The Project Gutenberg EBook of Streifzuege an der Riviera by Eduard Strasburger This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Streifzuege an der Riviera Author: Eduard Strasburger Release Date: 2009-09-20 [Ebook #30042] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK STREIFZUeGE AN DER RIVIERA*** Streifzuege an der Riviera by Eduard Strasburger Project Gutenberg TEI edition , (2009-09-20) Streifzuege an der Riviera Von Eduard Strasburger. Berlin Verlag von Gebrueder Paetel 1895 Meiner Tochter Anna Tobold gewidmet INHALT Vorwort. Fruehjahr 1891. Fruehjahr 1894. Fruehjahr 1895. Inhaltsuebersicht. Anmerkungen der Korrekturleser VORWORT. Waehrend graue Winternebel das Rheinthal fuellten, schrieb ich diese Zeilen nieder. Welch' ein Glueck, dass auch an trueben Tagen die Phantasie uns ueber die Wolken zu erheben vermag. Oft war es mir, als leuchte die Sonne hell in meinem Innern, waehrend es draussen dunkel war. Dann sah ich vor mir die blaue See, an ihren Ufern die steil abfallenden Felsen und in weiter Ferne die hohe Alpenkette mit ihrem Diadem von Schnee. Sie spiegelten sich in meinem Geiste wider die leuchtenden Ufer des Mittelmeeres und zauberten mir goldigen Sonnenschein und wuerzigen Duft der Maquis in grauen Stunden vor. So moegen denn diese Zeilen auch in fremder Seele Fruehlingsempfindungen wecken, waehrend es draussen noch schneit und friert. *Bonn* 1895. FRUeHJAHR 1891. I. Es war Mitte Maerz: Wir erwarteten sonniges Fruehlingswetter, und doch regnete es an der Riviera. Unaufhoerlich schlugen die Regentropfen gegen die Scheiben, heftig oder gelinde, doch ohne Ende, so dass auch die Tage endlos erschienen. Missmuthig hatte man das Buch aus der Hand gelegt, die Unterhaltungen stockten. Bittere Klagen wurden ueber das Wetter laut. So Mancher war ueber die Alpen geeilt in der sicheren Erwartung, jenseits derselben den viel gepriesenen ewig blauen Himmel zu schauen; er hatte gehofft, den nahenden Vollmond in den Fluthen des Mittelmeeres sich spiegeln zu sehen, und nun wurde all' sein Sehnen und Trachten zu Wasser. - Ich selbst, der ich oft schon den Fruehling in Italien zugebracht hatte, fasste die Sachlage weit ruhiger auf. Wusste ich doch, dass auch in Italien die Regenzeit auf das Fruehjahr faellt. Wuerden die Felder und Gaerten Italiens nicht im Spaetherbst und Fruehling mit Regen getraenkt, wie sollten sie Fruechte tragen? Herrscht doch in den uebrigen Jahreszeiten meist die groesste Duerre. Was mich veranlasst, trotz dieser scheinbar wenig guenstigen Aussichten, doch immer wieder gerade im Fruehjahr ueber die Alpen zu ziehen, das ist die Sehnsucht nach gruenen Fluren und belaubten Baeumen, nach etwas Sonne und Waerme; die Zuversicht, am Mittelmeer doch mildere Witterung als im Norden zu finden, die Hoffnung, dort auch manchen sonnigen Tag, ja bei einigem Glueck eine ganze Reihe solcher Tage zu erleben. Nach dem langen, kahlen, kalten nordischen Winter wirkt der Contrast am staerksten; man freut sich ueber das kaerglichste Gruen, nimmt dankbar jeden Sonnenstrahl entgegen, waehrend schon Mancher zur Herbstzeit in der sonnverbrannten lombardischen Ebene sich nach den saftreichen Matten und dem ueppigen Baumwuchs der Alpen zuruecksehnte. Der Herbst pflegt auch in unseren Breiten schoen zu sein, waehrend unser Maerz- und Aprilwetter mit Recht beruechtigt ist. So kam es auch in diesem Fruehjahr; denn waehrend Briefe und Zeitungen uns Kunde von Schnee und Kaelte von jenseits der Alpen brachten, hatten wir uns am Mittelmeer alsbald des herrlichsten Sonnenscheins zu erfreuen. Ganz besonders schoen wurde es um die Osterzeit. Himmel und Erde zogen ihr Festkleid an, um sich in unsterbliche Pracht zu huellen. Der Ostersonntag fand mich in Bordighera. Vor Tagesanfang brach ich auf, um den Monte Nero zu besteigen. Doch blieb ich bald gefesselt am Cap d'Ampeglio stehen und wartete dort den Sonnenaufgang ab. Geisterhaft verklaert tauchte Corsica in weiter Ferne auf; vorn aber folgte das entzueckte Auge der reichgegliederten Kueste, die im weiten Bogen das Meer umfasst, als wolle sie es liebevoll an sich schliessen. Der Osten war stark geroethet, und dieser purpurne Schein faerbte in gluehenden Toenen die Kaemme der stahlblauen Wellen. Kein Woelkchen truebte das Himmelsgewoelbe, das aus tiefstem Blau durch zartes Gruen sich gegen die Meeresflaeche senkte. Ploetzlich tauchte der rothe Sonnenball am Horizont empor und sandte seine feurigen Strahlen ueber das weite Meer, als wenn er es entzuenden sollte. Und tausend Lichter drangen in die tiefen Buchten des Strandes, in die dunklen Thaeler der Kueste ein, um aus denselben die Schatten der Nacht zu verscheuchen. Hell blitzten in weiter Ferne, wie von Feuersbrunst erfasst, die Haeuser von Monaco auf, und selbst das entfernte Antibes warf lange, goldige Strahlen der Sonne als Morgengruss zurueck. Ueberall war es wie ein Aufflammen, ein Erwachen, und gleich einem Jubelruf toente es durch die ganze Natur. So feierten an jenem Morgen Himmel und Erde am blauen Mittelmeer das Fest der Auferstehung! Ich war in dieses Schauspiel wie verloren und merkte nichts von dem Schwinden der Zeit. So kam es, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand, als ich die Weiterwanderung antrat. Die ganze Meeresflaeche glitzerte jetzt von unzaehligen Lichtern, als waere sie mit Diamanten uebersaeet; das ferne Corsica loeste sich allmaelig in einem Nebelstreifen auf, als waere es nur ein Traumbild gewesen. Vor mir, am Cap d'Ampeglio, lag Alt-Bordighera, schon ganz in Sonnengluth getaucht. Zwei Stunden sind noethig, um den Monte Nero zu besteigen. Diese Angabe wurde mir freilich nur nach Hoerensagen gemacht, denn die Wenigsten sind dort oben jemals gewesen. Ohne zwingenden Grund besteigt der Eingeborene hier selten einen hohen Berg; nur eine Leidenschaft, die der Jagd, vermag ihn in so hohe Regionen zu treiben, ungeachtet er auch dort oben nur winzige Voegel findet, um seine Waidmannslust zu stillen. Auf einen wirklich ortskundigen Mann war ich bei allen Nachforschungen ueber den Monte Nero nicht gestossen, und so geschah es, dass ich eigene Erfahrungen erst sammeln musste. Es zeigte sich, dass der ganze Gipfel des Berges dicht bewaldet ist und weder die gepriesene Fernsicht noch irgend welchen freien Ausblick gewaehrt. Reichliche Entschaedigung fand ich aber fuer die Muehe an dem noerdlichen, vom Meere abgekehrten Abhang des Berges. Als ich dort abzusteigen begann, gelangte ich alsbald auf einen Sattel, der den Monte Nero von dem hoeheren Monte Caggio trennt. Hier konnte, von einzelnen waldfreien Stellen aus, der Blick sich ungestoert in die tiefeingeschnittenen Thaeler versenken, ueber sanfte Huegelketten schweifen, den lang gedehnten Strand erreichen und sich in dem weiten Meer verlieren. Jenseits des Grates, der das lange Dorf Colla di Rodi traegt, tauchte im Osten ein Theil von San Remo hervor. Im Nordwesten wurde das Auge durch die schneebedeckten Haeupter maechtiger Riesen der Seealpen gefesselt. In wunderbarer Klarheit setzten die blendend weissen Schneemassen von dem dunklen Blau des Himmels ab, waehrend nach abwaerts das dunkle Gruen der Foehren, das dem Monte Nero seinen Namen gibt, sich durch helleres Gruen der Oliven bis zum Blau des Meeres abtoente. Nur wenige Landschaften, auch in Italien, gibt es, welche diese an Schoenheit uebertreffen. Vereinigt doch dieses Bild Alles, was berufen scheint, unser Auge zu entzuecken, unseren Verstand zu fesseln, unsere Einbildungskraft anzuregen. Der Anblick der Schneefelder oben in den Alpen hatte dem Flug meiner Gedanken die Richtung nach Norden gegeben. Jenseits dieser Berge mochte noch grimmige Kaelte herrschen; hier, suedlich von den Alpen, war der Sieg des Fruehlings ueber den Winter lange schon errungen, so dass der Klang der Osterglocken, der aus den Thaelern zum Monte Nero emporstieg, nur der Freude zu gelten schien. Der schoene Garten vor dem Hotel Angst stand in voller Bluethe; die Beete glichen grossen Blumenkoerben. Ueppige Straeucher des capischen Pelargoniums hatten ueberall ihre zinnoberrothen Bluethen entfaltet. Der peruanische Heliotrop kletterte am Hause empor und erfuellte die Luft mit vanilleartigem Wohlgeruch. Es gesellten sich zu diesem die Duefte von Nelken, Reseda und von gelben Theerosen. Die Blaetter immergruener Baeume leuchteten im Garten von Licht ueberfluthet; sie warfen auf die Wege dunkelblaue Schatten. Unter den Palmen sass ein junges Ehepaar, das ich bei der Heimkehr begruesste. Ihm ward das Glueck zu Theil, seine Flitterwochen am Mittelmeer zu feiern. Jener sonndurchgluehte, blumenreiche Ostersonntag, an welchem die Natur alle ihre Schaetze so verschwenderisch ueber die Riviera ausgeschuettet hatte, wird diesem Paar wohl einer der hoechsten Feiertage des ganzen Lebens bleiben. Nicht weniger als vier Thaeler muenden in die schmale Ebene, die sich laengs des Meeres vom Cap von Ampeglio bis nach Ventimiglia hinzieht. Daher lassen sich von Bordighera zahlreiche Ausfluege unternehmen, taeglich fast mit neuer Abwechselung. Da man im Hotel Angst zugleich vorzueglich aufgehoben ist, wird man seinen Aufenthalt in Bordighera gerne verlaengern. Ob Bordighera auch eine geeignete Station fuer Brustkranke ist, vermag ich nicht zu beurtheilen. Seiner ins Meer weit vorgeschobenen Lage wegen ist der Ort den Winden stark ausgesetzt, doch streifen diese Winde ganz vorwiegend ueber das Meer, sind daher weniger kalt und trocken als an vielen anderen Plaetzen der Riviera. Es herrscht somit in Bordighera die Seeluft vor, welche auf Reisende, die nur Erholung suchen - und deren Zahl wird an der Riviera alljaehrlich groesser - sehr anregend und belebend wirkt. Keinesfalls duerfte man, selbst bei kurzem Aufenthalt, in Bordighera es versaeumen, einen Ausflug nach Sasso zu unternehmen. Sasso ist ein kleines Dorf, auf dem Bergruecken gelegen, der die Thaeler von Sasso und von Borghetto trennt. Der Ort liegt nur vier Kilometer von Bordighera entfernt, und man erreicht ihn sowohl durch das Thal von Sasso, das oestlich von Bordighera muendet, als auch dem Bergruecken folgend, auf dem Alt-Bordighera steht. In dem Ort selbst ist nichts zu bewundern: schoen erscheint er nur aus der Entfernung. Seine hohen, zu einer Masse verschmolzenen, nach aussen nur von wenigen Fenstern durchbrochenen Haeuser rufen den Eindruck einer einzigen gewaltigen Festung hervor. Besonders malerisch ist der Blick auf Sasso von dem Wege aus, der zwischen alten Olivenbaeumen oben dem Bergruecken entlang laeuft. Er ueberrascht uns ganz ploetzlich an einer Strassenwendung, nachdem der steile Pfad die Hoehe erklommen hat. Von zahlreichen Stellen des Weges ueberschaut der Wanderer alsdann die beiden Thaeler von Sasso und von Borghetto; er kann mit dem Blick auch weiter dringen bis in das Thal von Vallecrosia, waehrend ihm gleichzeitig ueber den nahen Huegelreihen die schneebedeckten Haeupter der Seealpen entgegenleuchten. - Wie oft habe ich mich stundenlang an diesem Wege aufgehalten, von Zeit zu Zeit den Platz veraendernd, um das Bild in anderer Umrahmung zu bewundern. Hier war es nur ein einziger phantastischer Schneepalast, der in lichtes Gruen der Oliven gefasst, mir entgegenstarrte; dort tauchte mein Blick tief in ein Thal hinab, um auf den dichtgedraengten Haeusern einer buntscheckigen Ortschaft zu ruhen, oder es folgte auch mein Auge dem Lauf eines Baches, der, zwischen Oleanderbueschen versteckt, in zahlreichen Windungen dem Meer zueilte; oder es war wieder Sasso, welches ueber Baumwipfeln, wie in einem gruenen Meer, zu schweben schien, oder endlich die tiefeingeschnittene Kueste und das weite Meer, auf welchem der ermattete Blick Rast machen konnte. Welche Fuelle von Motiven fuer den Landschaftsmaler! Ich musste mich begnuegen, die Bilder in mein Inneres aufzunehmen, wo sie freilich auch jetzt noch farbig-sonnigen Widerschein finden. II. Die Olivenhaine, durch welche man am Bergruecken entlang nach Sasso wandert, sind von seltener Schoenheit: alte, knorrige Staemme, oft auf mehreren Fuessen, wie auf Stelzen, in die Luefte ragend. Man bleibt gern stehen, um einzelne dieser Baeume zu bewundern, erfreut sich dann auch des Gegensatzes, den die dunkel beschatteten Staemme gegen das leuchtende Blau des Himmels und des Meeres bilden. Zauberhaft schoen ist es aber in einem solchen Olivenhain des Abends zu wandeln, wenn der Vollmond ueber dem Meere steht. Da glaenzen so eigenartig die mattgrauen Blaetter der Baeume, und es blitzt bei jedem Windhauch wie Silber aus den Zweigen. Auch der lange Mondstreifen im Meere scheint sich zu beleben, er wiegt sich auf den Wellen, folgt bebend ihrem Lauf und zerschellt mit ihnen am Strande zu leuchtendem Schaum. Die Bluethezeit des Oelbaumes faellt in den Mai oder Juni. Dann ist er dicht bedeckt von kleinen, gelblichweissen Bluethen, die einen lieblichen Geruch verbreiten. Diese Bluethen erinnern an diejenigen unserer Rainweide, des _Ligustrum vulgare_, eines Strauches, der in Wirklichkeit auch dem Oelbaum nahe verwandt ist. Die Fruechte des Oelbaums sind Steinfruechte von laenglich runder Gestalt. Die unreifen Fruechte haben gruene Faerbung, verschwinden daher im Laub; doch beim Reifen werden sie schwarzblau und treten dann scharf hervor. Ein alter Brauch verlangt, dass die Ernte der Oliven am 21. November beginne; sie dauert im Dezember fort. Unguenstige Witterungsverhaeltnisse koennen die Ernte an der Riviera freilich sehr verzoegern. So kam es, dass im Fruehjahr 1891 die meisten Baeume um Bordighera noch voll Oliven hingen. Manche Baeume waren mit Fruechten so stark beladen, dass man das Laub kaum sehen konnte. Die Olivenernte war Anfang April in vollem Gange. Arbeiter und Arbeiterinnen zogen mit Saecken und Koerben bepackt in den Olivenhain. Dort sah man die Maenner auf die Baeume steigen und mit Stangen gegen die Aeste schlagen. Frauen und Kinder hockten am Boden, um die Fruechte aufzulesen. Von allen Seiten schallte dem Wanderer der trockne Ton der Schlaege aus den Baeumen entgegen, und ueberall unter den Baeumen ging die muehevolle Arbeit des Sammelns von statten. Stundenlang verharren die Sammler in gebueckter Stellung, um die Oliven einzeln aufzuheben, und doch waere es so einfach, sich einen grossen Theil der Arbeit zu sparen. Westlich von Nizza legen die Olivenbauer grosse Tuecher unter die Baeume und fangen die Oliven mit diesen auf. Freilich wird auch dort noch mit Stangen gegen die Zweige geschlagen, ungeachtet schon Plinius im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt vor diesem rohen Verfahren warnt, da es die Baeume schaedigt. Gegen althergebrachte Sitte ist eben schwer anzukaempfen, sie setzt zaehen Widerstand jeder Neuerung entgegen. In Bordighera warten die Olivenbauer meist, bis ihre Oliven ganz reif sind. Ein grosser Theil der Fruechte ist dann schon von selbst vom Baum gefallen. Alles das wird zusammen von dem Boden aufgelesen und liefert ein entsprechend schlechtes Oel. Denn feine Tafeloele presst man aus solchen Fruechten, die erst zu reifen beginnen. Diese muessen auch mit der Hand vom Baume gepflueckt werden, um weder Quetschung noch Verwundung zu erleiden. Aus solchen Fruechten gewinnt man jene Oele, die wir als Provencer Oele bezeichnen. Der Provence entstammen sie freilich nur zum kleineren Theil, zum groesseren Theil Italien. Dort ist es vornehmlich Apulien und zwar die Gegend suedlich von Bari, welche diese feinen Sorten erzeugt. Sie liefert jetzt sehr gute Oele, waehrend in der ersten Haelfte dieses Jahrhunderts das apulische Oel noch ebenso schlecht und ranzig schmeckte, wie andere sueditalienische Sorten. Auch in Apulien betrieb man die Ernte der Oliven damals ganz laessig und verfuegte nur ueber sehr schlechte Oelpressen. Charakteristisch genug, als das antike Modell einer Oelpresse in Pompeji aufgefunden wurde, begruesste man es in Apulien als einen Fortschritt und fuehrte es an verschiedenen Orten ein. - Von Bordighera bis zum Esterel wird vorwiegend nur geringwerthiges Oel gewonnen, das als Maschinenoel Verwendung findet oder der Seifenfabrikation dient; Nizza bezieht die feinen Oele, die es vertreibt, vorwiegend aus der Ferne. Die Fruechte, die man zum Zwecke feinster Oelgewinnung sorgsam pflueckte, breitet man zunaechst in duennen Lagen auf Horden aus. Dort trocknen sie an der Luft oder bei kuenstlicher Waerme, bis sie runzlich werden. Haben sie einen Theil ihres Wassers in solcher Weise eingebuesst, so kommen sie in die Oelmuehlen. Es sind das meist steinerne Behaelter, in welchen die Oliven durch Muehlsteine zermalmt werden. Schon bei diesem Verfahren fliesst etwas Oel ab, das als das feinste Tafeloel gilt, kaum aber in den Handel kommt. Der in der Muehle hergestellte Brei wird in Bast- oder Jutesaecke gefuellt und in einer Kelter gepresst. Bei schwachem Druck fliesst jetzt zunaechst das beste, dann etwas weniger gutes Speiseoel ab. Dieses Oel wird als Jungfernoel "_huile vierge_" bezeichnet. Dann gelangen die Trester in hydraulische Pressen und liefern ein Oel, das der Seifenfabrikation oder auch gewerblichen Zwecken dient. Dann werden die Trester mit warmem Wasser angeruehrt und nochmals gepresst, wandern schliesslich oft noch in Fabriken, wo man ihnen den Rest ihres Oeles durch chemische Mittel entzieht. Das Speiseoel, das aus der Kelter fliesst, muss sorglich geklaert werden, bevor es zum Verkauf gelangt. Man bringt es in dunkle kuehle Raeume, wo ueber einander die noethigen Bottiche zur Aufnahme des Oels sich befinden. Das unklare Oel gelangt in das oberste Gefaess, fliesst aus dem Spundloch desselben durch einen durchloecherten Zinkkasten, der mit Watte ausgekleidet ist, in einen zweiten Bottich und aus diesem nochmals durch Watte in einen dritten. Die Watte muss am naemlichen Tage oft mehrfach erneuert werden. Aus dem dritten Bottich gelangt das Oel in Cisternen, die man in Nizza mit Porzellanplatten auszukleiden pflegt. Hier steht das Oel wohl an die drei Monate, bevor es in Flaschen gefuellt und versandt wird. So ueberreife, abgeschlagene und am Boden faulende Oliven, wie wir sie in Bordighera hatten ernten sehen, koennen nur ranzige Oele ergeben. Die kleinen Besitzer, welchen die Oelhaine hier gehoeren, liefern ihre Fruechte an fremde Muehlen ab und pflegen fuer die Pressung in Oliven oder in Oel zu zahlen. Aus den Oelpressen der Muehlen floss zur Zeit unseres Besuches eine Fluessigkeit ab, welche alle Baeche von Bordighera in braunen Toenen faerbte. Bei ruhigem Wetter zeichnete sich die Muendungsstelle jedes Fluesschens als brauner Streifen ziemlich weit im Meere ab. Im Alterthum hiess es allgemein, dass der Oelbaum nur in der Naehe des Meeres gedeihe. Man rechnete aus, dass er sich von demselben nicht ueber dreihundert Stadien, somit nicht ueber 7-1/2 geographische Meilen entferne. Es ist nicht zu leugnen, dass der Oelbaum den Seestrand bevorzugt, doch haengt das nicht mit dem unmittelbaren Einfluss der grossen Wasserflaeche, vielmehr mit dem gleichmaessigen Klima zusammen, welches durch dieselbe gefoerdert wird. Denn der Oelbaum kann anhaltenden Frost nur sehr schlecht vertragen. Auch bevorzugt der Oelbaum den Kalkboden, den er hier an der Riviera reichlich vorfindet. Ein besonders guenstiges Zusammenwirken von Klima und Boden, verbunden mit sorglichster Behandlung der Fruechte, ist aber erforderlich, damit der Oelbaum ein so feines Oel, wie etwa in Apulien, erzeuge. Die Muehlen, in welchen das Oel gepresst wird, sind fast immer alte malerische Bauten. Sie suchen oft steile Stellen in den Schluchten auf, um die Kraft des Baches, der dort abwaerts braust, zu nutzen. Wie Schwalbennester kleben sie an den Felsen. Wer zur Fruehjahrszeit durch die Olivenwaelder um Bordighera streift, muss darauf bedacht sein, nicht in die Schusslinie der "Cacciatori" zu gerathen. Denn um diese Zeit bewegen sich jene durch alle Haine, Gaerten und Fluren, um als einziges Wild die kleinen Voegel zu erlegen. Fuer die italienische Riviera, wie fuer Italien ueberhaupt, hat dieser Sport ganz bedenkliche Folgen, da die Vernichtung der Voegel eine entsprechende Vermehrung der Insekten nach sich zieht. Nicht nur verschwinden aus Italien die heiteren Saenger, welche die Waelder und Gaerten in anderen Laendern in so lieblicher Weise beleben, sondern es nimmt auch die Zahl schaedlicher Insekten in bedenklicher Weise dort zu. Dem Oelbaum besonders nachtheilig ist _Decus oleae_, der sich von dem Fruchtfleisch der Oliven naehrt. Er wird von den Franzosen _la Mouche_, von den Italienern _Macha del Olivo_ genannt. Die Fliege legt ihre Eier in ganz junge Fruchtanlagen, und die Maden, welche diesen Eiern entschluepfen, leben dann auf Kosten der sich entwickelnden Frucht. Sie verpuppen sich schliesslich in derselben und verlassen sie als fliegende Brut. Gelangen sie mit den Oliven in die Muehle, so leidet der Geschmack des Oels von denselben. Von einer Wanderung durch die Olivenhaine kehrt man wohl stets, mit einem Bluethenstrauss geschmueckt, nach Hause. Denn sie sind zu verlockend, diese Fruehlingsgaben der Flora, zu lieblich, als dass man an ihnen so fluechtig vorbeieilen sollte. Ueberall stehen unter den Baeumen die dunkelblauen Traubenhyacinthen, die bisamartigen Duft verbreiten; besonders schoen ist die eine Art (_Muscari comosum_), die einen amethystfarbigen Schopf ueber dem sonst unscheinbaren Bluethenstande traegt. Hier und dort schaut aus dem Rasen eine bluehende Orchidee hervor. Meist ist es eine Art der Gattung Ophrys, jener merkwuerdigen Orchideen-Gattung, deren Bluethen ganz den Insekten gleichen. Bei _Ophrys aranifera_ erinnern sie an Spinnen: man meint die vorgestreckten Beine und den aufgedunsenen braunen Leib eines solchen Thieres zu sehen. Auch _Ophrys Arachnites_ ist spinnenaehnlich und zeigt einen purpurbraunen, gruen verzierten Leib. Die schoenste dieser Ophryden scheint mir aber die _Ophrys Bertolonii_, mit dunkelrothen Bluethen, zu sein. Doch Ophrys-Arten hat der Nordlaender vielleicht schon in seiner Heimath gesehen und fesselt ihn daher mehr eine andere Orchidee von ungewohnter Gestalt: die _Serapias Lingua_, vielleicht gar _Serapias longipetala_, deren rothbraune Bluethen, von rothen Deckblaettern fast verhuellt, nur ihre Lippen nach aussen vorstrecken. Mit Freuden begruesst er eine wilde Tulpe (_Tulipa Celsiana_), deren hellgelbe Bluethen sich auf langen Stielen wiegen. Die Siegwurz (_Gladiolus segetum_) mit rosenrothen, einseitig aufgereihten Bluethen tritt ihm auch an zahlreichen Stellen entgegen. In seinem Strauss nimmt er dann noch gern das weissbluethige _Allium neapolitanum_ auf, denn gehoert jene Pflanze auch zu den Laucharten, so duften doch ihre weissen Bluethenstaende in angenehmer Weise. Hauptsaechlich sind es aber die gelben Tazetten, welche dem Strauss Wohlgeruch verleihen, waehrend seine Farbenpracht gehoben wird durch eine reiche Auswahl bunter Anemonen (_Anemone coronaria_ und _hortensis_). Ebenso alt als Kulturpflanze wie der Oelbaum ist der Weinstock, die beide daher von Alters her zusammen genannt werden. - "Zwei Fluessigkeiten thun dem menschlichen Koerper besonders wohl," heisst es in der Naturgeschichte des Plinius, "innerlich der Wein, aeusserlich das Oel; beide stammen aus dem Pflanzenreiche und sind vorzueglich, doch das Oel ist das nothwendigere." Das trifft fuer das Oel heut nicht mehr zu. Im Alterthum rieb man sich mit demselben nach dem Bade den Koerper ein; jetzt wird es aeusserlich allenfalls nur noch als Marseiller Oelseife angewandt. - Wie in dem Werke des Plinius tritt uns auch an der Riviera der Weinstock vielfach neben dem Oelbaum entgegen. Doch an der Kueste selbst herrscht der Oelbaum vor. Denn im Gegensatz zum Oelbaum meidet der Weinstock die naechste Naehe des Meeres. Andererseits vertraegt er viel staerkere Gegensaetze der Temperatur, so dass seine Cultur selbst weit im Norden versucht werden konnte. Im vierzehnten Jahrhundert drang der Weinbau bis in das preussische Ordensland, selbst bis nach Tilsit vor, und wenn er sich heute, um so viel weiter, nach Westen und Sueden zurueckgezogen hat, so geschah dies nur, weil er in noerdlicheren Gegenden ertragsfaehigeren Producten weichen musste. Der Oelbaum ist sicher am Mittelmeer einheimisch, andererseits muss angenommen werden, dass seine Cultur im Orient begann, dass Culturformen des Baumes sich von da aus verbreitet haben, und schon in vorhomerischer Zeit nach Griechenland gelangten. Den Weinstock (_Vitis vinifera_) fanden die Culturvoelker ebenfalls als wilde Pflanze auf europaeischem Boden vor. Ja heut noch meint man suedlich und noerdlich von den Alpen stellenweise die Pflanze im urspruenglichen Zustande anzutreffen, doch ist es meist schwer zu entscheiden, dass sie nicht verwildert sei. Am ueppigsten gedeiht die wilde Weinrebe heute um das schwarze Meer, und man hat an den suedlichen Abhaengen der Krim Staemme bis zu anderthalb Meter Umfang gemessen. Die Cultur des Weinstocks ging allem Anschein nach vom westlichen Kleinasien aus und ist einem indogermanischen Volke zu verdanken. Von den Weinen der westlichen Riviera waren im Alterthum schon die von Massilia, also des heutigen Marseille, bekannt, zeichneten sich aber nicht durch ihre Haltbarkeit aus, so dass man sie raeuchern musste. Es geschah das in Rauchkammern nach orientalischer und griechischer Sitte. Im Wesentlichen war das ein aehnliches Verfahren wie das heutige Pasteurisiren. Ganz wie man heut den Wein bis auf mindestens 60 deg. C. erwaermt, um die schaedlichen Keime in demselben zu toedten und so seine Haltbarkeit zu erhoehen, wurde im Alterthum der Wein in wohl verschlossenen Gefaessen durch heissen Rauch erhitzt. Das Feuer befand sich in einem unteren Raume, und Rauch und Hitze stiegen, durch ein Rohr geleitet, in das obere Geschoss, in dem der Wein sich befand. Der Rauch gelangte dort durch angebrachte Oeffnungen ins Freie. Dieses Verfahren konnte den Geschmack des Weines nicht wesentlich beeinflussen, wohl aber musste das geschehen bei Zusatz von Seewasser zum Most, wie er in Kleinasien und Griechenland haeufig geuebt wurde. Auch mit Gips, Kalk, Marmor, Thon, Pech oder Harz hat man die Weine versetzt, um sie haltbarer zu machen und ihnen zugleich einen bestimmten Geschmack zu verleihen. Es bemerkt aber bereits Plinius, dass der bekoemmlichste Wein immer derjenige sei, dessen Most ohne fremdartigen Zusatz bleibe; denn welcher noch so Gesunde, meint er, sollte nicht Scheu haben vor Weinen, die Marmor, Gips oder Kalk enthalten? Ueberhaupt klagt Plinius sehr ueber die Verfaelschung der Weine; es sei damit so weit gekommen, dass nur der Name des Weinlagers den Preis der Weine bestimme und dass man den Most schon in der Kelter verfaelsche. Daher seien, so wunderlich dies auch klinge, die am wenigsten gekannten Weine oft die unschaedlichsten. Das Anmachen des Weines mit Seewasser wird von Plinius als fuer den Magen vorzueglich gepriesen. An eine bekannte neuere Heilmethode erinnert seine Mahnung, dass wer hager werden will, waehrend der Mahlzeit dursten oder doch nur wenig trinken soll. - Durch Einkochen und durch Hinzufuegen von Kraeutern suchte man im Alterthum vielfach die Haltbarkeit der Weine zu erhoehen, in aehnlicher Weise wie dies heute durch Zusatz von Alkohol geschieht. Dass die Roemer Weinschmecker ersten Ranges waren, geht genugsam aus den Angaben der alten Schriftsteller hervor. Die Menge der zum Verkauf angebotenen Weinsorten verglich Virgil bereits mit derjenigen des lybischen Sandes und der Meereswellen. Man trank in Rom meist schon ungemischte Weine, das heisst ohne den einst ueblichen Zusatz von Wasser; man kuehlte sie mit Eis, versetzte sie oefters mit Gewuerzen und fing an, nach alten Jahrgaengen zu trachten. Guter Wein musste acht bis zehn Jahre alt sein, um geschaetzt zu werden, und selbst von zweihundertjaehrigen Weinen sind uns Berichte erhalten. So mundete dem Kaiser Caligula (37-41 n. Chr.) Wein vom Jahre 121 v. Chr., dem besten Weinjahre, dessen sich Italien zu erinnern wusste. Es war Italien selbst, das zu Plinius' Zeiten die geschaetztesten Weinsorten producirte, so dass Plinius wohl behaupten durfte, Italien nehme mit seinen Weinen die erste Stelle unter allen Laendern ein und sei nur in der Erzeugung von Wohlgeruechen von einigen derselben uebertroffen: es gebe uebrigens, fuegt er hinzu, keinen Wohlgeruch, der denjenigen des bluehenden Weinstocks uebertreffe. - Auch in der roemischen Zeit wurde der Weinstock bereits in kunstgerechter Weise zugeschnitten, doch liess man ihn je nach der Gegend in verschiedener Weise wachsen. In Campanien schlang er sich empor an der Pappel, umfing sie wie seine Gattin, streckte seine ueppigen Arme auf gewundenen Bahnen zwischen ihre Aeste, bis er ihren Gipfel erreichte. Da pflegte der Winzer, zur Arbeit gemiethet, sich ausser dem Lohne vom Gutsherrn einen Scheiterhaufen und ein Grabmal auszubedingen, falls ihn bei der Weinernte ein Unfall treffen sollte. Anderswo waren ganze Landhaeuser von den schmiegsamen Aesten eines einzigen Weinstocks umflochten, und in Rom lustwandelte man in den Saeulenhallen der Livia im Schatten eines Weinstocks, der zwoelf Amphoren Wein lieferte. In manchen Theilen Italiens zog man den Weinstock an Pfaehlen, in noch anderen liess man ihn auf dem Boden kriechen, in all' jener Mannigfaltigkeit der Behandlung, die auch heut noch dem Wanderer in Italien auffaellt. Hier, meint Plinius, schimmerten purpurne Trauben aus dem gruenen Laub hervor, dort leuchteten sie in rosenrothem Glanz, dort endlich in saftigem Gruen. An dem einen Orte sah man runde, an dem anderen laengliche, hier kleine, dort grosse, hier harte und dickschalige, dort saftige und duennschalige Beeren. Manche Trauben hing man im Zimmer an einem Faden auf, um sie laenger zu erhalten, andere versenkte man in suessen Wein und liess sie sich so im eigenen Safte berauschen. Auch gab es Trauben, die man raeucherte, aehnlich wie es mit manchen Weinen geschah. Plinius erzaehlt, dass Kaiser Tiberius geraeucherte afrikanische Trauben ganz besonders liebte. Nach dem Sturze Roms zerfiel auch der Weinbau in Italien. Nachlaessig wurden die Trauben geerntet, sorglos gekeltert, und der Most lange auf den Trestern gelassen, damit der Wein jene dunkle Farbe erlange, wie sie im Lande beliebt war. Solche Weine konnten sich nicht lange halten, wurden von fremden Laendern daher auch nicht begehrt. Doch in neuester Zeit beginnt sich das zu aendern; Weinbau und Weinbereitung in Italien sind in erfolgreichem Aufschwung begriffen. Die alte Sitte, den Wein in Schlaeuchen zu befoerdern und dann in Amphoren aufzubewahren, hat sich jetzt auch im Sueden verloren. Hoelzerne Tonnen, die zur Roemerzeit bei den cisalpinischen Galliern und den Alpenvoelkern in Gebrauch waren, fanden ihren Weg damals schon nach Italien. III. Das Bild von Bordighera schwebt der Erinnerung stets umrahmt in Palmen vor, so wie man sich einst die alte syrische Stadt Palmyra nicht anders als im Palmenschmuck vorstellen konnte. In der That gedeihen nirgends an der Riviera die Dattelpalmen besser als in Bordighera. An der Ostseite des Cap d'Ampeglio sind wahre Palmenwaeldchen zu sehen. Diese oestliche Bucht ist ganz besonders gegen die Nordwestwinde geschuetzt. Zwischen den Mauern palmenreicher Gaerten, ueber welchen schlanke Staemme ihre Krone neigen, empfangen wir ganz afrikanische Eindruecke und koennen vergessen, dass uns die volle Breite des Mittelmeeres von dem Lande der Oasen trennt. Pietaetvoll wandern deutsche Reisende zu jener malerischen Palmengruppe hin, die in einer halben Stunde Entfernung, oestlich von Bordighera, zu Madonna della Ruota den Meeresstrand schmueckt. Es sind das die Palmen, die Scheffel in seinem Liede "Dem Tode nah" besang, und unter welchen er ein Grab sich traeumte. Sie stehen, einige zwanzig an der Zahl (nicht zwoelf, wie es in dem Liede heisst), um eine alte Cisterne und erwecken an dem einsamen, wilden Orte, von Meereswellen umspuelt, in der That poetisches Empfinden. Dass dieses hier nicht allein ein deutsches Gemueth ergreift, geht aus der Schilderung hervor, welche Charles Garnier, der Erbauer der Pariser Grossen Oper und des Casinos in Monte Carlo, von diesem Ort in seinen "_motifs artistiques de Bordighera_" entwirft. Der Stil der Schilderung ist freilich etwas ueberschwaenglich und erinnert an jene Verzierungen, welche die Garnier'schen "Prachtbauten" ueberreich schmuecken: "Das ist der Ort, wohin ihr ziehen muesst, ihr Kuenstler; das ist die Staette, die ihr sehen muesst, ihr Poeten; das ist der Erdwinkel, der euch fesseln muss, ihr Alle, die ihr nach lebendigen und maechtigen Eindruecken strebt, und die ihr findet, dass unser Herz hoeher schlaegt im Anblick der Natur! Werden Erinnerungen an den Orient in euch schon wachgerufen, wenn ihr das alte Bordighera und seine Umgebung durchwandert, so steht ihr hier nicht mehr vor dem Vergleich, nicht mehr vor Aehnlichkeiten, nein, ganz Judaea findet sich in diesem Eindruck verkoerpert. Das ist der Brunnen der Samariterin, der Brunnen der Rebecca; das sind die Juden, die Apostel, das ist Jerusalem, Nazareth, Bethlehem, die sich euch offenbaren in jenem bescheidenen Flecken bordigherischen Vorgebirges." - Die sturmgepeitschten Palmen um diese alte Cisterne, mit dem unvergesslichen Hintergrund des Meeres, haben zahlreichen Malern schon das Motiv zu stimmungsvollen Bildern gegeben. Es verursachte daher in Kuenstlerkreisen einige Aufregung, dass der Ort, vom deutschen Kunstgaertner Ludwig Winter angekauft, in einen Garten verwandelt werden sollte. Die endliche Verwerthung des Grundstueckes in so dicht bevoelkerter Gegend war aber nicht zu vermeiden; es muss noch als ein besonders gluecklicher Zufall angesehen werden, dass dieser schoene Flecken Erde in kunstsinnige Haende gelangte. Herr Winter hat dem aeussersten Vorsprung des Vorgebirges, das die Scheffel-Palmen traegt, seinen urspruenglichen Charakter gelassen und den Garten harmonisch zu der Umgebung gestimmt. - Anemonen, Reseda, Nelken und ueppig bluehende Rosenstraeucher decken jetzt den Abhang; grosse Palmen, die man hierher verpflanzte, entspringen dem zuvor so kahlen Boden; um einen weiten Wasserbehaelter, wie man sie an der Riviera oft sieht, ist eine Pergola errichtet, zu deren Saeulen die Palme den architektonischen Gedanken gab. Im alten Testament werden die Dattelpalmen mit stolzen Koenigstoechtern verglichen. Nicht allen Dattelpalmen in den bordigherischen Gaerten kommt aber so edle Gestalt zu. Es haengt das mit der Behandlung zusammen, welche die meisten Dattelpalmen hier erfahren. Man nimmt ihnen alljaehrig einen Theil ihrer Wedel. Die Familie Bresca in San Remo erhielt schon im sechzehnten Jahrhundert vom Papst Sixtus V. das Privilegium, Palmenwedel fuer den Palmsonntag nach Rom zu liefern, angeblich eine Belohnung fuer den Schiffscapitaen Bresca, der im Jahr 1586, waehrend der Aufstellung des Obelisken auf dem Sanct Petersplatz, als die trockenen Taue zu versagen drohten, durch den rechtzeitigen Ruf: "Wasser auf die Taue!" dem Baumeister Fontana aus schwerer Verlegenheit half. Die Familie Bresca liess ihre Palmen in Bordighera ziehen, in dessen sandig-lehmigen Boden die Dattelpalme besser als in dem schweren Lehmboden von San Remo gedeiht. So reicht die Palmenindustrie Bordigheras bis in das Mittelalter zurueck, und auch heute noch ist es dieser Ort, der die meisten Palmenwedel zur Feier des Palmsonntags nach Rom entsendet. Den Palmenwedel hat die christliche Kirche, wie so viele andere Symbole, der Bildersprache des Orients, des Heidenthums und des Judenthums entnommen, und wie Palmenwedel bei den Festen des Osiris in Aegypten, bei dem feierlichen Einzuge der Koenige und der Koenigshelden in Jerusalem und bei den olympischen Spielen prangten, so schmuecken sie heute noch am Palmsonntag die Altaere katholischer Kirchen. Statt frei in den Lueften ihre Wedel zu schaukeln, muessen die meisten Palmen zur Herbstzeit es erdulden, dass ihre Krone im Innern pferdeschweifartig zusammengebunden werde. Diese Behandlung bezweckt eine bestimmte Ausbildung der neu hervorwachsenden Wedel. Nicht alle Palmstaemme sind fuer diese Behandlung gleich geeignet, und unter den geeigneten werden noch solche unterschieden, die mehr fuer den katholischen und solche, die mehr fuer den juedischen Ritus sich schicken. Denn auch die Juden brauchen Palmenwedel bei dem Laubhuettenfest. Der Bordighese bezeichnet kurzweg die eine Dattelpalme als "_Cattolica_", die andere als "_Ebrea_". - Die Blaetter der katholischen Palme sind schlanker, die der juedischen kuerzer und gedrungener. An der katholischen Palme bindet man die mittleren Wedel fest zusammen, damit die neuen Wedel bei thunlichstem Lichtabschluss sich entwickeln und so moeglichst farblos bleiben. Denn bei der Feier des Palmsonntags sollen sie nicht allein ein Siegeszeichen, sie sollen auch ein Bild himmlischer Reinheit sein. Im Dunklen werden solche Wedel auch schlank und lang; sie laufen spitz an ihren Enden aus und bleiben biegsam und weich, so dass sie leicht in beliebige Formen geflochten werden koennen. An den juedischen Palmen werden die aelteren Blaetter weniger stark verbunden, das Licht ist somit von den juengeren Blaettern nicht ganz ausgeschlossen, diese koennen daher auch ergruenen. Sie bleiben zugleich kuerzer, schliessen mit stumpfer Spitze ab und werden haerter. Mit dem Palmenwedel verbinden die Juden beim Laubhuettenfest die Myrte und die Bachweide zum Feststrauss und halten, waehrend dieser in der rechten Hand geschwungen wird, einen "Paradiesapfel" in der Linken. Das Laubhuettenfest ist urspruenglich das Erntefest der Juden. Es verlor aber in den fremden Laendern diese seine Bedeutung und behielt nur die andere historische, die ihm ebenfalls von Alters her zukam, eine Erinnerung an den goettlichen Schutz waehrend der Wuestenwanderung zu sein. Die Wahl der vier "Arten" im Feststrauss hat die mannigfaltigsten symbolischen Deutungen erfahren; sie mochte vielleicht urspruenglich die Vegetation Palaestina's versinnbildlicht haben. Durch religioese Vorschriften wurden die vier "Arten" spaeterhin in starre Formen gefasst, und wie der Palmenwedel, so muessen auch die Myrtenzweige und die Bachweide ganz bestimmte Gestalt besitzen. Die Myrten im Besonderen werden fuer die rechtglaeubigen Juden in genau vorgeschriebenen Formen gezogen. Der Zweig muss eine Hoehe haben, die drei Handbreiten gleichkommt und die Blaetter in dreigliedrigen Wirteln tragen. Sind die Wirtel aufgeloest, d. h. die Blaetter nicht zu dreien in gleicher Hoehe befestigt, so ist der Zweig unbrauchbar. Eher geht es an, einen Zweig zu benutzen, der die Blaetter nur zu zweien in gleicher Hoehe traegt. Ein solcher Zweig ist im Nothfall zulaessig, steht aber im Preise weit hinter der wahren "Hadassah" zurueck. Die katholische Kirche hat sich in Betreff der Palmen, welche der Palmsonntag verlangt, viel nachsichtiger gezeigt. In nordischen Laendern hat der Buchsbaum, ja selbst der kaetzchentragende Weidenzweig, das Palmenblatt ersetzt. An der Mosel wird der Buchsbaum geradezu als "Palm" bezeichnet, und auch die aus Weiden gebundenen Festzweige heissen Palmen in slawischen Laendern. Die Palmen hatten im Winter 1890/91 eine schwere Probe an der Riviera zu bestehen, als das Thermometer fuer mehrere Stunden auf 6 deg. C. unter 0 gesunken war. Besonders bewaehrten sich bis jetzt im bordighesischen Klima, ausser den Dattelpalmen (_Phoenix dactylifera_), die canarische _Phoenix canariensis_, die kalifornische _Pritchardia filifera_, die australische _Livistona australis_ und die chinesische _Chamaerops excelsa_. Dass ausserdem die Zwergpalme, _Chamaerops humilis_, gut in Bordighera gedeihe, ist nicht wunderbar, da sie der Mittelmeerflora thatsaechlich angehoert; sie ist unsere einzige europaeische Palme, in Sicilien heimisch. In Algier deckt sie grosse Flaechen. Man suchte sie dort auszurotten, um den Boden fuer neue Culturpflanzen zu gewinnen, jetzt sorgt man fuer ihre Verbreitung. Vom laestigen Unkraut, als welches sie betrachtet wurde, ist sie zu einer wichtigen Nutzpflanze avancirt. Entsprechend zubereitet, liefern naemlich die Blaetter der Zwergpalme sehr elastische Fasern, die gleich Pferdehaaren zum Ausstopfen der Moebel und Matratzen dienen koennen. Den Pferdehaaren gegenueber zeichnen sie sich nicht nur durch ihre Billigkeit, sondern auch dadurch aus, dass sie nicht von Motten befallen werden. Im Gegensatz zu den Phoenix-Arten, die gefiederte Blaetter besitzen, sind die Pritchardien, Coryphen, Chamaerops-Arten mit faecherfoermigen Blaettern versehen. Ihr Aussehen weicht somit nicht unwesentlich von demjenigen der Dattelpalmen ab, so dass ihre Acclimatisation an der Riviera auch in landschaftlicher Beziehung als ein Gewinn betrachtet werden kann. Zu bedeutender Hoehe ist in zahlreichen Gaerten die _Chamaerops excelsa_ bereits emporgewachsen. Sie gehoert zu den haertesten der eingefuehrten Arten, so dass sie ohne Bedeckung selbst das Klima der Insel Wight vertraegt. _Pritchardia filifera_ ist der zahlreichen weissen Faeden wegen, die den Blattraendern entspringen, sehr beliebt, verbreitet sich demgemaess auch rasch an der ganzen Riviera. Zu den haeufigsten Palmen duerfte dort auch bald die _Phoenix canariensis_ gehoeren, welche der Dattelpalme sehr aehnlich ist, sich aber vor ihr durch gedraengteren ueppigeren Wuchs und kraeftigere Blattentwickelung auszeichnet. - An geschuetzten Stellen der Riviera gedeihen auch verschiedene Arten der Palmengattung Cocos, so _Cocos flexuosa_, und _Romanzoffiana_ mit aeusserer eleganter Tracht, auch die blaugruene _Cocos australis_. Die echte Cocospalme (_Cocos nucifera_), welche die Cocosnuesse liefert, kommt hier hingegen, sowie auch an den Suedraendern des Mittelmeers, nicht fort. Ihre Cultur ist nur innerhalb der Wendekreise moeglich. In der Form ihrer Blaetter stimmen die Cocospalmen mit den Dattelpalmen ueberein. Aehnliche Blaetter haben auch die Areca-Arten (_Areca sapida_, _Baueri_), welche an der Riviera gut aushalten. Es sind das nahe Verwandte der Betelnusspalme (_Areca catechu_), welcher die Betelnuesse entstammen, jene Nuesse, die mit Kalkpulver bestreut, und in Blaetter des Betelpfefferstrauchs (_Piper Betle_) gewickelt, von Jung und Alt in Suedasien gekaut werden. Zu den Palmen mit faecherfoermigen Blaettern, welche die Gaerten der Riviera zieren, gehoeren auch zwei Livistona-Arten, die _Livistona chinensis_ und _australis_, mit maechtigen Blaettern, Palmen, die haeufig in unseren Gewaechshaeusern anzutreffen sind. Schoen macht sich unter den anderen Faecherpalmen der Riviera die blaugruene _Brahea Roezli_, dann die stattlichen Sabal-Arten, deren zaehe Fasern fuer Seilerwaaren, Huete, Koerbe und Saecke verwandt werden, auch die wichtige Carnaubapalme Brasiliens, die _Copernicia cerifera_. Mit den Blaettern dieser Palme wird in der brasilianischen Provinz Ceara ein grosser Theil der Huetten gedeckt, ihre Fasern aehnlich wie Stroh verwandt, der harte Stamm liefert Bau- und Tischlerholz, die Wurzeln ein Heilmittel, die bitteren Fruechte dienen als Nahrung, aus dem Saft wird Sirup und Arrak bereitet, kurzum diese Palme zeigt uns so recht ein Bild von dem Nutzen, den eine einzige Art dieser segensreichen Pflanzenfamilie in den Tropen stiften kann. Ihren Artennamen _cerifera_, sowie ihren deutschen Namen dankt aber die Wachspalme ihrem wichtigsten Erzeugniss, dem vegetabilischen Wachs, das sie in Schuppenform aus ihren Blaettern ausscheidet. Diese Schuppen werden von jungen, getrockneten Blaettern abgeklopft und dann in Wasser gekocht, auf dessen Oberflaeche das fluessige Wachs sich sammelt. Man versetzt es mit Talg und formt es zu Kerzen, welchen beim Brennen ein angenehmer Duft entstroemt. Bordighera begnuegte sich nicht damit, seine Palmwedel fuer Cultuszwecke zu ziehen, es suchte sie auch im Kunsthandwerk zu verwerthen. So entstand die Palmenflechterei, die in letzter Zeit Dank dem Winter'schen Einfluss, eine ungeahnte Entwickelung nahm. In der Winter'schen Kunstgaertnerei wird jetzt die Palmenflechterei im Grossen betrieben. Die Dattelpalme, die Chamaerops-Arten, _Livistona australis_ und _Pritchardia filifera_ geben im Besonderen das Material dazu her. Zur Verwendung kommen Blattspreiten, Blattstiele und Blattscheiden dieser Pflanzen, und wo Behaelter noethig, helfen auch wohl Flaschenkuerbisse aus. Alle Theile der Palmen werden entsprechend gebogen und dann getrocknet, und hierauf zu Blumenvasen, Ampeln, Koerbchen, Fruchtschalen, Lichtschirmen und anderen zierlichen Gegenstaenden stilgerecht vereint. Auch die Nachtigallen an der Riviera suchen Nutzen aus der neuen Palmen-Cultur zu ziehen. Sie fanden heraus, dass die langen grossen Faeden am Blattrand der Pritchardien fuer Nesterbau vortrefflich geeignet sind. Sie zwicken sie ab und tragen sie zusammen, um sich aus denselben ihr fluechtiges Heim zu flechten. - IV. Die zahlreichen Ausfluege, die sich landeinwaerts von den Stationen der Riviera unternehmen lassen, haben in den Reisehandbuechern bis jetzt eine hoechst unvollkommene Behandlung erfahren. Meist findet man in denselben nur eine Aufzaehlung der etwa zu besuchenden Orte, wobei die naechste, oft lohnendste Umgebung vernachlaessigt ist, entferntere, beschwerliche, nicht immer lohnende Touren besonders empfohlen werden. Da die Wirksamkeit der Alpenvereine sich andererseits nicht bis zur Riviera erstreckt, die Wegweiser dort fehlen, die Einheimischen nur selten Auskunft ueber den Weg und niemals ueber die Schoenheit desselben zu ertheilen vermoegen, so waeren grade fuer jene Gegenden gut orientirende Reisebuecher sehr erwuenscht. Unter den gegebenen Umstaenden kann aber nur ein wiederholter Besuch der Riviera denjenigen, der es gelegentlich nicht scheut, unnuetz umherzuirren, in all' die Reize dieser zauberhaften Gegend einweihen. So muesste jeder Reisende, der fuer Naturschoenheit empfaenglich ist und einige Muehe nicht scheut, von Mentone ueber Gorbio nach Roccabruna wandern. Meist begnuegt sich aber selbst der unternehmendste Tourist mit einem Ausflug nach Castellar und kommt im Gorbiothal nicht ueber Gorbio hinaus, weil er nicht weiss, dass er seinen Weg dort fortsetzen sollte. Und doch entfaltet sich erst jenseits von Gorbio die volle Pracht der grossartigen Landschaft. Der ganze Ausflug duerfte fuenf Stunden in Anspruch nehmen; es empfiehlt sich, ihn am Nachmittag zu unternehmen. Bis nach Gorbio fuehrt jetzt eine schoene Fahrstrasse. Sie beginnt zu steigen am Alexandra-Hotel und folgt in zahlreichen Windungen dem Thale. Dieses Thal ist ueberaus fruchtbar; ein ansehnlicher Bach durchstroemt dasselbe. Erst ist es breit, verengt sich, indem es aufsteigt. Villengaerten stossen an die Strasse, dann bescheidene Bauerngueter. Bluehende Pflanzen neigen sich ueber die Mauern vor. Erst die vornehmen Pflanzen der Reichen; dann der Goldlack, die Levkoye, die Pelargonie und die Anemonen, die auch der Aermere sich zieht. Einzelne Cypressen, oft umrankt von Rosen, ragen hier und dort aus den Gaerten vor und mahnen nicht selten an orientalische Landschaft. Citronen- und Orangengaerten folgen aufeinander, dann Feigenbaeume. Hoeher hinauf beginnen sich vereinzelt auch unsere Obstbaeume zu zeigen. Sie stehen im Bluethenschmuck. Eigentlich ist ihnen auch in dieser Hoehe noch zu warm, sie gedeihen gut erst bei Sant' Agnese, jenseits der Felsen, die das Thal im Norden sperren. Im Thale von Gorbio lohnt es sich, Pflanzen zu sammeln. Ardoino, der Verfasser der Flora der Seealpen, gibt fuer die Thaeler, die bei Mentone muenden, mehr als tausend verschiedene, wild wachsende Arten an. Man muesste fast ganz Irland und Schweden durchstreifen, um ebenso viel verschiedene Pflanzen zu finden, als hier auf etwa fuenfzehn Quadratmeilen beisammen wachsen. - Ungewoehnlich reich sind die Thaeler von Mentone an Orchideen, und diese bluehen ja fast saemmtlich im Fruehjahr. Viele sonst seltene Farne sind hier auch zu finden. Der Botaniker sucht mit Vorliebe nach einem kleinen Nacktfarn, der zu derselben Gattung wie die Gold- und Silberfarne unserer Gewaechshaeuser gehoert, der _Gymnogramme leptophylla_. Der Pflanzenliebhaber freut sich mehr noch ueber das _Adiantum Capillus Veneris_, das Venushaar, das mit seinen zarten Wedeln die feuchten Vertiefungen der Felsen ziert. - Ein alter gepflasterter Weg kuerzt oben im Thale die neue Strasse von Gorbio ab. Er steigt in Olivenhainen empor. An einer seiner Windungen taucht ploetzlich Gorbio auf, ganz in der Naehe. Es kroent einen steilen Huegel, der von Oliven bedeckt ist. Ein Amphitheater maechtiger zackiger Felsen umrahmt dieses Bild von seltener malerischer Schoenheit. - Wir steigen auf zu dem Orte, durchschreiten den Platz, dem eine alte Ulme ihren Schatten spendet, wenden uns dann links und schlagen den Fussweg ein, der, an einem offenen Brunnen vorbei, der Berglehne folgt. Nach kaum halbstuendigem Aufstieg haben wir das weit sichtbare Kreuz erreicht, das hoch oben, am vorspringenden Bergesrande dem Wetter trotzt. Bei stark wehendem Mistral ist es kaum moeglich, an jener Stelle zu weilen; das zersplitterte Kreuz, welches nur noch einen seiner Arme gegen den Himmel streckt, zeugt von der Gewalt der Stuerme, die dort oben hausen. Bereits von diesem Kreuze aus ist der Blick ueberwaeltigend schoen. Er umfasst die saemmtlichen Thaeler, die bei Mentone muenden. Auf den Hoehen sieht man jene wilden Ortschaften thronen, Burgen der Grimaldi und der Lascaris, die einst diese Thaeler beherrschten; man umspannt mit dem Blicke den ganzen Halbkreis steil aufsteigender Berge, welche die Thaeler maechtig umfassen und eine undurchdringbare Schranke fuer das Auge bilden, das hingegen nach Sueden zu unbegrenzt ueber dem blauen, endlosen Meere schweift. Eine weitere Steigerung der Eindruecke haelt man nicht fuer moeglich, man kann sich schwer von dieser Stelle trennen, und doch gewinnt das Bild noch an erhabener Groesse, betrachtet von dem Bergruecken, der jetzt in suedlicher Richtung nach Roccabruna fuehrt. Dann verschieben sich gegen einander, wie maechtige Decorationen, die Felsriesen, die den Hintergrund der Thaeler schliessen, und die Umrisse des Bildes werden immer reicher, immer bewegter. Bald tritt im Mittelpunkte der Landschaft, am Nordabhange des maechtigsten dieser Berge, Sant' Agnese hervor, ein ansehnliches Dorf, das in schwindelnder Hoehe, wie ein Schwalbennest am Felsen, ueber dem Abgrund zu haengen scheint. Wer konnte das Dasein dieses Ortes ahnen; ist er doch gegen das Meer hin von dem Felsen ganz verdeckt, an den er sich klammert. Dieser Felsen sollte ihn auch schuetzen und verbergen vor den spaehenden Blicken der Saracenen, welche einst das tyrrhenische Meer durchkreuzten. Und doch war es ein Saracenenhaeuptling Harun, der im zehnten Jahrhundert, der Sage nach, die Burg erbaute, deren Ruinen den Bergesgipfel kroenen. Doch nicht als Feind kam er hierher, sondern von der Liebe zu einer Christin ueberwaeltigt, die er, selbst zum Christenthum bekehrt, zu seiner Gattin machte. Selbst wer den schoensten Theil Sueditaliens kennt, wird sicher die volle Macht dieser herrlichen, so typisch italienischen Landschaft empfinden. Und wie wird der Eindruck noch gesteigert, wenn gegen Sonnenuntergang sich die Gipfel der Berge zu roethen anfangen, lange dunkle Schlagschatten in die Thaeler fallen und Sant' Agnese in goldigem Licht auf dem grauen Fels zu gluehen beginnt. Doch die Zeit draengt, denn die Sonne im Westen ist lange schon hinter der _Tete de chien_ verschwunden; die Nachtschatten senken sich hinab in die Schluchten, waehrend ein langer steiniger Weg uns von Cabbe-Roquebrune, der Eisenbahnstation, noch trennt. In Cabbe-Roquebrune auf dem Bahnhof erwartet uns ein botanischer Genuss. Ueber einer hohen Mauer am Abhang stehen maechtige Judasbaeume (_Cercis siliquastrum_) und senken abwaerts ihre bluethenbeladenen, noch laubfreien Zweige. Die schoenen, dicht gedraengten Bluethen entspringen auch dem alten Holze, so dass die ganze Baumkrone wie ein einziges Blumengewinde erscheint, von rosenrother Farbe. Dieser Baum ist in Suedeuropa zu Hause, sehr haeufig sieht man ihn in Palaestina die Gaerten um Jerusalem schmuecken, was wohl Veranlassung zu der Sage gab, Judas habe sich an demselben erhaengt. V. Bezaubernd schoen ist Mentone, wenn man es vom Pont St. Louis aus betrachtet. Das Bild gehoert zu den eindrucksvollsten der ganzen Riviera. Doch muss man es am Morgen betrachten, wenn die Sonne das alte Mentone von Osten her bescheint. Man folgt von Mentone aus in oestlicher Richtung der Landstrasse und waehlt ihren linken Arm, dort, wo sie sich gabelt. Man steigt dann sanft in die Hoehe, zwischen Villen und Mauern. Gibt es nicht zu viel Staub auf der Strasse, so ist diese Wanderung ein Genuss. Denn die angrenzenden Gaerten strotzen von ueppigen Gewaechsen, und ueberall draengt sich der Ueberfluss derselben bis auf die Strasse. Die Pflanzen finden keinen Platz mehr in der eingeengten Umfriedung und streben hinaus ins Freie. Rosenrothe und feuerfarbige Pelargonien neigen sich ueber das Gitter, dort haengt ein Rosenstrauch ueber dasselbe hinaus und traegt unzaehlige Bluethen. Weiter ist eine ganze Mauer bis unten hinab mit einem epheublaetterigen Kranichschnabel, dem _Pelargonium peltatum_, bedeckt, welcher so ueppig blueht, dass die Blaetter unter den blassrothen Bluethen verschwinden. Jener Strauch, der im grazioesen Bogen ueber eine andere Mauer sich beugt und aehrenfoermige Rispen gelber Bluethen traegt, ist eine chinesische Buddleia (_Buddleia Lindleyana_). Die ganze Strasse duftet jetzt nach Heliotrop, der an dem Gelaender emporklettert; weiter ist es wieder eine Pergola safrangelber Rosen, welche der Strasse folgt. Mit ihren fleischig dicken Stengeln und Blaettern und ihren grossen rothen oder gelben Bluethen schmueckt dort die Mittagsblume (_Mesembryanthemum __ acinaciforme_) eine Mauer. Dann schliessen Citronen- und Orangenbaeume sich an, die mit Fruechten reich behangen, auch schon ihre duftigen Bluethen entfalten. Wir kommen an dem kleinen franzoesischen Zollhaus vorbei und erreichen alsbald unser Ziel. In kuehnem Bogen schwebt die Bruecke San Luigi ueber der Schlucht, welche Frankreich von Italien trennt. Der Blick von hier auf Mentone ist in der That von ergreifender Schoenheit. Die alte Stadt deckt einen schmalen Grat, der sich bis zum Meere senkt. Dicht gedraengt steigen die Haeuser an ihm auf, ueber- und nebeneinander. Alle sind sie im italienischen Style gebaut, mit Loggien, Balkonen und Terrassen, trotzdem alle verschieden an Gestalt und Groesse, scheinbar gesetzlos zu einer einzigen Masse vereint. Jedes zeigt eine andere Faerbung; im hellen Glanz der Sonne verschmelzen aber die Gegensaetze und die ganze Stadt leuchtet fast weiss in die Ferne. Aus der Haeusermasse ragt die Kirche mit ihrem schlanken Glockenthurm hervor. Und welch eine grossartige Einfassung zeigt dieses Bild! In weiter Ferne, kaum noch sichtbar, profilirt sich im nebeligen Umriss das zackige Esterel. Dann weicht die Kueste vor dem Meere zurueck und erst die _Tete de chien_ ueber Monaco bietet ihm wieder Trotz. Sie scheint an der Kueste Wache zu halten. Dann folgen maechtige, majestaetische Berge und ruecken immer naeher auf Mentone zu. Das Cap Martin streckt sich wie ein gruensammetnes Band vor in die blaue See, und hinter Mentone steigen die zackigen Felsenriesen auf und leuchten in der Sonne im blaeulichen Grau. Dann folgen tiefer gruene Schluchten, wo helle Olivenhaine mit dunklen Citronengaerten abwechseln und an den Abhaengen weisse Doerfer verborgen im Laub. Kahle Bergruecken glaenzen grell in der Naehe, von gruenen Kiefernwaeldern stellenweise wie von Oasen bedeckt. Der Vordergrund entzueckt uns durch seine Farbenpracht, denn der untere Theil der Schlucht, ueber der wir schweben, ist in einen Garten verwandelt. In Stufen steigt er auf, und der Boden verschwindet ganz unter Bluethen. Hell- und dunkelrothe Geranien, dicht aneinander gedraengt, kugelige Chrysanthemum-Straeucher (_Chrysanthemum frutescens_) mit tausenden von Bluethen wie mit weissen Sternen uebersaeet. Dann ein Judasbaum, ganz in Bluethen gehuellt, der seine rosenrothen Aeste ueber die weissen Chrysanthemen neigt. Ein gelbbluethiger Rosenstrauch, der den rosenrothen Judasbaum erklimmt; schlanke Bambusen wie Federbuesche in die Luefte ragend; daneben Faecherpalmen. Dunkelgruene, schlanke Cypressen; ein Pfefferbaum mit hellgruenen, zartgefiederten Blaettern an den haengenden Aesten; dunkelrothe Bougainvilleen an den aufsteigenden Waenden: ein wahres Kaleidoskop. Hohe Dattelpalmen ragen aus der Schlucht hervor und umrahmen das Bild von Mentone, phantastische Opuntien naechst der Bruecke bilden den ersten Vordergrund. Und dieses ganze farbenreiche Bild taucht mit seinem Rande in die dunkelblaue Fluth. Eine frische Brise weht uns vom Meer entgegen, der Fruehling blickt mit allen seinen Blumenaugen aus der Schlucht empor. Es stimmt so harmonisch und heiter dieses hehre Bild. Daher wir es auch vergessen moechten, dass dort ueber Mentone, wo weisse Steine und dunkle Cypressen zwischen grauen Mauern sich erheben, ein Ort der Trauer ist. Ein Schloss der Grimaldi stand einst auf dieser Hoehe, zwischen seinen Truemmern und Umfassungsmauern ist dann der Friedhof entstanden. Er beherrscht diesen sonnigen Strand, wie einst die maechtige Burg ihn beherrschte: ein Wahrzeichen des heutigen Mentone. Ich suche die Gedanken von dieser Stelle abzuwenden, doch unablaessig kehren sie zu derselben zurueck. Denn trauriger hat mich ein Friedhof nie gestimmt wie dieser dort, mit seinen in Blumen ganz versteckten Graebern. Kaum kann es einen maechtigeren Widerspruch geben zwischen der freudig sonnigen Natur und dem jaehen Tode. Dieser Gegensatz presst Einem das Herz zusammen. Und aus allen Theilen der Welt eilten jene zusammen, die auf diesem Friedhof ruhen. In der Bluethe der Jahre, fern von ihrer Heimath, legten sie sich unter Jasmin und Rosen zu ewigem Schlaf. Ob ihnen wohl die Erde leichter wird, weil die Blumen nie auf derselben verwelken? Die Rosen im besondern draengen sich dort ueberall vor: weisse, gelbe, blutigrothe, und sie verbreiten einen betaeubenden Duft. Als ich einst diesen Friedhof besuchte, da strahlte die Welt in Fruehlingsglanz und jauchzte es von Leben in den Lueften. Da war es besonders traurig zwischen diesen blumenreichen Graebern. Auf einem frisch errichteten Denkmal sass ein junger Bildhauer, meisselte das Antlitz eines zarten Maedchens in den Stein und sang dazu ein froehliches Lied. Ich blieb vor dem Grabe lange stehen: es war wie in einer Shakespeare'schen Tragoedie. Hoch ragen ueber der Bruecke San Luigi die zackigen Felsen empor, welche die Schlucht umfassen. Sie selber steigt hier ploetzlich auf, unvermittelt in romantischer Wildniss. Ein einzelner Felsenkegel erhebt sich aus ihrer Mitte und endet mit spitzem Gipfel. Zahlreiche Grotten versenken sich in den Stein. Rosmarin und Wolfsmilch, Wachholder und grossbluethige Malven (_Lavatera maritima_) klammern sich an jeden Vorsprung der Felsen an und beleben ihre Eintoenigkeit. Unten gruent Alles von ueppigem Pflanzenwuchs. Ein kleiner Bach rauscht abwaerts in den Felsenspalten und bildet dann zierliche Wasserfaelle. Ein Theil des Wassers wird in einen kleinen Aquaeduct gefasst, der in malerischen Windungen abwaerts laeuft, dann mit gewoelbtem Bogen den Bach ueberschreitet. Wie effectvoll Alles vereint in diesem engen Raume: es ist fast wie eine Theaterdecoration! An jener so ueberaus warmen Stelle der Riviera bildet diese Felsenschlucht wohl noch den waermsten Ort. Durch hohe Berge geschuetzt und umfasst, steht sie den suedlichen Winden nur offen. In dieser Schlucht beginnen schon im December die Veilchen zu bluehen. Die Schwalben verlassen sie nie. Die Eidechsen sollen ihres Winterschlafs hier vergessen. An Nahrung ist stets Ueberfluss. Insekten durchschwirren die Luft, und die Spinne spannt ihr Netz auch im Winter, um sie zu fangen. VI. Niemand sollte es versaeumen, von Bordighera oder von Mentone aus, einen Ausflug nach La Mortola, dem Garten des Herrn Thomas Hanbury, zu unternehmen. Der Eintritt wird Montag und Freitag Nachmittag gegen Zahlung von je einem Franc gestattet. Dieses Geld dient zur Unterstuetzung des Krankenhauses von Ventimiglia. Wer eingehende Studien im Garten machen will, erhaelt hierzu vom Besitzer jederzeit Erlaubniss. Frueher Eigenthum der Familie Orengo in Ventimiglia, traegt auch heute noch die schoene Villa im Garten, welche Herr Thomas Hanbury bewohnt, den Namen des Palazzo Orengo. Als Herr Hanbury diese Besitzung im Jahre 1866 erwarb, war sie von einem mageren Olivenhain bedeckt. Ludwig Winter hat sie in den feenhaften Garten verwandelt, der jetzt den Besucher entzueckt. Der Garten deckt eine Flaeche von ungefaehr vierzig Hektaren und faellt von der Kunststrasse, welche das Dorf Mortola in hundert Meter Hoehe durchzieht, bis zum Meere ab. Die in dem Numullitenkalk tief gerissene Schlucht, an welche die Besitzung anlehnt, gewaehrt ihr Schutz gegen die Winde und ermoeglicht die Entwickelung einer so ueppigen Vegetation, wie sie auch an der Riviera kaum ihres gleichen findet. Freilich musste durch kuenstliche Bewaesserung vorgesorgt werden, dass die lange Duerre des Sommers nicht verhaengnissvoll fuer die Pflanzen werde. Denn man rechnet in La Mortola ueber zweihundert Tage im Jahr, an welchen der Himmel voellig wolkenlos bleibt, und auch innerhalb des winterlichen Halbjahres gibt es nur etwa vierzig Regentage. Es waere ein gewagtes Beginnen, wollte ich an dieser Stelle alle die zahlreichen Pflanzenformen schildern, welche der Garten von La Mortola birgt. Es kommt mir nur darauf an, die Reichhaltigkeit desselben hervorzuheben. Was aber diesen Garten insbesondere belehrend macht, ist der Umstand, dass alle Pflanzen Schilder tragen, auf welchen ihr Name, der abgekuerzte Name des Autors, der sie benannte, ihre Heimath, sowie die Familie, der sie angehoeren, angegeben ist. So kann jeder Besucher des Gartens erfahren, wie die Pflanze heisst, die ihm durch ihre Schoenheit oder ihren Wohlgeruch auffaellt, eine Pflanze, nach deren Namen er vielleicht vergeblich schon in manchem anderen Garten der Riviera forschte. Herr Hanbury ist bemueht, seinem Garten auch wissenschaftlichen Werth zu verleihen und sucht unaufhoerlich neue, interessante, technisch wichtige oder durch ihre Heilkraft ausgezeichnete Gewaechse fuer denselben zu erwerben. Ein kenntnissreicher deutscher Gaertner, Gustav Cronemeyer, stellte vor einigen Jahren ein wissenschaftliches Verzeichniss aller Pflanzen des Gartens auf. Dieses Verzeichniss umfasst ueber 3600 Arten. Es wurde an alle botanischen Anstalten der Welt versandt, mit der Aufforderung, aus den Schaetzen des Gartens fuer wissenschaftliche Zwecke zu schoepfen. Auch die Samen und Fruechte des Gartens erntet man alljaehrig, um sie wissenschaftlichen Anstalten dienstbar zu machen. Da Herr Hanbury gleichzeitig stattliche Schulgebaeude in La Mortola errichtet, da er neuerdings auch ein schoenes botanisches Institut in Genua erbauen liess, um es der dortigen Universitaet zu schenken, so laesst sich wohl behaupten, dass er einen edlen, nachahmenswerthen Gebrauch von seinen Reichthuemern macht. Leider ist der eifrige Leiter des Gartens, Gustav Cronemeyer, vor kurzem gestorben, und gewaehrt es nur einen Trost, dass sein Nachfolger, ebenfalls ein deutscher Gaertner, Herr Dinter, mit gleichem Eifer in seine Spuren tritt. Gerade im Fruehjahr ist es, wo der Garten von La Mortola in vollstem Bluethenschmucke prangt. Besonders tragen die Akazien dazu bei, ihn um jene Zeit so ueppig zu verzieren. Ueber neunzig Arten der Gattung _Acacia_ stehen da in Cultur, von den fein gefiederten, mimosenartigen an, deren Blaettchen jeder Windhauch in Bewegung setzt, bis zu jenen starrend stachlichen Arten, welche schon durch ihren botanischen Namen als "bewaffnet" (_armata_), "struppig" und "schauerlich" (_horrida_) hinreichend gekennzeichnet werden. Manche Akazien sind von gelben Bluethen so ueberdeckt, dass das gruene Laub unter denselben fast verschwindet, und die meisten verbreiten zur Bluethezeit ein liebliches Aroma. Benennungen wie "lieblich", "angenehm" (_suaveolens_) zeichnen noch besonders einzelne Arten aus. Der hoechste Preis des Wohlgeruchs gebuehrt aber unstreitig der tropisch-amerikanischen _Acacia Farnesiana_, welche ihre veilchenduftenden Bluethenkoepfchen den ganzen Winter ueber treibt. Diese Bluethenkoepfchen dienen in Grasse und in Cannes unter dem Namen "_fleurs de cassie_" in ausgiebiger Weise den Zwecken der Parfuemerie. Den Namen "_Farnesiana_" erhielt diese schon lange in Suedeuropa bekannte Pflanze wohl daher, dass sie in den farnesianischen Gaerten in Rom zuerst gezuechtet wurde. - Durch ihr zartes, zierliches, doppeltgefiedertes Laub von blaeulich gruener Farbe, faellt hier, wie auch an den anderen Stellen der Riviera, die _Acacia_ oder _Albizzia Julibrissin_ auf, ein stattlicher Baum vom Aussehen einer Mimose, dessen hellviolette Bluethenkoepfchen aber erst im Juli zur Entfaltung kommen. Sie stammt von der Suedkueste des kaspischen Meeres, ihr Arten-Name ist persisch und bedeutet Seidenblume. - Von der suedafrikanischen steifen _Acacia horrida_ stammt eine geringe Gummisorte, die als Capgummi bekannt ist. Das feinste Gummi arabicum tritt aus der Rinde der senegambisch-kordofanischen _Acacia Senegal_, aehnlich wie bei uns Kirschgummi aus der Rinde von Kirschbaeumen, hervor. Durch ein ganz besonders feines Aroma zeichnet sich in dem Garten von La Mortola ausser der _Acacia Farnesiana_ ein gelbbluehender Strauch, die _Pteronia incana_ vom Cap aus, welche zu derselben Abtheilung der Compositen wie unsere Astern gehoert, deren Bluethenkoepfchen aber einen, man koennte fast sagen, vergeistigten Aprikosenduft verbreiten. Sehr wohlriechend in allen seinen Theilen ist ein anderer Strauch vom Cap, die Rutacee _Diosma fragrans_. Nicht umsonst hat sie, so wie ihre naechsten Verwandten, die bei uns viel in Gewaechshaeusern cultivirt und als Bouquetgruen benutzt werden, den Namen _Diosma_, d. h. "Goetterduft", erhalten. Ein chilenischer Strauch mit kleinen gelben Bluethen, die Flacourtiacee _Azara microphylla_, wird wegen seines vanillenartigen Duftes in der Heimath "Aromo" genannt. Eine krautartige Salbeiart, die _Salvia albocoerulea_, riecht wie feines Tafelobst. Verschiedene Pelargonien, so namentlich das _Pelargonium roseum_ und _odoratissimum_, verbreiten ein starkes rosenartiges Parfuem, wenn man ihre Blaetter zerdrueckt. Geradezu betaeubt wird man an zahlreichen Stellen des Gartens von dem Duft, der den kleinen weissen Bluethen vom _Pittosporum Tobira_ entstroemt. Diese Bluethen decken in grosser Zahl den baumartigen immergruenen Strauch, der im Aussehen an den lorbeerartigen Schneeball (_Viburnum Tinus_) unserer Gewaechshaeuser erinnert. Es gibt auch eine Art mit fast schwarzen Bluethen, die fremdartig genug auf den Zuschauer einwirkt. - Lieblich duftet, aehnlich wie unsere wohlriechende Platterbse, ein zierlicher Baum mit ueberhaengenden Aesten, der aus der Ferne ganz weiss erscheint von reicher Bluethenfuelle. Es ist eine west-mediterrane Ginsterart, _Genista monosperma_, die zu den anmuthigsten Pflanzenformen im Fruehjahr an der Riviera gehoert. Ist auch zu jener Zeit der Bluethenreichthum noch so gross, Jedem faellt, unter allen anderen, diese Pflanze auf, die den Namen Bluethenregen fuehren sollte. Erscheint es da nicht wunderbar, dass zu derselben Gattung, wie dieses so zart erscheinende Gewaechs, auch die _Genista acanthoclada_ gehoert, ein Strauch der griechischen Berge, der so stachelig ist, dass er fuer die Pflanze des Tartarus gelten konnte: _Aspalathus_, nach der Insel Aspalathe an der Kueste von Lycien genannt, lieferte er, der Sage nach, jene Ruthen, mit denen die Gottlosen in der Unterwelt gepeitscht wurden. Eigenthuemlich beruehren den Besucher des Gartens die Casuarineen, die in grossen Exemplaren gleich unterhalb der Eingangstreppe stehen. Die graugruenen feinen Zweige dieser Baeume haengen wie die Federn eines Casuarschweifes herab und verschafften dem Gewaechs auch seinen Namen. Die Zweige sind blattlos; die Ernaehrung des Baumes, die sonst von den Blaettern besorgt zu werden pflegt, faellt hier somit den Zweigen zu. Diese sind demgemaess auch gruen gefaerbt, d. h. sie fuehren jenen Farbstoff, das Chlorophyll, dessen Anwesenheit fuer die Bereitung von Nahrungsstoff durch die Pflanze nothwendig ist. Die Casuarineen bilden in Australien ausgedehnte Waelder von sehr eigenem Aussehen. Wie so viele andere australische Baeume vermoegen sie dem Boden nur spaerlichen Schatten zu spenden. Die Bluethen dieser Gewaechse sind so klein und unansehnlich, dass nur das kundige Auge sie an den Zweigen zu erkennen vermag. Das Holz der Casuarineen zeichnet sich durch seine Haerte und seine Schwere aus und hat daher den Eingeborenen zur Anfertigung von Streitkolben gedient. Ein australischer Baum, der in den letzten Decennien ungemein rasche Verbreitung ueber die Riviera gefunden hat und den der Garten von La Mortola in nicht weniger als vierundzwanzig Arten besitzt, ist der Eucalyptus. Jeder, der Italien einmal besuchte, kennt die Eucalypten, wenn auch wohl nur die eine, ueberall vertretene Art derselben, den _Eucalyptus globulus_. Auch dieser australische Baum gibt im Verhaeltniss nur wenig Schatten; seine Blaetter sind zwar von ansehnlicher Groesse, sie haengen aber an langen Stielen von den Zweigen senkrecht herab und koennen daher selbst bei dichter Belaubung den Sonnenstrahlen nicht allen Durchgang verwehren. Da auch der leiseste Windhauch diese Blaetter in Bewegung setzt, so herrscht unter den Eucalyptusbaeumen ein eigenes zitterndes Zwielicht, das allerdings erst in Eucalyptus-Waeldern voll empfunden wird. Die Eucalypten gehoeren zu den Riesen der Pflanzenwelt, zu denjenigen Baeumen, welche ueberhaupt die bedeutendste Groesse erreichen. In Australien sind Staemme von _Eucalyptus amygdalina_ gemessen worden, deren Hoehe 156 Meter betrug und somit genau derjenigen der Thuerme des Koelner Doms entsprach, die Pyramide des Cheops aber um fuenf Meter, die Peterskirche in Rom sogar um mehr als zwanzig Meter ueberstieg. Die Eucalypten wachsen auch an der Riviera aeusserst rasch und ragen schon ueber ihre Umgebung weit empor, ungeachtet ihre Anpflanzung hauptsaechlich erst Ende der sechziger Jahre erfolgte. Im Garten von La Mortola erreichte ein _Eucalyptus globulus_ in sieben Jahren neunzehn Meter Hoehe und fast anderthalb Meter im Umfang. Kein in Europa sonst bekannter Baum vermag Aehnliches zu leisten. Trotz so raschen Wachsthums zeichnet sich das Eucalyptusholz durch grosse Haerte aus. An vielen Orten hat man Eucalypten angepflanzt, weil man der Ausduenstung derselben besondere heilsame Kraefte zuschrieb. Thatsaechlich kommt aber den aeusserst geringen Mengen von aetherischen Oelen, die sich um die Eucalypten verbreiten, kaum eine merklich desinficirende Wirkung zu. Dadurch hingegen, dass die Eucalypten rasch auf sumpfigem Boden wachsen und als immergruene Pflanzen Sommer und Winter Wasser aus ihren Blaettern verdunsten, tragen sie zu dessen Trockenlegung bei. Die Hoffnung, dass die Extracte aus Blaettern und Rinde der Eucalypten das Chinin ersetzen wuerden, war gleichfalls uebertrieben. Kommt auch diesen Extracten eine gewisse febrifuge Wirkung zu und sind dieselben auch seit undenklichen Zeiten von den Eingeborenen Australiens gegen Malaria verwandt worden, so stehen sie doch dem Chinin ganz bedeutend nach. Im April sieht man die aelteren Eucalyptusstaemme an der Riviera sich mit grossen weissen Bluethen bedecken, welche durch ihre aeusserst zahlreichen, feinen und langen Staubgefaesse auffallen. Der Kundige erkennt an diesen Bluethen, dass der Baum zu den myrtenartigen Gewaechsen gehoert. Eine Eigenthuemlichkeit der Eucalypten ist es, dass deren Bluethenknospen sich mit einem runden Deckel oeffnen, der als gruene, weissbereifte Muetze abgeworfen wird. Diese Deckel sieht man im Fruehjahr in grossen Mengen unter den Eucalyptusbaeumen liegen; sie verbreiten, wenn man sie zertritt, einen sehr durchdringenden Geruch. Neuerdings hat sich die Industrie auch dieser Gebilde bemaechtigt, und in Bordighera sah ich Kreuze und Rosenkraenze, die aus trockenen, aufgefaedelten Eucalyptusbluethen-Deckeln hergestellt waren. Ganz junge Eucalyptusbaeume, wie man sie auch bei uns, innerhalb der Gewaechshaeuser, sehen kann, zeigen zunaechst ein von den aelteren Baeumen durchaus verschiedenes Aussehen. Kaum glaubt man dieselben Pflanzen vor Augen zu haben. Die Blaetter sind breit, stumpf, stengelumfassend, wagerecht gestellt, und erst an aelteren Zweigen treten an deren Stelle die schmalen, zugespitzten, langgestielten Blaetter auf, die senkrecht abwaerts haengen. Damit veraendert sich auch ihr innerer Bau. Zuvor zeigten sie verschiedene Structur auf ihren beiden Seiten, jetzt sind beide Seiten gleich. Beide Blattflaechen werden ja an den haengenden Blaettern in gleicher Weise von Lichtstrahlen getroffen. Sie brauchen aber gleichen Bau, um gleiche Arbeit zu verrichten. Aehnliche Einrichtungen treten uns bei vielen anderen Gewaechsen Neuhollands entgegen und bestimmen geradezu den Charakter der dortigen Vegetation. Der in Italien hauptsaechlich cultivirte _Eucalyptus globulus_ ist nicht der widerstandfaehigste Vertreter seiner Gattung, wie er denn auch im strengen Winter 1890-91 an exponirten Stellen der Riviera gelitten hatte. Manche Arten trotzen besser der Kaelte, und der _Eucalyptus Gunnii_ gedeiht selbst in Whittingham bei Edinburgh. Der hohen Schutzmauer der Seealpen, welche die kalten Nordwinde abhaelt, verdankt die Riviera di Ponente ihr mildes Klima. Diese Schutzmauer bedingt es auch, dass dort die Cultur der Agrumi erfolgreich betrieben werden kann. An zahlreichen Stellen der Kueste, zwischen Nizza und Savona, gedeihen die Agrumi ebenso gut wie bei Neapel, waehrend der Reisende das Innere von Ober- und Mittelitalien durchwandern kann, ohne sie zu erblicken. Unter der Bezeichnung "Agrumi" werden die Vertreter der Gattung _Citrus_ zusammengefasst. Das Verzeichniss von La Mortola weist ueber zwanzig Arten oder Formen dieser Gattung auf. Man findet dort fast alle in Italien cultivirten Agrumi in engem Raum beisammen. Diese Pflanzen scheinen so fest mit dem italienischen Boden verwachsen zu sein, dass italienische Bilder stets der Phantasie des Nordlaenders vom Bluethenduft der Citrone durchweht und vom Glanze der Goldorange durchleuchtet erscheinen. Am meisten hat diese Vorstellung wohl das Mignonlied verbreitet, jenes Lied, das der Sehnsucht des Nordlaenders nach suedlicheren Gestaden so unendlichen Ausdruck verlieh. So sehr die Agrumi aber auch in die italienische Landschaft zu gehoeren scheinen, so sind sie doch erst verhaeltnissmaessig spaet in dieselbe gelangt und nur auf ganz bestimmte Theile von Italien beschraenkt geblieben. Ihre Heimath liegt im fernen Asien, in Ostindien und Suedchina; ueber den Orient schlugen sie aber zunaechst ihren Weg nach Europa ein. Wie aus dem alten "Traite du Citrus" von Gallesio, dem Werke Victor Hehn's ueber "Culturpflanzen und Hausthiere", Alphonse de Candolle's "Ursprung der Culturpflanzen", endlich Flueckiger's "Pharmacognosie" - von aelteren Quellenwerken abgesehen - zu erfahren ist, war dasjenige, was im Alterthum zunaechst "Citrum" hiess, das Holz von _Callitris quadrivalvis_. Auch diese nordafrikanische Conifere ist in dem Hanbury'schen Garten in vortrefflicher Entwickelung zu sehen. Ihr Holz liefert das Sandarac, ein Harz, das in erstarrten, weissen Thraenen die Stammrinde deckt und aus der Wunde heraustropft, wenn ein Zweig abgeschnitten wird. Das schoen gemaserte, wohlriechende Holz dieses Baumes stand bei den Roemern in hohem Ansehen und diente im Besonderen zur Anfertigung von Kisten, welche wollene Kleider vor Motten schuetzen sollten. Als dann die Citrone den Roemern bekannt wurde, und es sich zeigte, dass sie in aehnlich wirksamer Weise die Motten abhaelt, wurde der Name Citrum auf dieselbe uebertragen. Von dem Gewaechse, welches diese "_mala citria_" erzeugt, drang die erste Kunde nach Griechenland waehrend der Kriegszuege Alexanders des Grossen. Letztere waren es, welche den Orient und die Tropen der griechischen Cultur erschlossen. Sie brachten den classischen Laendern eine solche Fuelle neuer Naturanschauungen, wie dies zum zweiten Mal in gleichem Masse nur durch die Entdeckung des tropischen Amerika wieder geschah. Ueber den Citronenbaum wurde berichtet, dass er ein wunderbares Gewaechs der persischen und medischen Lande sei, und voll goldener Fruechte haenge. Diese sollten nicht nur gegen Motten schuetzen, sondern auch als Gegengifte aeusserst wirksam sein. Ja, es bildete sich, wie man in einem Werke des Athenaeos, eines Gelehrten, der zu Naukratis in Aegypten geboren wurde und um 228 n. Chr. starb, lesen kann, der Aberglaube, dass, wer von diesen Fruechten gekostet habe, den Biss giftiger Schlangen nicht zu fuerchten brauche. Jenes durch seine Citate sehr werthvolle und merkwuerdige Werk des Athenaeos schildert ein fingirtes Gastmahl, welches von einem roemischen Schlemmer und Schoengeist, Kuenstlern, Dichtern und Gelehrten geboten wird, und bei welchem an die dargereichten Speisen und Getraenke sich entsprechende Unterhaltungen knuepfen. Da erzaehlt ein gewisser Demokritos, sein Freund, der Statthalter von Aegypten, habe ihm mitgetheilt, dass zwei Verbrecher, die zum Tode durch giftige Schlangen verurtheilt waren, dem Biss derselben nicht erlagen, weil sie von einer Citrone zuvor assen. Der Statthalter habe den Versuch absichtlich mit denselben Verbrechern zum zweiten Male wiederholt, aber nur dem einen von beiden eine Citrone dargereicht. Die Folge sei gewesen, dass dieser eine nur den Bissen der giftigen Nattern zu widerstehen vermochte, waehrend der andere bald nach der Verwundung starb. Als bestes Schutzmittel gegen Gift empfiehlt der Erzaehler eine in Honig zerkochte Citrone. Man muesse von diesem Gegengift frueh am Morgen eine kleine Menge zu sich nehmen und sei dann den ganzen Tag ueber vor Vergiftung sicher. Dem Aberglauben, der solche Vorstellungen naehrte, liegt wie auch sonst in aehnlichen Faellen, ein Fuenkchen Wahrheit zu Grunde. Thatsaechlich ist die Citrone durch sehr starke faeulnisswidrige Eigenschaften ausgezeichnet, Eigenschaften, die sie auch heute noch als Antisepticum sehr schaetzbar machen. Schon im Alterthum hatte man richtig erkannt, dass der Saft der Citrone den Athem verbessere. Ein Vergnuegen konnte es damals nicht sein, Citronen zu geniessen, denn es waren thatsaechlich nicht unsere jetzigen "Citronen", vielmehr Cedraten oder Citronat-Citronen, die uns nur eingemacht schmecken. Diese Cedraten heissen auch heute noch "Cedro" bei den Italienern. Saftiges Fruchtfleisch ist ihnen nicht eigen; sie bestehen fast ausschliesslich nur aus Schale, und diese ist es, die, in Zucker eingekocht, die Citronate liefert. Die Cedraten erreichen meist bedeutendere Groesse als die Citronen, sind letzteren im Uebrigen aehnlich. Ihre Form variirt aber bedeutend, und da viele Abaenderungen durch Veredelung fixirt worden sind, so bekommt man neben stark in die Laenge gezogenen auch fast runde Cedraten zu sehen. Das gab sogar Veranlassung zur Aufstellung verschiedener Arten innerhalb dieses Formenkreises, wie es denn ueberhaupt schwer faellt, zu unterscheiden, was Art und was nur Abart in der Gattung Citrus ist. Eine rundliche durch stark hoeckerige Schale und feinen Wohlgeruch ausgezeichnete Frucht, die auch zu den Cedraten gehoert, wird als Adamsapfel oder Paradiesapfel unterschieden. Sie galt als die Frucht vom Baume der Erkenntniss und findet als solche beim Laubhuettenfest der Juden heute noch Verwendung. Die gesuchtesten Fruechte zu diesem Fest werden aus Corsica, Corfu, Marocco und Palaestina eingefuehrt und koennen bei vorgeschriebener Form sehr hohen Geldwerth erreichen. Der Cedratenbaum kam bei den Roemern sehr in Mode, und man sah ihn, in Kuebeln gepflanzt, die Saeulenhallen der Villen und die Gaerten schmuecken. Vom dritten Jahrhundert an wird er auch, als im freien Lande gedeihend, beschrieben. Heut noch wird er in Italien viel gezogen und zeichnet sich vor allen anderen Agrumi dadurch aus, dass er das ganze Jahr hindurch Bluethen und Fruechte traegt. Der Baum, der die Frucht zeitigt, welche wir als Citrone bezeichnen, die aber richtiger auch bei uns Limone heissen muesste, kam durch Vermittlung der Araber erst im zehnten Jahrhundert nach Sued-Europa, zunaechst nach Spanien, dann wohl auch nach Sicilien. Er fehlte hingegen noch an der ligurischen Kueste, wohin ihn erst gegen Ende des elften Jahrhunderts die Kreuzfahrer aus Syrien und aus Palaestina brachten. Mit den Limonenbaeumen zugleich gelangten die Pampelmusen und die bitterfruechtigen Pomeranzenbaeume an die Riviera, und Ligurien blieb ueberhaupt lange Zeit das Land, in welchem die Cultur der Agrumi am meisten betrieben wurde. Einen bedeutenderen Aufschwung gewann die Cultur freilich auch dort erst im vierzehnten Jahrhundert, als die Ansprueche an die Genuesse des Lebens sich zu steigern begannen. Sie verbreitete sich in Italien zugleich mit der Limonade, deren Zubereitung man von den Orientalen lernte. Unter dem Cardinal Mazarin war es, dass auch in Paris die ersten "Limonadiers" auftraten, um bald eine aehnliche Rolle wie heut die "Cafetiers" zu spielen. Die Limone, durch die naemlichen, faeulnisswidrigen Eigenschaften wie die Cedrate ausgezeichnet, lieferte in der That nicht nur ein erfrischendes, sondern zugleich auch ein antiseptisches Getraenk. In den der zweiten Haelfte des sechzehnten Jahrhunderts angehoerenden Kraeuterbuechern des Tabernaemontanus, "der Arzney Doctoris und Chur-Fuerstlicher Pfaltz Medici zu Neuwhausen", heisst es, dass der Citronensaft "nicht allein wider die innerliche Faeulung und das Gifft sehr gut und kraeftig" sei, sondern auch "gegen alle Traurigkeit und Schwermuethigkeit des Hertzens und die Melancholey". Die Rinde widerstehe dem Gift: "Dann zur Zeit der Pest soll man sie im Mund halten, auch ein Rauch damit machen." - Der Citronensaft gilt auch heute noch als eines der wirksamsten Mittel gegen den Scorbut, die bekannte Mund- oder Zahnfleischfaeule, der die Seefahrer besonders unterworfen sind. Daher jetzt die englische Marine, und nach ihrem Beispiel auch andere, Citronensaft in wohlverschlossenen Flaschen auf ihren Schiffen fuehren. Ich bemuehte mich festzustellen, woher der jetzt noch ziemlich verbreitete, frueher fast allgemeine Brauch stammt, dass die Leichentraeger bei Begraebnissen eine Citrone in der Hand halten. Urspruenglich ist er durch die faeulnisswidrigen Eigenschaften und den starken Geruch der Citrone veranlasst worden, dann hat er symbolische Bedeutung gewonnen. Die Symbolik hat sich in mannigfaltiger Weise der Citrone bemaechtigt. So heisst es in J. B. Friedrich's Werke: "Die Symbolik der Mythologie der Natur": "Das Aromatische, Erquickende und Belebende der Citrone hat sie zum Symbole des Lebens und des Schutzes gegen das Lebensfeindliche gemacht. Daher schuetzt nach altem Glauben die Citrone gegen Bezauberung, daher traegt das indische Weib, welches sich nach dem Tode seines Gatten verbrennen laesst, auf seinem Gange zum Scheiterhaufen eine Citrone in der Hand als Sinnbild ihres zukuenftigen Zusammenlebens mit dem Gatten; daher die noch uebliche Sitte, dass bei einem Leichenbegaengnisse die Leidtragenden die das neue Leben des Abgeschiedenen symbolisirende Citrone in der Hand tragen; daher endlich die Sitte des zum ersten Mal zur Communion gehenden Kindes, eine Citrone zu tragen, weil es durch die Communion ein neues Leben durch seinen erneuerten Bund mit Gott eingeht." Der Pampelmusbaum (_Citrus decumana_) faellt durch die Groesse auf, die seine Fruechte erreichen. Dieselben haben suess-saeuerlichen Geschmack und werden mit Wein und Zucker gegessen. Einzelne Fruechte koennen unter Umstaenden bis sechs Kilo Gewicht erlangen. Der bittere Pomeranzenbaum ist durch besonders aromatische Blaetter und Bluethen ausgezeichnet. Die Fruechte zeichnen sich durch ihre goldige Faerbung aus. Sie werden frisch nicht genossen, wohl aber gelten die in Zucker eingemachten Schalen derselben als besonders wohlschmeckend. Auch dienen die Blaetter, Bluethen und die unreifen Fruechte zur Gewinnung aetherischer Oele und spielen letztere ausserdem eine wichtige Rolle bei der Liqueurfabrikation. Da der Stamm der bitterfruechtigen Pomeranze sich als besonders widerstandsfaehig erwiesen hat, so verwendet man ihn auch haeufig als Unterlage, auf welcher andere Citrus-Arten veredelt werden. Der suessfruechtige Pomeranzenbaum gelangte wesentlich spaeter nach Europa als die bisher genannten Agrumi. Man nahm ziemlich allgemein bis vor Kurzem an, die Portugiesen haetten ihn erst gegen Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, und zwar angeblich im Jahre 1548, aus dem suedlichen China mitgebracht; ja man zeigte im Garten des Grafen von St. Lorenzo zu Lissabon einen Orangenbaum, der der eingefuehrte Urbaum sein sollte. Aus den Schriften von Galesio, Targioni und Goeze scheint aber hervorzugehen, dass die suesse Pomeranze schon wesentlich frueher die Gaerten Spaniens und Italiens schmueckte; sie muss bereits im Laufe des vierzehnten Jahrhunderts nach Europa gelangt sein. Galesio sucht es wahrscheinlich zu machen, dass die Cultur der suessen Orange auch an der Riviera bis ins fuenfzehnte Jahrhundert zurueckreicht, doch ist seine Beweisfuehrung nicht ueberzeugend. So berichtet Galesio ueber ein aus den Acten der Stadt Savona vom Jahre 1471 sich ergebendes Geschenk von eingemachten Citronen und Limonen und frischen Citruli, welches die Stadt Savona ihrem Gesandten in Mailand machte. Da nun die als "Citruli" bezeichneten Fruechte frisch gesandt wurden, haelt sie Galesio fuer *suesse* Orangen, da der Gesandte in Mailand wohl keine *bitteren* haette essen moegen. In dem Archiv eines Notars in Savona ist andererseits ein Verkaufsact vom Jahre 1472 ueber eine Schiffsladung von 15 000 Citranguli oder Cetroni aufgefunden worden, und Galesio fraegt sich, was man wohl mit 15 000 bitteren Pomeranzen angefangen haette. Auf diese Frage kann man ihm die Antwort schuldig bleiben, ohne dass dadurch der Nachweis, dass es sich wirklich um suesse Orangen gehandelt habe, beigebracht sei. Ja eine solche Annahme muesste um so gewagter erscheinen, als thatsaechlich schon Matthaeus Silvaticus in Salerno, der Verfasser des 1317 beendigten _Opus pandectarum medicinae_ die *bittere* Pomeranze als _Citrangulum_ bezeichnet und diese Bezeichnung auch von den Uebersetzern arabischer Werke von ihm benutzt wurde, um den arabischen Namen _narindj_ wiederzugeben. Andererseits zeigt die heute noch in Italien uebliche Anpreisung der suessen Pomeranze als "Portogallo" deutlich den Ursprung der jetzt dort cultivirten Fruechte an. Moegen es somit auch nicht die Portugiesen gewesen sein, welche die suesse Pomeranze in Europa einfuehrten, so haben wir denselben doch die bessere, jetzt beliebte Sorte dieser Frucht zu danken. Die chinesische Heimath der suessen Pomeranze dagegen kommt in dem deutschen Namen "Apfelsine", urspruenglich "Sinaapfel" oder "chinesischer Apfel", zur Geltung. Der deutsche Name wurde von den Russen, den Grenznachbarn der Chinesen adoptirt; bezeichnend genug, meint Victor Hehn, fuer die Umwaelzung im Weltverkehr, der seit Vasco de Gama nicht mehr quer durch das Gebiet von Asien, von Ost nach West, vielmehr aus dem Ocean in umgekehrter Richtung sich vollzog. Der Name "Orange" stammt aus dem Sanskrit und ist auf _nagarunga_ oder _nagrunga_ zurueckzufuehren. Die Araber hatten daraus _Narunj_ gebildet, die Italiener _Naranzi_, _Aranci_, die Franzosen schliesslich Orange. Die mittelalterliche Bezeichnung "_poma aurantia_" Goldaepfel, ist somit nur dem Klange nach dem Worte "Orange" aehnlich. Aus "poma aurantia" ging dann aber das deutsche "Pomeranze" und das polnische "_Pomara['n]cza_" hervor. Dass unter den goldenen Aepfeln der Hesperiden, die Herakles, der Sage nach, aus dem fernen Westen holte, nicht Orangen gemeint sein konnten, geht aus der Geschichte jener Fruechte genugsam hervor. Die goldenen Aepfel der Hesperiden waren vielmehr idealisirte Quitten. Der Aphrodite geweiht, dienten sie dauernd in Hellas als Preise bei Liebesspielen und prangten unter den braeutlichen Gaben. Wie schoen ein Apfelsinenbaum bei voller Kraftentfaltung werden kann, wenn ihn Tausende von goldenen Fruechten schmuecken, das laesst sich freilich kaum an der Riviera, ja nicht einmal in Sorrent ermessen. Voellig ausgewachsene, ueppig entfaltete Orangenbaeume von der Groesse unserer Apfelbaeume, sah ich erst am Fusse des Aetna. Theobald Fischer gibt in seinen "Beitraegen zur physischen Geographie der Mittelmeerlaender" an, dass ein ausgewachsener, gut gehaltener Apfelsinenbaum in Sicilien sechs- bis siebenhundert, ein Limonenbaum sogar tausend bis elfhundert Fruechte liefert. Im Durchschnitt koenne man auf den Hektar Agrumen bei Palermo 3000 Lire Rohgewinn rechnen, und was das sagen will, geht daraus hervor, dass die eintraeglichsten Gaerten bei Paris es nur zu einem Rohgewinn von 2500 bis 2700 Francs auf den Hektar bringen. Es gibt eine Unzahl von Apfelsinensorten, von denen zu uns aber nur einige wenige gelangen, darunter die jetzt immer beliebter werdende blutfarbige, die "Orange von Jericho". Auch die als besondere Art der Gattung Citrus geltenden Mandarinen (_Citrus nobilis_) sind Gegenstand bedeutenden Exportes aus Italien geworden. Der Mandarinenbaum gedeiht an der Riviera sogar besser, als der Apfelsinenbaum. Er ist in allen Theilen kleiner, und an seinem buschig-runden Wuchs unschwer zu erkennen. In China und Cochinchina steht er seit undenklichen Zeiten schon in Cultur, in Europa hingegen tauchte er erst im Jahre 1828 auf. In dem Garten von La Mortola ist auch die _Citrus bergamia_ zu finden, aus deren Fruchtschalen das aeusserst wohlriechende Bergamottoel gewonnen wird; desgleichen steht dort die _Citrus myrtifolia_, deren sehr kleine Fruechte, in Zucker eingesotten, die beliebten "Chinois" liefern. Es fehlt auch nicht die suesse Limone oder Limette, die nur eine Abart der sauren Limone ist und wie die suesse Orange gegessen wird. Eigenartig sieht die _Citrus trifoliata_ aus, ein aus Japan stammender Strauch, der dreitheilige Blaetter traegt und mit grossen scharfen Dornen bewaffnet ist. An seinen Bluethen und Fruechten kann man ihn als Citrus-Art erkennen, sonst macht er wirklich nicht diesen Eindruck. Er vertraegt die Kaelte so gut, dass man ihn selbst in Paris im Freien sieht. Besonders faellt in dem La Mortola-Garten eine monstroese Orangenform auf, die der Katalog als "_Citrus Aurantium var. Buddhafingered_" bezeichnet. Die Missbildung beruht darauf, dass die einzelnen Fruchtfaecher, aus welchen die Orange aufgebaut ist, statt zu einer runden Frucht vereinigt zu bleiben, an ihren Enden frei hervorwachsen. Dadurch bekommt diese Frucht eine Anzahl von Fortsaetzen und erinnert entfernt an eine Hand mit vorgestreckten Fingern. Diese Aehnlichkeit hat in Indien den Vergleich mit "Buddha's Hand" veranlasst und aberglaeubische Vorstellungen erweckt. Ganz aehnliche Missbildungen kommen auch, in mannigfacher Verschiedenheit, bei den Citronen und Limonen vor und werden durch Veredlung festgehalten. Weitaus der merkwuerdigste Baum in der Reihe der Agrumi ist die Bizzarria, welche der La Mortola-Garten ebenfalls besitzt. Schoener entwickelt sah ich diese Pflanze im botanischen Garten zu Neapel. Die Bizzarria traegt zugleich Orangen, Citronen und Limonen. Sie weist auch Fruechte auf, welche die Mitte zwischen jenen Fruchtformen halten, endlich auch Fruechte, an welchen einzelne Faecher das Aussehen von Orangen, andere dasjenige von Limonen oder Citronen besitzen. Es sind Bizzarrien beschrieben worden, deren Fruechte die Bestandtheile von fuenf verschiedenen Fruchtformen der Agrumi in sich vereinigten. Die Entstehung der Bizzarrien ist bis jetzt nicht endgueltig aufgeklaert worden. Die Einen halten sie fuer Bastarde, waehrend Andere meinen, sie seien bei der Veredelung durch zufaellige Vermischung der Eigenschaften der Unterlage und des Edelreises entstanden. Letzteres waere sehr merkwuerdig, da die Erfahrung, die wir taeglich bei der Veredelung unserer Obstbaeume, der Rosen und anderer Gewaechse machen, sonst lehrt, dass die Unterlage ohne allen Einfluss auf das Edelreis bleibt, dass beide ihre Eigenschaften unvermischt behalten. - Die Bizzarrien sind seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts bekannt. Sie mussten ja von Alters her durch ihr merkwuerdiges Verhalten die Aufmerksamkeit auf sich richten. Zum ersten Mal wird ueber die Bizzarria im Jahre 1644 berichtet und angegeben, dass sie im Garten Panciatichi in Florenz wachse. Im Jahre 1711 beschaeftigte sich die franzoesische Academie der Wissenschaften mit derselben und kam zu dem eigenthuemlichen Schluss, sie sei eine urspruengliche Pflanzenart eben so gut wie die Orange oder die Citrone. In unserem nordischen Garten wird uebrigens auch ein kleiner Baum cultivirt, der sich aehnlich wie die Bizzarria verhaelt. Es ist ein Goldregen, der dem Gaertner zu Ehren, der ihn in den Handel einfuehrte, _Cytisus Adami_ genannt wird. Sein Ursprung ist ebenso wenig wie derjenige der Bizzarrien aufgeklaert. Dieser aeusserst zierliche und interessante Baum, der sich leicht cultiviren laesst und bei keinem Gartenliebhaber fehlen sollte, traegt zur Bluethezeit der Hauptsache nach Bluethentrauben, die ganz so wie diejenigen des gewoehnlichen Goldregens (_Cytisus Laburnum_) gebaut, aber nicht gelb, sondern mattroth sind. An einzelnen Zweigen sind aber auch reingelbe Bluethentrauben, die sich dann von denjenigen des gewoehnlichen Goldregens gar nicht mehr unterscheiden, zu sehen. Ausserdem traegt der Baum an besonders gestalteten kleinblaetterigen Zweigen purpurne Einzelbluethen, welche, so wie die Zweige selbst, einer anderen Cytisus-Art, dem _Cytisus purpureus_ gleichen. Endlich kommen gemischte Bluethentrauben mit gelben und rothen Bluethen und mit Bluethen, die zum Theil gelb, zum Theil roth sind, vor. Nur die gelben Bluethen, die denjenigen des _Cytisus Laburnum_, und die purpurnen Bluethen, die denjenigen des _Cytisus purpureus_ gleichen, setzen Fruechte an, die anderen verhalten sich wie haeufig sonst die Bluethen der Bastardpflanzen, sie sind unfruchtbar. Es ist moeglich, dass es sich bei _Cytisus Adami_ um einen eigenartigen Bastard zwischen _Cytisus Laburnum_ und _Cytisus purpureus_ handelt; der Gaertner Adam zu Vitry bei Paris gab seinerseits an, ihn durch Veredelung von _Cytisus purpureus_ auf _Cytisus Laburnum_ erhalten zu haben. In den Gaerten von der Mortola wird Jeder gern auch den Namen und die Heimath von zwei Pflanzen erfahren wollen, die ihm in den Gaerten der Riviera sicher zuvor schon aufgefallen sind: naemlich der _Wigandia Caracasana_ und des _Echium frutescens_ Die erstere ist eine stattliche, aus Venezuela stammende Blattpflanze, die bis zwei Meter Hoehe erreicht. Ihre sehr grossen Blaetter sind elliptisch, am Rande doppelt gezaehnt, beiderseits behaart, an der Oberseite etwas rostfarbig. Die grossen violetten, mit gelben Staubfaeden versehenen Bluethen bilden aehrenfoermige Bluethenstaende. Wie bei anderen Vertretern derselben Familie, der Hydrophyllaceen und der nah verwandten Familie der Boragineen oder der Boretsch-Gewaechse, sind die Bluethenstaende von Wigandia in ihrem oberen Theile schneckenfoermig eingerollt. Der eingerollte Theil ist noch unfertig und rollt sich in dem Masse auf als seine Bluethenknospen reifen. Solche Einrichtungen gewaehren den Vortheil einer sehr langen Bluethezeit. Da kann die bluehende Pflanze schlechte Witterung, oder sonst wie unguenstige Zeiten ueberdauern, ohne dass ihre Samenbildung ganz verhindert werde. Wie diese verhaeltnissmaessig grosse Wigandia, so gehoerte zu derselben Familie der Hydrophyllaceen das in unseren Gaerten haeufig cultivirte bescheidene Hainschoenchen, die _Nemophila insignis_; zu den nah verwandten Boragineen rechnen wir von unseren Gartengewaechsen unter anderen das als Kuechengewaechs wohlbekannte Gurkenkraut (_Borago_), von wildwachsenden Pflanzen unserer Flora den nicht minder verbreiteten Natterkopf (_Echium vulgare_). Das in den Gaerten der Riviera so auffaellige, oft bis zwei Meter hohe, mexikanische Echium frutescens, ist eigentlich nur eine Riesenausgabe dieses letzteren. Wer unseren Natterkopf kennt, wird auch jenes Riesen-Echium erkennen und unter den anderen Gewaechsen des Gartens sicher herausfinden. Es traegt dieselbe blaue, kolbenfoermige Bluethenaehre wie unser Echium, nur faellt dieselbe eben durch ihre Groesse auf. Doch wir wenden uns nun einem Baume zu, dessen Zweige einst wie jetzt den Sieger schmueckten, dessen Blaettern freilich auch die bescheidene Aufgabe zufaellt, unsere Speisen zu wuerzen. Der edle Lorbeer, der mit italischen Bildern ebenso wie die Agrumi verwebt erscheint, ist in Suedeuropa sicher heimisch gewesen, sein Cultus pflanzte sich hingegen allem Anschein nach von Kleinasien ueber das Mittelmeer fort. Er wurde dem Apoll geweiht und in dem Masse, wie die Zahl apollinischer Heiligthuemer in Griechenland zunahm, breiteten sich auch die aromatisch duftenden, immergruenen Lorbeerhaine immer mehr ueber dieses Land aus. Mit den griechischen Gottheiten gelangte der Lorbeerbaum auf italischen Boden, und es begleitete ihn dort zugleich als Cultus-Gewaechs die der Aphrodite geweihte Myrte. Allgemein war im Alterthum der Aberglaube, dass der Lorbeer gegen Daemonen, gegen Zauber und auch gegen Ansteckung schuetze. So suchte, wie berichtet wird, der furchtsame Commodus im Lorbeerhaine Rettung, wenn die Pest im Anzug war. Kronen von Lorbeer legte man Wahnsinnigen um Schlaefe und Hals, um sie zu heilen. Lorbeerfruechte oder -Blaetter genossen die Priester des Apollo, wenn sie weissagen sollten; Lorbeer trugen Propheten, wenn sie eine Stadt betraten. Der Lorbeer suehnte das vergossene Blut. Daher die roemischen Legionen sich, ihre Feldzeichen und Waffen mit Lorbeer reinigten, gleich nach dem Siege. Das hatte den Lorbeer folgerecht auch zur Trophaee des Sieges und zum Zeichen der gluecklich vollbrachten Waffenthat gemacht. Als eine Freude und als ein Glueck verheissendes Augurium wurde verkuendet, es sei am Tage, an welchem Augustus das Licht der Welt erblickte, ein Lorbeer vor dem Palatin entsprossen. Die reinigende Kraft des Lorbeers veranlasste dessen Verwendung zu Aspergillen. Der Strengglaeubige besprengte sich beim Eintritt wie beim Ausgang aus dem Tempel mit dem Lorbeerzweig, den er in das Weihwasser tauchte, und gern auch nahm er beim Herausgehen ein Lorbeerblatt vom Sprengwedel in den Mund. Die roemisch-katholische Kirche hielt sich nicht an den Lorbeer als Sprengwedel, uebernahm vielmehr den Ysop (_Origanum Smyrnaeum_) zu gleichem Zwecke von den Juden. Der Lorbeer brennt, nach Plinius, nur unwillig und zeigt dies durch sein Knistern an. Der feuerabwehrenden Kraft des Lorbeers wurde es zugeschrieben, dass bei dem grossen Brande Roms unter den Consuln Spurius Postumius und Piso, als die Regia in Flammen stand, das Sacrarium unversehrt blieb, da ein Lorbeer vor demselben stand. Andererseits war es gerade das Lorbeerholz, das im Alterthum zur Erzeugung des Feuers diente; doch fing es nicht selbst Feuer, es bildete vielmehr, wie uns Theophrast und Plinius berichten, das Reibholz, waehrend die Unterlage, die durch Reibung entzuendet wurde, meist aus Wegedorn (_Rhamnus_) oder aus Epheuholz bestand. Ein reines Feuer zu den Sacra durfte nur der Reibung zweier glueckbringender Hoelzer entstammen, oder den Sonnenstrahlen, die man mit Huelfe von Brennglaesern oder von metallischen Hohlspiegeln sammelte. Der Lorbeer sollte auch die Blitze abwehren. Daher auch der aberglaeubische Tiberius, wie Suetonius berichtet, sich mit Lorbeer bekraenzte, wenn ein Gewitter nahte. Gewisse Erfahrungen moegen die Vorstellung erweckt haben, dass dem Lorbeer bei Gewittern besondere Kraefte innewohnen. Denn es werden nicht alle Baeume gleich haeufig vom Blitze getroffen. Auch bei uns schlaegt der Blitz fast niemals in Wallnussbaeume ein, am haeufigsten aber in Eichen. Es haengt das mit der elektrischen Leitungsfaehigkeit des Holzkoerpers zusammen, die bei den einzelnen Baumarten eine verschiedene ist. Aus den angestellten Versuchen und dem statistischen Material scheint sich zu ergeben, dass Baeume, die zur Jahreszeit der Gewitter verhaeltnissmaessig viel fettes Oel in ihrem Holzkoerper fuehren, dem Blitzschlag am wenigsten ausgesetzt sind. Abgestorbene Aeste an einem Baume erhoehen fuer denselben die Blitzgefahr. Dass die Eichen am haeufigsten vom Blitze getroffen werden, musste von jeher auffallen, daher die Eiche auch dem Donnergott geheiligt war. Von dem Lorbeer ist die gegentheilige Erfahrung weniger sicher, zum Mindesten ist sie in Zweifel gezogen worden. Zu den Lorbeerarten gehoert auch der Campherbaum (_Laurus Camphora_), der im westlichen China und in Japan zu Hause ist und im La Mortola-Garten sehr gut gedeiht. Voellig ausgewachsen, kann er bis fuenfzig Meter hoch und sechs Meter dick werden. Seine Blaetter verbreiten beim Zerreiben einen merklichen Camphergeruch. Der Campher wird aber im Grossen nicht aus den Blaettern, sondern aus dem Holzkoerper dieses Baumes durch Sublimation gewonnen. Die zu den Laurineen gehoerenden Zimmetbaeume sind in La Mortola ebenfalls zu sehen, freilich nicht die wichtigste Art derselben, das in Ceylon heimische _Cinnamomum ceylanicum_, sondern zwei chinesische und japanische Arten. Der Zimmet des Handels besteht aus der Rinde junger Schoesslinge, welche nach starken Regenguessen geschnitten und geschaelt werden. Im schroffen Gegensatze zu diesen duftenden Pflanzen steht eine andere Laurinee, ein hier praechtig gedeihender, immergruener Baum, dessen Name: _Orcodaphne californica_, zugleich die Heimath angibt. Haeufig wird er in den Gaerten als _Laurus regalis_ bezeichnet. Er gleicht in der That in seinem Aussehen einem Lorbeer, zerreibt man aber eines seiner Blaetter zwischen den Fingern, so stroemt ein aetherisches Oel aus, dessen geringste Mengen schon in hohem Grade die Schleimhaut der Geruchsorgane angreifen. In Californien verweilt man nicht gern in der Naehe eines solchen Baumes, wenn der Wind von dessen Seite weht, denn die fluechtigen Oele, mit denen er sich beladen. hat, reizen zum fortdauernden Niesen. Man wird sich in La Mortola auch mit einer anderen Laurinee, der _Persea gratissima_, bekannt machen koennen, welche in den Gaerten der Tropen viel cultivirt wird und die Aguacatebirnen liefert. Die Krone dieses schoenen Baumes breitet sich domartig aus, seine Blaetter gleichen denjenigen des Lorbeers. Die birnfoermigen, doch oft auch sehr unregelmaessig gestalteten Fruechte sind grosse Steinfruechte, mit einem Kern im Innern. Ihr Fleisch schmilzt wie Butter auf der Zunge und erinnert im Duft an die feinsten Moschusmelonen. Die Mexikaner essen die Aguacaten vornehmlich als Salat und suchen sich in der schmackhaften Zubereitung derselben zu ueberbieten. Auch noch einige andere tropische Fruechte reifen gut im La Mortola-Garten, so die Guavas oder Guayaben, welche man von zwei Psidiumarten dort erntet. Die Gattung Psidium gehoert zu den Myrten-Gewaechsen und wird in allen Tropenlaendern cultivirt. Die Guavas vertreten dort in gewissem Sinne unsere Stachelbeeren, denn sie sind eben so fruchtbar, beginnen rasch Fruechte zu tragen und lassen sich leicht vermehren. Sie wachsen zu Straeuchern oder kleinen Baeumen mit immergruenen Blaettern empor und tragen Fruechte, die in ihrer Groesse zwischen der Wallnuss und dem Huehnerei schwanken. Diese Fruechte werden ohne Zuthat oder mit Wein und Zucker gegessen. Manche erinnern an Erdbeeren, andere besitzen einen suesssaeuerlichen Geschmack, andere noch einen so durchdringenden Duft, dass sie nicht Allen munden. Sehr geschaetzt werden auch die Guavas-Gelees in den Tropen, und man beginnt dieselben auch nach Europa einzufuehren. Eine andere in La Mortola cultivirte Myrtacee, die _Jambosa vulgaris_, liefert "Rosenaepfel", welche den Geschmack reifer Aprikosen haben und nach Rosenwasser duften. Der Baum selbst ist reich verzweigt und traegt immergruene Blaetter, die in ihrer Gestalt den Pfirsichblaettern gleichen. Wichtig sind, mehr noch ihres Holzes als ihrer Fruechte wegen, die zu den Ebenholzbaeumen gehoerenden Diospyros-Arten. Der japanisch-chinesische _Diospyros Kaki_, den man in La Mortola zieht, liefert die Kakis. Ein kleiner Baum mit eirunden Blaettern, gelblichweissen Bluethen und runden, etwa pfirsichgrossen, roethlichgelben Fruechten. Diese Fruechte muessen ueberreif werden, um feinen Geschmack zu gewinnen, dann halten sie die Mitte zwischen Pflaumen und Aprikosen. An der Riviera reifen die Kakis im October. In Japan benutzt man auch das Holz dieser Baeume, das dem Holz unserer Wallnussbaeume aehnelt. Doch weit uebertroffen wird das Kakiholz von dem Holz der suedindischen und ceylonischen _Diospyros Ebenum_ und anderen ihm nahe verwandten Arten, welche das Ebenholz liefern. Das schwarze Kernholz dieser Baeume war schon im Alterthum bekannt. Es galt als das geschaetzteste Holz jener Zeiten. Nicht nur Theophrast, sondern auch das alte Testament sind seines Lobes voll. Seine Dichte und seine dunkle Faerbung verleihen ihm so hohen Werth; durch seine Schwere ist es leicht von anderen schwarz gebeizten Hoelzern zu unterscheiden. Die zu den Anacardiaceen gehoerige ostindische _Mangifera indica_, den Mango-Baum, der die koestlichste Frucht der Tropen liefert, gelang es bis jetzt nicht in La Mortola zu erhalten. Wohl aber wird man zahlreiche andere Anacardiaceen sehen. Zu diesen gehoert auch der mit hellgruenen gefiederten Blaettern und mit rothen Fruchttrauben versehene Baum, dem man so oft in den Gaerten und an den Strassen der Riviera begegnet und der _Schinus Molle_ heisst. Dieser Baum wird als Pfefferbaum bezeichnet. Mit dem echten Pfeffer haben seine pfefferkorngrossen Beeren aber nichts gemein. Der echte Pfeffer stammt vielmehr von schlanken ostindischen Lianen (_Piper nigrum_), die nach Art des Epheus klettern und mit Luftwurzeln an der Unterlage haften. Die Fruchttrauben von _Schinus Molle_ sind aber denjenigen des Pfeffers wirklich aehnlich und naehern sich dem Pfeffer auch im Geschmack. Ein Getraenk, das in Peru und Brasilien aus diesen Beeren dargestellt wird, soll an Wein erinnern. Es liegt fuer uns nahe, auch die in La Mortola cultivirten Vertreter der Gattung Zizyphus zu beachten. Befindet sich doch unter denselben der in Suedeuropa und an der nordafrikanischen Kueste einheimische _Zizyphus lotus_. Im Alterthum wurden mehrere Pflanzen Lotus genannt, doch ist _Zizyphus lotus_ allem Anschein nach jener Strauch, den Theophrast als Lotus bezeichnet. Von den Fruechten dieses Strauches waere somit schon bei Homer die Rede. Sie bildeten ein wichtiges Nahrungsmittel der Armen, und die Bewohner von Tunis und Tripolis hiessen, weil sie sich vornehmlich von diesen Fruechten ernaehrten, Lotophagen. Die Pflanzengattung Zizyphus gehoert zu den Kreuzdorn-Gewaechsen (_Rhamneen_). Die Fruechte von _Zizyphus lotus_ sind so gross wie Schlehen; ihr mehliges Gewebe, das den inneren Kern umgibt, kann zu Brod verbacken werden und auch ein gaehrendes Getraenk liefern. Aus den Fruechten anderer Arten, so vor Allem des _Zizyphus vulgaris_, eines in Syrien heimischen Baeumchens, und von _Zizyphus jujuba_, einem Baeumchen, das in Ostindien waechst, werden die frueher sehr beliebten Jujubapasten dargestellt. Von _Zizyphus spina Christi_, einem im Thale des Jordan und am Todten Meere verbreiteten dornigen Strauche, dem Nebeg oder Sfidr, geht die Sage, aus ihm sei die Dornenkrone Christi geflochten worden. Man hat auch die in unseren nordischen Gaerten cultivirten dornigen Gleditschien als Christus-Akazien bezeichnet und mit ihnen die Vorstellung von Christi Dornenkrone verknuepft, doch dies unter allen Umstaenden mit Unrecht, da die Gleditschien erst im achtzehnten Jahrhundert aus Nordamerika eingefuehrt wurden. Die Zizyphus-Arten werfen des Winters ihre Blaetter ab, treiben aber zeitig im Fruehjahr und bedecken sich mit sehr dunklem Laub. Da sie sehr duenne Zweige haben, haengen diese abwaerts und gewaehren mit den sich roethenden Fruechten beladen, spaeter ein sehr zierliches Bild. Unter den Anacardiaceen von La Mortola, die ein besonderes Interesse bieten, befindet sich auch der echte Pistazienbaum (_Pistacia vera_), dann die _Rhus succedanea_, welche das japanische Baumwachs liefert, sowie die _Rhus vernicifera_, aus deren Milchsaft die Japaner den beruehmten japanischen Lack bereiten. Das Ausfliessen dieses sehr giftigen Milchsaftes wird durch Einschnitte in die Rinde veranlasst. Um den Lack aus ihm zu machen, versetzt man ihn mit dem Oele von _Bignonia tomentosa_, oder von _Perilla ocymoides_ und fuegt auch wohl Zinnober hinzu. Die _Rhus vernicifera_ haelt im Freien selbst in den waermeren Theilen von Deutschland aus. Ein aeusserst niedlicher Strauch ist _Capparis spinosa_, welcher die echten Kapern liefert. Im Bluethenschmuck sieht man ihn erst im Herbst, und wer einmal um jene Zeit, am Comer See entlang, von Cadenabbia nach Tremezzo wanderte, dem werden sicher vor dem Eingang in den letzten Ort die dunkelgruenen Kapernstraeucher an der Mauer, wegen ihrer schoenen Bluethen, aufgefallen sein. Lange violette Staubgefaesse in grosser Zahl strahlen aus der schneeweissen zarten Bluethenhuelle hervor, freilich hier so hoch an der Mauer, dass man sie nur schwer erreichen kann. An vielen Orten der Riviera wird der Kapernstrauch im Grossen gezogen, seine Bluethenknospen sind es und nicht die Fruechte, die als Kapern dienen. Man pflueckt sie im Sommer und legt sie in Weinessig ein; viel Tausende von Kilogrammen Kapern werden so in der Provence bereitet. Staunend bleibt man wohl im La Mortola-Garten vor einer Nachtschattenart, dem baumartigen _Solanum Warszewiczii_, stehen, an welchem Fruechte von Groesse und Gestalt der Huehnereier haengen. Dann bemerkt man auch das krautartige _Solanum Melongena_, dessen gurkenfoermige violette Fruechte gekocht werden, und oft als Gemuese den Braten an italienischer Tafel garniren. Unter den krautartigen Gewaechsen fallen uns auch wohl manche Doldenpflanzen (Umbelliferen) durch ihre Groesse auf. Sie sind bei weitem maechtiger noch als die Meisterwurz, die _Imperatoria_, unserer Gaerten entwickelt. Besonders imponirt _Ferula communis_, das Stecken- oder Ruthenkraut, das auch eine eigene Geschichte besitzt. Dieses Doldengewaechs, das am Mittelmeer zu Hause ist, kann eine Hoehe bis zu vier Meter erreichen. Den Stengel benutzte man im Alterthum zu Spazierstoecken und seiner Zaehigkeit wegen auch zum Zuechtigen von Sklaven und Kindern, wozu man ihn zuvor im Wasser einzuweichen pflegte. Davon kommt der Name _Ferula_, der von _ferire_ (geisseln) abgeleitet ist. Das Mark des Stengels ist sehr locker und wird heute noch in Sicilien als Zunder benutzt. Das Feuer glimmt in diesem Mark fort, und daher geht die Sage, Prometheus habe in einem solchen Ferulastengel das Feuer zur Erde gebracht, das er dem Zeus entwandte. - Der _Ferula communis_ steht sehr nah der Stink-Asand, die _Ferula Scorodosma_ der persischen Steppen. Sie ist eine derjenigen Umbelliferen, welche die _asa foetida_ liefern. Dieses Gummiharz entstammt vornehmlich der Wurzel dieser Pflanzen. Sein Duft haelt die Mitte zwischen Knoblauch und Benzoe. Die Pflanze war allem Anschein nach schon den Alten bekannt und von ihnen als Silphium bezeichnet. Das Gummiharz hiess Laser. Mit dem Laser wuerzte man die Speisen und die Perser benutzen es heute noch als Gewuerz. Auch gab es eine Zeit, wo _asa foetida_ in Frankreich beliebt war, und man mit derselben die Suppenteller einrieb, um die Suppe "schmackhafter" zu machen. Der graublaetterige, immergruene Baum, welcher "japanische Mispeln" traegt, die "_Eriobotria_" oder _Photinia japonica_ ist in den Gaerten der Riviera so verbreitet, dass man ihn in La Mortola schon als alten Bekannten begruesst. Die lichtgelben, saeuerlich-suessen, pflaumengrossen Fruechte hat man oft schon bei Mahlzeiten genossen, sie allenfalls auch schmackhaft gefunden, wenn sie sehr reif und frisch waren. Der Baum stammt urspruenglich wohl aus China. Rein's Angaben zufolge ist er 1787 mit anderen Ziergewaechsen und Nutzpflanzen durch Sir Joseph Banks nach England gebracht worden. Jetzt reicht er ueber ganz Italien und ist selbst am Genfer See zu finden. Diesem Baume nahe verwandt ist ein anderer von gleich geringer Hoehe, der in den Gaerten der Riviera sehr viel cultivirt wird und jedem Pflanzenfreund daher auffallen muss: die in Japan und China heimische _Photinia serrulata_. Ihre grossen Blaetter sehen lorbeerartig aus, zwischen denselben leuchten die flachen weissen Bluethenrispen hervor. Aus der Ferne sehen sie fast so wie die Bluethenstaende unseres Holunders aus. Die Photinien gehoeren zu den Rosifloren. Sie zeigen manche Uebereinstimmung mit den Weissdornarten, der Gattung _Crataegus_, und werden mit denselben zum Theil vereinigt. Im La Mortola-Garten ist die in der Naehe des Einganges stehende _Photinia serrulata_ daher auch mit ihrem Synonym als _Crataegus glabra_ bezeichnet. Mit einigem Interesse sieht man sich im Garten von La Mortola einen stattlichen, mit harten, kleinen Blaettern bedeckten Baum, die _Quillaja Saponaria_ an, der, wie die japanische Mispel, zu den rosenbluethigen Gewaechsen gehoert, merkwuerdig aber durch seine saponinreiche Rinde ist. Diese Rinde, die als Panamaholz aus Chile importirt wird, schaeumt in Wasser auf wie Seife, steht als solche in Chile allgemein im Gebrauch, dient auch bei uns zum Waschen von Wolle und Seide und zu kosmetischen Zwecken. Als wohl bekannte Pflanzenform begruesst man den Johannisbrodbaum oder Caroubier (_Ceratonia siliqua_). Man hat ihn schon in weit praechtigeren Exemplaren in der Umgebung von Mentone gesehen. Alte Staemme erinnern in der Form an unsere Eichen; an den paarig gefiederten lederartigen Blaettern ist aber der Johannisbrodbaum als solcher sofort zu erkennen. Die Huelsen, Leckerbissen, die auf keinem Jahrmarkt fehlen, und an denen sich Kinder allgemein erfreuen, sind im Fruehjahr noch so klein, dass man sie an den Zweigen suchen muss. Aus den reifen Huelsen wird ein suesser, honigaehnlicher Saft gepresst, der als Keratameli im Orient genossen wird. Mit diesen Huelsen soll, der Sage nach, Johannes der Taeufer sich in der Wueste ernaehrt haben und der Baum nach dem Vorlaeufer des Messias seinen Namen fuehren. Die reifen Samen innerhalb der Huelsen zeichnen sich durch auffallend uebereinstimmende Groesse aus, woraus sich erklaert, dass sie einst als Gewichte dienten und der kleinen Einheit im Gold- und Diamantengewicht den Namen gaben. Denn Karat stammt von Kerateia, dem griechischen Wort fuer diese Huelse. Um gute Fruechte zu tragen, muss der Baum veredelt werden, und es waren jedenfalls die Araber, welche die bessere Fruchtform dieses Baumes am Mittelmeer verbreiteten. Er ist in Sued-Arabien wohl zu Hause, doch an vielen Orten der Riviera jetzt verwildert. Im La Mortola-Garten werden auch der Theestrauch und Kaffeebaum im Freien gezogen. Der Theestrauch, der baumfoermig bis zu fuenfzehn Meter Hoehe emporwachsen kann, macht den Eindruck einer Camellie, und in der That gehoert er auch wie diese zu der Familie der Ternstroemiaceen, ja er wird jetzt sogar als _Camellia Thea_ mit dem Camellienbaum in derselben Gattung vereinigt. Der Name Camellia, den diese Pflanzengattung fuehrt, klingt so poetisch, vielleicht weil man an die "Camelien-Dame" bei demselben denkt; thatsaechlich hat er aber einen viel prosaischeren Ursprung. Er entstand naemlich aus Kamel, dem Familiennamen eines Jesuitenpaters, der vor mehr als anderthalb Jahrhunderten die Camellie aus Manilla nach Spanien brachte. Diesem Georg Kamel zu Ehren benannte Linne die Pflanze, er fuegte _japonica_ hinzu, da die Camellie in Japan zu Hause ist, und von dort aus auch nach Manilla gelangt war. - Die Bluethen des Theestrauches erinnern sehr an die ungefuellten Camellien und haben zahlreiche Staubfaeden wie diese. In La Mortola blueht der Theestrauch im September. Seine porzellanweissen, rosa angehauchten Bluethen, die sich aus den Blattachseln vordraengen, verbreiten einen nur schwachen Duft. Nach den Berichten des Rev. B. C. Henry ist die _Camellia Thea_ wild in grossen Mengen noch im Innern der suedchinesischen Insel Hainon zu finden. Die zahlreichen Theesorten verdanken der verschiedenen Zeit des Einsammelns, dem verschiedenen Alter der eingesammelten Blaetter und deren verschiedener Behandlung ihre besonderen Eigenschaften. Der arabische Kaffeebaum, die _Coffea arabica_, ist ein kleiner pyramidaler Baum, der bis zu fuenf oder sechs Meter Hoehe emporwaechst. Er traegt seine immergruenen dunklen Blaetter in gekreuzten Paaren. Die weissen, nach Orangen duftenden Bluethen stehen gehaeuft in den Achseln der obersten Blaetter. Die Fruechte, die aus diesen Bluethen hervorgehen, sind kirschgrosse, dunkelrothe Beeren, die zwei Samen, die sogenannten Kaffeebohnen, enthalten. Der Kaffeebaum fuehrt seinen Namen nach dem Bergland Kafa im suedlichen Abyssinien. Man hat ueberhaupt die suedlichen Provinzen von Hoch-Abyssinien fuer den Ursprungsort des arabischen Kaffeebaumes gehalten, doch ist derselbe in neuerer Zeit wild am Victoria-Nyansa und in Westafrika gefunden worden, so dass Centralafrika wohl die eigentliche Heimath dieser Culturpflanze sein duerfte. Afrika hat uns neuerdings auch noch eine zweite Art des Kaffeebaumes geliefert, die _Coffea liberica_. Sie wird in den tiefer gelegenen Theilen der tropischen Kuestendistricte gefunden, ist gegen Temperaturwechsel empfindlicher als die _Coffea arabica_, vertraegt aber besser die Seewinde. Da sie durch Groesse der Samen und feines Aroma derselben ausgezeichnet ist, so beginnt ihre Cultur sich ueber die tropischen Laender bereits auszubreiten. In den Kaffeegaerten Arabiens und Abyssiniens wird auch ein zu den Celastrineen gehoerender Strauch cultivirt, mit gegliederten Aestchen, lederartigen, lanzettfoermigen Blaettern, den man in La Mortola sehen kann und der _Catha edulis_ heisst. Es ist das die Khatpflanze, deren getrocknete Blaetter von den Arabern theils wie Tabak gekaut, theils auch mit Wasser aufgebrueht und als Thee genossen werden. In Suedamerika dienen andererseits ganz allgemein der Theebereitung die Blaetter des _Ilex paraguayenses_ einer dem Khatstrauch ziemlich nah verwandten Aquifoliacee, die in Paraguay und Brasilien zu Hause ist. Man bezeichnet diese Blaetter dort als _Yerba_ oder als _Mate_. Dieser Strauch wird zwar im La Mortola-Garten nicht cultivirt, doch sieht man dort andere immergruene Ilex-Arten, die ihm sehr aehneln. - Die vorhandenen Arten der Sterculiaceen-Gattung _Sterculia_ koennen andererseits auch das Bild der _Sterculia acuminata_ oder _Cola acuminata_ ersetzen, welche den afrikanischen Negern die "Kolanuesse" liefert. Diese Fruechte sehen wie Kastanien aus und haben schwach bitteren Geschmack. Die Neger wissen sie nicht genug zu preisen, denn sie sollen den Koerper staerken, schlechtes Wasser trinkbar machen, gegen allerlei Krankheiten helfen, den Hunger stillen und das Gemueth erheitern. Thatsaechlich enthalten auch die Kolanuesse Thein, aehnlich wie die Thee- und Kaffeepflanzen und ausserdem Theobromin wie die Chocolade. Der Genuss dieser Fruechte beginnt jetzt bis nach England vorzudringen. Es faellt im La Mortola-Garten wie in den anderen Gaerten der Riviera wohl auf, dass die Camellien, Rhododendren und Azaleen so stark gegen andere Pflanzen zuruecktreten. Man erblickt sie nur vereinzelt und bei weitem weniger schoen und kraeftig wie etwa an den italienischen Seen entwickelt. Das hat in der Zusammensetzung des Bodens seinen Grund. Der so ueberaus kalkreiche Boden der Riviera sagt diesen Pflanzen nicht zu, die ausgepraegte Humusbewohner sind, ausserdem reiche Bewaesserung verlangen. Einen wichtigen Handelsartikel im Alterthum und Mittelalter haben auch wohlriechende Balsame gebildet. Ein Baeumchen, das solchen Balsam lieferte, tritt uns in La Mortola in dem _Styrax officinalis_ entgegen. Dieses Gewaechs ist in der Belaubung einem Quittenbaum aeusserst aehnlich; es entfaltet in La Mortola im Mai und Juni auch seine weissen, mit goldgelben Staubfaeden versehenen, wohlriechenden Bluethen. Ein Haupterzeuger solcher Balsame, die als Parfuem, als Raeucherwerk und zu Salben dienten, war der Storax-Baum (_Liquidambar orientale_). Die duftende Myrrhe, die zu gottesdienstlichen Zwecken auch den Griechen dient, stammt andererseits von _Balsamodendron Myrrha_, der Weihrauch, oder das _Olibanum_, von Boswellia-Arten, die im aeussersten Osten von Afrika und auf dem arabischen Kuestenstriche wachsen. In dem Garten von La Mortola kann man auch die zu den Huelsengewaechsen gehoerende _Indigofera tinctoria_ sehen, eine Pflanze, die zu den wichtigsten der Indigo liefernden Gewaechse zaehlt. Sie stellt einen kleinen Strauch vor, der in Ostindien zu Hause ist, der aber jetzt in anderen Laendern zwischen den Wendekreisen, ja selbst an einzelnen Stellen um Neapel cultivirt wird. Sie traegt unpaarig gefiederte Blaetter und entsendet aus den Achseln derselben ihre Bluethenstaende, die mit kleinen weissen oder rosenrothen Bluethen besetzt sind. Ihre naechste Verwandte, die man auch in La Mortola sehen kann, die zierliche _Indigofera Dosua_ aus dem Himalaya, wird auch in unseren Gaerten gezogen. Wie in anderen Indigo liefernden Pflanzen, zu denen auch unser Waid (_Isatis tinctoria_) und der chinesische Faerber-Knoeterich (_Polygonum tinctorum_) gehoeren, ist in der _Indigofera tinctoria_ der Indigo nicht schon als solcher vorhanden. Die zerkleinerten Pflanzen muessen vielmehr erst einen Gaehrungsprocess im Wasser durchmachen. Dieses wird abgegossen, wenn es sich stark gruengelb faerbt und dann geruehrt und geschlagen, um mit dem Sauerstoff der Luft in moeglichst reiche Beruehrung zu kommen. Dabei scheidet sich der Indigo als unloesliches Pulver ab. Er bildet die "echteste" und geschaetzteste Pflanzenfarbe, die auch schon den Alten bekannt war und bei ihnen als Indicum hoch im Werthe stand. Wie in der Jetztzeit London, so bildete einst Bagdad den Weltmarkt fuer diesen Artikel. Aus den exotischen Pflanzenformen ragen allseitig Nadelhoelzer hervor. Sie stechen eigenartig von denselben ab. Wir sind mit ihren Gestalten wohl vertraut und selbst die so regelmaessig geformten Araucarien sehen wie etwas gezierte Tannen aus. In den Gewaechshaeusern der Heimath sah auch jeder schon die Cycadeen, die hier in einer Anzahl von Arten unter freiem Himmel gedeihen. Dem Laien wird es schwer, sich vorzustellen, dass die Cycadeen Verwandte der Nadelhoelzer sind. Scheinen sie doch mit ihrem unverzweigten Stamm und mit ihrer einfachen Krone aus langen gefiederten Blaettern, weit mehr den Palmen zu gleichen. Mit diesen haben sie aber thatsaechlich nur eine gewisse Aehnlichkeit gemein. Diese aeussere Aehnlichkeit der Cycasblaetter und der Palmenblaetter hat es aber bewirkt, dass sie oft faelschlich als Palmenblaetter bezeichnet werden und als solche bei Begraebnissen Verwendung finden. Thatsaechlich ist das aber eine arge Verwechselung. Denn Palmblaetter und nicht Cycaswedel sollen es, der Tradition nach, sein, die man den Todten auf den Sarg legt, sowie es Palmenblaetter sind, die christliche Maertyrer in der Hand halten und die auf den Graebern in den Katakomben dargestellt werden. Den Palmen werfen wir in La Mortola nur fluechtige Blicke zu, da wir sie ja in Bordighera schon eingehend betrachtet haben. Hingegen fesseln unsere Aufmerksamkeit die zahlreichen Arten von Bambusen, die hier stellenweise schon zu maechtiger Entwickelung gelangten. Dass diese Pflanzen, trotz ihrer bedeutenden Hoehe, die beim gemeinen Bambus (_Bambusa arundinacea_) oft dreissig Meter erreicht, zu den Graesern gehoeren, kann nur Denjenigen in Erstaunen versetzen, der sich die Graeser ausschliesslich als Wiesenkraeuter vorstellt. Thatsaechlich haben wir schon in unseren Schilfrohr-Arten Vertreter der Gramineen-Familie vor Augen, die zu ansehnlicher Hoehe emporwachsen. Die Bambusen sind unserem Schilfrohr in mancher Beziehung aehnlich. Waehrend letzteres aber bei uns nur eine beschraenkte Verwendung findet, gibt es in den heissen Laendern kaum eine Pflanze, die mannigfaltigeren Nutzen als der gemeine Bambus stiftet. Die jungen Wurzelsprosse dienen als Gemuese, vornehmlich verwenden sie aber die Chinesen zur Bereitung eines beliebten Confectes, das dem Ingwer oft zugesetzt wird. Aus juengeren Halmen stellt man in den heissen Laendern Waende, Zaeune und anderes Flechtwerk her; aus den Blaettern macht man Matten und Huete, verpackt auch oft den Thee in dieselben. Junge Blaetter dienen als Viehfutter. Aus den Fasern der Halme bereiten die Chinesen ihr beruehmtes Papier, das durch seinen Seidenglanz, seine Weichheit und seine geringe Dicke ausgezeichnet ist. Die hohlen Staemme sind sehr leicht, besitzen trotzdem einen ganz ausserordentlich hohen Grad von Festigkeit und werden zu Bauten verwendet, die allen aeusseren Angriffen trotzen. Die ganze Oberflaeche des Stammes ist verkieselt, und so kommt es, dass dieser nicht allein in der Luft, sondern auch im Boden sich sehr lange haelt. Daher die Staemme auch als Wasserleitungsroehren und Wasserrinnen dienen, nachdem man zuvor die Scheidewaende durchbohrte, welche das Innere des hohlen Stammes durchsetzen. Andererseits lassen sich die einzelnen Glieder des Stammes als Wassereimer und als Blumentoepfe verwenden, wenn man die Scheidewaende unversehrt laesst. Aus Bambus werden Bruecken und Floesse, aus Bambus Betten, Stuehle und Tische gefertigt, mit Bambusfasern Matratzen gefuellt und Moebel gepolstert. Leitern aus Bambus sind sehr beliebt. Aus Bambus stellt man Ess- und Trinkgefaesse, chirurgische Instrumente und selbst Haarkaemme her, und als ob gezeigt werden solle, dass der Bambus einer jeglichen Verwendung faehig sei, verfertigen die Bewohner von Borneo und Sumatra aus demselben sogar Lampen, in welchen Dammaraharz gebrannt wird, und mit Dammaraharz gefuellte Kerzen, deren Huelle zugleich mit der Fuellung in Flamme aufgeht. Bambusstoecke kennen auch wir: sie werden aus den zaehen, knotigen Wurzelauslaeufern fabricirt, denen eine innere Hoehlung abgeht. Ebenso muss zu Kriegszwecken der Bambus das Material hergeben: er liefert Lanzen und Wurfspiesse von unuebertrefflicher Leichtigkeit und Haerte. Zu gleicher Zeit ist der chinesische Soldat ausgeruestet mit einem Sonnenschirm aus Bambus, dessen Ueberzug aus gefirnisstem Maulbeerpapier besteht. Desgleichen sollen die hohlen Stengeltheile des Bambus als Musikinstrumente zur Verschoenerung des Lebens beitragen. Sie werden zu Floeten und Clarinetten verarbeitet, auch als Resonanzboeden und selbst in Gestalt von Saiten verwendet. Ja C. Schroeter berichtet, dass die Atchinesen es sogar verstanden haben, aus Bambus eine Art Telephon herzustellen, durch welche sie ihre Wachtposten in Verbindung setzen. - Die Hoehlungen junger Stammtheile enthalten meist klares Wasser, mit welchem in Indien und in den Bergen von Java der Reisende seinen Durst stillen kann. - Die Bambusen bluehen selten; stellt sich aber ein Bluethenjahr ein, so gibt es eine grosse Fruchternte. Die Fruechte werden wie Reis gegessen oder in Brot verbacken, und wiederholt schon, so 1812, ist durch das Bluehen der Bambusen eine Hungersnoth in Indien abgewendet worden. Mit Recht konnte somit Wallace, einer der besten Kenner der Tropen, aussprechen, dass der Bambus eines ihrer herrlichsten Producte sei. - Am vollkommensten haben Chinesen, Japaner und die Bewohner Indiens und des indischen Archipels ihn auszunutzen gewusst. In China gibt es ganze Doerfer, die nur aus Bambus aufgebaut sind. Einen merkwuerdigen Eindruck soll es machen, wenn ein solches Dorf in Brand geraeth. Die Luft erhitzt sich alsdann in den abgeschlossenen Gliedern der Bambusstaemme und sprengt dieselben mit gewaltigem Knall. Man hoert aus der Ferne wie Kanonendonner, in welchem die Eingeborenen der Molukken deutlich den Ruf "Bambu, Bambu" zu vernehmen glauben. In einer Pflanze, die so viel Nutzen stiftet, lag es dem Naturmenschen nahe, auch nach verborgenen Heilkraeften zu suchen. In China werden die Wurzelstoecke, die jungen Sprosse, der Saft, der Samen, bestimmte Auswuechse der Pflanze, als Medicamente verwendet. Zu besonderer Beruehmtheit gelangte aber als Heilmittel ein eigenthuemlicher Koerper, der sich in den hohlen Gliedern der Staemme findet und Tabaschier genannt wird. Schon die Mediciner der roemischen Kaiserzeit wandten denselben viel an, gestuetzt auf orientalische Traditionen. Einen Weltruf gewann der Tabaschier aber erst durch die arabischen Aerzte im zehnten und elften Jahrhundert, und er gilt immer noch als ganz hervorragendes Medicament in der ganzen orientalischen Welt. - Das frische, dem Bambusstengel entnommene Tabaschier bildet schmutzig weisse, braune bis schwarze Stuecke. Beim Gluehen werden diese weiss calcinirt und in einen Chalcedon-aehnlichen Koerper verwandelt, der bald weiss und undurchsichtig, bald blaeulich weiss, durchscheinend und farbenschillernd aussieht. Thatsaechlich ist der Tabaschier nichts Anderes als gemeine Kieselerde, die, durch etwas vegetabilische Substanz verunreinigt, beim Gluehen von derselben befreit wird. Statt kostspieligen Tabaschiers, den er in den Bazaren theuer bezahlen muss, koennte der Patient somit auch reinen Kieselsand zu sich nehmen. Den rechten Glauben vorausgesetzt, muesste die Wirkung dieselbe sein. Sehr belehrend ist es im Fruehjahr zu verfolgen, wie die jungen Knospen maechtiger Bambusen als ueberarmdicke, mit scheidenartigen Blaettern dichtbedeckte Kegel die Erde durchbrechen. Sie pressen Wasser zwischen ihren Blattscheiden hervor, befeuchten und erweichen damit den umgebenden Boden und wachsen mit solcher Schnelligkeit, dass sich die unmoeglich scheinende Vorstellung Gras wachsen zu sehen, bei ihnen fast in greifbare Wirklichkeit verwandelt. Dieses Wachsthum kann naemlich unter guenstigen Verhaeltnissen einen Meter taeglich betragen und ein zwanzig Meter hoher Spross in wenigen Wochen somit diese Hoehe erreicht haben. - Schoene Gruppen von Bambuspflanzen gehoeren zu den zierlichsten Erscheinungen des Pflanzenreiches; freilich kann man diese Pflanzen in voller Prachtentfaltung erst in den Tropen sehen und im La-Mortola-Garten nur eine annaehernde Vorstellung davon gewinnen, welche Bedeutung ihnen in der tropischen Landschaft zukommt. Aus den werthvollen Angaben des Geographen Ritter und den nicht minder werthvollen Untersuchungen des Botanikers Ferdinand Cohn geht wohl sicher hervor, dass diejenige Substanz, welche die Alten als Saccharum bezeichnet haben, nicht Rohrzucker, sondern Tabaschier gewesen sei. Nach Bopp bedeutet das Sanskrit-Stammwort "_carkara_" nicht etwas Suesses, sondern etwas Zerbrechliches und Steinartiges. Im alten Indien wurde das Tabaschier als Sakkar Mambu oder Bambusstein bezeichnet, und erst die Araber haben dieses Wort auf den spaeter dargestellten, dem Tabaschier aehnlichen, krystallinischen Rohrzucker uebertragen. Edmund O. von Lippmann kommt ebenfalls in seiner ueberaus gruendlichen und erschoepfenden "Geschichte des Zuckers" zu dem Ergebniss, dass der Sakcharon der antiken Welt nicht unser Zucker gewesen sei; er weist nach, dass der *feste* Zucker auch in Indien erst in der Zeit zwischen dem dritten und sechsten Jahrhundert n. Chr. bekannt wurde. Das Zuckerrohr (_Saccharum officinarum_) ist unserem Schilfrohr sehr aehnlich und wie dieses eine Grasart. Man sieht es im La Mortola-Garten in voller Entfaltung. Das Zuckerrohr ist eine sehr alte Culturpflanze. Da es ausschliesslich aus Stecklingen gezogen wurde, hat es die Faehigkeit, Samen zu erzeugen, fast eingebuesst. Man hat bis vor Kurzem ueberhaupt geglaubt, dass das Zuckerrohr nicht fructificire; doch ergaben sorgfaeltige Beobachtungen, vornehmlich aus Java, dass diese Unfruchtbarkeit nur eine relative sei. Die Heimath des Zuckerrohrs ist wahrscheinlich Bengalen, jene Provinz, die, ihrer unerschoepflichen Fruchtbarkeit wegen, seit jeher als der Garten Indiens gepriesen wurde. Wohl gegen das Ende des dritten Jahrhunderts ist das Zuckerrohr aus Indien nach China gelangt und zweihundert Jahre spaeter westlich bis Gondisapur vorgedrungen. Diese Stadt lag am Flusse Karon, der unweit davon sich zum Theil in den Tigris, zum Theil nach dem Nordrand des Persischen Meerbusens ergoss. Dorthin hatten sich die Nestorianer gefluechtet, als das Concil zu Ephesus 431 n. Chr. ihre Lehre fuer ketzerisch erklaerte. Sie fuehrten dem Orient die Keime klassisch-litterarischer und wissenschaftlich-medicinischer Bildung zu, namentlich auch die Anfangsgruende chemischer Kenntnisse. Die Beziehungen Gondisapurs zu Indien bewirkten zugleich, dass sich der Einfluss der indischen Arzneilehre dort geltend machte und eine Akademie erbluehte, die nicht nur die Traditionen der griechischen Medicin und Naturwissenschaften in sich aufnahm, sondern dieselben auch wesentlich foerderte. Hier wurde allem Anschein nach die Kunst der Zuckerraffinerie erfunden, daher auch "Kand" der persische Name fuer den gereinigten Zucker ist. Durch die Araber kam das Zuckerrohr im achten Jahrhundert nach Spanien, im neunten nach Sicilien. In Venedig lassen sich 1150 bereits Zuckerbaecker nachweisen. Die drei wichtigsten Productionsstellen des Zuckers im Mittelalter waren Syrien, Aegypten und Cypern. Ihre Bedeutung schwand, als Vasco de Gama 1498 den directen Weg nach Ostindien um das Cap der guten Hoffnung fand und der Handel mit indischem Zucker so in die Haende der Portugiesen fiel. Damit war der dominirende handelspolitische Einfluss Venedigs und seine Macht fuer immer gebrochen; an Stelle des Mittelmeers wurde der atlantische Ocean der Schauplatz des Weltverkehrs. Um 1580 begann Sicilien seine Zuckerproduction einzustellen, da diese gegen die ueberseeische Concurrenz nicht mehr ankaempfen konnte. Denn um jene Zeit hatte auch schon der amerikanische Zucker, besonders der brasilianische, die Bedeutung eines Weltproductes gewonnen und gelangte bis nach Palermo. Der Zuckerverbrauch stieg ganz enorm in Europa, und im Jahre 1600 hatte auch Deutschland, nach v. Lippmann, schon mehrere Zuckerraffinerien aufzuweisen. Freilich scheinen dieselben nach dem dreissigjaehrigen Kriege sich nur noch in Hamburg gehalten zu haben. Unter Friedrich dem Grossen entstanden zahlreiche Zuckerraffinerien in Preussen und wurden durch Prohibitivzoelle geschuetzt. Die Suessigkeit des Ruebensaftes hatte den Chemiker Markgraf veranlasst, Zucker aus demselben darzustellen, was ihm um 1747 gelang. Doch fand das gewonnene Product keine Verwerthung, zum Theil schon deshalb nicht, weil es an genuegend zuckerreichen Rueben damals noch fehlte. Diesem Mangel wusste erst Achard aus seinen Guetern bei Berlin um 1786 in groesserem Massstab abzuhelfen. Die erste wirkliche Ruebenzuckerfabrik errichtete derselbe Achard, mit Unterstuetzung Friedrich Wilhelms III., zu Cunern in Schlesien. Es folgten alsbald andere Fabriken in Preussen und Frankreich, wo besonders Delessert das Darstellungsverfahren vervollkommnete. Nach Aufhebung der Continentalsperre gingen trotzdem die meisten Ruebenzuckerfabriken sowohl in Deutschland als auch in Frankreich wieder ein, und erst von 1820 etwa an datirt der neue Aufschwung und der schliesslich grossartige Erfolg dieser Industrie. Der Palazzo Orengo wird von phantastischen Pflanzenformen: saeulenfoermigen Opuntien, candelaberfoermigen Euphorbien, sowie von zahlreichen bluehenden Aloe- und Agave-Arten umgeben. Auf der Mauer oestlich vom Hause faellt eine kleine, mit langen weissen Dornen bewaffnete Opuntie (_Opuntia tunicata_) in die Augen. Ihre Dornen sind mit zarten Scheiden umhuellt und verdanken diesen ihre Faerbung. Man kann die Scheiden von den Dornen abziehen; doch gilt es vorsichtig zu sein, denn die Dornen sind aeusserst scharf und verwunden leicht die Hand: Sie schuetzen wirksam die Pflanze gegen den Angriff der Thiere. Dieser Schutz ist aber auch noethig in den duerren Gegenden Mexikos, in welchen die Pflanze zu Hause ist, und wo es den Thieren oft an pflanzlicher Nahrung fehlt. In solchen Gegenden sind dornige Pflanzen sehr haeufig, Pflanzen, deren Blaetter sich zum besseren Schutz in Dornen verwandelt haben, waehrend der Stengel sich gruen faerbte, so in die Functionen der Blaetter trat, zugleich anschwoll und fuer die Zeit der Duerre mit Wasser versorgte. Durch Hunger getrieben, pflegen wohl Pferde mit den Hufen die Dornen von solchen Cactusgewaechsen abzuschlagen, um zu dem saftigen Fleisch zu gelangen, waehrend das Rindvieh sich an denselben schwer verwundet. Der Angriff auf diese weissdornige _Opuntia tunicata_ duerfte den Thieren unter allen Umstaenden schwer fallen, sie ist so stark bewaffnet, dass sie ausser dem Namen _Opuntia tunicata_ auch denjenigen _Opuntia furiosa_ erhielt. Doch am Palazzo Orengo fesselt unseren Blick vor allem die wunderbare Aussicht, die sich dort entfaltet. Gewiss ein herrliches Stueck Erde, fast zu schoen, um dasselbe dauernd zu bewohnen! Denn wonach soll man sich dann noch sehnen, wo eine Steigerung des Eindrucks erhoffen? - Von ueppigem Gruen und buntem Bluethenschmuck sind die Bilder eingerahmt, die hier den Beschauer fesseln. Sein Auge folgt entzueckt der zackigen Kueste, oder es ruht traeumend aus der tiefen Schlucht, in der sich der Garten aufwaerts, ohne Ende, bis zu den Gipfeln der Berge fortzusetzen scheint. Eine hohe Palme neigt sich wie sinnend ueber diesem Bilde und gibt ihm ein maerchenhaftes Gepraege. Nach Osten decken dunkle Baummassen die Aussicht, doch durch eine blumenreiche Pergola gelangt man bald bis auf den freien Bergrand. Der Tag geht zur Neige, und es beginnt Altbordighera im rosigen Abendlicht zu gluehen. Welch' ein Anblick! Ich weiss ein krankes Maedchen, eine zu frueh aufgebluehte Knospe, das Rettung vor dem Tode in Mentone suchte; dem schwebte jenes goldige Bild bis zuletzt in den Fiebertraeumen vor. Es war wie die Verheissung einer gluecklicheren Welt! Sehnsuchtsvoll streckte die Sterbende ihre Arme in der nordischen Heimath aus, um es zu fassen, und ein seliges Laecheln verklaerte dann ihr blasses Antlitz. Die Pergola, die nach jenem Aussichtspunkt im Garten von La Mortola fuehrt, ist von Banksia-Rosen und anderen Schlinggewaechsen ueberwuchert, deren Bluethen in den Abendstunden suessen Duft verbreiten. Die _Rosa Banksiae_ koennen wir hier in ihrer vollen Prachtentfaltung bewundern. Ueberall leuchten aus dem gruenen, dornenfreien Laub die zierlichen Trugdolden ihrer halbgefuellten, hellgelben und weissen Bluethen hervor. Um diese schoene Rose ist die Riviera zu beneiden; bei uns im Freien will sie nicht gedeihen. Auch ist es in Gewaechshaeusern nicht moeglich, sie zu ueppiger Entwickelung zu bewegen, ebensowenig als dies fuer die _Bougainvillea_ gelingt, jene praechtige Liane der Tropen, die mit ihren carmoisinrothen Hochblaettern ganze Gebaeude an der Riviera deckt. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und fahle Lichter streiften die Kueste. Altbordighera erschien so todtenblass, als waere es inzwischen ausgestorben; der Rahmen aus weissen Rosen umschlang es fast wie ein Todtenkranz. Die bunten Bluethen im dunklen Laube begannen unsichtbar zu werden, und scharf stachen nur vom hellen Abendhimmel die uralten Cypressen ab, die, dicht aneinander gereiht, im unteren Theile des Gartens zum Meere absteigen. Hat dieser dunkelfarbige Baum, der in so feierlichem Ernst zum Himmel emporragt, wirklich ein trauriges Aussehen, oder weckt er in uns nur traurige Empfindungen, weil er von jeher ein Symbol der Todtentrauer war, und wir ihn so oft neben Graebern sehen? Hier haette er wohl allen Grund, duester in die Landschaft zu schauen, denn er schmueckte, so heisst es, vor Zeiten einen Friedhof, nach welchem der Ort heute noch seinen Namen "La Mortola" fuehren soll. Blumenbeete haben seitdem die Graeber verdeckt, ueppiger Pflanzenwuchs die Staetten verwischt, an welchen Menschen einst ihre Lieben beweinten, die Cypressen allein trauern noch ueber den Todten. VII. Die Strada nazionale, die am Garten vorbei nach Mentone fuehrt, steigt zunaechst in der Schlucht empor und beginnt erst jenseits der Croce della Mortola sich langsam zu senken. Es ist ein unendlich schoener Weg, der im weiten Bogen, am Abhang der Berge, langsam gegen Mentone absteigt. Bald ist man in einen Olivenhain gedrungen, in dem sich das Dorf Grimaldi verbirgt; jenseits des Ortes steigt ueber der Strasse ein alter Thurm duester in die Luefte empor, neben ihm draengt ein modernes Schloss in englisch gothischem Geschmack sich auf. Ein schoener Garten steigt bis zum Thurm empor. Es war das einst die Besitzung des englischen Arztes Bennet, dessen Name einen ruhmvollen Klang an der Riviera besitzt. Nach dessen Tode haben neue Besitzer das gothische Haus erbaut. Wir erreichen das italienische Zollhaus. Es dunkelt schon; in Mentone, das in geringer Ferne vor unseren Augen aufsteigt, beginnen auf den Strassen und in den Haeusern die Lichter sich zu entzuenden. Eine lange Reihe flammender Punkte folgt bald dem Strande, als haette sich das Meer mit einer Schnur feuriger Perlen geschmueckt. Mir zogen die Strophen des Mignonliedes durch den Sinn, und das Rauschen des Meeres schien sie in den Toenen der Beethoven'schen Musik zu begleiten. Wie bezeichnend fuer diesen Boden mehr als zweitausendjaehriger Cultur, dass jene Gewaechse in dem Liede, welche das Bild Italiens uns so lebendig vor die Seele zaubern, diesem Lande nicht ureigen sind. Sie kamen aus dem Orient, wie alle die grossen Gedanken, auf welchen unsere Bildung ruht, entfalteten und veredelten sich aber auf diesem Boden. Die Citronen und Orangen erhielten die klassischen Lande von den Semiten, welche dieselben ihrerseits von den Indiern uebernommen hatten. Der Oel- und Feigenbaum, der Weinstock und die Palme standen bei den Semiten in Pflege, lange bevor sie als Culturpflanzen siegreich nach dem Westen vordrangen. Der Cultus des Lorbeers und der Myrte gelangte von Osten her ueber das Mittelmeer. Die Cypresse hat nicht ihre Heimath in Italien, sondern auf den griechischen Inseln und auf dem Libanon; ja, selbst von der schirmfoermig ausgebreiteten Pinie, der die Rauchwolke des Vesuvs wie zum Vorbild dient, hat man, doch dieses Mal mit Unrecht, bezweifelt, dass sie eine echt italienische Pflanze sei. Und als wenn andererseits auch der grosse Culturimpuls, welcher von der Entdeckung der neuen Welt ausging, auf italienischem Boden in typischen Pflanzenformen verkoerpert werden sollte, brachte er diesem die Agave und die Opuntie. Die dornigen, blaugruenen Agaven, die stachligen, hellgruenen Opuntien, die so gut zu dem felsigen Strande Italiens passen, als waeren sie fuer ihn von jeher bestimmt gewesen, sind thatsaechlich erst im vierzehnten Jahrhundert von Amerika an denselben gelangt. Capri vermag man sich ohne die "_Fichi d'India_", deren abgeflachte Glieder sich in wunderbaren Kruemmungen ueber die Mauern draengen, kaum vorzustellen, und doch sind diese Opuntien hier eine moderne Erscheinung. Daher ist es ein Anachronismus, wenn die Agaven und Opuntien in den Preller'schen Odysseebildern den Vordergrund der Landschaft schmuecken. Die Schoenheit jener Bilder wird dadurch nicht beeintraechtigt, und doch kann man sich bei der Betrachtung derselben einer gewissen fremdartigen Empfindung nicht erwehren. Das historische Rechtsgefuehl fuehlt sich verletzt und muss erst durch das aesthetische Wohlgefallen beschwichtigt werden, welches diese so bedeutenden Kunstschoepfungen erwecken. Wie mag die Riviera ausgesehen haben, bevor die Cultur des Oelbaumes begann, als noch Palmen und Cypressen fehlten und der Wohlgeruch der Agrumi die Luft nicht erfuellte? - Sie war bedeckt mit immergruenen Straeuchern, waehrend dichter Nadelwald die Hoehen kroente. Das Bild der Vegetation musste ein ganz anderes sein; denn sein Aussehen war bestimmt durch Gesammteffecte, waehrend der Charakter jener Landschaft, die wir jetzt fuer die typisch italienische halten, auf dem wirksamen Hervortreten einzelner ausgepraegter Pflanzenformen und deren plastischer Sonderung beruht. Waehrend noch in den Zeiten Alexander des Grossen, also im vierten Jahrhundert vor Christus, die Griechen Italien als ein Land kannten, das im Vergleich zu ihrem eigenen Lande und dem Orient einen ganz urspruenglichen Charakter trug, konnte bereits Marcus Terentius Varro im ersten Jahrhundert vor Christus, Italien mit einem grossen Garten vergleichen. Plinius klagt ein Jahrhundert spaeter ueber den Luxus, der auch im Gartenbau eingerissen sei. Die Gemuese wurden so gross gezogen, dass sie der Tisch des Armen nicht mehr zu fassen vermochte. Er fuehrt als Beispiel die Spargeln an, von denen in Ravenna oft nur drei auf das roemische Pfund (ca. 300 Gramm) gingen. Dass in jenem Garten, in welchen Italien verwandelt worden war und der orientalische Culturpflanzen vorwiegend barg, das roemische Volk sich verweichlichen musste, ist nur zu klar. Es war das die Schattenseite jener zu ueppig entwickelten Cultur, die in dem Uebermasse ihrer Entfaltung auch die Keime ihres Untergangs trug. Als ich Mentone naeher kam, begann der Mistral zu wehen und fegte maechtige Staubwolken ueber die Strasse. In Garavan, im Schutze der Altstadt, wurde es trotzdem fast windstill, so dass ich dort am spaeten Abend im anmuthigen Garten des Hotel d'Italie noch sitzen konnte. Garavan wird eben durch den Bergruecken, auf dem das alte Mentone steht, und durch die dichten Haeusermassen dieser Stadt gegen den Westwind vollstaendig gedeckt und mit Recht daher von Brustkranken bevorzugt. Seit vorigem Winter erhielt Garavan einen eigenen Bahnhof, der fast eine zu grosse Erleichterung des Verkehrs fuer diejenigen Wintergaeste schafft, die in Monte Carlo durch schaedliche Aufregung beim Spiel, den Rest ihrer Gesundheit gefaehrden. VIII. Fast alle wichtigen Reiz- und Genussmittel des Pflanzenreichs dankt der Culturmensch den wilden Voelkern. Da bei ihm selbst die Cultur das instinctive Empfinden ganz zurueckdraengte, so kann er sich kaum noch vorstellen, welche Eindruecke den Wilden bei der Wahl seiner Nahrungsmittel geleitet haben. Er staunt, wenn ihn die Chemie belehrt, dass der Thee der Chinesen, der Mate der Brasilianer, der Kaffee und die Khatpflanze der Araber, die Chocolade der Azteken, die Kolanuesse der Neger im wesentlichen dieselben Stoffe enthalten. Im La Mortola-Garten, bei Betrachtung der Pflanzen, die jene Stoffe liefern, konnten wir die Verschiedenheit ihres Aussehens feststellen. Irgend welches aeussere Abzeichen, das ihnen gemeinsam waere, haben wir nicht entdeckt. Ein solches Abzeichen konnte somit die Wahl des Wilden nicht leiten, als er diese traf. Er verfuhr nicht anders wie das wilde Thier, das in Wald und Flur seiner Nahrung nachgeht. Er war sich der Ursache seiner Wahl ebenso wenig bewusst. Meist vor langer Zeit schon den Wilden abgewonnen, haben unsere Reiz- und Genussmittel eine interessante Geschichte aufzuweisen. In China ist der Theegenuss so alt, dass ein im zwoelften Jahrhundert verfasstes Buch "Rhya" von demselben als von etwas laengst Bekanntem spricht. In Europa begann sich der Theegenuss erst um 1630 zu verbreiten, unter dem Einfluss der hollaendisch-ostindischen Gesellschaft und der Lobpreisungen, welche einige hollaendischen Aerzte diesem Getraenk zu Theil werden liessen. Der Thee sollte die Lebenskraft steigern, das Gedaechtniss staerken, alle seelischen Faehigkeiten erhoehen, das Blut in willkommenster Weise verduennen. Gegen Fieber wurde vorgeschrieben, nicht weniger als vierzig bis fuenfzig Tassen hintereinander zu trinken. Zu dem interessanten Werke von Le Grand d'Aussy, welches 1782 zuerst erschien und die Geschichte des Privatlebens der Franzosen (_Histoire de la vie privee des Francois_) erzaehlt, ist zu lesen, dass der Thee in Paris 1636 bekannt wurde und bald zu Ansehen gelangte, weil ihn der Chancelier Seguier unter seine Protection nahm. Es scheint, dass sich in Paris einzelne Personen auch auf das Rauchen des Thees verlegten, so wie man Tabak raucht, und der Arzt Bligny ruehmt sich, aus dem Thee eine Conserve, ein destillirtes Wasser und zwei Arten von Syrup dargestellt zu haben. In England war das Theetrinken um 1700 schon allgemein verbreitet und der Thee besteuert. Deutschland verdankt die Bekanntschaft mit dem Thee den hollaendischen Aerzten des Grossen Kurfuersten. Im Jahre 1662 kostete, nach den von Flueckiger veroeffentlichten Documenten, eine Hand voll Thee in den Apotheken der Stadt Nordhausen noch fuenfzehn Gulden, doch im Jahre 1689 in Leipzig nur noch vier Groschen. Nach Russland gelangte der Thee nicht ueber das westliche Europa, sondern direct mit einer asiatischen Gesandtschaft, und schon in der zweiten Haelfte des siebzehnten Jahrhunderts wurde der Thee dort zu einem allgemein verbreiteten Getraenk. Der Thee heisst demgemaess dort Tschai, entsprechend der Benennung wie wir sie auch bei den Arabern im achten Jahrhundert schon finden, waehrend in Polen aus _herba Theae_ "_Herbata_" gebildet worden ist. Der wichtigste Bestandtheil der Theeblaetter ist das Coffein, derselbe Koerper, den die Kaffeebohnen fuehren und der auch dem Theobromin der Cacaobohnen aeusserst nahe steht. Ebenso ist der Paraguay-Thee oder Mate coffeinhaltig, und denselben Stoff fuehren auch die Kola-"Nuesse". Die Kultur des Kaffeebaumes haben die Araber zuerst in grossem Massstaebe betrieben, waehrend Europa, die Tuerkei ausgenommen, vor Mitte des siebzehnten Jahrhunderts nur wenig von dem Bestehen dieses Genussmittels wusste. Nach Constantinopel hatte Selim I. 1517 aus Aegypten den ersten Kaffee gebracht, und zwanzig Jahre spaeter gab es dort bereits viele Kaffeehaeuser. Nach dem Westen Europas gelangte der Kaffee durch die Venetianer. Prosper Alpinus, der als Arzt des venetianischen Consuls in Aegypten lebte und von 1591 bis 1593 sein Werk ueber aegyptische Pflanzen veroeffentlichte, gab die erste, wenn auch wenig vollkommene botanische Beschreibung des Kaffeebaumes. Von Venedig aus, wo im Jahre 1645 das erste Kaffeehaus eroeffnet wurde, verbreitete sich die Sitte des Kaffeetrinkens rasch ueber ganz Italien. Wie Le Grand d'Aussy eingehend beschreibt, war es Marseille, das in Frankreich im Jahre 1644 mit der Errichtung von Kaffeehaeusern den Anfang machte. In Paris kam das Kaffeetrinken erst unter Ludwig XIV. auf, und zwar vornehmlich durch Soliman Aga, den Gesandten Mohammeds III., der, wie Le Grand d'Aussy berichtet, sich die Gunst der Pariserinnen in solchem Masse zu erwerben wusste, dass es Mode ward, ihm Besuche abzustatten. Er liess den Damen, nach orientalischer Sitte, den Kaffee serviren; es reichten ihn Sklaven in glaenzenden Porzellantassen auf goldbefranzten Servietten. Die fremdartige Einrichtung der Zimmer, das Sitzen auf dem Boden, die Unterhaltung, die mit Huelfe eines Dolmetschers gefuehrt wurde, alles das, meint Le Grand d'Aussy, musste den Kopf der Franzoesinnen verdrehen. Ueberall hoerte man von dem Soliman'schen Kaffee sprechen, und Jeder wollte davon gekostet haben. Sich Kaffeebohnen zu verschaffen, war bei alledem damals noch schwer: das Pfund kostete bis zu vierzig Thalern. Im Jahre 1672 eroeffnete ein Armenier, Namens Pascal, auf dem Quai de l'Ecole das erste Pariser Kaffeehaus, das nach dem Getraenk, welches in demselben geboten wurde, "Cafe" genannt ward. Es war eine "Boutique" nach Art der orientalischen und machte schlechte Geschaefte, da es fuer das feinere Publicum, welches allein den Kaffee damals trank, nicht geeignet war. Das erkannte richtig der Florentiner Procope, derselbe, der sich um Paris durch die Einfuehrung des Gefrorenen verdient gemacht hat; er richtete gegenueber der alten Comedie Francaise ein Cafe ein, welches ausser dem urspruenglichen Getraenk, auch Thee, Chocolade, Eis und verschiedene Liqueure fuehrte, und, geschmackvoll decorirt, sich alsbald des groessten "Succes" erfreute. Die Zahl der Nachahmer war gross, und 1676 hatte Paris schon eine Unmasse Cafes aufzuweisen, deren Einfluss sich als ein sehr guenstiger erwies, indem er der Trunksucht steuerte, und was Ludwig XIV., "_ce Roi si decent_", wie sich Le Grand d'Aussy ausdrueckt, durch harte Strafen nicht zu erreichen vermochte, hatte man dem Florentiner Procope zu verdanken. Als ganz ungefaehrlich galt jedoch der Kaffee nicht, und die Marquise de Sevigne raeth darum ihrer Tochter in einem Brief aus dem Jahre 1680, dem Kaffee etwas Milch zuzusetzen, "_pour en temperer le danger_". In England wurde der Kaffee durch Baco von Verulam schon 1624 erwaehnt. Das erste Kaffeehaus errichtete in London 1652 der Armenier Pasqua, Diener eines tuerkischen Arztes. Berlin folgte erst weit spaeter nach, denn Volz gibt an, dass dort das erste Kaffeehaus im Jahre 1721 eroeffnet wurde. Eine Anzahl deutscher Staedte war in dieser Beziehung Berlin vorangeeilt; in Hamburg gab es schon 1679, in Nuernberg und Regensburg 1686, in Koeln 1687 Kaffeehaeuser. In Wien erhielt 1683 ein gewisser Kolschitzky die Erlaubniss zur Eroeffnung des ersten Kaffeehauses und zwar als Belohnung fuer den Muth, durch welchen er sich in dem gleichen Jahre, bei der Befreiung der Stadt von den Tuerken, ausgezeichnet hatte. Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war der Kaffeegenuss ueber ganz Deutschland verbreitet, und der Kaffee bildete einen wichtigen Handelsartikel fuer Hamburg und Bremen. Friedrich der Grosse versuchte es vergeblich, den Verbrauch einzuschraenken. In dem Bestreben, Preussen wirthschaftlich abzuschliessen und "das Geld im Lande zu behalten", hatte er besonders die theueren Colonialwaaren mit hohen Zoellen belegt; zum Theil verbot er sogar deren Einfuhr oder suchte sie zum Mindesten zu monopolisiren. Markgraf und andere Chemiker wurden beauftragt, Surrogate an Stelle des Kaffees zu schaffen, was zur Entstehung von Eichelkaffee, von Kaffee aus Gerste und Roggen, ja selbst aus Rueben und Rosskastanien fuehrte. Der Cichorienkaffee jedoch wurde um jene Zeit noch nicht hergestellt, vielmehr, wie ich den Angaben E. v. Lippmanns entnehme, erst gegen 1790. Die gebotenen Kaffeesurrogate erfreuten sich nicht des Beifalls beim Publicum, daher 1781 ein Kaffeemonopol eingefuehrt ward, das die gewoehnlichen Consumenten zwang, den Kaffee schon gebrannt vom Staate, vierundzwanzig Loth zu einem Thaler, zu kaufen, waehrend an Adlige, Geistliche und Beamten sogenannte "Brennscheine" abgegeben wurden. An den Thee und den Kaffee schliesst sich der Cacao fast gleichberechtigt an. Sein Anbau ist schwieriger als derjenige vieler anderer tropischer Pflanzen, da er eine sehr bestaendige, relativ hohe Temperatur neben einer grossen und gleichmaessigen Feuchtigkeit verlangt. Seine Heimath duerfte in den Laendern um den mexikanischen Meerbusen liegen, jetzt wird er ueberall in den Tropen, soweit es die sonstigen Bedingungen gestatten, gebaut. Die Cacaopflanze gehoert einer Unterabtheilung der Malvaceen an; fast aller Cacao des Handels stammt von der _Theobroma Cacao_ ab. Es ist ein dunkelbelaubter Baum, mit knorrigem Stamm und breiter Krone, der fuer gewoehnlich acht bis zehn Meter Hoehe erreicht. Das Charakteristische fuer die Pflanze ist, dass sie ihre Bluethenstaende vorwiegend am alten Holze traegt, so dass der Stamm und die dicken Aeste sich weiterhin mit Fruechten behangen zeigen. Die Bluethen sind weisslich bis roth und liefern je nachdem gelbe oder dunkelrothe Fruechte. Waehrend die Bluethen nur klein sind, koennen die cylindrischen Fruechte bis fuenfundzwanzig Centimeter Laenge erreichen. Der Baum blueht und fructificirt fast ohne Unterbrechung, liefert aber im Jahr meist nur zwei Haupternten. Die Samen sind in einem suesssaeuerlichen Fruchtfleisch eingebettet und bilden in der reifen Frucht fuenf Laengsreihen. Ihr bitterer Geschmack wird durch das sogenannte "Rotten" gemildert, einen Gaehrungsprocess, dem die aus der Frucht befreiten Samen unterworfen werden. Der Cacao war in Mexiko schon den Azteken und selbst den von diesen verdraengten Tolteken bekannt, und als die Spanier 1519 das Land eroberten, fanden sie die Cultur des Baumes vor. Aehnlich wie der Pfeffer einst in Europa, dienten in Mexico, ja in ganz Mittelamerika die Cacaobohnen als Muenze. Die Spanier sollen bei der Eroberung Mexico's im dortigen Staatsschatze nicht weniger als zweiundeinhalb Millionen Pfund solcher Bohnen vorgefunden haben. In Mexico wurden die geroesteten Cacaobohnen geschaelt und gestossen, mit kaltem Wasser zu Brei angeruehrt und mit Maismehl oder bei Vornehmeren mit Gewuerzen, Vanille, duftenden Blumen und Honig versetzt. Dieser Brei "_bouillie assez degoutante_", sagt Le Grand d'Aussy, hiess Chocolatl. Ob diese Bezeichnung von dem mexikanischen Namen der Pflanze Cacao oder Cacagnate, oder Choco (Schaum) und Atl (Wasser) abzuleiten sei, ist wohl unentschieden. Die Spanier, welche die Chocolade am Hofe des Montezuma kennen gelernt hatten, brachten sie bald nach Europa, und auch heute noch ist es Spanien, welches die groessten Mengen Chocolade verzehrt. Nach Florenz brachte Carletti die Chocolade mit, als er 1606 von weiten Reisen, die sich bis nach Westindien erstreckten, heimkehrte. Das warme Getraenk, das in Florenz aus Cacaomehl hergestellt wurde, verbreitete sich rasch ueber ganz Italien. Nach Frankreich kam die Chocolade 1615 mit Anna von Oesterreich, Gemahlin Ludwig's XIII. Zu einiger Geltung gelangte sie aber erst 1661, unter dem Einfluss von Maria Theresia von Spanien, Gemahlin Ludwig's XIV., die sich aber noch versteckte (wie die Duchesse de Montpensier in ihren Memoiren angibt), um ihre Chocolade zu trinken; der Genuss derselben musste somit als etwas Ungewohntes oder gar Verpoentes angesehen werden. Indessen schon 1671 konnte Frau von Sevigne an ihre Tochter schreiben: "_Vous ne vous portez pas bien, le chocolat vous remettra._" Freilich muss die Chocolade als Heilmittel ihre Wirkung versagt haben, denn in einem spaeteren Briefe wird sie als "_source de vapeurs et de palpitations_" angegeben. Andererseits vertheidigte ein Pariser Arzt, Namens Bachot, 1684 vor der Fakultaet eine These, in welcher er gutgemachte Chocolade als eine der edelsten Erfindungen pries, weit mehr wuerdig, als Nectar und Ambrosia, die Speise der Goetter zu sein. Derselben Ansicht muss auch Linne gewesen sein, der die Chocolade 1769 in den "_Amoenitates academicae_" behandelte und dem Cacaobaum den botanischen Namen "_Theobroma_", d. h. "Goetterspeise" gab. In England begann sich die Chocolade um 1625, annaehernd gleichzeitig auch in Holland, einzubuergern. Nach Berlin brachte Bontekoe, der Leibarzt des Grossen Kurfuersten, den Cacao mit. Friedrich der Grosse verbot die Einfuhr der Chocolade und beauftragte den Chemiker Markgraf, denselben, der Aehnliches fuer den Kaffee schon versucht, ein Surrogat aus Lindenbluethen an Stelle von Chocolade herzustellen, was aber nur schlecht gelang. Als die Spanier im sechzehnten Jahrhundert nach Peru kamen, war dort ein anderes Reizmittel in Gebrauch, das der Instinct der Eingeborenen herausgefunden hatte, naemlich das Cocain. Dieser Koerper gehoert ebenso wie das Coffein und das Theobromin zu den pflanzlichen Alcaloiden. Die Bewohner des Inkareiches kauten die Cocablaetter ganz so wie die Hindus die Betelnuss kauen und wuerzten diese Blaetter auch mit Asche der Quinoapflanze (_Chenopodium quinoa_) oder mit geloeschtem Kalk, so wie es fuer die Betelnuesse in Indien geschieht. Bei maessigem Genuss wirken die Cocablaetter anregend auf das Nervensystem ein, in zu grossen Mengen und fortdauernd gebraucht, werden sie verderblich. Es stellt sich dann ein Verfall aller koerperlichen und geistigen Faehigkeiten bei dem "Coquero" ein, der zu einem Vergleich desselben mit unseren Alkoholikern gefuehrt hat. Den Spaniern fielen zunaechst nur die ueblen Folgen des Cocakauens auf, sie suchten dasselbe durch Verordnungen und kirchliche Verbote in Peru einzuschraenken. Daher wohl die Cocablaetter nicht wie andere aehnliche Reizmittel ihren Einzug in die alte Welt hielten. Erst die 1884 von Koller in Wien gemachte Entdeckung, dass eine Aufloesung von Cocain ohne ueble Folgen die Hornhaut und Bindehaut der Augen eine Zeitlang unempfindlich macht, richtete die allgemeine Aufmerksamkeit auf dieses Alcaloid. Die Anwendung desselben bei Augenoperationen wurde allgemein; sie verbreitete sich auf andere Gebiete der Heilkunde als auch seine Faehigkeit, leicht zugaengliche sensible Nerven unseres Koerpers unempfindlich zu machen, erkannt wurde. Die Cocablaetter gehoeren einem Strauche an, der unserer Schlehe aehnlich ist, aber bedeutendere Groesse erreicht. Diese Blaetter sind lebhaft gruen gefaerbt und sehr duenn; sie haben eifoermige Gestalt und laufen spitz an ihrem Ende aus. Die gelblich weissen Bluethen fallen wenig in die Augen, da sie nur geringe Groesse besitzen. Die rothen, unseren Cornelkirschen nicht unaehnlichen Fruechte, leuchten hingegen aus dem Laub hervor. Der botanische Name der Pflanze ist _Erythroxylon coca_, sie bildet eine eigene kleine Pflanzenfamilie, die im Wesentlichen auf die artenreiche Gattung _Erythroxylon_ beschraenkt ist. Die Blaetter sind schwach aromatisch und besitzen einen angenehm bitterlichen Geschmack. Das Alcaloid, welches man aus denselben gewinnt, bildet farblose Krystalle, die sich nur wenig in Wasser, dagegen leicht in Alcohol und noch leichter in Aether loesen. Ein ganz besonderes culturhistorisches Interesse ist an den Gewuerznelkenbaum geknuepft, da er eine aeusserst markirte Rolle in der Geschichte des Gewuerzhandels gespielt hat. Der Gewuerznelkenbaum (_Eugenia caryophyllata_) gehoert zu den Myrtaceen wie die Myrten, Eucalypten, Guaiaven und Rosenaepfel, die wir in La Mortola sahen. Er ist ein immergruener Baum mit wohlgeformter Krone, der ueber zehn Meter Hoehe erreichen kann und lederartige, glaenzende, durchscheinend punctirte Blaetter besitzt. Die Bluethen stehen an den Enden der Zweige in doldenfoermigen Bluethenstaenden. Der vierkantige Bluethenstiel breitet sich am oberen Rande in vier dicke, kurze Kelchlappen aus. An der Ursprungsstelle derselben sind die Blumenkronenblaetter und die Staubfaeden befestigt. Erstere werden aehnlich wie bei Eucalyptus als Kappe abgeworfen, wenn sich die Bluethe oeffnet. Diesen Zeitpunkt wartet man aber nicht ab, sammelt vielmehr kurz zuvor schon die "Gewuerznelken", indem man sie mit den Haenden vom Baume pflueckt oder mit Bambusstaeben abschlaegt. Sie sind somit noch ungeoeffnete Bluethen eines myrtenartigen Gewaechses und haben mit den nur aehnlich duftenden Bluethen unserer Gaerten, die wir als Nelken bezeichnen, den Dianthus-Arten, sonst nichts gemein. Beim Trocknen veraendert sich die dunkelrothe Farbe in das bekannte Braun. - Die Gewuerznelken waren den Chinesen schon vor unserer Zeitrechnung bekannt. Im vierten Jahrhundert vor Christus gelangten sie nach Europa. Man glaubte bis zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, dass Java oder Ceylon ihre Heimath sei; thatsaechlich aber waren diese Inseln nur Stationen auf dem Wege des Gewuerznelkenhandels. Erst die Entdeckung der Molukken durch Varthema 1504 klaerte Europa ueber den Ursprung der Gewuerznelken auf. Mit den Molukken zugleich gelangte der Gewuerzhandel jener Inseln in die Haende der Portugiesen, dann ein Jahrhundert spaeter an die hollaendisch-ostindische Compagnie, welche die Production von Gewuerznelken und Muskatnuessen auf jede Weise zu monopolisiren suchte, ja sogar dieselbe, um sie besser ueberwachen zu koennen, auf nur wenige Inseln einschraenkte. Auf den uebrigen Inseln liess sie die Gewuerzbaeume ausrotten. Um die hohen Preise zu halten, brachte die Compagnie nur begrenzte Mengen des Gewuerzes auf den Markt, und als in Folge guter Ernten der Vorrath einmal, im Jahre 1760, zu stark anwuchs, wurde ein Theil desselben bei der Admiralitaet in Amsterdam verbrannt. Trotz strengster Ueberwachung von Seiten der Hollaender gelang es dem franzoesischen Gouverneur von Mauritius und Bourbon 1769 in den Besitz von Gewuerznelken- und Muskatbaeumen zu gelangen und sie auf seiner Insel anzupflanzen. Zwischen 1795 und 1802, als die Englaender die Molukken besetzt hielten, sorgten sie auch dafuer, dass die Cultur der Gewuerzbaeume sich ueber die Grenzen dieser Inseln hinaus verbreite. Jetzt hat sich ihre Cultur ueber die tropischen Laender weit ausgedehnt, auf den Molukken selbst ging der Anbau der Gewuerznelkenbaeume ganz zurueck, und nur die Muskatbaeume werden dort noch im grossen Massstab gepflegt. Die Muskatbaeume, die mit den Gewuerznelkenbaeumen stets zusammen genannt werden, gehoeren zu der Gattung _Myristica_, die den Lorbeergewaechsen sehr nahe steht. Der wichtigste Muskatbaum ist _Myristica fragrans_, der in seinem Aussehen an unsere Birnbaeume erinnert. Er besitzt eine rundliche Krone und dichte Belaubung. Seine Bluethen sind weiss oder gelblich und gleichen auffallend denjenigen unserer Maiblumen. Da sie klein sind, so fallen sie freilich nicht in die Augen. Das thun hingegen die hellgelben, aprikosenaehnlichen Fruechte, die der Baum gleichzeitig traegt. Diese Fruechte springen bei voller Reife auf und dann leuchtet ein carmoisinrother Samenmantel aus ihrem Innern hervor. In Gestalt einer zerschlitzten Huelle umgibt er den schwarzbraunen, als Muskatnuss bekannten Samen. Er selbst wird faelschlich als Muskatbluethe bezeichnet. Auch der Zimmet war einst ein Monopol der Portugiesen, hierauf der niederlaendisch-ostindischen Compagnie und ging auf die englisch-ostindische ueber, als England 1796 Besitz von Ceylon ergriff. Wie Zimmet, Gewuerznelken und Muskatnuss in der niederlaendischen Geschichte, so spielte der ostindische Pfeffer einst eine nicht unbedeutende Rolle in der Geschichte Venedigs. Namentlich aus Ruecksicht auf diesen Pfeffer lag Venedig daran, das rothe Meer und Aegypten sich offen zu halten. Unmengen von Pfeffer wurden in Venedig, in dem Fondaco de' Tedeschi, an die Deutschen verhandelt. Im Mittelalter herrschte, wie Flueckiger besonders hervorhebt, eine kaum mehr verstaendliche Gier nach Pfeffer, der schliesslich fast die Bedeutung eines ueberall gangbaren Zahlmittels erlangte. Im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert nahm er entschieden den ersten Rang unter den Gewuerzen ein; er stand so hoch im Preise, dass aermere Klassen von dem regelmaessigen Gebrauch desselben absehen mussten und "_cher comme poivre_" sprichwoertlich wurde. Diese Sucht nach Gewuerzen kam, wie Le Grand d'Aussy erzaehlt, von den vielen schwer verdaulichen Speisen, welche man damals zu geniessen pflegte. Es gab raffinirte Gourmands, welche Gewuerze bei sich fuehrten, um nach eigenem Geschmack die Speisen bei Tische sich mundgerecht zu machen. Regnard bezeichnet solche Esskuenstler als "_Docteurs en Soupers_". Aus der Geschichte des Levantehandels im Mittelalter von Wilhelm Heyd geht hervor, dass zu den verbreitetesten Specereien damals auch der Ingwer gehoerte, und dass er fast eben so stark begehrt war wie der Pfeffer. Diese Pflanze, deren Heimath in Ostindien liegt, kann man im Garten von La Mortola sehen. Ihre bis zu einem Meter hohen gruenen Sprosse entspringen dem wohlriechenden Wurzelstock, der im Boden versteckt ist. Die Sprosse erinnern an die in unseren Gaerten cultivirten Canna-Arten und tragen wie diese, in zwei Reihen angeordnete, doch wesentlich schmaelere Blaetter. Am Gipfel schliessen sie, falls sie zur Bluethe kommen, mit dichtgedraengten Hochblaettern ab, aus deren Achseln gelb- und violettgefaerbte Bluethen entspringen. In La Mortola blueht freilich der Ingwer nicht, und auch in Asien kommen nur selten bluehbare Stengel zur Entwickelung. Stuecke des Wurzelstockes sind es, die, geschaelt oder ungeschaelt, als Ingwer in den Handel gelangen. Der aus China eingefuehrte in Zucker gekochte Ingwer stammt von zarten, sorgfaeltig geschaelten Wurzelstoecken. Eingemachter Ingwer wurde schon im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in irdenen Toepfen nach Italien eingefuehrt, doch war Marco Polo der erste Europaeer, der auf seinen Reisen in China und Indien von 1280-1290 die Pflanzen zu sehen bekam. Dieser mit Recht hochberuehmte Reisende des Mittelalters erwarb sich ueberhaupt sehr grosse Verdienste um die Erforschung von China, weshalb ihm der Besitzer von La Mortola, der selbst laengere Zeit im "Reich der Mitte" lebte, in der Eingangshalle seiner Villa ein glaenzendes, von Salviati in Venedig als Glasmosaik auf Goldgrund ausgefuehrtes Brustbild widmete. Da freilich von Marco Polo ein authentisches Bildniss nicht bekannt ist, blieb es der Phantasie des Kuenstlers ueberlassen, wie er sich ihn vorstellen wollte. IX. Wer den Weg von Mentone nach Nizza auf der vielgeruehmten Route de la Corniche zuruecklegen will, sollte dies nur bei voellig klarem Wetter thun. Denn unter den grossen Eindruecken dieser Bergstrasse darf die Aussicht landeinwaerts in die schneebedeckten Seealpen nicht fehlen. Im Fruehjahr sind die Berge meist von Wolken bedeckt und so dem spaehenden Auge verborgen. Die Route de la Corniche ist an schoenen Fruehlingstagen von unvergleichlicher Wirkung. Sie faengt an bei Roccabruna zu steigen und folgt dann in unzaehligen Windungen dem Abhang. Das eine Mal wendet sie sich landeinwaerts, als wolle sie den Berg durchbohren, das andere Mal schlaegt sie die Richtung nach dem Meere ein, als stuerze sie sich in die Fluthen. Fort und fort wechseln die Bilder. Abwaerts taucht der Blick in die gruenen Thaeler und trifft immer neue Einschnitte der Kueste; aufwaerts wird er begrenzt durch die maechtigen Kuppen der Berge. Wo diese auseinandertreten, da tauchen, wie mit einem Zauberschlag, die schneebedeckten Haeupter der Seealpen in der Ferne auf. - Den hoechsten Punkt hat die Corniche bei La Tourbie, der alten _Trophea_ oder _Turris in via_, etwa 500 Meter ueber dem Meere erreicht. Die Corniche folgt der alten roemischen Strasse; Napoleon I. war es, der sie im Jahre 1805, so wie sie heute ist, ausbauen liess. Jetzt ist die Tourbie sogar durch eine Zahnradbahn mit Monte Carlo verbunden. Einst lief hier die Grenze, welche Gallien von Italien schied. Der weit sichtbare, aus maechtigen Truemmern aufsteigende Thurm, der als Thurm des Augustus bekannt ist, trotzt noch immer der Zeit. Mit seinen zackigen Zinnen, erst im vierzehnten Jahrhundert erbaut, ging er aus den Quadern des gewaltigen Denkmals hervor, das hier der Senat und das roemische Volk dem Octavian errichten liessen, als die Schlacht bei Actium ihn zum Herrn der Welt machte. Plinius hat uns die Inschrift bewahrt, welche das Denkmal auf seinen vier Seiten trug. Ausser der Widmung an den _Caesar Imperator_ standen da die Namen von vierundvierzig Alpenvoelkern verzeichnet, welche unter roemisches Joch gebeugt worden waren. Ein Standbild des Kaisers kroente das Denkmal, das, alter Schilderung nach zu urtheilen, grossartig gewesen sein musste. Trotzdem schonten es die spaeteren Zeiten nicht. Die Longobarden begannen seine Zerstoerung. Die Saracenen gestalteten es zur Festung. Dann schoepften Jahrhunderte lang die Bewohner von La Tourbie aus den Truemmern, wie aus einem Steinbruch, die Steine zum Bau ihrer Kirche und ihrer Haeuser. Im zwoelften Jahrhundert holten die Genueser hier Marmor zum Schmucke ihrer Bauten, und was dann noch verblieb, wurde am Hochaltar in der alten Kathedrale von Nizza verwandt. - Von La Tourbie aus sieht Monte Carlo mit all seinem Glanz und Elend nur wie ein unschuldiges Kinderspielzeug aus. An den Ernst des Lebens wird man aber auch in dieser Hoehe durch alle die Festungswerke gemahnt, welche Frankreich auf den Berggipfeln errichtet hat. Selbst der hoechste Berg ueber Monte Carlo, der 1150 Meter hohe Mont-Agel, dessen Gipfel weithin das ganze Land beherrscht, hat jetzt einen Kranz von Redouten erhalten. Als Glanzpunkt der Corniche erscheint mir die Stelle, an welcher Eza auf schroffem Fels, mitten in der Landschaft, emportaucht. Welche gewaltige Kraft war noethig, um in so schwindelnder Hoehe, so unvermittelt zwischen Himmel und Erde, aus maechtigen Quadern Burgen zu erbauen! Von Abgruenden umgeben, vor jeder Ueberraschung sicher, haben nach einander nizzardische und piemontesische Geschlechter in dieser Burg geherrscht. Armselige Haeuser suchten Schutz an den befestigten Mauern, und auch heut noch stehen sie da und draengen sich um die zerfallenen Ruinen. Die alte Pracht verschwand von dieser Staette: das Elend ist geblieben. Von aussen aber vergoldet es die strahlende Sonne des Suedens und hebt den stolzen Felsen majestaetisch ab gegen den blauen Hintergrund des Meeres. Nizza wird immer groesser, verliert den urspruenglichen, italienischen Charakter, nimmt ganz denjenigen einer eleganten, cosmopolitischen Stadt an und amuesirt sich ohne Unterbrechung. Endlos folgen im Winter Redouten, Blumenschlachten, Regatten, Pferderennen auf einander. Wie eigen dieser Trieb zum Vergnuegen, der sich hier auch der einheimischen Bevoelkerung bemaechtigt hat! Denn kaum hat ein Ort gleich schwere Schicksale im Laufe der Zeiten erlebt. Unzaehlige Male wurde die Stadt gepluendert und verwuestet durch Gothen, Longobarden, Saracenen und Provencalen. Frankreich eroberte sie wiederholt, um sie zu verlieren und wieder zu gewinnen. Sie wurde von der Pest heimgesucht, durch starke Kaelte ihrer Oliven- und Orangenbaeume mehrfach beraubt, von afrikanischen Heuschrecken haeufig ueberfallen. Daher vielleicht der Leichtsinn, der sich seiner Bevoelkerung bemaechtigt hat und der den Grund dazu legte, dass Nizza zu einer Metropole der schalen Vergnuegungen aufwuchs. Mein Ziel war Nizza nicht, vielmehr das Cap d'Antibes, ein Ort, den ich schon vor vielen Jahren liebgewonnen hatte. Ein Aufsatz von George Sand, in der "_Revue des deux mondes_" vom Jahre 1868, machte mich mit den Schoenheiten dieses Vorgebirges zuerst bekannt. George Sand besuchte auf demselben den schoenen Garten des hervorragenden franzoesischen Botanikers Thuret und war von der Aussicht ganz hingerissen, die man von dort genoss. Dass das Cap trotzdem so unbeachtet blieb, haengt mit seiner exponirten Lage zusammen, die es zum Aufenthaltsorte fuer Lungenleidende wenig geeignet macht. Das Cap ist in das Meer weit vorgeschoben und daher den Winden ausgesetzt; auch sieht man von demselben die Schneealpen, und ist demgemaess auch nicht gegen den kalten Luftstrom geschuetzt, der von denselben kommt. Auch fehlte es am Cap bis vor Kurzem an einem guten Unterkommen, das den Reisenden zum laengeren Bleiben haette einladen koennen. - Ich halte das Cap d'Antibes fuer einen der Glanzpunkte der Riviera. Wer dessen Herrlichkeit in ganzer Fuelle gleich geniessen will, der besteige den Huegelruecken, der die Seelaterne und das bescheidene Kirchlein _Notre-Dame de Bon-Port_ traegt. Der Anblick, den man dort bei klarem, sonnigem Wetter geniesst, ist geradezu ueberwaeltigend. Das Cap d'Antibes setzt sich so weit fort in das offene Meer, dass man von ihm aus, wie von einem Schiffe, das Land ueberblickt. Es trennt den Golf Jouan von der Baie des Anges und beherrscht so gleichzeitig die beiden Buchten. Im Westen wird das Bild von dem Esterel-Gebirge abgeschlossen, das in reicher Gliederung ganz unvermittelt aus dem Meere aufsteigt. Das Esterel erinnert in seinen Umrissen an das Siebengebirge, den Stolz unseres Rheinlandes, was sich aus dem vulkanischen Ursprung beider Gebirgszuege erklaert. Das vom Cap d'Antibes eine Stunde weit entfernte Cannes wird durch die Landenge der Croisette verdeckt, frei liegt hingegen vor ihm im Meere die Lerinische Insel St. Marguerite. Deutlich erkennt man auf ihr das Fort, in welchem einst der mysterioese "_homme au masque de fer_" und neuerdings Bazaine eingekerkert waren. Es folgt an der Kueste ein Ort auf den andern. Zunaechst das Staedtchen Golfe Jouan, in dessen wohlgeschuetztem Hafen das franzoesische Mittelmeer-Geschwader liegt. Zahlreiche Villen und Gaerten decken die gruenen Huegel, die sanft gegen das Meer abfallen. Nach Suedwesten hin streckt das Cap d'Antibes noch einen Seitenarm in die Fluthen, und dieser traegt ein kleines Fort und das Grand Hotel. Gegen Sueden verliert sich der Blick in dem weiten Meer; gegen Osten kann er der Kueste bis jenseits Bordighera folgen, wo diese endlich in dem Blau der Ferne schwindet. Im Halbkreis reihen sich an der Bai des Anges die Haeuser von Nizza aneinander und versuchen es auch, die angrenzenden Huegel zu erklimmen. Im Vordergrund zeichnet sich grell das alte Antipolis, noch im mittelalterlichen Gewande, von steilen Mauern und Laufgraeben umgeben und von dem malerischen Fort Carre beherrscht, das es zu Vaubans Zeiten erhielt. Nach Norden thuermen sich Berge auf Berge, um endlich in den schneebedeckten Alpen ihren verklaerten Abschluss zu finden. So zeigt dieses Bild all das Erhabenste wieder vereinigt, was die Natur uns zu bieten vermag. Und wie wirkungsvoll zugleich ist der Gegensatz zwischen der unbegrenzten Flaeche des Meeres und den bewegten Umrissen der himmelstuermenden Bergriesen; wie zart vermittelt die azurne Farbe des Wassers und das matte Gruen der Kueste, wie schroff abgesetzt das glaenzende Weiss der Schneefelder von dem dunkeln Blau des Himmels! Wie athmet man frei in dem weiten Raum, welchen der Blick hier umfasst; wie fuehlt man sich gelaeutert durch die hehren Bilder, die sich in der Seele spiegeln! Das kleine Kirchlein Notre-Dame de Bon-Port ist mit manchem _ex voto_ geschmueckt. Ringe und Ketten von Schiffen, kleine aus Holz geschnitzte Kaehne, die an den Waenden haengen, deuten den Dank Jener an, denen es gelang, sich aus stuermischer See zu erretten. Am 8. Juli eines jeden Jahres ziehen die Schiffer von Antibes barfuss den Huegel hinauf und holen das Standbild der Mutter Gottes herab, um es in gleichem Aufzuge am naechsten Sonntag von Antibes wieder hinauf zu tragen. Ueber das Grand Hotel du Cap d'Antibes bildete sich ein ganz eigener Mythos. Es hiess, de Villemessant, der einst so bekannte Redacteur des "Figaro", haette den Bau veranlasst, um ein Heim fuer Schriftsteller und Kuenstler zu schaffen. Dieselben sollten dort vereint ihren Arbeiten obliegen und durch die herrliche Umgebung zu bedeutendem Schaffen angeregt werden. Dieser Mythos war aber nur eine "_Blague_", durch entsprechende Zeitungsartikel veranlasst und durch eine "Expedition" grossgezogen, die die Redaction des "Figaro" in diese Gegend unternahm. Auch scheint das treibende Motiv nur das gewesen zu sein, eine neue Station an der Riviera zu entdecken, von gleicher Rentabilitaet wie das rasch aufbluehende Cannes. Man wollte es Lord Brougham nachmachen, von welchem der Reisebericht des "Figaro" vom 25. April 1867 erzaehlt, dass er die Stadt Cannes entdeckt habe - entdeckt insofern, als er dort Grundstuecke zu 5 Sous den Meter vorfand, die sich bald zu 60 Francs verkauften. Der "Figaro" liess es aber bei den schoenen Plaenen bewenden, und die projectirte "Villa Soleil" kam nicht zu Stande; wohl aber liess ein Russe, der das Cap d'Antibes schon bewohnte, sich bestimmen, das grosse Hotel du Cap zu erbauen. Das Unternehmen missglueckte, ein Paechter folgte dem andern, bis endlich das Haus geschlossen wurde. Erst jetzt, wo die Zahl der Reiselustigen so bedeutend zugenommen hat, stellen sich guenstigere Bedingungen fuer das Unternehmen ein. Das Hotel kam in sorgsame und geschickte Haende und wird sich voraussichtlich weiter gut entwickeln. Seine Lage ist einzig schoen. Aus den Fenstern der Vorderseite hat man den vollen Blick auf den Golfe Jouan und das Esterel-Gebirge, waehrend die Fenster der Rueckseite nach den schneebedeckten Alpen schauen. Ein grosser Garten umgibt das Gebaeude und reicht bis zum Meer hinab. Er verliert sich in dem duftigen mediterranen Gestruepp, und wo dieses aufhoert, setzen nackte, zerrissene Felsen die schmale Landzunge fort. Unaufhoerlich waelzt das Meer seine Wogen gegen diese Felsen, und heftiger Sturm jagt den Schaum der Wellen ueber dieselben hinweg. In tausend Klippen sind die steilen Abhaenge des Caps zerrissen, bilden phantastische Stufen, Grotten, Buchten und Verstecke, und zu jeder Tagesstunde laesst sich an dem jaehen Absturz eine Stelle finden, an der man, vor der Sonne und meist auch vor dem Winde geschuetzt, mit einem Buche in der Hand, sich niederlassen kann. Gelesen wird freilich kaum, denn die blauen Wellen schlagen fort und fort gegen die Steine und stoeren durch ihr Plaetschern. Einmal beruehren sie den Fels nur sacht, so dass man sie kaum hoert, dann wieder schwellen sie an und plaudern so laut, als wollten sie vernommen werden. Zuweilen rollt die schwellende Fluth dicht heran, dann flieht sie wieder, und unwillkuerlich folgt das Auge ihr nach. So lassen sich Stunden auf Stunden vertraeumen an dem steinigen Strande von Antibes, und unbemerkt verfliegt ein Tag nach dem andern. Die Nerven ruhen aus und sammeln neue Spannkraft fuer die gesteigerten Anforderungen der Zeit. - Ebenso wonnig wie auf seeumspuelten Felsen lagert es sich zwischen den duftenden Straeuchern des Strandes mit dem blauen Zeltdach des Himmels ueber dem Haupte und einem begrenzten Stuecke azurnen Meeres zur Seite. Man hat eine Decke ueber Myrten oder Rosmarinstraeucher ausgebreitet und ruht nun wie auf einem Polster. Gewiss gehoert es mit zu den hohen Reizen dieses bevorzugten Ortes, dass man aus dem Garten unmittelbar in die volle, reine, unverfaelschte Natur gelangen kann. Denn die wohlriechenden Straeucher, die hier den Strand bedecken, sind nicht von Menschenhand gepflanzt. Sie bilden einen Vegetationstypus, der fuer das Mittelmeergebiet bezeichnend ist und den Namen _Maquis_ fuehrt. Immer mehr weichen diese Maquis der Cultur, namentlich an dieser stark bevoelkerten Kueste. Ueber groessere Flaechen ausgedehnt, findet man sie hier noch im Esterelgebirge. In voller Prachtentfaltung treten sie dem Reisenden erst auf Corsica entgegen. Der Charakter dieser Maquis wird durch immergruene Straeucher bestimmt. Selbst eine Anzahl baumartiger Gewaechse nimmt in den Maquis Strauchform an. Bei der grossen Mehrzahl dieser Straeucher ist die Laubentwickelung eingeschraenkt worden, ja zum Theil geschwunden. Das Alles befaehigt diese Pflanzen, langanhaltende Duerre auszuhalten. Im Fruehjahr, wenn die noethige Bodenfeuchtigkeit zur Verfuegung steht, kommen sie gleichzeitig zur Bluethe und zaubern dann, auf sonst duerrem Boden, ueppige Gaerten hervor. Es walten in den Maquis die aromatischen Gewaechsarten vor. Aus jedem Strauch, den man streift, befreit man ganze Stroeme von Wohlgeruechen. Dem Boden, den man tritt, entlockt man eine Fuelle fluechtiger Essenzen: Rosmarin, Thymian, Lavendel, Cistusrose, Myrte und Pistacie mischen ihre Duefte und erfuellen mit ihnen die Luft. Die Faerbung der Maquis ist eine braeunlich-gruene, und erst die Bluethen beleben den einfoermigen Ton. Sie treten auf in massenhafter Fuelle. Das zarte Blau der Rosmarinbluethe gesellt sich dann dem grellen Gelb der Ginster, die helle Farbe der Cistroeschen dem dunkeln Violett der Lavendel. Auf Corsica scheinen die Abhaenge ein einziger Bluethenstrauss um jene Zeit zu sein, und der Wanderer wird von dem Duft berauscht, der diesem Bluethenmeer entstroemt. Nicht ohne Grund behaupten die Schiffer, dass man Corsica im offenen Meere schon aus weiter Ferne *riechen* koenne, und nach jenem wuerzigen Duft seiner Heimathsinsel sehnte sich auch Napoleon zurueck auf St. Helena, vor seinem Ende. Was noch von den Maquis am Cap d'Antibes erhalten blieb, ist freilich wenig, und doch kann man selbst auf jener kleinen Landzunge vor dem Garten des Grand Hotel fast alle die Arten zusammenlesen, welche den Typus der Maquis bestimmen. Unter den strauchartigen Formen faellt zunaechst der Rosmarin durch seinen Duft, seine blauen Lippenbluethen und seine steif linealen, unterseits weiss-filzigen Blaetter auf. Man begegnet ihm dort ueberall. Das wohlriechende Oel verfluechtigt sich, wenn man seine Blaetter zerreibt. Diese Pflanze zieht man auch bei uns in den Gaerten, besonders fuer die Bienen, deren Honig sie ein feines Aroma verleiht. Ihre Verbreitung noerdlich von den Alpen wurde durch das Capitulare Karl's des Grossen 812 gefoerdert, welcher die Anpflanzung des "_ros marinus_" in den kaiserlichen Gaerten befahl. Im Alterthum hat man den Rosmarin viel zum Winden von Kraenzen benutzt und schmueckte mit diesen die Bildsaeulen der Laren. Im Mittelalter bemaechtigte sich die Symbolik dieses immergruenen, duftigen Gewaechses, und es wurde zum Sinnbild der Liebe, der Treue und des Todes. Als Sinnbild der Treue gilt es auch bei Shakespeare, der die wahnsinnig gewordene Ophelia sagen laesst: "Da ist Vergissmeinnicht, das ist zum Andenken: ich bitte Euch, lieber Herr, gedenket meiner - und da ist Rosmarin, das ist fuer die Treue." Neben dem Rosmarin steht am Strande von Antibes ueberall der Thymian. Er haelt sich am Boden, ueber und ueber bedeckt mit kleinen rosafarbigen Bluethen. Etwas hoeher steigt an reich verzweigten Staemmchen ein anderer Lippenbluethler auf, die _Lavandula Stoechas_, und streckt ihre violetten Bluethenaehren zwischen den schmalen, weichfilzigen Blaettern empor. - Zahlreich draengen sich aneinander die Ciststraeucher. Sie erreichen hier kaum ueber einen halben Meter Hoehe und tragen an reich verzweigten Aesten ihre braeunlich-gruenen, klebrigen Blaetter. Die Art mit kleineren weissen Bluethen ist _Cistus monspeliensis_; die andere mit weit groesseren rosenrothen Bluethen, _Cistus albidus_. Die weissen wie die rosenrothen Cistroeschen sind aeusserst zart, in der Knospe zusammengeknittert, mit zahlreichen gelben Staubfaeden in der Mitte verziert. Sie welken aeusserst rasch, wenn man sie pflueckt, doch entfalten sich an Zweigen, die man in Wasser stellt, alsobald neue Bluethen. Die Ciststraeucher tragen nicht wenig dazu bei, den Maquis von Antibes einen charakteristischen Geruch zu verleihen. Das Gummiharz, welches einige suedeuropaeische Cistus-Arten ausschwitzen, war unter dem Namen Ladanum oder Labdanum frueher ein beruehmtes, von griechischen Aerzten viel benutztes Heilmittel. Heute wird es nur noch zum Raeuchern verwendet. - Wer aufmerksam den Boden zwischen den Cistroeschen durchsucht, kann ein eigenthuemliches Gewaechs dort finden, einen Parasiten, der aus den Wurzeln der Cistroeschen seine Nahrung zieht. Er faellt durch seine brennend gelb-rothe Faerbung auf und heisst _Cytinus hypocistis_. Gruene Blaetter fehlen ihm; er hat sie eingebuesst, da er sich nicht mehr selbstaendig zu ernaehren braucht. Die Rafflesiaceen, zu denen dieser Cytinus gehoert, sind im Uebrigen Tropenbewohner. Sie leben parasitisch und entwickeln dabei zum Theil riesig grosse Bluethen. Die groesste Bluethe der Welt wird von einer solchen Rafflesiacee, der _Rafflesia Arnoldi_, erzeugt, welche auf Sumatra den Wurzeln gewisser Cistus-Arten aufsitzt. Diese Bluethen koennen einen Meter im Durchmesser erreichen. - Den Cistroeschen nahe verwandt sind die Sonnenroeschen, Helianthemum-Arten, die auch unserer Flora nicht fehlen und in den Maquis hier und dort mit ihren zarten schwefelgelben Bluethen am Boden hervorschauen. - Wesentlich hoeher als selbst die Cistroeschen wird ein stark bewaffneter Strauch mit gelben Schmetterlingsbluethen, die _Calycotome spinosa_. Diese verdient es wohl, eine nahe Verwandte der _Genista acantoclada_, jener Tartarusgeissel zu sein, deren wir frueher erwaehnten. Sie ist mit dornartigen, scharfen Seitenaesten so dicht besetzt, dass man sie sorgfaeltig in den Maquis meiden muss. Weniger unzugaenglich ist die nah verwandte Besenpfrieme (_Spartium junceum_), ein fast blattloser Strauch mit rutenfoermigen gruenen Aesten und grossen gelben Bluethen. Aus diesen Binsenpfriemen werden Koerbe, Netze, ja selbst Schuhe geflochten, der Bast wird zum Binden benutzt, auch eine Art Leinwand aus ihm dargestellt. Sehr haeufig in den Maquis ist die Mastix-Pistazie (_Pistacia Lentiscus_). Hier tritt sie nur als Strauch auf, waehrend sie unter anderen Bedingungen auch zum Baume emporwachsen kann. Einen solchen schoenen Lentiskenbaum, mit dichter, schirmfoermiger Krone, kann man unweit vom Hotel, im Garten einer Villa von der Strasse aus bewundern, die nach Golfe Jouan fuehrt. Die dunkelgruenen, paarig gefiederten, lederartig zaehen, oberseits glaenzenden Blaetter sind fuer _Pistacia Lentiscus_ charakteristisch; es zeichnet sie ausserdem ein besonderer harziger Geruch aus. Die an sich sehr kleinen Bluethen fallen schon aus der Ferne auf, weil sie in dunkelrothen Trauben bei einander stehen. Dieses Gewaechs liefert den altberuehmten Mastix, doch kann derselbe nicht aus dem Strauchwerk der Maquis, sondern nur aus sorgsam cultivirten Mastixbaeumen gewonnen werden. Diese gedeihen am Besten auf der Insel Chios und haben dieser Insel sogar den Namen der Mastix-Insel verschafft. Das Harz, welches aus kuenstlich ausgefuehrten Einschnitten, doch auch von selbst aus den Zweigen hervortritt, findet seine hauptsaechliche Verwendung im Orient, wo es gekaut wird, aehnlich wie die Blaetter des Betelpfeffers in Indien. Es heisst, dass Mastix das Zahnfleisch festige und den Athem parfuemiere. Vornehme tuerkische Frauen bringen den ganzen Tag mit Mastixkauen zu. Bei uns wird wohl auch Zahnpulver aus dem Mastix bereitet, vornehmlich aber dient er zum Raeuchern und zur Firnissbereitung. Fremdartig muthet den Nordlaender das Wolfsmilchbaeumchen, _Euphorbia dendroides_, an, da wir doch unsere Wolfsmilcharten nur zu sehr bescheidener Hoehe emporwachsen sehen. Diese Euphorbia-Baeumchen koennen an der Riviera zwei Meter Hoehe erreichen und Staemme bilden, die man mit beiden Haenden kaum zu umfassen vermag. Die Pflanze gabelt sich fort und fort waehrend ihres Wachsthums und bildet eine gewoelbte Scheindolde, die durch ihre gelbe Faerbung von Weitem schon in die Augen faellt. Sie ist eine der eigenartigsten Pflanzenformen der Riviera. Man findet sie in den Maquis und auch sonst durch das Land zerstreut. Schon Dioskorides und Plinius war sie aufgefallen. Zur Zeit der Sommerduerre wirft sie ihre Blaetter ab und steht kahl da, wie unsere Gewaechse im Winter. Das Volk an der Riviera streut diese Wolfsmilchart ins Wasser, um die Fische zu betaeuben, und ueber einen aehnlichen Brauch wird auch aus Griechenland berichtet. - Bedeutend steht diesem Wolfsmilchbaeumchen an Groesse eine andere Wolfsmilchart nach, die in den Maquis sich als niedriger Busch am Boden haelt, die _Euphorbia spinosa_. Sie ist gelb gefaerbt, wie die grosse Art und fuehrt den Namen nach den abgestorbenen Zweigen, die in harte Spitzen auslaufen. - An ihren fleischigen, kleinen, dicht gedraengten Blaettern, ihren weissbehaarten, ueberhaengenden Zweigen, den kleinen, gelben, unscheinbaren Bluethen ist eine sonst seltene Thymelaeacee, die _Passerina hirsuta_, kenntlich. Auch die baumartige Heide, _Erica arborea_, fehlt nicht in den Maquis am Cap. Sie schmueckt im Fruehjahr ihre Zweige so dicht mit den kleinen glockenfoermigen Bluethen, dass sie aus der Ferne ganz weiss erscheint. Der Erdbeerbaum (_Arbutus Unedo_) ist hier auch, doch nicht zahlreich, vertreten; seine erdbeerartigen Fruechte werden auf den Maerkten der Riviera feil geboten. Im Aussehen gleicht er der Heide kaum, entstammt aber doch derselben Familie. Die Uebereinstimmung liegt nicht im Laub, wohl aber in den glockenfoermigen Bluethen, die im Uebrigen groesser sind und in roethlich weissen Rispen abwaerts haengen. Die immergruenen Blaetter sind eifoermig, am Rande stark gezaehnt; sie sehen wie Lorbeerblaetter aus. Die Fruechte reifen sehr langsam; man findet sie oft, mit neuen Bluethen zusammen, noch am Baume. Sie schmecken suesssaeuerlich, doch fade, daher auch Plinius ihren Namen "_Unedo_" von "_unum tantum edo_" (nur eine esse ich) ableitete. Dem roemischen Volke dienten Arbutuszweige als Zaubermittel. Mit ihnen wurden dreimal die Pfosten und Schwellen der Thueren beruehrt, um vampyraehnlichen Geschoepfen den Eingang zu wehren, die des Nachts den Kindern in der Wiege das Herzblut aussaugen sollten. Ein Zweig des glueckverheissenden Weissdorns im Fenster des Schlafgemachs hielt auch die Unholde ab. Ueberall draengt sich in die Maquis die immergruene Steineiche, _Quercus Ilex_, ein. Sie bleibt dort strauchartig. Ihre eifoermigen, vorn zugespitzten Blaetter sind an der Unterseite grau und an diesem Merkmal von den benachbarten Straeuchern zu unterscheiden. Die scharfe Zaehnelung des Blattrandes kann auch fehlen. Ausserhalb der Maquis ist die immergruene Steineiche ein maechtiger Baum. Aus ihrem Laube wurde im alten Rom die Buergerkrone geflochten, von der Plinius sagt, sie ueberstrahle alle anderen Kraenze, selbst die kostbarsten, an Wuerde. An einzelnen Straeuchern der Maquis klettert eine zarte Spargelart (_Asparagus acutifolius_). Der holzige, biegsame Stengel, der an abstehenden blattlosen Seitenaestchen kleine nadelfoermige Zweige traegt, welche die Stelle der Blaetter vertreten, wird viel zu Guirlanden benutzt, und oefters findet man an der Riviera Spiegel und Kronleuchter der Wohnraeume von solchem Spargelkraut umwunden. Die jungen Triebe dieser Asparagus-Art geniesst man wie unseren Spargel. In Sicilien werden in aehnlicher Weise als "Spargel" die jungen, wohlschmeckenden, schon im Alterthum geschaetzten Triebe des stechenden Maeusedorns (_Ruscus aculeatus_) verzehrt. Zu den Charakterpflanzen der Maquis gehoert ferner der Phillyreastrauch (_Phillyrea angustiflora_), daher ich ihn nicht uebergehen darf. Er erreicht ein bis zwei Meter Hoehe und ist durch seine auswaerts gerichteten, lineal-lanzettlichen, lederartigen Blaetter und die kleinen, weisslichen, in sehr kurzen Trauben zusammengedraengten Bluethen ausgezeichnet. Dieser Strauch gehoert zu derselben Familie wie der Oelbaum, dem er auch ein wenig aehnelt. - Botanisch sehr interessant als Vertreter der Cneoraceen, ist ein Strauch mit glaenzenden gruenen, lanzettfoermigen Blaettern und kleinen, gelben Bluethen, die zu zwei bis drei an den Enden der Zweige stehen: _Cneorum tricoccum_. Seiner eleganten Tracht wegen wird er auch in den Gaerten der Riviera vielfach cultivirt; man sieht ihn sogar in den so raffinirt gehaltenen Casinogaerten von Monte Carlo einen, wenn auch bescheidenen, Platz einnehmen. Die mit grossen, rothfarbigen Scheinbeeren beladene Wachholderart der Maquis ist _Juniperus oxycedrus_. Ihre Scheinbeeren werden im Orient und in Griechenland ganz wie die Scheinbeeren unseres Wachholders verwandt. Das Holz widersteht sehr gut der Luft und den Wuermern und diente im Alterthum vielfach zur Darstellung von Goetterbildern. - An offenen Stellen strebt vom Boden empor _Globularia Alypum_ und traegt an den Enden der Zweige schoene blaue Bluethenkoepfchen. - Wird der Boden so unfruchtbar, dass er andere Gewaechse nicht zu ernaehren vermag, so deckt ihn in dichtem Rasen die _Caldonia alciornis_, eine graue Flechte, die auch sonst ueber Europa, ueber Nordafrika, Nordamerika und einen Theil von Asien verbreitet ist. Ueberall in den Maquis von Antibes begegnen wir der Myrte und der Strauchform des Oelbaums. Der Oelbaum passte sich wie die Steineiche den Maquis an und wurde zum Strauch. Er veraenderte sich so stark, dass ihn schon die Alten in dieser Form als Oleaster unterschieden. Der Oleaster wie die Myrte wagen sich ganz besonders weit an dem Strande vor. Sie trotzen dem heftigsten Seewind und werden von ihm so abgerundet, als haette sie Menschenhand geformt. Ein Theil ihrer Zweige ist an der Seeseite kahl, zuweilen wirklich abgestorben. Die Zweige des Oelbaums, ein Sinnbild des Friedens, nehmen am Oleaster, in so exponirter Lage, dornartige Gestalten an. Sie spitzen sich zu, ragen so als scharfe Waffen an der Seeseite vor und machen den Strand dort unzugaenglich. An der Landseite bewahrt die Pflanze gleichzeitig ihren friedlichen Charakter. Dieser unmittelbare Einfluss der Medien kommt auch in der Ausbildung der Blaetter zum Ausdruck, die an der Seeseite sehr klein bleiben, an der Landseite weit bedeutendere Groesse erreichen. - Bis zuletzt begleitet die Straeucher der Maquis am Strande die "italienische Stechwinde" (_Smilax aspera_) und findet Schutz zwischen ihren Zweigen. Blaetter und Stengel dieser Schlingpflanze sind mit Stacheln besetzt, die ihr das Klettern erleichtern. Im Fruehjahr ist die Stechwinde mit rothen Fruchttrauben geschmueckt. Nach Bluethen muss man im Herbst suchen. Diese duften sehr lieblich; daher wurde bluehende Stechwinde im Alterthum, mit Epheu in Kraenze gewunden, oft bei Bacchusfesten verwendet. Diese Aufzaehlung mag genuegen, um Denjenigen, der Freude hat an den Erscheinungen der Pflanzenwelt, in das Leben der Maquis einzufuehren. Er wird bald die einzelnen Pflanzenformen unterscheiden lernen, sie beim Wiedersehen als alte Bekannte begruessen und innerhalb dieser duftigen Umgebung sich um so heimischer fuehlen. Auf dem schmalen Vorsprung, der, den Stuermen preisgegeben, hier noch einige hundert Meter weit das Cap fortsetzt, sieht man schliesslich alles Pflanzenleben schwinden. Immer haerter wird der Kampf, den die Gewaechse in so exponirter Lage zu bestehen haben, und sein Einfluss macht sich in ihrem Aussehen kenntlich. Da alle ueber die Bodenflaeche sich erhebenden Theile der Pflanze der Zerstoerung ausgesetzt sind, sucht diese aus jeder Vertiefung des Bodens Vortheil zu ziehen. Sie breitet sich flach an der Erde aus, erhaelt knorrige, kriechende Stengel, eine ganz abenteuerliche Gestalt. Auffallend aehnlich wird das Aussehen solcher Gewaechse demjenigen der Alpenpflanzen. Wir koennten, dem Vegetationsbilde nach, uns einige tausend Meter hoch ueber dem Meeresspiegel denken, reichten die blauen Wellen nicht fast bis an unsere Fuesse. Die verkrueppelten Gewaechse der Maquis weichen allmaelig den Strandpflanzen. Auch diese finden alsbald nur noch Schutz in Spalten oder hinter den Steinen. Dem nackten Felsen haftet aber noch an vielen Stellen, in Gestalt runder Flecke, eine gelbe Flechte, die _Lecidea_, an. Zuletzt dringt das Meer von allen Seiten zwischen die zerrissenen Felsen ein, und wir stehen ganz anderen Vertretern des Pflanzenreichs gegenueber, den form- und farbenreichen Seealgen, den Bewohnern des Meeres. In vollem Contrast tritt uns dann bei der Rueckkehr die Fuelle suedlicher Pflanzenformen in dem Garten des Hotels entgegen. Vor dem Hause stehen Chrysanthemen (_Chrysanthemum frutescens_) von ganz seltener Schoenheit. Sie bilden kugelige Straeucher von fast zwei Meter Hoehe und sind mit Tausenden strahliger Bluethenkoepfchen, wie mit weissen Sternen besetzt. Ueber die Mauern herab haengt mit ihren dicken, fleischigen Stengeln und Blaettern die suedafrikanische Mittagsblume (_Mesembryanthemum acinaciforme_), die ihre grossen rothen Bluethen nur bei Sonnenschein entfaltet. In unmittelbarer Naehe des Hauses ist der so ueberaus grosse Garten wohl gepflegt, weiterhin aber sich selbst ueberlassen. Da entwickelt sich denn ein merkwuerdiger Kampf um Raum, um Licht und Nahrung zwischen den Gewaechsen aller Zonen, welche der Zufall hier zusammenfuehrte. Die australischen Casuarineen werden von dem amerikanischen Pfefferbaum bedraengt, das japanische Pittosporum wehrt sich gegen die mediterrane Tamariske. Siegreich dringen aber gegen sie alle die beiden Kieferarten vor, denen wir ueberall an der Riviera begegnen, die zartnadelige Aleppokiefer (_Pinus halepensis_) und die derbnadelige Strandkiefer (_Pinus Pinaster_) und vermitteln den Uebergang zu den Maquis. Zwischen den Kiefern am Cap begegnet man, wie auch sonst an der Riviera, nur zu haeufig einer Processionsraupe, der Raupe des Pinien-Processionsspinners, _Cnethocampa Pityocampa_. Diese schwarzen, braun gestreiften Raupen ziehen im Gaensemarsch zu Hunderten ueber die Wege. Die eine beruehrt die andere, und sie bilden so zusammen eine lange Schnur, eine lebendige Kette, die sich als Ganzes vorwaerts bewegt. Unterbricht man die Kette, so bleibt der vordere Abschnitt derselben stehen, der hintere Abschnitt rueckt nach. Hin und her tastend sucht die erste Raupe dieses hinteren Abschnittes wieder nach dem Anschluss. Gelang es ihr, die hintere Raupe des vorderen Abschnittes zu erreichen, so setzt sich die ganze Kette wieder in Bewegung. Diese Raupen richten grossen Schaden an Kiefern und auch Pinien an, sie berauben sie oft vollstaendig ihrer Nadeln. Des Tags halten sie sich in jenen grossen grauen Gespinnsbeuteln auf, die an Kiefern und Pinien so in die Augen fallen, und in der Sonne seidig glaenzen. Des Nachts verlassen sie das Nest, um auf Futter auszugehen. Jene Raupen, denen man am Boden begegnet, suchen nach einer passenden Stelle, um sich in der Erde zu verpuppen. Man darf weder die Raupen noch ihre Nester beruehren, da die in die Haut eindringenden Haare derselben gefaehrliche Entzuendungen veranlassen. Daher auch Leute, welche die Nester von den Baeumen entfernen, um sie zu verbrennen, sich gegen den Wind stellen und auch sonst sehr vorsichtig zu Werke gehen. Als bestes Verfahren gilt, Petroleum in die Nester zu giessen, ohne sie zu entfernen. - Die haengenden Nester dieser Raupen und ihre langen Zuege sind so auffaellig, dass sie wohl jeder Reisende an der Riviera bemerkte. Nur wenige werden hingegen Gelegenheit haben, die Spinner kennen zu lernen, die sich aus den verpuppten Raupen entwickeln. Sie sind auch weder auffaellig noch schoen, grau, mit einigen dunkleren Flecken und Streifen. Sie fliegen im Hochsommer, legen ihre Eier an die Unterseite der Kiefernadeln und bedecken sie mit duennen silbergrauen Schuppen. X. Ein Stueck unverfaelschte Maquis bietet uns auch das weite Grundstueck, oestlich neben dem Hotel. An Sonntagen steht das Thor den ganzen Tag offen, um den Zugang zu der englischen Kapelle zu ermoeglichen, die sich innerhalb dieses Grundstuecks befindet. Auch sonst gestattet die Besitzerin gern den Besuch. Der schoene Garten, der das Wohnhaus umgibt, ist nur wenig ausgedehnt, der meiste Boden noch in seinem frueheren Zustand. So gelangt man nach Eintritt in die Besitzung durch immergruene Straeucher, ueppige Erica-Buesche und maechtige Euphorbien, bis zum Meeresstrande. Dieser ist hier besonders schoen gestaltet und hat schon manchem Maler als Vorwurf gedient: Steil aufsteigende und zerrissene Felsen, vom Meere umspuelt, vielfach an die Faraglioni von Capri erinnernd. Der Besitzer James Close liebte dieses Stueck Erde so sehr, dass er sich hier begraben liess. Der Ausblick zwischen den Felsen nach dem Esterel und ins weite Meer ist grossartig und entzueckend. Auch lauscht man gern dem Rauschen des Wassers, das sich in den tiefen Felsenspalten hebt und senkt und forscht dem bunten Leben nach, das hier im Schatten der Steine aus den Tiefen des Meeres zum Lichte emporsteigt. XI. Wer am Cap d'Antibes einen Seesturm erlebte, wird den Eindruck nie vergessen. Fuer das schlechte Wetter, welches er zuvor erleiden musste, wird er bald durch den Anblick des entfesselten Elements entschaedigt. Ein starker Wind blaest zunaechst vom Meere aus; das ist Scirocco. Die Luft wird unendlich klar, und alle Gegenstaende ruecken in die Naehe. Die Umrisse der Berge sind wie mit Bleistift am Himmel gezogen. Sucht man sich vor dem Wind zu decken, so empfindet man beklemmende Schwuele. Dann beginnt der Horizont sich in rothgrauen Dunst zu huellen. Die Macht des Windes laesst nach, und es truebt sich der ganze Himmel. Bald hoert man grosse Regentropfen gegen die Scheiben schlagen. Das haelt wohl einige Tage an. Die Temperatur ist stark gesunken, die Luft bleibt trotzdem drueckend. In den Zimmern sehnt man sich nach dem warmen Ofen seiner Haeuslichkeit zurueck. Doch schon am naechsten Morgen wacht man auf, geblendet von dem leuchtenden Blau des Himmels. Man eilt hinaus und athmet mit voller Brust die erquickende Luft ein. Noch glaenzen alle Pflanzen von dem frischen Regen, und wie Diamanten fliessen funkelnde Tropfen von den Blaettern ab. Die Brandung aber stuermt mit Gewalt gegen die Felsen der Kueste, als wenn sie dieselben zerschmettern wollte. Weithin vernimmt man das donnerartige Getoese des Angriffs. Die Spitze des Caps ist nicht zu erreichen, denn die Wellen fegen darueber hinweg. Fern am Horizont steigt die Welle auf wie eine geschlossene Mauer; auf ihrem Wege schwellend und wachsend, waelzt sie sich gegen das Land, um zerschmettert und von weissem Schaum ganz bedeckt wieder zurueckzurollen. Sie trifft auf eine andere Welle, die ebenso drohend nahte, und beide sieht man verschwinden. Da wird es ploetzlich still. Ein Wellenberg ist auf ein Wellenthal gestossen, beide glichen sich aus. Doch wenn Wellenberge zusammentreffen, dann schwillt die stuermende Woge so maechtig an, dass sie aechzend sich ueberschlaegt und mit gewoelbtem Ruecken auf die Felsen wirft. Ungeheuere Wassermengen werden dann in die Luft geschleudert, und See und Himmel scheinen in demselben Chaos zu verschmelzen. Mit dumpfem Knall, wie von schwerem Geschuetz, fangen sich die Wellen in den Grotten, die sie selbst in den Stein sich gruben; wie ein Jammern und Stoehnen klingt es durch das Cap von den vielen Wasserfaeden, die sich in den Gaengen zwischen den Felsen verirrten und, in hastigem Lauf ueber die Steine stuerzend, ihren Weg nach dem Meere suchen. Von dem anstuermenden Element allseitig umgeben, glaubt man sich fast ins offene Meer versetzt und ist ganz von dem Schauder des Sturmes ergriffen. Wie wohlthuend wirkt da zugleich der feste Boden unter den Fuessen! Tage vergehen, bevor die Erregung des Meeres sich legt und die weite Wasserflaeche wieder Ruhe und Frieden athmet. Und taeglich ist es ein anderes, wenn auch immer das gleiche, und taeglich fesselt es uns von Neuem und entzueckt unser Auge, dieses goettliche Meer. XII. Wer am Cap d'Antibes im Bergsteigen sich ueben moechte, bleibt auf den nur hundert Meter hohen Bergruecken angewiesen, der die Seelaterne und die _Notre-Dame de Bon-Port_ traegt. Doch sind die Spaziergaenge laengs der Buchten, an den Abhaengen der Huegel und zwischen den Gaerten so mannigfaltig, dass man sie taeglich aendern kann. Stets wird man durch eine neue Aussicht auf die Kueste, das Gebirge, die Schneegipfel der Alpen, durch malerische Felsgruppen am Strande oder durch besonders schoene Vegetationsbilder ueberrascht. Selbst die sonst so eintoenige Wanderung auf einer Landstrasse wird hier zum Genuss. So wenigstens auf der Landstrasse, die das Cap durchschneidet. Denn diese fuehrt an endlosen Pflanzungen von Anemonen, Ranunkeln, Goldlack, Levkojen, Tazzetten und Reseda vorbei. Besonders fesselt das Auge die Pracht der Ranunkeln und Anemonen, die man schoener und farbenreicher nirgends sehen kann, waehrend der Geruchssinn zugleich umfangen wird von dem Dufte, der dem uebrigen Bluethenmeer entstroemt. Zu jenen Bluethen im Felde gesellen sich hier in grosser Zahl auch die Bluethen der Luefte, die Schmetterlinge. Rothgefleckte Aurorafalter fliegen rasch vorueber; langsam wiegt sich hin und her der schwarz gestreifte, gelbe Segelfalter; am meisten faellt aber durch ihre Schoenheit die Cleopatra auf, ein suedeuropaeischer, schwefelgelber Citronenfalter mit orangeroth abgetoenten Vorderfluegeln. Das Cap von Antibes versorgt jetzt mit seinen Blumen die naechsten Maerkte der Riviera und versendet sie auch in grossen Mengen taeglich nach dem Norden. Wie gross der Verbrauch an Blumen an der Riviera selbst geworden ist, wird Jeder beurtheilen koennen, der die Blumenmaerkte der Staedte dort besuchte und einigen Blumenfesten beigewohnt hat. Die Blumenausfuhr nach dem Norden hat andererseits riesige Ausdehnung angenommen. Thatsaechlich reicht diese Art Blumencultur an der Riviera nicht ueber 1850 zurueck, frueher wurden die Bluethen nur zum Zwecke der Parfuemerie gezogen. In der naechsten Naehe von Toulon beginnen die Pflanzungen und reichen bis nach Genua; die franzoesische Seite der Riviera ist in einen einzigen Blumengarten schon verwandelt. In Ollioules bei Toulon werden Unmengen roemischer Hyacinthen gezogen und wandern abgeschnitten nach den nordischen Staedten, bevor die hollaendische Hyacinthe dort erscheint. In Ollioules gibt es auch Narcissen, Jonquillen, Tazzetten, weisse und rothe Nelken. In der Gegend von Cannes und Grasse herrschen die Anemonen und Ranunkeln vor. Sie zeigen ungeahnte Groesse und seltene Farbenpracht. Nicht minder staunt man ueber den Umfang, den Nelken, wie der _Dianthus Caryophyllus flore pleno, var. Marguerite_, hier erreichen koennen: manche Bluethe sieht aus, als wenn sie ein kleiner Blumenstrauss waere. Zu diesen Pflanzen gesellen sich die Theerosen. Unter ihnen herrscht die sattgelbe _Safrano_ vor, die auch rauhe Witterung gut vertraegt und selbst im December ihre Bluethenknospen treibt. Gleich genuegsam sind manche Monatsrosen, die weisse _Bengal-Ducher_ und die rothe _Bengal-Sanglant_, die demgemaess auch bevorzugt werden; doch an stark besonnten Mauern und unter Glasdaechern, die in Cannes und Antibes grosse Bodenflaechen decken, gedeihen die empfindlicheren Rosen, so auch _Marechal Niel_, _Marie van Houtte_, _Gloire de Dijon_, _Souvenir de la Malmaison_, _Paul Nabonnand_, _La France_ und wie sie sonst heissen, jene Rosen, die auch unsere Blumengaerten im Sommer zieren. Hunderttausende solcher Bluethen entfalten sich im Fruehjahr an einem und demselben Tage in Cannes und Antibes, oft ohne dass noch eine Moeglichkeit vorhanden waere, sie alle zu verwerthen. - In Cannes steht jetzt auch die _Acacia dealbata_ in schwungvoller Cultur und wandert nach dem Norden. Ihre runden Bluethenknaeuel, in Traubenform vereint, und die zart gefiederten Blaetter haben ihr im Handel den Namen Mimose verschafft. Der Baum waechst erstaunlich rasch, so dass er in fuenf bis sechs Jahren wohl zehn Meter Hoehe erreicht. Er ist dann schon im Januar mit gelben Bluethen ueber und ueber bedeckt. Nach Deutschland gelangt viel _Acacia retinoides_, die runde Bluethenknaeuel wie die andere Art besitzt, doch einfache lederartige lancettfoermige Blaetter traegt. Eigentlich sind jene Blattgebilde nicht ganze Blaetter, vielmehr hat der wissenschaftliche Vergleich gelehrt, dass die Blattflaeche bei diesen Acazien schwand und der Blattstiel sich spreitenartig erweiterte. Wir nennen solche Gebilde Phyllodien. Auch _Acacia longifolia_, die man viel in nordischen Blumenlaeden sieht, ist mit solchen Phyllodien versehen. Man erkennt sie leicht daran, dass ihre Bluethen nicht zu runden Knaeueln, sondern zu raupenfoermigen Kaetzchen vereinigt sind. Alle diese Acazien bluehen gelb, sie folgen in der Jahreszeit auf einander, zuletzt kommt _Acacia cultriformis_, die erst im Maerz an der Riviera im Bluethenschmuck prangt. Ihre Bluethenstaende sind wiederum rund, die Phyllodien aber kurz und breit, zugleich rautenfoermig. - Allen Blumensendungen nach dem Norden pflegt man die ueberall beliebte Reseda beizulegen. Veilchen vertragen schlecht eine weite Reise, werden aber an der Riviera selbst in Unmengen verbraucht, dort auch mit Syrup getraenkt und zu Dragee's verarbeitet. Dann versendet man auch blaue Kornblumen, Tuberosen, Goldlack und Levkojen, Gladiolen und weissbluehendes Allium, Ixien und die duftenden Freesien. An der Riviera selbst faellt dem Fremden in den Schaufenstern der Blumenlaeden eine grosse graue Iris auf, die ganz fein purpurn gesprenkelt ist, eine wahre Trauerblume, die _Iris Susiana_. Von den grossen weissen oder gelben Chrysanthemen (_Chrysanthemum frutescens_) werden die Bluethen auch viel verwandt, besonders die gelben, die als _Etoile d'Or_ bekannt sind. Sie wandern vornehmlich nach England. Die Expedition dieser Blume reicht bis in den Juni hinein, so lange, als in London die Saison dauert. Man hat berechnet, dass von allen diesen Blumen Cannes und Antibes zusammen in einem Winter fuer mehr als eine Million Francs nach dem Norden versenden; viel mehr noch wird an der Riviera selbst verkauft. Die ueberaus starke Concurrenz veranlasst strebsame Geister, nach immer neuen "Schoepfungen" fuer den Blumenmarkt zu sinnen. So erschienen ploetzlich in den Centralhallen von Paris als "Neuheit" *gruene* Nelken. Solche hatte man in der That bisher nicht gesehen, es sei denn auf den Bildern der Impressionnisten. Es ergab sich, dass auch diese gruenen Nelken nicht ganz unverfaelschte Naturproducte waren. Man erhaelt sie, indem man abgeschnittene weisse Nelken einen ganzen Tag lang, ja selbst laenger, in eine gruene Farbstoffloesung stellt. Soll der Versuch gut gelingen, so muss der Stengel innerhalb der Loesung frisch durchschnitten werden. Man kann in gleicher Weise die eine oder die andere Faerbung erlangen, nur gilt es, Farbstoffe zu waehlen, welche gut in der Pflanze aufsteigen. Am leichtesten gelingen Rothfaerbungen weisser Bluethen mit Eosin. Am Freitag Nachmittag beleben sich ploetzlich die Strassen am Cap. Da kommen von allen Seiten Equipagen und bringen Besucher nach Elen Rock, dessen Garten an jenem Tage geoeffnet ist. Dieser Garten nimmt einen Vorsprung ein oestlich vom Cap. Er liegt zum Theil auf schroffen Felsen, die senkrecht gegen das Meer abfallen. Stufen und Gaenge innerhalb dieser Felsen fuehren hinunter bis zur Meeresflaeche. Der Garten bietet herrliche Aussichtspunkte und ist auch reich an schoenen Pflanzen, doch macht er einen etwas gekuenstelten Eindruck innerhalb der so grossartigen Umgebung. Am Dienstag ist vom fruehen Morgen an der Thuret'sche Garten geoeffnet, derselbe, der einst George Sand so sehr entzueckte. Er dient jetzt der franzoesischen Regierung als Acclimatisationsgarten und enthaelt sehr viele werthvolle Pflanzen. Manche Arten, die wir in La Mortola schon bewundert haben, finden wir hier in noch groesseren Exemplaren wieder. Die beruehmte, von George Sand gefeierte Aussicht ist leider geschwunden, verdeckt von den heranwachsenden Baeumen. Von dem Thuret'schen Garten laesst sich gleich abwaerts, in westlicher Richtung, der Weg nach dem Golfe Jouan einschlagen, und so kann man in den Pinienwald gelangen, der sich laengs der Kueste dort hinzieht. Dieser Pinienwald war einst der Stolz des Caps, jetzt ist er nur noch in Ueberresten vorhanden. Eine Actiengesellschaft hat die ganze Landstrecke angekauft, eine breite Strasse, die Cannes mit dem Cap d'Antibes verbindet, durch den Pinienwald gelegt, diesen selbst parcellirt und mit Eisendraht umzogen. Doch steht manche maechtige Pinie noch da, und in ihrem Schatten gelingt es wohl, sich in die alte Herrlichkeit zurueckzutraeumen. XIII. Die zweite Aprilhaelfte war inzwischen angebrochen, und die Pflicht rief mich wieder heim. Ein klarer, wundervoller Fruehlingstag ging zur Neige, und ich beschloss, vor Sonnenuntergang noch einmal den Leuchtthurm aufzusuchen. Die Sonne schickte sich an, hinter dem Esterelgebirge zu verschwinden und tauchte dessen dunkelblaue Gipfel in Gold und Purpur. Bald deuteten nur noch lange Lichtstreifen den Weg an, den sie genommen. Trotz seines hehren Glanzes konnte mich dieses Bild nur wehmuethig stimmen: es steigerte die Empfindung des Abschiedes. Ich wandte meine Blicke den Bergriesen zu, die mit phantastischem Umriss sich von dem oestlichen Himmel abhoben. Sie begannen im Abendroth zu gluehen. Es war ein Anblick, so erhaben, dass man sich in demselben ganz verlieren konnte, von jener weltumfassenden Sehnsucht ergriffen, die uns mit dem All verbindet. Jedes persoenliche Empfinden war gewichen vor dem maechtigen Gefuehl, sich Eins mit dieser goettlichen Natur zu fuehlen. - Immer weiter und weiter dehnten sich die Schatten aus ueber das Land: sie begannen emporzusteigen an den Huegeln, an den Bergen, sie drangen ein in die Tiefe der Thaeler und loeschten die gluehenden Lichter aus an den Huetten und Palaesten. Die ganze Natur schien sich in tiefen Schlaf zu versenken. Bald waren es nur noch einzelne Segel im weiten Meere und die schneebedeckten Gipfel der Alpen, die im rosigen Schimmer gluehten. Dann legte sich ein schwarzer Schatten auch ueber das Meer, und nur den Riesen da oben war es vergoennt, die Koenigin des Lichtes noch zu schauen. Wie von innerem Feuer entbrannt, schwebten sie jetzt in ueberirdischer Glorie. Dieses Bild wollte ich in meinem Innern festhalten als letzten Eindruck von der Riviera, und mit geschlossenen Augen trat ich den Rueckweg an. Als ich mich endlich umsah, hatten die Schatten der Nacht sich bereits ueber die Huegel gelagert und die Umrisse der Dinge in geisterhaften Schemen verwischt. - Hoch oben aber ragte der Leuchtthurm in die Luefte. Vom Waechter entzuendet, strahlte er jetzt wie ein grosser Stern weit ueber Land und Meer, ein Ziel der Sehnsucht fuer Alle, die jenes herrliche Stueck Erde einmal gesehen. ------------------ FRUeHJAHR 1894. I. Der Fruehlingsanfang des Jahres 1894, den ich an der Riviera verlebte, praegte sich meiner Erinnerung in besonders glaenzenden Farben ein. Wochenlang blieb der Himmel ohne Wolken, so dass einzelne Regentage, wenn sie kamen, fast willkommen erschienen. Da es an Schnee in den Bergen fehlte, wehte fast nie der Mistral, den sonst die eisigen Flaechen der Alpen und Cevennen gebaeren. Das Meer blieb meist ruhig, und wenn die Nacht kam, dann funkelte der Himmel und spiegelte sich so hell in der stillen See, als waere in deren Tiefen eine Saat von Sternen aufgegangen. Mitte Maerz fanden wir uns in Hyeres ein mit der Absicht, unseren Weg bald ostwaerts in die Berge der Mauren fortzusetzen. Es war uns, als haetten wir eine Entdeckungsreise angetreten, so unbekannt ist dieser westliche Theil der Riviera. Und doch konnte Hyeres, neben Montpellier und Aix-en-Provence, sich einst ruehmen, der beruehmteste Kurort des suedlichen Frankreichs zu sein. Weiter gegen Osten an der Riviera vorzudringen, schien damals kaum moeglich, und erst in diesem Jahrhundert aenderten sich die Verhaeltnisse, begannen zuerst Nizza, dann Mentone und Cannes als klimatische Stationen aufzubluehen. In dem Wettstreit, der sich nunmehr entspann, musste Hyeres unterliegen, denn es ist weniger gut gegen den Nordwind als seine Rivalinnen geschuetzt. Auch steht es ihnen nach an Schoenheit der Lage und ist zu weit vom Meere entfernt. - "Die Huegel sind hier zu klein und zu nah, das Ufer ist zu flach und das Meer zu fern," rief einst George Sand aus, als sie Hyeres besuchte. Von dem Huegel, an den Hyeres sich lehnt, kann der Blick erst ueber eine weite Ebene das Meer erreichen. Auf dieser stechen aber rothbraune, eckige Felder grell und unvermittelt gegen gelbe und gruene ab. Die rothbraunen Felder sind mit Rosen bedeckt; doch das bringt keine Harmonie in die Farben. Auch danken diese Felder thatsaechlich ihre Faerbung nicht der Pracht der Bluethen, sondern den jungen Trieben, die ihr zartes Gruen vor der Gluth der suedlichen Sonne durch rothen Farbstoff schuetzen. In frueheren Zeiten mag der Blick auf diese Ebene lieblicher gewesen sein; vermochte sie doch das Auge Horace Benedict de Saussure's zu entzuecken, als er 1787 nach Hyeres kam. Dieser hervorragende Geologe, Vater des noch beruehmteren Pflanzenphysiologen Theodore de Saussure, langte hier an einem schoenen Aprilabend an und war von der Lage des Ortes gefesselt. Von den Fenstern der "Auberge du St. Esprit" blickte er hinab auf Orangengaerten, deren Baeume mit Fruechten und Bluethen beladen und durch unzaehlige Nachtigallen belebt waren. Sanft fiel, so schrieb er, das Land bis zum Meer ab, und den Abhang schmueckten vorne Gaerten, weiterhin Olivenhaine und in der Ferne Pappeln. Bewaldete Hoehen bildeten den Rahmen zu dem schoenen Bilde. Hyeres ist fuenf Kilometer vom Strande entfernt. An diesem selbst lag einst Olbia, das Hyeres den Ursprung gab. Von Massiliern gegruendet, ward Olbia von Saracenen zerstoert und baute sich dann, entfernter vom Meere, an der Anhoehe auf, um den Angriffen der Corsaren nicht so unmittelbar ausgesetzt zu sein. Der Strand, der einst Olbia trug, zeigt sich jetzt in Quadrate, wie ein Schachbrett getheilt. Das Seewasser fuellt diese Quadrate. Es wird in dieselben geleitet, um zur heissen Sommerzeit dort zu verdunsten und so der Salzgewinnung zu dienen. Dem Strand gegenueber tauchen aus dem Meere die Hyerischen Inseln empor. Sie strecken sich so lang dahin, als haetten sie sich in die See zu ewigem Schlaf gelegt. Einst haben die Ligurer an diesen Inseln die rothen Korallen gefischt, mit denen sie den Hals ihrer Frauen und das Wehrgehaenge ihrer Schwerter schmueckten. Weil die Inseln in einer Reihe angeordnet sind, hiessen sie bei den Roemern Stoechaden. Diesen Namen vertauschten sie im Mittelalter gegen den weit vornehmeren der goldenen Inseln. Waren es die goldenen Aepfel der Hesperiden, welche ihnen die Benennung "_Iles d'or_" verschafften, oder der goldige Schimmer ihres glimmerreichen Bodens - das laesst sich heute nicht sagen. Zum Marquisat der _Iles d'or_ von Franz I. erhoben, sahen sie einst glaenzende Zeiten. Heute werden sie nur von aermlichen Fischern und Gaertnern bewohnt. Jene Fruechte, nach welchen die goldenen Inseln ihren Namen fuehren sollen, sind jetzt hier fast voellig verschwunden. Einst aber stand die Orangenzucht von Hyeres in hoher Bluethe. Mehr denn zweimalhunderttausend Orangenbaeume deckten das Land und konnten die Bewunderung der Reisenden erwecken. Wie die Chronisten erzaehlen, blieb Carl IX. von Frankreich staunend vor dem maechtigsten dieser Baeume stehen und forderte seine beiden Begleiter, den Koenig von Navarra und den Herzog von Anjou auf, mit ihm den Stamm zu umfassen. Doch hierzu reichten, so wird weiter berichtet, die sechs fuerstlichen Arme nicht aus. Zur Erinnerung an diese erlauchte Umarmung schnitt man in die Rinde des Baumes: "_Caroli regis amplexu glorior_", und jene Inschrift wuchs und vergroesserte sich mit den Jahren. - Liegt dieser Angabe eine wirkliche Begebenheit zu Grunde? Wer kann das heute wissen! Sicher aber ist, dass die provencalische Phantasie der Chronisten sie die Masse des Stammes uebertreiben liess. Die staerksten Orangenbaeume, welche Europa jetzt kennt, befinden sich auf Sardinien; manche derselben werden auf mehr denn siebenhundert Jahre geschaetzt; ein einzelner Mann vermag sie alsdann nicht mehr zu umspannen. Im Jahre 1564, da Carl IX. in Hyeres weilte, konnte er dort schwerlich selbst so starke Staemme sehen, da die Orangenbaeume erst durch die Kreuzfahrer, gegen Ende des elften Jahrhunderts, nach Hyeres gebracht wurden. Zunaechst muss es der bitterfruechtige Orangenbaum gewesen sein, der zwar kaum essbare Fruechte, aber sehr wohlriechende Essenzen liefert. Daher der Dichter Malherbe sich in Hyeres mit jenem "_huile de fleurs d'orange_" versorgen konnte, "das sich die Frauen in die Haare einreiben und mit dem sie dort den Puder festhalten." Die Orangenkultur von Hyeres litt sehr stark durch die strenge Kaelte des Winters 1709 und durch aehnliche harte Winter, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aufeinander folgten. Die Pflanzungen wurden von nun an eingeschraenkt, die bitterfruechtigen Orangenbaeume dann durch suessfruechtige ersetzt, da der Transport der Orangen von Hyeres aus nach dem Norden sich rascher vollziehen liess, als von suedlicher gelegenen Orten. Das kam bei den mangelhaften Verkehrsmitteln jener Zeit wohl in Betracht. Die Orangen mussten damals in Hyeres im Herbst gepflueckt werden, sobald an ihrer noch gruenen Schale sich die ersten gelben Punkte zeigten. Sorglich in Papier gewickelt, traten sie die Reise auf dem Landwege oder dem Seewege an. Sie reiften unterwegs langsam nach und wurden erst nach vierzig Tagen geniessbar. Jetzt sind die Orangenbaeume fast vollstaendig aus Hyeres verschwunden. Sie konnten den Mitbewerb geschuetzterer Orte der Riviera, vor Allem aber von Sicilien und Algier, nicht ertragen. Es erging Hyeres mit den Orangenbaeumen nicht anders, als zuvor mit dem Zuckerrohr, das im fuenfzehnten Jahrhundert weite Strecken des Landes deckte, dann aber verschwand, als der indische und der brasilianische Zucker in den Wettstreit eintraten. Mit berechtigtem Stolz kann sich hingegen Hyeres noch immer _Hyeres-les-Palmiers_ nennen! Zwar sind die Palmen heute ueber die ganze Riviera verbreitet, doch sieht man es den hohen Staemmen von Hyeres wohl an, dass in diesem alten Kurorte ihre sorgsame Pflege besonders weit zurueckreicht. Da streben in der _Avenue des Palmiers_ die schlanken Staemme besonders maechtig zu beiden Seiten der Strasse empor, gleich einer hehren Saeulenhalle, und wiegen ihre stolzen Kronen hoch oben in der blauen Luft. - Doch hat sich Hyeres schon seit langer Zeit auch einer zwar weniger vornehmen, aber eintraeglicheren Cultur zugewandt. Wir fanden dort Mitte Maerz ganze Felder von Veilchen in Bluethe. Das waren auch freilich nicht die bescheidenen, kleinbluethigen, die bei uns ihre Kronen zwischen den Blaettern verbergen, sondern eine grossbluethige Form, das Veilchen _le Czar_, das an langen Stielen seine Bluethen keck ueber die Blaetter erhebt. Es duftet sehr stark, und gerne liessen wir uns von den Lueften anwehen, die ueber Veilchenfelder gestreift waren. Andere Felder sind mit "_Primeurs_" bedeckt. Die Artischocken von Hyeres standen schon zu Anfang dieses Jahrhunderts in hohem Ruf; jetzt sind es auch die gruenen Erbsen und vor Allem die Erdbeeren, mit welchen Paris von hier aus versorgt wird. Taeglich geht ein ganzer Eisenbahnzug solcher Erzeugnisse von Hyeres ab und wird scherzhaft als "_Train de primeurs_" bezeichnet. Doch soll man sich nicht etwa denken, dass unter dem Himmel von Hyeres alle diese Culturen muehelos gedeihen. Auch hier verlangen sie viel Umsicht und angestrengten Fleiss. Den Furchen der Felder folgen niedrige Hecken, die deutlich anzeigen, von welcher Seite Gefahr droht. Denn, trotz gegentheiliger Versicherungen, ist Hyeres nicht voellig vor dem Mistral gedeckt, und mit elementarer Gewalt stuerzt er durch die Luecke ein, welche die Berge nach Toulon hin offen lassen. Anhaltende Duerre ist auch eine schwere Plage, welcher durch kuenstliche Bewaesserung nicht immer abgeholfen werden kann. - Immerhin besteht ein grosser klimatischer Unterschied zwischen Hyeres und der uebrigen Provence, ja selbst dem nahen Toulon, weil diese dem Mistral weit staerker ausgesetzt sind. Daher der Reisende, der von Westen kommend, hier in frueheren Zeiten zum ersten Mal Palmen und goldfruechtige Orangenbaeume sah, sich an die Pforten des Paradieses versetzt waehnte. Alte Reisewerke sind voll des Lobes von Hyeres. So das Werk von Aubin-Louis Millin, "_Conservateur des medailles, des pierres gravees et des antiques de la Bibliotheque imperiale_", der im Auftrage des Ministers Chastal 1804 Suedfrankreich bereiste. "Ich besuchte heute", schreibt Millin, "den Garten des Herrn Fille. Tausende von Blumen umgeben dessen Haus. Tuberosen (_Polyanthes tuberosa_), Cassie (_Mimosa Farnesiana_), und Jasmin (_Jasminum sambac_) wuerzen die Luft mit himmlischen Dueften. Was Saenger und Poeten einst gepriesen, jene Gaerten der Alcine und Armide, welche der fruchtbare Genius des Ariost und des Tasso schuf, so glaenzend sie auch unserer Einbildungskraft vorgefuehrt werden, sie treten zurueck vor dem Garten, den wir hier vor den Augen haben. Man glaubt nicht mehr auf Erden zu wandeln, vielmehr in jene Laubgaenge versetzt zu sein, in welchen die Seelen der Gerechten ein ewiges Glueck geniessen. Die Baeume stehen so dicht an einander, dass man nur auf kuenstlich angebrachten Pfaden zwischen denselben durchdringen kann. Achtzehntausend Orangenbaeume, beladen mit Bluethen und Fruechten, bergen in ihrem Laube unzaehlige Nachtigallen, und Nachtigallengesang erschallt wie ein Hymnus an die Natur, um ihre Guete zu preisen, ihr fuer einen so freudigen und duftigen Schatten zu danken. Andere Vogelstimmen greifen in dieses glaenzende Concert ein, waehrend die fleissigen Bienen summend die Bluethen umschwaermen, um reiche Nahrung zu schoepfen aus so verschwenderischer Fuelle." Ein aehnliches Gefuehl des sinnlichen Behagens, welches ein milderes Klima erweckt, mag es auch gewesen sein, das einst die Massilier bestimmte, ihre Niederlassung an diesem Strande "Olbia", die Glueckliche, zu nennen. Mit Vorliebe schweiften wir an sonnigen Nachmittagen auf den Maurettes umher, jenen Hoehenzuegen, an welche Hyeres sich anlehnt. Wir suchten uns dort solche Orte aus, von welchen die alte Burg von Hyeres sich in schoener Umrahmung zeigte. Ein Stueck blaues Meer bildete den Hintergrund, waehrend gruene Huegel die scheckige Ebene deckten. Da lagerten wir uns auf Rosmarin, Myrten und Lavendel und vergassen der fliehenden Stunden. Wir suchten im Geiste jene Truemmer zu beleben, die so maechtig drueben auf den Felsen thronen. Auch heute noch werden diese Truemmer von Wachtthuermen und Mauern beschuetzt, die in bewegtem Umriss allen Vertiefungen des Berges folgen. - In dem "Chastel d'Yeres" herrschten seit dem zwoelften Jahrhundert die Herren de Foz, eine Nebenlinie der Vicomtes de Marseille. Manchen blutigen Strauss mussten sie pfluecken, um ihre Burg zu behaupten und oft rauchte aus den Wachtthuermen angesichts der Feinde die Lunte der Arkebusen. In friedlichen Zeiten, da fuellten hingegen dieses Chastel die Gesaenge des Troubadours, und es erklang in ihnen die sechsseitige Viola. War doch Mabille de Foz Praesidentin des Minnehofs von Pierrefeu, jenes Minnehofes, der mit Romani, Avignon und Signe, die vier vornehmsten "_cours d'amour_" der Provence bildete! - Im Juni 1254 gab es hohen Besuch auf der Burg; da kam Ludwig der Heilige, den aus Palaestina der Tod seiner Mutter nach Frankreich zurueckgerufen hatte. Einige Jahrhunderte spaeter wurde hier oben auch Franz I. empfangen, waehrend Ludwig XIII. nur noch die Ruinen der Veste sah: Heinrich IV. hatte deren Zerstoerung beschlossen. Heute ist das alte Gemaeuer in ueppiges Gruen gehuellt, und bunte Fruehlingsblumen erklimmen selbst die Zinnen der Thuerme. - Scharf hebt sich der dunkle Berg vom hellen Abendhimmel ab, wenn die provencalische Sonne sich hinter seinen Truemmern zur Ruhe senkt. Dann traenkt sie mit ihrem Glanze das Land und das Meer, umstrahlt die dunklen Felsen und bildet um die Burg einen goldenen Glorienschein. - Geisterhaft aber mutheten uns die Truemmer zur Nachtzeit an, da zur spaeten Abendstunde der Vollmond uns in die Berge gelockt hatte. Tief drang sein Silberschein in die Fugen und Spalten des zerkluefteten Gesteins und warf unheimliche Lichter in die Ruinen. Da belebten sich die alten Mauern und Thuerme, nahmen menschliche Form an, schienen ihre Glieder zu bewegen und stierten mit unheimlichen Augen in die Ferne. Ploetzlich war dann Alles wieder todt; eine dunkle Wolke breitete ihre Schatten ueber den Berg aus. Doch als der Mond wieder vortrat, da war es, als haetten die Thuerme in der Runde sich die Arme gereicht, und als fuehrten sie um die Truemmer einen infernalen Reigen aus. Da ging es bergauf, bergab ueber die steilen Felsen und stoehnte und pfiff es dabei durch die Luft in unheildrohender Begleitung. Fuer Augenblicke leuchtete die Burg so auf, als stuende sie in Flammen, dann wieder versank sie in das Dunkel der Nacht. Mit Wirbelwind und Sturm, mit Blitz und Donner zog ein Gewitter von Westen heran: das mochte uns diese phantastischen Bilder vorgezaubert haben. Rasch breitete sich Finsterniss ueber das Land aus, nur das Meer dort hinten war noch in Silberglanz getaucht. Ein greller Lichtstrahl durchzuckte die Luft, ihm folgte ein betaeubender Schlag, der die Grundvesten der Erde zu erschuettern schien. Wie geblendet standen wir da, waehrend das Rollen des Donners sich entfernte. Dumpf toente es noch fort in den nahen Bergen, prallte dort mit immer schwaecherem Echo von den Felsen ab, kam dann wieder naeher, um endlich in der Ferne zu verhallen. Hatte dieser grelle Blitz nicht die Burg getroffen, nicht jene schlanke Cypresse zertruemmert, die so stolz aus den Ruinen dem Himmel entgegenragte, als wolle sie ihm trotzen? - Doch dicke Regentropfen begannen zu fallen; es war hohe Zeit, den Rueckzug anzutreten. II. Jenes Gebirge, das sich im Osten von Hyeres erhebt, bildete im neunten und zehnten Jahrhundert ein Bollwerk der Mauren. Nach ihnen fuehrt es mit Recht den Namen; von seinen Hoehen aus beherrschten sie die weite Kueste. In orographischer Beziehung bietet das Maurengebirge ein hohes Interesse. Es stellt ein in sich abgeschlossenes Gebirgssystem dar, dessen Granite, Gneisse und Schiefer von dem umgebenden Kalkgebirge durch tiefe Thaeler getrennt sind. Wie etwa die Alpen oder die Pyrenaeen, besitzt das Maurengebirge sein eigenes, wenn auch nur kleines Flusssystem, seine eigenen Schluchten und Thaeler. Es ist von der uebrigen Provence so geschieden, dass es auch, ferne von derselben, eine eigene Insel im Meere bilden koennte. Seit Kurzem folgt eine Eisenbahn (_Chemin de fer du Sud de la France_) der Kueste, an dem Gebirge entlang. Diese Bahn muendet in St. Raphael und schliesst dort an die grosse Linie an, die Marseille mit Genua verbindet. Von den Stationen der Suedbahn aus dringt man leicht in das Gebirge ein, und solche Ausfluege waren es, die uns in Hyeres festhielten. Wir wurden nicht muede, wiederholt dieselben Strecken der Kueste mit der Eisenbahn zu befahren; denn der Weg ist anmuthig und fuehrt entweder durch schoenen Wald oder am Meeresstrande entlang, mit fortwaehrendem Wechsel der Bilder. Der Anblick der Berge selbst bietet hingegen geringe Mannigfaltigkeit, da alle Kuppen abgerundet sind, nur wenig in ihrer Hoehe schwanken und vierhundert Meter nicht uebersteigen. Und doch ladet der ueppige Wald auch da zu immer neuen Ausfluegen ein. Wer Korkeichen zuvor nicht sah, wird freilich zunaechst ueber diese Waelder staunen. Er erkennt wohl die immergruene Eiche, doch ihre geschaelten Staemme und Aeste bieten einen ungewohnten Anblick. Die Krone der Korkeiche gleicht derjenigen immergruener Eichen, auch die Blaetter sind wie bei diesen lederartig und nur durch ihre eifoermige Gestalt und geringe Zaehnelung ausgezeichnet. Befremdend ist aber die rothbraune Farbe der abgeschaelten Theile, die fast blutroth erscheinen, dort, wo die Sonne sie trifft. Die ganze Bevoelkerung des Maurengebirges lebt von der Korkgewinnung. Steht auch der Kork, der an dieser Kueste waechst, dem spanischen und algerischen an Guete nach, so bleibt er doch ein geschaetzter Handelsartikel und bildet eine eintraegliche Quelle des Erwerbes. Die Korkeiche muss, bevor sie geschaelt werden kann, eine bestimmte Dicke besitzen, die sie mit fuenfzehn bis zwanzig Jahren erlangt. Der erste Kork ist rissig, sproede und wandert vorwiegend in die Gerbereien. Er wird, weil rauher und haerter, als maennlicher Kork bezeichnet. Dann erst bildet sich der glatte, weniger harte, brauchbare Kork, den man weiblichen nennt. Er wird alle acht bis sechzehn Jahre entfernt, je nach der Dicke, welche die Korkplatten erreichen sollen. Fuer gewoehnliche Stopfen reichen achtjaehrige Platten schon aus, waehrend noble Champagnerpfropfen weit staerkere, bis 5 Centimeter dicke verlangen; die Schaelungen werden so lange wiederholt, bis der Baum ein Alter von hundertundfuenfzig, ja selbst zweihundert Jahren erreicht hat. Dann sinkt der Werth seiner Produkte; es gilt, ihn durch juengeren Nachwuchs zu ersetzen. - Hundertjaehrige Korkeichen sehen schon majestaetisch aus und treten mit ihren maechtigen Kronen und knorrigen Staemmen eindrucksvoll aus der Umgebung hervor. Besonders gerne ruht auf ihnen das Auge, wenn sie am Bergesabhang stehen, oft malerisch um einzelne Felsbloecke gruppirt. Die Korkeiche waechst mit Vorliebe auf einem Boden, der aus verwittertem Granit und Schiefer entstand, waehrend sie den Kalkstein meidet. Daher die Korkeichenwaelder des Maurengebirges eine Culturinsel in der Provence bilden, aehnlich wie das Gebirge selbst eine orographische Insel dort darstellt. In den umgebenden Kalkalpen wird man die Korkeiche nicht finden, nach ihr vergeblich in Mentone und in Nizza suchen, nur um Cannes trifft man sie noch stellenweise. Wie die Korkeichenwaelder des Maurengebirges das Urgestein seiner Berge verrathen, so zeigen Kalkpflanzen den Kalk der angrenzenden Alpen an. Unter Umstaenden wird ganz vereinzelt eingestreutes Gestein in solcher Weise aeusserlich durch den Pflanzenwuchs kenntlich. So fiel vor einigen Jahren dem Forstinspector de Saint-Venant in dem Walde von Orleans ein schmaler, kilometerlanger Streifen kalkholder Pflanzen auf, waehrend die uebrige Flora im Walde auf Kieselboden hinwies. Das regte ihn zu Ausgrabungen an, die in wechselnder Tiefe das Vorhandensein einer alten, mit Kalksteinen gepflasterten roemischen Strasse ergaben. Die Korkeichen werden im Maurengebirge waehrend des Sommers geschaelt. Es geschieht das sowohl an den Staemmen wie an dicken Aesten, doch hier wie dort gleichzeitig nur an einzelnen Theilen; denn es gilt als schaedlich, den ganzen Baum auf einmal zu entbloessen. Besonders eigenartig sehen die entbloessten Theile gleich nach geschehener Schaelung aus; sie zeigen die Farbe des menschlichen Koerpers. Erst allmaelig dunkeln sie nach. Zur Vornahme der Schaelung, die als "_demaclage_" bezeichnet wird, fuehrt der Arbeiter zunaechst zwei Schnitte rings um den Baum durch die ganze Tiefe der Korkschicht aus und verbindet diese Kreisschnitte durch Laengsschnitte, deren Zahl sich nach der Dicke des Baumes richtet. Diese Operation fuehrt er mit einer Axt aus, die einen keilfoermig zugeschaerften Stiel besitzt. Mit letzterem faehrt er dann von den Einschnitten aus unter die Korkschicht und hebt sie ab. Dann beschwert er die Korkplatten mit Steinen, damit sie ihre Rundung verlieren, haelt sie auch wohl ueber Feuer und kohlt ihre Oberflaeche ein wenig an. Unter allen Umstaenden muessen die Korkplatten trocken werden, bevor man sie versendet. Der Kork ist das natuerliche Schutzmittel der Pflanzen: sie schliessen sich damit gegen die Umgebung ab. Die aeltere Rinde aller unserer Straeucher und Baeume ist mit Kork bedeckt und dankt ihm ihre Faerbung. Der Kork laesst Gase und Fluessigkeiten nicht durch, ist elastisch und sehr widerstandskraeftig; das befaehigt ihn nicht nur zu seiner Aufgabe an der lebenden Pflanze, sondern bedingt auch seine technische Brauchbarkeit. Wird eine Pflanze verletzt, so bildet sich Kork an der Wunde und schliesst dieselbe ab: daher auch der neue Kork an der geschaelten Korkeiche. Wie jedes andere Gewebe besteht der Kork aus Zellen. Ja, ein Korkstueck war es, in welchem Robert Hooke im Jahre 1667 jene Kammern entdeckte, die er Zellen nannte, weil sie ihm den Zellen der Bienenwaben zu entsprechen schienen. Den Zellen eines fertigen Korkes fehlt freilich der lebendige Zellleib, jener Inhalt, der das Wesen einer Zelle ausmacht. Den buesst die Korkzelle bald nach ihrer Entstehung ein, um nur noch mit ihrer verkorkten Wandung als Schutzmittel der Pflanze zu dienen. Eine bestimmte lebendige Gewebeschicht innerhalb der Rinde, das sogenannte Korkcambium, bildet durch fortgesetzte Vermehrung ihrer Zellen den Kork. Juengere Korkzellen folgen in geraden Reihen nach innen zu auf die aelteren. Ihre Gestalt ist bei der Korkeiche annaehernd wuerfelfoermig: gegen Schluss jeder Vegetationsperiode flachen sie sich tafelfoermig ab. Der "weibliche" Kork der Korkeiche zeichnet sich durch die Duennwandigkeit seiner Zellen und grosse Gleichfoermigkeit in seinem Bau aus; nur am Schluss jeder Vegetationszeit entstehen wenige Lagen staerker verdickter, abgeflachter Zellen. Diese letzteren sind es, welche die dunklen Streifen bilden, die man in jedem Flaschenstopfen erkennen kann. Da die dunkleren Lagen die Grenzen des jaehrlichen Zuwachses anzeigen, so kann man das Alter einer jeden Korkplatte an ihnen abzaehlen, ganz ebenso wie sich aus der Zahl der Jahresringe im Holz dessen Alter bestimmen laesst. Ist eine Korkeiche geschaelt worden, so bildet sich ein neues Korkcambium unter den freigelegten Flaechen und hebt mit neuer Korkbildung an. Freilich darf die Schaelung nur den Kork entfernen, nicht den Bast oder gar den Holzkoerper erreichen, weil das schwere Wunden gibt, die sich nur langsam schliessen und lange die Korkproduction an der beschaedigten Stelle beeintraechtigen. Ist ein Stamm niemals geschaelt worden, so zeigt er gleich anderen Eichenarten eine rissige Rinde, deren aeusserste Schichten er nach und nach als Borke abwirft. Auch der am geschaelten Baum erzeugte Kork darf nicht ein gewisses Alter uebersteigen, da er sonst an der Aussenseite rissig und unbrauchbar wird. In den westlichen Theilen des Maurengebirges gibt es keinen schoeneren Ort als Bormes, von Hyeres aus mit der Bahn in einer Stunde zu erreichen. Man steigt dort vom Strande aus zum Huegel empor, an den das kleine Staedtchen amphitheatralisch sich lehnt. Seine Haeuser sind in verschiedener Hoehe verstreut, hier einzeln, dort in Gruppen, als haetten sie um die Wette den Berg zu erklimmen versucht. Den Ort beherrscht eine alte Burg, deren graue Ruinen sich eindrucksvoll abheben von dem dunklen Gruen des hinterliegenden Waldes. Der Abhang ist mit aromatischen Kraeutern bewachsen, und jeder Schritt befreit aus ihnen duftende Oele. Ganze Flaechen werden violett gefaerbt durch die wilde Lavendel (_Lavandula Stoechas_). Sie tritt hier so massenhaft auf, dass ein benachbarter Ort den Namen Lavandou nach ihr fuehrt. - Wir steigen weiter hinauf in den Wald, in Korkeichen, Kiefern und immergruene Straeucher. Auch da steht jetzt Alles in Bluethe. Die Luft ist erfuellt mit Wohlgeruechen, und den Kiefern, die man beruehrt, werden dichte Wolken von Bluethenstaub entlockt. - Immer grossartiger entfaltet sich die Aussicht auf die dunklen Ruinen, das hellglaenzende Staedtchen und das blaue Meer, in das eine Landzunge sich weit vor uns fortsetzt; gegen Osten blicken wir in die Rhede von Bormes hinein; gegen Westen zeigt sich die Rhede von Hyeres, und ueber eine schmale Halbinsel hinweg erreicht das Auge auch den Golf von Giens. In glaenzender Faerbung leuchten uns diese Buchten entgegen. Die oestliche Bucht toent sich jetzt ab in hellem Blau, die Rhede von Hyeres scheint von fluessigem Silber zu sein, waehrend die Fluthen des Golfs von Giens den rothen Abendhimmel widerspiegeln. Wir saettigen uns an dieser Farbenpracht und lassen das geblendete Auge dann auf dem dunklen Gruen der fernen Waelder ruhen. Sanft breitet der purpurne Schein sich aus ueber das ganze Meer, und in dem Glanz der Abendsonne schimmern jetzt die goldenen Inseln von Hyeres wirklich so, als waeren sie von Gold. In Bormes sind vor den Haeusern grosse Mengen von Kork aufgeschichtet. Wir treten in ein Haus ein, in dem Kork geschnitten wird, und sehen uns, freundlich empfangen, die Arbeit an. Der Mann macht Stopfen mit Huelfe einer Drehbank. Er fuegt eckige Korkstuecke in dieselbe ein, versetzt sie in Drehung und rueckt eine Art Hobel heran, der das Korkstueck schneidet. Grosse Uebung verlangt das sichere und rasche Einfuegen der Korkstuecke in die Drehbank, so dass sie gleich richtig centrirt sind. Ist der Arbeiter geschickt, so macht er Hunderte von Stopfen in der Stunde, waehrend er es frueher beim Schneiden aus freier Hand kaum auf tausend Stueck im ganzen Tag bringen konnte. Die Korkplatten muessen mit Wasser gebrueht werden, ehe man sie in die eckigen Stuecke zerlegt. Sie schwellen dabei nicht unwesentlich an. Die Laengsachse der Stopfen entspricht der Laengsrichtung der Platten; man muss sich somit die Stopfen in der Rinde des Baumes aufrecht stehend denken. Die Abfaelle beim Schneiden der Stopfen sind durchaus nicht werthlos. Sie koennen zum Polstern dienen und werden auch wohl verkohlt, um eine schwarze Farbe, das _nigrum hispanicum_, oder um Zahnpulver zu liefern. Gepulverter Kork, mit verdicktem Leinoel angeruehrt und auf wasserdichtes Segeltuch aufgetragen, gibt den als Linoleum bezeichneten Korkteppich, mit dem man die Fussboeden deckt. Die allgemeine Verwendung des Korkes fuer Flaschenverschluss greift nicht weiter als in das siebzehnte Jahrhundert zurueck. Sie faellt zusammen mit der Verbreitung unserer enghalsigen Glasflaschen, die man kaum vor dem fuenfzehnten Jahrhundert herzustellen begann. Im Mittelalter wurden kleine Gefaesse aus Holz, Thon oder Metall verfertigt und mit Zapfen von gleichem Stoff verschlossen oder auch nur mit Wachs verklebt. Die Faesser verspundete man mit Holzpfloecken. Die Alten benuetzten zum Verschluss ihrer Amphoren sowohl Holz- als auch Korkstopfen, die sie mit einem Kitt aus Harz, Kreide und Oel oder auch mit Pech umgaben. Haeufiger noch wurde die Oeffnung dieser Gefaesse nur mit Gyps, mit Harz, Pech oder Wachs zugeschmiert. Auf den Wein gossen sie Oel, so wie das heute noch in Italien geschieht, und suchten ihn so vor Luftzutritt zu schuetzen. Nach Plinius dienten den Roemern Korkstuecke auch schon als Schwimmer an den Fischnetzen und als Bojen an den Ankern; nicht minder wurden die Schuhsohlen fuer Frauen aus diesem Stoffe bereits hergestellt. III. Tief in das Maurengebirge schneidet der Golf von St. Tropez, der Sinus Sambracitanus der Alten, ein. An seinem Ufer sieht man schon aus der Ferne die Haeuser von St. Tropez in bunten Farben schimmern. Von dort aus erscheint die Meeresbucht wie ein geschlossener See. Ihre azurnen Fluthen haben die Klarheit und den Schmelz eines dunklen Saphirs. Man blickt ueber dieselbe ins Maurengebirge hinein. Scharf stechen seine Hoehen vom noerdlichen Himmel ab. Im Osten wird das Bild in duftiger Ferne durch die zackigen Gipfel des Esterels begrenzt. Ueber diesen, hoch in den Wolken, glaenzt der Schnee der Alpen. Hier an dem blauen Golf hat einst die Heraclea Cacabaria gestanden. Ein Herculestempel, so heisst es, gab der Stadt den Namen. Das Land war von Camatullikern bewohnt. - Dann schildert die Sage, wie im Jahre 66 n. Chr. an jenen Strand der Koerper des heiligen Tropez gelangte. Dieser hatte unter Nero hohe Wuerden bekleidet; sein Vetter, Salvius Otho, wurde im Jahre 69 n. Chr. zum Kaiser proclamirt. Er selbst legte alle seine Aemter nieder, nachdem ihn der Apostel Paulus zum Christenthum bekehrt hatte, und zog sich nach Pisa zurueck. Dort liess eines Tages Nero unter einer ehernen Himmelsdecke mit grossem theatralischem Pomp Diana und Apollo anbeten. St. Tropez weigerte sich dessen, er wurde ergriffen, auf Befehl von Nero gemartert, enthauptet und sein Koerper dann auf einem schlechten Nachen in das Meer gestossen. Ein Hund und ein Hahn, die man zugleich in den Nachen setzte, sollten sich an dem Koerper weiden. Doch weder der Hund noch der Hahn beruehrten den Heiligen, sie stellten sich als Waechter an dessen Koerper auf. Ein Engel liess sich am Steuer nieder und fuehrte den Nachen sicher durch die Fluth bis nach Heraclea. Durch das Kraehen des Hahnes gerufen, sammelten sich dort die Christen am Strande und nahmen den Koerper des Heiligen mit hohen Ehren auf. Im neunten Jahrhundert wurde das alte Heraclea von den Saracenen zerstoert, und nur antike Mauern und Graeber zeigen den Ort noch an, auf dem es einst gestanden. Das heutige St. Tropez reicht nicht weiter als bis in das fuenfzehnte Jahrhundert zurueck. Es verdankte sein Aufbluehen genuesischen Familien, die sich hier niederliessen. Zahlreiche Wachtthuerme um die Stadt, sowie die Festungswerke ueber derselben zeigen an, dass St. Tropez sich oft noch gegen Seeraeuber und andere Feinde zu vertheidigen hatte. Heute wird es nur noch durch Zollwaechter geschuetzt, die von den Hoehen aus den Strand ueberwachen. So veraendern sich die Zeiten; frueher musste der Ort die Corsaren abwehren, die ihn berauben wollten, heute sich gegen die Schmuggler schuetzen, die ihn gern versorgen moechten. St. Tropez ist ein Hauptort des Korkhandels geworden; zahlreiche Schiffe werden mit dieser Waare beladen, die aus allen Theilen des Maurengebirges hier zusammenstroemt. Zum klimatischen Kurort duerfte St. Tropez wohl schwerlich jemals erhoben werden, denn es ist zu sehr den Winden ausgesetzt. Gegen das offene Meer deckt das vorspringende Cap den Hafen, doch der Mistral und der Ostwind treiben die Fluthen des Golfes in denselben hinein. Dass bei heftigem Sturm die Wellen bis auf den Uferdamm vordringen, das zeigt der eigenartige Bau mancher dort stehender Haeuser an. Sie sind unten ohne Fenster, nur mit kleinen, dicht schliessenden Thueren versehen, zugleich ausgehoehlt, so wie der Fuss eines Leuchtthurmes, der dem Meere trotzt. - Von den Winden abgesehen, besitzt das meerumspuelte Vorgebirge ein sehr mildes Klima. Der bekannte Geologe Elie de Baumont hat dieses Stueck Land als die Provence der Provence bezeichnet. Seine Vegetation ist ueppig. Kiefern und immergruene Eichen decken die Hoehen; die Abhaenge werden von maechtigen Kastanienbaeumen beschattet, deren Fruechte in ganz Frankreich als "_Marrons de Lyon_" beliebt sind. Hier und dort streckt auch eine Palme ihr schlankes Haupt ueber eine Mauer hervor; doch man sieht es ihr an, dass sie oft vom Winde gepeitscht wird. Den Ufern der Baeche folgen Oleanderstraeucher und Vitexbuesche. Mit den schoenen Bluethen des Oleanders schmueckten sich und schmuecken sich heute noch in Griechenland auf dem Lande die Frauen, auch benutzt man bei uns Oleanderblaetter zur Verzierung der Speisen, waehrend thatsaechlich der Milchsaft dieser Pflanze ziemlich giftig ist. Von dem schmalblaetterigen Vitexstrauch hiess es einst, dass er die Sinnlichkeit unterdruecke, daher erhielt er seinen keuschen Namen: _Vitex agnus castus_. Die atheniensischen Frauen bestreuten mit Vitexblaettern ihre Ruhelager zur Zeit der Thesmophorien, jenen mysterioesen Festen zu Ehren der Goettin Demeter, von denen alle Maenner ausgeschlossen waren. Heute scheint der _Vitex agnus castus_ seine frueheren Kraefte eingebuesst zu haben; nur seine scharf gewuerzhaften Steinfruechte gebraucht man im Sueden noch haeufig als Pfeffer. Der Oleander hat sich sogar einem noch weniger poetischen Verlangen anbequemen muessen, denn die Landleute um Nizza benuetzen seine gepulverte Rinde, um Ratten und Maeuse zu vertreiben. Im Hotel Continental zu St. Tropez wird noch nach alter Art gelebt. Guter Tischwein steht zu gemeinsamer Benutzung auf der Tafel. Man fragt den Nachbar erst, ob er zu trinken wuenscht, bevor man sich selbst einschenkt. Das Dienstpersonal wird in einige Verwirrung versetzt, wenn man nach der Weinkarte verlangt. - Da figurirten als Vorspeisen bei der Mahlzeit ausser Salami, Oliven, Sardinen und anderen allgemein europaeisch gewordenen Dingen, auch Seeigel, ein Leckerbissen, den ich bisher an keiner regelrechten "_table d'hote_" gesehen hatte, und den ich auch gerne Anderen ueberlasse; er dient mir nur als Beweis, dass der Mensch das aergste aller Raubthiere ist. Da werden Tausende weiblicher Seeigel gefangen, aufgebrochen und im Grunde genommen vergeudet: man wirft den ganzen Koerper fort und verzehrt nur das Bisschen Eierstoecke. Dabei wird eine ungezaehlte Brut zerstoert. Diesen orangerothen, faden Schleimmassen konnten wir keinen Geschmack abgewinnen; doch darueber laesst sich ja streiten. - In wahres Entzuecken wurden unsere Tischgenossen stets versetzt durch "_Bouillabaise_". - Nach dieser Speise sehnt sich stets der Provencale, auch wenn er einen anderen Theil von Frankreich bewohnt. - Die Wirthin suchte es ihren Gaesten an den Augen abzusehen, ob ihnen die _Bouillabaise_ schmecke; kann diese doch allein das Renommee eines Hauses begruenden. Wie sie uns servirt wurde, bestand sie aus Langusten und Seefischen. Die Wirthin machte aus deren Zubereitung auch kein Geheimniss. Sie habe, sagte sie, zunaechst etwas Knoblauch, Lorbeerblaetter und weissen Pfeffer in Olivenoel in einer Casserolle geroestet, dann ein Glas Weisswein darauf gegossen, die Langusten, Fische und soviel Wasser, dass sie bedeckt waren, dazu gethan, Alles mit Salz und Pfeffer weiter gewuerzt, hierauf zwanzig Minuten lang kochen lassen und mit einer Messerspitze Safran den Schluss gemacht. Ihre _Bouillabaise_ war dann fertig. Die Langusten und Fische kamen in eine tiefe Terrine und wurden mit der Bruehe, in welcher auch Weissbrodschnitte geweicht hatten, uebergossen. - Die _Bouillabaise_ fand ungetheilten Beifall. Die Wirthin meinte, fuer Franzosen allein lohne es sich zu kochen, waehrend Auslaender mit demselben Gleichmuth gute und schlechte Speisen verschlaengen: Das sei fuer eine sorgsame Wirthin entmuthigend. Darauf mein Tischnachbar in laengerer Rede entwickelte, dass er nicht einsehen koenne, weswegen man ein Sinnesorgan gegen die anderen zuruecksetzen solle. Man koenne eine dumme Zunge haben, ebenso wie ein dummes Auge oder ein dummes Ohr. Ein Mensch, der Karpfen von Steinbutte nicht zu unterscheiden wisse, floesse ihm nicht mehr Ehrfurcht, als ein solcher ein, der Van Dyck mit Raphael oder Gounod mit Wagner verwechsle. War das Essen auch gut, der uebrige Comfort des Hauses liess doch etwas zu wuenschen uebrig, so dass wir, trotz solcher culinarischer Genuesse, uns zeitweise nach einem anderen Unterkommen sehnten. Eine Strassenbahn verbindet jetzt St. Tropez mit La Foux, einer Station der suedfranzoesischen Bahn. Der Weg fuehrt an dem Schlosse von Bertaud und vor dessen Thoren an einer maechtigen Pinie vorbei, deren Stamm wohl sechs Meter im Umfang misst. Es duerfte eine der groessten Pinien sein, die jetzt existiren, und wohl mancher Saracene hat schon in ihrem Schatten gelagert. Der Baum steht mitten auf der Strasse, der "_route nationale_", und es ist zu loben, dass ihn die Ingenieure schonten. Die Strassenbahn setzt sich ueber La Foux noerdlich bis Cogolin fort, und von da aus kann man auf der Chaussee La Garde Freinet erreichen. Dort hatten einst schon die Roemer einen Militaerposten errichtet, der die Verbindung zwischen dem Sinus Sambracitanus und der etwas noerdlicher durchs Gebirge ziehenden Via Aureliana ueberwachen sollte. Der Ort liegt in einem Engpass zwischen zwei Bergen, und dort setzten sich auch die Mauren im Jahre 850 fest, nachdem sie St. Tropez zerstoert hatten. Sie sicherten sich so den Zugang zum Meere und beherrschten zugleich das Gebirge. Die Festung, die sie erbauten, wurde Fraxinetum genannt, und dieser Name dann auf alle aehnlichen maurischen Festungen uebertragen. Hier haeuften sie die geraubten Schaetze an, um sie spaeter uebers Meer nach Afrika zu schaffen. Wilhelm I., Graf von Arles, unterstuetzt von zwei provencalischen Edelleuten, Bavon und Grimaldi, stuermte und eroberte im Jahre 973 die Veste. Alle Mauren, die dem Schwert entgingen, wurden nebst Weibern und Kindern zu Sclaven gemacht. Die Veste schwand von der Erde, und nur einige Mauerreste, die Epheu heute deckt, sowie eine tiefe, in Fels gehauene Cisterne, zeugen dafuer, dass sie einst gewesen. Als Preis der Tapferkeit und Lohn fuer die erwiesenen Dienste erhielt Grimaldi von Wilhelm I. das ganze Land, welches die Mauren am Sinus Sambracitanus besassen. Da ragen denn noch heute, als Wahrzeichen aus jener Zeit, auf dem Berge, der die Thalmuendung beherrscht, die Truemmer der Burg Grimaud in den Himmel. Zwei Thuerme auf steilem Abhang, durch Mauerreste verbunden, scheinen ueber dem Abgrunde zu schweben, die uebrige Burg ist zerstoert; doch unter ihr, wenn auch ihres Schutzes beraubt, in ueppiges Gruen gehuellt, klammert sich der kleine Ort Grimaud noch immer an den Felsen. Von La Foux aus oestlich folgt die Suedbahn weiter allen Ausbuchtungen der Kueste. Jetzt eilt sie dem Meere zu, und St. Tropez am jenseitigen Ufer scheint immer naeher zu ruecken; dann wendet sie sich landwaerts, und das Esterel taucht ploetzlich am Horizonte auf. Das Maurengebirge rueckt dicht ans Meer heran, der Wald erreicht die Kueste. Immer schwelgerischer entwickelt sich hier seine Pracht. Aus den immergruenen Eichen und Seestrandkiefern leuchtet die baumartige Erica mit ihren weissen Bluethenmassen hervor. Ueberall sieht man den Erdbeerbaum seine lorbeerartigen Blaetter ausbreiten. Dunkler Epheu rankt an den Staemmen in die Hoehe, und ueppige Waldreben verbinden die Baumkronen durch helle Laubguirlanden. Dieses herrliche Bild verlockt uns, die Fahrt zu unterbrechen; wir steigen in La Gaillarde aus und setzen unseren Weg zu Fuss fort. Wir folgen dem Ufer. Die Strandkiefer taucht ihre Wurzeln fast in die Wellen; oft neigt sie sich ueber die Fluth, als wollte sie ihr Bild in der spiegelnden Flaeche betrachten. Das Land wird hier geschmueckt von der See mit einem Saum silberschaeumender Wogen, dafuer flicht ihr das Land einen Kranz aus immergruenem Walde. Zerrissene Felsen springen am Strande vor und verlieren sich weit in den Fluthen. Das Esterel ist uns ganz nahe gerueckt. Es zeigt denselben reich bewegten Umriss, dem wir so gerne von Antibes aus folgten. Dieser Gebirgszug ist so schmal, dass die naemlichen Hoehen von Osten wie von Westen das Bild bestimmen. In Antibes sieht man am Abend die Sonne hinter dem Esterel verschwinden; dann huellen sich seine Gipfel in dunkelblaue Schatten und stechen mit scharfen Umrissen gegen den Abendhimmel ab. Hier sind sie jetzt mit Licht uebergossen; die schwindende Sonne senkt ihre Strahlen in die Thaeler hinein, sie gestaltet und modelt die einzelnen Berge, vergoldet die Gipfel, spart blaue Schlagschatten in den Tiefen aus, entzuendet ganze Doerfer, wirft Irrlichter in die einzelnen Haeuser hinein und taucht schliesslich Alles in purpurne Gluth. - Hier bei St. Aigulf am Strande liess sich Carolus Duran nieder, und der Ort ist wohl angethan, eines Malers Seele mit farbigem Glanz zu erfuellen! - Ploetzlich oeffnet sich vor uns das weite, von dem Fluss Argens in zahlreichen Windungen durchstroemte Thal, durch welches das Maurengebirge von dem Esterel geschieden wird. Der Teich von Villepey und die Windungen des Flusses glaenzen wie metallene Spiegel. In Frejus ertoenen die Abendglocken; vom jenseitigen Ufer des Golfs sendet uns der Leuchtthurm von St. Raphael einen ersten noch blassen Strahl entgegen. IV. Wir wandern jetzt auf classischem Boden. Ist doch Frejus das alte Forum Julii, dem Julius Caesar den Namen gab. Augustus vollendete den Hafen, der die Stelle von Lagunen einnahm, und gab dem Orte einen Pharus. Agrippa liess einen Aquaeduct und ein Amphitheater erbauen; siedelte hier auch Soldaten der achten Legion an, was zu der spaeteren Benennung Colonia Octavanorum fuehrte. Die Stadt wuchs rasch in Groesse und Bedeutung; sie mass fuenftausend Schritte im Umfang. Der Hafen war so ausgedehnt, dass er im Jahre 31 v. Chr. die zweihundert Galeeren aufnehmen konnte, die Octavian in der Schlacht bei Actium Antonius abgenommen hatte. Was fuer ein farbenpraechtiges Bild mag das gewesen sein, als die Flotte des Antonius diesen Hafen fuellte, als maechtige roemische Bauten sich in seinen Wellen spiegelten, und weithin sichtbar durch das Thal der Aquaeduct in kuehnen Boegen den fernen Bergen zueilte. - Frejus blieb unter den Kaisern die wichtigste Flottenstation an diesem Gestade, dann aber begannen traurige Zeiten. Der _Amnis argenteus_, der heutige Argens, fuellte langsam den Hafen mit Schlamm und Erde an. Im zehnten Jahrhundert konnten nur noch kleine Schiffe Zuflucht in demselben finden. Dann kamen die Saracenen und schleiften 940 die Befestigungen der Stadt. Im fuenfzehnten Jahrhundert wurde Frejus von Corsaren verbrannt, dann im sechzehnten Jahrhundert nochmals unter Carl V. gepluendert. Der Hafen schwand allmaelig, und an seiner Stelle bildeten sich weite Suempfe aus, welche mit toedtlichen Miasmen die Gegend erfuellten. Ein Bild solchen Elends fand Aubin-Louis Millin im Beginn dieses Jahrhunderts hier vor. Die Strassen waren leer, die Haeuser unbewohnt, die wenigen Menschen, die man sah, gingen mit blassen fahlen Gesichtern, hohlen Wangen, eingefallenen Augen umher. Man meinte, in einem grossen Krankenhaus zu sein. "Wir nahmen Wohnung", schreibt Millin, "in der besten Herberge: es war ein verpestetes und ekelerregendes Haus, in dem man den Aufenthalt als Strafe betrachten musste. Schrecklicher Schmutz herrschte in ihm. In schlecht gespuelten Gefaessen wurde uns fauliges Wasser dargereicht; ganze Schwaerme von Fliegen belagerten die mit ranzigem Oel bereiteten Speisen. Den Suempfen entstiegene Muecken und Schnacken peinigten uns mit ihren Stichen; des Nachts wurden wir von nicht minder zudringlichen, aber noch ekelhafteren Thieren aufgezehrt. Unser Blut war in fortwaehrender Wallung. Es koennen hier wirklich nur solche Menschen leben, die an derartige Plagen gewoehnt sind; uns erschienen sie als das groesste Unheil, das einem menschlichen Wesen begegnen kann. Wir bedauerten, dass der Wissensdrang, der uns trieb, historisch beruehmte Staetten aufzusuchen, uns an diesen elenden Ort gefuehrt hatte, und wir wuenschten denselben so bald als moeglich verlassen zu koennen." - Seitdem haben sich die Zustaende in Frejus gebessert. Abzugscanaele sind entstanden, welche die Umgegend entwaessern und dadurch gesuender machen; der Ort selbst ist zwar auf ein Fuenftel seiner frueheren Groesse zusammengeschmolzen, sieht aber ziemlich freundlich aus. Wer freilich tieferen Eindruck von den Ueberresten aus der classischen Zeit erwartet, der wird enttaeuscht sein. Es blieb nur wenig davon zurueck, zu wenig, um Achtung zu gebieten oder gar kuenstlerisch anzuregen. Nur die zerrissenen Bogen des Aquaeducts draussen in den Feldern, mit ihrem Schmuck von kletternden Pflanzen, sind aesthetisch wirksam. Der Argens war so fleissig bei der Arbeit, dass heute eine weite sandige Flaeche Frejus vom Meere trennt; die Truemmer des alten roemischen Leuchtthurms ragen jetzt anderthalb Kilometer vom Strande entfernt aus dem Boden hervor. So ist der alte Glanz von Frejus fuer immer geschwunden, und was von demselben zurueckblieb, vermag solchen Eindruck wie die Denkmaeler von Nimes und von Arles auf uns nicht zu machen. Doch erhebt uns auch hier das Gefuehl, classischen Boden unter den Fuessen zu haben. Wir schauen dann hinaus in das blaue Mittelmeer, an dessen Ufern jene maechtige Cultur erstarkte, welche die Welt erobert hat. Wir suchen das Band mit der Vergangenheit enger zu knuepfen und werden uns im Geiste wieder bewusst, dass jene allgemein menschlichen Gedanken und Gefuehle, die hier zum ersten Mal zur bewussten Empfindung und Gestaltung gelangten, auch heute noch unser Denken und Fuehlen beherrschen. Roemische Villen fuellten jenen Strand, an dem heut St. Raphael sich erhebt. Die roemischen Patricier bevorzugten ueberhaupt dieses schoene Land. Es war das ihre Provincia Romana par excellence, diejenige, die sie meinten, wenn sie kurzweg von Provincia sprachen, und sie behielt den Namen der Provence. Am Strande von St. Raphael liessen sich nach den Roemern die Tempelritter nieder und bauten jenen viereckigen Thurm, der auch heute noch die alte Kirche zu schuetzen scheint. Im Jahre 1799 landete hier Bonaparte, als er von Aegypten kam, und hier auch verliess er das Land, um 1814 nach Elba zu gehen. Es trifft somit nicht ganz zu, wenn behauptet wird, Alphonse Karr habe St. Raphael entdeckt: richtig aber ist, dass er unter den franzoesischen Schriftstellern der erste war, der sich hier niederliess, dass ihm bald andere Celebritaeten der Litteratur und Kunst folgten, und dass der neue Aufschwung von St. Raphael mit jener Zeit begann. Was aber alle jene Kuenstler und Schriftsteller hier suchten, das war der stille abgelegene Ort, an dem man Blumen, Sonne und Meer geniessen kann, ohne von anderen Menschen gestoert zu werden. Sie alle flohen den Laerm des grossstaedtischen Nizza und des uebereleganten Cannes. "Wenn ich eine grosse Stadt lieben moechte," pflegte Alphonse Karr zu sagen, "zoege ich zurueck nach Paris." Auch ist es im Sommer hier kuehler als jenseits des Esterel, und der sandige Strand ladet dann zum erfrischenden Bade ein; daher sich St. Raphael immer mehr zum sommerlichen Seebad entwickelt. Im Winter ist es zu sehr den Winden ausgesetzt. Das sollten auch wir noch erfahren. Schon am Abend bei unserer Ankunft begann sich Ostwind zu erheben, am naechsten Tage wehte er mit Macht und war von heftigem Regen begleitet. Gegen dieses Unwetter liess sich im Freien nicht ankaempfen. Der Wind trieb die Regentropfen fast wagrecht durch die Luft. Das dauerte so zwei Tage. Starker Ostwind ist hier meist mit Regen gepaart, somit traurig. Ganz verschieden gebaerdet sich sein Widersacher, der noerdliche Mistral. Er ist trocken und daher weit heiterer. Er fegt den Himmel rein und pfeift bei Sonnenschein. Er blaest nicht in langen Zuegen, sondern in abrupten Stoessen, er klingt donnerartig und ruettelt an den Gebaeuden. Der Ostwind hingegen blaest staerker oder schwaecher, doch ohne Unterbrechung fort; seine Stimme ist mehr ein Klagen, so dass man bei Nacht langgedehnte Schluchzer zu hoeren meint. In der zweiten Nacht, die auf unsere Ankunft folgte, entlud sich ein polterndes Gewitter, das mit dumpfem Droehnen die Thaeler erfuellte und zuckende Flammen auf die Meeresflaeche warf; als der Morgen aber kam, da strahlte die Sonne wieder hell in unser Zimmer hinein. Das Meer tobte weiter, und wir zogen hinaus, um seinen Anprall gegen die Felsen des Strandes zu sehen. - Zu den Wahrzeichen von St. Raphael gehoeren seine beiden Loewen: "_le lion de terre_" und "_le lion de mer_", zwei rothe Porphyrfelsen, die gleichsam Wache an dem Strande halten. Der Seeloewe hat sich weiter in das Wasser hinausgewagt, der Landloewe dicht am Ufer gelagert. Sie lauern da wie apokalyptische Thiere und trotzen seit Ewigkeit der nagenden Kraft der Wellen. Jetzt stuermt das Meer mit Macht gegen diese Felsen an, waelzt seine Wogen ueber sie hinweg und wirft mit Getoese schaeumenden Gischt hoch an ihnen empor. Ueber den Porphyrloewen im blauen Himmelsraum, da wiegen sich aber die Moeven. Wie gerne folgt ihnen das Auge, diesen muthigen Voegeln, wenn sie mit breitem und maechtigem Fluegelschlag die Luft durchschneiden. Jetzt segeln sie gegen den Wind, jetzt wiegen sie sich an der Stelle, jetzt schiessen sie herab in die Fluth, um ihre Beute zu fassen; mit ihr schwinden sie in der Ferne, oder sie lassen sich nieder auf der schaukelnden Welle, ein weisser Punkt mehr inmitten der weissen Kaemme. Da hinten in der See taucht ploetzlich eine Herde von Delphinen aus den Wellen hervor. Sie zeigen zuerst ihren Kopf, ueberschlagen sich fast in der Luft und schiessen hinunter in die Tiefe. Sie bringen Humor in das grossartige Schauspiel: sie sind die Clowns des Meeres. Die Strasse, die von St. Raphael in oestlicher Richtung dem Meeresstrande folgt, fuehrt an Landhaeusern vorueber, die manchen bekannten Namen tragen. Da ist die "_maison close_", das geschlossene Haus, welches Alphonse Karr sich schuf, um der aufdringlichen Welt zu entgehen. Hier in "_Oustalet dou Capelan_" hat Charles Gounod sich abgesondert, und ueber der Eingangsthuer liest man: "_L'illustre maitre, Charles Gounod composa Romeo et Juliette a l'Oustalet dou Capelan, au printemps de 1866_", und Jules Barbier, sein Librettist, der nebenan ein Landhaus besitzt, fuegte darunter hinzu: _Hic Divum Romeo scripsit Gounod meus 1866. Ingenio haut amicitia impar_." Gounod weilte mit Vorliebe in St. Raphael; "ich finde hier," meinte er oft, "den Golf von Neapel vor, mit der Campagna von Rom im Hintergrunde." Ist die Lage von St. Raphael wirklich so schoen, als es Gounod empfand? Ich kann das nicht behaupten, so wenig ich auch sonst diesem Ort den ihm zukommenden Reiz absprechen moechte. Mir fehlt hier der volle Blick auf das Esterel, und ich fuehle mich nicht hinlaenglich dafuer entschaedigt durch die Aussicht auf das Maurengebirge und jenes Thal des Argens, das Gounod mit der Campagna von Rom vergleicht. Lieber wuerde ich doch dem Beispiel von Carolus Duran folgen und mich dort drueben in St. Aigulf niederlassen, an dem waldigen Strande, von dem aus man am Abend das zackige Esterel in Purpur leuchten sieht. V. Hingegen bildet St. Raphael einen vorzueglichen Standort fuer Ausfluege in das Esterel-Gebirge. Und dieses Gebirge ist sicher des Besuches werth; es gehoert zu den Juwelen der Riviera: sein malerischer Reiz wird durch die Porphyre bedingt, die als nackte Felsenmassen dem Boden entsteigen. Um diese Porphyre und anderes eruptives Gestein sind Schiefer emporgerichtet. Allseitig wird das Esterel durch tiefe Thaeler von den Alpen und durch das Thal des Argens auch von dem Maurengebirge getrennt. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts wagte man sich nur mit Schrecken in das Esterel hinein, jetzt wandelt man in demselben sicherer als in den Anlagen mancher grossen Stadt. - Unser erster Besuch sollte dem hoechsten Punkt des Gebirges, dem Mont Vinaigre gelten, dessen Gipfel sich 616 Meter hoch ueber den Meeresspiegel erhebt. Wir hofften von dieser Hoehe das ganze Esterel zu ueberblicken und wollten dort unseren Plan fuer weitere Ausfluege entwerfen. - Wir brachen von St. Raphael auf, als der Morgen graute. Der Weg fuehrte gegen Norden zunaechst nach Valescure. Dort am Abhang der Berge, in dem kuehlen Walde, pflegten schon roemische Familien den Sommer zu verbringen, wenn die Hitze des Tages in Forum Julii unertraeglich wurde. _Vallis curans_, das Thal, welches Genesung bringt, muss, wie sein Name sagt, als besonders gesunder Aufenthaltsort gegolten haben. Diesen alten Ruf moechte man auch heute noch ausnutzen und durch den verheissungsvollen Klang des Namens neue Bewohner hier anlocken. Man wandert in Valescure auf fertig angelegten Strassen, "_Grands Boulevards_" mit hochtoenenden Namen; der Wald ist in Parkanlagen verwandelt; grosse Hotels hoffen auf Gaeste, Musikpavillons warten auf Musikanten. Doch die Besucher bleiben noch aus. Woher auch sollen sie kommen, diese Millionaere, um allen Grundstueckspeculanten zu Gefallen die ganze Riviera von Toulon bis Ventimiglia mit Villen zu bedecken? Mit dem Augenblick, wo der Bau der Suedbahn beschlossen war, bemaechtigten sich Actiengesellschaften aller Punkte am Strande, die durch schoene Aussicht aller Punkte auf der Hoehe, die durch gesunde Lage, Kiefernadelduft, oder sonst welche Vorzuege sich auszeichnen. Auch in St. Aigulf drueben im Maurengebirge ist der Wald schon parcellirt, laufen "_Grands Boulevards_" durch denselben und sind nicht allein mit schoenen Namen, sondern auch mit Laternen versehen. Den Laternen freilich fehlen die Scheiben; gebrannt hat noch keine; manche warf der Sturm, manche auch Menschenhand schon um; nun liegen sie da und rosten, ein trauriges Bild des Todes dort, wo niemals Leben war. Dazwischen in moeglichst auffaelliger Stellung grosse Tafeln mit bunten Inschriften und Plaenen, die zum Ankauf der Grundstuecke verlocken sollen. - Wird Valescure jemals gedeihen? Es ist wohl moeglich - einen Anfang von Erfolg hat es schon zu verzeichnen: "_La nature severe et riante, l'odeur des pins agreable et salutaire_", wie Stephen Liegeard den Ort preist, hat bereits die Kuenstlerin der "_Comedie francaise_" Suzanne Reichemberg und die nicht minder beruehmte Saengerin der Pariser komischen Oper Miolan Carvalho veranlasst, sich hier anzusiedeln. Der Ort ist anmuthig, dicht von immergruenem Wald umhuellt, mit heiteren Ausblicken in das Meer und das Gebirge: trotzdem athmeten wir freier auf, als wir die "_Grands Boulevards_" verlassen hatten und uns in einer von der Speculation weniger uebertuenchten Natur bewegten. - Die Sonne ging in blaugrauem Nebel als rothe strahlenlose Scheibe auf; dann tauchte sie aus dem Nebel hervor und strahlte hell an wolkenlosem Himmel. Die Erde schien jetzt von Licht ueberstroemt. Bald betraten wir jene ausgedehnten Waelder, welche das Esterel fast ganz bedecken. Einst hatten sie oft vom Feuer zu leiden; statt gruener Laubkronen starrten verkohlte Skelete den Wandrer an. Jetzt sind die Waelder Staatseigenthum geworden und erfreuen sich so sorgsamer Pflege, dass sie fast den Eindruck grosser Parkanlagen machen. Die dunklen Strandkiefern (_Pinus Pinaster_) wiegen bei Weitem vor: sie schliessen ihre Kronen oft so dicht zusammen, dass kaum ein Sonnenstrahl durch das Dickicht dringt. Vorzuegliche Kunststrassen fuehren durch den Wald, und bis auf den Gipfel der Berge gelangt man auf gut gehaltenen Wegen. Auffallend genug sieht man eine weite Kunststrasse oft ganz ploetzlich enden, wenn sie die Grenzen des Gebirges erreicht. Da hoert das Departement der Forste naemlich auf, und es beginnt dasjenige der Bruecken und Chausseen. Die beiden Ministerien arbeiten sich, wie es scheint, nicht immer in die Haende. Nach Wegweisern sieht man sich leider vergebens im Esterel um, und wo mehrere Strassen sich schneiden, bleibt man auf seine Orientirungsgabe ganz angewiesen. Die besten Karten der Gegend, die wir uns zu verschaffen vermocht, Karten, welche das Ministerium des Inneren im Jahre 1889 veroeffentlicht hatte, reichten eben nur aus, um uns irre zu fuehren. Der Weg zum Mont Vinaigre war uebrigens nicht schwer zu entdecken. Zunaechst sahen wir ihn vor uns, dann brauchten wir im Walde nur der breiten Strasse zu folgen und uns nordwestlich zu halten, dort wo sich dieselbe mit anderen gleich breiten Strassen schnitt. Sie stieg in Windungen zwischen den Bergen empor. Meist war sie im Walde versteckt, und wir wanderten im Schatten hoher Baeume, oder sie erreichte einen steilen Abhang, und ueber den Gipfel der Baeume hinweg konnte der Blick dann ueber gruene Thaeler und Berge weithin sich verlieren. Doch kein Haus war zu entdecken, nirgends verrieth aufsteigender Rauch eine verborgene Huette: nichts als Waelder, Thaeler und Berge in endloser Einsamkeit. Seitdem wir das Gebirge betreten hatten, war uns kein Mensch begegnet. Wir fuehlten uns ganz allein: es war fast unheimlich. Nach zwei Stunden erreichten wir eine menschliche Behausung, das Forsthaus zu Malpay: "_M[=a]ou pays_", schlechte Gegend, wie es provencalisch heisst, in Erinnerung an jene Zeit, wo es hier nicht geheuer war, zu reisen. Die Frau Foersterin schien sichtlich erfreut, sich wieder einmal aussprechen zu koennen, und gab uns, waehrend wir fruehstueckten, genaue Auskunft ueber die Gegend. Sie zeigte uns auch in oestlicher Richtung ein Stueck der roemischen Strasse, die man von hier aus auf eine laengere Strecke hin ueberblicken kann. Rom mit Gallien verbindend, endete sie in Arelate, dem heutigen Arles, von wo die "_via Domitia_" nach Spanien fuehrte. Zwei roemische Strassen, die als aurelianische bezeichnet wurden, fuehrten durch das Esterel. Die aeltere folgte von Cannes aus der Kueste und erst vor der suedlichsten Felsengruppe des Esterel drang sie landeinwaerts, in ein Thal, um in westlicher Richtung Frejus zu erreichen. Spaeter legten die Roemer die zweite Strasse an, die, in gerader Richtung ueber die Berge laufend, ungefaehr der heutigen zwischen Frejus und Cannes entspricht und von der wir hier ein Stueck vor Augen hatten. In einer verborgenen Schlucht unfern derselben liegen in Malpay noch Porphyrsaeulen aus alter Zeit, unvollendete Arbeit der Roemer. Der violettrothe Stein hat sich seitdem freilich mit einer dicken schwarzen Kruste bedeckt. An die Benennung jener roemischen Strassen erinnern hier noch die Namen der Ufer und Berge. Dort, wo die aeltere der beiden Strassen das Meer verliess, heisst immer noch das Ufer "Plage d'Aurel", und "Pic d'Aurel" heissen die Porphyrmassen, denen sie dann folgte. Dieses Gebirge war spaeter von aller Cultur so abgeschnitten, neuen Einfluessen so entzogen, dass das Volk bis auf den heutigen Tag eine noch benutzte Strecke der aelteren Strasse "_lou camin Aurelian_" nennt. Man verlaesst in Malpay die breite Strasse und folgt in oestlicher Richtung dem Fussweg, der in zahlreichen Windungen am suedlichen Abhang des Mont Vinaigre aufwaerts steigt. - Wie kommt der Berg zu seinem merkwuerdigen Namen? Es heisst der saure Wein, der an seinen Flanken wuchs, haette ihm denselben verschafft. Spuren einstiger Weincultur sind freilich nicht mehr zu entdecken, hingegen tritt man am Abhang in die herrlichsten Maquis ein. Baumartige Heide, Ginster, Pistacien, Euphorbien, Asphodelen, sie alle bluehen zu gleicher Zeit und erfuellen die Luft mit wuerzigem Duft. Denn er ist kurz, der provencalische Fruehling, und die Pflanzen muessen sich beeilen, bevor die Duerre naht; es ist als wenn die Natur ein Fruehlingsfest hier feiern wollte, und unbewusst dringt etwas von diesem Fruehling auch in die Seele des Wandrers ein. Er vergisst alles Vergangene, ihm ist, als koenne er das Leben von Neuem beginnen. Warum auch nicht? Ist doch die Welt so alt und erwacht sie dennoch in jedem Fruehjahr zu neuem Leben. - Was duften nur die Heiden so schoen nach bittren Mandeln? Jeder Windhauch traegt uns ganze Fluthen dieses Aromas entgegen. Dieser Duft war uns frueher kaum aufgefallen, doch eine gleiche Fuelle von Ericabluethen hatten wir auch noch nie gesehen. Ein suesser Honiggeruch erfuellt jetzt die Luft: eine unscheinbare kleine Wolfsmilch (_Euphorbia spinosa_) ist es, die ihn verbreitet. Ihr fehlen auffaellige Bluethen, und da muss sie sich besonders bemuehen, um in so farbenreicher Umgebung nicht unbeachtet zu bleiben. Sie wird auch von zahlreichen Bienen besucht, waehrend die bunten Schmetterlinge um andere praechtigere Bluethen flattern. Hier lohnt es sich, Biene und Schmetterling zu sein! Aus dieser Bluethenmasse ragen dunkle Erdbeerbaeume, zwerghafte Kiefern, immergruene Eichen, stachelige Wachholderstraeucher (_Juniperus oxycedrus_) hervor. Und wo ein noch so kleiner Platz unbesetzt geblieben an dieser reichen Tafel der Natur, da draengen sich die Asphodelen (_Asphodelus cerasifer_) mit ihren weissen Bluethenrispen ein. Auch sie wollen ihren Antheil an Licht und Waerme haben, an jener Nahrung, die hier in solchem Uebermass gespendet wird. Wir steigen nur langsam in die Hoehe, bleiben vor jeder einzelnen Bluethe stehen, belauschen die Bienen bei der Arbeit. Erst nach einer Stunde sind wir oben; da liegt eine ganze Welt zu unseren Fuessen. Vor uns das gruene Esterel mit seinen tief eingeschnittenen Thaelern und seinen steilen Hoehen, wo aus dem Laub der Baeume die zackigen Porphyrfelsen in den Himmel ragen. Im Westen die Ebene von Frejus von ihrem Silberfluss durchstroemt; ueber dieser das Maurengebirge mit seinen dunklen Waeldern, und dann alle Buchten der Kueste, weit hin bis nach St. Tropez. Im Norden die Kalkalpen in perlgrauem Ton; im Osten die Seealpen mit schneebedeckten Haeuptern; davor ueppig gruenes Land, mit leuchtenden Staedten und Doerfern und wieder die Kueste, erst bei Bordighera in duftigen Nebel sich huellend. Ganz in der Naehe Cannes, vor ihm die Inseln von Lerins; weit vorspringend in die See das schmale Cap von Antibes; endlich im Sueden, scheinbar dem Himmel entgegenstrebend, das unbegrenzte Meer. Heute war es hier oben so windstill, dass auch die einsame Korkeiche, die am Gipfel steht, sich in der Sonne *waermen* konnte. Auch sie, die bedauernswerthe, war ihrer schuetzenden Korkhuelle beraubt worden. Zum grossen Theil entbloesst, musste sie an schlimmen Tagen dem Mistral hier trotzen. In dem friedlichen Bilde, das uns umgab, stoerte diese nackte Eiche wie ein Misston die Harmonie. Der Weg, den wir bei Malpay verlassen hatten, setzt sich in gerader Richtung am Fusse des Mont Vinaigre fort und trifft bald auf die grosse Strasse von Frejus und Cannes. Folgt man ihr in oestlicher Richtung, so gelangt man bald zu einer Haeusergruppe, der Auberge des Adrets und dem Gensdarmerieposten. Der Name, den das Wirthshaus fuehrt, war in Paris einst in Jedermanns Mund, als der beruehmte Schauspieler Frederic Lamaitre im Ambigu-Theater die Hauptrolle in einem Schauerdrama gab, das in einer "Auberge des Adrets" spielte. Das war in den vierziger Jahren, und alle sensationsbeduerftigen Besucher von Cannes machten Ausfluege ins Esterel, um in der "Auberge des Adrets" die Raeume zu sehen, in denen ein Herr Germeuil ermordet oder vielmehr *nicht* ermordet worden war. Denn abgesehen davon, ob die ganze Geschichte sich jemals zugetragen, oder ob sie nur erfunden war, handelte es sich thatsaechlich in dem Drama nicht um diese, sondern, wie das Textbuch deutlich angab, um eine Herberge gleichen Namens auf dem Wege von Grenoble nach Chambery. - Unter den Besuchern, die in froehlicher Laune von Cannes aus hierher gekommen waren, befand sich im Jahre 1868 auch Georges Sand. Die Bewohner des Hauses wurden damals schon sehr ungehalten, wenn man sie ueber jenen Herrn Germeuil ausfragen wollte; sie glaubten, man bezichtige sie des Mordes. Richtig ist, dass vor Jahren die Gegend um jene "Auberge des Adrets" besonders beruechtigt war. In den unzugaenglichen Thaelern und Schluchten des Esterel suchten alle jene Verbrecher ihre Zuflucht, denen es gelungen war, aus den Galeeren von Toulon zu entfliehen. Sie pflegten die Reisenden unfern von diesem Wirthshaus anzufallen, an einer Stelle, wo die Strasse von angrenzenden Hoehen beherrscht ist. "Als wir vorbeifuhren," schreibt Horace Benedict de Saussure, "zeigte uns der Courier von Rom, der mit uns reiste, einen zertruemmerten Reisekoffer, der noch am Wege lag und einem Courier gehoert hatte, der vor einigen Tagen ausgepluendert worden war." Als hingegen der Erlanger Professor der Naturwissenschaften Gotthilf Heinrich Schubert 1822 "mit der Hausfrau, die, wie gewoehnlich, als Haushofmeister und Adjutant, ihren alten Traeumer begleitete", die naemliche Stelle ueberschritt, hatten sich die Zustaende bereits geaendert. In dem Wirthshaus war ein Gensdarmerieposten errichtet. Doch fand er dort nur eine alte Frau und zwei kleine Kinder vor. Waehrend die Reisenden sich staerkten, kam die Alte auf die verschollenen Raeubergeschichten zu sprechen. "Wenn sich so ein Raeuber doch hier wieder sehen liesse," meinte die Frau, "damit unsere Gensdarmen zeigen koennen, dass sie ihr Brot nicht umsonst essen." - Seitdem die Eisenbahn Frejus mit Cannes verbindet, ist diese Strasse wie ausgestorben, und Raeuber wuerden ihr Auskommen da nicht mehr finden. Das Wirthshaus zeigt aber noch deutlich an, dass es einst darauf eingerichtet war, sich zu vertheidigen. Die Mauern sind ungewoehnlich dick, die Fenster des unteren Stockwerks mit eisernem Gitter versehen. Durch eine Oeffnung in der eichenen Thuer wurde der Reisende erst genau betrachtet, bevor er Einlass erhielt, schraege Schiessscharten in den Waenden sind gegen die Thuer gerichtet: das Haus gleicht einer Festung, die nur durch regelrechte Belagerung genommen werden konnte. Jetzt steht seine Thuer weit offen, und kleine Kinder spielen vor dem Hause. Wir kehrten nach Malpay zurueck und waehlten von dort einen Weg, der in suedoestlicher Richtung uns nach Agay fuehrte. Bald waren wir in den _Vallon de la Cabre_ gelangt. Dort breitete ueberall am Abhang der lorbeerartige Schneeball (_Viburnum Tinus_) seine weissen Bluethendolden aus. Bis auf die betretenen Wege wagten sich die blauen Schwertlilien (_Iris germanica_) hervor. Die Dichternarcisse (_Narcissus poeticus_) schaute uns aus dem Gebuesch mit ihren leuchtenden Blumenaugen an. Hochstengelige Tulpen (_Tulipa Celsiana_) gruessten uns aus der Ferne mit ihren gelben Bluethen. Die violetten Bluethenstaende der doldenbluethigen Schleifenblume (_Iberis umbellata_) ueberraschten uns durch ihre Pracht; hatten wir doch dieses schoene Gewaechs bisher nur in Gaerten gesehen. Bald war in unseren Haenden _Ophrys aranifera_, die merkwuerdige Orchidee, mit ihren spinnenartigen Bluethen, und zu dieser konnten wir dann auch ihre bienenaehnliche Schwester (_Ophrys apifera_) gesellen. Am meisten aber erfreute uns das seltene _Limodorum abortivum_, eine blattlose Orchidee, die in allen Theilen hellviolett gefaerbt, auch hellviolette Bluethen traegt. So wandelten wir im Thale mit grossen Blumenstraeussen in den Haenden. Da ploetzlich tauchte vor uns ein grosser Porphyrblock auf. Er steht auf schwachen Fuessen und neigt sich ueber den Bach, als wollte er stuerzen. Das Volk hat ihn den Taubenschlag, "_Pigeonnier_", genannt. Dann fuehrte unser Weg weiter an anderen phantastischen Felsen vorbei; oft schienen sie das Thal zu versperren und traten erst weit im Halbkreis auseinander, als wir den Fluss von Agay erreichten. Dem folgten wir bis an das Meer. Zackig zerrissen, in rothem Lichte gluehend, schaut dort das Castel d'Agay in die See hinab. Wie Zaehne einer Riesensaege ragen in langgedehnter Reihe die steinernen Zacken gegen den Himmel vor. Wir rasteten an der lieblichen Bucht von Agay, die der rothe Porphyr in einen farbigen Rahmen fasst. Wir sind hier zehn Kilometer von St. Raphael entfernt, an der Station der Mittelmeerbahn, die dem Seestrande folgt, um dem Gebirge auszuweichen. Unfern von Agay, am Wege nach St. Raphael, wird blauer Porphyr gebrochen. Grosse Bloecke sprengt man aus dem Berge heraus, schneidet sie in Platten und Wuerfel und verwerthet den Rest fuer Strassenbau. Der ganze Strand ist mit blauem Porphyr bedeckt, und zahlreiche Arbeiter sind beschaeftigt, ihn auf Schiffe zu laden. Der Porphyr des Esterel ist ein Quarzporphyr, der in dichter, mit blossem Auge nicht unterscheidbarer Grundmasse, die aus Quarz und Feldspath besteht, Krystalle oder crystallinische Koerner aus Quarz oder Feldspath fuehrt. Der Feldspath ist meist fleischroth, doch wird die rothe Faerbung des ganzen Gesteins vornehmlich durch Eisenoxyd bedingt, das als ein feiner Staub in der Grundmasse vertheilt ist. In den blauen und andern hellgefaerbten Porphyren tritt das Eisenoxyd gegen Eisenoxydulverbindungen zurueck. Der blaue Porphyr wird fuer Strassenbauten besonders geschaetzt und seine Gewinnung hier in grossem Massstab betrieben. - Dem Steinbruch gegenueber springt eine Landzunge, "_Le Piton de Dramont_", vor in die See und traegt auf steil abfallenden Felsen einen hohen Leuchtthurm. Er warnt den Schiffer schon aus der Ferne vor der Gefahr, die ihn an dieser felsigen Kueste bedroht. Die Bucht von Agay, die bei ruhigem Wetter still ist und leer, fuellt sich bei stuermischer See oft mit vielen Schiffen. Sie warten hier, im sicheren Schutze der Berge, auf guenstigeres Wetter, und schon zur roemischen Zeit hat der Agathon Portus manches Schiff vor Untergang gerettet. VI. Als ein Wunder des Esterels gilt das Malinfernet, ein versteinertes Felsenmaerchen. Eine Strasse fuehrt jetzt von Agay dahin, und drei Stunden Wagenfahrt genuegen, um es von St. Raphael zu erreichen. Wir ziehen die Fusswanderung vor und brechen von le Trayas auf, wohin wir mit der Bahn in einer halben Stunde gelangen. Dort kreuzen wir sogleich die Schienen und steigen am westlichen Abhang des vor uns sich erhebenden Berges in die Hoehe. Wir wandern in Maquis, noch ueppiger als wir sie an andern Stellen des Esterels gesehen. Vom suessen Honigduft der Euphorbien sind wir fast betaeubt. Weite Flaechen werden gelb gefaerbt von grossbluethigen Pfriemenstraeuchern (_Calycotome spinosa_). Cistusrosen (_Cistus albidus_) beginnen eben ihre grossen rothen Bluethen zu entfalten. Zunaechst sind sie zerknittert, so wie sie es in dem engen Raum der Knospenhuelle waren, doch breiten sie sich aus, verlieren bald alle Falten und locken nun die Schmetterlinge durch ihren zarten Farbenreiz. Wir pfluecken keine dieser Bluethen, da sie zu vergaenglich sind, der leiseste Windhauch traegt ihre Kronenblaetter davon. - Welche Fuelle bunter Schmetterlinge belebt hier den Abhang. Bluethen und Schmetterlinge gehoeren ja zusammen. Der sonst seltene Falter _Anthocharis Eupheno_ ist hier fast gemein. Er gleicht unserem Aurorafalter, ist aber schwefelgelb, nicht weiss wie jener. Dieselben rothen Flecken zieren seine Vorderfluegel. Unruhig und rasch fliegt er durch die Luefte. Ebenso behend ist der Osterluzeifalter (_Thais Polyxena_), dessen braeunlich gelbe Fluegel mit schwarzen Zacken sich umrandet zeigen und rothe und blaue Flecken tragen. Er gleicht einem Harlekin, so bunt und befranzt ist seine Tracht. Langsam schweben in allen Richtungen die Segelfalter an uns vorueber. - Bald haben wir einen Kamm, den Col Lentisque erreicht, den zahlreiche Korkeichen schmuecken. Hier schneiden sich mehrere Wege. Wir waehlen denjenigen, der zur Rechten abzweigt, ueberschreiten alsbald die Passhoehe und beginnen in einem waldigen Thale, dem "Ravin" des Baches Escalle, der hier abwaerts fliesst, langsam abzusteigen. Schoene Stecheichen (_Ilex aquifolium_) ragen stellenweise aus dem ueppigen Dickicht hervor. Es sind das hier stattliche Baeume, waehrend wir sie in unseren Waeldern nur in Strauchform finden. Da faellt uns dann wieder auf, was einst schon Chamisso bemerkte, dass die glaenzenden, lederartig starren Blaetter nur in den unteren Theilen des Baumes mit scharfen Zaehnen besetzt sind, an den hoeher entspringenden Aesten aber einen fast glatten Rand haben. Nur an denjenigen Blaettern, die von den weidenden Thieren erreicht werden koennen, bildet zum Schutz gegen dieselben diese Pflanze Stacheln aus. Der Weg wendet sich ploetzlich nach Westen, und ganz unvermittelt stehen wir am Ausgang des Malinfernet. Da ragen sie nun hervor aus dem dunklen Wald, alle die rothen Felsen hier in der Sonne gluehend, dort in den Schatten der Berge getaucht. Sie verschieben sich gegeneinander bei jedem Schritt, den wir vorwaerts schreiten; die einen schwinden, die andern treten hervor, fast endlos. Und der klare Bach, der das Thal durchstroemt, rauscht entweder stark, oder murmelt schwach, oder donnert laut in Wasserfaellen. Einmal verbirgt er sich ganz im gruenen Laub der Baeume, dann tritt er wieder weit sichtbar vor und spiegelt mit hellem Glanze den Himmel. Und erst die Felsen! Hier glaubt man einen spitzen Thurm zu sehen, wie den Thurm eines gothischen Domes, mit steinernen Blumen und Thieren und allerhand Schnoerkeln verziert; dort eine Burg mit ihren Schanzen und Zinnen, dort eine Orgel mit riesigen Pfeifen, hier einen schlanken Kegel, dort einen kantigen Crystall, hier wieder ein Standbild auf hohem Postament. Ist das nicht der Gott Osiris, der auf diesen Felsen thront? Er traegt zwei junge Kiefern wie Scepter in den Haenden. Am Eingang jener Schlucht kauert eine Sphinx und holt aus zum Sprunge. Und dort am fernen Abhang scheint eine wilde Jagd den Berg hinabzurasen. Die phantastischen Thiere ragen hoch aus dem Wald hervor, in letztem Todeskampf zu Stein erstarrt. Da hat die Natur ihrem ungezuegelten Gestaltungsdrang freien Lauf gelassen; sie schuf in uebermuethiger Laune. Und als bereue sie nachtraeglich diesen Uebermuth, verbarg sie sorgsam das Thal zwischen hohen Bergen. Das Malinfernet musste thatsaechlich erst entdeckt werden, und noch im December 1851, nach dem napoleonischen Staatsstreich konnten politische Fluechtlinge sich dort lange Zeit verborgen halten und den Nachforschungen der Gensdarmen entgehen. VII. Gegen Abend zogen wir wieder hinaus zum Strande von St. Aigulf. Wir wollten das Esterel noch einmal im Glanze der untergehenden Sonne gluehen sehen. Es war ein farbenpraechtiger Abend, still und mild, einer jener Abende, die das Gefuehl des Glueckes in der menschlichen Seele erwecken. Kein Luftzug bewegte die Blaetter der Baeume. Im See von Villepey spiegelten sich dunkle, goldumstrahlte Wolken. Durch unser Nahen aufgeschreckte Voegel flohen aus dem Dickicht des Ufers empor. Sie stiegen in die Luefte und schienen schwarze Furchen zu ziehen am hellen Abendhimmel. Die Wolken im Westen nahmen Purpurfarben an, und in ihrem Widerschein roethete sich auch der See. Er sah jetzt unheimlich aus, wie eine Lache von Blut; das dunkle Dickicht aus Rohr umfasste ihn mit schwarzem Trauerrand. Wir setzten unsern Weg fort zum Strande. Bald stand der Westen in voller Gluth, und das Maurengebirge glich einem Riesen in der Feuersbrunst. Die Baeume des Waldes zeichneten sich schwarz auf hellem Grund, als waere ihr Umriss mit Kohle gezogen. Allmaelig verblasste der Himmel. Auf den spiegelnden Wellen des Meeres begannen sich die weissen Strahlen der ersten Sterne mit dem rothen Abglanz der letzten Abendlichter zu mischen. Als wir den Strand erreichten, war es bereits so dunkel, dass wir den Umrissen des Meeres nicht mehr folgen konnten. Der Himmel spruehte von Sternen und schien auch ungezaehlte Lichter im Meere auszusaeen. Wir lauschten dem Stoehnen und Rollen der Brandung und frugen uns, warum es ewig klagt und grollt, dieses laenderumspuelende Meer; ist es der Schmerz ueber all' das Leid, das sich an seinen Ufern zugetragen? Ist doch auch dieser Ort nach jenem Heiligen benannt, der auf den Lerinischen Inseln gemartert ward. Manchmal glaubten wir nahende Schritte zu hoeren; doch nein, es war nur ein reifer Kieferzapfen, der vom Baum zu Boden fiel, oder eine groessere Welle, die sich ueber das Ufer ergoss und zischend dem Meer wieder zueilte. Die silberne Mondsichel, ganz schmal, tauchte hinab in die Baeume. Starr leuchteten uns von Osten her die Leuchtthuerme von St. Raphael und von Drammont entgegen; der Phar von Camarat im Westen flammte auf und nieder: es war, als oeffnete und schloesse er abwechselnd sein grosses Feuerauge. Im Meere tauchten Barken auf in gelbem Fackelschein. Das waren Fischer, welche mit Feuer die Tiefen erhellten, um Fische zu erspaehen. Die flackernden Flammen warfen lange zitternde Streifen auf die Wellen. Ploetzlich tauchte dicht vor unseren Augen, gespensterhaft gross, eine riesige Barke auf, mit ausgespannten Segeln. Sie deckte uns die Sterne und warf einen schwarzen Fleck ueber den funkelnden Himmel. Eben so rasch, wie sie kam, war sie auch verschwunden, lautlos, unvermittelt, wie ein Geisterschiff. VIII. Unfern vom Bahnhofe bei le Trayas schaut aus dem dunklen Gruen der Baeume ein helles Haeuschen hervor. Schilder an der Station preisen es als "_Hotel du Trayas et restaurant de la Reserve_" an. Der Ort liegt so schoen am Wald, zwischen rothen Felsen, dass wir den Entschluss fassten, dort einige Zeit zu weilen. So fanden wir uns am naechsten Tage auf der Station von le Trayas mit unserem Gepaeck wieder ein. Wir frugen nach dem Wege zum "Hotel", und wurden auf einen Hund verwiesen, der sich in unserer Naehe befand. "Sie brauchen ihm nur zu folgen, er wartet auf die Gaeste". Der Hund hatte sich uns genaehert, als wir mit Handgepaeck beladen, aus dem Eisenbahnwagen stiegen und sah uns verstaendnissvoll an. Es war ein grosser schwarzer Vorstehhund, mit langem seidigem Haar. Wir schritten zum Ausgang; der Hund eilte uns voran, blickte oft sich um und wedelte dann mit dem Schweife. Er fuehrte uns den Weg an der Bahn entlang, hierauf in den Wald. Einen Augenblick war er verschwunden: es galt einen kleinen Pintscher im nahen Foersterhause zu besuchen, vielleicht ihm mitzutheilen, dass Fremde angelangt seien. Der kleine Freund kam mit bis auf den Weg, um uns zu betrachten, dann zog er sich zurueck. In einer Viertelstunde erreichten wir das Gasthaus, einen bescheidenen Bau, doch mit ziemlich weiter Glashalle. Augenscheinlich wurde die Restauration des "Hotels" mehr als seine Wohnraeume in Anspruch genommen und somit wohl die Glashalle am meisten benuetzt. Der Hund stellte sich vor die Eingangsthuer und bellte. Es war das aber nicht ein gewoehnliches Bellen, er stiess vielmehr gedaempfte, rasch hinter einander gedehnte Toene aus, welche die Mitte zwischen Bellen und Heulen hielten. Da stuerzte der geschaeftige Wirth mit seiner ganzen Familie aus dem Hause und bot uns seine Dienste an. Die Zimmer im Hause sind zwar aeusserst klein, doch ertraeglich, der Aufenthalt auf der Terrasse, bei so schoenem warmem Wetter, wie wir es trafen, war aber geradezu entzueckend. Steht doch das Haus dicht am Meere, auf einem Porphyrfelsen, und kann der Blick weithin der Kueste folgen, an rothen Porphyrmassen, dann dunkelgruenen Hoehen vorbei Cannes erreichen und auf den Lerinischen Inseln im Meere, oder dem weissen Schnee der Alpen ueber den Bergen, endlich ruhen. Vorn ist der rothe Strand in scharfe Buchten zerschnitten und zu tiefen Grotten ausgehoehlt; im Norden steigt, dicht ueber dem Hause, der Pic d'Aurelle empor, im Westen schliesst die maechtige Felsenmasse des Cap Roux die Landschaft ab. Viele Fremde kommen aus Cannes hierher, verweilen aber nur wenige Stunden, um sich in der Glasveranda an "_Bouillabaisse_", oder an den Austern und Hummern der "Reserve" zu laben. Hin und wieder findet sich zu mehrtaegigem Aufenthalt ein leidenschaftlicher Liebhaber des Fischfangs ein. Denn das Meer gilt fuer besonders fischreich an diesem felsigen Strande, und der Fischer findet vollauf Gelegenheit, seine List und seine Gewandtheit zu ueben. Als besonders spannend gilt der Fischfang des Nachts bei Feuer und verlangt, so wie er hier geuebt wird, sehr viel Geschick. Eine solche Fahrt muss man einmal mitgemacht haben! Das Meer war so ruhig, so einladend, dass wir einen Fischer veranlassten, uns am Abend zu solchem Fischfang mitzunehmen. Es dunkelte schon, als wir das Land verliessen. Kein Mond am Himmel, doch unendlich viel leuchtende Sterne, deren Zahl noch immer zu wachsen schien. Sie spiegelten sich in den Wellen, die wir durchschnitten. Die Umrisse der Berge schwanden immer mehr; bald bildeten sie nur noch einen dunklen sternenlosen Schatten am Himmelssaum. Im Meere war es still; wir hoerten nur den leisen Anprall der Wellen gegen das Boot und den regelmaessigen Schlag der Ruder ins Wasser. Die Brise aber, die des Nachts von den Bergen weht, trug die Stimmen des Landes ueber das Meer. Wir hoerten aus der Ferne die lauten Concerte der Laubfroschscharen, das schrille Zirpen der Heuschrecken. Zugleich brachte uns diese Brise alle die Wohlgerueche, welche den harzigen Kieferwaeldern und den wuerzigen Maquis entstroemen. Nah und fern glaenzten am Ufer, wie grosse Sterne, die Leuchtthuerme uns entgegen. Wir gaben uns diesen Eindruecken ganz hin und athmeten mit Wonne die balsamische Luft. Der eine Fischer beugte sich dann ueber das Boot, um das Feuer zu entzuenden. Vorn an einem Haken war der eiserne Gitterkorb befestigt, den er mit harzigem Holz der Aleppokiefer gefuellt hatte. Knisternd entflammte dasselbe und verbreitete ein grelleres Licht, wie Fackelschein. Dieses Licht drang in die Tiefen des Meeres ein, waehrend der Himmel ueber uns jetzt fast schwarz erschien. Wir glitten ueber Felsenmassen, auf welchen Meeresalgen wahre Zaubergaerten bilden. Da mischen und durchdringen sich alle Farben, von lebhaftestem Gruen bis zu dunklem Braun und zu leuchtendem Roth. Hier breite Blaetter zu Rosetten aneinander gedraengt, dort lange fluthende Faeden, wie aufgeloestes Haar, dort wieder rundliche Gebilde wie Muscheln. Dazwischen schillernde Seeanemonen mit vorgestreckten Fuehlern, rothe Seesterne mit ausgebreiteten Armen und stachelige Seeigel, die dunkle Flecke in einem bunten Teppich zu bilden scheinen. Kleine Fische fliehen erschreckt nach allen Seiten, groessere folgen in Scharen, wie durch das Licht fascinirt, unserem Boot. Spaehend steht am Vordertheil des Schiffes der Fischer und schaut in die Tiefe. Er haelt eine dreizinkige, an langer Schnur befestigte Harpune in der Hand, bereit sie abwaerts zu stossen. Jetzt giesst er einige Tropfen Oel auf das Wasser, um die Fluth, die der Luftzug kraeuselt, zu glaetten. Die Ruderschlaege verstummen. Ploetzlich faehrt der Wurfspeer in die Tiefe, sein mit Widerhaken versehener Dreizack durchbohrt einen Fisch, und zappelnd wird dieser emporgezogen, um im Boote bald zu verenden. - Es gehoert viel Uebung und Geschick zu einer solchen Jagd. Nicht nur gilt es beim Wurf die Bewegung des Fisches, sondern auch jene Lichtbrechung im Wasser zu beruecksichtigen, welche den Fisch an einer anderen Stelle zeigt, als die, an der er sich wirklich befindet. Wir gaben die Jagd auf, es genuegte uns dieses eine Opfer; langsam erlosch unser Feuer und wieder glitten wir friedlich auf der weiten See, beschienen von silbernen Sternen. Gegen den Mistral ist le Trayas vollstaendig gedeckt, der Cap Roux faengt ihn mit seinem breiten Ruecken auf. Zu gleicher Zeit, da in Cannes und Nizza dichte Staubwolken von den Strassen aufsteigen, merkt man hier kaum einen Luftzug und kann sich behaglich im Freien vor dem Hause sonnen. Doch darf der Ostwind nicht kommen; der rueckt hier an, mit voller Gewalt; er stuermt das Gebirge, das ihm Halt gebietet, prallt zurueck von den hohen Felsen und umwirbelt sie mit wuethendem Geheul. Das geaengstigte Meer scheint dann auf das feste Land sich fluechten zu wollen; mit Schaum bedeckt versuchen es seine Wellen, die Felsen zu erklimmen, doch sie zerschellen an dem harten Stein und sinken gebrochen zurueck in die Tiefe. In der Hoehlung der Grotten fangen sie sich aber ein, suchen dort einen Ausweg nach oben und schlagen mit solcher Gewalt gegen die Woelbungen an, dass das ganze Ufer erdroehnt. Da ist von Schlaf kaum die Rede des Nachts in dem kleinen Hause, - schlummert man endlich auch ein, so traeumt man Schauergeschichten und wacht dann ploetzlich auf mit Schrecken und Beklemmung. Staub gibt es freilich selbst dann nicht auf den Porphyrstrassen des Esterel, und in einem vom Strande entfernteren, mehr geschuetztem Hause, koennte daher wohl mancher Lungenkranke im Fruehjahr besser aufgehoben sein, als in den von Kalkstaub erfuellten Kurorten. Im Winter selbst wird es hier zu kalt und fehlen demgemaess auch die empfindlicheren Pflanzen in der Flora. IX. Vor Allem galt es uns von hier aus den Gipfel des Cap Roux, den "Grand Pic" des Esterel, zu besteigen. Gleichzeitig wollten wir die Grotte Sainte Beaume d'Honorat besuchen und frugen nach dem Wege zu derselben. Der Wirth bot uns den Hund als Fuehrer an, denselben Hund, der uns am Bahnhof empfangen hatte. "Castor" wurde herbeigerufen. Wir hatten schon naehere Bekanntschaft mit ihm geschlossen, bei den Mahlzeiten seiner gedacht und so seine Zuneigung gewonnen. Dieser Hund hatte merkwuerdig viel Ausdruck im Gesicht; seine Augen blickten so klar und treu, und wenn er uns von der Seite ansah und das Weiss seiner Augen sichtbar wurde, da erschienen diese so verstaendig und nachdenklich, so ueberlegt und klug, fast wie Menschenaugen. Allem Anschein nach verstand Castor den Sinn vieler Worte und staunten wir daher auch nicht, als der Wirth den Auftrag ihm ertheilte, uns nach der Beaume zu fuehren und zu diesem Zwecke das Wort "Beaume" drei Mal mit Nachdruck wiederholte. Castor wedelte mit dem Schwanze zum Zeichen des Verstaendnisses, doch blieb er zunaechst noch stehen. Ah! sagte der Wirth, ich habe den Lohn vergessen, den er gewohnt ist zu erhalten: die eine Haelfte hier, die andere an der Beaume. So wurden denn Cakes geholt, fuer welche Castor eine besondere Vorliebe hatte. Die eine Haelfte verzehrte er sogleich mit sichtlichem Behagen, die andere Haelfte nahmen wir mit auf den Weg. Wir brachen jetzt auf, Castor voran, die Schnelligkeit seines Ganges nach der unserigen richtend, haeufig nach rueckwaerts schauend, ob wir ihm auch folgen. Wir streiften den Eisenbahndamm in westlicher Richtung und waren bald an die Muendung des Thales gelangt, das den Pic d'Aurelle von der Bergwand des Cap Roux scheidet. Das Meer dringt vor in dieses Thal, um eine der vielen Buchten zu bilden, die hier Calanques heissen. Eine Eisenbahnbruecke ueberspannt im Bogen die Bucht. Wir glaubten den Weg unter derselben einschlagen zu muessen, doch Castor fuehrt uns aufwaerts, und ohne auf die Eisendraehte zu achten, durchkreuzt er die Bahn. Wir glaubten seinem Beispiel folgen zu muessen, und in der That schliesst ja auch beiderseits der Weg an den Bahndamm an. Die Draehte scheinen nur da zu sein, um ueberstiegen zu werden, nur um die Bahn im Falle eines Ungluecks vor der Verantwortung zu schuetzen. Diese Einrichtung wiederholt sich hier laengs der ganzen Bahnstrecke, zahlreiche Wege muenden beiderseits an dieselbe, und man wird zum Uebersteigen der Draehte vom Bahnwaerter selbst ermuthigt, wenn man ihn nach dem Wege fraegt. - Castor fuehrte uns am Abhang des Cap Roux in nordwestlicher Richtung weiter; er kehrte sich nicht an die vielen Wege, die steiler am Berge aufstiegen, ging ruhig und sicher in gerader Richtung vor sich hin. Das Thal wendet sich dann nach Westen, und wir folgten dem noerdlichen Abhang des Berges. Ein gemauertes Schutzhaus steht am Wege, das den Forstbeamten als Zufluchtsstaette dient; nebenan entspringt am Berg eine Quelle. Hier bog Castor seitlich ab, waehlte den rechts aufsteigenden Pfad und fuehrte uns jetzt steil in die Hoehe. Zunaechst war der Weg noch gut, doch nach einiger Zeit gelangten wir in Geroell und Felsen. Dann folgten Stufen im Stein; stellenweise schwebten wir ueber dem Abgrund, doch da waren eiserne Staebe in den Fels geschlagen, an denen wir uns stuetzen konnten. Castor war augenscheinlich nicht schwindlig; er kletterte behende aufwaerts, schaute oft an schwierigen Stellen sich um, als wenn er unserem Geschicke nicht ganz traute. Vor uns auf der Felsenkante steigen die Truemmer eines Thurmes auf, die Reste der frueheren Einsiedelei. Ein Thorweg durchsetzt den Thurm; wir bleiben an dessen Eingang stehen. Der Blick taucht hier ueber die steilen Felsen in das ueppige Thal hinab. Gruene Berge, von zackigen Porphyrmassen gekroent, steigen jenseits auf; ueber dem Col Leveque im Osten glaenzen die Schneehaeupter der Alpen. Und im Westen, in blaeulichem Dunst getaucht, begrenzt das Maurengebirge den Horizont. - Jenseits des Thurmes ist der Eingang zur Grotte. Castor hatte sich vor denselben gelagert. Nicht ohne Selbstgefuehl schaute er uns an. Er hielt es nicht einmal fuer noethig mit dem Schweife zu wedeln, als wir ihm die Cakes ueberreichten. Er hatte sie verdient; Demuth war nicht am Platze. Wir traten in die Grotte ein. Rechts birgt sie eine Cisterne. Im Hintergrunde ist ein bescheidener Altar errichtet, und noch bescheidenere Standbilder der Heiligen zieren die Waende. Hier soll einst als Einsiedler der heilige Honoratus gelebt haben, jener Heilige, der um das Jahr 408 auf den Lerinischen Inseln ein beruehmt gewordenes Kloster gruendete. Zahlreiche Pilger zogen Jahrhunderte lang und ziehen auch jetzt noch am ersten Donnerstag im Mai den steilen Berg hinauf, um den Heiligen zu verehren. Eine Nische in der Grotte soll des Heiligen Lager gebildet haben. Die Pilger betrachten mit Andacht die Vertiefungen im Stein, die sie als Spuren deuten, welche der Koerper des Heiligen hinterliess. St. Honoratus stammte aus dem noerdlichen Gallien, wie es heisst aus einer vornehmen Familie. Noch jung zog er sich in diese Einoede zurueck. Sein Beispiel regte zur Nachahmung an. Es folgte ihm der heilige Eucharius, ein provencalischer Edelmann, Seigneur de Theol et de Mandelieu, der aber spaeter als der heilige Honoratus der Welt entsagte. Er mag manchen bitteren Kummer und manche Enttaeuschung zuvor erlebt haben. Denn, wie ich der Geschichte der Dioecese Frejus, die der Abbe Disdier veroeffentlicht hat, entnehme, war der heilige Eucharius zuvor verheirathet gewesen und besass zwei Soehne und zwei Toechter. Als ihm seine Frau durch den Tod entrissen wurde, uebergab er die Erziehung der Soehne dem heiligen Hilarius und zog sich zunaechst auf eine der Lerinischen Inseln und dann in die Einsiedelei des Cap Roux zurueck. Er bewohnte hier eine Grotte, die noch unzugaenglicher, noch abgeschlossener als diejenige des heiligen Honoratus war. Hier "von Allen getrennt, der Ruhe und der Schweigsamkeit sich weihend, hatte er weder den Willen noch die Gelegenheit zu suendigen". Hier verfasste er auch einen begeisterten Tractat zum Lob der Einsamkeit. Doch sollte er sein Leben nicht in dieser Einoede beschliessen. Abgesandte der Lyoner Gemeinde entfuehrten ihn, um ihn als Erzbischof an ihre Spitze zu stellen. - Schwer faellt es heute, sich in den Geist jener begeisterten Asketen zu versetzen, denen als Ideal der Vollkommenheit nicht die Erfuellung der sittlichen Pflichten des Lebens, sondern der Ertoedtung aller sinnlichen Gelueste vorschwebte. Doch damals waren die Zeiten anders, und es sah so traurig aus in der Welt, dass mancher an ihr verzweifeln konnte. Manch' edel angelegter Mensch mochte glauben, dass sein ethisches Ideal innerhalb einer solchen Welt nicht zu verwirklichen sei, und suchte es darum in der Weltentsagung. Solches ideale Streben, das mit dem Opfer der eigenen Person verbunden ist, zwingt uns Bewunderung ab; menschlicher muthet uns ein spaeterer Einsiedler vom Berge des Cap Roux an, Namens Laurentius Bonhomme, der dort die zweite Haelfte des siebenten Jahrhunderts verlebte. Er betrieb allerhand kleines Gewerbe, war immer fleissig bei der Arbeit, zuechtete Bienen, verwerthete deren Wachs und Honig, und das Geld, das er verdiente, vertheilte er unter die Armen. Er schloss sich von den Menschen nicht ab, wanderte auch nicht selten nach Frejus, gefolgt von einem Reh. Der Bischof liess sich das Reh von ihm schenken; es blieb in Frejus zurueck. Spaeter nun, als Laurentius wieder einmal in Frejus war und vor dem bischoeflichen Palaste sich laut unterhielt, hoerte das Reh seine Stimme, sprang aus einem Fenster des Palastes zu ihm hinab und leckte seine Haende. Da fuehlte der Mann sich gluecklich; er empfand "_le bonheur du parfait solitaire_", wie es in der Erzaehlung heisst. So auch war seine Einsiedelei stets von zahlreichen Voegeln umgeben, die er zu Zeiten der Duerre in den Vertiefungen der Felsen mit Wasser traenkte. Eines Tages ueberraschte er Diebe, die ihm seine Bienenstoecke geraubt hatten. Erschrocken sahen die Missethaeter ihn nahen. Er aber trug ihnen auch noch die uebrigen Bienenstoecke zu und rief ihnen nach, sie haetten die besten vergessen. Solche unerschoepfliche Guete ruehrte das Gemueth der Missethaeter: sie besserten sich, so heisst es, von dieser Stunde. Wir blieben nochmals vor der Grotte stehen und verloren uns im Anblick dieser schoenen Gegend. So mag sie auch ausgesehen haben vor anderthalb tausend Jahren, als der heilige Honoratus in dieselbe blickte. Auch damals schon glaenzten die rothen Porphyrfelsen so feurig im Sonnenschein, und damals schon leuchtete der ewige Schnee so blendend weiss dort jenseits auf den Alpen. Auch dasselbe Beduerfniss nach Idealen ist dem menschlichen Geiste geblieben, nur hat sich die Form derselben veraendert. Wir stiegen hinab bis zur Quelle und schlugen einen anderen Weg dann ein, um von Westen her den Gipfel des Berges zu erreichen. Wir suchten Castor zur Heimkehr zu bewegen, doch zog er es vor, bei uns zu bleiben. Freilich fuehlte er sich nicht mehr verpflichtet, uns den Weg zu weisen, er ging nicht mehr vor uns her, schweifte vielmehr ab nach allen Seiten. Oft sah man ihn nicht, da war er im Gebuesch, um Voegel aufzuscheuchen; er schaute ihnen in den Lueften nach. Einmal schien er einem groesseren Thier nachzujagen, vielleicht einem der vielen Fuechse, die das Esterel bewohnen. Auf dem Gipfel des Cap Roux, dem Grand Pic, der einst Vigie de Peyssarin genannt wurde, entfaltete sich vor uns ein Bild so herrlich, wie wir es kaum je gesehen. Der Eindruck, den wir empfingen, war erhaben und lieblich zugleich, malerisch und von maechtiger Wirkung. Waehrend vom Mont Vinaigre aus unser Auge erst in der Ferne ueber gruene Berge das Meer erreichen konnte, hatten wir hier die blauen Fluthen zu unseren Fuessen. Die gruenen Abhaenge des Cap Roux fallen langsam zum Meere ab; sie endigen in schroffen Felsen, die sich senkrecht in die Wellen stuerzen. Dort setzen sie sich fort mit Zacken und Rissen, schneiden ein in das Meer mit scharfem Grat, fassen es in ausgehoehlte Mulden, tauchen dann wieder wie steinerne Riesen aus der Fluth empor. Das Wasser nimmt violette Toene an auf dem purpurnen Grunde: es scheint fluessiger Amethyst zu sein in einem Becken von Rosso antico. Um uns herum gluehen die Felsen in hellem Sonnenschein. Gelbe und graue Anfluege, von Flechten erzeugt, toenen das satte Roth ab in unzaehligen Schattirungen. Gegen diesen Vordergrund hebt sich die Ferne mit ganz eigenem Colorit ab; man wird voellig berauscht von dieser Pracht, sie klingt einem wie Musik in der Seele. Zunaechst beachtet man kaum die Form der Gegenstaende und laesst nur ihre Farben auf sich wirken: wie sich die Toene mischen und wie sie einander durchdringen, wie sie hier verschmelzen, dort in effectvollem Contrast von einander absetzen. Wie wunderbar glueht dieser braunrothe Coloss auf dem blauen Hintergrunde des Meeres, das hoch hinter ihm am Horizonte aufzusteigen scheint! Wie hebt sich dieser andere Porphyrfelsen von dem perlgrauen Grunde der Kalkalpen ab; dort springen wieder rothe Zacken vor gegen den leuchtenden Himmel, im Osten ueber Nizza kroent der blendend weisse Schnee der Alpen wie ein silbernes Diadem das gruene Vorgebirge. Ihm wenden sich immer wieder von Neuem unsere Blicke zu. Unten aber schillert am Strande das blaue Meer in purpurnen Toenen auf dem rothen Grunde; fern im Sueden spiegelt es die Sonne wider und strahlt unermessliches Licht zurueck. Eine maechtige Felsenmasse im Westen deckt uns das Thal von Frejus, hinter ihm thuermt sich das Maurengebirge in sammetgruenen Farben auf. Das Auge folgt der Kueste bis zu den goldenen Inseln. Im Osten liegt vor uns der Golf de la Napoule und Cannes fast in greifbarer Naehe. Die Inseln von Lerin tauchen gruen wie Smaragde hervor aus der goldigen Fluth. Wir sehen sie jetzt alle zu einer leuchtenden Gruppe vereinigt, voran die Insel St. Honorat, dann St. Marguerite, und neben St. Honorat im Osten, nur als dunkler Streifen, die kleine St. Fereol; dahinter taucht das Cap d'Antibes seine belaubten Ufer in die Fluthen; es springt so weit vor in die See, als wollte es dieses eine Meer in zwei Meere theilen. Jenseits der Baie des Anges, der breiten Engelsbucht, glaenzt das weisse Nizza im Halbkreis an gruenen Huegelketten, und dann erheben sich Berge hinter Bergen, bis jenseits Bordighera die Umrisse der Kueste verschwimmen. Auf Castor machte dieses Bild keinen Eindruck. Er beschnueffelt sorgsam die Steine, auf welchen, den Ueberresten nach zu schliessen, von frueheren Touristen manches Fruehstueck verzehrt worden ist. Sicherlich strengt er seine Einbildungskraft an, um die einzelnen "Menus" zu reconstruiren, - dann gaehnt er zu wiederholten Malen, streckt sich aus und schlaeft. - Stunden vergingen, bevor wir uns entschlossen, den Abstieg anzutreten. X. Den Pic d'Aurelle durften wir nicht unbeachtet lassen, ihn, unseren naechsten Nachbar. Wir mussten denselben besteigen, waere es auch nur jenem Aurelius zu Ehren, nach welchem er den Namen fuehrt. Was fuer ein Aurelius das ist, dessen Name durch jenen Fels wie durch die alte roemische Strasse verewigt wird, das laesst sich freilich nicht mit Sicherheit sagen. Die Wahrscheinlichkeit spricht fuer Cajus Aurelius Cotta, weil er den Plan zu dieser grossen Strasse entwarf und deren Bau auch, von Rom aus, im Jahre 241 vor Christus begann. Die Strasse soll er aber nur eine kurze Strecke weit ausgebaut haben; sie wurde dann von Aurelius Scaurus ueber Pisa und Savona fortgesetzt, von Julius Caesar endlich bis zum heutigen Arles gefuehrt. Wir stiegen vom Hotel geradeaus in die Hoehe, ueberschritten in gewohnter Weise den Bahnkoerper und erreichten bald einen breiten Weg, der in westlicher Richtung den Berg umkreist. Diesem Weg mussten wir laengere Zeit folgen, immer das gruene Thal vor Augen, das den Pic d'Aurelle vom Cap Roux trennt. An dem noerdlichen Abhang des Cap Roux profiliren sich scharf die dunkelrothen Felsen, und deutlich ragt aus denselben der Thurm hervor, der vor der Grotte des heiligen Honoratus wacht. - Wir waehlen den ersten Fussweg, der jetzt bergauf am Pic d'Aurelle sich wendet. Der Berg ist nur etwa 300 Meter hoch, laesst sich somit ohne Anstrengung besteigen. Der Blick von demselben ist jenem vom Gipfel des Cap Roux aehnlich, doch entsprechend eingeschraenkt. Denn das Cap Roux deckt die ganze Kueste im Westen, und nur das Thal an seinem noerdlichen Abhang gestattet einen Durchblick bis zum Maurengebirge. Da sieht man im Thale des Argens auch Frejus liegen und begreift es nun wohl, warum die Roemer zunaechst dieses Thal erwaehlten, um ihre Strasse von der Kueste nach Forum Julii zu fuehren. In oestlicher Richtung schweift auch vom Pic d'Aurelle das Auge unbegrenzt ueber die schneebedeckten Alpen und die weite Kueste. Die nackten Porphyrfelsen, die den Gipfel des Berges bilden, tief zerklueftet, gleichen den Ruinen einer Titanenburg. Mit Vorsicht nur darf man den Felsenraendern sich naehern, denn ganz unvermittelt fallen sie ab in die Tiefe. Jede Wanderung im Esterel bot uns neue Reize. Mit seinem gepflegten Walde und seinen sorgsam unterhaltenen Wegen gleicht dieses Gebirge einem grossen Parke, in welchem mit Kunstsinn, Geschmack und unerhoerter Kraft die Natur maechtige Felsmassen zum Schmuck vertheilt haette. Castor ist unser Freund, und ungeachtet ihn Fernsichten nicht fesseln, begleitet er uns doch auf allen unseren Ausfluegen; auch den Pic d'Aurelle hatte er mit uns bestiegen. Ein Weg fuehrt an unserem Hotel vorbei und setzt sich in westlicher Richtung fort bis nach Agay. Auf ihm pflegen wir oft zu wandern. Er folgt allen Windungen der Kueste. Zerfallene Haeuser stehen an demselben. Sie bargen einst die Arbeiter, die beim Bau der Bahn beschaeftigt waren. Ein hartes Stueck Arbeit, da die ganze Strecke hier aus dem Porphyr gesprengt werden musste. Die verlassenen Haeuser liess man in Wind und Wetter zusammenstuerzen. Der an das Hotel zunaechst grenzende Strand ist wiederum Aurelius zu Ehren, "plage d'Aurelle" benannt. Hier war es, wo die alte roemische Strasse den Strand verliess, um landeinwaerts hinter dem Cap Roux im Thale aufzusteigen. Jenseits der Bucht, in welche dieses Thal muendet, kann man vom Wege aus nach Agay schon die ganze Schneekette der Alpen ueberblicken. Hier verlassen wir den betretenen Weg, um an dem Ufer selbst unsere Wanderung fortzusetzen. Da geht es bergauf und bergab nicht ohne Hindernisse. Einmal erklimmen wir einen steilen Fels, dann steigen wir wieder bis zum Meer hinab. Leise Wellen schlagen an das Ufer, kaum umfranst von leichtem Schaum. Durch die krystallhelle Fluth dringt unser Auge bis auf den tiefen Grund. Es sieht dort in purpurnen Mulden raethselhafte Dinge liegen, die in bunten Farben gleich Edelsteinen funkeln. Die provencalische Sonne uebergiesst uns mit ihrem Glanz; auch das Meer und die Felsen strahlen uns Licht entgegen. Die ganze Luft zittert ueber dem erhitzten Boden. Alles leuchtet und flimmert um uns her; die Ferne schwindet in goldigem Nebel, und der weisse Schnee der Alpen scheint wie ueber Abgruenden zu schweben. Wie kommt es nur, dass sie so rein und so klar sind, diese herrlichen Fluthen des Mittelmeeres? tragen doch Fluesse und Baeche fort und fort Schlamm und Erde dem Meere zu; nagen doch seine Wellen unaufhoerlich an dem weit ausgedehnten Ufer. Die Klarheit des Seewassers wird durch seinen Salzgehalt bedingt. Truebes Flusswasser, sich selbst ueberlassen, braucht sehr lange Zeit, um sich zu klaeren, doch genuegt es, eine Spur Kochsalz hinzuzufuegen, damit diese Klaerung aeusserst rasch erfolge. Je mehr Salz das Seewasser enthaelt, um so blauer pflegt es auch zu erscheinen, daher das salzreiche Mittelmeer durch die Intensitaet seiner Faerbung ausgezeichnet ist. In vierhundert Meter Tiefe erloeschen die letzten Strahlen des Lichtes, welches in das Seewasser dringt. Weiter hinab herrscht ewige Dunkelheit. Die verschiedenartigen Strahlen, welche das weisse Sonnenlicht zusammensetzen, und die unser Auge als verschiedene Farben empfindet, werden nicht gleich schnell im Meere resorbirt. In zwei Meter Tiefe ist schon die Haelfte der rothen und ein Drittel der orangegelben Strahlen verschwunden; das Licht, das tiefer dringt, ist jetzt nicht mehr weiss, es ist vorherrschend gruen und blau geworden. Das bedingt die Faerbung des Meeres. Da der Salzgehalt des Wassers auf den Vorgang der Strahlenabsorption einen Einfluss uebt, so beeinflusst er auch die Farbeneffecte. Die glatte Meeresflaeche wirft das meiste Licht unveraendert zurueck. Spiegelt sich in ihr die Sonne, so leuchtet sie daher in deren Glanz, waehrend sie der Abendhimmel in Purpurtoenen faerbt. Von den aufsteigenden Wellen der bewegten See wird dagegen nur wenig Licht zurueckgeworfen, daher uns das Meer dann besonders dunkel erscheint. Doch es gilt Abschied von Le Trayas zu nehmen. Castor begleitet uns zur Bahn. Wir streicheln ihn vor der Trennung. Er sieht lange dem Eisenbahnzuge nach, der uns davontraegt. Sein Blick truebt sich - fast scheint es uns, er habe Thraenen in den Augen. XI. Bald lag das Esterelgebirge hinter uns im Westen, und wir fuhren in sanftem Aufstieg dem Norden zu. Der Schienenweg fuehrte im Thal der Siagne an Feldern von Rosen und Jonquillen, von Veilchen und von Jasmin vorbei; dann folgte er wieder grauen Olivenhainen. So erreichten wir Grasse, eine Stadt in mittelalterlichem Gewande. Sie klettert empor an den letzten Auslaeufern der Alpen. In Windungen fuehren die Strassen in die Hoehe; steile Treppen kuerzen die Wege ab, Gewoelbpfeiler verbinden in engen Gassen die gegenueberliegenden Haeuser, damit sie den steilen Abhang nicht abwaerts gleiten. Es draengen sich in solchen Gassen die Menschen an einander vorbei; stellenweise stockt der Verkehr. Der moderne Inhalt der Schaufenster an den Laeden passt nicht zu der alten Umrahmung. Manchem Hausgang entweicht ein fettiger Dampf, gewuerzt mit Zwiebel und Knoblauch. Da gibt es Fritturen, unverfaelschte mediterrane Wohlgerueche. Doch mit jenem Oelduft mischt sich ein anderes durchdringendes Parfuem, das an freieren Orten allein zur Geltung gelangt; es kommt vom Santalholz, das aufgeschichtet in den Parfuemfabriken liegt. Seine Verarbeitung hat jetzt begonnen. Grasse ist sehr alten Ursprungs, wurde aber zu wiederholten Malen vollstaendig zerstoert. Sein Wiederaufbau im sechsten Jahrhundert soll eigenartiger Weise erfolgt sein durch Juden. Es waren, so heisst es, Nachkommen jener Juden, die Tiberius gegen das Jahr 19 unserer Zeitrechnung aus Rom vertrieb. Waehrend der Judenverfolgung, die im sechsten Jahrhundert in der Provence ausbrach, gingen diese Juden zum Christenthum ueber und erhielten die Ruinen der alten roemischen Stadt dafuer zum Lohn. Sie sind es, die ihr den Namen "Gratia" gaben. Das Stadtwappen von Grasse fuehrt ein silbernes Osterlamm in azurnem Feld; man sucht dies in Verbindung zu bringen mit der einstigen Bekehrung seiner Wiedererbauer. Wir finden Grasse nicht schoen, und auch der Ausblick von seinen Plaetzen und Gaerten in das ferne Meer entzueckt uns nicht. Bilden doch den Vordergrund jenseits der Huegel steife und nuechterne Kasernen, die jedes aesthetische Empfinden stoeren. Doch anmuthig ist der Blick auf Grasse selbst, vom Garten des Grand Hotel, den man auf der neuen Avenue Thiers, oberhalb der Stadt, in zwanzig Minuten erreicht. Die Agaven und Palmen des Gartens rahmen da die alte Stadt in wirksamer Weise ein; sie verdecken die unschoenen neuen Gebaeude und zeigen nur die eckigen alten Thuerme und Haeuser, die sich ueber und durch einander an den Abhang draengen. Das, was uns nach Grasse gefuehrt hatte, war aber auch nicht die Hoffnung, die zuvor empfangenen Natureindruecke zu steigern, vielmehr der Wunsch, einen Einblick in die hier bluehende Parfuemherstellung zu gewinnen. Seit mehr als hundertundfuenfzig Jahren ist Grasse in dieser Richtung beruehmt, und selbst weiter noch reichen seine Erfolge auf diesem Gebiete zurueck. Man zeigt uns das Haus, in welchem ein Sieur Tombarelli aus Florenz schon in der zweiten Haelfte des sechzehnten Jahrhunderts ein Laboratorium fuer Parfuemerien eingerichtet hatte. Heute ist Grasse zu einem der Hauptorte europaeischer Parfuemfabrikation geworden. Es stellt aber nicht die fertigen Parfuems her, so wie sie schliesslich als sogenannte "Bouquets" zur Verwendung kommen, sondern die ersten Erzeugnisse fuer dieselben. Aus diesen einfachen Bestandtheilen mischen die eigentlichen Parfuemisten erst jene verschiedenen Bouquets zusammen, wie sie eben die Mode vorschreibt oder der Geschmack der Zeit verlangt. Grasse entnimmt seine Wohlgerueche fast ausschliesslich dem Pflanzenreich. Thatsaechlich sind auch die meisten natuerlichen Parfuems pflanzlichen Ursprungs, nur Moschus, Ambra, Bibergeil und Zibeth entstammen dem Thierreich. Neuerdings beginnt jedoch die chemische Industrie wirksam in das Parfuemgeschaeft einzugreifen, indem sie die wohlriechenden Stoffe in chemisch reinem Zustande darstellt. Im Besonderen ist es gelungen, das Cumarin, jenen Stoff, der den Geruch des frischen Heues bestimmt, aus Salicylaldehyd zu erzeugen. Das Verfahren ist ziemlich umstaendlich, der aromatisch riechende Koerper, den man in farblosen, glaenzenden Krystallen erhaelt, aber durchaus uebereinstimmend mit demjenigen, den die Tonkabohnen, die Samen des Tonkabaumes (_Dipterix odorata_) von Guyana und auch die Stengel der _Liatris odoratissima_, einer in Florida wachsenden Composite, die zum Parfuemiren des Tabaks und der Cigarren benutzt wird, enthalten. Mit etwa zwanzig Gramm kuenstlichen Cumarins erreicht man heute in der Parfuemerie ebenso viel, wie mit einem Kilogramm Tonkabohnen. Ebenso verhaelt es sich mit dem natuerlichen Wintergruenoel, das aus dem nordamerikanischen, zu den Heidengewaechsen gehoerenden Theebeerenstrauch (_Gaultheria procumbens_) gewonnen wird, und das jetzt vollstaendig durch kuenstlich erzeugten Salicylsaeure-Methylester ersetzt ist. Nur unvollkommen gelang es hingegen bis jetzt, das in der Parfuemerie vielbenutzte Bittermandeloel durch das kuenstliche Benzaldehyd zu verdraengen. Sehr grossen Erfolg hat die Chemie mit dem Vanillin erzielt, das aus dem Saft des jungen, noch in Entwickelung begriffenen Holzes der Nadelbaeume (Coniferen), doch auch aus dem im Nelkenoel enthaltenen Eugenol und verschiedenen anderen Koerpern dargestellt wird. Da die Fruechte der Vanille im besten Falle anderthalb bis zwei Procent Vanillin enthalten, so ist mit zwanzig bis fuenfundzwanzig Gramm Vanillin in der Parfuemerie reichlich derselbe Effect wie mit einem Kilo Vanille zu erreichen. Kuenstliches Heliotropin wird jetzt aus Safrol, dieses selbst aus japanischem Camphoroel dargestellt, ausserdem aus Steinkohlentheer-Derivaten. Da aus den Bluethen des Heliotrops (_Heliotropium peruvianum_ und _grandiflorum_) nur aeusserst wenig Parfuem sich gewinnen laesst, so ist dieser Ersatz sehr willkommen. Den Maigloeckchen ist ihr zarter Duft ueberhaupt nicht abzugewinnen, daher fuer die Parfuemerie sehr wichtig, dass jetzt ein aehnlich riechender Koerper sich aus dem Terpineol gewinnen laesst. Allgemein kommt jetzt auch krystallinisches Thymol, das aber nicht aus dem Thymian, sondern aus dem Samen des ostindischen Doldengewaechses _Ptychotis Ajowan_ abdestillirt wird, zur Verwendung, desgleichen Menthol, welches zwar in der eigentlichen Parfuemerie keine Rolle spielt, doch zur Darstellung von Migraenestiften und auch von Schnupfpulver dient. Neuerdings werden zwei gleich zusammengesetzte Koerper: das _Iron_ und _Jonon_, deren Aroma mit demjenigen der Veilchenbluethen fast voellig uebereinstimmt, kuenstlich erzeugt. Es genuegt, ein mit diesen Koerpern erfuelltes Proberoehrchen zu oeffnen, damit ein ganzes Zimmer mit Veilchenduft erfuellt werde. Merkwuerdiger Weise riechen diese Koerper nicht zu allen Zeiten gleich stark, und aehnliche Schwankungen im Duft zeigen auch frische Veilchen. Das Iron gewinnt man aus der sogenannten Veilchenwurzel, das heisst aus dem Wurzelstock von _Iris florentina_, doch es kommt sehr theuer zu stehen, da 100 Kilo Iris-Wurzelstock nur 8 bis 30 Gramm Iron ergeben. Um so werthvoller fuer die Parfuemerie ist es, dass die Darstellung des Jonons aus Citral, einem im Citronenoel enthaltenen Koerper gelang. - Vor Kurzem kam zu diesem Allen noch die kuenstliche Darstellung des Orangenbluethenoels hinzu. Auch den Moschus, der von den maennlichen Moschusthieren stammt, hat man versucht, durch das kuenstlich erzeugte _Musc Baur_ oder _Tonquinol_ zu ersetzen, und es verbreitet sich dieses Product immer mehr. Sehr werthvolle Parfuems werden uns auch aus waermeren Himmelsstrichen zugefuehrt, so von Alters her die Balsame und in neuerer Zeit das Ylang-Ylang, welches aus den Bluethen eines zu den Anonaceen gehoerenden, in Suedasien cultivirten Baumes, _Cananga odorata_, gewonnen wird. Der Hauptsache nach bleibt es aber Suedeuropa, dem die Parfuemisten ihre besten Wohlgerueche verdanken. - Die meisten pflanzlichen Parfuems werden als aetherische Oele gewonnen, Oele, die im Gegensatz zu den fetten Oelen fluechtig sind und auf Papier einen durchscheinenden Fleck bilden, der bald wieder schwindet. Aetherische Oele werden von den Thieren nicht erzeugt. Bei den Pflanzen sind es ganz vornehmlich die Bluethen, welche den Riechstoff enthalten. Dort wirken ja Wohlgeruch und Farbe zusammen, um jene Thiere anzulocken, die den Bluethenstaub von Bluethe zu Bluethe uebertragen sollen. Doch kann die duftende Substanz auch in der Wurzel der Pflanze angesammelt sein, so das Opoponax, ein Gummiharz des kleinasiatischen Doldengewaechses _Opoponax Chironium_, oder es ist in dem Wurzelstock der Pflanze vertreten, so bei der "Veilchenwurzel" und dem Vetiver, welches letztere den Wurzelstock des ostindischen Grases _Andropogon muricatus_ bildet. Auch das Holz der Staemme kann mit Parfuem beladen sein, so das Holz der balsamliefernden Baeume, oder das des ostindischen Santalbaumes (_Santalum album_). Die Stammrinde fuehrt das Parfuem beim Zimmtbaum (_Cinnamomum ceylanicum_). In anderen Faellen sind es wieder die Blaetter, die am staerksten duften, so bei unserer Pfeffermuenze (_Mentha piperita_) oder Melisse (_Melissa officinalis_) und dem indisch-malayischen Patchuli (_Pogostemon Patchuly_); endlich koennen auch Fruechte und Samen den Riechstoff enthalten, so bei der Vanille oder dem Kuemmel. XII. Wir hatten uns mit den noethigen Empfehlungen versehen und durften einige der groessten Parfuemfabriken von Grasse besichtigen. Das angewandte Verfahren blieb in der Hauptsache ueberall dasselbe. Ist der wohlriechende Stoff in bedeutender Menge in einem Pflanzentheil vertreten und in groesseren Druesen dort eingeschlossen, so kann er durch Auspressen befreit werden. In anderen Faellen wird er durch Destillation aus den Pflanzentheilen gewonnen, vorausgesetzt freilich, dass er bei der Erwaermung nicht leidet. Wo er in sehr geringen Mengen vorhanden ist, wird er von warmen oder kalten Fetten, in denen er loeslich ist, aufgenommen und dann mit Alkohol denselben entzogen. Als wir in Grasse eintrafen, ging dort die Veilchenernte zu Ende, waehrend die Jonquillen in voller Bluethe standen. Die Veilchen enthalten nur Spuren des wohlriechenden Stoffes, so wenig, dass man auf die Behandlung der Bluethen mit Fett angewiesen ist. Im Allgemeinen wird dabei das Macerationsverfahren angewandt. Das Fett muss sehr rein sein, und wir konnten feststellen, dass die Fabriken selbst es aus frisch geschlachteten Thieren gewinnen. Dann wird es geschmolzen und durch entsprechende Behandlung mit Kochsalz und Alaun, durch Waschen, Abschaeumen und Seihen durch feine Leinwand gereinigt. So nur bleibt es geruchlos und gewinnt eine Haltbarkeit, die man oft durch Zusatz von Benzoe, auch wohl von Borsaeure zu erhoehen sucht. Fuer Salben kommen auch feine Oele, besonders Olivenoel und Mandeloel, seltener Ricinusoel, in Betracht. Die Veilchen, die fuer die Parfuemfabrik bestimmt sind, duerfen nicht nass sein, wenn man sie sammelt. Diese Regel gilt auch fuer alle anderen Pflanzen, die mit Fett behandelt werden sollen. Man pflueckt die Veilchen frueh am Morgen, sobald der Thau verschwunden ist, bevor die Sonne Zeit hatte, staerker einzuwirken. Gleich nach dem Einsammeln gelangen sie in die Fabrik und werden in erwaermtes Fett geschuettet, das man fluessig bei 40-50 Grad Celsius erhaelt. Nach einer entsprechend langen Einwirkung filtrirt man es von den Veilchen ab und versetzt es mit frischen Blumen. Das wiederholt man so lange, bis das Fett mit Veilchenduft gesaettigt ist. So erhaelt man Veilchenpomade, deren Geruch voellig dem der Veilchen gleicht, und der man den duftenden Stoff durch Weingeist oder durch sehr gut gereinigten, geruchlosen Kornbranntwein entzieht, mit dem man sie schuettelt. Da sehr grosse Mengen Veilchen noethig sind, um eine stark riechende Essenz zu gewinnen, so hat man von jeher schon nach einem Ersatz fuer Veilchen gesucht. Daher die "Veilchenwurz" statt Veilchen in Sachets so allgemeine Verwendung findet. Geschaelte und getrocknete Stuecke des naemlichen Wurzelstockes von Iris wurden auch, wie Plinius erzaehlt, schon zu roemischen Zeiten den zahnenden Kindern um den Hals gehaengt, so wie es noch heute geschieht. Jetzt wo das Jonon entdeckt ist, duerften aus der Gegend von Grasse die Veilchenfelder verschwinden. Der stark duftenden gelben Jonquille (_Narcissus Jonquilla_) wird das Aroma ebenfalls durch Fett entzogen, doch in anderer Weise, nach einem Verfahren, das man als "Enfleurage" bezeichnet. Wir fanden ganze Raeume in den Fabriken mit aufeinander gelagerten viereckigen Holzrahmen erfuellt. In jeden derselben ist eine Glasscheibe gefasst, die einseitig mit Fett ueberzogen wird, doch so, dass es nur eine ganz duenne Schicht auf dem Glase bildet. Auf dieses Fett legt man die Jonquillen und laesst sie so lange mit ihm in Beruehrung, bis aller Duft extrahirt ist. Das dichte Zusammenschliessen der aufeinander gelegten Rahmen verhindert ein Entweichen desselben in die Umgebung. Die Bluethen werden auch hier wiederholt erneuert, bis schliesslich die Pomade fertig ist, aus der man dann mit Weingeist den Jonquillen-Extract herstellt. Da die Jonquillen nicht in groesseren Mengen bei Grasse angepflanzt werden, stockte die Arbeit mit frischen Blumen zur Zeit in den Fabriken. Die Orangenbluethen, die Rosen, Heliotrop und Reseda kommen erst im Mai, daher man jetzt das Santalholz in Angriff genommen hatte. Wir sahen grosse Massen dieses kostbaren braunen Holzes in den Lagerraeumen aufgespeichert. Es steht hoch im Preise, denn auch in seiner ostindischen Heimath wird es sehr geschaetzt. Man verfertigt dort kunstvoll geschnitzte Moebel, vor Allem aber Schreine aus Santalholz. Denn sein Duft haelt die Insekten fern und verscheucht selbst die weisse, Alles zerstoerende Ameise. Die Buddhisten verbrennen grosse Mengen Santalholz als Raeucherwerk, und stellenweise sind die Santalbaeume in Folge dessen ganz ausgerottet worden. In den Fabriken wird das Santaloel durch die Destillation des zerkleinerten Holzes mit Wasser gewonnen. Das Oel geht mit dem Wasserdampf aus der Blase des Destillationsapparates in den Kuehler ueber und fliesst mit dem Wasser zusammen in die Vorlage. Aus fuenfzig Kilogramm Holz wird annaehernd ein Kilogramm Oel gewonnen, das dementsprechend theuer ist und nur fuer feine Parfuems Verwendung findet. Im Mai fuellen Orangenbluethen die Stadt Grasse mit ihrem betaeubenden Dufte. Zwei bis dreimal hunderttausend Kilogramm Bluethen des bitterfruechtigen Orangenbaumes werden hier fuer Parfuems verarbeitet. Die Bluethen riechen lieblicher und staerker als die der suessfruechtigen Art und werden daher fast ausschliesslich verwandt. Ein Baum von zwanzig bis dreissig Jahren liefert fuenfzehn bis zwanzig Kilogramm Bluethen. Aus hundert Kilogramm werden durch Destillation etwa vierzig Kilogramm Orangenbluethenwasser und etwa hundert Gramm Orangenbluethenoel oder Nerolioel gewonnen. Voellig unveraendert gibt die Orangenbluethe bei dem Macerationsverfahren oder bei der Enfleurage ihren Duft an das Fett ab. So erhaelt man die Orangenbluethenpomade und, nach Behandlung derselben mit Weingeist, die Orangenbluethenessenz. Das Orangenbluethenoel, sowie die Orangenbluethenessenz, sind immer noch theuer, weil ihre Herstellung grosse Mengen von Bluethen verlangt. Die Preise werden freilich jetzt auch auf diesem Gebiete, wie auf so vielen anderen, durch Ueberproduction gedrueckt. Es stellen sich daher Zeichen der Entmuthigung unter den Producenten ein, welche die Parfuemfabriken versorgen. Wie wird es jetzt erst werden, wo das kuenstliche Nerolioel angekuendigt ist. Wohl moeglich, dass ueberhaupt an manchen Orten der Riviera mit der Zeit die Cultur der Parfuemerie-Pflanzen ganz aufgegeben wird. Doch auch die Zucht von Blumen fuer den Versand weist schon Ueberfluss der Erzeugung auf. Als der Bedarf nach solchen Blumen stieg, beeilten sich die Landbesitzer, ihre Olivenbaeume zu faellen und Bluethenpflanzungen an deren Stelle anzulegen; jetzt wissen sie kaum, wo sie ihre Bluethen unterbringen sollen. Die hohe Temperatur foerderte zudem im letzten Fruehjahr die rasche Entwickelung der Pflanzen, und so kam es, dass man auf den Maerkten der Staedte zu einem kaum nennenswerthen Preise, sich mit grossen Straeussen der herrlichsten Blumen beladen konnte. Wesentlich billiger als Nerolioel ist begreiflicher Weise das durch Destillation der Blaetter oder unreifen Fruechte des bitterfruechtigen Orangenbaumes gewonnene Petitgrainoel. Es steht an Zartheit des Duftes dem Nerolioel aber bedeutend nach. Das aus den Bluethen der *suessen* Orange hergestellte Parfuem zeichnet sich wiederum durch besondere Eigenschaften aus und wird als Neroli-Portugaloel bezeichnet. - Das den frischen Schalen reifer Fruechte des suessfruechtigen Orangenbaumes entstammende Pomeranzenoel wird im Winter gewonnen. Wie viel aetherisches Oel in den Orangenschalen vorhanden ist, davon kann man sich ueberzeugen, wenn man eine solche Schale in der Naehe einer Flamme zusammendrueckt. Das leicht entzuendliche Oel sprueht dann entbrennend aus den Druesen hervor. Die Oeldruesen in der Schale erkennt man schon mit dem blossen Auge. In der Parfuemerie findet nur das Oel der suessen, nicht der bitteren Orangenschalen Verwendung. Das Verfahren bei der Gewinnung im Grossen ist das der Pressung. Entweder kommt die Schwammmethode in Anwendung, wobei der Arbeiter die Schalen, die er langsam unter Druck zwischen den Fingern durchrollt, gegen einen Schwamm presst; oder das Verfahren der sogenannten Ecuelle, wobei die Frucht unter bestaendigem Drehen gegen die Innenflaeche eines flachen Trichters, der zahlreiche Nadeln entspringen, gedrueckt wird. Das gewonnene Oel presst man im ersten Falle aus dem Schwamme heraus, im zweiten fliesst es von selbst durch die Oeffnung des Trichters ab. In ganz entsprechender Weise gewinnt man auch feines Bergamottoel aus den reifen Fruechten des Bergamottcitronenbaumes (_Citrus Bergamia_). Das weniger feine Bergamottoel befreit man hingegen aus den Fruechten durch Destillation. Feines Bergamottoel wird in der Parfuemerie sehr geschaetzt; die Riviera erzeugt es nur in geringer Menge; es kommt vornehmlich aus Reggio und Messina. Dies sind im Allgemeinen die Darstellungsarten, die bei der Gewinnung der Riechstoffe in Anwendung kommen. Das Verfahren wird freilich im Einzelnen abgeaendert. So schuettet man oft die Blumen nicht unmittelbar in das geschmolzene Fett, haengt sie vielmehr in Drahtkoerben in die Gefaesse, durch die man warmes Fett fliessen laesst. Es kann andererseits auch erwuenscht sein, dass die Bluethen nicht unmittelbar mit dem Fett in Beruehrung kommen, weil Letzteres nicht allein den Riechstoff, sondern auch andere Substanzen aus den Bluethen aufnimmt. Dann werden die Glasscheiben durch verzinnte Drahtnetze in den Holzrahmen ersetzt. Auf ein solches Drahtnetz werden die Bluethen gestreut, das naechste erhaelt das Fett, und so immer abwechselnd. Das Fett wird in diesem Fall zu nudelartigen Faeden ausgearbeitet, um moeglichst viel Oberflaeche zu gewinnen. Die Rahmen schiebt man in einen Schrank, in welchem Blasebaelge die Luft in langsamer Bewegung erhalten. So streicht der Duft an den feinen Fettfaeden vorueber und wird von ihnen absorbirt. Die Bluethen auf den Rahmen ersetzt man nach Bedarf durch neue. - Soll der wohlriechende Stoff durch ein Oel aufgenommen werden, so wirft man die Pflanzentheile in dasselbe hinein oder haengt sie in Tuechern in das Oel, oder breitet sie endlich auf Tuechern aus, die mit Oel getraenkt sind: so erhaelt man die "_huiles antiques_". Von grosser Bedeutung ist fuer die Parfuemindustrie das nachtraegliche Reinigen ihrer Essenzen, was meist durch wiederholte Destillation geschieht. Viel Umsicht und Erfahrung sind noethig, damit der Duft bei der Reinigung nicht leide. Es sieht uebrigens aus, als wenn der bisherigen Gewinnungsweise des Parfuems eine Umwandlung oder doch zum Mindesten eine Erweiterung bevorstehen sollte. Der Petroleumaether scheint berufen, mehr oder weniger die Fette zu verdraengen. Neue Fabriken werden auf dieses Verfahren bereits eingerichtet. Der Petroleumaether entzieht der Pflanze im Wesentlichen nur das Parfuem. Da er leicht siedet, laesst er sich ausserdem unschwer von dem Parfuem dann trennen. Ein Kilo Essenz bedeutet aber mehr als hundert Kilo der jetzigen Pomade. Die Zukunft muss zeigen, ob die Benutzung des Petroleumaethers wirklich in allen Faellen zulaessig ist. Die Moeglichkeit, den Pflanzen ihren Wohlgeruch durch Fett zu entziehen, gestattet es auch im Kleinen, die feinste Pomade aus Pflanzen, die sonst vielleicht nutzlos im Garten verbluehen wuerden, herzustellen. Moeglichst reines Fett, das man auf eine Scheibe streicht, und ein gut verschliessbarer Kasten, in den man die Scheibe legt, reichen aus, um den Erfolg zu sichern. Man muss die Bluethen, mit den Kronen abwaerts gekehrt, auf das Fett lagern, den Kasten dann verschliessen und die Bluethen erneuern, bevor sie welk geworden. Der Name Pomade oder vielmehr Pommade ruehrt von Apfel "_pomme_" her und war dadurch veranlasst, dass man frueher Aepfel zur Herstellung solcher duftender Fette verwandte. Ein Apfel wurde mit wohlriechenden Gewuerzen, vornehmlich mit Nelken, gespickt und, nachdem er einige Tage an der Luft gelegen, in Fett eingeschmolzen. Erschien das Fett durch den ersten Apfel nicht ausreichend parfuemirt, so liess man ihm einen zweiten folgen. Man sieht um Grasse viel Rosen, die fuer die Parfuemfabriken gezogen werden. Es sind das nicht solche, wie sie im Winter versandt, die Blumenlaeden ganz Europas jetzt schmuecken, vielmehr Centifolien und Damascenerrosen. Man pflueckt die im Oeffnen begriffenen Bluethen am Morgen, sobald der Thau verschwindet. Die Erntezeit faellt in den Mai und Juni. Jeder Rosenstock liefert in Grasse durchschnittlich zwei bis dreihundert Gramm Bluethen, doch tausend Kilogramm ergeben kaum hundertundfuenfzig Gramm Rosenoel. Da darf man sich nicht wundern, dass ein Kilogramm Rosenoel ueber tausend Francs kostet. Das Rosenoel wird durch Destillation der Blumenblaetter der Rose mit Wasser oder Wasserdampf gewonnen; es sammelt sich auf der Oberflaeche des Destillates allmaelig an. Das Rosenwasser ist das unmittelbare Product der Destillation einer bestimmten Menge von Rosenblumenblaettern mit Wasser. Die aetherischen Oele sind zwar fast unloeslich in Wasser, immerhin nimmt dieses hinlaenglich viel von den Oelen auf, um nach ihnen zu duften. So verhaelt es sich beim Rosenwasser, dem Orangenbluethenwasser und sonstigen aromatischen Waessern. Die Rosen von Grasse werden mehr zur Herstellung von Rosenpomade, als von Rosenoel und Rosenwasser verwandt. Die durch Maceration von Rosenblumenblaettern in Fett erhaltene Pomade besitzt den unveraenderten Duft der Rose, waehrend der Wohlgeruch des Rosenoels von demjenigen der frischen Blumen etwas abweicht. Aus der Pomade wird mit Alkohol das "_Esprit de Rose_" extrahirt, wohl unstreitig eines der feinsten Parfueme, welche existiren. Kaum ein Wohlgeruch der Welt ist so beliebt wie derjenige der Rosen, und wer einmal den Orient bereiste, wird sich des aus Rosen und Verwesung gemischten Duftes erinnern, den die Strassen im Sonnenlichte aushauchen. Wer da freilich meint, in den Bazaren des Orients reines Rosenoel in jenen langgezogenen goldverzierten Flaeschchen, die dort feilgeboten werden, mit nach Hause gebracht zu haben, der ist einer argen Taeuschung unterworfen. Tuerkisches Rosenoel ist fast immer verfaelscht, und zwar fuer gewoehnlich mit Palmarosaoel oder indischem Geraniumoel, das in Ostindien aus dem Geranium- oder Kusagras (_Andropogon Schoenanthus_) durch Destillation erhalten wird. Der indische Destillateur sorgt andererseits meist dafuer, dass auch sein Palmarosaoel schon mit einem anderen Oel, besonders Cocosoel, gefaelscht sei. So duerfte es in Deutschland zu empfehlen sein, das Flaeschchen aus dem Orient daheim erst mit echtem Rosenoel zu fuellen. Werden doch Rosen zum Zweck der Rosenoelgewinnung nicht allein in Deutschland, sondern auch in England in grossem Massstabe gezogen. Die um die Darstellung aetherischer Oele und Essenzen so hoch verdienten Gebrueder Fritzsche, Inhaber der Leipziger Firma Schimmel & Co. hatten, wie Georg Bornemann in seinem Werk ueber die fluechtigen Oele angibt, im Jahre 1884 zum ersten Mal aus deutschen Rosen drei Kilogramm Rosenoel gewonnen. Sie legten ausgedehnte Rosenpflanzungen in Gross-Miltitz bei Leipzig an, und diese lieferten, ausser anderen Erzeugnissen, im letzten Jahre (1894) 42 Kilogramm Rosenoel. Ich entnehme diese Angabe den Berichten, welche die genannte Firma alljaehrlich veroeffentlicht und aus denen man nicht allein einen Begriff von der Grossartigkeit des Betriebes in dieser Fabrik gewinnt, sondern auch ueber den rationellen Geist und das wissenschaftliche Streben, das sie bei ihren Unternehmungen leitet. Im Jahre 1893 erstreckte sich das Rosenfeld der Fabrik ueber zwanzig Hectare, an die sich weite Reseda- und Pfeffermuenzculturen anschlossen. Zu diesen haben sich seitdem Estragon, Wermuth, Liebstock und Angelica gesellt. Aus je hundert Kilogramm frischer Rosen lassen sich zwanzig Gramm Rosenoel darstellen. Es wurden im letzten Jahre somit nicht weniger als 200 000 Kilogramm Rosen auf Rosenoel verarbeitet. Das ist fuer eine einzige Fabrik schon eine sehr erhebliche Leistung, welche freilich gegen die Gesammtproduction des Rosenoels noch wenig in die Wagschale faellt. Denn das Hauptland dafuer, Bulgarien, liefert jaehrlich allein gegen zweitausend Kilogramm Rosenoel. Das Palmarosaoel riecht nicht rein nach Rosen, es duftet vielmehr wie ein Gemisch von Rosen und Citronen. Fast rein rosenartig ist hingegen der Duft des Geraniumoels, das aus den Blaettern des Rosen-Geraniums gewonnen wird. Davon kann man sich schon ueberzeugen, wenn man ein Blatt dieser Pflanze, die auch bei uns nicht selten in Toepfen cultivirt wird, zwischen den Fingern zerdrueckt. Streng genommen hat man es nicht mit Geranien, sondern mit Pelargonien dabei zu thun, und zwar mit mehreren Arten derselben, hauptsaechlich mit _Pelargonium capitatum_, _odoratissimum_ und _radula_. Die Art, welche an der Riviera gezogen wird, ist _Pelargonium capitatum_. Gegen frueher hat dort freilich diese Cultur jetzt sehr abgenommen, da der Wettbewerb mit Algier nicht auszuhalten ist. Man maeht an der Riviera die Pflanzen von Mitte August an bis Mitte September und liefert sie so frisch als moeglich den Fabriken ab. Die Firma Schimmel & Co. erzielt jetzt bedeutende Erfolge mit Rosen-Geraniol. Sie destillirt reines Geraniol, das sie aus Citronella-Grasoel gewinnt, so lange ueber frisch gepflueckten Rosen, bis es mit Rosenoel gesaettigt ist und dann in der That dem Rosenoel fast entspricht. In den Gaerten der Riviera begegnet man oft einer Verbene, der _Verbena triphylla_ oder _Lippia citriodora_, die auch als Citronelle oder Citronenkraut bezeichnet wird. Man findet diesen schoenen Strauch schon in den Gaerten an den italienischen Seen und hat wohl Gelegenheit, im Herbst die Rispen seiner violett angehauchten kleinen Bluethen zu sehen. Zerreibt man seine Blaetter zwischen den Fingern, so verbreiten sie einen feinen Duft, der die Mitte zwischen Citronen, Melissen und Verbenen haelt. Dieser aus Persien stammende Strauch wird auch in groesserem Massstab an manchen Orten der Riviera gezogen und aus seinen Blaettern das echte Verbenaoel destillirt, das die Parfuemisten sehr schaetzen. Echtes Verbenaoel ist freilich sonst schwer zu haben und wird im Allgemeinen durch das Citronen-Grasoel ersetzt, das wir jener Grasgattung, _Andropogon_, danken, deren Arten so viele wohlriechende Oele liefern. Das Citronen-Grasoel wird von _Andropogon citratus_ gewonnen, der jetzt besonders auf Ceylon und in Singapore angebaut wird. Weit ausgedehnter betreibt man an denselben Orten die Cultur des _Andropogon nardus_, von dem das melissenartig riechende Citronella-Grasoel abstammt. Dieses findet fuer das Parfuemiren der Seifen jetzt sehr starke Verwendung und bildet den Hauptbestandtheil des Parfuems der Honigseifen. Von dem Umfang der Citronella-Grasoel-Production geben die Berichte von Schimmel & Co. eine Vorstellung, da diese Firma auf einmal Sendungen von 10 000 Kilogramm dieses Oeles aus Ceylon erhaelt. Der Reseda entzieht man den Duft durch Enfleurage, dem Thymian, der Salbei, dem Rosmarin, dem Lavendel und der Melisse durch Destillation. Salbei, Thymian, Rosmarin und Lavendel werden an der Riviera kaum cultivirt; man pflueckt sie an ihrem natuerlichen Standort, besonders am Fusse der Berge. In der Gegend von Agay zogen eines Tages vor uns Frauen auf der Strasse mit grossen Ladungen Thymian auf den Koepfen. Sie hatten ihn an den Abhaengen des Esterel gesammelt. Der Wind blies in unserer Richtung und bildete einen Streifen von Duft, der sich ueber Hunderte von Schritten ausdehnte. Diese wild gewachsenen Pflanzen werden zwar auch vorwiegend in den Fabriken verarbeitet, zum Theil aber schon im Freien, gleich beim Einsammeln destillirt, in Apparaten, die man von Ort zu Ort befoerdert. Viel Rosmarinoel wandert von hier aus nach Koeln, um bei der Darstellung von Koelnischem Wasser benutzt zu werden. Das _Eau de Cologne_ enthaelt geloest in 85 % Weinspiritus gleiche Mengen gepresstes Orangen- und Citronenschalenoel, fast ebenso viel Nerolioel, dann etwa halb so viel Bergamottoel, endlich, nochmals um die Haelfte weniger, Rosmarinoel. Man wird freilich nicht sofort gutes Koelnisches Wasser erhalten, auch dann nicht, wenn man nach bester Vorschrift die feinsten Oele in vorzueglichem Weinspiritus aufloest. Der Schmelz des Duftes stellt sich erst nach laengerer Zeit ein. Praktische Erfahrungen hatte man in dieser Richtung schon lange gesammelt, in wissenschaftliche Eroerterung wurde die Wirkung der Lagerung erst in den letzten Zeiten gezogen. Am Einfachsten zeigt sie sich zum Beispiel bei einem Schenkbranntwein, der durch Verduennung von achtzigprocentigem Spiritus auf dreissigprocentigen gewonnen wurde. Solcher Schenkbranntwein, frisch dargestellt, mundet dem Trinkenden nicht, selbst wenn dieser nicht zu den groessten Feinschmeckern gehoert. Auch der Schenkbranntwein muss erst gelagert haben. Dass der Wein durch Lagerung seine "Blume" erhaelt, ist allgemein bekannt. Es findet also sicher bei der Lagerung eine gegenseitige chemische Einwirkung der geloesten Bestandtheile auf einander statt, und es muessen neue Verbindungen entstehen. Ihre Bildung erfordert voellige Ruhe und kann durch anhaltende Bewegung verhindert werden, ja es kommt vor, dass schon erzeugte Verbindungen dadurch voruebergehend oder dauernd wieder zerstoert werden. Nach der Ansicht von Prof. Knapp schliessen diese Vorgaenge an solche an, welche die organische Chemie als Addition, Substitution, Spaltung und dergleichen bezeichnet. Es muessen somit auch in gemischten Parfuems durch Lagerung erst diejenigen Verbindungen entstehen, welche das erwuenschte Zusammenwirken der einzelnen Duefte bedingen. Der Ursprung des Koelnischen Wassers ist etwas fraglich; meist wird seine Erfindung Johann Maria Farina, einem Italiener aus Sancta Maria Maggiore bei Domo d'Ossola, zugeschrieben, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Koeln einen Handel mit Parfuems und Colonialwaaren betrieb. Erst gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts gelangte das Koelnische Wasser zu allgemeiner Verbreitung und verdraengte das "_Eau de la reine de Hongrie_" oder Ungarwasser, welches aehnlich zusammengesetzt war, aber auch Rosenoel, Citronenoel, Citronellaoel und eine Spur Pfeffermuenzoel enthielt. Bei unseren Wanderungen um Grasse sind wir Jasminpflanzungen am Haeufigsten begegnet. Das zeigt, welche hohe Bedeutung dieser Pflanze fuer die dortigen Parfuemfabriken zukommt. Meist waren die Jasminfelder an suedlichen Abhaengen terrassenfoermig angelegt. Die gegen zwei Meter hohen, reich verzweigten, mit zusammengesetzten, immergruenen Blaettern bedeckten Straeucher hatten auch vereinzelte Bluethen aufzuweisen und liessen sich als die aus Ostindien stammende Art _Jasminum grandiflorum_ bestimmen. Die Bluethen duften lieblich, sind ziemlich gross, rein weiss auf ihrer Innenseite, von Aussen etwas roth angehaucht. Die eigentliche Bluethenzeit beginnt erst im Juli und dauert bis in den Oktober. Je tausend Stoecke liefern bis fuenfzig Kilogramm Bluethen. Verarbeitet werden in Grasse davon bis 80 000 Kilogramm, die einen Werth von 140 000 Francs darstellen. Man entzieht den Bluethen ihren Duft durch Enfleurage; die Menge des Riechstoffes, den sie enthalten, ist aber so gering, dass man dieselbe Fettschicht bis fuenfzig Mal mit neuen Bluethen bestreuen muss. Aus der Jasminpomade wird mit feinstem Weingeist Jasminextract gewonnen. Die geschaetztesten Taschentuchparfuems enthalten solchen Extract. Man stellt auch ein "_huile antique au Jasmin_" dar, indem man auf wollene, mit Olivenoel getraenkte Zeuglappen zu wiederholten Malen frische Jasminbluethen streut und dann das Oel aus ihnen ausdrueckt. Dieses Jasminoel ist in Frankreich sehr beliebt. Eine wichtige Rolle in der Parfuemerie spielen auch die Bluethen der _Acacia Farnesiana_, eines Baeumchens, das zu bewundern wir im La Mortola-Garten schon Gelegenheit hatten. _Acacia Farnesiana_ wird in Grasse nur in beschraenktem Masse angebaut, liefert aber immerhin 30-40 000 Kilogramm Bluethen im Jahre; grosse Pflanzungen dieser Art finden wir in Algerien. Die kugeligen, dunkelgelben Bluethenkoepfchen, die "_Cassie_", werden vom September bis in den December gepflueckt, wozu jedoch viel Uebung und Geschick gehoert, da die Pflanzen sehr dornig sind. Der zarte, veilchenartige Duft dieser Bluethen wird durch Enfleurage fixirt. Die gewonnene Essenz hat fuer die Zusammensetzung der "Bouquets" einen sehr hohen Werth. Endlich darf auch die Tuberose (_Polyanthes tuberosa_) nicht unerwaehnt bleiben, dieses zu der Familie der Amaryllideen gehoerende Knollengewaechs, das man bei uns wegen seines starken Duftes und seiner schoenen weissen Bluethen so gerne auf Blumentischen und in Blumenstraeussen sieht. Die Pflanze stammt aus Centralamerika; wir bekommen sie meist nur mit den gefuellten weissen Bluethen zu sehen, die besonders kraeftig am Abend duften, wie es denn ueberhaupt eine weit verbreitete Erscheinung ist, dass Bluethen nicht um alle Tageszeiten gleich starken Duft verbreiten. Wer wird nicht bemerkt haben, dass die Daturen und Nicotianen, die Nachtviolen (_Hesperis matronalis_), die langblumige Wunderblume (_Mirabilis longiflora_) unserer Gaerten am Tage fast gar nicht riechen, am Abend aber einen durchdringenden Duft aushauchen. Umgekehrt duften Seerose (_Nymphaea alba_), die Kuerbisbluethe (_Cucurbita Pepo_), die Ackerwinde (_Convolvulus arvensis_) nur am Tage. Ein solches Verhalten hat fuer diese Pflanzen Bedeutung, sie duften bei Nacht oder am Tage, je nachdem sie Nacht- oder Tagesinsecten zur Uebertragung ihres Bluethenstaubes brauchen. Sehr viele Tuberosebluethen gehoeren dazu, um ein wenig Fett mit ihrem Duft zu saettigen; daher auch dieser Extract, wie so viele andere feine Parfuems, hoch im Preise steht. Bei uns koennte man den spanischen Flieder (_Syringa vulgaris_), statt der Tuberose verwenden, um ein sehr aehnliches Parfuem zu gewinnen, denn das Fett entzieht dem Flieder einen ganz entsprechenden Wohlgeruch. Es sind nicht die als Parfueme anerkannten Pflanzenduefte allein, deren sich die Parfuemerie zu ihren Zwecken bedient. So kommt fuer manche Erzeugnisse auffaelliger Weise der Gurkengeruch in Betracht. Man stellt zu diesem Zwecke eine Essenz her, und zwar indem man ueber frisch geschnittenen Gurkenscheiben mehrmals denselben Alkohol destillirt. Mit solcher Essenz wird Coldcream parfuemirt und erhaelt durch dieselbe das frische Aroma, welches man an dieser Salbe schaetzt. Nicht unerwaehnt moechte ich lassen, dass ein aetherisches Oel auch aus dem Knoblauch durch Destillation gewonnen wird. Dieses Oel dient nun freilich nicht zum Parfuemiren, so sehr man das auch manchmal in Suedeuropa oder im Orient glauben koennte; wohl aber wird es innerlich als Mittel gegen Wuermer eingenommen. Die Firma Schimmel & Co., welche dieses, sowie ueberhaupt fast alle fluechtigen Oele, die irgend welche Anwendung gefunden haben, herstellt, empfiehlt das Knoblauchoel auch als Kuechengewuerz. Von dem concentrirten Duft dieses lieblichen Oeles wird man sich eine Vorstellung machen, wenn man sein Verhaeltniss zum Knoblauch selber erwaegt: aus sechzehn Kilogramm Knoblauch werden nur zehn Gramm Oel gewonnen! Hingegen spielen Aetzammoniak, der sogenannte Salmiakgeist, und kohlensaures Ammoniak, trotz ihres aetzenden Geruchs in der Parfuemerie eine nicht unwichtige Rolle. Sie dienen zur Herstellung der parfuemirten Riechsalze. Auch der Geruch des Schnupftabaks ruehrt vornehmlich vom Ammoniak her, ausserdem werden die Schnupftabake haeufig noch mit anderen wohlriechenden Koerpern aromatisirt. Nicht minder wird Essigsaeure in der Parfuemerie verwendet, und ihre Eigenschaft, aetherische Oele zu loesen, benutzt, um parfuemirte Essige darzustellen. XIII. Die aetherischen Oele wirken wie Gifte auf unseren Koerper ein, wenn sie innerlich in grossen Dosen oder zu haeufig eingenommen werden. Daher auch der Missbrauch mancher Liqueure nicht allein durch den Alcohol, den sie enthalten, sondern auch durch die fluechtigen Oele, mit denen sie parfuemirt sind, nachtheilige Folgen bringt. Geradezu gefaehrlich kann das Koelnische Wasser werden, wenn es getrunken wird. Der Arzt kommt oft nur durch Zufall dahinter, dass eine solche stille, geheim gehaltene Neigung bei seiner Patientin die Ursache der raethselhaften Krankheitserscheinungen ist. - Viele, doch bei Weitem nicht alle fluechtigen Oele wirken, innerlich verordnet, antiseptisch, und werden besser von unserem Koerper als von den niederen Organismen ertragen, die es oft in unserem Koerper zu bekaempfen gilt. Daher die Benutzung mancher fluechtigen Oele zu aerztlichen Zwecken. - Die fluechtigen Oele nehmen Sauerstoff aus der Luft auf und erfahren dabei eine Oxydation. Bei manchen dieser Oele verlaeuft der Oxydationsvorgang sehr rasch und zwar um so rascher, je feiner sie in der Luft vertheilt werden. Licht und Feuchtigkeit foerdern diesen Vorgang, bei welchem in der Luft das gasfoermige Ozon oder das gleich wirksame fluessige Wasserstoffsuperoxyd entstehen. Ihnen ist der belebende Einfluss zuzuschreiben, den weingeistige Loesungen von fluechtigen Oelen, im Zimmer verstaeubt auf die Athmenden ausueben. Besonders stellt sich diese Wirkung ein beim Verstaeuben jener fluechtigen Oele, welche die Chemie als Terpene zusammenfasst, weil sich diese an der Luft am schnellsten oxydiren. Physiologisch interessant ist es, an Parfuems die hohe Leistungsfaehigkeit unseres Geruchssinns zu erproben. Einige Milligramm Moschus reichen aus, um einen Raum, der haeufig gelueftet wird, Jahre lang mit Moschusduft zu erfuellen. Wir riechen diesen Moschus, und doch kann er in jener Luft, die uns umgibt, nur in unnennbar geringen Mengen vorhanden sein. Directe Versuche, die Passy mit alkoholischen Loesungen stark riechender Substanzen anstellte, haben ergeben, dass fuenfhundert Tausendstel eines Milligramms Vanillin ausreichen, um ein Liter Luft merklich zu parfuemiren. Derselbe Effect wird schon mit fuenf Tausendstel Milligramm Camphor erreicht; von dem kuenstlichen Moschus reichten gar fuenf Millionstel eines Tausendstels Milligramm aus, um wahrgenommen zu werden. Will man diese Menge in Zahlen ausdruecken, so ergibt das 0,000 000 000 005 Gramm. Dabei steht die Leistungsfaehigkeit des Geruchssinns beim Menschen gegen diejenige vieler Thiere noch bedeutend nach. XIV. "_Die Toiletten-Chemie_" von Heinrich Hirzel, ein Buch, dem ich auch sonst noch manche Belehrung verdanke, enthaelt die Angabe, dass Europa an fluessigen Parfuems allein jaehrlich ueber eine Million Liter verbraucht. An der Deckung dieses Bedarfs ist Grasse mit etwa 100 000 Kilogramm Lavendeloel, halb so viel Thymianoel, 25 000 Kilogramm Rosmarinoel, 2000 Kilogramm Nerolioel und sehr betraechtlichen Mengen anderer Oele und Extracte betheiligt. Nicht wenig wird Grasse in der Parfuem-Erzeugung durch das benachbarte Cannes unterstuetzt, das mehrere Parfuemfabriken besitzt und Hunderte von Arbeitern in ihnen beschaeftigt. Der Verbrauch an Parfuems in Europa, wiewohl immer noch gross, ist doch betraechtlich zurueckgegangen und wird, wenn ueberhaupt, nur in discretester Weise geuebt. So verhaelt es sich auch in anderen kuehlen Laendern, waehrend die heissen Erdstriche noch immer ein hohes Beduerfniss nach persoenlichem Parfuem bekunden. Obenan in dieser Beziehung steht der Orient, dessen Leistungen trotzdem noch gegen diejenigen des classischen Alterthums bedeutend zurueckstehen. Bezeichnend fuer jene Zeit ist die Erzaehlung des Plinius, dass an Lucius Plocius der Duft zum Verraether geworden sei. Dieser Lucius Plocius, dessen Bruder Lucius Plancus zweimal das Consulat bekleidet hatte, wurde von den Triumvirn geaechtet und musste fliehen. Er verbarg sich im Salernitanischen, wo man ihn entdeckte, weil er so stark nach Salben roch. Er musste den Tod erleiden, was Plinius nicht ohne einige Genugthuung erzaehlt, so empoerte ihn der Missbrauch, den man mit Parfuems damals trieb. Dass heute Jemand von wohlriechenden Salben und Oelen triefen sollte, wie es im Orient und in Griechenland zu alten Zeiten oft der Fall war, koennen wir uns kaum vorstellen. Wir empfinden eine entschiedene Abneigung selbst gegen fettige Haende und suchen solche moeglichst rasch zu saeubern. Oel oder Pomade werden allenfalls noch im *Haar* geduldet, sonst nur alkoholische Extracte benutzt. Im Alterthum parfuemirte man sich hingegen ausschliesslich mit duftenden Oelen. Das erste fluessige Parfuem, wie wir es jetzt benutzen, soll Mercutio Frangipani dargestellt haben, der ein von seinen Vorfahren erfundenes, aus Gewuerzen und Moschus zusammengesetztes Riechpulver mit starkem Weingeist extrahirte. Dieser Frangipani gehoerte einem roemischen Adelsgeschlecht an, das sich im zwoelften und dreizehnten Jahrhundert in den Kaempfen der Guelfen und Ghibellinen ausgezeichnet hatte. Dass die Neigung, sich mit Wohlgeruechen zu beschaeftigen, in diesem Geschlechte fortlebte, geht aus der Angabe hervor, dass ein spaeterer Nachkomme der Frangipani in Frankreich, der Marquis de Frangipani, Feldmarschall unter Ludwig XIII., eine Art parfuemirter Handschuhe einfuehrte, die "_Gants a la Fragipane_" genannt wurden. Die Griechen lernten es von den Orientalen, ihren Koerper mit duftenden Oelen einzusalben. Plinius moechte ohne Weiteres die Erfindung der wohlriechenden Salben den Persern zuschreiben. Ihr Koenig Darius soll in seinem Trosse nicht weniger als vierzig Salbenbereiter gefuehrt haben; sie geriethen in die Gewalt Alexanders. Aus der Beute, welche dieser damals machte, stammte, nach Plinius, auch jener mit Gold, Perlen und Edelsteinen besetzte Salbenschrein, in welchem Alexander die Werke Homers aufbewahren liess, damit, so sagte er, das werthvollste Werk des menschlichen Geistes auch die kostbarste Huelle erhalte. In Griechenland galt die Benutzung wohlriechender Salben immerhin als Verweichlichung; der echte Mann verpoente sie und rieb sich in den Gymnasien mit reinem Oele ein. Theophrast, Plinius und Dioscorides haben uns erzaehlt, wie die wohlriechenden Salben im Alterthum hergestellt wurden. Man mischte die Aromata mit den Oelen und erwaermte sie zusammen. Theophrast gab schon im dritten Jahrhundert v. Chr. an, man solle die Operation im Wasserbade vornehmen, um ein Anbrennen der Aromata zu verhindern. Als Oel diente vor Allem das der Olive, das man kunstvoll reinigte und bleichte, auch aus noch unreifen Fruechten presste, um es moeglichst farblos zu erhalten. Ausserdem wurde das Oel aus suessen und bitteren Mandeln, Sesamoel, Ricinusoel und Behenoel benutzt. Das letztere schaetzte man ganz besonders, weil es geruchlos ist und nicht leicht ranzig wird. Auch heute wuerde man es zu Haaroelen gern verwenden, waere es nicht aus dem Handel so gut wie verschwunden. Der Baum, von dem man das Behenoel gewann, hiess im Alterthum _Balanos_ oder _Myrobalanon_, somit Salbeneichel. Es ist die in Arabien und Aegypten einheimische _Moringa aptera_, deren Fruechte, die Behennuesse, durch Auspressen das Oel liefern. Dioscorides warnt in seiner "_Materia medica_", einem Werk, das wohl um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. erschien, vor jeder Spur Wasser, die im Oel zurueckbleibt, und raeth an, das Oel oefter umzugiessen in Gefaesse, die mit Honig und Salz bestrichen sind. Durch das Salz werde dann alles Waesserige dem Oele entzogen. - Myrrha und andere Balsame, Cardamomen, Calamus, Wurzelstock der Iris, duftende Bluethen und Fruechte, wohlriechende Kraeuter mussten ihre Aromata an die Oele abgeben. Auch war die Eigenschaft thierischer Fette, sich mit Wohlgeruechen zu beladen, schon bekannt. Allgemeiner Verbreitung erfreute sich namentlich die Rosensalbe, deren Bereitung Dioscorides eingehend schildert. Man setzte den Salben meist Gummi und Harz hinzu, um sie zu faerben und auch, wie es hiess, ihren Duft zu binden. Manche Salbe faerbte man mit Drachenblut, dem blutrothen Harz des Drachenbaumes (_Dracaena Draco_) oder mit _Anchusa_, wohl dem Farbstoff, den wir aus der Wurzel der _Anchusa tinctoria_, unserer Alkannawurzel, gewinnen. Letzterer wurde auch zum Faerben des Rosenoels empfohlen. - Die Zahl der benutzten Salben wuchs ganz ausserordentlich, oft mischte man sehr viele Substanzen in einer einzigen Salbe zusammen. Die aegyptische Salbe "_Metopium_" stellte man aus Bittermandeloel her und setzte "_omphalium_, _cardamomum_, _juncum_, _calamum_, _mel_, _vinum_, _myrrham_, _semen balsami_, _galbanum_, _resinam terebinthinam_" hinzu. Soweit die Bedeutung der Namen heute klar gelegt ist, enthielt somit diese Salbe, ausser dem Bittermandeloel, das Oel unreifer Oliven, die fluechtigen Oele der Cardamomen, des wohlriechenden Geraniumgrases und des Kalmus, dann Honig, Wein, den Balsam des nordafrikanischen Baumes _Balsamodendron myrrha_, Balsamkoerner, d. h. den Balsam der erbsengrossen Fruechte des arabischen Balsamstrauches _Balsamodendron giliadense_, das Gummiharz eines persischen Doldengewaechses, _Ferula galbaniflua_, endlich das Terpentin der _Terpentin-Pistazie_. Von dem Duft dieser Salbe kann man sich annaehernd eine Vorstellung machen, sie muss vorwiegend nach bitteren Mandeln und Balsam gerochen haben. - Man bezog die Salben von den verschiedensten Orten, aus Aegypten, Delos, Mendesium, Corinth, Kilikia, Rhodos, Kypros, spaeter auch aus Neapolis, Capua, Praeneste. Das wechselte je nach Geschmack und Mode. Die Salben waren zum Theil sehr theuer und beschaeftigten ein ganzes Heer von Verfertigern und Verkaeufern. In den Laeden der Salbenhaendler hielten sich die Muessiggaenger auf. Man waehlte beschattete Orte zur Anlage solcher Laeden, damit die Salben, die in Gefaesse von Blei oder Stein eingeschlossen waren, von der Sonnengluth nicht litten. Der Stein, den wir Alabaster nennen, wurde viel fuer diese Gefaesse verarbeitet, doch scheint die antike Bezeichnung _Alabastron_, wie Reinhold Sigismund in seinem Buch ueber die Aromata nachzuweisen sucht, sich mehr auf die Gestalt, als auf das Material der Salbengefaesse bezogen zu haben. Bezeichnend fuer den Missbrauch, der mit wohlriechenden Salben in Griechenland getrieben wurde, sind die zahlreichen, uns von Athenaeus ueberlieferten Berichte. Er erzaehlt, dass die Schwelger in Athen jeden Theil ihres Koerpers mit einer anderen Salbe einrieben. Aegyptische Salbe diente fuer Fuesse und Schenkel, phoenikische Salbe fuer Kinnbacken und Brust, _Sisymbrion_-Salbe fuer die Arme, _Armaracon_-Salbe fuer Haar und Augenbrauen, _Serpyllos_-Salbe fuer Kinn und Nacken. Man kann sich vorstellen, wie so ein menschliches Wesen nach vollzogener Einsalbung geduftet haben mag. Denn die _Amaracon_-Salbe roch nach Majoran, die _Serpyllos_-Salbe nach Thymian, die _Sisymbrion_-Salbe wohl nach einer Minze, die aegyptische und phoenikische nach Bittermandeloel und Balsamen. Das war ein ganzer Parfuemladen! Dabei glaenzte ein solcher Mensch von Fett an seinem ganzen Koerper. - Ueber Demetrius Phalereus wird bei dem Symposion des Athenaeus berichtet, er habe sich nicht nur den ganzen Koerper gesalbt, sondern auch das Haupthaar noch gelb gefaerbt, um verfuehrerischer auszusehen. - Bei Trinkgelagen salbte man den Kopf, damit der Wein nicht in die Hoehe steige; denn wenn der Kopf trocken ist, hatte Myronides gesagt, wandern die Duenste nach oben. Dazu kamen noch die Kraenze, welche den Rausch verhindern, den Kopf kuehl erhalten und den Kopfschmerz abwehren sollten. Das moegen die urspruenglichen Epheukraenze gethan haben, schwerlich die spaeter benutzten aus duftenden Blumen. Denn diese wurden aus Rosen, Lilien oder Violen (Goldlack und Levkoien) gewunden und von aufwartenden Dienern vielfach mit duftenden Salben noch besprengt. In dem Symposion des Athenaeus wird berichtet, dass bei den prunkvollen Aufzuegen des Koenigs Antiochus Epiphanes auf Daphne zahlreiche Frauen mit goldenen Gefaessen einherschritten und aus diesen duftende Salben auf die Menge verspritzten. Derselbe Koenig, den man spaeter spottweise auch Epimanes, das heisst den Verrueckten nannte, pflegte in oeffentlichen Baedern zu erscheinen, wenn das ganze Volk dort versammelt war. Er salbte sich mit den koestlichsten Oelen. Da sagte denn Einer: "Wie gluecklich bist Du, o Koenig, dass Du so wohlriechende Parfuems benutzen und ueberall einen so angenehmen Duft verbreiten kannst." Antiochus antwortete ihm nicht, liess ihm aber am naechsten Tage nach dem Bade ein grosses Gefaess mit Myrrhensalbe ueber den Kopf giessen. Nun waelzten sich auch Andere in dem verschuetteten Oele, viele glitten aus und fielen zu Boden, sogar der Koenig, was allgemeine Heiterkeit erregte. Dieser Antiochus muss allerdings recht excentrisch gewesen sein, denn auch die Geschenke, die er vertheilte, waren mehr als sonderbar. Dem Einen drueckte er Knoechel, dem Anderen Datteln, noch Anderen Gold in die Haende. Die Lacedaemonier, heisst es, haetten die Salbenhaendler und die Faerber aus Sparta verjagt, weil die Ersteren das Oel verdarben, die Letzteren die Wolle ihrer urspruenglichen Reinheit beraubten. Lykurg und Sokrates traten gegen den Missbrauch wohlriechender Salben auf, erreichten aber eben so wenig, wie spaeter in Rom die beiden Censoren Publius Licinius Crassus und Lucius Julius Caesar, die, wie Plinius mittheilt, im Jahre 189 v. Chr. ein Edict erliessen, dass Niemand "exotische" Salben verkaufen solle. Die Haare und Kleider der Roemerinnen verbreiteten, nach Plinius, so starke Duefte, dass sie schon aus der Ferne die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Dass sei um so thoerichter, meint er, als dieser theuer erkaufte Genuss weit mehr Anderen zu Gute komme, als dem, der ihn bezahlt hat. Nicht minder beklagt auch Plutarch diese Salbenverschwendung. Er erzaehlt, wie bei einem Gastmahl, das Salvius Otto dem Nero gab, von allen Seiten her kostbare Salben aus goldenen und silbernen Roehren flossen und die Gaeste ganz durchnaessten. Juvenal spottet in seinen Satiren ueber Crispinus, den Guenstling Domitians, dass er schon am Morgen mehr Amomumduft als zwei Leichenbegaengnisse von sich aushauche. - Ein besonders lebendiges Bild aus Neronischer Zeit, das auch den Salbenluxus und die Vorliebe fuer Wohlgerueche zeigt, hat Petronius in dem Gastmahl des Trimalchio entworfen. Sind die Farben auch stark aufgetragen, so entspricht die Schilderung doch den damaligen Sitten, wie sie bei prahlerischen Emporkoemmlingen sich besonders geltend machten. Waehrend des ueppigen, nicht endenwollenden Mahles, bei welchem die seltensten Speisen in kunstvoller Zubereitung aufgetragen werden, folgen die mannigfaltigsten Ueberraschungen aufeinander. Da ploetzlich senkt sich von der Decke ein gewaltiger Reifen, an dem rund herum goldene Kraenze nebst Flaschen wohlriechender Essenzen haengen. Sie sind als Geschenke fuer die Gaeste bestimmt. Gegen Ende des Mahles wird die Ausgelassenheit gross, bis der trunkene Trimalchio auf den Einfall kommt, sich die Todtenkleider bringen zu lassen, in denen er wuenscht, dass man ihn einst begrabe. Er befiehlt auch, wohlriechendes Wasser zu holen und eine Probe zum Kosten von jenem Wein, mit dem seine Gebeine gewaschen werden sollen. Er oeffnet eine Flasche Nardenessenz, bestrich mit derselben seine Gaeste und spricht die Hoffnung aus, dieser Wohlgeruch werde ihm nach dem Tode eben so gut thun, wie im Leben. - Petronius gehoerte zu den Lieblingsautoren des vorigen Jahrhunderts; um die Mitte desselben hatte das "Gastmahl des Trimalchio", wie ich Friedlaenders Einleitung zum Petronius entnehme, schon sechs franzoesische Uebersetzungen aufzuweisen. Am Hofe von Hannover, im Carneval des Jahres 1702, wurde es sogar von fuerstlichen Darstellern aufgefuehrt. Auf Wunsch der Koenigin Sophie Charlotte von Preussen musste Leibniz der Fuerstin von Hohenzollern-Hechingen diese Auffuehrung schildern, was in einem franzoesisch geschriebenen Brief vom 25. Februar 1702 geschah. Gleicher Luxus mit Parfuems wie im Alterthum ist wohl zu keiner Zeit wieder getrieben worden, doch kamen sie an den Hoefen von Frankreich und England zeitweise in hohe Gunst. In Frankreich geschah das zur Zeit der Renaissance unter dem Einfluss der italienischen Kuenstler, die Franz I. und Katharina von Medicis an ihren Hof zogen. Da wurde in parfuemirten Pasten, Pomaden und duftenden Handschuhen vollauf geschwelgt. Die Cosmetiques kamen zu jener Zeit als Schoenheitsmittel auf und riefen eine besondere cosmetische Literatur ins Leben. Dass Diana von Poitiers bis in das hohe Alter sich den Reiz der Jugend zu bewahren wusste, ungeachtet sie schon mit dreizehn Jahren an Ludwig von Breze, Grossseneschal der Normandie, vermaehlt worden war, schrieb man cosmetischen Geheimmitteln zu, die ihr Paracelsus verrathen habe. Der Missbrauch, der unter den Valois mit cosmetischen Mitteln getrieben wurde, rief eine Reaction gegen dieselben hervor; erst unter Ludwig XIII. wusste die schoene Anna von Oesterreich sie wieder in die Gunst des Hofes zu bringen. Da kamen die Pates d'Amandes, die verschiedenen Cremes und Schminken auf, welche der Haut der Damen eine kuenstliche Faerbung verliehen. Ludwig XIV. liebte die Cosmetiques nicht: ihr Gebrauch nahm ab, doch nur, um unter der Regence einen besonderen Aufschwung zu erfahren. Jetzt bluehten Geheimmittel, welche die Jugend und Schoenheit dauernd sichern sollten. Der beruechtigte Cagliostro nahm von der eben so beruechtigten Dubarry und von anderen Schoenen nicht geringe Summen fuer solche Geheimmittel ein. Trotzdem schminkte man sich unter Ludwig XV. wieder weniger als zuvor und das "_rouge de Portugal en tasse_" roethete nicht so stark die Gesichter. Der Absatz an Schminke hielt sich immerhin auf bedeutender Hoehe, so dass im Jahre 1780 eine Gesellschaft fuenf Millionen Francs der Regierung fuer das Privilegium bot, ein Roth besonderer Guete allein verkaufen zu duerfen. Selbst mit violetter Schminke versuchte man es in den Gaerten des Palais Royal und hielt ganz Paris dadurch acht Tage lang in Aufregung. - Das hoerte gegen Ende des Jahrhunderts, unter dem Einfluss von Marie Antoinette auf; die schreienden Farben verschwanden aus den Gesichtern, und zugleich verlor sich auch der Geschmack an starken Wohlgeruechen; das Zarte musste sich jetzt mit dem Schwermuethigen, das Keusche mit dem Gefuehlvollen im Aussehen der Frauen paaren: so gewann die Parfuemerie jenes discrete Gepraege, welches ihr auch heute noch geblieben ist. Nur voruebergehend machte sich ein entgegengesetzter Einfluss der Kaiserin Josephine geltend, die als Creolin die starken Parfuems liebte. Napoleon I. selbst bediente sich nur des Koelnischen Wassers, das er sich jeden Morgen ueber Kopf und Schultern goss. Seit dem sechzehnten Jahrhundert war Frankreichs Geschmacksrichtung in der Parfuemerie massgebend fuer die anderen Voelker, im siebzehnten Jahrhundert gelangte sie zur Alleinherrschaft zugleich mit den franzoesischen Moden. Frankreich und England waren es vorwiegend, welche die Welt mit ihren Parfuemerien versorgten. Nur dem Koelnischen Wasser gelang es, als Weltparfuem gegen die Producte dieser Laender aufzukommen. Jetzt erst beginnt Deutschland, wenn auch noch nicht in den "Bouquets", so doch in den ungemischten Parfuems in die erste Stelle zu ruecken. Die Leipziger Erzeugnisse haben in dieser Richtung einen ungeahnten Erfolg erreicht. Ausserdem steht Deutschland obenan mit seinen chemischen Producten, die heute in so entscheidender Weise in die Parfuemerie eingreifen. Ebenso liefert es vornehmlich der Welt jene antiseptisch wirksamen Stoffe, welche die Cosmetiques verdraengt haben und allein berufen sind, die Gesundheit des Koerpers und damit auch die Schoenheit des "Teint" in Zukunft zu wahren. Die Berge strahlten von allen Seiten Licht und Waerme auf die Blumenpflanzungen von Grasse zurueck. Es wurde heiss in der Stadt: feiner Staub stieg bei jedem Windhauch in dichten Wolken auf: es roch zu stark nach Santalholz in den Strassen, wir fuehlten uns ploetzlich reisemuede und traten den Heimweg nach dem Norden an. ------------------ FRUeHJAHR 1895. I. Der Winter war so lang und so traurig im Norden gewesen, wir sehnten uns nach Waerme und nach Sonne. Doch auch vom Mittelmeer trafen unaufhoerlich Hiobsposten ein: die Kaelte hielt dort an, die Vegetation hatte gelitten, noch zu Anfang Maerz fiel Schnee, der viele Orte der Riviera mit einem weissen Gewand bedeckte. Da, endlich, siegte die Fruehlingssonne: wir erhielten guenstige Nachricht, und waren einige Tage spaeter in Cannes. Schon oben in den Alpen begruesste uns der Fruehling, mit leuchtendem Antlitz, mit einer Strahlenkrone ums Haupt. Die Fahrt in dieser sonnigen, zu neuem Leben erwachenden Natur, glich jetzt einem wahren Triumphzug. So kamen wir ans Mittelmeer. Im Norden schneit es noch immer, und dunkle Wolken decken dort den Himmel, hier aber glaenzt die Sonne am blauen Firmament, sie spiegelt sich im Meere, und ihre Strahlen dringen in unser Inneres ein und loesen die grauen Nebel auf, die sich an dunklen Tagen dort angesammelt haben. Auch an der Riviera di Ponente mussten Pflanzen und Menschen von der ungewohnten Strenge dieses Winters leiden. Die meisten Pflanzen erholen sich wieder. Die gebraeunten Bougainvilleen an den Haeusermauern beginnen stellenweise auszutreiben, sie bilden carmoisinrothe Hochblaetter in Buescheln an dem todten Laub. Der Heliotrop durchbricht mit seinen Sprossen den Boden, bald werden frische lebhaft gruene Blaetter an den Faecherpalmen die braun gefleckten alten ersetzen. - Auffaellig gut haben die Acacien dem Schnee und der Kaelte getrotzt, sie sind mit gelben Bluethen ueber und ueber bedeckt, wahre Blumenstraeusse in der sonst noch blumenarmen Landschaft. Denn die Vegetation ist gegen sonst sehr weit zurueck, die Rosenstoecke weisen nur geschlossene Knospen auf, waehrend sie sonst von Mitte Winter an hier im Bluethenschmuck prangen. Eine Rose ist in keinem der vielen Blumenlaeden von Cannes zu erblicken; man muesste sie wohl in den Gewaechshaeusern des Nordens bestellen; Weniger gut als so viele Pflanzen erholt sich der leidende Mensch, der hier in diesem letzten Winter Linderung, ja Genesung suchte. Tage lang musste er in Raeumen verweilen, die nur duerftig zu erheizen waren. Wie Manchem hat dieser Aufenthalt das Leben gekuerzt. Schwerkranke sollten hierher ueberhaupt nicht geschickt werden. II. Wir wollten nicht unten am Meere wohnen in den staubigen Theilen von Cannes; wir zogen den Abhang hinauf, der im Osten die Stadt beherrscht, zur Californie. Ueber den schoenen Garten des Hotel Californien hinweg blicken wir auf die Croisette, jene schmale Landzunge, welche den Golfe de la Nopoule vom Golfe Jouan scheidet. Weiter trifft unser Auge die Ile St. Marguerite, und bei Morgenbeleuchtung zeichnet sich jedes Haus in dem Fort ab, das diese Insel kroent. Von der Ile St. Honorat ist nur die Kirche sichtbar, im uebrigen wird sie von ihrer Schwesterinsel verdeckt. Im Osten, ueber den bluehenden Acacien, steigt an einem Huegel die alte Stadt Cannes empor. Sie gipfelt in ihrem alten Schlosse und bietet dem Auge ein malerisch bewegtes Profil. In weniger schoener Linie folgen die neuen Stadttheile der Bucht, doch diese Linie wird, von hier oben aus betrachtet, durch ueppige Gaerten der Huegel gebrochen und belebt. Besonders gerne ruht aber unser Blick auf den zackigen Umrissen des Esterel. Dorthin wendet sich unser Auge stets zuerst am Morgen, wenn die Sonne die Gipfel der Berge vergoldet und jede Ortschaft sich blendend weiss am Fusse derselben zeichnet; dorthin schauen wir auch zuletzt am Abend, wenn die Sonne jenseits der langen Kette verschwindet, und ihre Strahlen sich wie ein leuchtender Faecher am Abendhimmel ausbreiten. Dann entzuenden sich auch bald die Leuchtthuerme laengs der Kueste, und schon in der Daemmerstunde flammt Cannes mit Tausend Lichtern auf. Dieses Schauspiel wiederholt sich jeden Abend, und wir wurden nicht muede, es zu betrachten. Zugleich beginnt das Concert der Laubfroesche rings um das Hotel, jenes Concert, das Jeder kennt, der im Fruehjahr die Riviera besuchte. In allen Wasserbehaeltern versammeln sich um diese Zeit jene Thierchen und locken sich aus der Ferne mit lauten Rufen an. Die auffallende Kraft des Tones wird dadurch ermoeglicht, dass das Maennchen die schwaerzliche Haut seiner Kehle zu einer grossen Schallblase auftreibt. Im Uebrigen leben diese zierlichen, lebhaft gruen gefaerbten Geschoepfe auf den Straeuchern und Baeumen. Es unterhielt uns, ihnen am Tage in dem Garten des Hotels nachzuspueren, und dann auch festzustellen, wie sehr der Ton ihrer Faerbung sich nach ihrer jeweiligen Umgebung richtet. Auf hellen Blaettern sind sie hell, auf dunklen dunkel gefaerbt und daher stets schwer zu erblicken. Es handelt sich auch thatsaechlich bei diesem Farbenwechsel um eine Schutzvorrichtung, die sie den Augen ihrer Feinde entziehen soll. Andererseits werden sie auch nicht von der Beute bemerkt, auf die sie lauern. Es ist belustigend zu sehen, wie der Laubfrosch auf Insecten jagt, mit welchem Geschick er sie faengt und wie hoch er springt, um sie zu erfassen. Ungeachtet des Regens, der vor Kurzem reichlich gefallen war und trotz des taeglichen Begiessens, zeichnet sich die Strasse, die von Cannes nach Antibes fuehrt, von hier oben gesehen, meist wie ein langer Streifen von Staub zwischen den gruenen Gaerten aus. Besonders hoch steigt dieser Staub an den Nachmittagen auf, wenn eine Equipage der anderen folgt und neue Staubwolken aufwirbelt. Dieser Staub, von zermalmtem Kalkstein stammend, ist wie Mehl so fein. Ueberall dringt er ein, er erhebt sich zu so bedeutender Hoehe, dass er die angrenzenden Baeume bis in ihre Gipfel grau faerbt. Diesen Staub athmen nun tagtaeglich die vornehmen Gaeste von Cannes ein, die meist nach dem Sueden reisten, um ihre Lungen zu schonen. Derselbe Staub herrscht nun leider an vielen Orten der Riviera, ueberall dort, wo das Kalkgebirge bis an die Kueste reicht. Doch wer zwingt auch den Kranken, sich auf den Landstrassen zu bewegen oder an denselben zu wohnen! - Ich kann den Staub nicht leiden, wenn ihn auch meine Lunge vertraegt; gluecklicher Weise ermuede ich aber auch nicht leicht beim Gehen und fuehle mich wohler zu Fuss, als im Wagen. So war das Hotel sehr guenstig fuer mich gelegen. Auf Fusswegen lassen sich von demselben schon in kurzer Zeit Waelder und Maquis erreichen. Dort, auf den mit Kiefern bedeckten Gipfeln von "_la Maure_", 250 Meter hoch ueber dem Meere, eroeffneten sich die herrlichsten, ueberraschendsten Blicke in ueppig gruene Thaeler, nach den schneebedeckten Alpen und ueber die blaue Kueste. Ganz besonders grossartig erschienen in diesem Fruehjahr die Seealpen. Der Schnee reichte tief an denselben hinab. Man waehnte oft Bilder aus dem Berner Oberland vor Augen zu haben, doch leuchtender, getaucht in den Glanz der italienischen Sonne. So weilte ich denn mit Vorliebe unter den Aleppo-Kiefern oben auf den Hoehen von "_la Maure_"; doch mied ich grundsaetzlich das "_Observatoire_", den officiellen Aussichtspunkt, auf welchen am Nachmittag, auf staubiger Strasse, die Wagen durch muede Pferde muehsam aufwaerts gezogen werden. Dort ist ein Aussichtsthurm errichtet, von dem aus, gegen Zahlung, man die Natur bewundern kann. Meist ist man im Gedraenge, und die Musik aus einer nahen Wirthschaft traegt dazu bei, die Stimmung zu erhoehen. III. Beim Aufstieg zum "_Observatoire_" schneidet man einen Kanal, der Cannes, Golfe Jouan und Antibes mit Wasser versorgt. Er fuehrt das naemliche Wasser, das die Roemer einst in Forum Julii tranken. Sie hatten oberhalb Grasse eine Quelle der Siagne gefasst und fuehrten das Wasser nach Frejus in einem gedeckten Aquaeduct, der auf seinem Wege einen 50 Meter langen Tunnel, den Tunnel von Roquetaillado, zu durchsetzen hatte. Der moderne Wasserkanal, der in der Richtung von Cannes laeuft, steht der roemischen Wasserleitung entschieden nach, denn er ist unbedeckt und vor Verunreinigungen somit nicht geschuetzt. Man kann von La Maure aus diesem Kanal in nordwestlicher Richtung meilenweit folgen. Ein Fussweg fuehrt an demselben entlang. Er steigt ganz unmerklich auf, so dass man fast eben zu gehen meint. In weiten Bogenlinien zieht er sich laengs der Berge hin und bietet wechselvolle Ausblicke auf Cannes und das Esterel. Alsbald befindet man sich ueber Le Cannet, einem Dorfe, das noerdlich von Cannes, drei Kilometer entfernt vom Meere liegt und durch nahe Huegel ganz besonders gut gegen Winde geschuetzt wird. Man schaut da auf grosse Hotels hinab, denn Le Cannet ist Station fuer solche Kranke, die nicht am Meere weilen sollen, weil ihnen die Seebrise angeblich Schaden bringt. Noch weiter gen Norden kroent Mougins einen 260 Meter hohen, isolirten Huegel; ein malerischer Ort, dessen compacte Haeusermasse nur von spaerlichen Fenstern nach aussen durchbrochen wird. Dorthin sollen sich einst die Oxybier zurueckgezogen haben, als die Roemer die Kueste besetzten. Nur eine halbe Stunde Weges trennt Mougins von dem Thurme von Castellaras, der die umfassendste Aussicht auf die Alpenkette bietet. Von dem Wege am Wasserkanal kann man alle jene Huegel ersteigen, welche Le Cannet von Vallauris trennen. Von da oben sieht man jenseits von Mougins, am Fuss der grauen Kalkalpen, Grasse im Sonnenlichte glaenzen; unten im Kessel, nach Osten zu, breitet sich Vallauris aus. Weiter sieht man Golfe Jouan, Antibes, Nizza, die Kueste bis in neblige Fernen und oberhalb der Berge die Vallauris schuetzen, als herrlichsten Abschluss des Bildes, die Schneemassen um den Col di Tenda. Dort baut Italien seit Jahren eine Eisenbahn, welche Turin mit Ventimiglia verbinden soll. Die Bahn ist fertig von Turin bis zum noerdlichen Abhang des Passes, dem Orte Limone. Unter dem Col di Tenda laeuft jetzt schon ein langer Tunnel, der den Verkehr der Wagen erleichtert. Dann beginnt das Thal der Roja, das bei Ventimiglia das Meer erreicht. Der mittlere Theil dieses Thales ist im Besitze Frankreichs. Ihn soll die Bahn umgehen, und das verursacht bedeutende Kosten. Daher die Arbeiten langsam fortschreiten und die Vollendung der Bahn sich noch kaum absehen laesst. Einst wird diese Bahn ein herrliches Stueck Land dem Verkehr eroeffnen; denn die Gola di Gandarena, in welcher die Roja zwischen himmelstuermenden Felsenmauern fliesst, ist nicht minder grossartig wie die Via mala. Bis jetzt war dieser gewaltige Engpass, einer der imposantesten der Alpen, nur Jenen bekannt, welche den kleinen Badeort St. Dalmazzo di Tenda zur warmen Jahreszeit besuchten, oder die es gar unternahmen, allen Schneemassen zum Trotz, schon im Fruehjahr die Fahrt ueber den Col di Tenda zu unternehmen. Das haben wir einmal gethan und einen unvergesslichen Eindruck davon getragen. Ist einmal die Bahn von Cuneo bis Ventimiglia in Betrieb, dann bildet sie zugleich die kuerzeste Verbindung zwischen der suedlichen Schweiz und den Kurorten der Riviera di Ponente. Die Strasse ueber den Col di Tenda ist aber die aelteste, die jemals den Gallischen Strand mit den Ebenen des noerdlichen Italien verband. Sie existirte schon tausend Jahre vor Christus, zaehlt somit jetzt achtundzwanzig Jahrhunderte und hiess die tyrrhenische Strasse. Der Ort Vallauris, so unscheinbar er auch ist, hat es verstanden, jetzt eine gewisse Beruehmtheit zu erlangen. Er dankt sie seinem farbigen Halbporzellan, seinen "_Faiences d'art_", die nicht nur an der Riviera, sondern in allen groesseren europaeischen Staedten jetzt die Schaufenster der Laeden zieren. Es sind das Thonwaaren mit Zinnglasur, die im starken Feuer gebrannt werden. Die Familie Massier beherrscht diese Industrie. Ueberall liest man diesen Namen ueber den Lagern und ueber den Fabriken. Den Fremden, die auf der staubigen Landstrasse zwischen Cannes und Antibes umherfahren, faellt das grosse Lager im Orte Golfe Jouan am meisten in die Augen durch seinen mit bunter Fayence verzierten oder verunzierten Garten. Bietet Vallauris als Ort auch nur wenig, so bleiben doch die Ausfluege anziehend, die man ueber die Hoehen in dieser Richtung unternehmen kann. Von Vallauris geht man durch eine anmuthige Schlucht hinab nach Golfe Jouan oder durch den Wald, am Abhang der Berge, ueber Cannes-Eden, unmittelbar nach Cannes. Vielfach begegnet man hier in den Waeldern noch Korkeichen, die weiter nach Osten ganz fehlen. Es haengt das mit den Bodenverhaeltnissen zusammen, da Glimmerschiefer und Gneis stellenweise bei Cannes noch an die Oberflaeche treten und dann die gleichen Vegetationsbedingungen schaffen, wie sie im Maurengebirge gegeben sind. IV. Von der aeussersten Spitze der Croisette ist die Insel St. Marguerite kaum anderthalb Kilometer entfernt. In zwanzig Minuten kann man sie mit dem Boote erreichen. Zweimal am Tage verkehrt auch ein kleiner Dampfer zwischen dem Hafen von Cannes und den Lerinischen Inseln. Er beruehrt sie beide, und man kann den Ausflug ueber die Mittagsstunden ausdehnen, wenn man den ersten Dampfer zur Hinfahrt, den zweiten zur Rueckfahrt benutzt. - Wir wollten die Abendbeleuchtung der Kueste von den Lerinischen Inseln aus bewundern und nahmen am Nachmittag ein Boot an der Croisette. Voller Sonnenschein fuellte den Himmel mit einem Uebermass von Licht und liess das glatte Meer gleich einer metallenen Platte erglaenzen. Ein blaeulicher Dunst lag auf der Wasserflaeche. Die gegenueberliegende Insel rueckte immer naeher. Scharf zeichneten sich auf ihr die Mauern, die das Fort umgeben, welches einst Richelieu erbaute. Oestlich ueber den Felsen blicken aus der Mauer die Fenster jenes beruechtigten Gefaengnisses hervor, das sonderbarer Weise so oft schon die Gedanken der Menschen auf sich zu lenken wusste. Da war der mysterioese Gefangene eingeschlossen, der als "Mann mit der eisernen Maske" die Historiker und Romanschreiber oft beschaeftigt hat. Man nimmt jetzt meist an, es sei das Hercules Anthony Matthioli gewesen, ein Bologneser vom alten Geschlecht, der den Hass Ludwig XIV. sich zugezogen hatte. Matthioli sollte bei Ferdinand Carl IV. von Mantua, dem letzten Herzog aus dem Hause Gonzaga, den Verkauf der Festung Casale Monferrato an Frankreich vermitteln. Nach der Eroberung der Festung Pinerolo beherrschten die Franzosen den Zugang zum Piemont; ihnen haette der Besitz von Casale auch die fruchtbare Ebene von Mailand eroeffnet. Matthioli, der Senator von Mantua war und das Vertrauen seines Fuersten besass, liess sich fuer den Plan gewinnen. Ludwig XIV. empfing ihn an seinem Hofe mit grossen Ehren und zeichnete ihn durch ein kostbares Geschenk aus. Dessen ungeachtet verrieth Matthioli die franzoesischen Plaene an Oesterreich und brachte sie so zum Scheitern. Ludwig XIV. erfuellte das mit Zorn. Es gelang ihm, Matthioli ueber die Grenzen von Turin zu locken. Er wurde dort ueberfallen, gefangen genommen und in Fesseln gelegt. Man kerkerte ihn ein, zunaechst in Pinerolo, dann in jenem Gefaengniss auf St. Marguerite. Da der internationale Rechtsbruch geheim bleiben musste, war es dem Gefangenen unter Androhung des Todes verboten, sein Gesicht zu zeigen: er trug eine Maske, die thatsaechlich aber nicht von Eisen, sondern von schwarzem Sammet war. Im Jahre 1687 kam Matthioli auf die Insel, um zehn Jahre spaeter dem Gouverneur der Festung, dem beruechtigten St. Mars, nach der Bastille zu folgen. Dort starb er am 19. November 1703. - Es heisst, dass nach der Revocation des Edictes von Nantes durch Ludwig XIV. auch protestantische Geistliche in diesem Gefaengniss geschmachtet haetten. Napoleon I. setzte umgekehrt einen katholischen Geistlichen, de Broglie, Bischof von Gent, hier ein. Dann gab es weniger vornehme Gefangene, Mamelucken und dergleichen, erst die Einkerkerung Bazaines an dieser Stelle zog wieder die Blicke der Welt auf St. Marguerite. Bazaine gelang es zu entkommen. Seine Frau, eine noch junge Spanierin, und sein frueherer Adjutant Willette, der ihn nach St. Marguerite begleitet hatte, ermoeglichten seine Flucht. Er liess sich des Nachts am Seil laengs der Felsen nieder und erwartete unten in zerfetzten Kleidern, mit wunden Haenden und blutigem Gesicht, seine Frau. Das stuermende Meer verhinderte die Landung des Bootes, das ihn abholen sollte; er musste sich in das Meer werfen, um es zu erreichen. - Heut war es an diesen Felsen so still, wie auf einem See, und wir landeten ohne Muehe an dem steinigen Ufer. - Der Besuch der Festung lohnt kaum, will man sich nicht etwa an der ausserordentlichen Dicke der Mauern und an dem dreifachen Gitter des einzigen Gefaengnissfensters erbauen. Durch dieses Fenster haette Bazaine nicht entkommen koennen. Er benutzte die mangelhafte Aufsicht, um gegen Abend seine noch offene Zelle zu verlassen. Er verbarg sich im Gefaengnisshofe, waehrend seine Zelle zur Nacht leer verschlossen wurde. Wir zogen in den schoenen Kiefernwald, der den groessten Theil der Insel deckt, und lagerten dort unter den Baeumen. Die Aussicht landeinwaerts ist derjenigen aehnlich, die man von Antibes aus geniesst. Nur steigt das Vorgebirge in groesserer Naehe auf, und das Bild wirkt heiterer durch die grosse Naehe von Cannes. Die Schneemassen der Alpen scheinen in der Ferne fast in der Luft zu schweben, gehuellt in jenen leuchtend azurenen Nebel, der dem provencalischen Himmel eigen ist. Von der blauen Flaeche des Meeres und den gruenen Huegeln der Kueste steigt so das Bild in Stufen, bis zu den schneebedeckten Riesen der Alpenwelt empor, in grossartig eindrucksvollem Contrast. Wir ziehen nun quer durch den Wald, nach der entgegengesetzten Seite der Insel, wo uns das Boot erwartet. Jetzt liegt dicht vor uns die Ile St. Honorat. Es ist nur ein enger Meeresarm, der beide Inseln trennt, doch ein Meeresarm, erfuellt mit gefahrbringenden Felsen, die kaum von den Wellen des Meeres gedeckt werden. Die Ile St. Honorat hiess bei den Roemern Lerina. Der heilige Honoratus zog von seiner Einsiedelei im Esterel zu Anfang des fuenften Jahrhunderts nach dieser Insel hin. Er fand sie, so berichtet die Sage, mit giftigen Schlangen erfuellt, unter denen zu leben fast unmoeglich schien. Doch der Heilige bestieg eine Palme und vertrieb die Schlangen durch den grossen Bannfluch, den er ueber sie aussprach. Zu St. Honoratus gesellte sich bald der greise Caprasius, den spaetere Zeiten auch als Heiligen anerkannten. Es stroemten von allen Seiten Anhaenger herbei, und das errichtete Kloster hatte bald bedeutenden Ruhm erlangt. Der heilige Vincenz, einer der hervorragendsten Moenche von Lerin, verfasste dort das Commonitorium gegen die Irrlehre, ein Werk, das man auch in unserer Zeit im Streit um das Unfehlbarkeitsdogma oefters citirte, im Besonderen den Satz: "Was immer, was ueberall, was von Allen geglaubt worden ist, das ist wahrhaft katholisch." Dem Kloster gehoerten auch an: St. Hilarius, der wie St. Honoratus spaeter Bischof von Arles wurde, ebenso St. Maximus, der den Bischofssitz von Frejus bestieg, dann Faustus, Bischof von Reji, der zu den Heiligen zwar gezaehlt, dessen Rechtglaeubigkeit aber vielfach angezweifelt wurde; dann St. Salvian, St. Valerian, auch die beiden Soehne des heiligen Eucharius: St. Veranius und St. Salonius und viele Andere. Von der kleinen Insel Lerina, die St. Honore nach dem Begruender ihres Klosters benannt wurde, gingen nicht weniger als zwoelf heilige Erzbischoefe, zwoelf heilige Bischoefe, zwoelf heilige Aebte und vier heilige Moenche hervor. "O gesegnete Einsiedelei, o dreimal glueckliche Insel, die du so viel Sproesslinge des Himmels erzogen hast!" _Beata et felix insula Lyrinensis {~HORIZONTAL ELLIPSIS~}!_ rief daher schon im Jahre 542 der Erzbischof von Arles, Caesarius, der Sohn des Grafen von Chalon, bei seinem Tode aus. Zu Ehren aller dieser Heiligen wurde am 15. Mai ein eigenes Fest, das der Allerheiligen von Lerina, gefeiert. Um das Jahr 690 zaehlte das Kloster ueber 3700 Moenche. Wie moegen sie nur alle Platz gefunden haben auf der kleinen Insel, die nur etwa tausend Schritte lang und vierhundert Schritte breit ist! Dieses rasche Aufbluehen des Klosters trug die Keime des Verfalles auch in sich; die asketische Lebensweise schwand immer mehr. - Zur Zeit, da der heilige Caesarius dem Kloster als Moench angehoerte, waren die Ordensregeln aeusserst streng. Jeder Moench bewohnte getrennt seine Zelle: es gab weder ein Schlafgemach noch eine Kueche. St. Caesarius ernaehrte sich von Kraeutern und von Bruehen, die er sich am Sonntag fuer den Bedarf der ganzen Woche kochte. Das aenderte sich spaeter, und schon zu Ende des siebenten Jahrhunderts mussten, wie der Abt Disdier erzaehlt, die Paepste eingreifen, um der Zuegellosigkeit der Sitten unter den Moenchen zu steuern. - Der heilige Aigulf, hieher gesandt, um strenge Zucht im Kloster einzufuehren und die Moenche zu besserem Lebenswandel zu bekehren, wurde von ihnen verstuemmelt und Seeraeubern uebergeben. - Dann aber kamen die Saracenen. Sie pluenderten im Jahre 732 das Kloster und mordeten alle seine Bewohner. Nur St. Eleutherius blieb am Leben, verborgen in einem unzugaenglichen Felsenspalt, in dem er acht Tage lang von Wurzeln und Seethieren sich naehrte. Das Kloster bluehte noch mehrfach auf, doch die alte Sicherheit und Ruhe waren von der Insel geschwunden, so dass der Abt Adalbert im Jahre 1073 einen starken viereckigen Thurm erbauen liess, der vom Strande aus gegen Afrika schaut und dauernd das Meer ueberwachte. Der Thurm war geraeumig genug, um alle Moenche aufzunehmen; sie konnten die Klosterschaetze darin bergen, dort auch sich wirksam gegen die alten Feinde, Seeraeuber und Saracenen, vertheidigen. So kam es, dass das Kloster nicht nur fortbestehen, sondern auch glaenzende Zeiten erleben konnte: es hatte noch manchen geistig hochstehenden Abt aufzuweisen. Im sechzehnten Jahrhundert besass es eines der reichsten Sanctuarien, und seine Bibliothek war weit beruehmt. Im siebzehnten Jahrhundert, unter dem Pontificat Gregor XV. begann es endgueltig zu verfallen. Als es im Jahre 1788 saecularisirt wurde, zaehlte es nur noch vier Moenche. Man vertheilte die Klosterschaetze an die Kirchen der benachbarten Regionen. Viele Kostbarkeiten verschwanden waehrend der franzoesischen Revolution, so ein silberner Reliquienschrein, der die Ueberreste des heiligen Honoratus enthielt und nach Cannes gekommen war. Dieser kunstvoll gearbeitete Reliquienschrein stammte von Franz I., der nach der Schlacht von Pavia als Gefangener die Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1525 im Kloster zugebracht hatte. Im Jahre 1791 wurde das Kloster versteigert und ging, eigen genug, in den Besitz einer Schauspielerin ueber. Es war das Fraeulein Alziary de Roquefort, die unter dem Namen Sainval an der _Comedie francaise_ glaenzende Triumphe gefeiert hatte. Die Insel St. Marguerite hiess bei den Roemern Lero. Strabon erzaehlt, dass ein Heroentempel diese Insel schmueckte und dass die Ligurischen Piraten dort Opfer darbrachten. Den Namen St. Marguerite, den jetzt die Insel fuehrt, sucht eine Sage mit dem Namen der Schwester des heiligen Honoratus zu verknuepfen. Von Sehnsucht getrieben, so wird erzaehlt, kam Margarethe nach Lerina und fiel dem Bruder zu Fuessen. Die Ordensregel schloss die Anwesenheit von Frauen auf Lerina aus. Daher St. Honoratus die Schwester nach der Insel Lero brachte, wo sie verblieb und Aebtissin wurde. Margarethe nahm unter einem bluehenden Kirschbaum von dem Bruder Abschied, und er musste ihr versprechen, dass er sie besuchen wuerde, so oft dieser Kirschbaum bluehe. Die Heilige erwirkte dann durch ihr Gebet, dass der Kirschbaum allmonatlich in Bluethenschmuck prangte. Jetzt gibt es wieder Moenche im Kloster St. Honorat. Das Bisthum von Frejus hat das Kloster im Jahre 1859 erworben, und zehn Jahre spaeter zogen die Cistercienser hierher. Im weissen Gewande, mit schwarzer Kapuze, schwarzem Gurt und Scapulier schreiten sie in dem Kloster einher. Frauen ist der Zutritt untersagt, doch viel verlieren sie nicht durch dieses Verbot, denn von den aelteren Theilen des Klosters blieb fast nichts erhalten, und die Kirche in demselben ist ganz neuen Ursprungs. Weit hoeheres Interesse beansprucht das ausserhalb des Klosters am Meeresstrande aufgebaute, auch den Frauen zugaengliche Kastell. Ein maechtiger Bau aus Quadersteinen, der den Angriffen der Zeit getrotzt hat. Nur von wenigen Fenstern nach aussen durchbrochen, mit Zinnen besetzt, traegt es deutlich seine einstige Bestimmung zur Schau. Besonders stimmungsvoll hebt sich dieses dunkle Kastell von dem blauen Hintergrund des Meeres ab, wenn es aus einiger Entfernung betrachtet wird, und dunkelgruene, ueber den Strand geneigte Kiefern dasselbe umrahmen. Im Innern birgt das Kastell alle jene Raeume, die zu einem laengeren Aufenthalt der Moenche nothwendig waren: zahlreiche Zellen und ein Refectorium, eine Capelle und eine Bibliothek, vor allem auch eine Cisterne. Diese Cisterne, ganz alter Construction, nimmt die Mitte des offenen Hofes ein; Saeulengaenge, in mehreren Stockwerken, steigen im Umkreis auf. Eingestuerzte Gewoelbe, halbverschuettete Raeume, verborgene Treppen, die in unterirdische Raeume fuehren, folgen aufeinander und durchschneiden sich in sinnverwirrender Weise. Die Burg ist Kloster und Festung zugleich, so recht ein Product jener Zeit, wo das Kreuz und das Schwert oft von derselben Hand gefuehrt wurden, einer leidenschaftlich erregten Zeit, stark und starr in ihrer Ueberzeugungskraft, der es an schoepferischer That und eigenartiger Poesie nicht fehlte. Auf einer Wendeltreppe besteigt man den Thurm, von dem aus sich eine herrliche Aussicht entfaltet. Man sieht hinab auf die Lerinischen Inseln, die wie gruene Floesse auf dem Meere schwimmen, und ueberblickt die ganze weite Kueste von St. Tropez bis zu den Bergen von Bordighera. Die Insel St. Honorat ist viel kleiner als ihre Schwester; dass der heilige Honoratus sie dessenungeachtet zur Anlage seines Klosters erwaehlte, war durch die Quelle bedingt, die sie birgt. Zerklueftete Felsen ragen in der Naehe des Kastells aus dem Meer hervor. Sie heissen die Moenche und bilden einen natuerlichen Schutz fuer die Insel. An ihnen bricht sich die Macht der Wellen, wenn der Suedsturm das Meer gegen die Insel treibt. Einige Capellen schmuecken den Strand, Ueberreste aus alter Zeit; Marmorfragmente von Saeulen und Capitaelen sind zwischen Myrten und Lentisken aufzufinden und mahnen an fruehere Pracht. Fuenfzehn Jahrhunderte lang beherrschten die Moenche diese Inseln sowie auch das gegenueberliegende Festland, jetzt gilt ihre Fuersorge vor allem einem Waisenhaus, das in dem Kloster errichtet wurde und in welchem die Knaben verschiedene Gewerbe erlernen. In diesem Waisenhause befindet sich auch eine Druckerei, in welcher alte kirchliche Werke neu edirt werden. So hat die Druckerei von Lerin dem Papst Leo XIII. zu seinem Jubilaeum ein reich verziertes Werk ueberreicht, welches das Magnificat in "hundertfuenfzig" Sprachen enthielt. Oestlich von der Insel St. Honorat liegt die kleine Felseninsel St. Fereol. Waehrend die beiden groesseren Lerinischen Inseln durch Legende und Geschichte wie mit einem Heiligenschein umgeben werden, bildete sich eine seltsame, fast daemonische Mythe um St. Fereol aus. Es hiess, und heisst noch vielfach, dass auf St. Fereol das Grab von Paganini sich befunden habe. Diese Angabe ist in franzoesischen Werken verbreitet. Sie fuehren an, Paganini sei in Nizza, im Mai 1840, an der Cholera verschieden; sein Sohn Achille habe die Leiche auf einem Schiffe nach Genua gefuehrt, um den Vater an dessen Geburtsorte zu bestatten. Die Geistlichkeit verweigerte aber das Begraebniss dem Manne, von dem es hiess, er habe sich dem Satan verschrieben. Auch das Municipio liess die Ausschiffung des Koerpers wegen Choleragefahr nicht zu. So versuchte der Sohn in Marseille zu landen, doch wieder ohne Erfolg. Als er auch in Cannes abgewiesen wurde, entschloss er sich, den Sarg des Nachts auf die kleine unbewohnte Insel zu bringen und dort, von Stuermen oft umbraust, hat der Todte fuenf Jahre lang gelegen. Erst im Mai 1845 kehrte der Sohn wieder, nachdem es ihm gestattet worden war, den Vater zu begraben an der Kirche von Gajona bei Parma, unfern der Villa, die Paganini dort erworben hatte. Diese Erzaehlung kam mir schon einmal in den Sinn, als ich in dem herrlichen _Pallazzo Doria Tursi_, dem jetzigen _Palazzo del Municipio_ in Genua, die Geige Paganinis sah. Das war in den Tagen der Columbianischen Feste, wo die Mitglieder der wissenschaftlichen Congresse im Municipio durch den Sindaco empfangen wurden. Die Geige, eine Guarneri, der einst Paganini daemonische Toene zu entlocken gewusst, bewahrt man wie eine Reliquie in einem kostbaren Schrein; man hatte sie zu dem Feste mit seidenen Baendern in den italienischen Farben geschmueckt. Daran dachte ich jetzt, da ich die kleine Insel St. Fereol vor mir im Meere liegen sah. Die heitere Landschaft stimmte freilich nicht zu dem unheimlichen Geiste Paganinis. Wohl aber konnte es ihm behagen auf jenem einsamen Riff, wenn die entfesselten Elemente die brandenden Wogen ueber die Felsen trieben und der Wind klagend ueber der Meeresflaeche pfiff. Da war es die Natur, welche Schaudergeschichten auf ihrer _G_-Saite spielt, so wie er sie einst auf jener Saite seinen erregten Zuhoerern zu erzaehlen wusste. Ja, das Grab Paganinis passt sicherlich besser in die wilde Brandung, als auf einen stillen Friedhof, das ist voellig klar! - Wie schade, dass die Geschichte nur erdichtet ist! - In Wirklichkeit starb Paganini in der _Via Santa Reparata_ zu Nizza an der Kehlkopfschwindsucht und nicht an der Cholera. Er hatte lange zuvor schon, in Folge seines Leidens, die Stimme eingebuesst. Da er die Sterbesacramente nicht empfangen hatte, verweigerte die Geistlichkeit seine kirchliche Bestattung, und diese konnte erst einige Jahre spaeter erfolgen. Der Sohn Paganinis, der heute noch in Parma lebt, theilt mir mit, dass sein Vater dort auf dem grossen Friedhof _della Villetta_, nachdem er, auch im Tode unstaet, erst nach Villa-Franca, dann nach Genua gewandert, seit 1876 seine endliche Ruhe gefunden und er - der Sohn - ihm auf seinem Grabe ein wuerdiges Denkmal habe errichten lassen, fuer welches in Genua kein geeigneter Platz gewesen sei. Ueber Paganinis Leben hatten sich die merkwuerdigsten Mythen ausgebildet, die durch sein ungewoehnliches Aussehen, seine fast gespensterhafte Magerkeit und sein blasses Gesicht, auf welchem, wie Heine schreibt, Kummer, Genie und Hoelle ihre unverwuestlichen Zeichen eingegraben hatten, gefoerdert wurden. Paganini trug uebrigens durch sein excentrisches Benehmen selber nicht wenig zur Verbreitung dieser Mythen bei. Nur einmal, in Paris, fuehlte er sich veranlasst, den Fabeln, die in den Zeitungen ueber ihn berichtet wurden, entgegenzutreten. In einem Briefe, den er in der "_Revue musicale_" veroeffentlichen liess, schilderte er selbst sein Leben und fuehrte dort den Nachweis, dass er weder seine Geliebte ermordet noch im Gefaengniss gesessen, noch sich dem Teufel verschrieben habe. Er schloss mit der Hoffnung, man werde wohl seiner Asche einst die verdiente Ruhe goennen. Doch auch diese Hoffnung sollte sich nicht erfuellen! Selbst eine Marmorbueste, die man Paganini in der _Villetta di Negro_ zu Genua geweiht hatte, verschwand spurlos von jener Staette. Wir kehrten nach der Insel St. Marguerite zurueck und verweilten dort bis zum Untergang der Sonne. Strahlend verschwand der feurige Ball hinter dem Esterelgebirge. An den hohen Bergen im Norden trieben sich langgedehnte Nebelstreifen umher. Sie deckten die Einschnitte der Thaeler, stiegen dann empor bis zum Schnee der Alpen, wurden violett und rosenroth und schwanden spurlos. Scharf zeichneten sich jetzt die riesigen Gipfel in langer Kette an dem blauen Himmel. Bald roetheten sie sich auch, ergluehten in Purpur, erloschen allmaelig und wurden dann leichenblass. Des Tages Gluth lastete noch auf dem Meere; seine glatte Oberflaeche zeigte jene matten Reflexe, wie sie alten venetianischen Spiegeln eigen sind: dann begann sie die Farbe zu wechseln und schillerte wie Opal. Der Purpur, der von den Bergen schwand, legte sich ueber den Abendhimmel und ueberfluthete bald auch das Meer. Geheimnissvoll klagend schlugen seine scharlachrothen Wellen jetzt an die Felsen des Ufers. Der Himmel ueber den Alpen nahm fahlgruene Faerbung an, und dann wurde es dunkel. Ungezaehlte Sterne tauchten am Himmel auf, und ungezaehlte Lichter entflammten laengs der Kueste. Wir bestiegen jetzt wieder die Barke und glitten still ueber der Wasserflaeche. Eine erfrischende Luft umfloss unseren Koerper, drang in unsere Lungen ein und erweckte jenes Gefuehl inneren Wohlbehagens, dem man so gern sich hingibt. Wir wechselten kaum ein Wort und brachen erst unser Schweigen, als wir an der Croisette gelandet waren. V. Cannes stand unter der Herrschaft der Aebte von Lerin. Sie hatten dasselbe im zehnten Jahrhundert von Wilhelm von Gruetta, einem Sohne von Redouard, Grafen von Antibes, erhalten. Im Jahre 1080 begann der Abt Adalbert die Burg auf dem Huegel, der jetzt die Altstadt traegt, dem heutigen Mont Chevalier, zu erbauen. Im Kloster von Lerin wurden die geistigen Gueter vor Allem gepflegt, daher wohl seine Herrschaft mild gewesen ist. Das beeinflusste die Sitten und Braeuche der Uferbewohner. Waehrend jenseits des Esterels, wo rohe Burgherren herrschten, die Volksbelustigungen in Scheinkaempfen, den sogenannten "_bravades_" bestanden, waren es in Cannes, Vallauris und Antibes die "_romerages_", das heisst Taenze und aehnliche Spiele, welche die Feste belebten. Bis auf den heutigen Tag haben sich die _bravades_ in St. Tropez, die _romerages_ in Vallauris erhalten. Wachtthuerme laengs der Kueste waren zum Schutz gegen die Saracenen aufgerichtet. Feuerzeichen des Nachts, weisse Fahnen am Tage, warnten, von den Lerinischen Inseln aus, die Uferbewohner vor den nahenden Feinden. Cannes fuehrte, gedeckt durch das Kloster, dem die Angriffe der Feinde stets vor Allem galten, ein ziemlich ruhiges Dasein, und hatte erst waehrend der Kaempfe Franz I. mit Karl V. schwere Verluste zu tragen. Im Jahre 1580 wurde durch ein Schiff aus dem Orient die schwarze Pest nach Cannes eingeschleppt und verbreitete sich dann ueber die ganze Provence. Dann gab es noch manches Ungemach im Laufe der Zeiten, so im siebzehnten Jahrhundert, als die Lerinischen Inseln zeitweise in spanische Gewalt geriethen, dann im achtzehnten waehrend der Invasion der Provence durch oesterreichische und piemontesische Truppen, besonders aber im oesterreichischen Erbfolgekriege, waehrend des missglueckten Angriffs der Oesterreicher auf die Provence. - Uebrigens fehlte es auch nicht ganz an komischer Tragik in der Geschichte von Cannes. So berichten die Stadtarchive von einem wilden Thiere, das 1785 das Land und die Stadt mit Schrecken erfuellte. Kein Bewohner der Stadt wagte sich mehr ins Freie. Schliesslich wurde eine Schar muthiger Maenner bewaffnet, und es gelang ihnen auch an der Grenze der Gemeinde das Thier zu erlegen. Ein solches Thier hatte noch Niemand gesehen; man wusste es nicht zu benennen. Ein heftiger Streit entspann sich nun um das Fell, zwischen den Gemeinden von Cannes, Grasse und Mougin, an deren gemeinsamen Grenzen das Thier gefallen war; es drohte ein ernster Conflict, gluecklicher Weise machte der Marquis de Caraman, commandirender General der Provence, demselben ein Ende, indem er das Fell fuer sich nahm. Nunmehr wurde festgestellt, dass dieses Fell von einer Hyaene stamme; wie jenes Thier sich nach Cannes verirrt hat, ist unaufgeklaert geblieben. Am Ende des vorigen Jahrhunderts war Cannes zu einer ganz unbedeutenden Ortschaft herabgesunken. Als Horace Benedict de Saussure sie 1787 besuchte, fand er nur ein paar Strassen vor, die fast ausschliesslich von Matrosen und Fischern bewohnt waren. Die Schoenheit der Lage fiel ihm auf: "_C'est un site vraiment delicieux_" rief er auf dem Huegel von St. Cassien aus, als er den blauen Golf und die gruenen Inseln vor sich liegen sah, dann ueber das ueppige Thal der Siagne, gegen Grasse und die grauen Kalkalpen schaute. Auch die Hotels in Cannes waren damals einfacher als jetzt, dessen ungeachtet es dem Erlanger Professor Heinrich Schubert im Jahre 1822 in einem derselben sehr behagte. Er und "die gute Hausfrau" waren zu Fuss ueber das Esterel acht Stunden lang bis nach Cannes gewandert und kamen dort recht ermuedet in den heissen Mittagsstunden an. Darauf hin schreibt Schubert: "Wohler und erquicklicher zu Muthe ist es wohl der guten Hausfrau, auf dieser ganzen Reise, bei keinem anderen Mittagessen und in keinem anderen Wirthshause gewesen, als in dem buergerlichen, fuer uns daher sehr passenden Wirthshause zu Cannes. Es war das Haeuslein gleich eins der ersten in der Haeuserreihe am Meeresstrande hin. Zwar zu der oberen Etage, welche fast nur aus dem Zimmer bestand, in welchem wir assen, fuehrte keine Marmorstiege, sondern eine hoelzerne Treppe von aussen empor, es stieg sich aber eben so schnell daran hinauf, als auf einer steinernen; der Balcon, an dessen geoeffnete Thuer wir uns hinsetzten, hatte zwar weder eiserne noch bronzene Umzaeunung, sondern nur bretterne, die Aussicht von ihm hinaus auf das unter uns brandende Meer war aber eben so weit und lieblich als von einem steinernen." "Junge Huehnlein, seit wenigen Tagen erst aus dem Ei gekrochen, die mit ihrer Alten da im Speisesaal und auf dem Balcon herumliefen, pickten die Kruemlein von Weissbrod zusammen, die ihnen die Hausfrau auf den Boden streute." Dann aber, nachdem wir uns an einem trefflichen Mahl gesaettigt und ausgeruht, "verliessen wir - Strickbeutel und Pflanzenmappe unter dem Arme - unseren Balcon mit der lieblichen Meeresaussicht und die gutmuethigen, billigen Wirthsleute und zogen unter den schattigen Baeumen der Allee, neben dem anbrandenden Meere hinaus auf die Strasse nach Antibes." Da war es in der That anders in Cannes als jetzt! Den Anfang zu seiner jetzigen Groesse verdankt Cannes einem Zufall. Im Jahre 1834, als die Cholera im ganzen Norden von Europa herrschte, sperrte sich Italien gegen dieselbe durch einen Grenzcordon ab. Reisende, die aus Frankreich an diese Kueste kamen, mussten mehrere Tage in dem seuchenfreien Cannes verweilen, bevor sie die Grenze am Var ueberschreiten durften. Unter den Reisenden befand sich auch Lord Brougham, der das Amt eines Lord-Kanzlers von England vor Kurzem niedergelegt hatte und durch den Tod seiner geliebten Tochter tief gebeugt, nach Italien eilte. Ihm gefiel dieser Ort, an dem er nun unfreiwillig verweilen musste, so sehr, dass er sich entschloss, an demselben zu bleiben. Er liess sich in Cannes nieder und erbaute auf seiner Besitzung das Schloss Eleonore Louise, das den Namen seiner Tochter traegt. Seinem Beispiel folgten zahlreiche seiner Landsleute, und die vornehme englische Gesellschaft zog sich allmaelig von Nizza nach Cannes zurueck. Ihr folgte die franzoesische Aristokratie, und allmaelig wuchs Cannes zu einem der vornehmsten Kurorte der Riviera an. VI. Den Bewohnern des westlichen Cannes koennen die Ausfluege auf den Hoehen der Croix-des-Gardes diejenigen von "La Maure" zum Theil ersetzen. Die Aussichten sind aehnlich, doch gilt es meist so viel Staub zu schlucken, ehe man sie erreicht! Die Abhaenge dieses 150 Meter hohen Huegels sind mit den aeltesten Villen des neuen Cannes bedeckt; da lehnt sich auch jener Chateau d'Eleonore Louise an, der den Grund zu dem modernen Kurort legte. - Man darf es auch nicht unterlassen, den Garten der Villa Larochefoucauld zu besuchen, dessen Zutritt Fremden stets gestattet wird. Man erreicht ihn bald auf der Strasse von Frejus. Die Ausblicke auf das nahe Esterel zwischen den Palmen, Pinien und sonstigen ueppigen Gewaechsen des Gartens sind zum Theil von hoher malerischer Wirkung. Ueber alle moeglichen, wenn auch nicht immer empfehlenswerthen Ausfluege an den Kurorten der Riviera orientiren jetzt vollstaendiger wie zuvor die in allerletzter Zeit erschienenen "_Guides Joanne_". Es gibt jetzt solche "Fuehrer" fuer Cannes, fuer Nizza, Mentone, ja selbst fuer das Esterel, und sie sind einzeln fuer 50 Centimes oder einen Franc zu haben. Leider sind aber auch in diesen Fuehrern die Angaben ueber die Wege, die man bei den einzelnen Ausfluegen einzuschlagen hat, so mangelhaft und die beigefuegten Karten so unvollkommen, dass man sich nur selten zurechtfinden kann. Ich plante noch einen Ausflug nach dem Cap d'Antibes und stand mit Tagesanbruch auf, um moeglichst viel Zeit vor mir zu haben. Ich trat ans Fenster und oeffnete die Laeden: Der Himmel war mit Wolken ganz bedeckt. Hinter denselben im Osten musste die Sonne soeben aufgegangen sein. Unentschlossen blieb ich am Fenster stehen. Wird es der Sonne gelingen, die Wolken zu zerstreuen? Leuchtende Stellen tauchten in der Wolkenmasse nach einiger Zeit auf und erweckten freudige Hoffnung. Bald schwanden sie aber wieder, und beklommen blickte ich empor, gedrueckt von dem Gefuehl, dass es so trueb und traurig den ganzen Tag ueber bleiben koenne. Doch wieder lichten sich hier und dort die Wolken, sie wogen in schweren Massen wie ein bewegtes Meer; ploetzlich zerreissen sie an mehreren Stellen, und aus gluehendem Rahmen blickt dort der leuchtende Himmel hervor. Es ist, als waere in den Hoehen eine Feuersbrunst ausgebrochen, und als draengen lange Feuerstrahlen aus den Oeffnungen der Wolken hervor, um die See und das Land zu entzuenden. Jetzt sind es Stellen im Meer, welche in Flammen aufgehen, dann leuchten die Lerinischen Inseln im rosigen Lichte auf dunkler Woge, dann wieder entzuenden sich die Gipfel des Esterel, dann das alte Cannes. Allmaelig erblassen die Wolken, sie weichen vor der siegreichen Sonne; sie loesen sich auf im goldigen Nebel und schwinden. Der ganze Himmel erstrahlt in glaenzendem Licht. Wir folgen der Strasse von Antibes, von Licht ueberfluthet. Solche Lichtfuelle stimmt den Menschen freudig, erweckt neue Hoffnungen und traegt so sicherlich nicht wenig zur Heilung der hier weilenden Kranken bei. Es ist das der suggestive Einfluss des Sonnenlichtes; andererseits kommen demselben thatsaechlich auch antiseptische Wirkungen zu. Intensives Sonnenlicht toedtet die Keime jener niederen Organismen, welche Faeulniss und Zersetzung bewirken. Entsprechende Versuche haben gelehrt, dass eine Aussaat von Bacterien durch Licht sterilisirt werden kann. Setzt man eine solche Aussaat dem Sonnenlichte aus, haelt eine andere im Schatten, so werden die Keime der ersteren getoedtet und die der letzteren entwickeln sich weiter. Intensives Sonnenlicht sterilisirt demgemaess auch die Waesche und die Kleider von Kranken. Es sterilisirt auch Seen und Fluesse, falls ihr Wasser nicht zu trueb ist und den Lichtstrahlen das Eindringen nicht verwaehrt. Die in der Luft schwebenden Keime werden meist von dem Sonnenlicht getoedtet. Mit Recht sagt somit ein italienisches Spruechwort: "_Dove non entra il sole, entra il medico._" Waere jenes Spruechwort nicht begruendet, da muessten unausstehliche Miasmen manches suedliche Land erfuellen und Infectionskrankheiten ununterbrochen es verheeren. Wie wenig geschieht da meist fuer die Desinfection. Die moderne Hygiene ist ein Kind nordischer Himmelsstriche, und die peinlichsten Ansprueche an Reinlichkeit und Comfort sind in Laendern erwachsen, in welchen der Nebel meist das Sonnenlicht verhuellt. Waehrend wir unsere Wohnraeume nach Moeglichkeit saeubern, fuer Desinfection allerorts sorgen, oeffnet der Suedlaender weit seine Fenster und laesst sein ganzes Haus vom Sonnenlicht durchstrahlen. Dazu ist aber dauernd klarer Himmel noethig. - Bacterienkeime, die vom intensiven Sonnenlichte getroffen werden, halten die Wirkung desselben nur kurze Zeit aus. Die Keime des _Bacillus anthracis_, jenes gefaehrlichen Bacteriums, das den Milzbrand bei Schafen und Rindern veranlasst, sind dann schon todt nach wenigen Stunden. Ein englischer Botaniker, Marshall Ward, hatte den Einfall, diese Wirkung des Lichtes auf Bacterienkeime gewissermassen photographisch zu veranschaulichen. Er breitete Gelatine, die mit Bacterienkeimen versetzt war, auf einer Glastafel aus, stellte vor dieselbe eine durchbrochene Zinnplatte und liess letztere vom Sonnenlicht bescheinen. Nach wenigen Stunden wurde die Glastafel in einen dunklen, warmen Raum gelegt und dort laengere Zeit gelassen. Ueberall da, wo das Sonnenlicht durch die Oeffnungen der Zinnplatte die Gelatine erreicht hatte, blieb letztere klar, weil die Keime in derselben getoedtet waren, sie truebte sich an den uebrigen Stellen, weil die Keime dort unversehrt blieben und sich zu trueben Bacterienmassen vermehrten. So war das in die Zinnplatte geschnittene Bild deutlich auf der Gelatineplatte zu erkennen. Selbst die Negative gewoehnlicher Photographien konnten benutzt werden, um positive Bacterienbilder zu erhalten, wenn mit besonders empfindlichen Keimen operirt wurde. Ein purpurfarbiges Bacterium der Themse lieferte so hinter den Glas-Negativen englischer Landschaften zwar nicht scharfe, aber doch kenntliche Bilder derselben. Die ganze Strasse von Antibes war jetzt blendend hell von Licht, von jenem grellen Licht, in welches alle Dinge tauchen, wenn die Sonne hoch am Himmel steht. Auf der kreideweissen Strasse wurden die Schatten immer kuerzer und dunkler, die Halbschatten nahmen blaue Toene an. Die Palmengruppen in den Gaerten glaenzten so stark, dass sie fast wie fabelhafte Decorationen zu einem Zauberstueck erschienen. Es war Fest der Sonne ueberall in der Natur, und diese festliche froehliche Stimmung theilte sich uns auch mit. - Wenig Orte in Europa gibt es, die ueber eine gleich grosse Lichtfuelle verfuegen. An dieser goldigen Kueste darf sich das Mittelmeer ruehmen, Spiegel der Sonne zu sein. An Klarheit der Luft koennen mit der Gegend um Nizza sich nur Valencia und Alicante messen. Waehrend von dem Eifelthurm in Paris die Aussicht im guenstigsten Falle bis auf hundert Kilometer reicht, zeigt hier nicht selten Corsica dem erstaunten Auge seine zackigen Gipfel, die um mehr als 200 Kilometer von dieser Kueste entfernt sind. Daher mit vollem Recht der Mont Gros bei Nizza zum Bau eines astronomischen Observatoriums gewaehlt wurde. Auch regnet es in Nizza durchschnittlich im Jahre nur an 67 Tagen. Der Regen dauert nicht lange, ist dafuer oft so heftig, wie in den Tropen. Auch in diesem Fruehjahr hatten wir waehrend unseres fuenfwoechentlichen Aufenthalts, von Mitte Maerz bis zur zweiten Haelfte des April, nur drei Tage mit anhaltendem Regen hier zu verzeichnen. Wir waren thatsaechlich die ganze Zeit ueber wie in ein Lichtbad getaucht. Die Strasse fuehrte uns an dem Orte Golfe Jouan vorbei nach Jouan les Pins. Nun folgten wir unter Pinien im weiten Bogen dem Meeresstrande. Unser Blick verlor sich im endlosen Meer oder er ruhte auf dem Esterel und den Lerinischen Inseln. Es waren das die alten, liebgewonnenen Bilder in immer neuer Umrahmung. Bald begruessten wir das Cap und traten in den Garten des Caphotels ein. Da ist Alles noch so wie es war, derselbe ueppige Pflanzenwuchs, derselbe Duft der Maquis. Doch fremdartig blicken uns merkwuerdige Bauten von der aeussersten Spitze der Landzunge an. Haben die Saracenen wieder das Land erobert und sich am Cap niedergelassen? Das sind doch maurische Bauten, die sich dort erheben, eine Moschee, die mit ihrer schlanken Kuppel in die Luefte ragt! Eine Mauer sperrt die Spitze des Caps vom Hotelgarten ab, doch gluecklicherweise ist sie schon durchbrochen und nichts hindert uns, weiter vorzudringen. Es war nicht ein Saracene, sondern ein Pariser, der diese Bauten errichten liess. Er starb ohne das Ende seiner Werke zu sehen. Sein Wunsch, hier begraben zu werden, konnte nicht in Erfuellung gehen. Die franzoesische Regierung verbot die Bestattung am Cap; die Familie gab daher die Besitzung auf. So wird denn dieses Stueck Orient hier wieder verschwinden, vielleicht Ruinen bilden, die man dermalen als saracenische deuten wird. Der Fischer aber, dem ein Stueck Strand nach dem andern entzogen wird, hat vom Cap wieder Besitz ergriffen. Mit sichtlicher Schadenfreude zerstoert er die Mauer, die ihm den Zugang zu den Felsen sperrte, auf denen er gewohnt war, von Kind auf zu fischen. Und auch der Fremde, der das Cap besucht, kann wieder ungehindert auf diesen zerrissenen Felsenklippen streifen und dem geheimnissvollen Rauschen der Wogen in den tiefen Spalten des Gesteines lauschen. VII. Einige Tage spaeter verliessen wir Cannes und siedelten nach dem Cap Martin ueber. Eine englische Gesellschaft hat vor einiger Zeit dieses ganze Cap erworben und ein Hotel auf demselben errichtet, das zu den comfortabelsten der ganzen Riviera gehoert. Hat man es sonst zu bedauern, dass die schoensten Punkte dieser Kueste der Speculation zum Opfer fallen, so ist dies beim Cap Martin nicht der Fall. Denn mit viel Geschick und Geschmack verstand es die englische Gesellschaft, dem Cap seinen urspruenglichen Charakter zu wahren und den schoenen Wald von Aleppokiefern, mit dem das Cap bedeckt ist, in einen nicht minder schoenen englischen Park zu verwandeln. Sie schonte jeden einzelnen Baum; die Maquis am westlichen Strande hat sie in ihrem urspruenglichen Zustand belassen, fremdartige Gewaechse nur in discretester Weise angebracht. Das Hotel steht auf der Hoehe, am suedlichen Ende des Caps, noch in den Wald eingeschlossen, von welchem man nur so viel entfernte, als zum Bau des Hauses durchaus nothwendig schien. Auch werden die Grundstuecke am Cap von der Gesellschaft nur unter Bedingungen verkauft, die den neuen Besitzer zur Schonung des Waldes verpflichten. So merkt man nicht viel von den entstehenden Villen im Walde, und man muss auf die Hoehen steigen, die das Cap beherrschen, um sie zu entdecken. Der Strand sollte frei bleiben, daher keines der verkauften Grundstuecke bis zu demselben reicht. Man kann vom Hotel aus jetzt ungehindert den Wegen folgen, die sich um das ganze Cap ziehen. An dem oestlichen Ufer des Caps laeuft die Landstrasse, die nach Mentone fuehrt; sie ist staubig, und sucht man sie daher nach Moeglichkeit auf den Spaziergaengen zu meiden. Das kann man auch, wenn man die Strassen einschlaegt, die im Walde, am Ruecken des Caps, verlaufen. Besonders anziehend und von Staub ganz frei ist aber der Fussweg, der in westlicher Richtung am Cap sich hinzieht. Er folgt auf langer Strecke zwischen Kiefern und wuerzigen Straeuchern dem Strande. Er ist so schoen, bietet so mannigfaltige Ausblicke, dass man nicht muede wird, auf ihm zu wandern. Der Weg steigt auf und ab, immer in unmittelbarer Naehe des Meeres, dicht ueber zerrissene Felsenmassen. Myrten, Pistacien, Rosmarin umranden ihn, haeufig waechst da ausserdem der immergruene Wegedorn mit dunklen Beeren, der _Rhamnus alaternus_, auch das interessante _Cneorum tricoccum_ mit kleinen gelben Bluethen, das uns schon aus den Maquis von Antibes bekannt ist, und die wuerzige Weinraute (_Ruta bracteosa_), die um diese Zeit schon ihre gelbgruenen Bluethendolden entfaltet. Bei jeder Windung des Weges ragen neue Felsen aus dem Meer hervor, immer anders geformt, in unerschoepflichem Wechsel. Ueberall die anbrausenden Wogen mit ihrem Silberrand, hier von tiefem Blau, dort von hellem Gruen, dort wieder in violetten Toenen; dann ploetzlich voruebereilende Fischerbarken, grell beleuchtet im lichten Schein der Sonne. Die Ruder tauchen wie in fluessiges Metall, und funkelnde Tropfen fallen von ihnen in das Meer zurueck. Weite Blicke oeffnen sich ueber die Kueste: hier Monte Carlo, sanft vom Meere aufsteigend, dort Monaco auf seinem steilen Fels, darueber, wie auf Wache, die riesige "Tete de Chien". Ganz in der Naehe liegt am Bergesabhang das Felsennest Roccabruna, in Orangenhaine gehuellt, umrahmt von Cypressen und Carouben. So laesst sich hier genussreich am fruehen Morgen wandern, da die Sonne noch im Osten steht, im Schatten der Baeume und des steil aufsteigenden Caps; felsauf, felsab, einmal dicht am Meere, dann ueber demselben, dann wieder am Strand, wo die Welle bis zu den Fuessen rollt. Doch gilt es frueh aufzubrechen, denn das Cap ist nicht rein suedlich, sondern suedwestlich gerichtet, und bald beginnen die Strahlen der Sonne auch den westlichen Abhang zu streifen. Da stellt sich aber der erwuenschte Schatten am oestlichen Strande ein. Zwischen der staubigen Strasse und dem Meere liegt ein Felsenstreifen, auf dem Kiefern wachsen, und wo man, von Staub nicht belaestigt, ruhen kann. Auch hier ist der Strand tief zerklueftet und bildet einen bewegten Vordergrund fuer das Bild, das sich jenseits der Bucht entfaltet. Die Kiefern neigen sich vor ueber die Felsen, strecken ihre Kronen dem Meer entgegen und fassen hier das weisse Mentone, dort die hohen Gipfel ueber demselben, dort wieder La Mortola oder Bordighera ein in ihr gruenes Laub. Oft stundenlang sassen wir auf diesen Felsen, ein Buch in der Hand, blickten auch haeufig ueber dasselbe hinweg, hinaus in die blaue Fluth. Zeitweise waren es auch Fischer, die unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Sie spaeheten in der Naehe den Fischen nach. Einer sass oben ueber dem Felsen auf einem Gestell aus drei verbundenen Stangen und schaute unablaessig in die Tiefe. Andere lagerten in einem Boot, bereit auf ein gegebenes Zeichen die Netze zu heben. Die Netze waren an einem leeren, quergestellten Boote befestigt und bildeten ein Dreieck, das an einer Seite offen stand. Erblickte der Spaeher Fische, die in das Dreieck eingeschwommen waren, so zog er an einem Seil und dass Netz schloss sich nun auch an der freigehaltenen Seite. Rasch naeherte sich dass Boot dem Ufer, schnitt den Fischen jeden Rueckweg ab; die Netze wurden emporgezogen, und meist einige nicht eben grosse Fische, oft auch nur ein einziges solches zappelndes Geschoepf erkapert. Die Geduld dieser Menschen erweckte in mir besondere Bewunderung. Stundenlang lagen sie da unbeweglich im Boote; den ganzen Tag ueber hockte der Spaeher oben auf seiner Stangenpyramide, und die Zeit wurde ihm, wie es schien, nicht lang. Was fuer ein Gegensatz zu solchen Menschen wie wir, die wir uns den ganzen Tag ueber hetzen und aufreiben, keine Viertelstunde unbenutzt lassen und nun hierher kommen muessen, damit unsere Nerven sich wieder etwas beruhigen. Der Mann da oben auf seiner Pyramide erinnerte mich aber lebhaft an einen Seeadler, den ich auf einem hohen Felsen von Antibes, an einer einsamen Stelle des Strandes, einst sitzen sah. Auch er blickte starr in das Wasser, blickte lange und geduldig, ohne auch nur den Kopf zu bewegen, stuerzte sich dann wie ein Pfeil hinab in die Fluth und stieg auf in die Wolken mit einem Fisch in den Krallen. Das Hotel am Cap Martin ragt ueber die Baeume des Waldes empor. Suedwaerts eroeffnet es die Aussicht auf das weite Meer. Nordwaerts gestattet es, ueber den gewoelbten Kuppeln des Waldes, der ganzen Bergkette zu folgen, welche diese Kueste schuetzt. Da reihen sie sich an einander diese gewaltigen Berge vom Mont Agel im Osten, bis zum Berceau im Westen; die maechtigsten Kalkriesen liegen in der Mitte und schneiden mit scharfem Grat in den blauen Himmel ein. Jeden Abend waren unsere Blicke auf sie gerichtet, wenn die schwindende Sonne ihre Gipfel roethete, ein Gipfel nach dem andern dann langsam erlosch. Oefters stiegen wir auch gegen Abend zum oestlichen Strande hinab, um die Beleuchtung der Kueste zu schauen. Waehrend tiefer Schatten schon Mentone deckte, flammte im purpurnen Lichte noch Alt-Bordighera. Ein Liebling der Sonne an dieser goldigen Kueste, empfaengt es am Abend ihren letzten Gruss. Wenn es dann ganz dunkel war, zogen wir nochmals ans Meer. Es galt Mentone und Monte Carlo in ihrem Lichterschmuck zu betrachten. Monte Carlo im Besonderen sieht dann ganz feenhaft aus. Tausende von Lichtern draengen sich am Fusse des Berges zusammen, der einen dunklen Schatten auf den bestirnten Himmel wirft. Ich schaute oft in dieses Bild, und es war mir wohl, als haette ich es lange zuvor schon gesehen. Doch wo und wann? das wusste ich nicht mehr zu finden. Da ploetzlich, sah ich es ganz lebhaft wieder vor mir, das alte Bild, so wie ich es mit Kinderaugen geschaut hatte. Es war ein gemaltes Bild von Neapel in einem kleinen Panorama, das ich am Weihnachtsabend einst bekommen hatte. Hielt ich es gegen ein Licht, dann leuchteten unzaehlige Flammen in Neapel auf und erregten meine kindliche Phantasie. Es waren Nadelstiche, welche das Bild durchsetzten. Wie in jenem Bilde Camaldoli ueber Neapel, so ragte hier die Tete de Chien ueber Monte Carlo hervor; und wie die Lichter am Posilip, so stiegen hier die leuchtenden Punkte am Felsen von Monaco in die Hoehe. Wie stark sind doch solche Eindruecke der Kindheit! Was hat nicht Alles dieses geplagte Hirn seitdem in sich aufnehmen muessen, und doch war das alte Bild nur verdeckt, nicht ausgeloescht, und tauchte wieder auf, als ein aeusserer Anstoss es zum Bewusstsein brachte. Dort, wo das Cap Martin die breite Kueste erreicht, ist es mit schoenen alten Oelbaeumen bedeckt. Da sind sie wieder da, diese phantastisch verschnoerkelten Staemme, von denen keiner dem andern gleicht. Sie werden um so maechtiger und schoener an dieser Kueste, je weiter man sich vom Esterel entfernt. Welch ein Unterschied zwischen den armseligen Baeumen der Rhonemuendung und jenen Riesen hier, die ihre Kronen stolz in die Luefte erheben. So muss man sie gesehen haben, um sie zu wuerdigen und sie zu lieben; auch ist die Lichtfuelle dieser sonnigen Gegenden noethig, damit ihr Laub nicht grau und traurig, sondern silbern und leuchtend erscheine. Daher der Olivenwald ein hoechst stimmungsvolles Element dieser Landschaft bildet. Da die Blaetter des Oelbaumes nicht gross sind und seine Belaubung nie dicht wird, so herrscht im Olivenwalde ein Zwielicht von ganz eigenem Zauber. Jeder Windhauch bewegt dieses Laub, und dann zittern die einzelnen Lichter auf den Baeumen, sie huschen wie Leuchtkaefer ueber den Boden, und es belebt sich ploetzlich die Einsamkeit. Trotz seiner scheinbar exponirten Lage ist das Cap Martin gegen die Nordwinde und den Mistral sehr gut gedeckt und nur den Ostwinden preisgegeben. Dass die hohen Berge im Norden und im Westen das Cap erfolgreich gegen Kaelte schuetzen, hat der letzte strenge Winter gelehrt. Es lag fast kein Schnee auf dem Cap, waehrend er Mentone deckte, und weder Bougainvillea noch Heliotrop haben an dem Hotel du Cap gelitten. Die Pflanzen sind aber die sichersten Weiser fuer das Klima. Die Bougainvilleen und der Heliotrop sind an den meisten Orten der Riviera im letzten Winter erfroren oder buessten ihr Laub doch ein. Auch die strauchartige Wolfsmilch (_Euphorbia dendroides_), die ueberall am westlichen Abhange des Cap Martin waechst, zeigt durch ihre kraeftige Entwickelung an, wie guenstig die klimatischen Verhaeltnisse hier fuer sie sind. Man muss nach dem suedlichen Sardinien gehen, will man noch groessere Exemplare dieser Pflanze sehen. In dem nahen Mentone zeugen fuer das milde Klima dieser Region vor allem die ueppigen Citronenwaelder. Der Citronenbaum kann Temperaturen unter -5 deg. C. nicht vertragen. Seine Fruechte erfrieren schon bei -3 deg. C. Man denke sich die Aufregung der Leute in diesem letzten Winter, wo das Thermometer wiederholt unter 0 deg. sank. Der Besitzer eines groesseren Citronengartens erzaehlte mir, er habe in den kalten Naechten viele Stunden am Thermometer gestanden und mit Angst auf die Quecksilbersaeule gestarrt, ob sie nicht noch weiter falle. Noch einen halben Grad tiefer und die Einnahme des ganzen Jahres war verloren. Thatsaechlich sind an vielen Stellen bei Mentone im letzten Winter die Citronen, nicht die Baeume, wohl aber die Fruechte erfroren. Es geschah das besonders am Ausgang der Thaeler, wo der Schutz gegen Norden unvollkommen ist. Dort sollten Citronen ueberhaupt nicht gebaut werden; doch die Leute vergessen die Vorsicht, wenn viele aufeinander folgende Winter mild gewesen sind. Fuer gewoehnlich beruehren ja die kalten Nordwinde die Kueste nicht, sie erreichen erst in einigen Kilometern Entfernung das Meer, und ist es eine haeufige Erscheinung, dass das Meer dort stuermisch ist, waehrend volle Windstille an der Kueste herrscht. - Die Orangen haben bei Mentone auch in diesem Winter nicht gelitten. Diese Frucht kann bei bedecktem Himmel -4 deg. C. aushalten, und die Kaelte muss laengere Zeit -6 deg. C. betragen, damit der Baum getoedtet werde. Daher bei Cannes wohl Orangenbaeume, nicht aber Citronenbaeume zu sehen sind, und selbst an den Orangenbaeumen war bei Golfe Jouan das Laub zum Theil erfroren. Auch der Johannisbrotbaum ist gegen niedere Temperaturen sehr empfindlich, und zeugt somit, wenn stattlich entwickelt, fuer ein mildes Klima. Schoener und ueppiger kann man ihn aber an der Riviera nicht sehen, als auf der Strecke, die von Villefranche bis San Remo reicht. An schoenen, sonnenklaren Tagen pflegt an der Riviera gegen acht Uhr Morgens die Seebrise sich zu erheben. Dann wird es meist kuehler als zuvor. Nach Anbruch der Nacht faellt dann die Luft von den Bergen ab, der Landwind stellt sich ein. Zwischen den Zeiten der beiden Winde herrscht oft voellige Ruhe. Die italienischen Fischer bezeichnen sie als "_bonaccia_", weil sie die wenigste Gefahr in sich birgt. - Auffaellig ist es dem Fremden, wenn gegen das Fruehjahr der sonst so heisse Scirocco an der Riviera von Schnee begleitet ist. Es geschieht das freilich selten, kann aber erfolgen, wenn auf den hohen corsicanischen Bergen sich grosse Schneemassen anhaeuften. Auf der ganzen Strecke von Villefranche bis San Remo sieht man fast keine laubwerfenden Baeume. Daher man hier weit weniger an den Winter gemahnt wird, als weiter im Sueden, ja selbst in Neapel. Dort dominirt der Feigenbaum und der Weinstock, so dass der Posilip uns einmal im Maerz fast kahler erschien, als das Rheinthal, das wir kurz zuvor verlassen hatten. Die Naechte waren jetzt vom Mondschein erhellt, und die Berge glaenzten in magischer Beleuchtung: Ein maechtiges Amphitheater, dessen scharf gezaehnte Gipfel sich wie feine Spitzenarbeit vom Himmel abhoben, in welchem tief unten die Lichter von Mentone funkelten. Dieser Vollmond sollte uns Ostern bringen. Wir gingen des Abends an den Strand, um ihn zu erwarten. Es war ganz dunkel auf den Felsen am Meere, einsam und still. Flach ausgebreitet lag vor uns die weite See und schien fast zu schlafen. Oben breitete sich das Himmelsgewoelbe aus, fast schwarz, doch besaeet mit ungezaehlten Sternen, die sich mit silbernen Streifen auch im Meere spiegelten. Es schien, als sei die Natur gespannt auf ein Ereigniss, das da kommen sollte: so still und feierlich war es rings umher. Kein Grashalm erzitterte. Die Kiefern streckten aber ihre Kronen vor nach der See, als wollten sie weit ueber die Fluthen hinaus in die Ferne lauschen. Die wuerzigen Duefte der Maquis senkten sich langsam zur See hinab, wohl um ihr duftigen Weihrauch zu streuen. Vielleicht war aber nur unsere Seele von Erwartung voll, und wir trugen diese Empfindung hinaus in die weite Welt. - Ploetzlich tauchte ein rother Streifen im Osten ueber dem Wasser empor. Er nahm an Breite zu und bald warf er den ersten leuchtenden Strahl ueber die schwarze Fluth: es war, als wolle er sie liebkosen. Die Fluth erzitterte unter diesem Strahl und legte sich in sanfte Wellen, wohl um ihn einzuwiegen. Der Mond tauchte ganz aus dem Meere hervor, mit geroethetem Antlitz, wie verschlafen. Quer gedehnt, mit geschwollener Backe sah er fast laecherlich aus. Doch rasch rundete sich sein Antlitz ab, nahm leuchtende Silberfarbe an und schuettete Licht in Fuelle ueber die Meereswellen aus. Und waehrend er hoeher stieg, erblassten die Sterne. Nur die Groessten vermochten ihm noch ins Antlitz zu schauen, die anderen verloren sich in den Tiefen des Himmelsgewoelbes. Am Strand, wo sich die Wellen an den Felsen brachen, da funkelte und blitzte es von unendlichen Lichtern, als haetten alle die Sterne, die am Himmel schwanden, sich hier gestuerzt in die Tiefe. Ein breiter silberner Fluss zog sich vom Strande bis an die aeussersten Schranken des Meeres. Stellenweise war er von glatten Streifen unterbrochen, die wie Opal ihre Farbe wechselten. Voruebergehend tauchten duestere Barken in das Mondlicht ein, wie dunkle Silhouetten auf Silbergrund. Der Mond stieg immer hoeher ueber die Fluthen und setzte in weitem Bogen seinen Siegeszug am Himmelsgewoelbe fort. Bald begann sein Licht auch in die tiefsten Spalten des Strandes einzudringen und die zerrissenen Felsen traumhaft zu beleuchten. Da sah es denn aus, als waeren die schaumgekroenten Wellen eines erregten Meeres versteinert stehen geblieben, oder man meinte in einen zerkluefteten Gletscher der Alpen zu blicken; dort zauberten schmale Felsengrotten der Phantasie einen arabischen Friedhof vor, dort endlich eine Schar von Pilgern, die im weissen Gewande von den waldigen Hoehen gegen das Meer zu wanderten. In allen Buchten sprueht es aber Funken, die Lichter schwimmen an der Oberflaeche oder sie sinken unter; bald verschmelzen sie mit einander, bald trennen sie sich wieder, in endlosem Spiel. In den Ostertagen rueckte ein Nordsturm heran. Mit ungewohnter Gewalt stuerzte er sich auf die Felsenriesen, die Mentone schuetzen und suchte ihren Widerstand zu brechen. Da entspann sich ein gewaltiger Kampf zwischen diesen Titanen und den entfesselten Elementen: es heulte und zischte in den Lueften. Wir sahen den rauhen Winter ueber unseren Koepfen schweben, waehrend wir uns noch im milden Fruehling befanden. Der Norden warf seinen kalten Schnee den Felsenriesen gegen das Haupt. Sie schienen zeitweise zu weichen. Ein kalter Luftstrom ergoss sich ueber das Cap. Die aleppischen Kiefern schuettelten bedenklich ihre Haeupter, die Wellen des Meeres flohen wie entsetzt mit schaeumender Maehne von dem Lande. Bis in die Nacht hinein zitterte und bebte das Cap. Dann wurde es still, bald leuchteten die Sterne und am naechsten Morgen standen sie wieder da im goldigen Sonnenschein, die Riesen ueber Mentone, zwar mit Schnee noch bedeckt, doch siegesbewusst, stolz ihre Felsenhaeupter zum Himmel erhebend. Dieser Sonnenschein sollte leider nicht dauern; das Gleichgewicht in den Lueften war gestoert. Bald zog der Ostwind heran, und das Wetter verdarb sich. Das erleichterte uns die Trennung von der Riviera. Dicke Regentropfen fielen vom Himmel und traenkten die durstige Erde. Wir aber konnten von hier in dem suessen Wahne scheiden, es weine uns dieser Himmel, den wir so liebgewonnen, einige Thraenen zum Abschied nach. ------------------ INHALTSUeBERSICHT. *Vorwort **VII* *Fruehjahr 1891 **1* Bordighera 2 Monte Nero 3 Sasso 5 Oelbaeume 6 Fruehlingsblumen 11 Weinstock 11 Palmen 15 Gorbio 23 Pont St. Louis 26 Garten von La Mortola 30 Weg nach Mentone 69 Charakterpflanzen der italienischen Landschaft 70 Reiz- und Genussmittel aus dem Pflanzenreich 72 Route de la Corniche 83 Nizza 85 Cap d'Antibes 85 Maquis 89 Garten Close 99 Seesturm am Cap 99 Blumencultur an der Riviera 101 Sonnenuntergang am Cap 105 *Fruehjahr 1894 **107* Hyeres 107 Maurengebirge 114 Korkeichen 115 St. Tropez 121 La Gaillarde 126 St. Aigulf 127 Frejus 127 St. Raphael 129 Esterel-Gebirge 132 Malinfernet 141 Abend in St. Aigulf, Le Trayas 144 Cap Roux 148 Pic d'Aurelle 154 Klarheit des Seewassers 157 Grasse 158 Ursprung der Parfueme 159 Gewinnung der Parfueme 162 Wirkungen aetherischer Oele 176 Geschichte der Parfueme 177 *Fruehjahr 1895 **187* Cannes 187 La Californie 188 La Maure 191 Lerinische Inseln 193 Geschichte von Cannes 203 Ausflug nach Antibes 207 Wirkungen des Lichtes 208 Klarheit der Luft 209 Cap Martin 211 ANMERKUNGEN DER KORREKTURLESER Von den Korrekturlesern des _Project Gutenberg_ wurden mehrere Aenderungen am Originaltext vorgenommen. Es folgen paarweise Textzeilen im Original und in der vorliegenden geaenderten Fassung. Blaettern in gleicher Weise von Lichtstahlen getroffen. Blaettern in gleicher Weise von Lichtstrahlen getroffen. mit Bambusfasern Matratzen gegefuellt und Moebel gepolstert. mit Bambusfasern Matratzen gefuellt und Moebel gepolstert. ganz wie die Scheinbeeren unsers Wachholders verwandt. ganz wie die Scheinbeeren unseres Wachholders verwandt. Die Geige, ein Guarneri, der einst Paganini daemonische Toene Die Geige, eine Guarneri, der einst Paganini daemonische Toene ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK STREIFZUeGE AN DER RIVIERA*** CREDITS September 29, 2009 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by _R. Stephan_ and the _Online Distributed Proofreading Team_ at . Page-images available at A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 30042.txt or 30042.zip. 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