten Sturme, nicht möglich sein sollte. Die herrschende Stimmung riß alle Klassen mit sich fort, Kavalier und Rundkopf, Staats-, Kirchenmann und Puritaner waren mit einem Male wieder einig. Theologen, III.89 Juristen, Staatsmänner, Edelleute und Fürsten erhöhten den Sieg der Bacon’schen Philosophie. Die Dichter verkündeten mit wetteiferndem Feuer das Herannahen des goldenen Zeitalters. Cowley forderte in sinnvollen und glänzenden Versen die Auserwählten auf, Besitz zu nehmen von dem gelobten Lande, wo Milch und Honig flössen, von dem Lande, das ihr großer Befreier und Gesetzgeber wie vom Gipfel des Pisgah herab gesehen, aber nicht habe betreten dürfen.157 Dryden stimmte mit mehr Begeisterung als Sachkenntniß in den allgemeinen Jubel ein und weissagte Dinge, die er so wenig als irgend Jemand verstand. Die Königliche Societät, prophezeiete er, werde uns bald an den äußersten Rand des Erdballs führen und uns dort mit einer besseren Ansicht des Mondes überraschen.158 Zwei gebildete und strebsame Prälaten, Ward, Bischof von Salisbury, und Wilkins, Bischof von Chester, gehörten zu den Führern der Bewegung. Die Geschichte derselben wurde in beredter Sprache von einem jüngern Theologen geschrieben, der sich in seinem Berufe zu hoher Auszeichnung emporschwang, von Thomas Sprat, nachmals Bischof von Rochester. Auch der Oberrichter Hale und der Lordsiegelbewahrer Guildford stahlen ihren richterlichen Geschäften einige Stunden ab, um Schriften über die Hydrostatik zu schreiben. In der That waren die ersten Barometer, welche in London zum Verkauf gestellt wurden, unter Guildford’s unmittelbarer Leitung verfertigt.159 Die Chemie theilte auf kurze Zeit mit dem Wein und der Liebe, mit der Bühne und dem Spieltische, mit den Hofintriguen und den demagogischen Umtrieben die Aufmerksamkeit des ruhelosen Buckingham. Dem Prinzen Ruprecht wurde die Erfindung der schwarzen Kunst zugeschrieben, und nach ihm ist die seltsame Glasblase benannt, welche so lange die Kinder unterhalten und die Philosophen in Verlegenheit gesetzt hat.160 Karl selbst hatte in Whitehall ein Laboratorium und war dort viel thätiger und aufmerksamer als im Staatsrathe. Es gehörte fast zu den Erfordernissen eines gebildeten Gentleman, daß er über Luftpumpen und Teleskope zu sprechen verstand, und selbst seine Damen hielten es zuweilen für passend, Neigung zu den Wissenschaften zur Schau zu tragen, fuhren mit Sechsen nach den Greshamer Sehenswürdigkeiten und stießen einen Freudenruf aus, wenn sie sahen, daß ein Magnet wirklich eine Nadel anzog und daß eine Fliege unter dem Mikroskop so groß aussah wie ein Sperling.161

Wie in jeder großen Bewegung des menschlichen Geistes, lag allerdings auch in dieser etwas, das wohl ein Lächeln entlocken konnte. Es ist eine allgemeine Regel, daß jede Lehre, jedes Studium, wenn es zur Modesache wird, einen Theil der Würde verliert, die es besaß, während es noch auf einen kleinen aber ernsten Kreis beschränkt war und nur um seiner III.90 selbst willen geliebt wurde. Es ist wahr, die Thorheiten mancher Leute, die ohne wirkliches Geschick für die Wissenschaft eine leidenschaftliche Liebe zu derselben zur Schau trugen, lieferten einigen boshaften Satirikern, die noch der vorhergehenden Generation angehörten und welche das, was sie in der Jugend gelernt, nicht gern vergessen wollten, Stoff zu verächtlichem Spott.162 Nicht minder wahr aber ist es, daß das große Werk der Erforschung der Natur von den Engländern jener Zeit in einer Weise gefördert wurde, wie nie zuvor zu irgend einer Zeit und von irgend einer Nation. Der Geist Franz Bacon’s, dieser Geist, in welchem Kühnheit und Besonnenheit zu einem wundervollen Ganzen verbunden waren, schwebte über dem Volke. Man war fest überzeugt, daß die ganze Welt voll von Geheimnissen von hoher Wichtigkeit für das Wohl des Menschen sei und daß der Schöpfer ihm den Schlüssel in die Hand gelegt, der bei richtigem Gebrauch ihm die Kenntniß derselben verschaffen konnte. Zu gleicher Zeit aber war man auch überzeugt, daß man in den Naturwissenschaften nur durch genaue Beobachtung einzelner Erscheinungen zur Kenntniß der allgemeinen Gesetze gelangen konnte. Tief durchdrungen von diesen großen Wahrheiten widmeten sich die Jünger der neuen Philosophie ihrer Aufgabe, und noch vor Ablauf eines Vierteljahrhunderts hatten sie schon einen großen Theil von den Schätzen zu Tage gefördert, welche später vervollständigt worden sind. Schon hatte eine Reform des Landbaus begonnen, neue Pflanzen wurden angebaut, neue landwirthschaftliche Geräthe und neue Düngemittel wurden angewendet.163 Evelyn hatte mit ausdrücklicher Genehmigung der Königlichen Societät seinen Landsleuten Unterricht im Anpflanzen gegeben. Temple hatte in seinen Mußestunden allerhand Versuche im Gartenbau angestellt und den Beweis geliefert, daß viele köstliche Früchte, die Erzeugnisse begünstigterer Himmelsstriche, mit Hülfe der Kunst in englischem Boden gezogen werden konnten. Die Arzneiwissenschaft, die sich in Frankreich noch in trauriger Abhängigkeit befand und Molière unerschöpflichen Stoff zu gerechtem Spott lieferte, war in England eine Experimentalwissenschaft geworden, welche trotz Hippokrates und Galen mit jedem Tage einen neuen Fortschritt machte. Zum ersten Male richtete sich die Aufmerksamkeit denkender Männer auf die so wichtige Gesundheitspolizei. Die große Pest von 1665 gab ihnen Veranlassung, die Mängel der Bauart, der Abzugskanäle und der Lüftung der Hauptstadt sorgfältig zu untersuchen, und der große Brand im darauffolgenden Jahre bot Gelegenheit zur Einführung ausgedehnter Verbesserungen. Die Königliche Societät prüfte die Sache mit größter Thätigkeit, und den Anregungen von Seiten dieser Gesellschaft sind zum Theil die Veränderungen zuzuschreiben, welche allerdings noch weit hinter dem zurückblieben, was die öffentliche Wohlfahrt erheischte, aber doch einen großen Unterschied zwischen dem alten und dem neuen London hervortreten ließen und den Verheerungen der Pest in unsrem Vaterlande wahrscheinlich ein Ziel setzten.164 Zu gleicher Zeit schuf III.91 einer von den Gründern der Gesellschaft, Sir Wilhelm Petty, die Wissenschaft der politischen Arithmetik, die bescheidene, aber unentbehrliche Gehülfin der Staatsweisheit. Kein Naturreich blieb unerforscht. Jener Zeit gehören die Entdeckungen Boyle’s im Gebiete der Chemie und Sloane’s erste botanische Forschungen an. Damals stellte Ray eine neue Classification der Vögel und Fische auf und Woodward begann seine Aufmerksamkeit den Fossilien und Muscheln zuzuwenden. Die Phantome, die während langer Jahrhunderte der Finsterniß die Welt bethört hatten, flohen eines nach dem andren vor dem Lichte. Die Astrologie und Alchymie wurden Gegenstände des Spotts. Bald gab es kaum noch eine Grafschaft, wo nicht Einige auf der Richterbank verächtlich gelächelt hätten, wenn eine alte Frau vor sie geführt wurde, weil sie auf Besenstielen geritten sei oder es dem Viehe angethan habe. Die wichtigsten Triumphe aber errang der englische Genius der damaligen Zeit in den edelsten und schwierigsten Zweigen der Wissenschaft, in denen Induction und mathematischer Beweis zur Entdeckung der Wahrheit zusammenwirken. John Wallis gab dem ganzen System der Statik eine neue Grundlage. Edmund Halley untersuchte die Eigenschaften der Atmosphäre, die Ebbe und Fluth des Meeres, die Gesetze des Magnetismus und den Lauf der Kometen; weder Mühen, noch Gefahren, noch die Verbannung konnten ihm die Pflege der Wissenschaft verleiden. Während er auf dem Felsen von St. Helena eine Karte von den Sternbildern der südlichen Hemisphäre entwarf, ward unsre Nationalsternwarte in Greenwich erbaut, und John Flamsteed, der erste königliche Astronom, begann die lange Reihe von Beobachtungen, welche auf keinem Punkte der ganzen Erde ohne Achtung und Dankbarkeit erwähnt werden. Doch wie groß auch der Ruhm dieser Männer ist, er wird durch den Alles überstrahlenden Glanz eines unsterblichen Namens in den Schatten gestellt. In Isaak Newton vereinigten sich wie in keinem Andren vor ihm oder nach ihm zwei Arten von geistiger Kraft, welche wenig mit einander gemein haben und nicht oft in einem hohen Grade der Vollendung beisammen gefunden werden, die aber nichtsdestoweniger bei Erforschung der höchsten Gebiete der Naturwissenschaft gleich nothwendig sind. Es mag Geister gegeben haben, welche für den Anbau der reinen mathematischen Wissenschaft eben so glücklich constituirt waren als der seinige; es mag Geister gegeben haben, welche in der Pflege der reinen Experimentalwissenschaft dem seinigen nicht nachstanden: in keinem andren Geiste aber haben sich das demonstrative und das inductive Talent in solch höchster Vollendung und in so unvergleichlicher Harmonie vereinigt. In einem Zeitalter von Scotisten und Thomisten würde vielleicht auch sein Geist verkümmert sein, wie mancher andre, der nur dem seinigen nachstand. Glücklicherweise aber gab der Geist des Zeitalters, das ihm zugefallen war, seinem Geiste die rechte Richtung, und sein Genie wirkte wieder mit zehnfacher Kraft auf den Geist seiner Zeit zurück. Im Jahre 1685 war sein Ruhm, obwohl schon glänzend, doch erst im Entstehen, sein Genie aber hatte den Zenith erreicht. Sein großes Werk, das Werk, das auf den wichtigsten Gebieten der Naturwissenschaft eine Revolution herbeiführte, war vollendet, aber noch nicht im Druck erschienen, und sollte eben der Beurtheilung der Königlichen Societät unterbreitet werden.

154. Galaxy, Milchstraße, im bildlichen Sinne eine glänzende Versammlung.  D. Übers.

155. Siehe besonders Harrington’s Oceana.

156. Siehe Sprat’s History of the Royal Society.

157. Cowley’s Ode to the Royal Society.

158.

„Dann geh’n wir an des Erdballs fernsten Rand,

Wo Meer und Himmel in einander fließen.

Um unsere Nachbarn in dem Sternenland,

Die ganze Mondwelt freundlich zu begrüßen.“ 

Annus Mirabilis, 164.

159. North’s Life of Guildford.

160. Die Glasthränen oder Glastropfen heißen im Englischen Rupert’s drops.  D. Übers.

161. Pepys’s Diary, May 30. 1667.

162. Butler war meines Wissens in der Zeit zwischen der Restauration und der Revolution der einzige wirklich geistreiche Mann, der gegen die neue Philosophie, wie sie damals genannt wurde, eine heftige Feindschaft an den Tag legte. Siehe seine Satire auf die Königliche Societät und „der Elephant im Monde“.

163. Der Eifer, mit dem die Landwirthe der damaligen Zeit Versuche anstellten und Verbesserungen einführten, wird von Aubrey in seiner Natural History of Wiltshire, 1685, treffend geschildert.

164. Sprat’s History of the Royal Society.

Zustand der schönen Künste. Es ist nicht ganz leicht zu erklären, warum die Nation, die in den Wissenschaften ihren Nachbarn so weit voraus war, in der Kunst ihnen allen weit nachstand. Dennoch war III.92 es so. In der Baukunst, einer Kunst, die eine halbe Wissenschaft ist, einer Kunst, in der sich nur ein Geometer auszeichnen kann, eine Kunst, welche nur einen mittelbar oder unmittelbar vom Nutzen abhängigen Maßstab der Schönheit hat und deren Schöpfungen wenigstens einen Theil ihrer Majestät von der bloßen körperlichen Masse herleiten, konnte sich unser Vaterland allerdings in Christoph Wren eines wahrhaft großen Mannes rühmen, und das Feuer, welches London in Asche legte, hatte ihm eine in der neueren Geschichte noch nicht dagewesene Gelegenheit gegeben, sein Talent zu entfalten. Die ernste Schönheit der atheniensischen Säulenhalle und die düstre Großartigkeit des gothischen Spitzbogens war er, gleich allen seinen Zeitgenossen, unfähig zu erreichen, aber kein diesseits der Alpen Geborener hat die Pracht der palastähnlichen Kirchen Italiens mit so glücklichem Erfolge nachgeahmt. Selbst der prachtliebende Ludwig hat der Nachwelt kein Werk hinterlassen, das mit der Paulskirche einen Vergleich aushalten könnte. Aber zu Ende der Regierung Karl’s II. gab es nicht einen einzigen englischen Maler oder Bildhauer, dessen Name noch jetzt genannt würde. Diese Unfruchtbarkeit hat etwas Räthselhaftes, denn Maler und Bildhauer waren durchaus keine verachtete oder kärglich bezahlte Klasse von Künstlern, sie nahmen damals eine fast eben so hohe Stellung in der Gesellschaft ein als jetzt, ja ihr Verdienst war im Verhältniß zu dem Nationalreichthum und dem Lohne, welcher anderen Arten geistiger Arbeit gewährt wurde, sogar größer als gegenwärtig. In der That zog die freigebige Gönnerschaft, welche den Künstlern zu Theil ward, sie schaarenweise an unsere Küsten. Lely, der uns die üppigen Locken, die vollen Lippen und die schmachtenden Augen der von Hamilton gefeierten ätherischen Schönheiten hinterlassen hat, war ein Westfale. Er starb 1680, nachdem er lange glänzend gelebt, die Ritterwürde empfangen und sich von den Früchten seiner Kunst ein ansehnliches Vermögen erspart hatte. Seine schöne Sammlung von Zeichnungen und Gemälden wurde nach seinem Tode mit Erlaubniß des Königs im Bankethause von Whitehall ausgestellt und dann für die fast unglaubliche Summe von sechsundzwanzigtausend Pfund Sterling versteigert, eine Summe, welche zu dem Vermögen der damaligen Reichen in einem größeren Verhältnisse stand, als hunderttausend Pfund zu dem Vermögen eines Reichen unserer Tage.165 Auf Lely folgte sein Landsmann Gottfried Kneller, der nacheinander zum Ritter und zum Baronet erhoben wurde und der, obgleich er ein großes Haus geführt und in unglücklichen Spekulationen viel Geld verloren hatte, seiner Familie doch noch ein sehr bedeutendes Vermögen hinterlassen konnte. Die beiden Vandevelde, geborene Holländer, waren durch die englische Freigebigkeit bewogen worden, zu uns überzusiedeln, und malten für den König und den hohen Adel einige der schönsten Seestücke, die es giebt. Ein andrer Holländer, Simon Varelst, malte herrliche Sonnenblumen und Tulpen zu Preisen, wie sie bis dahin noch nie bezahlt worden waren. Verrio, ein Neapolitaner, schmückte Decken und Treppenhäuser mit Gorgonen und Musen, mit Nymphen und Satyrn, mit Tugenden und Lastern, mit nektarschlürfenden Göttern und lorbeerbekränzten, im Triumph einherziehenden Fürsten. Das Einkommen, das ihm seine Arbeiten verschafften, III.93 setzte ihn in den Stand, eine der üppigsten Tafeln in England zu führen. Für seine Malereien in Windsor allein erhielt er siebentausend Pfund, eine Summe, welche damals hinreichte, einem Gentleman von bescheidenen Ansprüchen für seine Lebenszeit ein anständiges Auskommen zu sichern, eine Summe, welche Dryden während einer vierzigjährigen literarischen Laufbahn von den Buchhändlern noch bei weitem nicht erhalten hatte.166 Verrio’s erster Gehülfe und Nachfolger, Ludwig Laguerre, stammte aus Frankreich. Auch die zwei berühmtesten Bildhauer jener Zeit waren Ausländer. Cibber, dessen ergreifende Statuen der Raserei und der Melancholie noch jetzt eine Zierde von Bedlam sind, war ein Däne. Gibbons, dessen anmuthiger Phantasie und zartem Pinsel viele unserer Paläste, Collegien und Kirchen ihre schönsten inneren Ausschmückungen verdanken, war ein Holländer. Selbst die Zeichnungen für die Münze wurden von französischen Künstlern gefertigt. Erst unter der Regierung Georg’s II. konnte sich unser Vaterland eines großen Malers rühmen, und Georg III. saß auf dem Throne, bevor es Ursache hatte, auf einen seiner Bildhauer stolz zu sein.

Es ist Zeit, daß ich mit der Betreibung des England, das Karl II. regierte, zum Schluß eile. Ein Gegenstand von hoher Wichtigkeit ist jedoch noch nicht berührt worden. Ich habe noch nichts von der großen Masse des Volks gesagt, von Denen, die hinter dem Pfluge gingen, welche die Ochsen pflegten, an den Webstühlen von Norwich arbeiteten und die Portlandsteine für die St. Paulskirche herrichteten. Viel kann von ihnen auch nicht gesagt werden. Gerade über die zahlreichste Klasse haben wir die dürftigsten Nachrichten. Damals betrachteten es die Philantropen noch nicht für eine heilige Pflicht und die Demagogen erkannten es noch nicht als ein einträgliches Geschäft, sich über die Noth des Arbeiters ausführlich zu verbreiten. Die Geschichte war zu sehr von Höfen und Lagern in Anspruch genommen, als daß sie eine Zeile für die Hütte des Landmanns oder für die Dachstube des Handwerkers hätte erübrigen können. Die Presse liefert jetzt oft in einem Tage eine größere Menge von Erörterungen und Schilderungen der Lage des Arbeiters, als in den achtundzwanzig Jahren zwischen der Restauration und der Revolution veröffentlicht wurden. Man würde jedoch sehr irren, wollte man aus der Vermehrung der Klagen über diesen Gegenstand auf eine Zunahme des Elends schließen.

165. Walpole’s Anecdotes of Painting; London Gazette, Mai 31. 1683; North’s Life of Guildford.

166. Die hohen Preise, welche Varelst und Verrio bezahlt wurden, sind in Walpole’s Anecdotes of Painting erwähnt.

Lage des niederen Volks. Der wichtigste Maßstab für die Lage des gemeinen Volks ist die Höhe der Arbeitslöhne, und da im siebzehnten Jahrhundert vier Fünftel des gemeinen Volks beim Landbau beschäftigt war, so ist die Feststellung der Löhne bei der landwirthschaftlichen Industrie von ganz besonderer Wichtigkeit. Es stehen uns die Mittel zu Gebote, um in Bezug auf diesen Gegenstand zu Ergebnissen zu gelangen, die für unsren Zweck hinreichend genau sind.

Löhne der Feldarbeiter. Sir Wilhelm Petty, dessen bloße Aussage schon großes Gewicht hat, versichert uns, daß ein Feldarbeiter, der mit Kost vier Pence und ohne Kost acht Pence Tagelohn erhielt, sich III.94 noch nicht am schlechtesten stand. Vier Schillinge, war daher nach Petty’s Berechnung beim Landbau ein sehr guter Wochenlohn.167

Wir haben mehr als hinlängliche Beweise dafür, daß diese Berechnung nicht weit von der Wirklichkeit abweicht. Zu Anfang des Jahres 1685 setzten die Richter von Warwickshire kraft einer ihnen durch einen Erlaß der Königin Elisabeth ertheilten Vollmacht in ihrer Quartalsitzung eine Lohntaxe für die Grafschaft fest und bestimmten, daß jeder Arbeitgeber, der mehr als die festgesetzten Löhne bewilligte, sowie jeder Arbeiter, der mehr annähme, bestraft werden solle. Der Lohn des gemeinen Feldarbeiters wurde vom März bis zum September genau auf den von Petty angegebenen Betrag festgesetzt, nämlich auf vier Schillinge wöchentlich, ohne Kost. Vom September bis zum März sollte der Lohn nur drei Schillinge 6 Pence betragen.168

Die Löhne des Landmanns waren jedoch damals, wie auch jetzt, in den verschiedenen Theilen des Landes sehr verschieden. In Warwickshire betrugen sie wahrscheinlich ungefähr die Durchschnittssumme, in den Grafschaften zunächst der schottischen Grenze waren sie noch niedriger; allein es gab auch begünstigtere Districte. In dem nämlichen Jahre — 1685 — ließ ein Gentleman von Devonshire, Namens Richard Dunning, ein kleines Schriftchen erscheinen, in welchem er die Lage der Armen dieser Grafschaft beschrieb. Es kann nicht bezweifelt werden, daß er von seinem Gegenstande die genaueste Kenntniß hatte, denn schon nach wenigen Monaten erlebte die Schrift eine neue Auflage und wurde von den zur Quartalsitzung in Exeter versammelten Magistratsbeamten der Beachtung aller Gemeindevorstände dringend empfohlen. Nach ihm betrug der Wochenlohn des Feldarbeiters in Devonshire ungefähr fünf Schillinge ohne Kost.169

Noch besser standen sich die Arbeiter in der Umgegend von Bury St. Edmund’s. Die Magistratsbeamten von Suffolk versammelten sich dort im Frühjahr 1682, um eine Lohntaxe festzustellen, und sie beschlossen, daß der Arbeiter, wenn er nicht beköstigt würde, im Winter fünf und im Sommer sechs Schillinge wöchentlich erhalten sollte.170

Im Jahre 1661 hatten die Richter von Chelmsford den Wochenlohn des Arbeiters in Essex, wenn er nicht beköstigt wurde, auf sechs Schillinge im Winter und sieben im Sommer festgesetzt. Dies scheint der höchste Lohn zu sein, der zwischen der Restauration und der Revolution für Feldarbeit im Königreiche bewilligt wurde, und es ist hierbei noch zu bemerken, daß in dem Jahre, wo diese Bestimmungen getroffen wurden, die Lebensmittel unmäßig theuer waren. Der Quarter Weizen kostete siebenzig Schillinge, ein Preis, bei dem man selbst heutzutage von Hungersnoth sprechen würde.171

Diese Thatsachen stehen im vollkommensten Einklange mit einem anderen Factum, das Beachtung verdient. Es liegt auf der Hand, daß in einem Lande, wo Niemand zum Militairdienst gezwungen werden kann, III.95 die Reihen einer Armee sich nicht füllen werden, wenn die Regierung einen erheblich geringeren Sold bietet, als der Lohn eines gewöhnlichen Landarbeiters beträgt. Gegenwärtig beträgt die Löhnung eines Gemeinen, einschließlich des Biergeldes, bei der Linie sieben Schillinge und sieben Pence die Woche. Dieser Sold, verbunden mit der Aussicht auf eine Pension, zieht jedoch die englische Jugend nicht in hinreichender Zahl an, und man sieht sich genöthigt, den Ausfall durch ausgedehnte Werbungen unter der ärmeren Bevölkerung von Munster und Connaught zu decken. Im Jahre 1685 betrug die Löhnung des gemeinen Infanteristen nur vier Schillinge acht Pence die Woche, und dennoch ist es erwiesen, daß es der Regierung in jenem Jahre nicht schwer wurde, binnen sehr kurzer Zeit viele Tausend englische Rekruten zu erhalten. In der Armee der Republik hatte die Löhnung des gemeinen Fußsoldaten sieben Schillinge betragen, das heißt so viel, als unter Karl II. ein Korporal bekam,172 und dieser Sold erwies sich als hinreichend, um die Reihen des Heeres mit Männern zu füllen, welche entschieden über der großen Masse des Volks standen. Im Ganzen scheint man daher mit gutem Grunde annehmen zu können, daß unter der Regierung Karl’s II. der gewöhnliche Lohn des Bauern nicht über vier Schillinge die Woche betrug, daß aber in einigen Gegenden des Landes fünf Schillinge, sechs Schillinge, und während der Sommermonate selbst sieben Schillinge bezahlt wurden. Gegenwärtig würde der Zustand eines Districts, in welchem der Arbeitsmann nur sieben Schillinge wöchentlich verdiente, für höchst traurig gelten. Der durchschnittliche Lohn ist bedeutend höher, und in wohlhabenden Grafschaften steigt der Wochenlohn des ländlichen Arbeiters auf zwölf, vierzehn und sogar sechzehn Schillinge.

167. Petty’s Political Arithmetic.

168. Stat. 5. Eliz. c. 4. Archaeologia vol. XI.

169. Plain and easy Method showing how the Office of Overseer of the Poor may be managed, by Richard Dunning; 1st edition, 1685, 2d edition, 1686.

170. Cullum’s History of Hawsted.

171. Ruggles on The Poor.

172. Siehe in Thurloe’s State Papers das Memorandum der holländischen Deputirten, vom 2.(12.) August 1653.

Löhne der Fabrikarbeiter. Der Lohn der in den Fabriken beschäftigten Arbeiter ist stets höher gewesen, als der der landwirthschaftlichen Arbeiter. Im Jahre 1680 bemerkte ein Mitglied des Hauses der Gemeinen, daß es wegen der hohen Arbeitslöhne, die in unsrem Lande bezahlt würden, unseren Geweben unmöglich sei, mit den Erzeugnissen der indischen Webstühle zu concurriren. Anstatt wie ein Eingeborner von Bengalen für eine Kupfermünze zu arbeiten, verlange ein englischer Fabrikarbeiter täglich einen Schilling.173 Man hat noch andere Beweise dafür, daß der englische Fabrikarbeiter damals auf einen Tagelohn von einem Schilling Anspruch machen zu können glaubte, daß er aber oft gezwungen war, für einen geringeren Lohn zu arbeiten. Das gemeine Volk jener Zeit pflegte sich noch nicht zum Behuf öffentlicher Besprechungen zu versammeln, Reden zu halten oder beim Parlament zu petitioniren. Keine Zeitung vertrat seine Sache, nur in rohen Liedern sprach seine Liebe und sein Haß, seine Freude und sein Kummer sich aus. Einen großen Theil seiner Geschichte kann man nur aus seinen Balladen lernen. Eins der merkwürdigsten von den Volksliedern, welche zur Zeit Karl’s II. in den Straßen von Norwich und Leeds gesungen wurden, kann man noch heute auf dem ursprünglichen Druckbogen lesen. Es ist ein heftiger und bitterer Wehschrei der Arbeit gegen das Kapital, es schildert die guten alten Zeiten, III.96 als noch jeder Arbeiter in den Wollenmanufacturen so gut lebte wie ein Pächter. Aber diese Zeiten waren vorbei. Sechs Pence den Tag waren jetzt das Höchste, was bei angestrengter Arbeit am Webstuhle verdient werden konnte. Wenn die Armen sich beklagten, daß sie von so kargem Lohne nicht leben könnten, antwortete man ihnen, daß es ihnen freistehe, denselben anzunehmen oder nicht. Für so jämmerlichen Lohn mußten die Erzeuger des Reichthums vom frühen Morgen bis zum späten Abend arbeiten, während der Meister Tuchmacher unter Essen, Schlafen und Müßiggehen durch ihre Anstrengungen reich wurde. Ein Schilling den Tag, erklärt der Dichter, sei der Lohn, der dem Weber von Rechtswegen zukomme.174 Wir können daraus schließen, daß unter der der Revolution vorausgehenden Generation ein in der großen Hauptmanufactur Englands beschäftigter Arbeiter sich für gut bezahlt hielt, wenn er sechs Schillinge die Woche verdiente.

173. Der Redner war John Basset, Abgeordneter von Barnstaple. Siehe Smith’s Memoirs of Wool, chap. 68.

174. Diese Ballade befindet sich im Britischen Museum. Das Jahr ist nicht angegeben, aber das Imprimatur von Roger Lestrange bezeichnet das Datum hinreichend genau für meinen Zweck. Ich will einige Strophen hier anführen. Der Meister Tuchmacher wird folgendermaßen redend eingeführt:

In früheren Zeiten zahlten wir einen Lohn,

Daß der Arbeiter lebte wie des Pächters Sohn,

Doch mögen sie wissen, daß sich ändert die Zeit.

— — — — — — — — — —

Hart soll er arbeiten für sechs Pence den Tag,

Obwohl ihm ein Schilling zukommen mag.

Und murrt er und sagt, der Lohn sei zu klein,

So hat er die Wahl, ob ja oder nein.

So werden wir reich und pflegen uns gut

Von des Armen saurem Schweiß und Blut.

Das Tuchgeschäft hoch! Es geht ja ganz brav!

Doch wir denken nicht d’ran uns zu plagen wie ’n Sklav’.

Unser Arbeiter schwitzt, wir freu’n uns der Welt

Und gehen und kommen wie’s uns gefällt.

Arbeit der Kinder in den Fabriken. Es mag hier erwähnt werden, daß der Gebrauch, Kinder frühzeitig zur Arbeit zu verwenden, ein Gebrauch, den der Staat als rechtmäßiger Beschützer Derer, die sich selbst noch nicht beschützen können, in unsrer Zeit mit weiser Menschenfreundlichkeit verboten hat, im siebzehnten Jahrhundert in einer Ausdehnung herrschte, welche bei Vergleichung mit dem Umfange des Fabrikwesens kaum glaublich erscheint. In Norwich, dem Hauptsitze der Tuchmanufactur, wurde ein sechsjähriges Kind schon für arbeitsfähig gehalten. Verschiedene Schriftsteller jener Zeit, darunter manche, die für große Menschenfreunde galten, erwähnen rühmend, daß in dieser Stadt allein Knaben und Mädchen von zartem Alter einen Reichthum erzeugten, der das zu ihrem Lebensunterhalt Erforderliche um zwölftausend Pfund Sterling jährlich übersteige.175 Je sorgfältiger wir die Geschichte der Vergangenheit prüfen, um so mehr Grund finden wir, von der Meinung Derer abzuweichen, welche glauben, unsre Zeit sei fruchtbar an neuen socialen Übeln gewesen. Die Wahrheit ist, daß diese Übel, mit kaum einer Ausnahme, alt sind. Neu III.97 ist nur die Einsicht, welche dieselben erkennt, und die Humanität, die sie beseitigt.

175. Chamberlayne’s State of England; Petty’s Political Arithmetic, chap. VIII; Dunning’s Plain and Easy Method; Firmin’s Proposition for the Employing of the Poor. Es muß bemerkt werden, daß Firmin ein ausgezeichneter Philantrop war.

Löhne verschiedener Klassen von Handwerkern. Wenn wir von den Tuchwebern zu einer andren Klasse von Arbeitern übergehen, so werden unsere Untersuchungen zu den nämlichen Resultaten führen. Die Commissare des Greenwich-Hospitals zeichneten mehrere Generationen hindurch die Löhne auf, welche verschiedenen bei den Reparaturen des Gebäudes beschäftigten Handwerkern bezahlt wurden. Aus diesen werthvollen Aufzeichnungen ergiebt sich, daß im Laufe von hundertzwanzig Jahren der Tagelohn des Ziegeldeckers von einer halben Krone auf vier Schillinge zehn Pence, der des Maurers von einer halben Krone auf fünf Schillinge drei Pence, der des Zimmermanns von einer halben Krone auf fünf Schillinge fünf Pence, und der des Bleideckers von drei Schillingen auf fünf Schillinge sechs Pence gestiegen ist.

Daraus geht klar hervor, daß die Arbeitslöhne, nach dem Geldbetrage, im Jahre 1685 nur halb so hoch waren als gegenwärtig, und nur wenige für den Arbeiter wichtige Artikel waren 1685 nur halb so theuer als jetzt. Das Bier war allerdings damals viel wohlfeiler als jetzt. Auch das Fleisch war wohlfeiler, aber immer noch so theuer, daß Tausende von Familien kaum den Geschmack desselben kannten.176 Der Preis des Weizens hat sich wenig geändert. Während der zwölf letzten Regierungsjahre Karl’s II. war der Durchschnittspreis des Quarters funfzig Schillinge. Daher war ein Brod, wie es gegenwärtig die Bewohner eines Zuchthauses bekommen, damals selbst auf dem Tische eines Freisassen oder eines Ladenkrämers eine Seltenheit. Die große Mehrzahl der Nation lebte von Roggen, Gerste und Hafer.

Die Erzeugnisse der tropischen Gegenden, die Erzeugnisse des Bergbaues und die Erzeugnisse des Maschinenwesens waren unzweifelhaft theurer als gegenwärtig. Zu den Bedürfnissen, welche der Arbeiter 1685 theurer bezahlen mußte als seine Nachkommen im Jahre 1848, gehörten unter anderen Zucker, Salz, Kohlen, Lichter, Seife, Schuhe, Strümpfe und überhaupt alle Bekleidungsstücke und alles Bettzeug. Man darf hinzusetzen, daß die Kleider und Bettdecken in früherer Zeit nicht nur theurer, sondern auch weniger haltbar waren als die neueren Fabrikate.

176. King veranschlagt in seinen National and Political Conclusions das gemeine Volk Englands auf ungefähr achthundertachtzigtausend Familien. Nur die Hälfte von diesen Familien genoß seiner Aussage nach zweimal wöchentlich animalische Nahrung, die andre Hälfte gar keine, oder höchstens einmal die Woche.

Zahl der Armen. Man darf nicht vergessen, daß diejenigen Arbeiter, welche im Stande waren, sich und ihre Familien durch ihrer Hände Arbeit zu ernähren, nicht die bedürftigsten Mitglieder des Gemeinwesens waren. Unter ihnen stand noch eine zahlreiche Klasse, welche ohne fremde Unterstützung nicht leben konnte. Es wird kaum einen besseren Maßstab für die Lage des gemeinen Volks geben als das Verhältniß, in welchem die erwähnte Klasse zu der Einwohnerzahl steht. Aus den amtlichen Armenlisten geht hervor, daß gegenwärtig die Männer, Frauen und Kinder, welche Unterstützung erhalten, in schlechten Jahren ein Zehntel und in guten ein Dreizehntel der Bewohner Englands bilden. Gregor King schätzte sie zu seiner Zeit auf mehr als ein Fünftel; und diese Schätzung, die wir bei aller Achtung vor seiner Autorität kaum anders III.98 als übertrieben nennen können, wurde von Davenant für höchst verständig erklärt.

Wir sind nicht ganz ohne die Mittel, um selbst eine Schätzung zu machen. Die Armensteuer war unzweifelhaft die drückendste Abgabe, die zu jener Zeit auf unseren Vorfahren lastete. Sie wurde unter Karl II. auf nahe an siebenhunderttausend Pfund Sterling jährlich berechnet; das war weit mehr als der Ertrag der Accise und Zölle und nicht viel weniger als die Hälfte des Gesammteinkommens der Krone. Die Armensteuer nahm mit reißender Schnelligkeit zu und stieg in kurzer Zeit auf acht- bis neunhunderttausend Pfund, das heißt auf ein Sechstel ihres jetzigen Betrags. Die Einwohnerzahl war damals nur ein Drittel so stark als gegenwärtig. Das Minimum des Arbeitslohnes, in Gelde geschätzt, war die Hälfte von dem was es jetzt ist, und wir dürfen daher kaum annehmen, daß die einem Armen gewährte Unterstützung im Durchschnitt mehr als die Hälfte von dem betrug, was ihm gegenwärtig zu Theil wird. Daraus scheint zu folgen, daß damals ein größerer Theil des englischen Volks Gemeindeunterstützung erhielt als jetzt. Man muß gegen solche Schätzungen immer mißtrauisch sein, jedenfalls aber ist es noch durch nichts bewiesen worden, daß der Pauperismus während des letzten Viertels des siebzehnten Jahrhunderts eine minder drückende Last oder ein kleineres sociales Übel war als er es in unsrer Zeit ist.177

In einem Punkte muß man indessen zugestehen, daß der Fortschritt der Civilisation das physische Wohlsein eines Theils der ärmsten Klasse vermindert hat. Es ist schon erwähnt worden, daß viele tausend Quadratmeilen, die jetzt eingehegt und angebaut sind, damals Sumpf, Wald und Heide waren. Von diesem wilden Land war ein großer Theil rechtliches Gemeingut, und vieles von dem, was nicht Gemeingut war, hatte einen so geringen Werth, daß die Eigenthümer es factisch Gemeingut sein ließen. Auf solchen Landstrecken wurden unbefugte Ansiedler in einer jetzt nicht gekannten Ausdehnung geduldet. Der dort wohnende Landmann konnte sich mit wenig oder gar keinen Kosten zuweilen eine schmackhafte Zuspeise zu seiner harten Kost verschaffen und sich für den Winter mit Brennholz versorgen. Auf dem Platze, der gegenwärtig ein Obstgarten mit blühenden Äpfelbäumen ist, hielt er eine Heerde Gänse. Er fing wildes Geflügel auf dem Sumpfe, der jetzt schon längst ausgetrocknet und in Korn- und Rübenfelder abgetheilt ist. Er stach Torf unter den Ginsterbüschen auf dem Moore, der jetzt eine Wiese mit blühendem Klee ist, berühmt durch ihre Butter und ihrem Käse.

177. Vierzehnter Bericht der Armengesetz-Commission, Anhang B, Nr. 2, Anhang C, Nr. 1, 1848. Von den beiden oben erwähnten Schätzungen war die eine von Arthur Moore, die andre, einige Jahre später vorgenommene von Richard Dunning. Moore’s Schätzung findet man in Davenant’s Essay on Ways and Means, die Dunning’sche in Sir Friedrich Eden’s werthvollem Werke über die Armen. King und Davenant schätzen die Armen und Bettler im Jahre 1696 auf die unglaubliche Zahl von 1,330,000 bei einer Bevölkerung von 5½ Millionen. Im Jahre 1846 belief sich nach den amtlichen Listen die Zahl Derer, welche Unterstützung erhielten, nur auf 1,332,089 bei einer Bevölkerung von ungefähr 17 Millionen. Hierbei ist auch zu bemerken, daß in den amtlichen Listen ein Armer sehr leicht mehr als einmal gezählt wird. — Ich möchte dem Leser rathen, De Foe’s Flugschrift, betitelt: Giving Alms no Charity, zu lesen und die Listen von Greenwich in M’Culloch’s Commercial Dictionary unter dem Artikel Prices nachzusehen.

III.99

Welchen Nutzen die Fortschritte der Civilisation dem gemeinen Volke brachten. Die Fortschritte des Landbaues und die Zunahme der Bevölkerung mußten den Landmann dieser Vortheile nothwendig berauben; dafür aber läßt sich eine lange Liste anderer Vortheile anführen. Ein großer Theil der Segnungen, welche Civilisation und wissenschaftliche Bildung in ihrem Gefolge haben, kommt allen Ständen zu Gute und würde im Fall der Entziehung von dem Arbeiter eben so schmerzlich vermißt werden, als von dem Peer. Der Marktort, den der Bauer mit seinem Karren jetzt in einer Stunde erreichen kann, war vor hundertsechzig Jahren eine Tagereise weit entfernt. Die Straße, die dem Handwerker jetzt die ganze Nacht hindurch einen sicheren, bequemen und glänzend erleuchteten Spaziergang darbietet, war vor hundertsechzig Jahren nach Sonnenuntergang so dunkel, daß er die Hand nicht vor den Augen hätte sehen können, so schlecht gepflastert, daß er beständig in Gefahr geschwebt hätte, den Hals zu brechen, und so schlecht bewacht, daß er keinen Augenblick sicher gewesen wäre, überfallen und seines kleinen Verdienstes beraubt zu werden. Jeder Maurer, der von einem Gerüste herabfällt, jeder Gassenkehrer, der von einem Wagen überfahren wird, hat jetzt die Gewißheit, daß seine Wunden so zweckmäßig verbunden und seine Glieder so geschickt eingerichtet werden, wie es vor hundertsechzig Jahren ein vornehmer Lord wie Ormond, oder ein Handelsfürst wie Clayton für all’ seinen Reichthum nicht haben konnte. Manche schreckliche Krankheiten sind durch die Wissenschaft ausgerottet, manche andere durch polizeiliche Maßregeln beseitigt worden. Die Dauer des menschlichen Lebens hat sich im ganzen Königreiche und namentlich in den Städten verlängert. Das Jahr 1685 galt für kein ungesundes, und doch starb in diesem Jahre mehr als einer von dreiundzwanzig Bewohnern der Hauptstadt.178 Gegenwärtig stirbt erst von vierzig Einwohnern der Hauptstadt im Jahre einer. Der Unterschied in gesundheitlicher Beziehung zwischen dem London des neunzehnten und dem London des siebzehnten Jahrhunderts ist weit größer als der zwischen dem heutigen London in gewöhnlicher Zeit und zur Cholerazeit.

Noch wichtiger sind die Vortheile, welche allen Klassen der Gesellschaft, und namentlich den niederen durch den mildernden Einfluß der Civilisation auf den Nationalcharacter erwachsen sind. Der Grundzug desselben ist allerdings viele Menschenalter hindurch insofern der nämliche geblieben, als man überhaupt sagen kann, daß der allgemeine Character des Einzelnen, nachdem er ein gebildeter und verständiger Mann geworden, noch derselbe ist als zu der Zeit, da er ein unerfahrener und gedankenloser Schulknabe war. Es ist eine erfreuliche Erscheinung, daß der englische Volksgeist, während er gereift ist, sich zugleich auch gemildert hat und daß wir im Laufe der Zeit nicht nur ein weiseres, sondern auch ein sanfteres Volk geworden sind. Es giebt kaum ein Blatt der Geschichte oder der leichteren Literatur des siebzehnten Jahrhunderts, welches nicht einen Beleg dafür enthielte, daß unsere Vorfahren weniger human waren als ihre Nachkommen es sind. In den Werkstätten, in den Schulen und in den Familien herrschte eine ungleich strengere, obwohl keineswegs wirksamere Zucht als gegenwärtig. Dienstherren von guter Herkunft und III.100 Erziehung pflegten ihre Untergebenen zu schlagen; Lehrer und Erzieher kannten kein andres Mittel, um ihren Zöglingen Kenntnisse beizubringen, als Schläge, und Ehemänner ganz achtbaren Standes schämten sich nicht, ihre Gattinnen zu schlagen. Die Erbitterung feindlicher Parteien war so heftig, daß wir es kaum begreifen können. Whigs murrten darüber, daß man Stafford sterben ließ, ohne vorher seine Eingeweide vor seinen Augen zu verbrennen. Tories schmähten und insultirten Russell, als er vom Tower nach dem Richtplatze in Lincoln’s Inn Fields fuhr.179 Eben so wenig Mitleid zeigte der Pöbel gegen Verurtheilte niederen Standes. Ein Verbrecher, der an den Pranger gestellt wurde, konnte von Glück sagen, wenn er unter dem Hagel von Ziegel und Pflastersteinen mit dem Leben davon kam.180 Wenn er an den Karren angebunden wurde, um gestäupt zu werden, drängte sich der Haufe um ihn und ermahnte den Henker, ihm tüchtig aufzuzählen, damit er ordentlich heulte.181 Gentlemen unternahmen an Gerichtstagen Lustfahrten nach Bridgewell, um die unglücklichen Weiber auspeitschen zu sehen, welche dort Hanf brechen mußten.182 Ein Mann, der zu Tode gepreßt wurde, weil er sich weigerte, vor Gericht zu antworten, oder eine Frau, die wegen Falschmünzerei verbrannt wurde, erregten weniger Theilnahme als jetzt ein wundgeriebenes Pferd oder ein übermäßig angestrengter Ochse; Kämpfe, im Vergleich mit denen ein Boxerkampf ein edles und humanes Schauspiel ist, gehörten zu den Lieblingsbelustigungen eines großen Theiles der Bewohner. Massen von Zuschauern versammelten sich, um Gladiatoren einander mit tödtlichen Waffen in Stücke hauen zu sehen und brachen in Jubelgeschrei aus, wenn einer der Kämpfer einen Finger oder ein Auge verlor. Die Gefängnisse waren irdische Höllen, Herde aller nur denkbaren Laster und Krankheiten. Bei den Assisen brachten die abgezehrten und leichenhaft aussehenden Angeklagten aus ihren Kerkern einen Pestgestank mit in das Gerichtszimmer, der sie zuweilen an den Richtern, Anwälten und Geschwornen empfindlich rächte. Aber gegen all’ dieses Elend blieb die Gesellschaft vollkommen gleichgültig. Nirgends fand man die mitleidige, nie ruhende Theilnahme, welche in unsrer Zeit dem Kinde in den Fabriken, wie der Hinduwittwe und dem Negersklaven einen kräftigen Schutz gewährt, die die Mundvorräthe und Wasserfässer jedes Auswandererschiffes untersucht, der jeder Peitschenhieb auf den Rücken eines betrunkenen Soldaten weh thut, die es nicht dulden will, daß der Dieb auf den Gefangnenschiffen schlecht genährt oder übermäßig angestrengt wird und die sich wiederholt selbst für das Leben des Mörders verwendet hat. Allerdings muß, wie jedes andre Gefühl, das Mitleid unter der Oberherrschaft der Vernunft bleiben und es hat, wenn es sich von dieser Herrschaft lossagt, schon oft nachtheilige und selbst beklagenswerthe Folgen gehabt. Aber je genauer wir die Annalen der Vergangenheit studiren, um so freudiger werden wir erkennen, daß wir in einem Zeitalter des Erbarmens leben, in einem Zeitalter, in welchem jede Grausamkeit verabscheut und selbst wohlverdienter Schmerz nur mit Widerwillen und lediglich aus Pflichtgefühl zugefügt III.101 wird. Durch diese große sittliche Veränderung hat unzweifelhaft jede Klasse viel gewonnen, am meisten aber die ärmste, die abhängigste und wehrloseste Klasse.

178. Die Zahl der Todesfälle betrug 23,222. — Petty’s Political Arithmetic.

179. Burnet I. 560.

180. Muggleton’s Acts of The Witnesses of the Spirit.

181. Tom Browne schildert eine solche Scene in Worten, die ich nicht anzuführen wage.

182. Ward’s London Spy.

Täuschung, welche die Menschen verleitet, das Glück früherer Geschlechter zu überschätzen. Das Gesammtergebniß der dem Leser vorgeführten Thatsachen dürfte kaum zweifelhaft sein. Trotz der augenfälligsten Beweise aber werden sich noch immer Viele das England der Stuarts als ein glücklicheres Land vorstellen als das England ist, in dem wir leben. Es mag auf den ersten Blick sonderbar scheinen, daß eine Gesellschaft, die mit rastloser Eil vorwärts schreitet, dennoch beständig mit schmerzlicher Sehnsucht zurückblickt. Aber wie unvereinbar diese beiden Neigungen auch scheinen mögen, so lassen sie sich doch leicht auf gleichen Ursprung zurückführen. Beide entspringen aus unsrer Unzufriedenheit mit dem Zustande, in dem wir uns eben befinden, und diese Unzufriedenheit spornt uns an, vergangene Generationen zu überflügeln, verleitet uns aber zu gleicher Zeit auch, ihr Glück zu überschätzen. In gewissem Sinne ist es thöricht und undankbar von uns, daß wir beständig unzufrieden sind mit einem Zustande, der sich beständig bessert. Aber eben weil beständige Unzufriedenheit herrscht, findet beständige Besserung statt. Wenn wir mit der Gegenwart vollkommen zufrieden wären, würden wir aufhören zu sinnen, zu arbeiten und in Hinblick auf die Zukunft zu sparen. Da uns aber die Gegenwart nicht befriedigt, ist es auch natürlich, daß wir eine zu günstige Meinung von der Vergangenheit haben.

Wir sind in der That in einer Täuschung befangen, ähnlich der, welche den Reisenden in der arabischen Wüste irre führt. Unter den Füßen der Karawane ist Alles trocken und kahl, und vor und hinter ihr in weiter Ferne schimmern erquickende Wasserspiegel. Die Pilger eilen vorwärts und finden nichts als Sand, wo sie vor einer Stunde einen See gesehen hatten. Sie wenden sich um und erblicken einen See da, wo sie vor einer Stunde durch den Sand wateten. Eine ähnliche Täuschung scheint die Nationen durch alle Stadien der langen Reise aus Armuth und Barbarei zu den höchsten Stufen des Wohlstandes und der Civilisation zu begleiten. Verfolgen wir aber das Trugbild entschlossen nach rückwärts, so werden wir es bis in die Regionen des sagenhaften Alterthums zurückweichen sehen. Man pflegt jetzt das goldene Zeitalter Englands in eine Zeit zu versetzen, wo der vornehmste Mann Bequemlichkeiten entbehrte, deren Mangel einem modernen Lakaien unerträglich sein würde, wo der Landwirth und Krämer zum Frühstück ein Brod aßen, dessen bloßer Anblick in einem Arbeitshause der Neuzeit eine Meuterei hervorrufen würde, wo die Menschen in der reinsten Landluft früher starben, als jetzt in den verpestetsten Gäßchen unserer Städte, und wo sie in den Gäßchen der Städte früher starben als jetzt auf der Küste von Guiana. Auch wir werden einst übertroffen, auch wir werden einst beneidet werden. Es kann wohl kommen, daß im zwanzigsten Jahrhundert der Landmann von Dorsetshire sich mit fünfzehn Schillingen die Woche für schlecht bezahlt hält, daß der Zimmermann in Greenwich zehn Schillinge den Tag verdient, daß der Arbeiter eben so wenig gewohnt ist, zu Mittag das Fleisch zu entbehren, als er jetzt gewohnt ist, Roggenbrod zu essen, daß Gesundheitspolizei und arzneiwissenschaftliche Entdeckungen die durchschnittliche Dauer des menschlichen Lebens noch um mehrere Jahre verlängern, daß zahlreiche Annehmlichkeiten und Genüsse, die jetzt unbekannt III.102 oder doch nur Wenigen zugänglich sind, jedem fleißigen und strebsamen Arbeiter erreichbar werden. Und doch wird man auch dann vielleicht sagen, daß die Zunahme des Wohlstandes und die Fortschritte der Wissenschaft nur der Minderheit auf Kosten der Mehrheit zu Gute gekommen seien, und wird von der Regierung der Königin Victoria sprechen als von einer Zeit, da England wirklich das glückliche England war, wo das Band brüderlicher Sympathie alle Klassen umschlang, wo der Anblick des Reichen das Auge des Armen nicht verletzte und der Arme den Glanz des Reichen nicht beneidete.

 
IV.1
Viertes Kapitel.

Jakob II.


IV.3

Inhalt.


Seite
[3. Kapitel]

Tod Karl’s II.

5
Verdacht der Vergiftung 13

Rede Jakob’s II. an den Geheimen Rath

14
Ausrufung Jakob’s 15
Stand des Ministeriums 16
Neue Anordnungen 17
Sir Georg Jeffreys 18

Erhebung der Kroneinnahmen ohne Parlamentsacte

22
Einberufung eines Parlaments 23

Verhandlungen zwischen Jakob und dem König von Frankreich

23

Churchill als Gesandter nach Frankreich geschickt

25
Seine Geschichte 25

Stimmung der Regierungen des Continents in Bezug auf England

27
Innerer Kampf Jakob’s II. 31
Schwankungen seiner Politik 31

Öffentliche Ausübung des katholischen Ritus in Jakob’s Palast

33
Jakob’s Krönung 34

Enthusiastische Adresse der Tories

36
Die Wahlen 37
Prozeß gegen Oates 41
IV.4 Prozeß gegen Dangerfield 44
Prozeß gegen Baxter 45

Zusammentritt des schottischen Parlaments

48

Gesinnungen Jakob’s gegen die Puritaner

49

Grausame Behandlung der schottischen Covenanters

50
Stimmung Jakob’s gegen die Quäker 53
Wilhelm Penn 55

Besondere Bevorzugung der Katholiken und Quäker

57

Zusammenkunft des englischen Parlaments

59
Trevor zum Sprecher gewählt 59
Seymour’s Character 59
Rede des Königs an das Parlament 60

Debatte bei den Gemeinen. — Rede Seymour’s

61
Bewilligung des Einkommens 62

Verhandlungen der Gemeinen hinsichtlich der Religion

62

Bewilligung nachträglicher Steuern

63
Sir Dudley North 63
Verhandlungen der Lords 64

Bill zur Aufhebung der Verurtheilung Stafford’s

65
IV.5

Tod Karl’s II. Der Tod Karl’s II. war der Nation überraschend. Er besaß eine kräftige Constitution und schien nicht durch Ausschweifungen gelitten zu haben. Bei seinen Vergnügungen ließ er nie die Rücksicht auf die Gesundheit aus den Augen, und seine Gewohnheiten berechtigten zur Erwartung eines langen Lebens und rüstigen Greisenalters. Wie träge er auch immer da erschien, wo Anstrengung des Geistes nöthig war, in körperlichen Übungen war er lebhaft und ausdauernd. Er war in seiner Jugend ein rühmlich bekannter Ballspieler gewesen,1 und noch im höheren Lebensalter ein unermüdlicher Fußgänger von so außergewöhnlichem Schritt, daß Diejenigen, denen die Ehre seines Umgangs zu Theil wurde, Mühe hatten, mit ihm fortzukommen. Er verließ sehr zeitig das Bett und bewegte sich regelmäßig drei bis vier Stunden in der freien Luft. Ehe noch der Thau von dem Grase des St. James-Parks verschwunden war, sah man ihn schon unter den Bäumen lustwandeln und mit seinen Wachtelhunden spielen, oder den Enten Korn vorwerfen, und diese Beschäftigungen machten ihn beim gemeinen Volke sehr beliebt, welches immer die Mächtigen gern bei ihren zwanglosen Erholungen beobachtet.2

Endlich — es war gegen den Schluß des Jahres 1684 — traf ihn ein leichter Anfall, wie man glaubte, von Gicht, wodurch es ihm unmöglich wurde, seine gewöhnlichen Ausflüge vorzunehmen und er die Morgenstunden in seinem Laboratorium zubrachte, beschäftigt mit Experimenten über die Natur des Quecksilbers. Auf seine Gemüthsstimmung schien dieses Abgeschlossensein eine ungünstige Wirkung zu äußern. Es bestand keine gerechtfertigte Ursache zur Unruhe, das Königreich war beruhigt, es drückte ihn kein Geldmangel, seine Macht war bedeutender als jemals, die Partei, welche ihm so oft im Wege stand, war vernichtet, aber die Fröhlichkeit, welche ihn auch bei dem traurigsten Geschick nicht gänzlich verlassen, war in dieser Zeit des Glücks von ihm gewichen. Ein unbedeutendes Ereigniß vermochte jetzt die elastischen Lebensgeister niederzuhalten, welche gegen Niederlage, Verbannung und Dürftigkeit angestrebt hatten. Seine Reizbarkeit verrieth sich oft durch Mienen und Äußerungen, wie man sie von einem durch heitere Laune und seine Bildung bekannten Manne kaum erwarten konnte, man hatte jedoch keine Ahnung, daß seine Gesundheit ernstlich angegriffen sei.3

IV.6

Selten hatte sein Palast einen lustigeren oder auch unanständigeren Anblick geboten, als am Sonntag Abend den 1. Februar 1685.4 Einige würdige Personen, welche nach der Sitte jener Zeit nach Hofe gingen, um dem Souverain ihre Ehrfurcht zu beweisen, und an diesem Tage daselbst ein anständiges Aussehen erwarteten, wurden von Erstaunen und Abscheu erfüllt. Die große Halle von Whitehall, ein herrlicher Überrest der Pracht der Tudors, war gedrängt voller Schwelger und Spieler. Darunter saß der König, plaudernd und scherzend mit drei Frauen, deren Reize der Stolz und deren Verdorbenheit die Schande dreier Nationen waren. Es war dabei Barbara Palmer, Herzogin von Cleveland, zwar nicht mehr jung, aber noch jetzt mit Spuren jener wunderbaren, üppigen Reize begabt, welche vor zwanzig Jahren ihr die Herzen aller Männer gewannen; dann die Herzogin von Portsmouth, deren sanfte, feine Züge von französischer Lebhaftigkeit überflogen waren. Hortensia Manzini, Herzogin von Mazarin und Nichte des berühmten Cardinals schloß die Gruppe. Man hatte sie in früher Jugend aus ihrem Geburtslande Italien nach dem Hofe gebracht, wo ihr Oheim herrschte. Die Macht desselben und ihre Reize hatte eine Menge vornehmer Freier um sie gesammelt, und Karl selbst hatte während seines Exils ohne Erfolg um ihre Hand geworben. Keine Gabe der Natur und des Glücks schien ihr versagt zu sein. Ihr Antlitz zeigte die vollendete Schönheit des Südens, ihr Verstand war lebhaft, ihr Benehmen liebenswürdig, ihr Stand hocherhaben und ihre Besitzungen von ungeheurer Größe; aber ihre wilden Leidenschaften hatten all diesen Segen in Fluch verwandelt. Sie hatte die Beschwerden einer unglücklichen Ehe unerträglich gefunden, war dem Gemahl entflohen, hatte ihre Reichthümer im Stiche gelassen, und nachdem sie Rom und Piemont durch ihre Abenteuer in Verwunderung gesetzt, ihren Aufenthalt in England genommen. Ihr Haus war der Lieblingsaufenthalt von witzigen und lebenslustigen Männern, welche um ihres Lächelns und ihrer Tafel willen oftmalige Ausbrüche von Übermuth und Launenhaftigkeit sich gefallen ließen. Rochester und Godolphin erholten sich oft in ihrer Gesellschaft von den Sorgen der Regierung, Barillon und St. Evremond trösteten sich durch den Umgang mit ihr über die lange Verbannung von Paris; Vossius’ Gelehrsamkeit und Waller’s Geistesreichthum waren eifrig bemüht ihr zu schmeicheln und Unterhaltung zu verschaffen; aber ihr krankes Gemüth verlangte kräftigere Aufregungsmittel. Sie suchte dieselben in Liebschaften, Basset und irländischem Gewürzbranntwein.5 Während Karl mit seinen drei Sultaninnen scherzte, trällerte Hortensia’s französischer Page, ein hübscher Knabe, dessen Gesangsleistungen ganz Whitehall bezauberten und durch häufige Geschenke von schönen Kleidern, kleinen Pferden und Guineen belohnt wurden, verliebte Lieder.6 Um eine große Tafel saßen eine Anzahl von zwanzig Hofherren vor mächtigen Goldhaufen und spielten Karten.7 Schon damals beklagte sich der König über ein leichtes Unwohlsein, er hatte keinen IV.7 Appetit zum Abendessen und eine ruhelose Nacht, stand aber am nächsten Morgen nach seiner Gewohnheit frühzeitig auf.

Auf diesen Morgen hatten die streitenden Factionen des Geheimen Rathes seit mehreren Tagen mit ängstlicher Erwartung hingeblickt. Der Kampf zwischen Halifax und Rochester schien sich einem entscheidenden Wendepunkte zu nähern. Halifax, nicht zufrieden, seinen Nebenbuhler bereits vom Schatzamte verdrängt zu haben, war entschlossen, den Beweis zu führen, daß derselbe sich einer solchen Unredlichkeit oder Nachlässigkeit in der Finanzverwaltung schuldig gemacht, welche nothwendig mit Entfernung aus dem Staatsdienste geahndet werden müsse. Man flüsterte sich sogar zu, der Lord Präsident würde vermuthlich in den Tower gebracht werden. Der König hatte eine Untersuchung dieser Sache versprochen, und der zweite Februar war dazu bestimmt; mehrere Finanzbeamte sollten sich mit ihren Büchern an diesem Tage einfinden8 — aber das Schicksal hatte es anders beschlossen. —

Kaum hatte Karl sein Lager verlassen, als die aufwartenden Personen bemerkten, daß seine Aussprache undeutlich und seine Gedanken verwirrt und unstät zu sein schienen. Mehrere hochgestellte Männer hatten sich, wie es üblich war, eingefunden, um ihren Herrn rasiren und ankleiden zu sehen. Er machte eine Anstrengung, mit ihnen in seiner gewöhnlichen heiteren Manier sich zu unterhalten, aber sein verstörtes Aussehen bestürzte und ängstigte sie. Bald darauf wurde sein Antlitz schwarz, er verdrehte die Augen, schrie laut auf, taumelte und sank in die Arme des Thomas Lord Bruce, Sohnes des Earls von Ailesbury. Zufällig war der Arzt in der Nähe, dem die Sorge für des Königs Schmelztiegel und Retorten oblag, dieser öffnete in Ermangelung einer Lanzette mit dem Federmesser eine Ader, das Blut floß ungehindert, aber der König war noch immer ohne Bewußtsein.

Man brachte ihn auf sein Bett, wo sich die Herzogin von Portsmouth eine Zeit lang mit der Vertraulichkeit einer Gattin über ihn hinneigte. Aber schon war Lärm geworden. Die Königin und die Herzogin von York eilten herbei und nöthigten die begünstigte Favorite, sich in ihre Zimmer zurückzuziehen. Diese Gemächer waren von ihrem Geliebten zu Befriedigung ihrer Launen dreimal niedergerissen und dreimal wieder aufgebaut worden. Selbst das Geräth des Kamins war aus massivem Silber gearbeitet. Verschiedene prachtvolle Gemälde, eigentlich der Königin gehörig, waren in die Zimmer der Maitresse gebracht worden. Die Seitentische waren mit dem kostbarsten Silbergeräth bedeckt. In den Nischen standen Kästchen, welche Meisterwerke japanischer Geschicklichkeit waren. Auf den Vorhängen, welche eben von den Pariser Webstühlen kamen, befanden sich in Farben, welche keine englische Kunst nachzuahmen verstand, Vögel mit dem prachtvollsten Gefieder, Landschaften, Jagdbilder, die wunderschöne Terrasse von Saint-Germain, die Statuen und Fontainen von Versailles dargestellt.9 Und mitten in dieser durch Schuld und Schmach erworbenen Pracht gab das unglückliche Weib sich dem tiefsten Kummer hin, welcher, um gerecht zu sein, nicht ganz selbstsüchtig war.

IV.8

Jetzt wurden die Pforten von Whitehall, welche in der Regel allen Kommenden offen standen, geschlossen. Nur bekannten Personen wurde der Eintritt bewilligt. Die Vorzimmer und Gallerien waren bald darauf überfüllt, und selbst im Krankenzimmer drängten sich Pairs, Geheime Räthe und fremde Gesandte. Alle Ärzte von Ruf in London wurden herbeigeholt. Man kann sich einen Begriff von der politischen Erbitterung machen, wenn man erfährt, daß die Anwesenheit einiger whiggistisch gesinnter Ärzte als ein höchst auffallender Umstand betrachtet wurde.10 Ein damals durch seine Geschicklichkeit sehr berühmter katholischer Arzt, Doctor Thomas Short, war zugegen. Verschiedene von den verordneten Recepten sind auf unsere Zeit gekommen, eines davon ist von vierzehn Ärzten unterzeichnet. Man ließ dem Patienten reichlich zur Ader, brachte glühendes Eisen an seinen Kopf und füllte ihm ein ekelhaftes, flüchtiges Salz ein, welches aus Menschenschädeln präparirt war. Die Besinnung kehrte zurück, aber der Zustand des Kranken war offenbar ein äußerst gefährlicher.

Eine Zeit lang pflegte ihn die Königin unverdrossen, und der Herzog von York wich kaum einen Augenblick vom Bette seines Bruders. Der Primas und vier andere Bischöfe, welche damals in London waren, blieben den ganzen Tag in Whitehall und wachten abwechselnd während der Nacht in dem Zimmer des Königs. Die Kunde von seiner Krankheit erregte in der Hauptstadt Angst und Sorge, denn sein freundliches Gemüth und leutseliges Wesen hatten ihn bei der Mehrzahl des Volkes beliebt gemacht, und Diejenigen, welche nicht eben günstig für ihn gesinnt waren, zogen doch seinen charakterlosen Leichtsinn der strengen und finstren Bigotterie seines Bruders vor.

Am Morgen des Donnerstag, den 5. Februar, machte die Londoner Gazette bekannt, daß das Befinden Sr. Majestät sich zusehends bessere und die Ärzte die Gefahr für beseitigt hielten. Fröhliches Glockengeläute ertönte von den Thürmen und in den Straßen wurden Vorbereitungen zu einer Erleuchtung getroffen; jedoch am Abend verbreitete sich die Nachricht, daß ein Rückfall stattgefunden habe und von den Ärzten alle Hoffnung aufgegeben worden sei. Alles war in heftiger Aufregung, doch zeigte sich nirgends Neigung zu Aufruhr. Der Herzog von York, welcher es schon übernommen hatte, Befehle zu ertheilen, erkannte durch eigene Anschauung, daß die Stadt vollkommen ruhig sei und daß er ohne Mühe zum König ausgerufen werden könne, sobald sein Bruder die Augen schloß.

Der König fühlte große Schmerzen und klagte darüber, daß er die Empfindung habe, als ob Feuer in seinem Innern brenne, ertrug jedoch seine Leiden mit einer Ergebung, welche seiner weichlichen, üppigen Gemüthsart nicht angemessen schien. Die Königin war vom Anblick seines trostlosen Zustandes so tief erschüttert, daß sie ohnmächtig wurde und man sie besinnungslos nach ihren Zimmern bringen mußte. Die anwesenden Prälaten hatten schon anfangs ihn ermahnt, an den Tod zu denken, jetzt hielten sie es für ihre Pflicht, ihn noch dringlicher daran zu mahnen. Der Erzbischof von Canterbury, Wilhelm Sancroft, ein redlicher, frommer, wenn auch etwas beschränkter Mann, sprach ohne alle Rücksichten. „Es ist jetzt Zeit, offenherzig zu sein,“ sagte er, „denn Sie sind im Begriff, Sire, IV.9 vor einen Richter zu treten, bei dem kein Ansehen der Person gilt.“ Der König erwiderte kein Wort.

Jetzt begann Thomas Ken, Bischof von Bath und Wells, seine Überredungskunst zu versuchen. Er war ein talentvoller, gelehrter Mann, von feinem Tact und begründeter Tugend. Seine größeren Werke sind längst vergessen, aber seine Morgen- und Abendhymnen werden noch täglich in Tausenden von Wohnungen wiederholt. Obgleich er wie fast alle seine Standesgenossen, vollkommen monarchisch gesinnt war, hatte er sich doch nie als Schmeichler gezeigt, und bevor er Bischof wurde, seine geistliche Würde dadurch gewahrt, daß er bei Anwesenheit des Hofes zu Winchester sich weigerte, Eleonore Gwynn in dem Hause, welches er damals als Priester innehatte, Wohnung zu geben.11 Der König war vernünftig genug, einen so kräftigen Geist zu achten, unter allen Prälaten war er Ken am meisten zugethan, trotzdem aber blieb die eifrige Beredtsamkeit des guten Bischofs ohne den gewünschten Erfolg. Seine feierliche und ergreifende Rede rief unter den Umstehenden eine so hohe Ehrfurcht und Zerknirschung hervor, daß einige derselben glaubten, derselbe Geist sei über ihn gekommen, welcher durch den Mund des Nathan und Elias sündige Fürsten zur Buße ermahnte. Karl jedoch blieb ungerührt. Er duldete zwar, daß ihm das Gebet von der Heimsuchung der Kranken vorgelesen wurde, und erwiderte auf die dringenden Fragen der Geistlichen, daß er seine Sünden bereue, gestattete auch, daß die Absolution nach dem Ritus der englischen Kirche über ihn gesprochen wurde; als man ihn aber aufforderte, laut zu erklären, daß er im Schooße dieser Kirche sterben wolle, schien er diese Worte nicht zu verstehen, und nichts konnte ihn dahin bringen, das Abendmahl aus der Hand der Bischöfe zu empfangen. Man brachte einen Tisch mit Brod und Wein an sein Lager; es war aber Alles vergeblich. Einmal sagte er, es habe keine Eile, und dann, er sei zu schwach.

Viele hielten diese Gleichgültigkeit für eine Verachtung göttlicher Dinge, Andere für Stumpfsinn, welcher bisweilen dem Tode vorausgeht. Es befanden sich jedoch im Palaste einige Personen, welche den Grund besser kannten. Karl war niemals ein aufrichtiger Bekenner der Staatskirche gewesen, er hatte lange zwischen Hobbismus und Papismus geschwankt. Bei gesundem Körper und frohem Lebensmuthe war er Spötter, und in den wenigen ernsten Augenblicken seines Lebens Katholik. Der Herzog von York wußte das, er war jedoch mit der Sorge für seine eigenen Angelegenheiten zu sehr beschäftigt. Er hatte befohlen, die Häfen zu schließen und Detachements der Garden auf verschiedenen Punkten der Stadt aufzustellen. Ebenso war es ihm gelungen, die mit zitternder Hand geführte Unterschrift des sterbenden Königs unter ein Dokument zu erhalten, wodurch einige, nur bis zum Thronwechsel bewilligte Zölle auf fernere drei Jahre verpachtet wurden. Diese Angelegenheiten beschäftigten Jakob so ausschließlich, daß er, der sonst keine Gelegenheit vorüberließ, durch unzeitigen und rücksichtslosen Eifer seiner Kirche Proselyten zu gewinnen, jetzt nicht daran dachte, daß sein Bruder Gefahr laufe, ohne die letzten Sakramente aus der Welt zu scheiden. Diese Saumseligkeit war um so unbegreiflicher, da die Herzogin von York auf die Bitte der Königin IV.10 an dem Morgen, wo der König erkrankte, darauf aufmerksam gemacht hatte, wie nothwendig es sein möchte, für geistliche Beihülfe Sorge zu tragen. Diesen Beistand empfing Karl durch eine ganz andre Vermittelung, als die seiner frommen Gemahlin und Schwägerin. Ein lasterhaftes und frivoles Leben hatte in der Herzogin von Portsmouth noch nicht alles religiöse Gefühl und alle jene Güte erstickt, welche der Ruhm des weiblichen Geschlechts ist. Der französische Gesandte, Barillon, welcher nach dem Palaste gekommen war, um sich nach dem Zustande des Königs zu erkundigen, stattete ihr einen Besuch ab und fand sie in Kummer und Verzweiflung. Sie bat ihn, ihr in ein geheimes Zimmer zu folgen, und sprach sich ohne Rückhalt aus. „Ich muß Ihnen — sagte sie — eine Sache von großer Wichtigkeit mittheilen, würde sie bekannt, so könnte mein Leben in Gefahr kommen. Der König ist ganz gewiß katholisch, aber er wird sterben, ohne mit der Kirche Frieden geschlossen zu haben. Des Königs Zimmer ist mit protestantischen Geistlichen angefüllt, ich darf nicht hineingehen ohne Anstoß zu geben und der Herzog denkt nur an sich. Sprechen Sie mit ihm, erinnern Sie ihn, daß es eine Seele gilt, er ist jetzt der Gebieter, auf seinen Befehl wird man das Zimmer räumen. Gehen Sie diesen Augenblick, oder es wird zu spät sein!“ Barillon ging nach dem Krankenzimmer, trat mit dem Herzog bei Seite und entdeckte ihm die Mittheilung der Favorite. Da erwachte Jakob’s Gewissen, er fuhr, wie aus dem Schlafe geweckt, heftig empor und versicherte, daß er ohne jede Rücksicht die heilige Pflicht erfüllen werde, welche schon zu lange verabsäumt worden sei. Mehre Pläne wurden hin und her überlegt, zuletzt befahl der Herzog den Umstehenden, auf die Seite zu treten, ging an das Bette, neigte sich herab und flüsterte einige Worte, welche Niemand im Zimmer hören konnte, die man aber für eine Frage in Bezug auf Staatsangelegenheiten hielt. Karl entgegnete mit munterer Stimme: „Ja, ja, von ganzem Herzen!“ Keiner der Anwesenden, mit Ausnahme des französischen Gesandten, hatte eine Ahnung, daß der König mit diesen Worten den Entschluß aussprach, sich in die Arme der katholischen Kirche zu werfen.

„Soll ich einen Priester bringen?“ fragte der Herzog. „Thue es, mein Bruder,“ entgegnete der kranke Mann, „um Gottes Willen thue es und verliere keine Zeit. Aber nein, es wird dir viele Mühe machen.“

„Und sollte es mein Leben kosten,“ rief der Herzog, „ich schaffe einen Priester!“

Es war aber keine leichte Aufgabe, in diesem Augenblicke einen Priester zu solchem Zweck aufzufinden, denn nach damaligem Gesetz war Derjenige, welcher einen Proselyten in die katholische Kirche aufnahm, ein schwerer Verbrecher. Graf Castel Melhor, ein portugiesischer Edelmann, der aus politischen Gründen seine Heimath verlassen mußte und am englischen Hofe ein Asyl gefunden hatte, unternahm es, einen Beichtvater aufzusuchen. Er wandte sich an seine Landsleute, welche dem Hofstaate der Königin angehörten, aber es zeigte sich, daß keiner ihrer Kapläne der englischen oder französischen Sprache mächtig genug war, um das Amt eines Beichtigers beim Könige zu versehen. Der Herzog und Barillon waren schon im Begriff, den venetianischen Gesandten um seinen Geistlichen zu bitten, als sie erfuhren, daß ein Benediktinermönch, mit Namen John Huddleston, zufällig in Whitehall anwesend sei. Derselbe hatte mit großer Lebensgefahr dem König nach der Schlacht bei Worcester das Leben gerettet und war IV.11 aus diesem Grunde seit der Restauration stets eine bevorzugte Person gewesen. In den strengsten Verordnungen gegen katholische Priester, und als falsche Zeugen das Volk zur Wuth entflammten, war Huddleston stets namentlich ausgenommen worden.12 Er war gern erbötig, sein Leben ein zweites Mal für seinen König preiszugeben, aber es war noch immer eine große Klippe im Wege. Der gute Mönch war nämlich so unwissend, daß er keinen Begriff davon hatte, was er bei einer so wichtigen Veranlassung sagen müsse. Durch Vermittelung Castel Melhor’s empfing er von einem portugiesischen Priester verschiedene Andeutungen und wurde, so instruirt, von Chiffinch eine geheime Treppe hinaufgeführt. Dieser war ein vertrauter Diener, welcher, nach den Satiren jener Zeit zu urtheilen, oft Besuche ganz andrer Art auf diesem Wege eingeführt hatte. Der Herzog gebot jetzt im Namen des Königs allen Anwesenden, mit Ausnahme von Ludwig Duras, Earl von Feversham, und Johann Granville, Earl von Bath, sich aus dem Gemache zu entfernen. Beide Lords waren zwar Protestanten, aber Jakob wußte, daß er auf ihre Ergebenheit sich verlassen konnte. Feversham, ein Franzose von hoher Geburt und Neffe des großen Turenne, bekleidete einen hohen Posten in der englischen Armee und war dabei Kammerherr der Königin; Bath versah das Amt eines Garderobeinspectors.

Dem Befehle des Herzogs wurde Folge geleistet, und selbst die Ärzte zogen sich zurück, worauf Pater Huddleston durch die Hinterthür eintrat. Über sein Priesterornat hatte er einen Mantel geworfen, und über der Tonsur trug er eine lockige Perrücke. „Sire“, sagte der Herzog, „dieser brave Mann rettete einst Ihr Leben, er kommt jetzt, Ihre Seele zu retten“. „Er ist willkommen“, entgegnete Karl mit leiser Stimme. Huddleston erfüllte seine Aufgabe über alte Erwartung. Er warf sich neben dem Bett auf die Knie, nahm die Beichte ab, gab die Absolution und ertheilte die letzte Ölung. Er fragte, ob der König das heilige Abendmahl zu empfangen wünsche? „Das will ich“, entgegnete Karl, „wenn ich dessen nicht unwürdig bin!“ Man brachte die Hostie, und der König machte eine mühsame Anstrengung, sich vor ihr zu erheben und niederzuknieen, der Priester aber gebot ihm, ruhig liegen zu bleiben, indem Gott die Demüthigung des Geistes, nicht aber des Körpers verlange. Es kostete dem König so große Mühe, die Hostie zu verschlucken, daß man die Thür öffnen und ein Glas Wasser herbeischaffen lassen mußte. Nach Beendigung dieser Feierlichkeit erhob der Mönch vor dem Bußfertigen das heilige Kreuz, ermahnte ihn, seine letzten Gedanken auf die Leiden des Heilands zu richten, und verließ das Sterbezimmer. Der ganze Act hatte etwa dreiviertel Stunden gedauert, und während dieser Zeit hatten die in den Vorzimmern befindlichen Höflinge durch Flüstern und bezeichnende Winke einander ihren Verdacht mitgetheilt. Endlich wurde die Thür geöffnet, und die Menge trat wiederum in das Zimmer des Sterbenden.

Es war jetzt spät am Abend und der König schien durch das eben Geschehene sehr erleichtert zu sein. Man führte seine natürlichen Kinder an das Bett: die Herzöge von Grafton, Southampton und Northumberland, IV.12 Söhne der Herzogin von Cleveland, den Herzog von St. Albans Sohn der Eleonore Gwynn, und den Herzog von Richmond, Sohn der Herzogin von Portsmouth. Karl gab Allen seinen Segen, behandelte aber mit besonderer Zärtlichkeit den Herzog von Richmond. Aber ein Gesicht fehlte, das hierher gehörte, das älteste und geliebteste Kind war in der Verbannung und streifte heimathlos umher. Sein Name kam nicht ein einziges Mal über des Vaters Lippen!

Während der Nacht empfahl Karl die Herzogin von Portsmouth und ihren Sohn der Fürsorge Jakob’s; „und laß auch das arme Lorchen keine Noth leiden“, fügte er gutmüthig hinzu. Die Königin ließ sich durch Halifax wegen ihrer Abwesenheit entschuldigen, indem sie vorgab, so tief ergriffen zu sein, daß sie sich außer Stande fühle, ihre Stelle am Sterbelager wieder einzunehmen. Sie ließ um Verzeihung bitten für alles Unrecht, das sie ihm unwissentlich angethan haben könnte. „Sie bittet um meine Verzeihung, das arme Weib!“ sagte Karl; „ich bitte um die ihrige mit aufrichtigem Herzen!“

Die Morgensonne fiel durch die Fenster von Whitehall herein und Karl bat die Diener, die Vorhänge zurückzuschlagen, damit er noch einmal den Tag sehen könne. Er machte darauf aufmerksam, daß es an der Zeit sei, eine Uhr aufzuziehen, welche nicht weit von seinem Bett sich befand. Diese unerheblichen Umstände blieben lange im Gedächtniß, weil sie den klaren Beweis lieferten, daß zur Zeit, wo er sich für den Katholicismus erklärte, der König im völligen Besitz seiner Geisteskräfte gewesen war. Er bat alle Diejenigen, welche sein Lager umstanden, während der Nacht um Verzeihung, daß er ihnen so viele Unruhe mache. Er liege eine ganz unverantwortlich lange Zeit im Sterben, sagte er, aber er hoffe, sie würden das entschuldigen. Dies war das letzte Aufblitzen jener unverwüstlichen Heiterkeit, durch deren Macht er so oft den gerechten Zorn seines entrüsteten Volkes hinwegzuzaubern vermocht hatte. Bald nach der Morgendämmerung verlor der Sterbende die Sprache, und noch vor der zehnten Stunde das Bewußtsein. Das Volk hatte sich in Massen zur Stunde des Frühgottesdienstes in die Kirchen begeben, und als das Gebet für den König verlesen wurde, verriethen schwere Seufzer und lautes Schluchzen die allgemeinste innige Theilnahme. In der Mittagstunde, am Freitag den 6. Februar, verschied er ruhig und ohne Kampf.13

1. Pepys’s Diary, Dec. 28. 1663, Sept. 2. 1667.

2. Burnet, I. 606; Spectator, No. 462; Lords’ Journals, Oct. 28. 1678; Cibber’s Apology.

3. Burnet, I. 605, 606; Welwood 138. North’s Life of Guildford, 251.

4. Ich bemerke hierbei, daß da, wo ich nur ein Datum anführe, ich dem alten Style folge, welcher im siebzehnten Jahrhundert in England gebräuchlich war, aber ich rechne das Jahr vom 1. Januar an.

5. Saint Evremont, passim; St. Real, Memoires de la Duchesse de Mazarin; Rochester Farewell; Evelyn’s Diary, Sept. 6. 1676, June 11, 1699.

6. Evelyn’s Diary, Jan. 28. 1684/85; Saint Evremont’s Letter to Déry.

7. Evelyn’s Diary, Feb. 4. 1684/85.

8. Roger North’s Life of Sir Dudley North, 170; The True Patriot vindicated, or a Justification of his Excellency the E— of R—; Burnet, I. 605. Die Bücher des Schatzamts beweisen, daß Burnet gut unterrichtet war.

9. Evelyn’s Diary, Jan. 24. 1681/82, Oct. 4. 1683.

10. Dugdale’s Correspondence.

11. Hawkins’s Life of Ken, 1713.

12. Siehe die London Gazette vom 21. Nov. 1678. Barillon und Burnet versichern, daß Huddleston von allen Parlamentsacten, welche gegen Priester erschienen, ausgenommen gewesen sei, doch ist das ein Irrthum.

13. Clarke’s Life of James the Second, I. 746. Orig. Mem.; Barillon’s Despatch of Febr. 8.(18.) 1685; Citters’s Despatches of Febr. 3.(13.) and Febr. 6.(16.); Huddleston’s Narrative; Letters of Philip, second Earl of Chesterfield, 277; Sir H. Ellis’s Original Letters, First Series, III. 333; Second Series IV. 74; Chaillot M.S.; Burnet, I, 606; Evelyn’s Diary Feb. 4. 1684(5); Welwood’s Memoirs, 140; North’s Life of Guildford, 252; Examen, 648; Hawkins’s Life of Ken; Dryden’s Threnodia Augustalis; Sir H. Halford’s Essay on Deaths of Eminent Persons. Man sehe auch das Bruchstück eines Briefes, welchen Lord Bruce geraume Zeit nach seiner Ernennung zum Earl von Ailesbury schrieb und welcher im European Magazine vom April 1795 abgedruckt ist. Ailesbury nennt Burnet einen Betrüger, allein seine eigene Darstellung und die Burnet’s werden einem unbefangenen und umsichtigen Leser keinen Widerspruch erkennen lassen. Im Britischen Museum, sowie in der Bibliothek des königlichen Instituts ist mir ein merkwürdiger Foliobogen zu Gesicht gekommen, auf welchem sich ein Bericht über den Tod Karl’s befindet. Der Verfasser desselben war offenbar ein Katholik, und es müssen ihm vorzügliche Quellen zu Gebote gestanden haben. Ich vermuthe, daß er zu Jacob selbst in mittelbaren oder unmittelbaren Beziehungen gestanden haben mag. Kein Name ist ausgeschrieben, aber die Anfangsbuchstaben sind völlig verständlich, bis auf eine Stelle, Es heißt hier: Der D. von Y. sei an die Pflicht, welche er seinem Bruder schuldig, durch P. M. A. C. F. gemahnt worden. Ich muß gestehen, daß ich diese fünf letzten Buchstaben nicht zu entziffern vermag.

Man sollte meinen, es könnten uns keine Vorgänge in der Geschichte klarer sein, als diejenigen, welche sich am Sterbelager Karl’s ereigneten. Es existiren verschiedene Berichte, von Personen niedergeschrieben, welche in der That an seinem Krankenbett standen, und ebenso Berichte von Anderen, die zwar nicht Augenzeugen waren, aber vorzügliche Gelegenheit hatten, von solchen Kunde zu erhalten. Wer aber auch immer versuchen wollte, diese große Menge von Stoff zu einer Erzählung zu bearbeiten, würde bald einsehen, daß er sich eine mühsame Aufgabe gestellt hat. Selbst Jakob und dessen Gemahlin, als sie die Geschichte den Nonnen von Chaillot erzählten, konnten über einige Punkte nicht ins Klare kommen. Die Königin versicherte, nachdem Karl die letzten Sakramente empfangen, hätten die protestantischen Bischöfe ihre Ermahnungen von Neuem begonnen; der König hingegen erwiderte, es sei nicht der Fall gewesen. „Gewiß“, rief die Königin, „Sie selbst haben es mir ja erzählt!“ — „Es ist nicht möglich, daß ich es Ihnen gesagt haben sollte“, entgegnete der König, „denn es ist etwas Derartiges gar nicht vorgekommen.“

Es ist zu bedauern, daß Sir Heinrich Halford sich so wenig Mühe gegeben, über die Thatsachen etwas Bestimmtes zu erfahren, die er seinem Urtheile unterwarf. Er scheint von der Existenz der Erzählungen von Jakob, Barillon und Huddleston gar nichts gewußt zu haben.

Da diese Gelegenheit die erste ist, wo ich den Briefwechsel der holländischen Gesandten am englischen Hofe erwähne, so kann ich hier nicht unbemerkt lassen, daß eine Anzahl ihrer Depeschen von der Thronbesteigung Jakob’s II. an bis zu seiner Flucht einen sehr werthvollen Theil der Macintosh-Sammlung bilden. Die darauf folgenden Depeschen bis zur Festsetzung der Regierung im Februar 1689 verschaffte ich mir vom Haag. Man hat die holländischen Archive noch nicht genug durchsucht. Sie enthalten eine Menge von Nachrichten, welche für jeden Engländer vom höchsten Interesse sind. Dabei sind sie vortrefflich geordnet und werden von Männern verwahrt, deren Höflichkeit, Liberalität und Eifer für die Interessen der Literatur nicht genug gerühmt werden können. Ich spreche in der aufrichtigsten Weise meine dankbaren Verpflichtungen gegen die Herren de Jonge und Van Zwanne aus.

IV.13

Verdacht der Vergiftung. In jener Zeit pflegte das gemeine Volk in ganz Europa, namentlich aber in England, den Tod fürstlicher Personen, zumal wenn der Verstorbene beim Volke beliebt war und der Tod rasch eintrat, dem abscheulichsten und schändlichsten Meuchelmorde Schuld zu geben. Man hatte Jakob I. in Verdacht, den Prinzen Heinrich vergiftet zu haben, und ebenso, behauptete man, hätte Karl I. Jakob I. ums Leben gebracht. Als während der Republik die Prinzessin Elisabeth zu Carisbrook starb, wurde laut versichert, Cromwell wäre feig und ruchlos genug gewesen, schädliche Stoffe unter die Speisen eines jungen Mädchens zu mischen, der etwas Böses zuzufügen kein einziger vernünftiger Grund vorhanden war.14 Nach wenigen Jahren wurde die rasche Verwesung von Cromwell’s eigenem Körper von Vielen einem tödtlichen Mittel schuldgegeben, welches ihm in der Arznei beigebracht worden wäre. Es ist nur zu natürlich, daß auch bei dem Tode Karl’s II. ähnliche Gerüchte umgingen. Das Publikum hatte schon verschiedene Male Geschichten von papistischen Anschlägen auf des Königs Leben gehört, so daß viele Gemüther bereits von Vorurtheilen eingenommen waren, und einige unglückliche Zufälligkeiten schienen diese befangenen Gemüther darauf hinzuweisen, daß in der That ein Verbrechen verübt worden sei. Die vierzehn Ärzte, IV.14 welche über den Krankheitsfall des Königs disputirten, widersprachen einander, so wie sich selbst. Einige von ihnen erklärten den Anfall für epileptischer Natur, dem man seinen ungestörten Verlauf lassen müsse; die Mehrzahl aber erklärte ihn für apoplectisch und peinigte den Kranken mehrere Stunden lang wie einen Indianer am Marterpfahl. Hierauf einigte man sich, die Krankheit ein Fieber zu nennen und ihm Quantitäten von Chinarinde einzugeben. Ein Arzt protestirte aber gegen diese Behandlung und versicherte der Königin, daß bei solchem Verfahren der König unter den Händen seiner Kollegen sterben werde. Von einer so großen Anzahl von Rathgebern ließ sich natürlich nichts Andres als Zwist und Unentschlossenheit erwarten, aber viele Leute glaubten natürlicher Weise, bei der außerordentlichen Verlegenheit dieser großen Heilkünstler, daß die Krankheit ganz ungewöhnlicher Art sein müsse. Es ist Ursache da, zu glauben, daß Short, der trotz seiner ärztlichen Geschicklichkeit doch ein reizbarer, grilliger Mann gewesen zu sein scheint und der sich vermuthlich durch die Besorgniß vor gehässigen Beschuldigungen, denen er als Katholik besonders ausgesetzt war, in nicht ganz ungestörtem Genusse seiner Urtheilskraft befand, von einem furchtbaren Verdachte ergriffen worden sei. Es kann daher nicht überraschen, wenn von dem gemeinen Volke eine Menge toller Geschichten nacherzählt und geglaubt wurden. Die Zunge Sr. Majestät war bis zur Größe einer Rindszunge angeschwollen, in seinem Gehirn hatte man eine verhärtete Masse von giftigem Pulver gefunden, auch auf seiner Brust blaue Flecken und auf seiner Schulter schwarze Flecken wahrgenommen. Es war ihm irgend Etwas in die Schnupftabaksdose gethan worden, oder auch in seine Suppe; vielleicht hatte man ihm auch in seinem Lieblingsgericht, Eier mit grauem Ambra, etwas beigebracht. Die Herzogin von Portsmouth hatte ihn mit einer Tasse Chokolade, die Königin mit einer Schale gebackener Birnen vergiftet. Solche Erzählungen verdienen aufbewahrt zu werden, denn sie geben uns einen Begriff von der Einsicht und Moralität einer Generation, welche sie begierig in sich aufnahm. Daß in unserer Zeit dergleichen Gerüchte keinen Boden mehr finden, selbst wenn Menschenleben, von denen wichtige Interessen abhängen, durch raschentwickelte Krankheitsanfälle beendigt wurden, ist eines Theils dem Fortschritte der medizinischen und chemischen Wissenschaft, so wie andren Theils, wie wir annehmen dürfen, den Fortschritten zu danken, welche das Volk in Bezug auf vernünftiges Urtheil, Gerechtigkeit und Menschlichkeit gemacht hat.15

14. Clarendon spricht von dieser Verleumdung mit geziemender Verachtung. Nach der freundlichen Gesinnung jener Zeit gegen Cromwell suchten viele die Ursache dieses Todesfalls in einer Vergiftung, wofür jedoch eben so wenig ein äußeres Anzeichen sprach, als jemals später ein Beweis dafür aufzufinden gewesen ist.

15. Welwood. 139; Burnet I. 609; Sheffield’s Character of Charles the Second; North’s Life of Guildford, 252; Examen, 648; Revolution Politics; Higgons on Burnet. Was North von der Rathlosigkeit und dem Schwanken der Ärzte sagt, bestätigen die Depeschen Citters’. Ich war sehr im Unklaren über die auffallende Geschichte hinsichtlich des Short’schen Verdachts. Einmal war ich entschlossen, die Erklärung North’s anzunehmen, aber obgleich ich auf die Autorität Welwood’s und Burnet’s in solchem Falle wenig Gewicht lege, kann ich doch das Zeugniß eines so wohl unterrichteten und unparteiischen Mannes wie Sheffield nicht verwerfen.

Rede Jakob’s II. an den Geheimen Rath. Als Alles vorüber war, zog sich Jakob von dem Sterbelager nach seinem Zimmer zurück, wo er eine Viertelstunde allein blieb. Indessen versammelten sich die im Palaste anwesenden Geheimen Räthe, der neue König erschien und nahm seinen Sitz am oberen Theile der Sessionstafel ein. Dem Herkommen gemäß eröffnete er seine Regierung mit einer Rede an den Geheimen IV.15 Rath. Er sprach sein Bedauern aus, rücksichtlich des Verlustes, der ihn so eben betroffen, und versicherte, die hohe Milde nachahmen zu wollen, welche eine der vorzüglichsten Eigenschaften der letzten Regierung gewesen sei. Es sei ihm nicht unbekannt, sagte er, daß man ihn einer Vorliebe für Willkürherrschaft beschuldige, es sei das aber nicht die einzige Lüge, die sich über ihn im Umlaufe befinde. Er habe die Absicht, die bestehende Verfassung in Kirche und Staat aufrecht zu erhalten. Die Kirche von England sei ausgezeichnet loyal, daher werde er aufs Angelegentlichste bemüht sein, sie zu unterstützen und zu vertheidigen. Es sei ihm bekannt, daß Englands Gesetze genügten, ihn zu einem so großen Könige zu erheben, als er nur wünschen könne. Seine eigenen Rechte werde er streng aufrecht erhalten, aber auch die Rechte Anderer achten. Er habe vordem sein Leben bei der Vertheidigung des Vaterlandes preisgegeben und werde auch jetzt beim Schutz der gerechten Freiheiten so weit gehen wie irgend Einer. Diese Rede war nicht, wie es bei ähnlichen Gelegenheiten geschieht, von den Räthen des Souverains vorbereitet, sondern sie enthielt den augenblicklichen Ausdruck der Empfindungen des neuen Königs in einem Momente hoher Aufregung. Die Rathsmitglieder ergossen sich in lauten Äußerungen des Entzückens und der Dankbarkeit. Der Lord Präsident Rochester sprach im Namen des Kollegiums den Wunsch aus, daß Sr. Majestät glückverheißende Erklärung zur Öffentlichkeit gelangen möchte. Der Generalprokurator Heneage Finch, erbot sich, den Sekretär abzugeben. Er war ein eifriger Anhänger der Staatskirche, und als solcher wünschte er natürlich, daß die gnädige Zusage, welche so eben ausgesprochen worden, in einer unvergänglichen Urkunde wiedergegeben würde. Diese Versprechungen, rief er aus, haben einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, daß ich sie wörtlich wiederholen kann. Bald darauf legte er seinen Bericht vor, den Jakob durchlas, genehmigte, und darauf befahl, ihn zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. In späterer Zeit behauptete er diesen Schritt ohne die nöthige Überlegung gethan zu haben, seine vorher nicht überdachten Ausdrücke rücksichtlich der englischen Kirche seien zu stark gewesen, und Finch habe mit einer Gewandtheit, welche damals von ihm unbeachtet gelassen worden, sie noch stärker gemacht.16

16. London Gazette, Feb. 9. 1684/5; Clarke’s Life of James the second II. 3.; Barillon, Feb. 9.(19.); Evelyn’s Diary, Feb. 6.

Ausrufung Jakob’s. Der König fühlte sich durch langes Wachen und rasch auf einander folgende Gemüthsbewegungen erschöpft, und begab sich zur Ruhe. Nachdem ihn die Geheimen Räthe voll Ehrerbietung nach dem Schlafzimmer begleitet hatten, kehrten sie in den Sitzungssaal zurück, und erließen Verordnungen in Betreff der feierlichen Ausrufung. Die Garden standen unter den Waffen, die Herolde erschienen in ihren prachtvollen Wappenröcken und die Feierlichkeit ging ohne jede Störung vor sich. In den Straßen waren Weinfässer aufgestellt und die Vorübergehenden wurden aufgefordert, auf die Gesundheit des neuen Herrschers zu trinken. Obgleich aber hier und da ein Jubelruf ertönte, befand sich das Volk dennoch in keiner frohen Stimmung. Viele weinten, und man konnte wahrnehmen, daß in London kaum eine Magd war, die sich nicht mit einem Stückchen Trauerflor zu Ehren König Karl’s geschmückt hätte.17

IV.16

Das Leichenbegängniß erfuhr vielfachen Tadel. Es wäre auch wirklich eines reichen, adeligen Unterthanen kaum würdig gewesen. Die Tories tadelten mit Schonung die Sparsamkeit des neuen Königs, die Whigs raisonnirten über den Mangel an verwandtschaftlicher Zuneigung, und die heftigen schottischen Covenanters verkündigten frohlockend, daß der seit Alters her über ruchlose Fürsten verhängte Fluch offenbar in Erfüllung gegangen, und der dahingegangene Tyrann wie ein Esel zu Grabe gebracht worden sei.18 Doch trat Jakob seine Regierung bei einem ziemlichen Maße des öffentlichen Vertrauens an. Seine Rede an den Geheimen Rath erschien im Druck und der durch sie hervorgebrachte Eindruck war ein höchst günstiger. Das war also der Fürst, den eine Partei in das Exil getrieben und seines Geburtsrechts zu berauben gesucht hatte, aus der Ursache, weil man ihn für einen heftigen Widersacher der Religion und der Landesgesetze hielt. Er hatte gesiegt, er saß auf dem Throne, und seine erste That war die Versicherung, daß er die Kirche schützen und die Rechte seines Volkes streng in Ehren halten wolle. Die Ansicht, welche jede Partei über seinen Character sich gebildet hatte, veranlaßte eine Überschätzung jedes Wortes, das von ihm kam. Die Whigs erklärten ihn für hochmüthig, unversöhnlich, starrköpfig, rücksichtslos gegen die öffentliche Meinung; die Tories rühmten seine fürstlichen Tugenden, beklagten aber dabei, daß er die Künste vernachlässige, durch welche er sich die Liebe des Volkes erwerben könne. Selbst die Satire hatte ihn nie als einen Mann hingestellt, der die Absicht habe, die Gunst des Publikums dadurch zu gewinnen, daß er etwas vorgebe, was er nicht empfinde, und etwas verspreche, was er nicht zu erfüllen beabsichtige. An dem Sonntage, welcher dem Regierungsantritt folgte, wurde seine Rede auf vielen Kanzeln erwähnt. „Wir haben jetzt für unsre Kirche“ — rief ein loyaler Prediger — „das Wort eines Königs, und zwar eines Königs, welcher niemals schlechter war als sein Wort!“ Diese geistreiche Äußerung machte bald die Runde durch Stadt und Land und wurde das Losungswort der Torypartei.19

17. Man sehe die in der vorhergehenden Note angeführten Citate, außerdem Examen 647; Burnet I. 620; Higgons on Burnet.

18. London Gazette, Feb. 14. 1684/5; Evelyn’s Diary von demselben Datum; Burnet I. 610; the Hind let loose.

19. Burnet I. 628; Lestrange, Observator, Feb. 11. 1684/5.

Stand des Ministeriums. Durch die Erledigung des Thrones waren sämmtliche hohe Staatsämter freigeworden, und es wurde nöthig, daß Jakob ihre Wiederbesetzung vornahm. Wenige von den Mitgliedern des vorigen Kabinets hatten Ursache, auf seine Gunst zu rechnen. Sunderland, der Staatssekretär, und Godolphin, der erste Lord des Schatzes, hatten für die Ausschließungsbill gestimmt; und Halifax, der Geheimsiegelbewahrer, hatte sich zwar mit der Kraft der Beweisführung und Beredtsamkeit derselben widersetzt, aber er war ein Todfeind von Despotismus und Papstthum. Mit tiefer Besorgniß sah er den Fortschritt der französischen Waffen auf dem Festlande und die Wirkung des französischen Goldes auf die Rathschlüsse Englands. Hätte man seinen Rath befolgt, so wären die Gesetze streng beobachtet, die besiegten Whigs mit Güte behandelt, das Parlament zusammenberufen und ein Versuch gemacht worden, die inneren Parteien zu versöhnen; die Prinzipien der Triplealliance würden alsdann unsre auswärtige Politik wieder geleitet haben. Dadurch hatte er sich Jakob’s bittere Feindschaft zugezogen. Von dem Lord Siegelbewahrer Guildford ließ sich kaum behaupten, daß er einer der Parteien angehöre, IV.17 in welche der Hof zerfiel. Er war keineswegs ein Freund der Freiheit und besaß doch eine so hohe Achtung vor dem Buchstaben des Gesetzes, daß er als Werkzeug willkürlicher Herrschaft nicht zu verwenden war. Die heftigen Tories bezeichneten ihn daher als Trimmer und Jakob empfand gegen ihn einen stark mit Verachtung gemischten Widerwillen. Ormond, Lord Oberhofmeister und Vicekönig von Irland, befand sich damals in Dublin. Derselbe hatte gerechtere Anwartschaft auf die Dankbarkeit des Königs, als jeder andre Unterthan. Er hatte für Karl I. tapfer die Waffen geführt, war Karl II. in die Verbannung gefolgt und seiner Loyalität trotz mancher Versuchungen treugeblieben. Obgleich zur Zeit des Übergewichts der Cabale in Ungnade gefallen, hatte er doch niemals einer factiösen Opposition sich angeschlossen und in den Tagen des papistischen Complots und der Ausschließungsbill sich unter den ersten Vertheidigern des Thrones befunden. Jetzt war er alt, und kürzlich hatte ihn das Schicksal schwer betroffen, indem er einen Sohn zu Grabe geleitet, der nach dem gewöhnlichen Gange der Dinge seinem Sarge hätte folgen müssen: den tapferen Ossory. Die anerkennungswerthen Verdienste, das hohe Alter und das häusliche Mißgeschick Ormond’s erregten für ihn die allgemeine Theilnahme des Volkes. Die Kavaliere sahen in ihm ihr Haupt nach dem Rechte des Alters wie des Verdienstes, und den Whigs war wohlbekannt, daß er zwar stets treulich auf Seite der Monarchie gestanden, dabei aber niemals weder dem Despotismus noch dem Katholicismus zugethan gewesen war. Obgleich er aber die allgemeine Achtung genoß, auf die Gunst seines neuen Gebieters durfte er wenig Hoffnung setzen. Jakob hatte, als er selbst noch Unterthan war, seinen Bruder aufgefordert, mit der irischen Verwaltung eine Umänderung vorzunehmen. Karl war darauf eingegangen, und man hatte bestimmt, daß nach einigen Monaten Rochester zum Lord Statthalter ernannt werden solle.20

20. Die Briefe, welche Rochester und Ormond in dieser Angelegenheit gewechselt, befinden sich in der Correspondenz Clarendon’s.

Neue Anordnungen. Rochester war das einzige Mitglied des Kabinets, welches sich der hohen Gunst des Königs erfreute. Man glaubte allgemein, daß er unverzüglich mit der Leitung der Geschäfte beauftragt und daß mit allen übrigen hohen Staatsbeamten ein Wechsel vorgenommen werden würde, aber diese Annahme bewies sich nur zum Theil als begründet. Rochester wurde zum Lord Schatzmeister ernannt und war als solcher erster Minister; jedoch unterblieb die Wahl eines Lord Großadmirals, sowie eines Admiralitätsraths. Der neue König, welcher für die Einzelnheiten der Marineverwaltung eingenommen war und einen vortrefflichen Beamten auf den Werften von Chatham abgegeben haben würde, entschloß sich, sein eigner Marineminister zu werden. Unter ihm wurde die Leitung dieses wichtigen Verwaltungszweiges dem Samuel Pepys übergeben, dessen Bibliothek und Tagebuch seinen Namen bis auf unsre Zeit gebracht haben. Keinen der Räthe des verstorbenen Souverains traf öffentliche Ungnade. Sunderland entwickelte eine solche Schlauheit und Gewandtheit, wußte so viel Gönner in Thätigkeit zu setzen und war in so viele Geheimnisse eingeweiht, daß man ihn im Besitze seiner Siegel ließ. Godolphin’s Gefügigkeit, Fleiß, Erfahrung und Verschwiegenheit ließen sich nicht wohl entbehren, und da er beim Schatzamte überflüssig geworden war, so wurde er zum Kammerherrn der Königin erwählt. Diese drei IV.18 Lords fragte der König bei allen wichtigen Angelegenheiten um Rath; was aber Ormond, Halifax und Guildford betraf, so nahm er sich vor, sie noch nicht zu entlassen, sondern nur zu demüthigen und zu peinigen.

Dem Halifax wurde befohlen, das Geheimsiegel abzugeben und das Präsidium im Geheimen Rathe zu übernehmen. Er gehorchte mit größtem Widerwillen. Denn obgleich der Vorsitzende des Geheimen Rathes immer im Range über dem Lord Geheimsiegelbewahrer stand, so war doch die Stellung eines Geheimsiegelbewahrers zu damaliger Zeit eine viel wichtigere, als die eines Lord-Präsidenten. Rochester hatte den Witz, der vor einigen Monaten bei seinem Abgange vom Schatzamte gemacht worden, noch nicht vergessen, und genoß nun seines Theils das Vergnügen, seinen Nebenbuhler die Treppe hinaufzuwerfen. Das Geheimsiegel empfing Rochester’s älterer Bruder, Heinrich Earl von Clarendon. Vor Barillon machte Jakob kein Hehl aus seinem heftigen Widerwillen gegen Halifax. „Ich kenne ihn wohl, es ist ihm nicht zu trauen, er soll bei den Staatsgeschäften nicht verwendet werden! Was die Stellung betrifft, die ich ihm angewiesen habe, so wird dieselbe dazu dienen, um zu zeigen, wie unbedeutend sein Einfluß ist.“ Halifax gegenüber hielt man es freilich für gerathener, in ganz andrer Weise zu sprechen. „Alles Geschehene ist vergessen, sagte der König, mit Ausnahme des Dienstes, welchen Sie mir bei der Debatte über die Ausschließungsbill erzeigt haben.“ Diese Bemerkung ist oft als Beweis angeführt worden, daß Jakob nicht so rachsüchtig gewesen sei, als seine Feinde behaupteten; sie scheint jedoch eher darzuthun, daß er durchaus des Lobes nicht würdig ist, welches seine Freunde seiner Offenherzigkeit ertheilten.21

Ormond wurde höflich in Kenntniß gesetzt, daß man seine Dienste in Irland nicht länger beanspruche, und aufgefordert, nach Whitehall zu gehen und das Amt eines Lord Oberhofmeisters zu übernehmen. Er fügte sich pflichtgemäß, machte aber kein Hehl daraus, daß die neue Anordnung seine Gefühle tief verletze. Am Abend vor seiner Abreise gab er den Offizieren der Dubliner Besatzung in dem damals eben beendigten Kilmainhamhospital ein glänzendes Mahl. Zu Ende der Tafel stand er auf, füllte einen Pokal bis zum Rande mit Wein und frug, ihn emporhaltend, ob er einen Tropfen verschüttet habe. „Nein, meine Herren, was auch die Hofleute reden mögen, noch bin ich nicht kindisch geworden, noch versagt mir meine Hand nicht den Dienst und meine Hand ist nicht fester als mein Herz. Auf das Wohl König Jakob’s!“ Es war Ormond’s letztes Lebewohl an Irland. Er überließ die Verwaltung den Oberrichtern und ging nach London, wo man ihn mit den auffallendsten Zeichen öffentlicher Hochachtung empfing. Viele Personen von hohem Range kamen ihm entgegen. Eine lange Reihe von Wogen folgte ihm nach dem St. Jamesplatz, wo sein Haus stand, und der Platz war mit einer zahlreichen Volksmenge bedeckt, die ihn mit lautem Jubel empfing.22

21. Die Veränderungen im Ministerium sind angezeigt in der London Gazette vom 19. Febr. 1684/5. Burnet, I., 621; Barillon, Feb. 9.(19.) 16.(26.) & Feb. 19. (March 1.)

22. Carte’s Life of Ormond; Secret Consults of the Romish Party in Ireland, 1690; Memoirs of Ireland, 1716.

Sir Georg Jeffreys. Das große Siegel blieb in Guildford’s Verwahrung, aber eine harte Demüthigung ward ihm zu gleicher Zeit zu Theil. Es wurde der Entschluß gefaßt, einen energischen und tüchtigen IV.19 Juristen der Verwaltung beizugeben, und hierzu wählte man Sir Georg Jeffreys, Oberrichter des Gerichtshofes der Kings-Bench. Die Verworfenheit dieses Mannes ist zum Sprichwort geworden. Die beiden großen Parteien Englands haben sein Andenken mit wetteifernder Heftigkeit angegriffen, denn die Whigs erblickten in ihm einen grausamen Feind, und die Tories fanden es für angemessen, die Schuld an allen den Verbrechen, durch welche sie ihren Sieg entehrten, auf ihn zu wälzen. Eine genaue und auf Wahrheit beruhende Untersuchung wird darthun, daß einige entsetzliche Geschichten, welche man von ihm erzählt, unrichtig oder übertrieben sind, doch selbst der besonnene Geschichtsschreiber kann von der beispiellosen Menge von Schändlichkeiten, welche das Andenken dieses verworfenen Richters entehren, nur wenige beseitigen.

Er war ein Mann von regsamem, kräftigem Geiste, aber von Natur zur Frechheit und wilden Leidenschaften geneigt. Kaum dem Kindesalter entwachsen, hatte er seine Praxis an den Schranken der Old Bailey begonnen, wo die Rechtsgelehrten immer eine Freiheit der Sprache ausgeübt haben, wie sie in Westminsterhall völlig unbekannt war. Hier war viele Jahre lang seine Hauptbeschäftigung, die Verhöre der verstocktesten Bösewichter der Hauptstadt abzuhalten, und seine tägliche Berührung mit lockeren Dirnen und Dieben weckte und vervollkommnete sein Talent dergestalt, daß er der ausgebildetste Rabulist wurde, den jemals sein Beruf erzeugte. Jede schonende Rücksicht für die Gefühle Anderer, jede Selbstachtung, jeder Sinn für Anstand waren ihm fremd. Er gewann eine unbeschreibliche Fertigkeit in der Ausdrucksweise, in welcher der Pöbel Haß und Verachtung ausspricht. Der Reichthum von Verwünschungen und Schmähreden, aus denen sein Wörterbuch bestand, ließ kaum auf dem Fischmarkt oder im Bärengarten etwas Ähnliches auffinden. Sein Gesichtsausdruck und seine Stimme müssen immer unliebenswürdig gewesen sein, aber diese natürlichen Vorzüge — denn als solche scheint er sie betrachtet zu haben — waren von ihm zu einer solchen Vollkommenheit ausgebildet worden, daß es nicht Viele gab, die ihn in seinen Wuthausbrüchen sehen und hören konnten, ohne heftig erregt zu werden. Frechheit und Wildheit thronten auf seiner Stirne. Der Blick seines Auges übte einen Zauber aus auf das unselige Schlachtopfer, auf das es sich richtete; doch behauptete man, seine Stirn und seine Augen hätten weniger Entsetzliches gehabt, als die verzerrten Züge seines Mundes. Sein Wuthgebrüll klang, wie Jemand sagte, der ihn oft gehört, wie der Donner des Weltgerichts. Diese Eigenschaften brachte er von der Barre mit auf den Richterstuhl. Er wurde sehr bald Gemeindesachwalter und später Syndikus von London. Als Richter bei den Sitzungen der City entwickelte er dieselben Neigungen, die ihm nach der Zeit in einer höheren Stellung einen nicht eben beneidenswerthen Nachruhm verschafft haben. Schon konnte man an ihm das abscheulichste Laster, dessen die menschliche Natur fähig ist, Vergnügen am Elend, lediglich als solchem, wahrnehmen. Es lag eine hämische Wollust in der Art und Weise, wie er den Verbrechern das Urtheil verkündigte. Ihr Jammern und Flehen schien ihm einen angenehmen Kitzel zu verursachen, und es amüsirte ihn, sie bis zu Krämpfen zu peinigen, indem er ihnen mit der weitläufigsten Ausführlichkeit die Einzelheiten der Qualen schilderte, welche sie zu erdulden hätten. Wenn er Gelegenheit fand, eine unglückliche Frauensperson zum Staupbesen zu verurtheilen, so rief er: „Henker! ich verlange, daß Ihr IV.20 dieser Dame besondere Aufmerksamkeit schenkt. Peitschet derb drauf los, Mann! Haut sie, bis das Blut herunterläuft! Es ist Weihnachten, eine kühle Zeit für Madame, um sich zu entkleiden, bemüht Euch, daß ihr die Schultern warm werden.“23 Er war kaum weniger scherzhaft, als er den armen Ludwig Muggleton verurtheilte, den trunkenen Schneider, der sich für einen Propheten ausgab. „Frecher Schurke, brüllte Jeffreys, Du sollst eine leichte, eine ungemein leichte Strafe erhalten.“ Ein Theil dieser leichten Strafe war der Schandpfahl, an welchem der arme Fanatiker durch Steinwürfe beinahe getödtet wurde.24

Zu dieser Zeit war Jeffreys’ Gemüth bis zu einem Grade verhärtet, wie es bei den schlimmsten Werkzeugen der Tyrannei erforderlich ist. Bisher hatte er in Betreff seiner Beförderung im Amte nur auf die Corporation von London gerechnet. Aus diesem Grunde hatte er sich zum Rundkopf bekannt, und immer eine freudigere Aufregung gezeigt, wenn er katholischen Priestern ankündigte, daß sie lebendig aufgeschnitten werden und mit eigenen Augen ansehen sollten, wie ihre Eingeweide ins Feuer geworfen würden, als wenn er ein gewöhnliches Todesurtheil aussprach. Sobald er von der City alles erlangt hatte, was von ihr zu erwarten war, ließ er es sich angelegen sein, seine eiserne Stirn und giftgeschwollene Zunge dem Hofe zu verkaufen. Chiffinch, dem es nichts Neues war, bei ehrlosen Geschäften aller Art den Unterhändler abzugeben, war ihm dabei behülflich. Derselbe hatte manche galante und politische Intrigue geleitet, nie aber seinem Herrn einen schändlicheren Dienst erwiesen, als durch die Einführung Jeffreys’ in Whitehall. Der Überläufer erfreute sich bald der Gönnerschaft des hartherzigen und rachsüchtigen Jakob, während Karl, dessen Fehler, so bedeutend sie auch immer waren, doch in keiner Verbindung mit Unverschämtheit und Grausamkeit standen, Verachtung und Abneigung gegen ihn empfand. „Dieser Mensch“, sagte der König, „hat weder Kenntnisse, noch Verstand und Lebensart, und mehr Frechheit als zehn ausgepeitschte Bordellschwestern.“25 Aber es gab Beschäftigungen, die Niemand übernehmen mochte, der Achtung vor dem Gesetz oder Gefühl für Schande hatte, und so wurde Jeffreys in einem Lebensalter, wo ein Sachwalter sich glücklich schätzt, wenn man ihm einen bedeutenden Prozeß anvertraut, zum Oberrichter an der Kings Bench erhoben.

Selbst seine Feinde konnten übrigens nicht in Abrede stellen, daß er manche Eigenschaften eines großen Richters besaß. Seine Rechtskunde beschränkte sich allerdings nur auf Kenntnisse, wie sie eine Praxis von nicht besonderer Wichtigkeit verleihen konnte, doch besaß er einen vortheilhaft organisirten Verstand, der ihn durch Irrwege von Sophistereien und Massen unerheblicher Thatsachen gerade auf das gesuchte Ziel hinführte. Übrigens war er selten im vollen Besitz seiner Geisteskräfte, und selbst in civilen Rechtsfallen verwirrte sein boshafter und despotischer IV.21 Character sehr häufig sein gesundes Urtheil. Vor seinen Gerichtshof treten war wie der Eintritt in die Höhle eines reißenden Thieres, das unzähmbar ist und durch Liebkosungen wie durch Angriffe in gleiche Wuth versetzt wird. Er überhäufte bisweilen Kläger und Beklagte, Anwälte und Advokaten, Zeugen und Geschworne mit einer Fluth unsinniger Schimpfworte, vermischt mit Fluchreden und Schwüren. Sein Blick und Ton hatten Furcht erregt, als er noch ein junger Advokat war, der sich Praxis zu verschaffen suchte, jetzt, wo er Präsident des furchtbarsten Gerichtshofs des Reiches war, gab es in Wahrheit nur Wenige, die nicht vor ihm gezittert hätten. Selbst in nüchternem Zustande war seine Leidenschaftlichkeit entsetzlich genug, gewöhnlich aber befand sich sein Verstand unter dem Einflusse des Rausches und seine gehässigen Leidenschaften erlangten dadurch eine höhere Gereiztheit. Seine Abende verbrachte er insgemein bei Trinkgelagen, und wer ihn blos bei der Weinflasche sah, mußte ihn für einen zwar groben, plumpen, rohen und sinnlichen Menschen, zugleich aber auch für einen gemüthlichen und geselligen Mann halten. In seiner Gesellschaft befanden sich bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich Possenreißer, welche in der Mehrzahl aus den erbärmlichsten Zungendreschern, welche vor ihm praktizirten, gewählt waren, und sich zu seinem Amüsement schimpften und aufzogen. Er riß mit ihnen Zoten, stimmte in ihre Rundgesänge ein, und wenn sein Kopf erhitzt wurde, so herzte und küßte er sie in seliger Weinlaune. Wenn aber auch anfänglich der Wein auf sein Herz einen besänftigenden Einfluß auszuüben schien, so machte sich doch nach einigen Stunden eine ganz andre Wirkung bemerkbar. Oft, wenn der Gerichtshof ihn längere Zeit erwartet und sein Rausch erst halb verflogen war, betrat er seinen Gerichtssitz mit glühenden Wangen und Augen, starrend wie die eines Verrückten. Befand er sich in solchem Zustande, so thaten seine Zechgenossen von voriger Nacht wohl, wenn sie ihm fern blieben, denn die Erinnerung an die ihnen gestattete Vertraulichkeit erregte seinen Zorn und er benutzte zuverlässig jeden Anlaß, um sie mit Schimpf und Schande zu überschütten. Unter seinen vielen abscheulichen Sonderbarkeiten bestand eine in dem Vergnügen, Diejenigen, welchen er bei seinen Anfällen von trunkener Zärtlichkeit seine Gunst zugesagt hatte, nachher öffentlich anzufahren und sie zu beleidigen.

Die Dienste, welche die Regierung von ihm erwartete, leistete er nicht nur ohne Zögern, sondern eifrig und triumphirend. Der Justizmord Algernon Sidney’s war seine erste That, und was darauf folgte, stand mit derselben in völligem Einklange. Ehrenwerthe Tories beklagten die Schande, welche die Unmenschlichkeit und das unanständige Betragen eines so hochgestellten Beamten auf die Verwaltung der Rechtspflege brachte, aber die Frevelthaten, welche bei diesen Männern Entsetzen erregten gaben Anspruch auf die Hochschätzung Jakob’s, und deshalb erhielt Jeffreys nach Karl’s Tode einen Sitz im Kabinet und die Pairswürde. Letztere Auszeichnung war ein besonderes Zeichen der königlichen Gnade, denn seit der Umgestaltung der Gerichtsverfassung des Reichs — im dreizehnten Jahrhundert — war kein Oberrichter Lord des Parlaments gewesen.26

IV.22

Guildford sah sich nun von seiner politischen Thätigkeit entfernt und auf sein Amt als Billigkeitsrichter beschränkt. Im Rathe wurde er von Jeffreys mit bemerkbarer Unhöflichkeit behandelt. Die Besetzung aller Justizämter befand sich in den Händen des Oberrichters, und die Rechtsgelehrten wußten wohl, daß es das beste Mittel sei, den Oberrichter zu beruhigen, wenn man den Lord Siegelbewahrer verächtlich behandelte.

23. Protokolle der Weihnachtssession von 1678.

24. The Acts of the Witnesses of the Spirit, part V. chapter V. In diesem Werke rächt sich Ludwig nach seiner Weise an dem brüllenden Teufel, wie er Jeffreys nennt, durch eine Masse von Flüchen, um welche ihn Ernulphus beneidet haben würde. Der Prozeß fand im Jahre 1677 statt.

25. Dieser Ausspruch ist in vielen gleichzeitigen Flugschriften zu finden. Titus Oates wurde nicht müde, denselben anzuführen. Man sehe sein Εἰκὼν βασιλικὴ.

26. Die besten Auskunftsquellen über Jeffreys sind die Staatsprozesse und North’s Life of Lord Guildford. Einige weniger wichtige Züge verdanke ich gleichzeitigen Flugschriften in Versen und Prosa. Dergleichen sind the Bloody Assizes, the Life and Death of George Lord Jeffreys, the Panegyric on the late Jeffreys, the Letter to the Lord Chancellor, Jeffreys’s Elegy. Man sehe auch Evelyn’s Diary, Dec. 5. 1683, Oct. 31. 1685. Es ist unnöthig, dem Leser zu empfehlen, Lord Campbell’s vortreffliches Buch zu Rathe zu ziehen.

Erhebung der Kroneinnahmen ohne Parlamentsacte. Nur wenige Stunden erst war Jakob König, als schon zwischen den beiden Häuptern der Justiz Streitigkeiten ausbrachen. Die Zölle waren Karl nur auf die Dauer seines Lebens überlassen worden, und der neue Souverain konnte sie aus diesem Grunde gesetzlich nicht erheben. Ehe ein Haus der Gemeinen gewählt wurde, mußten einige Wochen vergehen, und wenn während dieser Zeit die Erhebung der Zölle sistirt wurde, so erlitt das Staatseinkommen Verluste, der regelmäßige Handelsverkehr kam ins Stocken, die Consumenten hatten keinen Gewinn davon, und die Einzigen, welche Vortheil daraus zogen, waren die glücklichen Spekulanten, deren Waarenladungen zufällig in der Zeit zwischen dem Thronwechsel und der Versammlung des Parlaments anlangten. Das Schatzamt wurde von Kaufleuten umlagert, deren Magazine mit verzollten Gütern angefüllt waren, und welche in großer Sorge schwebten, durch niedrigere Preise zu Grunde gerichtet zu werden. Unparteiische Männer mußten zugestehen, daß dies ein Fall war, wo die Abweichung einer Regierung von dem streng verfassungsmäßigen Verfahren zu rechtfertigen ist; gebietet ihr aber die Nothwendigkeit, den strengverfassungsmäßigen Weg zu verlassen, so darf sie nicht weiter von demselben sich entfernen, als die Umstände es erfordern. Guildford sah das ein, und machte einen Vorschlag, der ihm zur Ehre gereichte. Er gab den Rath, daß man die Zölle einfordere, die eingegangenen Gelder aber, getrennt von anderen Summen, im Schatzamte so lange verwahre, bis das Parlament zusammengetreten sei. Auf diese Art würde der König den Beweis liefern, daß wenn er auch den Buchstaben des Gesetzes verletze, er doch im Geiste desselben zu handeln wünsche. Jeffreys war andrer Meinung. Er rieth Jakob, ein Edict zu erlassen, worin gesagt würde, es sei Sr. Majestät Wunsch und Wille, daß die Zölle fortgezahlt würden. Dieser Rath war vollkommen nach des Königs Sinne. Der vernünftige Vorschlag des Lord Siegelbewahrers wurde als nur eines Whigs, — oder was viel schlimmer — eines Trimmers würdig, verworfen, und es erschien eine öffentliche Bekanntmachung nach der Angabe des Oberrichters. Viele glaubten, daß der allgemeine Unwille dadurch in hohem Grade erregt werden würde, es war aber nicht der Fall. Der Geist der Opposition war noch nicht wieder zu Leben gekommen, und der Hof konnte ohne alle Gefahr sich Handlungen erlauben, welche fünf Jahre früher eine Revolution hervorgerufen haben würden. In der vor kurzer Zeit noch so unruhigen Hauptstadt ließ sich kaum ein Murren hören.27

27. London Gazette, Feb. 12. 1684—85. North’s Life of Guildford, 254.

IV.23

Einberufung eines Parlaments. Die Proklamation, welche die Forterhebung der Zölle ankündigte, zeigte zugleich an, daß baldigst ein Parlament zusammenkommen würde. Nicht ohne großes Bedenken hatte Jakob den Entschluß gefaßt, die Stände des Reiches zu versammeln. Allerdings war der Zeitpunkt zu einer allgemeinen Wahl ein höchst günstiger, denn seit der Thronbesteigung des Hauses Stuart waren die Wahlkörper noch nie dem Hofe so wohlgesinnt gewesen, wie jetzt; aber der Geist des neuen Herrschers war von einer Besorgniß umfangen, die selbst nach so langer Zeit noch Scham und Ärger erzeugen muß, wenn man ihrer gedenkt. Er fürchtete, daß die Versammlung des englischen Parlaments den Unwillen des Königs von Frankreich erregen könnte.

Verhandlungen zwischen Jakob und dem König von Frankreich. Dem König von Frankreich war es höchst gleichgültig, welche der zwei englischen Parteien bei den Wahlen den Sieg davon trug, denn sämmtliche Parlamente, welche seit der Restauration zusammengekommen waren, in welcher Stimmung sie auch rücksichtlich der inneren Staatsverwaltung sich befunden, hatten die emporstrebende Macht des Hauses Bourbon mit eifersüchtigem Auge betrachtet. In dieser Beziehung bestand kein großer Unterschied zwischen den Whigs und den trotzigen Landedelleuten, welche die Hauptmacht der Torypartei bildeten. Ludwig hatte deshalb weder Bestechungen noch Drohungen unterlassen, um Karl von der Zusammenberufung der Häuser abzuhalten, und Jakob, von jeher in das Geheimniß der auswärtigen Politik seines Bruders eingeweiht, war nun, nachdem er König von England geworden, gleichfalls ein Miethling und Vasall Frankreichs.

Rochester, Godolphin und Sunderland, aus welchen das innere Kabinet bestand, war es kein Geheimniß, daß ihr voriger Herrscher von dem Versailler Hofe Geld empfing. Jakob zog sie zu Rathe, ob es angemessen sei, den gesetzgebenden Körper zu versammeln. Sie gestanden zu, daß es von großer Bedeutung sei, Ludwig bei guter Laune zu erhalten, aber es schien ihnen, daß die Einberufung eines Parlaments durchaus keine Sache einer freien Wahl sein könne. Wie nachgiebig die Nation sich auch zeigte, ihre Geduld hatte Grenzen. Der Grundsatz, daß der König nicht berechtigt sei, das Geld seiner Unterthanen ohne Beistimmung der Gemeinen zu erheben, hatte in der öffentlichen Meinung feste Wurzel gefaßt, und wenn auch in einem außerordentlichen Falle selbst Whigs bereit waren, einige Wochen hindurch Zölle zu entrichten, deren Erhebung nicht gesetzlich gerechtfertigt war, so ließ sich doch nicht bezweifeln, daß selbst Tories widerspenstig werden mußten, wenn solche unbillige Besteuerung länger währen sollte, als die besonderen Verhältnisse, welche sie veranlaßt hatten. Die Häuser mußten daher unbedingt zusammentreten, und je früher sie einberufen wurden, um so besser war es. Selbst der kurze Aufschub, welcher, aus einer Mittheilung nach Versailles entstehen mußte, konnte ein Unglück herbeiführen, das nicht wieder zu beseitigen war. Unzufriedenheit und Verdacht würden sich schnell im Publikum verbreiten, und Halifax sich beschweren, daß man die Grundgesetze der Verfassung angegriffen habe. Der Lord Siegelbewahrer, als furchtsamer, pedantischer Kleinigkeitskrämer, würde ihn unterstützen. Was man mit freiem Willen hätte thun können, würde man später gezwungen thun. Gerade diejenigen Minister, denen der König die öffentliche Achtung zu entziehen wünschte, würden sich auf seine Kosten beliebt machen. Die schlechte Volksstimmung konnte IV.24 auf die Wahlresultate einen wichtigen Einfluß haben. Diese Gründe ließen sich nicht widerlegen, und der König that dem Lande seinen Willen, kund, ein Parlament zusammen zu berufen. Dabei aber war er ängstlich bemüht, sich von dem Verdachte freizuhalten, als habe er vertragswidrig und unehrerbietig gegen Frankreich gehandelt. Er geleitete Barillon in ein geheimes Zimmer und bat um Verzeihung, daß er einen so bedeutungsvollen Schritt ohne vorherige Erlaubniß Ludwig’s gethan habe. „Geben Sie Ihrem Herrn die Versicherung meiner Dankbarkeit und Ergebenheit, ich weiß, daß ich ohne seinen Schutz machtlos bin. Es ist mir bekannt, welche Unannehmlichkeiten meinem Bruder dadurch entstanden sind, daß er nicht treulich zu Frankreich hielt. Ich werde Sorge tragen, daß die Häuser sich nicht in auswärtige Angelegenheiten mischen können; bemerke ich bei ihnen die Absicht, Unheil anzustiften, so werde ich sie unverzüglich heimschicken. Sagen Sie das meinem geliebten Bruder, ich hoffe, er wird es mir nicht übel deuten, daß ich ohne seinen Rath gehandelt habe, er hat ein Recht darauf, von mir um Rath gefragt zu werden, und es ist mein Wunsch, über Alles seinen Rath zu hören; bei dieser Gelegenheit aber hätte ein Aufschub von einer einzigen Woche ernste Folgen nach sich ziehen können.“ Diese schmachvollen Entschuldigungen wurden am nächsten Morgen von Rochester wiederholt, und Barillon nahm sie artig auf. Rochester, dadurch ermuthigt, bat nun um Geld. „Es wird gut angelegt werden“, bemerkte er, „Ihr Gebieter kann seine Einnahmen nicht einträglicher verwenden. Machen Sie ihn angelegentlichst darauf aufmerksam, von welcher Bedeutung es ist, daß der König nicht von seinem Volke, sondern von der Freundschaft Frankreichs abhängig sei.“28

Barillon säumte nicht, Ludwig mit den Wünschen der englischen Regierung bekannt zu machen, aber Ludwig war ihnen bereits zuvorgekommen. Kaum hatte er den Tod Karl’s erfahren, so beeilte er sich, Wechsel auf England, im Werthe von fünfhunderttausend Livres, anzuschaffen, eine Summe, die etwa siebenunddreißigtausendfünfhundert Pfund Sterling gleichkam. Solche Wechsel waren zu jener Zeit in Paris nicht leicht im Laufe eines Tages aufzubringen, nach wenigen Stunden aber war das Geschäft schon besorgt, und ein Courier ging nach London ab.29 Sobald Barillon die Rimessen erhielt, eilte er mit seinen angenehmen Neuigkeiten nach Whitehall. Jakob schämte sich nicht, Thränen der Freude und Dankbarkeit zu vergießen, oder zu thun, als vergösse er solche. „Niemand, außer Ihrem König, begeht so edle und freundliche Handlungen,“ sagte er. „Ich kann ihm niemals meine Dankbarkeit zur Genüge beweisen, geben Sie ihm die Versicherung, daß meine Ergebenheit erst mit meinem Tode endigen wird.“ Rochester, Sunderland und Godolphin kamen, Einer nach dem Andern, den Gesandten zu umarmen und ihm ins Ohr zu raunen, daß er ihrem königlichen Herrn neues Leben gegeben habe.30

Obgleich Jakob und seinen drei Räthen die von Ludwig bewiesene Schnelligkeit recht wohlgefiel, so erreichte doch der Betrag des Geschenks IV.25 keineswegs ihre Erwartung. Da sie durch zudringliche Bettelei anstößig zu werden besorgten, so deuteten sie ihre Wünsche nur leise an. Sie versicherten, es sei nicht ihre Absicht, mit einem so edelmüthigen Wohlthäter wie der König von Frankreich zu feilschen, und sie wären entschlossen, gänzlich seiner Freigebigkeit zu vertrauen. Zugleich machten sie den Versuch, ihn durch ein großes Opfer der Nationalehre sich geneigt zu machen. Es war kein Geheimniß, daß es ein Hauptzweck seiner Politik war, die belgischen Provinzen mit seinem Gebiete zu vereinigen. England hatte durch einen Vertrag mit Spanien, der abgeschlossen werden war, als Danby das Schatzmeisteramt verwaltete, die Verpflichtung übernommen, jedem Versuche Frankreichs auf jene Provinzen sich zu widersetzen. Die drei Minister erklärten Barillon, daß ihr Herr durch jenen Vertrag sich nicht mehr für gebunden erachte, da er durch Karl abgeschlossen worden sei. Für diesen könne er gültig gewesen sein, sein Bruder aber fühle sich nicht durch ihn verpflichtet. Der allerchristlichste König möge daher ohne jede Besorgniß vor Einspruch von Seiten Englands beliebige Schritte thun, Brabant und Hennegau seinem Reiche einzuverleiben.31

28. Die Hauptquelle für Barillon’s Depesche vom 9.(19.) Febr. 1685. Sie befindet sich im Anhange zu Fox’ History. Man sehe auch Preston’s Brief an Jakob d. d. 18.(28.) April 1685 bei Dalrymple.

29. Ludwig an Barillon, 16.(26.) Febr. 1685.

30. Barillon, 16.(26.) 1685.

31. Barillon, 18.(26.) Febr. 1685.

Churchhill als Gesandter nach Frankreich geschickt. Zu gleicher Zeit wurde bestimmt, daß eine außerordentliche Gesandtschaft abgeschickt werden sollte, um Ludwig der Dankbarkeit und Ergebenheit Jakob’s zu versichern. Mit dieser Sendung beauftragte man eine Persönlichkeit, welche noch keine besonders hohe Stellung einnahm, deren Ruf aber, seltsam aus Schande und Ruhm hervorgegangen, zu einer späteren Periode die ganze gebildete Welt erfüllte.

Seine Geschichte. Bald nach der Restauration, in den fröhlichen, sittenlosen Zeiten, welche durch die Feder Hamilton’s so lebhaft geschildert worden ist, fühlte sich Jakob, jung und feurig im Genuß, von Arabella Churchhill angezogen, einer Ehrendame seiner ersten Gemahlin. Das Fräulein war nicht schön, aber Jakob’s Geschmack auch nicht wählerisch, und so wurde sie seine erklärte Maitresse. Sie war die Tochter eines armen Ritters, welcher nach Whitehall kam und sich durch Herausgabe einer längst verschollenen, schwerfälligen und gezierten Folioschrift blamirte. Die Verlegenheiten der Churchhills waren dringender Art, ihre Loyalität glühend, und ihre einzige Empfindung bei Arabella’s Entehrung scheint ein freudiges Erstaunen gewesen zu sein, daß ein so einfaches Mädchen so hoher Auszeichnung würdig befunden wurde.

Ihr Einfluß war von nicht geringem Nutzen für ihre Anverwandten, keiner von ihnen gelangte aber zu so besonderem Glück wie ihr ältester Bruder, Johann, ein schöner junger Mann, der eine Offiziersstelle in der Garde zu Fuß bekleidete. Er avancirte rasch, am Hofe wie im Heere, und machte sich bald als ein Mann von Welt und Heiterkeit bemerkbar. Er besaß eine stattliche Gestalt, ein hübsches Antlitz und ein äußerst einnehmendes Betragen, jedoch mit solcher Würde gepaart, daß es dem naseweisesten Gecken nicht in den Sinn kam, sich Freiheiten gegen ihn zu erlauben, und dabei wußte er sein Temperament in den unangenehmsten und aufregendsten Fällen vollkommen zu beherrschen. Doch hatte, er eine so mangelhafte Erziehung genossen, daß er die gewöhnlichsten Worte seiner Muttersprache nicht richtig zu schreiben wußte, aber sein durchdringender, kräftiger Verstand ersetzte in hohem Grade die fehlende Büchergelehrsamkeit. IV.26 Er war nicht gesprächig, aber bei der Nothwendigkeit öffentlich zu reden, wurde seine kunstlose Beredtsamkeit von den geübtesten Rhetoriken bewundert. Während vieler von Sorge und Gefahr begleiteten Jahre hat er auch in den kritischesten Augenblicken den vollkommenen Gebrauch seiner seltenen Urtheilskraft nicht einmal verloren.

Als er dreiundzwanzig Jahre alt war, stieß er mit seinem Regimente zu den französischen Truppen, welche damals gegen Holland operirten. Seine fröhliche Tapferkeit zeichnete ihn unter den Tausenden wackerer Soldaten aus, seine militairische Tüchtigkeit gewann ihm die Achtung der älteren Offiziere. Turenne, der damals das höchste militairische Ansehen genoß, dankte ihm einst öffentlich vor der Fronte des Heeres und gab ihm viele Beweise von Achtung und Vertrauen.

Unglücklicherweise waren die glänzenden Eigenschaften Churchhill’s mit Fehlern der schmutzigsten Art verbunden. Einige Neigungen, welche bei der Jugend besonders widerwärtig sind, begannen sich bei ihm sehr zeitig zu entwickeln. Selbst bei seinen Lastern ließ er den Vortheil nicht aus den Augen, und bezog bedeutende Stipendien von Damen, welche sich durch die Geschenke freigebigerer Liebhaber bereicherten. Einige Zeit war er ein Gegenstand der heftigen aber vergänglichen Liebe der Herzogin von Cleveland. Als er einst vom König bei ihr angetroffen wurde, war er genöthigt, aus dem Fenster zu springen, und sie belohnte ihm diese ritterliche Galanterie mit einem Geschenk von fünftausend Pfund. Mit diesem Gelde kaufte sich der junge kluge Held sofort eine Leibrente von fünfhundert Pfund jährlich, welche durch Grundbesitz gesichert war.32 In seinen geheimen Schubfächern befanden sich bereits Haufen von Goldstücken, welche nach funfzig Jahren, als er Herzog, Reichsfürst und der reichste Unterthan in Europa war, noch unberührt lagen.33

Nach beendigtem Kriege wurde er dem Hofstaate des Herzogs von York zugeordnet, ging mit seinem Gönner nach den Niederlanden und Edinburg und erhielt für seine Dienste eine schottische Pairschaft und den Befehl über das einzige Dragonerregiment, welches damals im englischen Heere sich befand.34 Seine Gemahlin war im Hofstaate der jüngeren Tochter Jakob’s, der Prinzessin von Dänemark, angestellt.

Lord Churchhill ging nun als außerordentlicher Gesandter nach Versailles. Er war beauftragt, die warme Dankbarkeit der englischen Regierung IV.27 für das so freigebig gespendete Geld auszusprechen. Vorher hatte man den Plan gehabt, Ludwig um eine viel größere Geldsumme zu ersuchen, aber bei weiterem Nachdenken die Besorgniß gehegt, solch unzarte Gier könnte dem Wohlthäter, dessen unerbetene Freigebigkeit sich so glänzend gezeigt, unangenehm berühren, deshalb bekam Churchhill Befehl, blos den Dank für das Geschehene auszudrücken und über die Zukunft zu schweigen.35

Wahrend Jakob und seine Minister jeden Schein von Zudringlichkeit zu vermeiden suchten, wußten sie doch sehr verständlich anzudeuten, welche Wünsche und Hoffnungen sie noch hegten. Sie besaßen an dem französischen Gesandten einen gewandten, thätigen, wohl auch nicht uneigennützigen Unterhändler. Ludwig machte einige Schwierigkeiten, vermuthlich zu dem Zwecke, den Werth seiner Geschenke zu erhöhen, in einigen Wochen aber erhielt Barillon von Versailles fernere fünfzehnhunderttausend Livres, und bekam den Auftrag, diese Summe, welche ungefähr einhundertzwölftausend Pfund Sterling betrug, vorsichtig zu vertheilen. Er sollte der englischen Regierung dreißigtausend Pfund zur Bestechung von Mitgliedern des neuen Hauses der Gemeinen einhändigen, und den Rest für irgend einen außerordentlichen Fall, wie eine Auflösung des Parlaments oder eine Revolution, aufbewahren.36

Die Nichtswürdigkeit dieser Verhandlungen ist allgemein anerkannt, aber ihre wahre Natur scheint oft Mißdeutungen unterlegen zu haben, denn obgleich die auswärtige Politik der letzten zwei Könige der Stuart’schen Dynastie niemals, seit die Correspondenz Barillon’s zur Kenntniß des Publikums gekommen ist, einen Vertheidiger unter uns gefunden hat, so existirt doch noch immer eine Partei, welche es sich angelegen sein läßt, ihre innere Politik zu beschönigen. Es besteht aber kein Zweifel, daß zwischen ihrer inneren und auswärtigen Politik ein nothwendiger und nicht zu trennender Zusammenhang stattfand. Hätten sie nur einige Monate lang die Ehre des Landes nach Außen vertreten, so mußten sie sich entschließen, das ganze System ihrer inneren Verwaltung einer Änderung zu unterwerfen. Sie zu rühmen, weil sie sich sträubten, in Übereinstimmung mit den Ansichten des Parlaments zu regieren, und sie doch zu tadeln, weil sie den Befehlen Ludwig’s Folge leisteten, ist ein Widerspruch, denn sie hatten nur die Wahl, von Ludwig oder vom Parlamente abhängig zu sein.

Um gerecht zu sein, muß man sagen, daß Jakob gern einen dritten Weg eingeschlagen haben würde, aber es war keiner aufzufinden. Er wurde Frankreichs Sklave, aber man würde sich irren, wollte man glauben, er sei ein zufriedener Sklave gewesen. Er hatte Verstand genug, bisweilen sich selbst über solche Beugung unter das französische Joch zu zürnen und eine Befreiung davon zu wünschen, welche Absicht von den Agenten der fremden Mächte aufs Eifrigste unterstützt wurde.

32. Dartmouth’s Note in Burnet, I. 264; Chesterfield’s Letters, Nov. 18. 1748. Chesterfield ist ein unverwerflicher Zeuge, denn die Leibrente ruhte auf dem Gute seines Großvaters Halifax. Ich hoffe, daß ein Zusatz zu dieser Geschichte, der sich bei Pope findet, keine Wahrheit enthält:

Der Ritter, dem sie diese Summe gab,

Schlug später eine halbe Kron’ ihr ab.

Curll nennt dies ein Stück wandernden Skandal.

33. Pope in Spence’s Anecdotes.

34. Man sehe die geschichtlichen Nachrichten von dem ersten, oder königlichen Dragonerregimente. Die Ernennung Churchhill’s zum Befehlshaber dieses Regiments wurde als Beispiel unsinniger Parteilichkeit verschrieen. Ein Spottgedicht jener Zeit, das ich nicht gedruckt gesehen zu haben mich erinnere, von dem aber ein Manuscript im britischen Museum sich befindet, enthält folgende Zeilen:

Schneidet mit Löffeln ins Fleisch

So zeigt das mehr Verstand,

Als daß Churchhill sollte sein

Der Dragoner Commandant.

35. Barillon, 16.(24.) Febr. 1685.

36. Barillon, 6.(16.) April, Ludwig an Barillon, 14.(24.) April.

Stimmung der Regierungen des Continents in Bezug auf England. Sein Regierungsantritt hatte an jedem Hofe des Festlandes Hoffnungen und Befürchtungen hervorgerufen, und der Beginn seiner Regierung wurde von Fremden mit nicht weniger Aufmerksamkeit beobachtet, als von seinen eigenen Unterthanen. Eine einzige Regierung IV.28 wünschte, daß die Unruhen, welche England drei Menschenalter hindurch erschüttert hatten, niemals aufhören möchten; alle übrigen Regierungen aber, republikanische wie monarchische, protestantische wie katholische, hofften, daß diese Zerwürfnisse bald ein glückliches Ende nehmen möchten.

Die Natur der langen Streitigkeiten zwischen den Stuarts und ihren Parlamenten wurde freilich von den auswärtigen Diplomaten nur sehr unvollkommen begriffen, aber keinem Staatsmanne konnte die Wirkung verborgen bleiben, welche diese Streitigkeiten auf das Gleichgewicht der europäischen Mächte ausübten. Nach dem gewöhnlichen Gange der Dinge würden die Sympathien der Höfe von Wien und Madrid ohne Zweifel einem Fürsten gehört haben, der gegen Unterthanen, und namentlich einem katholischen Fürsten, der gegen ketzerische Unterthanen kämpfte, aber alle diese Sympathien wurden jetzt durch ein mächtigeres Gefühl beherrscht. Die Besorgniß und der Haß, welche durch die Macht, die Ungerechtigkeit und den Stolz des französischen Königs hervorgerufen worden waren, befanden sich auf dem Culminationspunkte. Seine Nachbarn konnten wohl in Ungewißheit sein, ob es nachtheiliger sei, mit ihm in Krieg oder in Frieden zu leben, denn im Frieden hörte er nicht auf, sie zu berauben und zu verhöhnen, und Krieg hatten sie schon ohne allen Erfolg mit ihm geführt. In dieser bedrängten Lage richteten sie ihren Blick mit banger Erwartung auf England. Ließ sich annehmen, daß es nach den Grundsätzen der Tripleallianz oder denen des Vertrages von Dover handeln würde? Von dieser Entscheidung hing das Schicksal aller seiner Nachbarn ab. Mit Englands Beistand war es noch möglich, Ludwig Widerstand zu leisten, aber man konnte auf keine Hülfe von ihm rechnen, so lange es nicht mit sich selbst einig war. Bevor der Kampf zwischen dem Throne und dem Parlamente begann, war es eine Macht ersten Ranges; von dem Tage an, wo die Streitigkeiten ausgeglichen wurden, trat es wieder in die Reihe der Mächte höchsten Ranges, so lange aber der Zwiespalt fortdauerte, war es zu Unthätigkeit und Abhängigkeit verdammt. Zu den Zeiten der Plantagenets und Tudors war es groß gewesen, unter den Fürsten, welche nach der Revolution auf dem Throne saßen, war es wiederum groß, aber unter den Königen aus der Dynastie der Stuarts zeigte es auf der Karte von Europa eine leere Stelle. Während eine Gattung von Kräften versiegt war, hatte es eine andre noch nicht gewonnen. Die Art von Macht, welche es ihm im vierzehnten Jahrhunderte möglich machte, Frankreich und Spanien zu demüthigen, war verschwunden; die Art von Macht, welche im achtzehnten Jahrhundert Frankreich und Spanien wiederum niederwarf, noch nicht geschaffen. Die Regierung war nicht mehr eine beschränkte Monarchie, wie im Mittelalter, sie war auch noch nicht eine beschränkte nach der neueren Einrichtung geworden. Sie besaß die Mängel zweier verschiedener Systeme, aber nicht die Kraft eines derselben. Die Elemente dieser Staatseinrichtung, anstatt vereinigt zu wirken, hinderten und vernichteten sich gegenseitig. Überall herrschte Unschlüssigkeit, Hader und Unordnung. Das hauptsächliche Streben des Souverains zielte dahin, die Prärogative des gesetzgebenden Körpers zu beeinträchtigen, und das Streben des gesetzgebenden Körpers ging nach Übergriffen in die Hoheitsrechte des Souverains. Der König bediente sich unbedenklich auswärtiger Unterstützung, welche ihn von dem Elend frei machte, von einem aufrührerischen Parlamente abhängig zu sein. Das Parlament verweigerte dem König die Mittel, die Ehre der IV.29 Nation nach Außen hin kräftig zu vertreten, weil es mit gutem Grunde befürchtete, diese Mittel möchten benutzt werden, um im Inlande Despotismus zu erzeugen. Die Folge dieses gegenseitigen Mißtrauens war, daß unser Vaterland trotz seiner bedeutenden Hülfsquellen eine so untergeordnete Stellung in der Christenheit einnahm wie das Herzogthum Savoyen, oder das Herzogthum Lothringen, und gewiß noch weniger Geltung hatte, wie die kleine Provinz Holland.

Frankreich hatte die begründetsten Ursachen, den Stand dieser Verhältnisse so lange wie möglich zu erhalten,37 während alle übrigen Mächte dringend wünschen mußten, ihn beendigt zu sehen. Ganz Europa war von dem Wunsche durchdrungen, daß Jakob im Einverständniß mit dem Gesetz und der öffentlichen Meinung regieren möchte. Selbst vom Escurial langten Zuschriften an, welche in ernster Weise die Hoffnung aussprachen, daß der neue König in gutes Vernehmen mit seinem Volke und seinem Parlamente treten werde.38 Auch der Vatikan sandte Warnungen gegen unweisen Eifer für den katholischen Glauben. Benedikt Odescalchi, welcher unter dem Namen Innocenz XI. auf dem päpstlichen Stuhle saß, empfand in seiner Stellung als weltlicher Souverain alle die Befürchtungen, mit denen andere Fürsten die Überhandnahme der französischen Macht betrachteten. Er hatte auch seine besonderen Gründe zur Besorgniß. Es war ein wohlthätiger Umstand für den Protestantismus, daß in dem Moment, wo der letzte katholische König von dem Throne Englands Besitz nahm, die katholische Kirche durch Uneinigkeit geschwächt und von einem Schisma bedroht war. Ein ähnlicher Kampf, wie im elften Jahrhundert die Kaiser und Päpste mit einander führten, war zwischen Innocenz und Ludwig ausgebrochen. Ludwig, dem Katholizismus bis zur Bigotterie ergeben, aber mit eiserner Consequenz an seiner königlichen Autorität haltend, beschuldigte den Papst der Eingriffe in die weltlichen Rechte der französischen Krone, und erhielt wiederum vom Papste den Vorwurf, daß er sich Eingriffe in das geistliche Amt der Schlüssel erlaubt habe. Welchen Hochmuth der König auch immer besaß, er fand hier einen noch entschlosseneren Geist, als den seinigen. Innocenz war in seinem Privatleben ein höchst sanfter und gutmüthiger Mann, wenn er aber amtlich IV.30 vom Stuhle Petri sprach, so geschah es in einem Tone, wie ihn Gregor VII. und Sixtus V. zu gebrauchen pflegten. Der Streit wurde heftiger, Beauftragte des Königs wurden in den Bann gethan; Anhänger des Papstes verwiesen. Der König erhob die Vertheidiger seiner Autorität zu Bischöfen, der Papst versagte ihnen die Bestallung. Sie bewohnten die bischöflichen Paläste und bezogen die Einkünfte, aber sie waren nicht berechtigt, das bischöfliche Amt zu verrichten. Noch vor der Beendigung des Streites befanden sich in Frankreich dreißig Prälaten, welche nicht firmeln oder die Weihen ertheilen durften.39

Hätte zu damaliger Zeit ein andrer Fürst als Ludwig eine solche Streitigkeit mit dem Vatikan gehabt, so hätte er darauf rechnen können, daß alle protestantischen Regierungen für ihn Partei nehmen würden, aber die Besorgniß und der Mißmuth, welche der Ehrgeiz und Übermuth des Königs von Frankreich hervorgerufen hatte, waren so bedeutend, daß Jeder, der muthig genug war, ihm mannhaften Widerstand entgegenzusetzen, der allgemeinen Billigung gewiß sein durfte. Selbst Lutheraner und Calvinisten, welche gegen den Papst den tiefsten Haß fühlten, konnten nicht umhin, ihm gegen einen Tyrannen, der eine Universalmonarchie herzustellen beabsichtigte, glücklichen Erfolg zu wünschen. Auf gleiche Art billigten in unsrem Jahrhunderte Viele, welche in dem Papste den Antichrist erblickten, den Widerstand, den derselbe der ungeheuren Macht Napoleon’s entgegenstellte.

Die Erbitterung Innocenz’ gegen Frankreich veranlaßte ihn, die englischen Angelegenheiten mit Milde und Unbefangenheit aufzufassen. Die Rückkehr des englischen Volkes zur Heerde, die er hütete, würde ihn ohne Zweifel sehr glücklich gemacht haben, er war aber ein zu einsichtsvoller Mann, um zu erwarten, daß eine so kühne und trotzige Nation durch die gewaltthätige und verfassungswidrige Handhabung der königlichen Autorität in den Schooß der katholischen Kirche zurückgeleitet werden könne. Es war leicht vorauszusehen, daß ein Versuch Jakob’s, die Interessen seiner Religion durch ungesetzliche und unpopuläre Mittel zu unterstützen, mißlingen würde, daß der Haß, den die ketzerischen Insulaner gegen den wahren Glauben hegten, heftiger und stärker als jemals emporlodern und sich bei ihnen eine nicht zu trennende Verbindung zwischen Protestantismus und bürgerlicher Freiheit, zwischen Katholizismus und Willkürherrschaft bilden müsse. Zu gleicher Zeit würde der König für sein Volk ein Gegenstand der Abneigung und des Verdachts sein. Wie zur Zeit Jakob’s I., Karl’s I. und Karl’s II. würde England als eine Macht dritten Ranges dastehen, und Frankreich rücksichtslos über die Alpen und den Rhein hinaus seine Herrschaft ausüben. In anderer Hinsicht war es nicht unwahrscheinlich, daß Jakob bei klugem und gemäßigtem Benehmen, bei strenger Achtung vor dem Gesetz und wenn er sich bemühte, das Vertrauen des Parlaments zu erlangen, seinen Glaubensgenossen bedeutende Erleichterungen verschaffen konnte. Die Strafgesetze mußten sofort fallen, und die Gesetze, welche die Unfähigkeit zu bürgerlichen Ämtern bestimmten, bald nachfolgen. Indessen konnte der englische König und sein Volk an die IV.31 Spitze der europäischen Coalition treten und den Gelüsten Ludwig’s einen unübersteiglichen Damm entgegenstellen.

Innocenz wurde in seiner Ansicht durch die vornehmsten Engländer, welche an seinem Hofe lebten, unterstützt. Der bedeutendste unter ihnen war Philipp Howard, Abkömmling einer der edelsten Familien Britanniens, von einer Seite Enkel des Earl von Arundel, von der anderen des Herzogs von Lennox. Philipp war schon seit langer Zeit ein Mitglied des heiligen Collegiums, wurde gewöhnlich als der Cardinal von England bezeichnet, und war in Betreff aller Angelegenheiten, welche sein Vaterland betrafen, der wichtigste Rathgeber des heiligen Stuhles. Das Geschrei fanatischer Protestanten hatte ihn in die Verbannung getrieben, und ein Mitglied seiner Familie, der unglückliche Stafford, war als ein Opfer ihrer Wuth gefallen. Aber weder die eigenen Leiden des Cardinals, noch die seines Hauses hatten sein Gemüth so erbittert, daß er unbesonnene Rathschläge gegeben hätte, daher rieth jede Zuschrift, welche vom Vatikan nach Whitehall gesandt wurde, zu Geduld, Mäßigung und Rücksicht auf die Vorurtheile des englischen Volks.40

37. Es ließe sich die halbe Correspondenz Barillon’s als Beweis dieser Behauptung abschreiben, ich werde jedoch blos eine Stelle angeben, worin die Absichten, welche die französische Politik rücksichtlich Englands leiteten, kurz und mit völliger Klarheit ausgesprochen sind. „On peut tenir pour une maxime indubitable, que l’accord du Roy d’Angleterre avec son Parlament, en quelque manière qu’il se fasse, n’est pas conforme aux intérèts de V. M. Je me contente de penser cela sans m’en ouvrir à personne, et je cache avec soin mes sentiments à cet égard.“ — Barillon an Ludwig, 28. Febr. (10. März) 1687. Daß dieses das wirkliche Geheimniß der ganzen Politik Ludwig’s in Bezug auf unser Vaterland war, wußte man in Wien recht gut. Kaiser Leopold schrieb am 30. März (9. April) 1689 an Jakob: Galli id unum agebant, ut, perpetuas inter Serenitatem vestram et ejusdem populos fovendo simultates, reliquae Christianae Europe tanto securius insultarent.

38. Que sea unido con su reyno, y en todo buena intelligencia con el parlamento. Depesche des Königs von Spanien an Don Pedro Ronquillo vom 16.(26.) März 1685. Diese Depesche ist in den Archiven von Simancas aufbewahrt, welche eine Menge Papiere enthalten, die sich auf englische Angelegenheiten beziehen. Copieen der interessantesten derselben besitzt Herr Guizot, welche er mir geliehen hat. Es macht mir ein besonderes Vergnügen, heute diesen Beweis der Freundschaft eines so großen Mannes erwähnen zu können.

39. Wenige englische Leser werden ein tieferes Eingehen in die Geschichte dieses Handels beanspruchen. Übersichten finden sich in Cardinal Bausset’s Leben, Bossuet’s und in Voltaire’s Zeitalter Ludwig’s XIV.

40. Burnet, I. 661 und Brief von Rom; Dodd’s Church History, part. VIII, book I, art. 1.

Innerer Kampf Jakob’s II. In Jakob’s Seele fand ein heftiger Kampf statt. Man würde ihm Unrecht thun, wollte man glauben, daß ein Abhängigkeitszustand seiner Gemüthsart zugesagt hätte. Er liebte Ansehen und Beschäftigung und besaß einen hohen Begriff von seiner persönlichen Würde, ja es fehlte ihm nicht gänzlich eine Empfindung, welche Ähnlichkeit mit Vaterlandsliebe hatte. Tief quälte ihn der Gedanke, daß das von ihm beherrschte Königreich weit weniger Bedeutung in der Welt habe, als viele Staaten, welche geringere natürliche Vortheile besaßen, und er hörte mit Eifer auf die Rede der fremden Gesandten, wenn sie in ihn drangen, die Würde seines Ranges zu behaupten, sich an die Spitze eines großen Bündnisses zu stellen, der Schutzherr gekränkter Nationen zu werden und den Stolz jener Macht zu demüthigen, welche der Schrecken des Continents war. Solche Ermahnungen erregten in seiner Brust Regungen, wie sie sein leichtfertiger und üppiger Bruder nie gefühlt hatte. Jedoch wurden diese Regungen gar bald durch ein stärkeres Gefühl verdrängt. Eine kräftige, auswärtige Politik setzte natürlich eine versöhnliche innere voraus. Es war nicht denkbar, der Macht Frankreichs entgegentreten und zugleich die Freiheiten Englands angreifen zu wollen. Die ausübende Gewalt war nicht im Stande, ohne den Beistand der Gemeinen etwas Wichtiges zu unternehmen, und dieser Beistand war nur dadurch zu erreichen, daß sie in Übereinstimmung mit der Ansicht des Hauses handelte. So fand Jakob, daß die zwei Dinge, nach denen er vorzugsweise strebte, sich nicht zu gleicher Zeit besitzen ließen.

Schwankungen seiner Politik. Sein andrer Wunsch war, im Auslande gefürchtet und geachtet, sein erster aber im eigenen Lande unumschränkter Gebieter zu sein. Zwischen den nicht zu vereinigten Zielpunkten, nach denen sein Sinn strebte, schwankte er lange unentschlossen hin und her. Der Kampf, der ihm am Herzen nagte, gab seinen öffentlichen Handlungen einen seltsamen Anstrich von Unentschlossenheit und Falschheit. Wer ohne nähere Kenntniß der Sache die Irrgänge seiner Politik zu durchschauen versuchte, war nicht im Stande, sich zu erklären, wie IV.32 derselbe Mann in der nämlichen Woche so hochmüthig und so erniedrigend sich betragen konnte. Selbst Ludwig wurde durch das wunderliche Benehmen eines Bundesgenossen, der in wenigen Stunden von Huldigungen zu Trotz und von Trotz zu Huldigungen überging, aus der Fassung gebracht. Jetzt aber, wo das ganze Verfahren Jakob’s klar vor uns liegt, scheint diese Unschlüssigkeit eine ganz einfache Deutung zuzulassen.

Als Jakob die Regierung antrat, war er in Ungewißheit, ob das Königreich sich gutwillig seiner Gewalt fügen werde. Die Ausschließungsmänner, welche vor kurzer Zeit noch so große Macht besaßen, konnten die Waffen gegen ihn ergreifen, er konnte französisches Geld und französische Truppen sehr nothwendig brauchen müssen, und so ließ er sich bestimmen, einige Tage lang die Rolle eines Schmeichlers und Bettlers zu spielen. Er bat demüthig um Verzeihung, daß er sich erlaubt habe, sein Parlament ohne Genehmigung der französischen Regierung zusammen zu berufen. Er bat dringend um französische Subsidiengelder, vergoß Freudenthränen über die französischen Wechsel und schickte eine außerordentliche Gesandtschaft nach Versailles, welche die Versicherung seiner Dankbarkeit, Ergebenheit und Unterwerfung überbringen sollte. Die Gesandtschaft war jedoch kaum abgegangen, als auch schon seine Gesinnungen sich änderten. Man hatte ihn aller Orten ohne einen einzigen Aufstand, ohne jede aufrührerische Kundgebung zum König ausgerufen, aus jedem Winkel der Insel kamen Nachrichten, daß das Volk ruhig und gehorsam sei, und sein Muth nahm überhand. Das unwürdige Verhältniß, in welchem er zu einer fremden Macht stand, schien ihm jetzt unerträglich, er wurde anmaßend, rechthaberisch, großprahlerisch und streitsüchtig. Er sprach in einem so hohen Tone über die Würde seiner Krone und das Gleichgewicht der Macht, daß sein ganzer Hof nichts Geringeres vermuthete, als eine vollständige Revolution in der auswärtigen Politik des Königreichs. Er gab Churchhill Befehl, eine genaue Darstellung des Ceremoniells in Versailles einzusenden, damit der französische Gesandte zu Whitehall nur dieselben Ehren empfangen möchte, welche der englischen Gesandtschaft am französischen Hofe zu Theil geworden waren. Die Kunde von dieser Sinnesänderung wurde zu Madrid, Wien und im Haag mit großer Freude aufgenommen.41 Anfänglich fand Ludwig die Sache nur spaßhaft. „Mein guter Bundesgenosse spricht stolz“, sagte er, „aber er hat eben so große Liebe zu meinen Pistolen, wie sein Bruder sie jemals hatte.“ Bald jedoch erregte das veränderte Betragen Jakob’s, und die Erwartungen, welche daraus für die beiden Zweige des Hauses Österreich hervorgingen, ernstere Aufmerksamkeit. Ein interessanter Brief des französischen Königs ist auf unsre Zeiten gekommen, worin derselbe den starken Verdacht ausspricht, daß er betrogen sei, und daß die Summen, welche er nach Westminster gesandt, gegen ihn benutzt werden könnten.42

Zu dieser Zeit hatte sich England von der Bestürzung und den Befürchtungen erholt, welche durch den Tod des gutmüthigen Karl hervorgerufen worden waren. Die Tories bekannten offen ihre Anhänglichkeit an den neuen Herrscher und die Whigs wagten nicht, ihren Haß zu zeigen. Die große Masse, welche nicht bleibend einer Partei angehört, sondern IV.33 heute dem Whiggismus, morgen dem Toryismus huldigt, stand noch immer auf Seiten der Tories. Die Reaction, welche nach der Auflösung des Oxfordparlaments eintrat, hatte ihre Kraft noch nicht erschöpft.

41. Berathungen des spanischen Staatsraths am 2.(12.) und 16.(26.) April 1685, in den Archiven von Simancas.

42. Ludwig an Barillon vom 22. Mai (1. Juni) 1685; Burnet, I. 623.

Öffentliche Ausübung des katholischen Ritus in Jakob’s Palaste. Der König unterwarf die Loyalität seiner protestantischen Freunde sehr bald einer Prüfung. So lange er noch Unterthan war, hatte er die Gewohnheit, die Messe bei verschlossenen Thüren in einer kleinen Kapelle zu hören, welche für seine Gemahlin hergestellt worden; jetzt gab er Befehl, die Thüren zu öffnen, damit Alle, welche in der Absicht ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen nach Hofe kamen, die Ceremonie mit ansehen möchten. Bei der Erhebung der Hostie entstand im Vorzimmer eine heillose Verwirrung. Die Katholiken sanken auf die Knie, die Protestanten verließen das Zimmer. Es wurde bald darauf im Palaste eine neue Kanzel hergestellt, und während der Fastenzeit eine Reihe von Predigten durch katholische Geistliche vorgetragen, zur größten Entrüstung der eifrigen Anhänger der Landeskirche.43

Eine Neuerung ernsterer Art folgte. Die Charwoche kam heran, und der König faßte den Entschluß, die Messe mit derselben Pracht zu hören, welche seine Vorgänger zur Schau gestellt hatten, wenn sie sich in die Gotteshäuser der Landeskirche verfügten. Er theilte seine Absicht den drei Mitgliedern des inneren Kabinets mit und beanspruchte ihre Begleitung. Sunderland, bei welchem alle Religionen gleiche Geltung hatten, willigte ohne Weiteres ein; Godolphin als Kammerherr der Königin war daran gewöhnt, derselben den Arm zu bieten wenn sie nach der Kapelle ging, und deshalb trug er kein Bedenken von Amtswegen sich in dem Hause Rimmon’s zu demüthigen. Aber Rochester war in großer Verlegenheit. Sein Einfluß im Lande gründete sich auf die vom Klerus und der Partei der Tories gefaßte Meinung, daß er ein eifriger unbeugsamer Anhänger der Landeskirche sei, und seine Rechtgläubigkeit galt als ein vollkommener Ersatz für Fehler, welche ihn außerdem zum mißliebigsten Manne im Reiche gemacht hätten: für grenzenlosen Hochmuth, übertriebene Heftigkeit und Brutalität.44 Er hegte die Besorgniß, daß durch Fügsamkeit in das königliche Verlangen er die Achtung seiner Partei verlieren würde. Nach einigen Debatten bekam er die Erlaubniß, die Festtage außerhalb der Hauptstadt zu verleben; alle übrigen hohen Staatsbeamten erhielten die Aufforderung, am Ostersonntag auf ihrem Posten zu sein. Die Gebräuche der römischen Kirche wurden wiederum nach einem Zeitraum von einhundert und siebenundzwanzig Jahren zu Westminster mit königlicher Pracht ausgeübt. Die Garden standen in Parade, die Ritter des Hosenbandes trugen die großen Bänder. Der Herzog von Somerset, unter den weltlichen Großen des Reiches im Range der zweite, hielt das Staatsschwert. Ein langer Zug hoher Lords geleitete den König nach seinem Sitze, doch bemerkte man, daß Ormond und Halifax im Vorzimmer zurückblieben. Noch vor wenigen Jahren hatten sie die Sache Jakob’s muthig gegen einige von IV.34 Denen beschützt, welche sich jetzt an ihnen vorüberdrängten. Ormond hatte sich bei den Hinopferungen der Katholiken nicht betheiligt, Halifax hatte den Muth gehabt, Stafford für unschuldig zu erklären. Während Diejenigen, welche den Mantel nach dem Winde hingen, einst vorgaben, schon bei dem Gedanken an einen katholischen König sich zu entsetzen, und unbarmherzig das unschuldige Blut eines katholischen Peers vergossen, stießen sie jetzt einander zur Seite, um sich dem katholischen Altar zu nähern. Wohl hatte der vollkommene Trimmer einiges Recht, sich mit geheimem Stolze seines unpopulären Spottnamens zu freuen.45

43. Clarke’s Life of James de Second, II. 5.; Barillon, 19. Febr. (1. März) 1685; Evelyn’s Diary, March 5. 1684—85.

44.

Und wird von ihm etwas begehrt

So schimpft und flucht er unerhört,

Als wärs ein Löffeldieb, der bei ihm eingekehrt.

Lamentable Lory, a Ballad, 1684.

45. Barillon, April 20.(30.) 1685.

Jakob’s Krönung. Eine Woche nach dieser Ceremonie brachte Jakob seinen eigenen religiösen Vorurtheilen ein bedeutenderes Opfer, als er jemals von einem seiner protestantischen Unterthanen beansprucht hatte. Er wurde am 23. April, dem Tage des heiligen Schutzpatrons des Reiches gekrönt. Die Abtei und die Halle waren prachtvoll geschmückt, und die Anwesenheit der Königin, umgeben von den Damen der Peers, gab der Festlichkeit einen Glanz, welcher bei der prachtvollen Inauguration des vorigen Königs gefehlt hatte. Diejenigen aber, die sich derselben noch erinnerten, meinten doch, daß der jetzigen Feierlichkeit etwas äußerst Erhebliches mangle. Es war eine alte Sitte, daß der Souverain vor seiner Krönung umgeben von den Herolden, Richtern, Geheimen Räthen, Lords und Großwürdenträgern im glänzenden Zuge vom Tower nach Westminster ritt. Die letzte und prachtvollste dieser Cavalcaden war die, welche sich durch die Hauptstadt bewegte, als die durch die Restauration hervorgerufenen Empfindungen noch in voller Kraft waren. Triumphbögen überragten die Straßen, ganz Cornhill, Cheapside, der St. Paulskirchhof, Fleet Street und der Strand waren mit Schaugerüsten umgeben, und die ganze City eingeladen, das Königthum in der prachtvollsten und feierlichsten Gestalt zu bewundern, in der es sich zeigen kann. Jakob ließ die Kosten berechnen, welche eine solche Procession erfordern würde, und da sich herausstellte, daß dieselben ungefähr die Hälfte der Summe betragen würde, welche er zur Anschaffung von Schmuck für seine Gemahlin bestimmt hatte, so faßte er den Entschluß, da verschwenderisch zu sein, wo Sparsamkeit an ihrem Orte, und geizig, wo Verschwendung zu entschuldigen gewesen wäre. Der Putz der Königin wurde mit hunderttausend Pfund bezahlt, und der Festzug vom Tower unterblieb. Die Thorheit dieses Verfahrens ist einleuchtend. Wenn Prunk im Staatsleben von Vortheil ist, so kann er es nur als Mittel sein, um auf die Phantasie der Menge einzuwirken. Es verräth einen hohen Grad von Beschränktheit, das gemeine Volk von einem glänzenden Schauspiel zurückzuweisen, dessen Zweck eben darin besteht, einen Eindruck auf den großen Haufen zu machen. Jakob hätte eine weit vernünftigere Freigebigkeit und weisere Sparsamkeit gezeigt, wenn er London mit der gewohnten Pracht von Ost nach West durchzogen und die Staatskleider seiner Gemahlin etwas weniger reich mit Perlen und Diamanten hätte besetzen lassen. Seine Nachfolger ahmten übrigens sein Beispiel noch lange Zeit nach, und Geldsummen, welche vernünftig angewendet einem großen Theile des Volkes einen außerordentlichen Genuß verursacht haben würden, verschwendete man zu Schaustellungen, welchen nur drei- bis viertausend bevorzugte Personen beiwohnen durften. Schließlich trat der altehrwürdige Gebrauch wieder IV.35 ins Leben. An dem Tage, wo die Königin Victoria gekrönt wurde, fand ein Festzug statt, bei welchem zwar nicht wenig Mängel zu bemerken waren, der aber mit theilnehmender Freude von einer halben Million ihrer Unterthanen betrachtet ward, und ohne Zweifel weit größeres Vergnügen machte und höhere Begeisterung hervorrief, als das kostbarere Schauspiel, dessen Zeuge ein auserwählter Kreis im Innern der Abtei war.

Jakob hatte Sancroft den Auftrag ertheilt, das Ritual abzukürzen. Öffentlich führte man als Ursache an, daß der Tag zur Durchführung alles dessen, was zu thun sei, zu kurz wäre, aber wer die Abänderungen, welche getroffen wurden, genauer prüft, wird finden, daß man die Beseitigung einiger, die religiösen Gefühle eines Katholiken verletzenden Dinge beabsichtigte. Der Dienst beim Abendmahl wurde nicht verlesen, die Ceremonie, dem Souverain ein prachtvoll gebundenes Exemplar der englischen Bibel zu überreichen, und ihn zu ermahnen, höher als alle Reichthümer der Erde ein Buch zu schätzen, welches er, als von falschen Lehren entstellt betrachten gelernt hatte — kam in Wegfall. Was aber alle diese Abkürzungen noch übrig ließen, hätte wohl in dem Herzen eines Mannes, welcher überzeugt war, daß die englische Kirche eine ketzerische Genossenschaft sei, in deren Schooße man auf keine Seligkeit zu hoffen habe, Bedenklichkeiten erregen können. Der König legte ein Opfer auf dem Altar nieder, schien in die Bitten der Litanei einzustimmen, welche die Bischöfe absangen, erhielt von den falschen Propheten die eine göttliche Ausgießung darstellende Salbung und sank mit dem Ausdruck der Demuth auf die Knie, während sie den heiligen Geist auf ihn herabriefen, dessen böse und hartnäckige Feinde sie nach seiner Meinung waren. So groß zeigen sich die Widersprüche in der menschlichen Natur, daß dieser Mann, der aus fanatischem Eifer für seinen Glauben drei Königreiche von sich warf, lieber eine Handlung beging, die einer Apostasie sehr ähnlich sah, als daß er das kindische Vergnügen entbehrte, mit dem symbolischen Tand der königlichen Gewalt geschmückt zu werden.46

Franz Turner, Bischof von Ely, hielt die Predigt. Er gehörte zu jenen Schriftstellern, welche noch immer den veralteten Styl des Erzbischofs Williams und des Bischofs Andrews nachahmten. Die Predigt bestand aus gezierten Künsteleien, wie sie siebzig Jahre früher Bewunderung hervorgerufen haben würden, die aber den Spott einer Generation erregten, welche an die reinere Beredtsamkeit eines Sprat, South und Tillotson gewöhnt war. König Salomo war König Jakob, Adonia war Monmouth. Joab war ein Roggenhaus-Verschwörer, Simei ein whiggistischer Pasquillant, Ab Jathar ein redlicher, aber der Verführung erlegener Kavalier. Eine Stelle in den Büchern der Chronik wurde dergestalt interpretirt, daß der König über dem Parlament stehe, und eine andre als Beweis citirt, daß blos der König das Recht habe, die Miliz zu commandiren. Am Ende des Vortrags deutete der Prediger äußerst schüchtern auf die neue und schwierige Situation hin, in der sich die Kirche hinsichtlich des Souverains befand, und erinnerte seine Zuhörer, daß Kaiser Constantius Chlorus, obgleich kein Christ, doch diejenigen Christen hoch geachtet, welche ihrer Religion treu blieben, diejenigen aber mit Verachtung behandelt habe, IV.36 welche sein Wohlwollen durch Abfall zu erwerben suchten. Nach dem Gottesdienste fand ein großes Banket in der Halle statt, dem Banket folgte ein Feuerwerk, und dem Feuerwerke eine Menge schlechte poetische Ergüsse.47

46. Aus Adda’s Depesche vom 22. Jan. (1. Febr.) 1686 und aus den Worten des Paters d’Orleans (Histoire des Revolutions d’Angleterre liv. XI) geht hervor, daß die strengen Katholiken das Verfahren des Königs für unverantwortlich hielten.

47. London Gazette; Gazette de France; Clarke’s Life of James the Second, II. 10; History of the Coronation of King James the Second and Queen Mary by Francis Sandford, Lancaster Herald, fol. 1687; Evelyn’s Diary, May 21. 1685. Depesche der holländischen Gesandten vom 10.(20.) April 1685; Burnet, I. 628; Eachard, III. 734; A Sermon, preached before their Majesties King James the Second and Queen Mary at their Coronation in Westminster Abbey, April 23. 1685 by Francis, Lord Bishop of Ely and Lord Almoner. Ich habe einen italienischen Bericht in der Hand gehabt, welcher in Modena veröffentlicht und besonders wegen der Geschicklichkeit merkwürdig ist, womit der Verfasser die Thatsache umgeht, daß die Gebete und Psalmen englisch und die Bischöfe Ketzer waren.

Enthusiastische Adressen der Tories. Diesen Moment kann man als denjenigen bezeichnen, wo die Begeisterung der Torypartei den Culminationspunkt erreicht hatte. Seit dem Antritte seiner Regierung war der neue König mit Adressen überschüttet worden, welche die tiefste Verehrung für seine Person und sein Amt und den stärksten Abscheu gegen die besiegten Whigs aussprachen. Die Magistratspersonen von Middlesex dankten Gott, daß er die Anschläge jener Königsmörder und Ausschließungsmänner zu Nichte gemacht, welche, nicht zufrieden, einen vortrefflichen Fürsten gemordet zu haben, auch mit der Absicht umgegangen seien, die Grundpfeiler der Monarchie umzustürzen. Die Stadt Gloucester verdammte die blutgierigen Bösewichter, welche den Versuch gewagt hätten, Se. Majestät um ihr Erbrecht zu bringen. Die Bürgerschaft von Wigan versprach ihrem Herrscher, daß sie ihn gegen alle verschwörungssüchtigen Achitophels und rebellischen Absaloms vertheidigen wollte. Die große Jury von Suffolk sprach die Hoffnung aus, daß das Parlament alle Ausschließungsmänner in die Verbannung schicken werde. Verschiedene Körperschaften verpflichteten sich, niemals Jemand in das Parlament zu wählen, der seine Stimme für die Entziehung von Jakob’s Geburtsrecht gegeben habe. Selbst die Hauptstadt zeigte sich höchst unterwürfig. Die Juristen und der Handelsstand wetteiferten zusammen in der Dienstbeflissenheit. Die Collegien der Gerichtshöfe des gemeinen Rechts und der Kanzlei übersandten bombastische Versicherungen der Anhänglichkeit und Devotion, und die großen Handelsgesellschaften, die Ostindische Compagnie, die Afrikanische, Türkische, Moskowitische, Hudsonsbai-Compagnie, die Marylandkaufleute, die Jamaikakaufleute, die abenteuernden Kaufleute, sie Alle erklärten, daß sie sich der königlichen Verordnung, welche von ihnen die fernere Bezahlung des Zolles beanspruchte, gern fügten. Bristol, die zweite Stadt Englands, war das Echo von London, nirgends aber zeigte sich der Geist der Loyalität bedeutender, als an den beiden Universitäten. Oxford versicherte, daß es nimmer die religiösen Grundsätze aufgeben werde, welche ihm die Verbindlichkeit auferlegten, dem König ohne jeden Vorbehalt und jede Beschränkung Gehorsam zu leisten; Cambridge mißbilligte in den heftigsten Ausdrücken die Eigenmächtigkeit und Verrätherei jener unruhigen Männer, welche den böswilligen Versuch gewagt hätten, den Gang der Thronfolge aus seiner alten Bahn zu drängen.48

48. Siehe die London Gazette in den Monaten Februar, März und April 1685.

IV.37

Die Wahlen. Adressen, wie die angeführten, füllten lange Zeit die Nummern der Londoner Zeitung, doch bewiesen die Tories nicht nur durch Adressen ihren Eifer. Die Aufforderungen zur Wahl eines neuen Parlaments waren erlassen worden und das Land durch die geräuschvolle Thätigkeit der Wählenden in Aufregung versetzt. Noch nie hatte die Wahl unter Verhältnissen stattgefunden, welche dem Hofe so günstig waren wie die jetzigen. Hunderttausende, welche das papistische Complot zum Whiggismus getrieben, waren durch das Ryehousecomplot wieder zum Toryismus zurückgescheucht worden. In den Grafschaften konnte die Regierung auf eine überwiegende Majorität der Gentlemen mit dreihundert Pfund und mehr jährlichen Einkommens, so wie bei dem Klerus auf jedes Mitglied desselben zählen. Jenen Burgflecken, einst die Festungen des Whiggismus, hatte man kürzlich durch richterlichen Ausspruch ihre Freibriefe entzogen, oder sie waren dem Urtheil durch freiwilliges Aufgeben derselben zuvorgekommen. Sie waren jetzt in der Art umgestaltet, daß man überzeugt sein konnte, sie würden bei der Wahl nur auf Männer reflectiren, welche der Krone zugethan waren. Wo man den Stadtbewohnern kein Vertrauen schenken konnte, wurde das Wahlrecht auf die benachbarten Squires übertragen. In einigen kleinen Corporationen des Westens bestanden die Wahlkörper hauptsächlich aus Hauptleuten und Leutnants der Garde. Überall handelten die Wahlbeamten im Interesse des Hofes. Der Lordlieutenant und seine Abgeordneten bildeten in jeder Grafschaft einen mächtigen, thätigen und aufmerksamen Ausschuß, um die Freisassen zu gewinnen und einzuschüchtern. Von tausend Kanzeln ertönten feierliche Warnungen, für keinen Whigcandidaten zu stimmen, indem eine solche Handlung vor Demjenigen zu verantworten sein werde, der die Obrigkeit angeordnet und die Rebellion für eine eben so große Todsünde erklärt habe, wie die Zauberei. Alle diese Vortheile benutzte die herrschende Partei nicht nur aufs Äußerste, sondern trieb mit ihnen einen so schamlosen Mißbrauch, daß ruhige und besonnene Männer, welche der Monarchie in der Gefahr treu zur Seite gestanden und weder für Republikaner, noch für Schismatiker eingenommen waren, erschraken und aus solchem Beginnen das Herannahen schlimmer Zeiten weissagten.49

Die Whigs aber, obgleich sie die gerechte Vergeltung ihrer Irrthümer erduldeten, obgleich sie besiegt, entmuthigt und zersprengt waren, wichen nicht ohne Kampf. Noch immer waren sie eine bedeutende Anzahl, namentlich aus den Handelsleuten und Handwerkern der Städte und den Freisassen und Landleuten des flachen Landes bestehend. In einigen Bezirken, wie in Dorsetshire und in Somersetshire bildeten sie die Mehrzahl der Bevölkerung. Zwar konnten sie in den neuconstituirten Burgflecken nichts ausrichten, aber in jeder Grafschaft, wo sich ihnen irgend eine Aussicht bot, kämpften sie wie Verzweifelte. In Bedfordshire, dessen letzter Vertreter der edle, tugendhafte Russel gewesen war, siegten sie beim Händeaufheben, IV.38 unterlagen aber bei der Abstimmung.50 In Essex hatten sie dreizehnhundert Stimmen gegen achtzehnhundert.51 Bei der Wahl für Northampton war der Pöbel in seinem Hasse gegen den Candidaten des Hofes so heftig, daß Truppen auf dem Marktplatze der Hauptstadt der Grafschaft aufgestellt wurden und Befehl erhielten, scharf zu laden.52 Die Geschichte des Wahlgefechts um Buckinghamshire ist noch merkwürdiger. Der Candidat der Whigs, Thomas Wharton, ältester Sohn von Lord Philipp Wharton, war ein durch Gewandtheit und Kühnheit ausgezeichneter Mann, und bestimmt, eine hervorragende, wenn auch nicht immer achtungswerthe Rolle in der Politik verschiedener Regierungen zu spielen. Er gehörte zu den Mitgliedern des Hauses der Gemeinen, welche damals die Ausschließungsbill vor die Schranke des Hauses der Lords gebracht hatten. Der Hof bemühte sich daher, ihn durch redliche oder unredliche Mittel zu beseitigen. Der Lord Oberrichter Jeffreys verfügte sich selbst nach Buckinghamshire, um einem Gentleman, mit Namen Hacket, beizustehen, welcher zu den Hochtories gehörte. Es wurde eine Kriegslist ersonnen, von der man erwartete, daß sie nicht mißglücken könne. Man verbreitete das Gerücht, die Wahl solle zu Ailesbury vor sich gehen, und Wharton, der eine ungemeine Geschicklichkeit in der Anwendung von Wahlkünsten besaß, entwarf auf diese Voraussetzung hin seinen Plan; im letzten Augenblicke jedoch verlegte der Sheriff die Wahlhandlung nach Newport Pagnell. Wharton verfügte sich mit seinen Freunden schleunigst dorthin, fand aber, daß Hacket, dem das Geheimniß bekannt war, dort alle Gasthäuser und sonstigen Herbergen in Beschlag genommen hatte. Die whiggistischen Freisassen sahen sich gezwungen, ihre Pferde an die Hecken zu binden und auf den Wiesen, welche die kleine Stadt umgaben, zu übernachten. Es machte außerordentliche Mühe, in so kurzer Zeit für eine so große Anzahl von Menschen und Thieren die nothwendigen Nahrungsmittel herbeizuschaffen, obgleich Wharton, der im Interesse seines Ehrgeizes und Parteigeistes kein Geld schonte, an einem Tage fünfzehnhundert Pfund ausgab, in damaliger Zeit eine sehr bedeutende Summe. Diese Ungerechtigkeit mag übrigens auf den Muth der munteren Freisassen von Bucks, der Söhne der Wähler John Hampden’s, günstig eingewirkt haben, denn Wharton erhielt nicht allein die meisten Stimmen, sondern er konnte auch seine übrigen Stimmen auf einen Mann von gemäßigteren Ansichten übertragen, wodurch der Candidat des Oberrichters durchfiel.53

In Cheshire währte der Kampf sechs Tage. Die Whigs hatten ungefähr siebzehnhundert Stimmen, die Tories etwa zweitausend. Das niedere Volk stand entschieden auf Seiten der Whigs, schrie: „Nieder mit den Bischöfen!“ beleidigte die Geistlichen auf den Straßen von Cheshire, schlug einen Gentleman von den Tories zu Boden, zertrümmerte die Fenster und prügelte die Constabler. Man rief die Miliz unter die Waffen, um dem Tumult ein Ende zu machen, und ließ sie beisammen, um die Festlichkeiten der siegreichen Partei zu schützen. Als die Abstimmung vorüber war, verkündete eine Salve aus fünf schweren Geschützen vom Schlosse IV.39 der umliegenden Gegend den Sieg der Kirche und der Krone, die Glocken ertönten und die neugewählten Abgeordneten zogen feierlich, begleitet von einem Musikcorps und einem langen Zuge von Rittern und Squires zu dem Stadtkreuz, Auf ihrem Wege sang die Prozession „Heil dem großen Cäsar“, eine loyale Ode, die Durfey kürzlich gedichtet und die, wie alle literarischen Erzeugnisse desselben, zwar sehr jämmerlich, aber trotzdem damals nicht weniger beliebt war, als einige Jahre später das Lillibullero.54 Die Milizen standen in Parade um das Kreuz, ein Freudenfeuer loderte empor, die Ausschließungsbill ward verbrannt und unter lautem Jubelgeschrei auf das Wohl König Jakob’s getrunken. Am folgenden Tage, einem Sonntage, bildete am frühen Morgen die Miliz auf den Straßen, welche nach der Kathedrale führten, ein Spalier. Die beiden Abgeordneten der Grafschaft wurden von den Magistratspersonen der Stadt mit großem Pomp nach dem Chor geführt, hörten eine Predigt des Dechanten — vermuthlich über die Pflicht des passiven Gehorsams — mit an, und wurden sodann von dem Mayor zu einem feierlichen Mahle gezogen.55

In Northumberland war der Sieg Sir Johann Fenwick’s, eines Hofmanns, dessen Name später eine traurige Berühmtheit erlangte, von Umständen begleitet, welche in London Aufsehen erregten und für wichtig genug gehalten wurden, in den Depeschen fremder Minister erwähnt zu werden. Newcastle war durch brennende Holzstöße erleuchtet und von den Thürmen schallte das fröhliche Geläute der Glocken. Eine Copie der Ausschließungsbill und ein schwarzes Kästchen, ähnlich demjenigen, welches nach der Volkssage den Heirathsvertrag zwischen Karl II. und Lucie Walters umschließen sollte, wurde öffentlich unter lautem Jubelrufe in die Flammen geworfen.56

Das allgemeine Resultat der Wahlen übertraf die kühnsten Erwartungen des Hofes. Voller Freude entdeckte Jakob, daß es nicht nothwendig sei, auch nur einen Heller zur Erkaufung von Stimmen zu zahlen; er sagte, mit Ausnahme von etwa vierzig Personen wäre das Haus genau so zusammengesetzt, wie er selbst es gewählt haben würde,57 und nach damaligem Gesetze stand es völlig in seiner Macht, dieses Haus der Gemeinen für die ganze Dauer seiner Regierung zu behalten.

Des parlamentarischen Beistandes gewiß konnte er nun daran denken, sich dem Rachegefühl hinzugeben. Er war nicht versöhnlicher Natur, und als er noch Unterthan war, hatte er verschiedene Male Beleidigungen und Beschimpfungen erduldet, welche selbst ein zur Versöhnung geneigtes Gemüth zu heftiger und nachhaltiger Rachsucht aufregen konnten. Namentlich hatte eine Klasse von Menschen mit beispielloser und unbeschreiblicher Niederträchtigkeit und Grausamkeit seine Ehre und sein Leben bedroht: die Zeugen des Complots. Es war zu verzeihen, wenn er Haß gegen sie fühlte, da noch heute die Erwähnung ihrer Namen den Abscheu und das Grausen aller Secten und Parteien hervorruft.

Einige dieser Elenden waren bereits dem Arme menschlicher Gerechtigkeit entrückt. Bedloe war in seiner Verruchtheit gestorben, ohne jedes IV.40 Zeichen von Reue oder Scham.58 Auch Dugdale war ins Grab gesunken, zum Wahnsinn getrieben, wie man sagte, durch die Qualen des bösen Gewissens, und mit Jammergeschrei die Umstehenden anflehend, Lord Stafford von seinem Sterbelager zu entfernen.59 Auch Carstairs war gestorben. Er endete mit Grauen und Verzweiflung, und in den letzten Augenblicken seines Lebens hatte er den Wärtern geboten, man solle ihn, wie einen Hund, in einen Graben werfen, denn er verdiene kein Grab auf einem christlichen Friedhofe.60

49. Es ließe sich leicht ein Band füllen mit dem, was Geschichtschreiber und Verfasser von Flugschriften über diesen Gegenstand gesagt haben. Ich will nur einen Zeugen nennen, einen Kirchenmann und Tory. Von den Wahlen, sagt Evelyn, behaupte man, daß sie in den meisten Orten höchst unschicklich vor sich gingen. Gott gebe einen bessern Erfolg, als Manche erwarten (10. Mai 1685). Dann sagt er: „Es ist die Wahrheit, daß unter den neuen Mitgliedern sich viele befinden, deren Wahlen und Abordnungen allgemein verdammt werden.“ (22. Mai.)

50. Aus einem Neuigkeitsbriefe in der Bibliothek des königlichen Instituts. Citters erwähnt die Stärke der Whigpartei in Bedfordshire.

51. Bramston’s Memoirs.

52. Reflexions on a Remonstrance and Protestation of all the good Protestants of this Kingdom, 1689; Dialogue between Two Friends 1689.

53. Memoirs of the Life of Thomas Marquess of Wharton, 1715.

54. Man sehe den Guardian Nr. 67, ein treffliches Probestück von Addison’s eigenthümlicher Manier. Es würde nicht leicht sein, bei einem andren Schriftsteller einen solchen Beweis von Wohlwollen, mit Spott gewürzt, aufzufinden.

55. The Observator, April 4. 1685.

56. Depesche des holländischen Gesandten v. 10.(20.) April 1685.

57. Burnet I. 626.

58. A faithful account of the Sickness, Death and Burial of Captain Bedlow, 1680; Narrative of Lord Chief Justice North.

59. Smith’s Intrigues of the Popish Plot, 1685.

60. Burnet I. 439.

Prozeß gegen Oates. Oates und Dangerfield aber befanden sich noch im Bereiche des strengen Fürsten, den sie beleidigt hatten. Kurz vor seinem Regierungsantritte hatte Jakob eine Civilklage gegen Oates wegen ehrverletzender Äußerungen erhoben und eine Jury hatte den Schadenersatz auf den ungeheuren Betrag von hunderttausend Pfund festgestellt. Der Beklagte war in Arrest genommen worden und befand sich jetzt ohne Hoffnung auf Befreiung im Gefängniß. Einige Wochen vor Karl’s Tode hatte die große Jury von Middlesex ihn zweimal des Meineides schuldig befunden, und bald nach dem Schlusse der Wahlen nahm der Prozeß seinen Anfang.61

Oates war unter den höheren und mittleren Klassen kaum ein Freund geblieben. Alle einsichtsvolleren Whigs hatten jetzt die Überzeugung, daß, wenn auch seiner Erzählung einige Thatsachen zu Grunde lägen, er doch auf diese Grundlage ein großes Gebäude romantischer Darstellungen errichtet habe. Eine nicht unbedeutende Anzahl von Fanatikern aus der niederen Volksklasse sahen in ihm jedoch noch immer einen öffentlichen Wohlthäter. Diesen Leuten war es nicht unbekannt, daß sein Urtheil ein höchst strenges sein würde, wenn es gelang, ihm seine Schuld zu beweisen, und sie waren daher unermüdlich in ihren Versuchen, ihm zur Flucht zu verhelfen. Obgleich er sich jetzt nur in Schuldhaft befand, wurde er doch von den Beamten des Gefangenhauses in Eisen gelegt und selbst auf diese Art nur mit großer Mühe in sicherem Gewahrsam erhalten. Ein Bullenbeißer, welcher als Wächter vor seiner Thür lag, wurde vergiftet und in der Nacht vor dem Beginn seines Prozesses eine Strickleiter in seine Zelle gebracht.

An dem Tage, wo er vor Gericht gestellt wurde, war Westminsterhall überfüllt von Zuschauern, worunter viele Katholiken, die begierig waren, das Elend und die Erniedrigung ihres Verfolgers zu betrachten.62 Vor wenigen Jahren war sein kurzer Hals, seine krummen Dachsbeine, seine Stirn, so zusammengedrückt wie die eines Pavians, seine dunkelrothen Wangen und die seltsame Länge seines Kinnes Allen wohlbekannt, welche die Gerichtshöfe betraten; damals war er der Abgott des Volkes, wo er sich zeigte, hatte man vor ihm das Haupt entblößt, das Leben und die Güter der ersten Männer des Reichs waren seiner Willkür preisgegeben; jetzt war es anders geworden, und Viele, die früher in ihm den Befreier des Vaterlandes erblickten, erfaßte jetzt ein Grausen, als sie die scheußlichen IV.41 Züge erblickten, auf welche die Hand Gottes den Stempel der Schurkerei gedruckt zu haben schien.63

Es war bis zur größten Gewißheit erwiesen, daß dieser Mann durch falsche Beschuldigungen mit Absicht mehrere unschuldige Personen um’s Leben gebracht hatte. Vergeblich bat er die bedeutendsten Mitglieder des Parlaments, welche ihn belohnt und erhoben hatten, zu seinem Gunsten Zeugniß abzulegen, einige von den Aufgeforderten verließen den Saal, keiner aber machte den geringsten Versuch zu seiner Vertheidigung. Einer, der Earl von Huntingdon, machte ihm die heftigsten Vorwürfe, daß er die Häuser betrogen und die Schuld auf sie geladen habe, unschuldiges Blut zu vergießen. Die Richter ließen den Angeklagten hart an und schmähten ihn mit einer Leidenschaftlichkeit, welche selbst in den scheußlichsten Fällen mit der richterlichen Würde sich nicht verträgt. Er zeigte jedoch weder Furcht noch Scham und ertrug die Fluth von Schmähungen, welche von den Schranken, der Richterbank und Zeugenloge auf ihn losbrach, mit dem Trotze der Verzweiflung. Er wurde beider Anklagen schuldig befunden. Sein Verbrechen war zwar, vom moralischen Standpunkte angesehen, Mord der schwersten Art, nach dem Gesetz jedoch noch kein peinliches Verbrechen. Es lag aber in der Absicht des Tribunals, seine Strafe empfindlicher zu machen, als sie Verbrechern der ersten und zweiten Klasse zu Theil wurde, und ihm nicht blos das Leben zu rauben, sondern ihn auch unter entsetzlichen Qualen zu tödten. Es wurde das Urtheil über ihn ausgesprochen, er solle, seiner geistlichen Tracht entkleidet, im Palasthofe an den Pranger gestellt werden, alsdann sollte man ihn — mit einer Inschrift, welche seine Schandthaten aussprach, über seinem Haupte — um Westminsterhall führen, der königlichen Börse gegenüber wieder an den Pranger stellen und alsdann von Oldgate nach Newgate peitschen. Nach einer Pause von zwei Tagen sollte er wieder von Newgate nach Tyburn gepeitscht werden. Wenn er gegen alle Wahrscheinlichkeit nach dieser entsetzlichen Strafe noch lebte, so sollte er lebenslänglich — in enger Kerkerhaft bleiben, in jedem Jahre aber fünfmal aus dem Gefängniß gebracht und in verschiedenen Theilen der Hauptstadt an den Schandpfahl gestellt werden.64

Das schreckliche Urtheil wurde streng vollstreckt. An dem Tage, wo Oates am Pranger stand, wurde er unbarmherzig gesteinigt und war in größter Gefahr, zerrissen zu werden.65 In der City erregten zwar seine Anhänger, die sich in bedeutender Anzahl versammelt hatten, einen Tumult und warfen den Pranger um; aber es gelang ihnen nicht, ihren Liebling zu befreien.66

Man besorgte, er würde einen Versuch machen, dem schrecklichen Schicksale, welches seiner harrte, sich durch Gift zu entziehen, deshalb wurde Alles, was er genoß, einer sorgfältigen Prüfung unterworfen. Am nächsten Morgen wurde er vorgeführt, um die erste Auspeitschung zu empfangen, und schon in der frühesten Stunde wogten die Menschenmassen in den IV.42 Straßen zwischen Oldgate und der Old Bailey. Der Henker führte die Peitsche mit solcher Erbarmungslosigkeit, daß man wohl sah, er habe ganz besondere Befehle erhalten. Das Blut strömte an dem Verbrecher herab. Eine Zeit lang zeigte er eine außerordentliche Standhaftigkeit, bis endlich seine hartnäckige Ausdauer erlag. Sein Geheul war fürchterlich, er fiel mehrere Male in Ohnmacht, aber die Peitsche hörte nicht auf, ihn zu zerfleischen. Als er losgebunden wurde, schien er das Äußerste ertragen zu haben, was ein menschlicher Körper bis zur Auflösung auszuhalten vermag. Jakob wurde gebeten, die zweite Auspeitschung zu unterlassen, aber seine Antwort war kurz und bündig: „Man soll damit fortfahren, so lange er noch Athem im Leibe hat!“ Ein Versuch, die Verwendung der Königin für den Unglücklichen zu erlangen, mißglückte gleichfalls, indem sie sich entrüstet weigerte, ein Wort zu Gunsten eines solchen Elenden zu verlieren. Nach einer Pause von achtundvierzig Stunden wurde Oates wiederum aus dem Gefängniß herbeigeholt. Er war nicht mehr fähig, sich auf den Füßen zu erhalten, so daß es nöthig wurde, ihn auf einer Schleife nach Tyburn zu schleppen. Wie es schien, hatte er nicht die geringste Empfindung, und die Tories versicherten, daß er sich durch den Genuß starker Getränke betäubt habe. Eine Person, welche die Schläge, welche er am zweiten Tage empfing, gezählt hat, versicherte, daß er deren siebzehnhundert erhalten. Der elende Mensch kam mit dem Leben davon, jedoch mit so genauer Noth, daß seine beschränkten und bigotten Anhänger seine Genesung für ein Wunder hielten und dieselbe als einen Beweis seiner Schuldlosigkeit anführten. Die Thür des Gefängnisses fiel hinter ihm ins Schloß und viele Monate lang lag er gefesselt in dem finstersten Kerker von Newgate. Man versicherte, daß er in seiner Zelle gänzlich der Schwermuth anheimfiel und, tiefe Seufzer ausstoßend, die Arme verschlungen und den Hut über die Augen gezogen, Tage lang vor sich hinbrütete. Nicht blos England nahm an diesen Ereignissen regen Antheil. Millionen Katholiken, welche weder von unseren Institutionen, noch unseren Parteien etwas wußten, hatten erfahren, daß auf unsrer Insel die Bekenner des wahren Glaubens einer unmenschlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen wären, daß viele fromme Männer den Märtyrertod erlitten und Titus Oates das Haupt der Mörderbande gewesen sei; daher entstand großer Jubel in fernen Landen, als man erfuhr, daß Gottes Gericht ihn getroffen habe. Kupferstiche, welche ihn am Schandpfahl und auf der Schleife sich windend darstellten, verbreiteten sich über das ganze Europa und Epigrammenschreiber machten in allen Sprachen ihre Witze über den Doctortitel, welchen er von der Universität zu Salamanca erlangt haben wollte, und bemerkten, da seine Stirn nicht mehr des Erröthens fähig sei, so wäre es ganz in der Ordnung, daß sein Rücken dazu gebracht werde.67

IV.43

Obgleich die Leiden des Oates entsetzlich waren, so standen sie doch zu seinen Verbrechen in keinem Verhältniß. Das alte englische Gesetz, welches außer Gebrauch gekommen war, behandelte den falschen Zeugen, der durch seinen Meineid den Tod eines Menschen verursachte, als Mörder.68 Es verrieth das eben so viel Weisheit wie Gerechtigkeit, denn ein solcher Zeuge ist in der That ein höchst gefährlicher Mörder. Mit dem Verbrechen, unschuldiges Blut zu vergießen, vereinigt er die schwere Schuld, die heiligste Verpflichtung zu verletzen, welche der Mensch seinem Mitmenschen gegenüber eingehen kann, und Gerichtsstellen, auf die das Volk nothwendig mit Ehrerbietung und Vertrauen blicken muß, zu Werkzeugen abscheulichen Unrechts und Gegenständen des allgemeinen Mißtrauens zu machen. Das Unglück, welches durch einen gewöhnlichen Meuchelmord herbeigeführt wird, steht in keinem Verhältniß zu dem Unglück, welches ein Meuchelmord erzeugt, bei dessen Ausübung die Gerichtshöfe als Helfershelfer mitgewirkt haben. Die bloße Vernichtung des Menschenlebens ist der unbedeutendste Theil von dem, was eine Hinrichtung entsetzlich macht. Die verlängerte Seelenangst des Delinquenten, die Schande und das Unglück seiner Angehörigen, die bis zur dritten und vierten Generation nachwirkende Schmach, das sind viel schrecklichere Dinge, als der Tod selbst. Man kann mit Gewißheit annehmen, daß der Vater einer zahlreichen Familie lieber alle seine Kinder durch ein böses Geschick oder Krankheit verlieren würde, als ein einziges durch die Hand des Henkers. Mord, durch falsches Zeugniß herbeigeführt, ist daher die schwerste Art des Mordes, und Oates hatte sich vieler solcher Morde schuldig gemacht; dennoch läßt sich die Strafe, mit welcher er belegt wurde, nicht rechtfertigen. Indem ihn die Richter verurtheilten, das geistliche Gewand abzulegen und auf Lebenszeit im Kerker zu schmachten, scheinen sie über ihre gesetzliche Berechtigung hinausgegangen zu sein. Sie waren ohne Zweifel befugt, ihn zur Auspeitschung zu verurtheilen, auch hatte das Gesetz die Anzahl der Hiebe nicht bestimmt; vollkommen verständlich war aber der Geist des Gesetzes, daß kein peinliches Vergehen strenger bestraft werden dürfte, als ein scheußliches Verbrechen. Der schwerste Verbrecher konnte blos zum Galgen verurtheilt werden, die Richter jedoch verurtheilten den Oates — wie sie wenigstens glaubten — zum Tode durch die Peitsche. Die Mangelhaftigkeit des Gesetzes bietet keine genügende Entschuldigung, denn mangelhafte Gesetze müssen durch die gesetzgebende Gewalt geändert und nicht von den Gerichtshöfen ausgedehnt werden, am wenigsten aber sollte man ein Gesetz mißbrauchen, um Qualen zu verursachen und Leben zu vernichten. Daß Oates ein Schurke war, entschuldigt nicht ausreichend, denn in der Regel erdulden zuerst die Schuldigen solche Unbilden, welche man nachher als Vorgänge benutzt, um die Unschuldigen zu unterdrücken. So war es in diesem Falle. Die unbarmherzige Anwendung der Peitsche wurde sehr bald eine Strafe für unbedeutende politische Vergehen. Man verurtheilte IV.44 wegen unüberlegter Äußerungen gegen die Regierung Menschen zu solchen Martern, daß sie in vollem Ernste baten, man möchte sie lieber eines Capitalverbrechens anklagen und an den Galgen schicken. Glücklicherweise wurde diesem großen Übel sehr bald durch die Revolution und durch den Artikel der „Bill der Rechte“, welche alle grausamen und ungewöhnlichen Strafen verwirft, eine Ende gemacht.

61. Man sehe die Verhandlungen in der Collection of State Trials.

62. Evelyn’s Diary, May 7, 1685.

63. Es giebt noch verschiedene Portraits von Oates. Die richtigsten Schilderungen seiner Person finden sich in North’s Examen, 225; in Dryden’s Absalom and Achitophel und in einem Folioblatt unter dem Titel: A Hue and Cry after T. O.

64. Die Verhandlungen sind ausführlich in der Sammlung der Staatsprozesse zu finden.

65. Gazette de France, May 29. (Juni 9.) 1685.

66. Depesche des holländischen Gesandten, 19.(29.) Mai 1685.

67. Evelyn’s Diary, May 22. 1685; Eachard III. 741; Burnet, I. 637; Observator, May 27. 1685; Oates’s Εἰκὼν βροτολοιγοῦ, 1697; Commons’ Journals, May, June and July, 1689; Tom Brown’s Advice to Dr. Oates. Einige interessante Umstände werden auf einem Foliobogen im Verlag von A. Brooks, Charing Croß, 1685, erwähnt. Ebenso habe ich damals erschienene französische und italienische Flugschriften gesehen, welche die Geschichte des Prozesses und der Strafvollstreckung enthielten. Ein Kupferstich, worauf Titus am Pranger abgebildet ist, erschien zu Mailand mit folgender wunderlicher Inschrift: Questo e il naturale ritratto di Tito Otez o vero Oatz, Inglese, posto in berlina, uno de, principali professori della religione protestante acerrimo persecutore de Cattolici e gran spergiuro. Ebenso ist mir ein holländischer Kupferstich mit seiner Bestrafung vorgekommen, worauf einige lateinische Verse stehen, von denen ich hier eine Probe gebe:

„At Doctor Fictus non Fictos pertulit ictus,

A tortore datos haud molli in corpore gratos,

Disceret ut vere scelera ob commissa rubere.“

Das Anagram seines Namens: „Testis Ovat“ ist auf vielen in den verschiedenen Ländern erschienenen Stichen zu finden.

68. Blackstone’s Commentaries, Chapter of Homicide.

Prozeß gegen Dangerfield. Die Schurkerei des Dangerfield hatte nicht wie die des Oates viele unschuldige Opfer vernichtet, indem Dangerfield das Geschäft eines falschen Zeugen erst zu betreiben anfing, als das Complot bereits seine Wichtigkeit verloren und die Geschwornen ungläubig geworden waren.69 Man stellte ihn nicht wegen Meineids, sondern wegen des geringern Vergehens, eine Schmähschrift verfaßt zu haben, vor Gericht. Während der Aufregung, welche die Ausschließungsbill hervorrief, hatte er eine Erzählung in Umlauf gebracht, worin einige unwahre und heimtückische Beschuldigungen gegen den vorigen und den jetzigen König enthalten waren; in Folge dieser Veröffentlichung wurde er jetzt, nach Ablauf von fünf Jahren, plötzlich verhaftet, vor den Geheimen Rath gebracht, verhört, für schuldig erklärt und verurtheilt, von Oldgate nach Newgate und von da nach Tyburn gepeitscht zu werden. Der Unglückliche behauptete während der Verhandlungen eine große Keckheit, als ihm aber sein Urtheil bekannt gemacht wurde, erfaßte ihn die äußerste Verzweiflung, er betrachtete sein Leben als verloren und wählte einen Text zu seiner Leichenpredigt. Er hatte richtig geahnet. Wenn er auch nicht so ganz unmenschlich gepeitscht wurde wie Oates, so besaß er auch nicht dessen körperliche und geistige Kraft. Nach erlittener Strafe wurde Dangerfield in eine Miethkutsche gebracht und nach dem Gefängniß zurücktransportirt. Als er an der Ecke von Hatton Garden vorüberkam, hielt ein Tory von Gray’s Inn, mit Namen Francis, den Wagen an und rief mit brutaler Übermüthigkeit: „Nun Freund, ist es Euch diesen Morgen nicht warm geworden?“ Der blutbedeckte Gefangene, durch diesen Hohn zur Wuth gebracht, antwortete mit einem Fluche; da schlug ihn Francis sofort mit einem Rohrstocke über das Gesicht und verletzte ihm das Auge. Dangerfield wurde mit dem Tode ringend nach Newgate gebracht. Diese schändliche Gewaltthätigkeit empörte die Umstehenden dermaßen, daß sie Francis ergriffen und nur mit größter Mühe zurückgehalten wurden, ihn in Stücken zu reißen. Der Anblick von Dangerfield’s Körper, den die Peitsche entsetzlich zerfleischt hatte, ließ Viele glauben, daß sein Tod vorzüglich, wenn auch nicht allein durch die Peitschenhiebe verursacht worden sei; die Regierung aber und der Oberrichter hielten es für gut, die ganze Schuld auf Francis zu laden, dem man, obgleich er im schlimmsten Falle nur eines Todtschlags unter erschwerenden Umständen schuldig gewesen zu sein scheint, wegen Mordes den Prozeß machte und ihn hinrichten ließ. Seine letzte Rede ist ein höchst merkwürdiges Denkmal der Sitten jener Zeit. Der wilde Geist, der ihn an den Galgen brachte, blieb ihm bis IV.45 zum letzten Augenblick. Prahlerische Versicherungen seiner Loyalität und Schimpfreden auf die Whigs wechselten ab mit Abschiedsseufzern, womit er seine Seele der Gnade des Himmels empfahl. Es circulirte ein Gerücht, daß Dangerfield, der ein schöner Mann war und im Rufe der Galanterie stand, von Francis’ Weibe geliebt worden sei, und man behauptete, die Eifersucht habe den verhängnißvollen Schlag geführt. Der dem Tode geweihte Ehemann nahm mit einem halb komischen, halb rührenden Eifer die Ehre seiner Gattin in Schutz. „Sie ist ein tugendhaftes Weib aus einem loyalen Geschlecht“, sagte er, „und wenn sie die Absicht gehabt hätte, ihr eheliches Gelübde zu brechen, so würde sie wenigstens einen Tory und Anhänger der Landeskirche zu ihrem Geliebten gewählt haben.“70

69. Nach Roger North entschieden die Richter, daß Dangerfield, der früher des Meineids überführt wurden, der Zeugenschaft in der Verschwörungsgeschichte unfähig sei. Das ist aber eines der vielen Beispiele von Roger’s Ungenauigkeit. Aus einem Berichte über den Prozeß des Lord Castlemaine im Juli 1680 geht hervor, daß nach vielen Debatten unter den Sachwaltern und langer Berathung unter den Richtern der verschiedenen Gerichtshöfe in Westminsterhall Dangerfield vereidet wurde und seine Erzählung vortragen durfte; die Jury aber schenkte ihm vernünftiger Weise keinen Glauben.

70. Über Dangerfield’s Prozeß fehlen die offiziellen Nachrichten, ich habe aber einen gedrängten Bericht darüber in einer gleichzeitigen Flugschrift gefunden. Ein Auszug des Beweises gegen Francis, so wie seine letzte Rede, befindet sich in der Collection of State Trials. Man sehe Eachard III. 741. Burnet’s Erzählung enthält mehr Fehler als Zeilen. Auch sehe man North’s Examen, 256, den Abriß von Dangerfield’s Leben in den Bloody Assizes, den Observator vom 29. Juli 1685, und das Gedicht mit der Überschrift: Dangerfields Ghost to Jeffreys. In dem sehr seltenen Band, betitelt: „Succinet Genealogies, by Robert Halstead“, erklärt Lord Peterborough, daß Dangerfield, mit dem er einigen Umgang hatte, ein junger Mann war, dessen anständiges Äußere, ernste Haltung und Rede mehr als gewöhnliche Bildung verriethen.

Prozeß gegen Baxter. Zu derselben Zeit betrat ein Angeklagter ganz andrer Art wie Oates und Dangerfield den Gerichtssaal der Kings Bench. Kein hervorragender Parteiführer ist jemals durch lange Jahre bürgerlicher und religiöser Unruhen schuldloser geblieben, als Richard Baxter. Er gehörte der mildesten und gemäßigtsten Klasse der Puritaner an und war noch ein junger Mann, als die Revolution ausbrach. Überzeugt, daß das Recht auf Seiten der Häuser sich befinde, übernahm er unbedenklich die Stelle eines Kaplans bei einem Regimente der Parlamentsarmee, und sein heller und etwas skeptischer Verstand, sowie sein starker Sinn für Gerechtigkeit schützten ihn vor allen Übergriffen. Er ließ es sich angelegen sein, die fanatische Wildheit der Soldaten zu zügeln, und mißbilligte die gewaltthätigen Handlungen des hohen Gerichtshofs. Während der Republik war er verwegen genug, bei vielen Gelegenheiten, und sogar einmal in Cromwell’s Anwesenheit, Liebe und Ehreehrbietung für die alten Staatseinrichtungen des Vaterlandes auszusprechen. Während die königliche Familie in der Verbannung lebte, hielt sich Baxter meistentheils zu Kidderminster auf und lag mit großem Eifer seinen geistlichen Pflichten ob. Er betheiligte sich aufs Angelegentlichste bei der Restauration und wünschte von ganzem Herzen eine Einigung, zwischen den Episcopalen und den Presbyterianern herbeizuführen. Mit einer, für die damalige Zeit seltenen Unbefangenheit betrachtete er die Fragen über die kirchliche Verfassung als von geringerer Bedeutung, als die großen Prinzipien des Christenthums, und hatte selbst damals, als das Prälatenthum von den dominirenden Gewalten am meisten gehaßt war, nicht in das Geschrei gegen die Bischöfe eingestimmt. Der Versuch, die feindlichen Parteien zu versöhnen, mißglückte. Baxter theilte freiwillig sein Schicksal mit dem seiner verbannten Freunde, wies den Bischofshut von Hereford zurück, entsagte der Pfarrei zu Kidderminster und beschäftigte sich nur mit seinen Studien. Seine theologischen Werke, obgleich zu gemäßigt, um den bigotten Anhängern einer der beiden Parteien zu gefallen, hatten einen großen IV.46 Ruf. Eifernde Männer der Hochkirche nannten ihn einen Rundkopf, und viele Nichtconformisten schimpften ihn einen Erastinianer und Arminianer. Sein redliches Herz aber, so wie die Unbescholtenheit seines Lebens, die Stärke seiner Fähigkeiten und seine bedeutenden Kenntnisse erkannten die rechtlichsten und weisesten Männer jeder Glaubensrichtung an. Trotz der Unterdrückung, welche ihm und seinen Brüdern zu Theil geworden, hatten seine politischen Meinungen die Grenzen der Mäßigung nie überschritten. Er war ein Freund der kleinen Partei, welche die Whigs und die Tories haßten, und versicherte, nicht in die Verdammung der Trimmer einstimmen zu können, wenn er daran dächte, wer es gewesen sei, der die Friedensstifter gesegnet habe.71

In einem Commentar zum neuen Testamente hatte er mit einiger Bitterkeit über die Verfolgung geklagt, der die Dissenters ausgesetzt waren. Daß Männer, die, weil sie das Gebetbuch nicht benutzten, aus ihren Häusern vertrieben, ihres Eigenthums beraubt und in das Gefängniß gebracht wurden, es wagten, ihre Unzufriedenheit darüber kundzugeben, wurde damals als ein schweres Verbrechen gegen Staat und Kirche betrachtet. Roger Lestrange, der Kämpfer für die Regierung und das Orakel der Geistlichkeit, erhob im Observator den Kriegsruf, und es wurde eine Anklage geschmiedet. Baxter bat um eine Frist, seine Vertheidigung vorzubereiten. An demselben Tage, wo Oates im Palasthofe am Pranger stand, kam das berühmte Haupt der Puritaner, niedergedrückt von Alter und Kränklichkeit, nach Westminsterhall, um dieses Gesuch vorzutragen. Jeffreys schäumte vor Wuth. „Nicht eine Minute“, brüllte er, „und kostete es mein Leben. Ich werde mit Heiligen ebenso gut fertig, wie mit Sündern. Dort steht Oates auf einer Seite des Prangers, wenn Baxter auf der andren stände, so würden die zwei größten Halunken des Landes nebeneinander stehen.“

Als der Prozeß in Guildhall begann, war der Gerichtshof angefüllt mit Denen, welche Baxter Liebe und Verehrung zollten. Ihm zur Seite stand Doctor William Bates, einer der vorzüglichsten nonconformistischen Geistlichen. Zwei whiggistische Advokaten von bedeutendem Rufe, Pollexfen und Wallop, erschienen für den Angeklagten. Eben hatte Pollexfen seine Anrede an die Jury begonnen, als der Oberrichter losdonnerte: „Pollexfen, ich kenne Euch sehr gut und will Euch ein Zeichen anhängen, Ihr seid der Beschützer der Faction! Das ist ein alter Schuft, ein schismatischer Halunke, ein heuchelnder Bube! Er ist ein Feind der Liturgie und verlangt nichts als langgedehntes Gewinsel ohne Buch.“ Darauf verdrehte Seine Herrlichkeit die Augen, faltete die Hände und begann in einer Art, welche er für eine Persiflage von Baxter’s Manier zu predigen hielt, durch die Nase zu singen: „Herr, wir sind dein Volk, dein auserwähltes Volk, dein theures Volk!“ Pollexfen machte den Gerichtshof mit Bescheidenheit darauf aufmerksam, daß Seine Majestät, der verstorbene König, Baxter eines Bisthums würdig gehalten habe. „Und was kratzte denn den alten Dummkopf, daß er es nicht annahm?“ schrie Jeffreys. Seine Wuth erreichte jetzt den höchsten Grad, er schimpfte Baxter einen Hund, und schrie, daß es nur ein Act der höchsten Gerechtigkeit sein würde, solch einen Buben durch die Stadt peitschen zu lassen. Jetzt nahm Wallop das Wort, es erging IV.47 ihm aber nicht besser, als seinem Vorgänger. „Ihr betheiligt Euch bei allen schmutzigen Angelegenheiten, Mr. Wallop“, sagte der Richter, „Gentlemen in der Robe der Rechtsgelehrten sollten sich schämen, solchen revolutionären Schuften ihren Beistand zu gewähren.“ Der Anwalt bemühte sich noch einmal, Gehör zu erlangen, aber vergebens, „Wenn Euch Eure Pflicht unbekannt ist“, rief Jeffreys, „so will ich sie Euch kennen lehren.“

Wallop setzte sich nieder, und jetzt machte Baxter einen Versuch, sich zu vertheidigen, aber der Oberrichter ließ durch einen Strom von schmutzigen und schmähenden Worten, vermischt mit Citaten aus Hudibras, keine vernünftige Vorstellung aufkommen. „Mylord“, sagte der Greis, „die Dissenters haben mir den Vorwurf gemacht, daß ich mit Achtung von den Bischöfen gesprochen.“ „Was?“ schrie der Richter, „Baxter für die Bischöfe? das ist in der That ein köstlicher Einfall! ich verstehe, was Ihr unter Bischöfen versteht, Schufte, wie Ihr selbst, Kidderminster-Bischöfe, revolutionäre, schnüffelnde Presbyterianer!“ Noch einmal bemühte sich Baxter, zu Worte zu kommen, und wiederum schrie Jeffreys. „Richard, Richard, glaubst Du, wir werden Dir erlauben den Hof zu vergiften? Du bist ein alter Schurke, Richard, hast so viel Bücher geschrieben, daß man einen Wagen damit beladen könnte, und jedes Buch ist mit revolutionären Ideen angefüllt, wie ein Ei mit Flüssigkeiten! Bei der Gnade des Himmels, ich will mit Dir fertig werden. Wie ich bemerke, harrt eine große Anzahl Eurer Brüderschaft auf den Ausgang, um zu erfahren, welches Schicksal ihren Meister treffen wird. Und hier ist ein Doctor der Partei an Eurer Seite“, fuhr er fort, indem er mit wilden Blicken Bates betrachtete, „aber beim allmächtigen Gott, Ihr sollt alle der Vernichtung anheimfallen!“

Baxter schwieg, aber einer der jüngeren Advocaten, welchem die Vertheidigung zustand, machte einen letzten Versuch, um den Beweis zu liefern, daß die Worte, auf welche die Anklage gegründet war, die Auslegung nicht gestatteten, welche die Klagschrift angab. Zu diesem Behuf begann er den Inhalt derselben vorzulesen, aber sofort wurde er niebergebrüllt. „Ihr sollt den Gerichtshof in keinen Betsaal verwandeln!“ Als Baxter’s Freunde in lautes Weinen ausbrachen, nannte sie der Richter „blökende Kälber“.

Unter den Entlastungszeugen befanden sich auch mehrere Geistliche der Landeskirche, der Oberrichter aber wollte nichts hören. „Glaubt Eure Herrlichkeit“, fragte Baxter, „daß irgend eine Jury bei einem Verfahren wie das gegenwärtige den Angeklagten für schuldig erklären kann?“ „Das versichere ich Euch, Mr. Baxter“, entgegnete Jeffreys, „tragt keine Sorge darum!“ Jeffreys hatte wahr gesprochen, die Sheriffs waren Werkzeuge der Regierung, die Geschwornen von den Sheriffs aus den eifrigsten Anhängern der Torypartei genommen, und so beriethen sich diese nur wenige Augenblicke und sprachen dann das „Schuldig“ aus. Als Baxter den Gerichtshof verließ, sagte er: „Mylord, es gab einst einen Oberrichter, der ganz anders mit mir umgegangen sein würde!“ Er meinte seinen gelehrten und redlichen Freund, Sir Matthäus Hale. Jeffreys erwiderte: „Es giebt keinen anständigen Mann in England, der in Dir nicht einen Schurken erblicken wird!“72

IV.48

Das Urtheil war für damalige Zeiten sehr mild. Was bei der Berathung unter den Richtern geschah, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die Nonconformisten glaubten, und wohl mit Recht, daß der Oberrichter von seinen drei Kollegen überstimmt worden sei. Derselbe soll den Vorschlag gemacht haben, Baxter durch London hin den Staupbesen geben zu lassen. Die Majorität war der Ansicht, daß ein vorzüglicher Geistlicher, dem vor einem Vierteljahrhundert eine Mitra geboten wurde und der jetzt siebzig Jahre zählte, mit Geldbuße und persönlicher Haft hinreichend bestraft sein würde.73

71. Baxter’s Vorrede zu Sir Matthew Hale’s Judgment of the Nature of True Religion, 1684.

72. Man sehe den Observator vom 25. Februar 1685, die Klagschrift in der Collection of State Trials, den von Calamy im 14. Kap. von Baxter’s Lebensbeschreibung gegebenen Bericht von den Ereignissen im Gerichtshof und die sehr interessanten Excerpte aus Baxter’s Manuscripten in der von Orme 1830 herausgegebenen Lebensbeschreibung.

73. Baxter M.S. angeführt von Orme.

Zusammentritt des schottischen Parlaments. Die Behandlung, welche sich Baxter von einem Richter gefallen lassen mußte, der ein Mitglied des Kabinets war und sich der Gunst des Monarchen erfreute, beweist in nicht zu verkennender Art die Gesinnung, welche zu jener Zeit die Regierung gegen die protestantischen Nonconformisten hegte. Diese Stimmung aber hatte sich schon durch stärkere und entsetzlichere Andeutungen bemerkbar gemacht. Das schottische Parlament war zusammengetreten, Jakob hatte es sich angelegen sein lassen, die Versammlung dieser Körperschaft nach Kräften zu beschleunigen und die Sitzung der englischen Häuser in der Erwartung hinausgeschoben, daß das zu Edinburg gegebene Beispiel in Westminster eine vortheilhafte Wirkung äußern werde. Denn der gesetzgebende Körper im Norden seines Königreichs war so gefügig wie jene bretagnischen und burgundischen Provinzalstände, denen Ludwig XIV. noch immer mit einigen ihrer alten Rechte zu spielen erlaubte. Nur Bischöfliche hatten das Recht, im schottischen Parlamente zu sitzen oder auch nur hinein zu wählen, und in Schottland war ein Bischöflicher immer ein Tory. Von einer derartig constituirten Versammlung war für die Wünsche des Königs keine Opposition zu erwarten, und selbst diese Versammlung konnte ohne vorhergegangene Genehmigung von Seiten eines Ausschusses von Hofleuten kein Gesetz erlassen.

Jedes Verlangen der Regierung wurde ohne Widerspruch gewährt. In finanzieller Beziehung hatte die Freigebigkeit der schottischen Stände allerdings wenig Bedeutung, indeß gaben sie, was in ihren Kräften stand. Sie vereinigten für immer mit der Krone die Zölle, welche dem vorigen König zugestanden und damals auf vierzigtausend Pfund berechnet worden waren. Dann gewährten sie Jakob auf die Dauer seines Lebens eine Erhöhung seines Einkommens von zweihundertsechszehntausend schottischen Pfunden oder so viel wie achtzehntausend Pfund Sterling. Die ganze Summe, welche sie bewilligen konnten, bestand in jährlich etwa sechzigtausend Pfund, nicht viel mehr, als die Einnahme der englischen Schatzkammer in vierzehn Tagen betrug.74

Da wenig Geld zu ihrer Verfügung stand, so ersetzten die Stände diesen Mangel durch loyale Versicherungen und unmenschliche Gesetze. Der König verlangte in einem Schreiben, welches in heftiger Sprache verfaßt war und ihnen bei der Eröffnung der Sitzung vorgelesen wurde, sie möchten darauf bedacht sein, neue Strafgesetze gegen die widerspenstigen Presbyterianer IV.49 zu beschließen, und bedauerte, daß er durch Geschäfte abgehalten sei, solche persönlich vom Throne aus in Vorschlag zu bringen. Seinen Befehlen wurde gehorcht. Rasch wurde ein von den Ministern der Krone entworfenes Gesetz angenommen, welches selbst unter den Gesetzen des unglücklichen Landes in jener traurigen Zeit an Abscheulichkeit nicht seines Gleichen hat. Es wurde in kurzen nachdrücklichen Worten verordnet, daß Jeder, der bei einer Betversammlung in einem Hause predigen, oder, gleichviel ob als Prediger oder als Zuhörer, an einem Conventikel unter freiem Himmel theilnehmen würde, mit Verlust seines Vermögens und dem Tode bestraft werden solle.75

74. Act. Parl. Car. II. March 29. 1661; Jac. VII. April 28. 1685 & May 13. 1685.

75. Act. Parl. Jac. VII., May 8. 1685; Observator, June 20. 1685. Lestrange hegte offenbar den Wunsch, daß man diesem Beispiele in England folgen möge.

Gesinnungen Jakob’s gegen die Puritaner. Dieses Gesetz, welches auf Verlangen des Königs von der, seinem Willen gehorsamen Versammlung angenommen wurde, ist einer besonderen Beachtung werth. Unwissende Schriftsteller haben ihn oft als einen zwar unüberlegten und in der Wahl seiner Mittel rücksichtslosen Regenten, zugleich aber auch als einen Fürsten dargestellt, der es sich angelegen sein ließ, den edelsten Zweck eines solchen, die Begründung vollständiger religiöser Freiheit, zu erreichen. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß einige Abschnitte in seinem Leben, wenn man sie von den anderen sondert und oberflächlich betrachtet, diese vortheilhafte Meinung von seinem Character zu bestätigen scheinen. Noch als Unterthan war er lange Jahre der Verfolgung ausgesetzt gewesen, und diese hatte ihre gewöhnliche Wirkung auf ihn nicht verfehlt; sein schwacher und beschränkter Geist hatte durch diese harte Schule gewonnen. Als er vom Hofe, der Admiralität und dem Geheimen Rathe ausgeschlossen war, als er sogar Gefahr lief, das Recht der Thronfolge zu verlieren, nur deshalb, weil er mit Überzeugung an die Transsubstantiation und an die Autorität des päpstlichen Stuhles glaubte, machte er so schnelle Fortschritte in den Lehren der Duldung, wie sie Milton und Locke nicht gekannt. Wie könne es ein größeres Unrecht geben, pflegte er zu sagen, als Absichten mit Strafen zu belegen, die blos der That gebührten, und wie unklug würde es sein, tüchtige Kriegsleute, Seemänner, Juristen, Diplomaten und Finanzmänner zurückzuweisen, blos weil sie eine falsche Meinung über die Anzahl der Sakramente und mehrfache Gegenwart der Heiligen hätten. Er wußte die Gemeinplätze auswendig, welche alle Sekten so geläufig wiederholen, wenn sie Verfolgung erdulden, und sofort vergessen, wenn es ihnen möglich wird, Vergeltung auszuüben. Und in der That wußte er seine Lektion so vortrefflich herzusagen, daß Diejenigen, welche ihn zufällig über diesen Gegenstand sprechen hörten, ihm viel mehr Einsicht und Redefertigkeit zutrauten, als er besaß. Seine Versicherungen täuschten einige gutherzige Personen und vielleicht sogar ihn selbst, aber sein Eifer für die Gewissensfreiheit verschwand mit der Herrschaft der Whigpartei. Als das Glück sich wendete und nicht länger zu besorgen war, daß er der Verfolgung Anderer ausgesetzt sein würde, es aber in seiner Macht stand, Andere zu verfolgen, machten sich seine wahren Neigungen bemerklich. Der Haß, den er gegen die puritanischen Sekten hegte, war mannigfaltig: theologisch und politisch, angeerbt und persönlich. Er sah in ihnen Feinde des Himmels, Feinde aller legitimen Gewalt in Staat und Kirche, Feinde seiner Urgroßmutter, seines Großvaters, seiner IV.50 Eltern, seines Bruders und seiner selbst; er, der sich so bitter über die Gesetze gegen Papisten beklagte, behauptete jetzt, er begreife nicht, wie man die Frechheit haben könne, auf Zurücknahme der den Puritanern entgegenstehenden Verordnungen anzutragen.76 Er, dessen Lieblingsthema die Ungerechtigkeit gewesen war, von Staatsdienern Religionseide zu verlangen, führte während seines Aufenthalts in Schottland dort den strengsten Religionseid ein, den man jemals im Lande gekannt hatte;77 er, der seinen begründeten Unwillen aussprach, als man die Priester seines eigenen Glaubens hängte und viertheilte, hatte, sein Vergnügen daran, das Jammergeschrei der Covenanters zu hören und die schmerzlichen Windungen ihres Körpers anzusehen, indem ihre Kniee in den spanischen Stiefeln zerquetscht wurden.78 In dieser Stimmung bestieg er den Thron, und ohne Zögerung beanspruchte und erhielt er von den unterwürfigen schottischen Ständen als überzeugendsten Beweis ihrer Loyalität das blutigste Gesetz, welches jemals auf unseren Inseln gegen protestantische Nonconformisten erlassen worden ist.

76. Seine eignen Worte, berichtet von ihm selbst. Clarke’s Life of James the Second, I. 656. Orig. Mem.

77. Act. Parl. Car. II. August 31. 1681.

78. Burnet I. 583; Wodrow III. v. 2. Leider fehlen die Acten des schottischen Geheimen Rathes während der ganzen Verwaltung des Herzogs von York.

Grausame Behandlung der schottischen Covenanters. Mit diesem Gesetz stand der Geist seiner Verwaltung in vollständigem Einklang. Die grausame Verfolgung, welche während seiner Statthalterschaft in Schottland wüthete, wurde von dem Tage seiner Thronbesteigung an noch heftiger. Diejenigen Grafschaften, in denen die meisten Covenanters lebten, wurden der Zügellosigkeit des Heeres preisgegeben. Unter der Armee befand sich eine Miliz, welche aus den wildesten und verworfensten Subjekten Derjenigen gebildet war, welche sich Episcopalen nannten. Hervorragend unter den Banden, welche diese unglücklichen Distrikte unterdrückten und verwüsteten, waren die Dragoner, welche unter dem Befehle Jakob Graham’s von Claverhouse standen. Man behauptete, daß diese verworfenen Menschen bei ihren Zechgelagen um die Höllenstrafen spielten, und sich unter einander mit den Namen von Teufeln und verdammten Seelen zu benennen pflegten.79 Der Anführer dieser Hölle auf Erden, ein durch Muth und Geschicklichkeit in seinem Berufe ausgezeichneter Soldat, jedoch räuberisch, ruchlos, von heftiger Gemüthsart und Hartherzigkeit, hat einen Namen hinterlassen, der überall auf Erden, wo der schottische Stamm sich angesiedelt hat, mit untilgbarem Hasse genannt wird. Es würde eine nicht zu lösende Aufgabe sein, wollte man alle die Unthaten aufzählen, durch welche dieser Mann und seine Rotte die Landleute des westlichen Niederlandes zur Verzweiflung trieb. Wenige Beispiele mögen hinreichen, und dieselben sollen aus einem Zeitraume von nur zwei Wochen genommen werden, jenen zwei Wochen, in denen auf Jakob’s dringendes Ansuchen das schottische Parlament ein neues Gesetz von unerhörter Strenge gegen die Dissenters erließ.

Johann Brown, ein armer Fuhrmann in Lanarkshire, wurde wegen seiner besonderen Frömmigkeit insgemein der christliche Fuhrmann genannt. Nach vielen Jahren, als Ruhe, Wohlstand und religiöse Freiheit nach Schottland zurückgekehrt waren, schilderten ihn hochbejahrte Leute, die sich IV.51 jener traurigen Zeit erinnerten, als einen in göttlichen Dingen bewanderten Mann, unbescholten im Leben und so friedfertig, daß die Tyrannen nichts Unrechtes an ihm auffinden konnten, außer daß er den öffentlichen Gottesdienst der Episcopalen nicht besuchte. Am 1. Mai arbeitete er in einer Torfgrube, als er von den Claverhouse’schen Dragonern ergriffen, eilig verhört, der Nonconformität überführt und zum Tode verurtheilt wurde. Selbst unter den Soldaten soll sich keiner zur Vollstreckung des Urtheils haben entschließen können, denn die Frau des unglücklichen Mannes war zugegen. Sie führte ein kleines Kind an der Hand, und man sah, daß sie nahe daran war, ein andres zur Welt zu bringen. Die wilden, herzlosen Menschen, die einander mit den Beinamen Apollyon und Beelzebub belegten, schauderten vor der Ruchlosigkeit zurück, den Mann vor den Augen der Gattin abzuschlachten. Der Gefangene, durch die nahe Aussicht auf die Ewigkeit erhoben, betete laut und inbrünstig wie in Begeisterung, bis Claverhouse in Wuth gerathend ihn niederschoß. Glaubwürdige Zeugen berichteten, daß die Wittwe in ihrem tiefen Schmerze ausrief: „Gut, Herr, gut, der Tag der Rechenschaft wird kommen!“ worauf der Mörder entgegnete: „Was ich gethan, kann ich vor Menschen verantworten, mit Gott will ich schon fertig werden!“ Doch ging die Sage, daß selbst auf sein verhärtetes Gewissen und unmenschliches Herz die Sterbegebete seines Opfers einen Eindruck machten, der sich nimmer verwischen ließ.80

Am 5. Mai wurden zwei Handwerker, Peter Gillies und John Bryce in Ayrshire durch ein Kriegsgericht verurtheilt, welches aus fünfzehn Soldaten zusammengesetzt war. Die Anklage ist noch vorhanden. Man beschuldigte die Gefangenen nicht etwa einer revolutionären Handlung, sondern daß sie denselben verderblichen Lehren huldigten, welche Andere zum Aufruhr veranlaßt hätten, und es nur an Gelegenheit gefehlt habe, ihnen gemäß zu handeln. Das Verfahren war summarisch. Einige Stunden später waren die beiden Angeklagten überführt, gehängt und ihre Leichname in ein Loch unter dem Galgen geworfen.81

Der 11. Mai zeichnete sich durch mehr als ein großes Verbrechen aus. Einige strenge Calvinisten hatten aus der Lehre von der Verwerfung den Schluß gezogen, daß das Gebet für eine Person, welche zur Verdammniß bestimmt wäre, eine Handlung der Auflehnung gegen die ewigen Beschlüsse des Allmächtigen sei. Drei arme Arbeitsleute, welche von diesem herzlosen Glauben tief überzeugt waren, wurden nahe bei Glasgow von einem Offizier verhaftet, und gefragt, ob sie für König Jakob VII. beten wollten. Sie weigerten sich dessen, es wäre denn, daß er zu den Auserwählten gehöre. Eine Abtheilung Musketiere traten vor, die Gefangenen knieten nieder, man verband ihnen die Augen, und eine Stunde nach ihrer Festnehmung leckten die Hunde ihr Blut vom Boden.82

IV.52

Während sich dieses in Clydesdale ereignete, wurde in Eskdale eine nicht weniger abscheuliche That verübt. Ein geächteter Covenanter hatte, von Krankheit heimgesucht, in dem Hause einer rechtlichen Wittwe Zuflucht gefunden und war daselbst gestorben. Der Laird von Westerhall, ein kleiner Tyrann, der in den Tagen der Covenanters den größten Eifer für die presbyterianische Kirche gezeigt, seit der Restauration aber das Wohlwollen der Regierung durch seinen Abfall erlangt hatte, und gegen die von ihm aufgegebene Partei, wie jeder Abtrünnige, unversöhnlichen Haß fühlte, entdeckte den Leichnam des Verstorbenen. Dieser Mensch ließ das Wohnhaus des armen Weibes niederreißen, ihren Hausrath wegbringen, und indem er sie und ihre Kinder hinaustrieb, um auf den Feldern herumzuirren, schleppte er ihren Sohn Andreas, der fast noch ein Knabe war, vor Claverhouse, welcher gerade damals durch diesen Theil des Landes zog. Claverhouse war eben auffallend mild gesinnt, — Einige versicherten, seit dem vor zehn Tagen geschehenen Morde des christlichen Fuhrmanns wäre er noch nicht wieder zu sich selbst gekommen — aber Westerhall wünschte sehnlichst, einen Beweis von seiner Loyalität zu geben, und erzwang eine ungern gegebene Zustimmung. Die Musketen wurden geladen, und der Jüngling aufgefordert, die Mütze über das Gesicht zu ziehen. Er schlug es ab, und stand mit freiem Blick, die Bibel in der Hand, seinen Mördern gegenüber. „Ich kann Euch offen ins Antlitz blicken“, rief er, „denn ich habe nichts gethan, dessen ich mich schämen müßte. Aber wie wollt Ihr an jenem Tage dreinsehen, wo Ihr nach dem gerichtet werden sollt, was in diesem Buche steht?“ — Er stürzte todt zu Boden und wurde im Moore eingescharrt.83

An demselben Tage wurden zwei Frauen, Margarethe Maclachlan und Margarethe Wilson, erstere eine bejahrte Wittwe, letztere ein Mädchen von achtzehn Jahren, für ihren Glauben in Wigtonshire ermordet. Sie sollten ihr Leben geschenkt erhalten, wenn sie sich entschließen könnten, die Sache der aufrührerischen Covenanters abzuschwören und dem bischöflichen Gottesdienste beizuwohnen. Sie weigerten sich und wurden zum Tode durch Ertränken verurtheilt. Man führte sie an einen Ort, wo der Solway zweimal des Tages seine Ufer überschwemmt, und band sie zwischen den Zeichen des hohen und niederen Wasserstandes an in dem Sande befestigte Pfähle. Die ältere der beiden Dulderinnen wurde in der Erwartung, daß ihre Todesqual die jüngere zum Abfall bewegen möchte, der aufsteigenden Fluth näher gebracht. Der Anblick war grauenhaft, aber der Muth der Überlebenden war von so hoher Begeisterung unterstützt, wie die Geschichte der Märtyrer sie nur zu schildern vermag. Ohne jedes Zeichen von Unruhe sah sie die See herankommen, sie betete und sang Verse aus Psalmen, bis die Wogen ihre Stimme erstickten. Als sie die Bitterkeit des Todes gefühlt, hatte man die grausame Barmherzigkeit, sie loszubinden und wieder zum Leben zu bringen. Nachdem ihr Bewußtsein zurückgekehrt war, flehten sie mitleidige Freunde und Nachbarn an, sich zu fügen. „Liebe Margarethe, sage nur, Gott erhalte den König!“ Das unglückliche Mädchen, ihrem strengen Glauben getreu, wimmerte: „Mag ihn Gott erhalten, wenn es Gottes Wille ist!“ Ihre Freunde drängten sich um den vorsitzenden Offizier. „Sie hat es gesagt, Herr, wahrhaftig, sie hat es gesagt!“ „Wird sie die Abschwörungsformel IV.53 leisten?“ erkundigte sich der Offizier. „Nimmermehr,“ rief sie aus, „ich bin Christi, laßt mich gehen!“84 — Die Wogen schlugen zum letzten Male über ihr zusammen.

So regierte Schottland ein Fürst, den unwissende Menschen als einen Freund religiöser Freiheit geschildert haben, dessen Unglück es gewesen, zu weise und zu gütig für das Zeitalter zu sein, in welchem er lebte. Ja sogar die Gesetze, welche ihm die Gewalt gaben, in solcher Weise zu regieren, waren nach seiner Ansicht von einer tadelnswerthen Milde. Indem seine Offiziere die Mordscenen verübten, welche eben geschildert wurden, verlangte er von dem schottischen Parlament ein neues Gesetz, mit welchem im Vergleich alle früheren Gesetze barmherzig genannt zu werden verdienen.

So groß auch in England sein Ansehen war, unterlag dasselbe doch einer Beschränkung durch alte, edle Gesetze, deren Übertretung selbst die Tories von ihm nicht ruhig hingenommen haben würden. Hier durfte er nicht Dissenters vor Kriegsgerichte treiben, oder im Rathe das Amüsement haben, sie in den spanischen Stiefeln ohnmächtig niederstürzen zu sehen; hier gab es keine Jungfrauen zu ersäufen, weil sie sich weigerten, die Abschwörungsformel zu leisten, oder arme Landleute niederzuschießen, weil sie in Zweifel waren, ob er einer der Auserwählten sei. Jedoch unterließ er auch in England nicht, die Puritaner, soweit seine Macht reichte, zu verfolgen, bis Ereignisse, welche später erzählt werden sollen, ihn veranlaßten, den Plan zu fassen, Puritaner und Papisten zur Entwürdigung und Beraubung der Landeskirche mit einander zu vereinigen.

79. Wodrow III. 9, 6.

80. Wodrow, III. 9. 6. Der Herausgeber der Oxforder Ausgabe des Burnet macht einen Versuch, diese That zu entschuldigen, indem er sagt, daß Claverhouse zu jener Zeit eben bemüht war, alle Verbindung zwischen Argyle und Monmouth abzuschneiden, und glaubt, Brown möge als Zwischenträger der beiden Rebellenheere entdeckt worden sein. Zum Unglück für diese Annahme wurde Brown am 1. Mai erschossen, wo Argyle und Monmouth in Holland waren und kein Aufruhr in irgend einem Stelle unsrer Insel stattfand.

81. Wodrow, III. 9. 6.

82. Ibid.

83. Wodrow, III. 9. 6. Cloud of Witnesses.

84. Wodrow, III. 9. 6. Die Grabschrift der Margarethe Wilson auf dem Friedhofe zu Wigton ist in dem Anhange zu the Cloud of Witnesses gedruckt:

Gemordet, blos weil sie geglaubt,

Daß Christus seiner Kirche Haupt;

Weil sie die Prälatur nicht ehrte,

Sich nicht von reiner Lehre kehrte,

Hat sie zu Christi Lob, gebunden

Im Meer ihr frühes Grab gefunden!

Stimmung Jakob’s gegen die Quäker. Eine Sekte der protestantischen Dissenters betrachtete er jedoch selbst in dieser frühen Periode seiner Regierung mit einiger Zuneigung: die Gesellschaft der Freunde. Seine Vorliebe für diese eigenthümliche Brüderschaft ist keinen religiösen Sympathien zuzuschreiben, denn unter Allen, welche an die göttliche Sendung Christi glauben, weichen der römische Katholik und der Quäker am weitesten von einander ab. Es klingt widersinnig, zu behaupten, daß eben dieser Umstand ein Band zwischen dem Katholiken und dem Quäker knüpfte, und doch ist es so, denn sie entfernten sich in entgegengesetzten Richtungen von dem, was die Mehrzahl des Volkes als wahr anerkannt, so weit, daß selbst vorurtheilsfreie Männer in der Regel sie außerhalb der Grenzen der ausgedehntesten Duldung betrachteten. So hatten die zwei extremen Sekten eben dadurch, daß sie extrem waren, ein gemeinsames Interesse, welches sich von dem der dazwischenliegenden Sekten unterschied; auch trugen die Quäker durchaus keine Schuld an dem Unrecht, das Jakob und seinem Hause angethan worden war. Sie bildeten erst dann eine Gemeinschaft, als der Krieg zwischen seinem Vater und dem Langen Parlamente sich zu Ende neigte, und von einigen der revolutionären Regierungen hatten sie sogar grausame Verfolgung ausstehen IV.54 müssen. Seit der Restauration hatten sie trotz oftmaliger übler Behandlung der königlichen Gewalt sich demüthig gefügt, denn — obgleich aus Vordersätzen schließend, welche die anglikanischen Gottesgelehrten als heterodox ansahen — waren sie gleich diesen zu der Überzeugung gekommen, daß keine übertriebene Tyrannei eines Fürsten den thätigen Widerstand der mißhandelten Unterthanen rechtfertigen könne. Niemals war ein Quäker als Verfasser einer Schmähschrift erfunden worden,85 und nie war ein solcher bei einer Verschwörung gegen die Regierung betheiligt gewesen. Die Gesellschaft hatte sich nicht bei dem Rufe nach der Ausschließungsbill betheiligt, und das Ryehousecomplot als einen höllischen Anschlag und ein Satanswerk feierlich verdammt.86 Die Quäker betheiligten sich in damaliger Zeit wirklich sehr wenig bei bürgerlichen Streitigkeiten, denn sie wohnten nicht, wie zu jetziger Zeit, in großen Städten massenhaft zusammen, sondern trieben fast durchgängig Landbau, aus welcher Beschäftigung sie nach und nach durch die Bedrückungen vertrieben wurden, welche eine Folge ihres seltsamen Bedenkens über die Entrichtung des Zehnten waren. Sie standen daher dem Schauplatze der politischen Streitigkeiten ziemlich fern, auch vermieden sie aus Grundsatz, selbst im häuslichen Leben, jede politische Unterhaltung. Denn dergleichen Gespräche waren ihrer Ansicht nach nicht zuträglich für ihre geistliche Stimmung und hatten störenden Einfluß auf den strengen Gleichmuth ihres Benehmens. Die jährlichen Versammlungen damaliger Zeit warnten die Brüder mehrere Male, Gespräche über Staatsangelegenheiten zu führen.87 Noch jetzt lebende Personen wissen sich zu erinnern, daß jene ernsten Ältesten, welche die Sitten einer vergangenen Generation festgehalten hatten, solche weltliche Reden systematisch zu verhindern suchten.88 Natürlich mußte Jakob einen großen Unterschied machen zwischen diesen friedlichen Leuten und jenen aufgeregten, eifrigen Sekten, welche den Kampf gegen Tyrannei für eine Christenpflicht hielten, in Deutschland, Frankreich und Holland, gegen legitime Fürsten die Waffen ergriffen und vier Generationen hindurch dem Hause Stuart feindlich gegenüber gestanden hatten. Hierzu kam die Möglichkeit, den Katholiken und den Quäkern eine bedeutende Erleichterung zu gewähren, ohne die Bedrückung der puritanischen Sekten zu mildern. Ein damaliges Gesetz belegte Jedermann mit Strafen, welcher auf Verlangen die Ablegung des Supremateides verweigerte. Dieses Gesetz konnte die Presbyterianer, Independenten oder Baptisten nicht berühren, denn diese zeigten sich sämmtlich willig, Gott zum Zeugen aufzurufen, daß sie aller geistlichen Verbindung mit auswärtigen Prälaten und Potentaten sich enthielten; aber der römische Katholik wollte keinen Eid schwören, daß der Papst in England keine Gerichtsbarkeit habe, und der Quäker leistete überhaupt keinen Eid. Andrerseits wurden weder Katholiken noch Quäker von der Fünfmeilen-Acte getroffen, welche unter allen Gesetzen des Gesetzbuchs wohl das drückendste für die puritanischen Nonconformisten war.89

85. Brief an König Karl II., der sich vor Barclay’s Apologie befindet.

86. Sewel’s History of the Quakers, book X.

87. Minutes of Yearly Meetings, 1689, 1690.

88. Clarkson on Quakerism; Peculiar Customs, chapter V.

89. Als ich diese Stelle geschrieben hatte, fand ich in dem britischen Museum ein Manuscript (Harl. Ms. 7506) betitelt: „An account of the Seizures, Sequestrations, great Spoil and Havock made upon the Estates of the several Protestant Dissenters called Quakers, upon Prosecution of old Statutes made against Papist and Popish Recusants.“ Dieses Manuscript ist als früheres Eigenthum Jakob’s bezeichnet und scheint von seinem vertrauten Diener, Oberst Graham, dem Lord Oxford eingehändigt worden zu sein. Dieser Umstand bestärkt mich in der Meinung, die ich von dem Verfahren des Königs gegen die Quäker gefaßt habe.

IV.55

Wilhelm Penn. Die Quäker hatten einen mächtigen und eifrigen Fürsprecher am Hofe. Obgleich sie als Gesellschaft betrachtet mit der Welt wenig in Berührung kamen, und die Staatsangelegenheiten als eine Sache vermieden, die ihre geistlichen Interessen gefährdete, so lebte doch einer der Ihrigen, der sich von den Anderen durch Stellung und Reichthum bedeutend unterschied, in den höchsten Kreisen, und fand bei dem König stets bereitwilliges Gehör. Es war dies der gepriesene Wilhelm Penn. Sein Vater hatte eine hohe Befehlshaberstelle bei der Flotte bekleidet, war Commissar der Admiralität und Parlamentsmitglied gewesen und hatte, nachdem er die Ehre des Ritterschlags empfangen, Aussicht auf eine Peerschaft erlangt. Dem Sohne war eine liberale Erziehung zu Theil geworden, er sollte in Kriegsdienste treten, als er, noch sehr jung, seine Aussichten dadurch trübte und seinen Angehörigen dadurch Kummer verursachte, daß er sich denen anschloß, die man zu jener Zeit allgemein für eine Rotte unsinniger Ketzer hielt. Man hatte ihn bald in den Tower, bald in Newgate eingesperrt, und ihm bei der Old Bailey den Prozeß gemacht, weil er gegen den Willen des Gesetzes Predigten gehalten. Nochmals schloß er jedoch mit seiner Familie Versöhnung, und hatte so mächtigen Schutz zu erlangen gewußt, daß während alle Gefängnisse Englands mit seinen Brüdern angefüllt waren, er es viele Jahre hindurch wagen durfte, seine Meinungen ohne Belästigung auszusprechen. Gegen das Ende der vorigen Regierung hatte man ihn zur Tilgung einer alten Schuld, welche er von der Krone zu fordern hatte, mit ungeheuren Länderstrecken in Nordamerika beliehen, und er forderte seine verfolgten Freunde auf, sich in dieser, blos von indianischen Jägern bewohnten Gegend niederzulassen. Als Jakob zur Regierung gelangte, war die Colonie noch im Entstehen.

Jakob und Penn hatten schon seit langer Zeit eine vertraute Bekanntschaft unterhalten. Der Quäker wurde jetzt ein Hofmann und beinahe ein Günstling. Er wurde täglich aus dem Vorzimmer in das Kabinet gerufen und hatte häufig lange Audienzen, während Peers im Vorzimmer warten mußten, und man behauptete, daß er mehr wirkliche Gewalt zu nützen und zu schaden habe, als viele mit hohen Ämtern beliehene Edelleute. Bald sah er sich von Schmeichlern und Bittstellern umgeben, und in seinem Hause zu Kensington fanden sich, wenn er Morgens das Bett verließ, oft mehr als zweihundert Menschen ein, welche ihm ein Anliegen vorzutragen hatten. Jedoch kam ihm dieses scheinbare Glück theuer zu stehen, seine eigene Sekte behandelte ihn mit Kälte, und lohnte seine Dienste mit Vorwürfen. Man beschuldigte ihn laut, Papist und Jesuit zu sein, Einige behaupteten, er sei zu St. Omer erzogen, Andere er habe in Rom die Ordination empfangen. Obgleich nun diese Verleumdungen nur bei dem kurzsichtigen Haufen Glauben fanden, so waren dieselben doch mit besser begründeten Beschuldigungen verbunden.90

IV.56

Die volle Wahrheit über Penn auszusprechen ist ein Unternehmen, welches einigen Muth erfordert, indem er mehr eine mythische als eine historische Person ist. Eifersüchtige Nationen und feindliche Sekten haben sich zu seiner Heiligsprechung geeinigt, England nennt mit Stolz seinen Namen, eine mächtige Republik jenseit des atlantischen Ozeans empfindet für ihn eine ähnliche Ehrfurcht, wie sie die Athenienser für Theseus und die Römer für Quirinus füllten. Die ehrenwerthe Gesellschaft, der er angehörte, erblickt in ihm einen Apostel, und fromme Männer andren Glaubens haben ihn in der Regel als ein Muster christlicher Tugenden aufgestellt. Dagegen ist sein Lob auch von Verehrern ganz anderer Art ausgesprochen worden. Die französischen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts verziehen ihm das, was sie seine abergläubischen Einbildungen nannten, in Betracht seiner Verachtung der Priester und seines menschenfreundlichen Wohlwollens, das sich ohne Unterschied über alle Stämme und Glaubensformen erstreckte. Deshalb ist sein Name in allen civilisirten Ländern von gleicher Bedeutung mit Redlichkeit und Menschenliebe.

Dieser hohe Ruf ist nicht ganz unverdient. Penn war ohne Zweifel ein Mann von großen Tugenden. Er hatte ein starkes Gefühl für religiöse Pflicht und einen heißen Trieb, das Glück der Menschen zu fördern. Über einige Punkte von hoher Bedeutung besaß er richtigere Ansichten, als zu damaliger Zeit selbst Männer von unbefangenem Geiste sie hegten, und als Besitzer und Gesetzgeber einer Provinz, welche anfänglich fast unbewohnt war und ein weites Feld für moralische Versuche darbot, hatte er das seltene und vorzügliche Glück, seine Theorien ohne Rücksicht auf bereits bestehende Einrichtungen in Ausführung bringen zu können. Er wird stets als der Gründer einer Colonie, der das Übergewicht, welches die Civilisation gewährt, bei seinem Verkehr mit einem wilden Volke, niemals mißbrauchte, sowie als Gesetzgeber, der in einem Zeitalter der Verfolgung religiöse Freiheit zum Grundstein der Staatsverfassung machte, in hohen Ehren bleiben; seine Werke jedoch, wie auch sein Leben beweisen hinreichend, daß er kein Mann von großem Geiste war. Er hatte kein Geschick dazu, die Charactere zu erforschen, und sein Vertrauen zu Leuten, die nicht so tugendhaft waren als er selbst, veranlaßte manchen Irrthum und häufiges Mißgeschick. Sein Enthusiasmus für einen großen Grundsatz ließ ihn oftmals anderen großen Grundsätzen zu nahe treten, gegen die er hatte tiefe Ehrfurcht zeigen sollen, auch hielt seine Rechtlichkeit nicht immer den Versuchungen Stand, denen er in jener glänzenden, feingebildeten, aber völlig sittenlosen Gesellschaft, in der er sich bewegte, ausgesetzt war. Intriguen der Galanterie und des Ehrgeizes erhielten den Hof in beständiger Gährung, der Handel mit Ehren, Ämtern und Begnadigungen wurde ohne Unterbrechung getrieben, es war also natürlich, daß man einen Mann, der täglich im Palaste war und von dem man wußte, daß er täglich Zutritt zum König hatte, häufig anlag, seinen Einfluß für Zwecke geltend zu machen, die eine strenge Moral verwerfen mußte. Die Biederkeit Penn’s hatte der Verleumdung und Verfolgung widerstanden, aber IV.57 jetzt, angegriffen durch das Lächeln des Königs, den Zauber weiblicher Liebenswürdigkeit, gewinnender Überredungskunst und feiner Schmeichelei gewandter Diplomaten und Hofleute fing seine Festigkeit an zu wanken. Titel und Redensarten, welche er oft gemißbilligt hatte, flossen jetzt bei Gelegenheit von seinen Lippen und aus seiner Feder. Es wäre gut, wenn man ihm nichts Übleres vorwerfen könnte, als daß er sich den Gebräuchen der Welt fügte, aber leider ist nicht in Abrede zu stellen, daß er bei einigen Verhandlungen sehr stark betheiligt war, welche nicht nur von der strengen Moral der Gesellschaft, der er angehörte, sondern überhaupt von dem Rechtlichkeitsgefühl aller unverdorbenen Menschen mit Abscheu betrachtet wurden. Er versicherte späterhin feierlich, daß er sich nie durch unerlaubten Gewinn bereichert, und nie Belohnung von Denjenigen angenommen habe, welche ihm verpflichtet waren, obgleich während der Zeit seines Einflusses am Hofe es ihm leicht gewesen sein würde, sich auf diese Weise hundertzwanzigtausend Pfund zu verschaffen.91 Diese Bereicherung ist nicht in Zweifel zu ziehen, aber Bestechungen lassen sich sowohl der Habgier wie der Eitelkeit anbieten, und es kann nicht geleugnet werden, daß Penn bestimmt wurde, sich bei einigen unverantwortlichen Verhandlungen zu betheiligen, von denen Andere den Gewinn zogen.

90. Die Besuche Penn’s zu Whitehall und seine Levers zu Kensington beschreibt — wenn auch in schlechtem Latein — Gerhard Croese mit großer Lebendigkeit. Er sagt: „Sumebat rex saepe secretum, non horarium, vero horarum plurium, in quo de variis rebus cum Penno serio sermonem conferebat, et interim differebat audire praecipuorum nobilium ordinem, qui hoc interim Spatio in procoetone, in proximo, regem conventum praesto erant.“ Über den Zudrang der Bittsteller nach Penn’s Hause sagt Croese: „Vidi quandoque de hoc genere hominum non minus bis centum.“ Historia Quakeriana, lib. II. 1695.

91. „Zwanzigtausend in meinen Beutel und hunderttausend in meine Provinz.“ Penn’s Brief an Popple.

Besondere Bevorzugung der Katholiken und Quäker. Der erste Gebrauch, den er von seinem Einflusse machte, war sehr lobenswerth. Er schilderte dem neuen König die Leiden der Quäker, und dieser erkannte mit Vergnügen, daß man diesen friedlichen Sektirern und den römischen Katholiken Nachsicht gewähren könne, ohne dieselbe den übrigen Parteien, welche damals noch der Verfolgung ausgesetzt waren, zu Theil werden zu lassen. Es wurde ein Verzeichniß der Personen angefertigt, welche deshalb in Anklagezustand versetzt worden, weil sie die Eide verweigert, oder die Kirche nicht besucht, über deren Loyalität aber die Regierung gültige Zeugnisse empfangen hatte. Diese Leute wurden in Freiheit gesetzt, und befohlen, daß kein ähnliches Verfahren eingeleitet werden solle, bevor der König dazu Belieben tragen würde. Auf diese Art erlangten etwa fünfzehnhundert Quäker und eine noch größere Anzahl Katholiken ihre Freiheit.92

Jetzt war die Zeit herangerückt, wo das englische Parlament zusammentreten mußte. Die Mitglieder des Hauses der Gemeinen, welche nach der Hauptstadt gekommen waren, bildeten eine so große Anzahl, daß man zweifelte, der Sitzungssaal in seiner damaligen Einrichtung würde genügenden Raum zu ihrer Aufnahme darbieten. Sie benutzten die der Eröffnung der Sitzung vorangehenden Tage zu Unterredungen über die öffentlichen Angelegenheiten unter sich und mit den Beauftragten der Regierung. Eine große Zusammenkunft der loyalen Partei fand in dem Wirthshause zur Quelle am Strand statt, und Roger Lestrange, dem der IV.58 König kürzlich den Ritterschlag ertheilt, und den die Stadt Winchester ins Parlament gewählt hatte, betheiligte sich bei der Leitung ihrer Berathungen.93

Bald stellte es sich heraus, daß ein großer Theil der Gemeinen Absichten hegte, welche mit den Wünschen des Hofes nicht ganz im Einklange standen. Die toryistischen Landedelleute verlangten fast einstimmig die Aufrechterhaltung der Testacte und der Habeas-Corpus-Acte, und einige von ihnen waren der Ansicht, man solle das Einkommen nur auf eine bestimmte Reihe von Jahren gewähren. Sie zeigten jedoch die größte Bereitwilligkeit, strenge Gesetze gegen die Whigs zu erlassen, und sie würden mit Vergnügen gesehen haben, daß man alle Diejenigen, welche die Ausschließungsbill unterstützten, für unfähig erklärte, ein öffentliches Amt zu versehen. Andrerseits wünschte der König vom Parlament ein lebenslängliches Einkommen, die Zulassung der Katholiken zu Ämtern und die Aufhebung der Habeas-Corpus-Acte zu erlangen. Auf diese drei Punkte richtete sich seine Sehnsucht und er fühlte sich keineswegs geneigt, ein Strafgesetz gegen die Ausschließungsmänner als Ersatz anzunehmen. Im Gegentheile, es würde ihm ein derartiges Gesetz nicht angenehm gewesen sein, indem eine Klasse der Ausschließungsmänner bei ihm in hoher Gunst stand, die Klasse, welche Sunderland repräsentirte, und die während der Tage des Complots nur deshalb mit den Whigs gemeinschaftliche Sache machte, weil diese die Herrschaft führten, mit dem Umschwunge des Glücks aber ihre Gesinnungen wechselte. Jakob sah mit Recht in diesen Renegaten die nutzbarsten Werkzeuge, welche zu seiner Verfügung standen. Von den tapferen Kavalieren, welche in trüber Zeit ihm treu zur Seite geblieben, durfte er in seinem Glück keinen sklavischen, gewissenlosen Gehorsam erwarten. Die Männer aber, welche nicht von dem Gefühl für Freiheit oder Religion durchdrungen, sondern nur von selbstsüchtiger Gier und Furcht getrieben, während seiner Machtlosigkeit zu seiner Unterdrückung mitgewirkt hatten, waren die passenden Leute, um von derselben Gier und Furcht geleitet, ihm jetzt, wo er Gewalt hatte, bei der Unterdrückung des Volkes zur Hand zu gehen.94 Obgleich rachsüchtig, machte er doch in der Ausübung seiner Rache einen Unterschied. Es giebt kein einziges Beispiel, wo er ein edelmüthiges Mitleid für Diejenigen an den Tag gelegt hätte, die ihm offenherzig und aus politischen Beweggründen entgegentraten; nicht selten aber verschonte und erhob er Andere, welche aus niedrigen Ursachen ihn beleidigt hatten, denn die Schlechtigkeit, welche sie zu brauchbaren Werkzeugen der Tyrannei stempelte, schätze er hoch genug, daß er selbst dann, wenn sie auf seine eigenen Kosten sich geltend machte, Nachsicht eintreten ließ.

Die Wünsche des Königs wurden auf verschiedenen Wegen den toryistischen Mitgliedern des Unterhauses bekannt gemacht. Die Mehrzahl ließ sich leicht bestimmen, jede Absicht auf ein Strafgesetz gegen die Ausschließungsmänner aufzugeben, und einzuwilligen, daß Se. Majestät das IV.59 Einkommen auf die Dauer des Lebens erhielt. In Bezug auf die Testacte und Habeas-Corpus-Acte konnten die Geschäftsträger des Hofes keine zufriedenstellende Zusicherung erhalten.95

92. Diese Befehle, von Sunderland unterzeichnet, finden sich in Sewel’s Geschichte. Sie datiren vom 18. April 1685 und sind in einem dunklen und verwickelten Style abgefaßt, doch glaube ich den Sinn richtig wiedergegeben zu haben. Es ist mir nicht gelungen, einen Beweis zu finden, daß eine Person, welche nicht Quäker oder Katholik gewesen, auf diese Befehle hin in Freiheit gesetzt worden wäre. Man sehe: Neal’s History of the Puritans, vol. II. chap. II; Gerard Croese, lib. II. Croese schätzt die Zahl der freigelassenen Quäker auf vierzehnhundertsechzig.

93. Barillon, 28. Mai (7. Juni) 1685. Observator, May 27. 1685; Sir J. Reresby’s Memoirs.

94. Ludwig schrieb über diese Klasse der Ausschließungsmänner an Barillon: „L’intérêt qu’ils auront á effacer cette tâche par des services considérables les portera, selon toutes les apparences, à le servir plus utilement que ne pourraient faire ceux qui ont toujours été les plus attachés à sa personne.“ 15.(25.) Mai 1685.

95. Barillon, 4.(14.) Mai 1685; Sir John Reresby’s Memoirs.

Zusammenkunft des englischen Parlaments. Am 19. Mai wurde die Sitzung eröffnet. Die Bänke der Gemeinen gewährten einen seltsamen Anblick. Jene mächtige Partei, welche in den drei letzten Parlamenten die Oberhand gehabt, war jetzt zu einer kläglichen Minderzahl zusammengeschmolzen und betrug in der That nicht viel mehr als den fünfzehnten Theil des Hauses. Von den fünfhundertunddreizehn Rittern und Bürgern hatten hundertfünfunddreißig früher diesen Platz eingenommen. Es ist klar, daß eine Versammlung so unerfahrener Neulinge in einigen wichtigen Beziehungen weit unter dem durchschnittlichen Werthe unserer repräsentativen Corporationen stehen mußte.96

Die Leitung des Hauses hatte Jakob zwei Peers des Königreichs Schottland übertragen. Der Eine, Carl Middleton, Earl von Middleton, hatte früher ein hohes Amt in Edinburg bekleidet, war aber kurz vor dem Tode des vorigen Königs im englischen Geheimen Rath vereidigt und zum Staatssekretär ernannt worden; der Andre war Richard Graham, Viscount Preston, welcher lange Zeit den Gesandtschaftsposten in Versailles innegehabt hatte.

96. Burnet, I. 626; Evelyn’s Diary, May 22. 1685.

Trevor zum Sprecher gewählt. Das erste Geschäft der Gemeinen bestand in der Wahl eines Sprechers. Wer es werden sollte, war eine im Kabinet schon vielfach verhandelte Frage. Guildford hatte Sir Thomas Meres vorgeschlagen, der, wie er selbst, zu den Trimmern gehörte. Jeffreys, der jede Veranlassung benutzte, dem Lord Siegelbewahrer entgegenzutreten, unterstützte mit allen Kräften Sir Johann Trevor. Trevor hatte eine Erziehung, halb als Rabulist, halb als Spieler erhalten, und Gesinnungen und Grundsätze in das politische Leben mit hinübergenommen, welche dieses doppelten Berufes würdig waren. Dabei war er ein Schmarotzer des Oberrichters geworden, und verstand es, gelegentlich den Strafredenstyl seines Gönners mit ziemlichem Glück nachzuahmen. Jeffreys’ Günstling wurde natürlich von Jakob bevorzugt, von Middleton in Vorschlag gebracht und ohne Widerspruch gewählt.97

97. Roger North’s Life of Guildford, 218; Bramston’s Memoirs.

Seymour’s Character. So weit ging Alles gut, aber ein Widersacher von bedeutendem Muthe wartete seine Zeit ab. Es war dies Eduard Seymour von Berry Pomeroy Castle, Mitglied für die Stadt Exeter. Durch seine Abkunft stand Seymour mit dem vornehmsten Adel Europa’s auf gleicher Stufe. Er war der directe männliche Leibeserbe jenes Herzogs von Somerset, Schwagers Heinrich’s VIII. und Protectors des englischen Reiches. Nach der ursprünglichen Bestimmung der herzoglichen Familie Somerset war der jüngere Sohn des Protectors dem älteren vorgezogen worden, vom jüngeren stammten die Herzöge von Somerset, vom älteren die Familie ab, welche zu Berry Pomeroy wohnte. Seymour besaß ein sehr großes Vermögen und bedeutenden Einfluß im Westen Englands, auch war die Bedeutung, welche ihm Geburt und Reichthum verliehen, nicht die einzige, denn sowohl in der Debatte, wie in den Staatsgeschäften gehörte er zu den vorzüglichsten Männern im Lande. In IV.60 den vielen Jahren, welche er im Hause der Gemeinen zugebracht, hatte er eine genaue Kenntniß aller Regeln und Herkömmlichkeiten desselben erlangt, und kannte alle Eigenthümlichkeiten desselben von Grund aus. Während der vorigen Regierung hatte man ihn unter Umständen, welche diese Bevorzugung besonders ehrenvoll erscheinen ließen, zum Sprecher erwählt, indem mehrere Menschenalter hindurch nur Rechtsgelehrte auf den Präsidentenstuhl berufen worden waren, und er als der erste Landedelmann, dessen Kenntnisse und Geschick ihn dazu befähigten, diesem alten Herkommen ein Ende machte. Er hatte später hohe Staatsämter bekleidet und einen Sitz im Kabinet inne gehabt, aber sein stolzes und unfügsames Wesen erweckte ihm soviel Widersacher, daß er sich zurückziehen mußte. Als Tory und Hochkirchenmann, welcher zugleich der Ausschließungsbill sich kräftig widersetzt, konnte er sich deshalb mit aller Sicherheit in dem Hause eine Sprache erlauben, für welche jede im Verdacht des Republikanismus stehende Person in den Tower geworfen worden wäre. Lange Zeit war er der Führer einer starken parlamentarischen Verbindung gewesen, welche die „Westliche Allianz“ genannt wurde und viele Gentlemen aus Devonshire, Somersetshire und Cornwall in sich faßte.98

In jedem Hause der Gemeinen wird ein Mann, der neben Rednergabe, Kenntnissen, Geschicklichkeit und Reichthum auch noch von vornehmer Abkunft ist, ein hohes Ansehen genießen; aber in einem Hause der Gemeinen, von welchem die vorzüglichsten Redner und parlamentarischen Tactiker jener Zeit ausgeschlossen und das mit Männern angefüllt war, die niemals eine Debatte angehört hatten, mußte der Einfluß eines solchen Mannes furchtbarer Art sein. Sittlichen Werth besaß Eduard Seymour allerdings nicht, er war liederlich, ruchlos, verdorben, zu stolz, die gewöhnliche Höflichkeit zu zeigen, und doch nicht zu stolz, um unredlichen Gewinn zu verschmähen; dabei aber ein nützlicher Bundesgenosse und gefährlicher Widersacher, so daß ihm oft Diejenigen am meisten schmeichelten, welche die gründlichste Abneigung gegen ihn fühlten.99

Er befand sich jetzt in gereizter Stimmung gegen den Hof. Durch die neue Organisirung der westlichen Burgflecken hatte sein Einfluß an einigen Orten gelitten, durch die Erhebung Trevor’s auf den Stuhl des Präsidenten hatte man seinen Stolz verletzt, und er ergriff bald eine Gelegenheit zur Rache.

98. North’s Life of Guildford 228; News from Westminster.

99. Burnet, I. 382; Rawdon Papers; Lord Conway an Sir Georg Rawdon vom 28. Dec. 1677.

Rede des Königs an das Parlament. Am 22. Mai wurden die Gemeinen vor die Schranken des Oberhauses geladen, und der König, auf seinem Throne sitzend, hielt an beide Häuser eine Rede. Er erklärte seinen Entschluß, die bestehende Verfassung in Staat und Kirche aufrecht zu erhalten, aber er beeinträchtigte den Eindruck dieser Erklärung, indem er eine besondere Ermahnung an die Gemeinen erließ. Er hege die Besorgniß, äußerte er, daß sie geneigt wären, ihm das Geld in Zwischenräumen zuzutheilen, um ihn dadurch zu häufigerer Einberufung zu veranlassen; aber er müsse ihnen ein für alle Mal erklären, daß er sich in dieser Art nicht behandeln lassen würde, und daß sie nur bei einem angemessenen Betragen hoffen dürften, häufiger einberufen zu werden. Da es offenbar unmöglich war, daß die Regierung ohne die nothwendigen IV.61 Geldmittel fortgeführt werden konnte, so besagten diese Worte ganz einfach, daß, wenn sie ihm weniger bewilligten, als sich mit seinen Wünschen vereinigen ließ, er sich das Fehlende nehmen würde. Merkwürdigerweise wurde diese Rede von den Gentlemen der Torypartei mit lauten Acclamationen begrüßt, doch waren solche Zurufe damals nicht ungewöhnlich. Seit langen Jahren hat jetzt das Parlament die ernste und würdige Sitte angenommen, alle Äußerungen, angenehme wie unangenehme, die vom Throne ausgehen, in ehrfurchtsvollem Schweigen anzuhören.100

Es herrschte damals der Gebrauch, daß, nachdem der König in gedrängter Kürze seine Gründe für die Zusammenberufung des Parlaments angegeben hatte, der Minister, dem das große Siegel anvertraut war, dem Hause den Stand der Staatsangelegenheiten ausführlicher auseinandersetzte. Guildford hatte, wie seine Vorgänger, Clarendon, Shaftesbury, Bridgeman und Nottingham zu thun pflegten, eine ausgearbeitete Rede in Bereitschaft, erfuhr jedoch zu seiner großen Demüthigung, daß man seiner Dienste nicht bedurfte.

100. London Gazette, May 25. 1685; Evelyn’ Diary, May 22. 1685.

Debatte bei den Gemeinen. — Rede Seymour’s. Nachdem die Gemeinen in ihr Sitzungslokal zurückgekehrt waren, wurde der Vorschlag gemacht, für die Feststellung des königlichen Einkommens einen Ausschuß zu ernennen. Jetzt erhob sich Seymour. Die Bilder, welche noch von ihm existiren, geben uns eine Vorstellung, wie er dastand, er, das Haupt eines ausschweifenden stolzen Adels, mit den künstlichen Locken, die in modischer Fülle über seine Schultern wallten, und den Ausdruck von Üppigkeit und Verachtung in den Augen und auf den Lippen. Er wünsche nicht, sagte der stolze Kavalier, daß das Parlament der Krone die Mittel zur Führung der Regierung verweigere, aber wäre denn wirklich ein Parlament vorhanden? Befänden sich nicht hier auf diesen Sitzen eine ziemliche Anzahl von Männern, die, wie allgemein bekannt, nicht berechtigt wären, auf diesen Bänken einen Platz einzunehmen, viele Männer, deren Wahl durch Bestechung befleckt. Viele, welche man durch Einschüchterung den widerstrebenden Wählern aufgedrungen, und Viele, deren Wahl von Corporationen vollzogen worden sei, die das Gesetz als bestehend nicht anerkenne? Hatte man nicht Wahlkörper trotz königlicher Freibriefe und uralter Verjährung neugestaltet? und wären nicht überall Wahlbeamte die rücksichtslosen Geschäftsträger des Hofes gewesen? Da er erkenne, daß die Grundlage der Volksvertretung so systematisch angegriffen werde, könne er sich nicht entschließen, die ihn umgebende Menge von Gentlemen mit dem ehrenwerthen Namen eines Hauses der Gemeinen zu bezeichnen, und doch wäre es niemals nöthiger gewesen, als jetzt, wo das öffentliche Wohl es erheischt hätte, daß das Parlament Würde und Ansehen in sich vereinige. Die kirchliche und bürgerliche Verfassung des Landes sei von großen Gefahren bedroht, es sei allgemein bekannt und bedürfe keines Beweises, daß man die Testacte, den Schild der Religion, und die Habeas-Corpus-Acte, den Schild der bürgerlichen Freiheit, der Vernichtung anheim geben wolle. Ehe wir zur Verhandlung über Fragen von so bedeutender Wichtigkeit übergehen, wollen wir uns wenigstens Gewißheit verschaffen, ob wir in der That eine gesetzgebende Versammlung sind. Beginnen wir daher mit der Untersuchung, in welcher Art und Weise die Wahlen stattgefunden haben, und laßt uns aufmerksam sein, IV.62 daß diese Prüfung völlig unparteiisch bleibe. Denn wenn das Volk zu der Überzeugung gelangt, daß keine Abhülfe auf friedlichem Wege erreicht werden kann, dann dürfte vielleicht bald an uns die Gerechtigkeit vollstreckt werden, welche gegen Andere auszuüben wir Bedenken tragen. Er schloß mit dem Antrage, daß noch vor jeder Geldbewilligung das Haus Petitionen gegen die Wahlen in Erwägung ziehen, und daß kein Mitglied, dessen Wahl angefochten werde, stimmfähig sein solle.

Aber kein Zuruf ertönte, nicht ein Mitglied hatte die Kühnheit, den Antrag zu unterstützen. Seymour hatte in der That viel gesagt, was kein Andrer ungestraft hätte sagen dürfen. Der Antrag fiel durch und wurde nicht einmal in das Protokoll aufgenommen, machte aber einen außerordentlichen Eindruck. Barillon schrieb seinem Monarchen, daß Viele, die es nicht gewagt, diese merkwürdige Rede zu unterstützen, sie vollkommen gebilligt hätten, daß sie das Tagesgespräch in London bilde und daß der Eindruck, die sie auf die öffentliche Meinung ausgeübt, ein bleibender sein werde.101

101. Burnet, I. 639; Evelyn’s Diary, May 22. 1685; Barillon, 23. Mai (2. Juni) und 25. Mai (4. Juni) 1685. Das Schweigen des Protokolls fiel Mr. Fox auf, es erklärt sich jedoch dadurch, daß Seymour keine Unterstützung fand.

Bewilligung des Einkommens. Die Gemeinen bildeten unverzüglich einen Ausschuß und bewilligten dem König auf die Dauer seines Lebens das ganze Einkommen, welches sein Bruder genossen hatte.102

102. Journals, May 22. Stat. Jac. II. I, 1.

Verhandlungen der Gemeinen hinsichtlich der Religion. Die eifrigen Hochkirchenmänner, aus denen die Majorität des Hauses bestand, scheinen die Ansicht gehabt zu haben, daß die Schnelligkeit, mit der sie dem Wunsche Jakob’s hinsichtlich seines Einkommens nachkamen, ihnen Berechtigung auf einige Zugeständnisse auch von seiner Seite gebe. Sie sagten, es sei viel zu seiner Zufriedenstellung gethan worden, man müsse nun auch etwas thun, um die Nation zu befriedigen. Das Haus verwandelte sich daher in einen Ausschuß für Religionsangelegenheiten, um die besten Mittel zur Sicherheit der Kirchenverfassung in Erwägung zu ziehen. In diesem Ausschusse wurden einstimmig zwei Beschlüsse angenommen: der eine sprach feurige Anhänglichkeit an die Kirche von England aus, der andre forderte den König auf, die Strafgesetze gegen alle Personen, welche nicht zu dieser Kirche gehörten, in Anwendung zu bringen.103

Die Whigs würden es gewiß am liebsten gesehen haben, wenn man die protestantischen Dissenters duldete und nur die Katholiken der Verfolgung aussetzte, aber die Whigs bildeten jetzt eine kleine, entmuthigte Minderheit. Sie machten sich daher so wenig als möglich bemerkbar, gaben ihren Parteinamen auf, hüteten sich, ihre besonderen Ansichten einem feindseligen Zuhörerkreise aufzudrängen, und bemühten sich, jeden Vorschlag zu unterstützen, der die Eintracht, welche bisher noch zwischen dem Parlamente und dem Hofe bestand, zu stören geeignet war.

Als der König die Verhandlungen des Religionsausschusses in Whitehall erfuhr, gerieth er in heftigen Zorn, auch ist er mit Recht nicht zu tadeln, daß ihn das Verhalten der Tories beleidigte. Hatten sie die Absicht, an der strengen Ausführung der Strafgesetze festzuhalten, so mußten IV.63 sie unbedingt die Ausschließungsbill unterstützen, denn einen Katholiken auf den Thron erheben und dann verlangen, daß er die Lehrer des Glaubens, in welchem nach seiner Ansicht einzig das Heil der Seele zu erstreben sei, auf den Tod verfolgen solle, wäre ein offenbarer Unsinn gewesen. Milderte der König durch eine weniger strenge Verwaltung die Härte der blutigen Gesetze Elisabeth’s, so trat er keinem verfassungsmäßigen Grundsatze zu nahe, sondern bediente sich nur einer Gewalt, welche stets der Krone zugestanden war; ja er that nichts weiter, als was späterhin eine Reihe von Souverainen, welche mit großem Eifer den Lehren der Reformation huldigten, wie Wilhelm, Anna und die Fürsten des Hauses Braunschweig, gethan haben. Hätte er gestattet, daß katholische Geistliche, deren Leben er ohne Verletzung der Gesetze retten konnte, gehängt, geschleift und geviertheilt wurden, weil ihre Handlungen ihren geistlichen Pflichten entsprachen, so würden selbst Diejenigen ihn mit Haß und Abscheu betrachtet haben, deren Vorurtheilen er dieses verwerfliche Zugeständniß machte, und hätte es ihm genügt, den Mitgliedern seiner eigenen Kirche eine ausgedehnte Duldung zu Theil werden zu lassen, so würde die Nachwelt ihn deshalb einstimmig gepriesen haben.

Die Gemeinen erkannten vermuthlich bei ruhigerem Nachdenken über die Sache, daß sie sich eine widersinnige Handlungsweise hatten zu Schulden kommen lassen, und es erregte ihre Besorgniß, als sie hörten, daß der König, dem sie eine abergläubische Verehrung zollten, sehr erbittert sei. Sie ließen es sich daher angelegen sein, ihre Fehler wieder gut zu machen, verwarfen im Hause einstimmig den Antrag, den sie im Ausschuß einstimmig angenommen hatten, und faßten einen Beschluß des Inhalts, daß sie sich mit vollständigem Vertrauen auf Sr. Majestät Versprechen verließen, die Religion in Schutz zu nehmen, welche ihnen theurer sei als selbst das Leben.104

103. Journals, May 26, 27. Sir J. Reresby’s Memoirs.

104. Commons’ Journals, May 27. 1685.

Bewilligung nachträglicher Steuern. Drei Tage nachher zeigte der König dem Hause an, daß sein Bruder einige Schulden hinterlassen habe und die Vorräthe der Flotte und der Artillerie ziemlich erschöpft seien. Es wurde sofort der Entschluß gefaßt, neue Steuern aufzulegen. Die Person, welcher der Auftrag wurde, Mittel und Wege ausfindig zu machen, war Sir Dudley North, jüngerer Bruder des Lord Siegelbewahrers.

Sir Dudley North. Dudley North war einer der befähigtsten Männer seiner Zeit. In seiner Jugend hatte man ihn nach der Levante gesandt, wo er sich lange mit kaufmännischen Unternehmungen beschäftigt hatte. Die meisten Menschen würden in dieser Lage ihre Fähigkeiten haben einrosten lassen, da es in Smyrna und Konstantinopel an Büchern und gebildetem Umgange fehlte, aber der jugendliche Geschäftsführer besaß einen starken Geist, der von äußeren Hülfsmitteln unabhängig war. In seiner Einsamkeit gab er sich tiefem Nachsinnen über die Philosophie des Handels hin und schuf sich nach und nach eine Theorie, im Allgemeinen derjenigen gleich, welche hundert Jahre später Adam Smith entwickelte. Nach vieljähriger Abwesenheit von der Heimath kehrte Dudley North mit großen Reichthümern nach England zurück und gründete in der City von London ein Handelsgeschäft nach der Türkei. Seine ausgedehnte theoretische wie praktische Kenntniß des Handels und die klare, lebhafte Auseinandersetzung IV.64 seiner Ansichten lenkte bald die Aufmerksamkeit der Staatsmänner auf seine Person. Die Regierung entdeckte in ihm einen erleuchteten Rathgeber und gewissenlosen Diener, denn neben seinen außerordentlichen geistigen Vorzügen besaß er weder Character noch ein fühlendes Herz. Als die toryistische Reaction in vollem Gange war, ließ er sich zum Sheriff ernennen, lediglich zu dem Zwecke, dem Hofe bei seiner Rache behülflich zu sein. Seine Geschwornen verabsäumten niemals das „Schuldig“ auszusprechen, und an dem Tage einer gerichtlichen Metzelei wurden zum Entsetzen seiner Gemahlin Karren, auf welchen die Glieder geviertheilter Whigs lagen, vor seinen Palast in Basinghall Street zu weiterer Bestimmung aufgefahren. Der Lohn für seine Dienste bestand in der Ehre des Ritterschlags, einem Aldermans-Mantel und dem Amte eines Zollcommissars. Er war als Abgeordneter für Banbury ins Parlament getreten, und obgleich ein neues Mitglied, hatte doch auf ihn der Lord Schatzmeister rücksichtlich der Leitung der Finanzgeschäfte im Unterhause hauptsächlich sein Vertrauen gesetzt.105

Obgleich die Gemeinen den einmüthigen Entschluß gefaßt hatten, der Krone weitere Geldmittel zu bewilligen, so waren sie doch noch durchaus nicht über die Quellen einig, aus denen dieselben geschöpft werden sollten. Man beschloß alsbald, daß ein Theil des nöthigen Geldes durch eine Erhöhung des Zolles auf Wein und Essig, auf acht Jahre hinaus, aufgebracht würde; das war aber nicht ausreichend. Verschiedene unsinnige Vorschläge wurden gemacht. Viele Landedelleute empfahlen, eine bedeutende Steuer auf alle Neubauten der Hauptstadt zu legen. Hierdurch hoffte man der Vergrößerung einer Stadt hemmend entgegenzutreten, deren Wachsthum schon seit längerer Zeit von der ländlichen Aristokratie mit Eifersucht und Abneigung betrachtet wurde. Dudley North’s Plan ging dahin, daß man Zusatzzölle auf Zucker und Tabak acht Jahre hindurch legen solle; darüber entstand aber ein großes Geschrei. Verkäufer von Colonialwaaren, Zuckerbäcker und Tabakshändler richteten Bittgesuche an das Haus und belagerten die Behörden. Die Bewohner Bristol’s, welche mit Jamaika und Virginien in ausgedehnten Handelsverbindungen standen, sandten eine Deputation, welche an den Schranken der Gemeinen gehört wurde. Rochester war einen Augenblick betroffen, aber North’s rascher Verstand und vollkommene Handelskenntniß beseitigten, im Schatzamt wie im Parlament, jeden Widerspruch. Die alten Mitglieder sahen mit Verwunderung, wie ein Mann, der kaum vierzehn Tage im Hause saß und sein Leben größtentheils in fernen Ländern zugebracht, alle Verrichtungen eines Kanzlers der Schatzkammer mit größter Zuversicht und Geschicklichkeit übernahm und befolgte.106

Sein Plan ging durch und die Krone kam in Besitz eines aus England allein hervorgehenden Einkommens von einer Million und neunhunderttausend Pfund. Ein solches Einkommen genügte damals vollkommen zur Bestreitung der Regierungskosten in Friedenszeit.107

105. Roger North’s Life of Sir Dudley North; Life of Lord Guildford 166; M’Culloch’s Literature of Political Economy.

106. Life of Dudley North, 176; Lonsdale’s Memoirs; Van Citters 12.(22.) Juni 1685.

107. Commons’ Journals, March 1, 1689.

Verhandlungen der Lords. Während dem waren bei den Lords IV.65 mehrere wichtige Fragen zur Erörterung gekommen. Die Torypartei war unter den Peers stets stark vertreten gewesen, zu ihr gehörte die Bank der Bischöfe, und in den letzten vier Jahren nach der vorigen Auflösung hatte sie durch einige neue Ernennungen bedeutende Verstärkung erlangt. Von den neun Peers waren die hervorragendsten der Lord Schatzmeister Rochester, der Lord Siegelbewahrer Guildford, der Lord Oberrichter Jeffreys und Lord Churchill, der nach seiner Rückkehr von Versailles zum englischen Baron ernannt worden war.

Die Peers zogen sehr bald die Sache von vier Mitgliedern ihrer Körperschaft, welche unter der vorigen Regierung in Anklage versetzt, niemals aber gerichtet und nach kurzer Haft von dem Gerichtshof der Kings Bench gegen Bürgschaft freigelassen worden waren, zur Verhandlung. Drei dieser angeklagten Peers, welche auf Verlangen sich dem Gerichtshof zu stellen hatten, waren katholischen Glaubens, der vierte ein Protestant von großem Ansehen und Einfluß, der Earl von Danby. Nach seinem Falle und der Anklage der Gemeinen gegen ihn auf Hochverrath waren vier Parlamente aufgelöst, er aber weder freigesprochen, noch verurtheilt worden. 1679 hatten die Lords mit Rücksicht auf seine Lage in Erwägung gezogen, ob eine Anklage durch Auflösung des Parlaments erlösche oder nicht, und nach langer Debatte und genauer Prüfung der Vorgänge entschieden, daß die Anklage noch anhängig sei. Diese Entscheidung wurde jetzt verworfen, obgleich mehrere whiggistische Mitglieder einen erfolglosen Versuch machten, dagegen zu protestiren. Die Gemeinen beruhigten sich ohne Widerspruch bei der Entscheidung des Oberhauses, Danby nahm seinen Sitz unter den Peers ein und wurde ein thätiges und einflußreiches Mitglied der Torypartei.108

Die Verfassungsfrage, über welche die Lords in dem kurzen Zeitraume von sechs Jahren zweimal in entgegengesetztem Sinne entschieden hatten, ruhte länger als ein Jahrhundert und wurde zuletzt durch die Parlamentsauflösung, welche während der Dauer des langen Prozesses von Warren Hastings eintrat, wieder in Anregung gebracht. Es war damals nöthig, zu entscheiden, ob die 1679 aufgestellte oder die im Jahre 1685 geschaffene, ersterer entgegenlaufende Regel als Gesetz des Lande zu betrachten sei. Es wurde in beiden Häusern lange über diesen Punkt debattirt, wobei sich die vorzüglichsten juristischen und parlamentarischen Kräfte, an denen jenes Zeitalter überaus reich war, betheiligten. Die Juristen waren nicht ungleich getheilt. Thurlow, Kenyon, Scott und Erskine stellten die Behauptung auf, daß die Auflösung die Anklage aufhebe; die entgegengesetzte Meinung vertheidigten Mansfield, Camden, Loughborough und Grant. Unter denjenigen Staatsmännern aber, welche ihre Beweisgründe nicht auf Vorgänge und technische Analogien, sondern auf tiefe und klare verfassungsmäßige Grundsätze stützten, bestand wenig Meinungsverschiedenheit. Pitt und Grenville, sowie Burke und Fox waren der Ansicht, das die Anklage noch immer gültig sei. Beide Häuser verwarfen mit großer Majorität die Entscheidung von 1685 und erklärten die von 1679 für übereinstimmend mit den Gesetzen des Parlaments.

108. Lords’ Journals, March 18. 19. 1679, May 22. 1685.

Bill zur Aufhebung der Verurtheilung Stafford’s. Von den Nationalverbrechen, welche während der Herrschaft des panischen Schreckens, hervorgerufen durch die Lügen des Oates, begangen worden IV.66 waren, nahm der Justizmord Stafford’s die erste Stelle ein. Alle unparteiischen Männer sahen jetzt in der Verurtheilung des unglücklichen Edelmanns ein schweres Unrecht. Dem Hauptzeugen für seine Schuld hatte man eine Reihe der niederträchtigsten Meineide nachgewiesen, und unter solchen Verhältnissen war es die Pflicht der gesetzgebenden Versammlung, dem Andenken eines schuldlos Hingeopferten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und einen unverdienten Flecken von einem Namen zu tilgen, der so lange in den Jahrbüchern unsres Vaterlandes geglänzt hat. Eine Bill auf Umstoßung der Verurtheilung Stafford’s ging im Oberhause durch, trotz des Murrens einiger Peers, denen es unangenehm war, zugestehen zu müssen, daß sie unschuldiges Blut vergießen halfen. Im Unterhause wurde die Bill zweimal ohne Abstimmung verlesen und dann an den Ausschuß verwiesen, an dem Tage aber, welcher für diesen Ausschuß bestimmt war, kam die Kunde, daß im Westen Englands ein furchtbarer Aufstand ausgebrochen sei. Hieraus entstand die Nothwendigkeit, viele wichtige Geschäfte zu verschieben. Die Genugthuung, welche man dem Andenken Stafford’s schuldig war, wurde, wie man glaubte, nur auf kurze Zeit hinausgeschoben, aber die fehlerhafte Regierung Jakob’s veränderte in wenigen Monaten den Standpunkt der öffentlichen Stimmung vollkommen. Mehrere Menschenalter hindurch waren die Katholiken nicht in der Lage, Genugthuung für erlittene Ungerechtigkeiten zu verlangen, und waren völlig zufrieden, wenn man sie unbeschwert in Schweigen und Dunkelheit leben ließ. Endlich, unter der Regierung Georg’s IV., mehr als hundertvierzig Jahre nach dem Tage, wo Stafford’s Blut den Boden von Towerhill färbte, wurde die lang verschobene Sühne gewährt. Ein Gesetz, welches die Verurtheilung für nichtig erklärte und die schwergekränkte Familie in ihre alten Würden einsetzte, wurde von den Ministern der Krone dem Parlamente vorgelegt, von den Männern aller Parteien freudig begrüßt und ohne eine widersprechende Stimme angenommen.109

Es ist jetzt nothwendig, daß ich die Veranlassung und den Fortschritt des Aufstandes verfolge, durch den die Berathung der Häuser plötzlich unterbrochen wurde.

109. Stat. V. Georg IV, Chap. 46.

 


 

Druck von Philipp Reclam jun. in Leipzig.





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