The Project Gutenberg EBook of Nach Amerika! Erster Band by Friedrich Gerstaecker This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Nach Amerika! Erster Band Author: Friedrich Gerstaecker Release Date: May 2006 [Ebook #18475] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND*** Nach Amerika! Ein Volksbuch Erster Band von Friedrich Gerstaecker. Illustrirt von Theodor Hosemann. Leipzig, Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung Berlin, Rudolph Gaertner, Amelang'sche Sort-Buchhandlung 1855 [image] NACH AMERIKA! Wie man ein Bild, aus einem Werk heraus, vorn auf den Umschlag bringt, den Beschauer dadurch gewissermassen in den Charakter des Ganzen einzuweihen, so will auch ich hier den Anfang des einen Capitels, aus der Mitte des Bandes heraus, zum Vorwort waehlen, den Leser gleich von vorn herein mit dem bekannt zu machen, was ich ihm biete. "Nach Amerika!" -- Leser, erinnerst Du Dich noch der Maerchen in "Tausend und eine Nacht", wo das kleine Woertchen "Sesam" dem, der es weiss, die Thore zu ungezaehlten Schaetzen oeffnet? hast Du von den Zauberspruechen gehoert, die vor alten Zeiten weise Maenner gekannt, Geister heraufzurufen aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu machen? -- Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkuehne Menschenkind das sie gesprochen, bebte zurueck vor der furchtbaren Gewalt die es heraufbeschworen. _Die_ Zeiten sind vorueber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das rechte Wort vergeben sie zu rufen -- aber ein anderes dafuer gefunden das, kaum minder stark, mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern, den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhaeltnissen und Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reisst, in dem es bis dahin mit seinen staerksten, innigsten Fasern treulich festgehalten. "Nach Amerika," leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft pruefen sollte, seinen Muth staehlen -- "nach Amerika," fluestert der Verzweifelte der hier am Rand des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde -- "nach Amerika," sagt still und entschlossen der Arme, der mit maennlicher Kraft, und doch immer und immer wieder vergebens gegen die Macht der Verhaeltnisse angekaempft, der um sein "taegliches Brod" mit blutigem Schweiss gebeten -- und es nicht erhalten, der keine Huelfe fuer sich und die Seinen hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen _kann_ -- "nach Amerika" lacht der Verbrecher nach gluecklich veruebtem Raub, frohlockend der fernen Kueste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt vor dem Arm des beleidigten Rechts -- "nach Amerika," jubelt der Idealist, der wirklichen Welt zuernend, weil sie eben wirklich ist, und ueber dem Ocean drueben ein Bild erhoffend, das dem in seinem eigenen tollen Hirn erzeugten, gleicht -- "nach Amerika" und mit dem einen Wort liegt hinter ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes frueheres Leben, Wirken, Schaffen -- liegen die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknuepft, liegen die Hoffnungen die sie fuer hier gehegt, die Sorgen die sie gedrueckt -- _"nach Amerika!"_ So gaehrt und keimt der Saame um uns her -- hier noch als leiser, kaum verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und Kasten. Der Bauer draussen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain, der ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer geaergert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit ueber dem Meer drueben, in dem fetten, herrlichen Land; -- der Handwerker in seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt, mit Neuerungen und grossen, marktschreierischen Firmen, die wenigen Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thuer zu locken; der Kuenstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der ueber einer freieren Entwickelung bruetet, und von einem Lande schwaermt wo Nahrungssorgen ihm nicht Geist und Haende binden; -- der Kaufmann hinter seinem Pult, der Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Buechern zieht, und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestuetzt, von einem neuen, andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefuellten Waarenhaeusern traeumt; in Tausenden von ihnen draengt's und treibt's und quaelt's, und wenn sie auch noch vielleicht Jahre lang nach aussen die alte fruehere Ruhe wahren, in ihren Herzen glueht und glimmt der Funke fort -- ein stiller aber ein gefaehrlicher Brand. Jeder Bericht ueber das ferne Land wird gelesen und ueberdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend fuer den Kranken. Vorsichtig und aengstlich, und wie weit herum um ihr Ziel, dass man die Absicht nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding -- nach Leuten die vordem "hinueber" gezogen und denen es gut gegangen -- nach Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk -- fuer Andere natuerlich, nicht fuer sich etwa -- sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinueber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wuenschen dass es dem wohl geht, und haeufen mehr und mehr Zunder fuer sich selber auf. So ringt und draengt und wuehlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan, und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war -- aus dem, aus jenem Grund -- und taeglich, stuendlich noch hoeren wir von anderen, von denen wir im Leben nie geglaubt dass _sie_ je an Amerika gedacht, wie sie mit Weib und Kind und Hab und Gut hinueberziehn. Und dort? -- -- Die vorliegenden Blaetter sollen dem Leser ein Bild geben von dem Leben und Treiben solcher Leute. Hier aus unserer Mitte heraus, aus den verschiedenartigsten Verhaeltnissen und Sphaeren, aus allen Schichten der menschlichen Gesellschaft sehen wir sie ziehen -- Gute und Boese, den Leichtsinnigen und den Spekulanten, den Bauer und Handwerker, den Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen Buerger und den heimlichen Verbrecher, Alle dem _einen_ Ziel entgegenstrebend. Und _Alle_ vereinigt sie das Schiff; der eine kleine Bau, der hunderte von Menschen auf seinem schwanken Kiel hinuebertraegt, dem fernen Welttheil zu; oh was fuer Hoffnungen, was fuer Plaene und Traeume birgt er in seinem Schooss. Aber die Auswanderer liegen die langen Wochen, ja Monate, verpuppten Raupen gleich, im engen Haus, still und gedraengt beisammen; Jeder mit dem alten Leben abgeschlossen hinter sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in einem wunderlichen unnatuerlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der Anker in die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke der bunten Schaar von Tag- und Nachtfaltern den Weg in's Freie oeffnet. Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand voll Spreu, vom Winde fort gefuehrt; die Einen selbstbewusst und keck dem fremden, unbekannten Leben in die Arme springend, die Anderen scheu und zaghaft bei jedem Schritte fast moralische Selbstschuesse und Fussangeln fuerchtend; Alle aber entschlossen, die meisten sogar gezwungen, dem neuen Vaterlande die, im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder in seiner Art, auf seine Weise. Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem und Boesen, die Einen mit ihren kuehnsten Hoffnungen erfuellt, Andere, zerknirscht und zertreten, die Stunde verwuenschend, die den Gedanken an Auswanderung gebar -- sehn wie sich die Wildniss lichtet, wie Farmen und Staedte entstehn, und sich das deutsche Element ausbreitet nach allen Seiten, und folgen den einzelnen Bekannten und Freunden, die wir zu Hause schon, oder auf der Fahrt erst lieb gewonnen, oder fuer die wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen, oft wunderlichen Bahnen. Manchen alten Reisegefaehrten fuehr ich dabei dem Leser vor, und hoffe ihn nicht zu langweilen, den weiten Weg; schlafen wir dann auch manchmal draussen im Freien, oder in niederer Blockhuette auf duennem "Quilt", muessen wir auch eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, oder gar mit Speck und Syrup verlieb nehmen, wie es der Farmer am Ohio liebt, wir lernen doch das Land kennen, mit seinen guten und schlechten Eigenschaften, seinen Vortheilen und Maengeln, seinen Buergern und Einwanderern, seinen inneren Verhaeltnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin ich im Stande ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von Tausenden so heiss ersehnte Welt, wie ich sie selbst gefunden, thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck mit diesem Buch erreicht. _Rosenau_ bei Coburg im September 1854. Friedrich Gerstaecker. INHALT DES ERSTEN BANDES. Das Dollinger'sche Haus Der rothe Drachen Der Diebstahl Franz Lossenwerder Die Auswanderungs-Agentur Die Weberfamilie Nach Amerika Der Tanz im rothen Drachen Ruestungen Die beiden Familien Capitel 1. DAS DOLLINGER'SCHE HAUS. Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen -- einer nicht unbedeutenden Stadt Deutschlands -- hatte am Sonntag Mittag, ein kleines Familienfest die Glieder des Hauses um den Speisetisch versammelt, und diesen heute in aussergewoehnlicher Weise mit Blumen geschmueckt, und delicaten Speisen und Weinen gedeckt. Es war der Geburtstag der zweiten Tochter des Hauses, der liebenswuerdigen Clara und nur ihr erklaerter Braeutigam, ein junger deutscher, in New-Orleans ansaessiger Kaufmann, als Gast der Familie zugezogen worden. Am oberen Ende des Tisches, um dem Leser die Personen gleich in Lebensgroesse vorzufuehren, sass Vater Dollinger, ein etwas wohlbeleibter aber behaebiger, stattlicher Mann, mit klaren, blauen, unendlich gutmuethigen Augen und schneeweissen Locken und Augenbrauen, die aber dem edel geschnittenen Gesicht gar gut und ehrwuerdig standen. Ihm zur Rechten sass seine Frau, allem Anschein nach etwa funfzehn oder sechzehn Jahre juenger wie er selber, und durch ihr volles, dunkelbraunes Haar vielleicht auch noch sogar juenger aussehend, als sie wirklich war. Sie ebenfalls, mit ihrer stattlichen Gestalt, hatte einen leichten Anflug zu Corpulenz, aber das etwas ausgeschnittene Kleid, wie die schwere goldene Kette, Broche und Ohrringe, die sie fast etwas zu reichlich schmueckten, passten nicht ganz zu dem sonst so freundlichen, matronenhaften Aeussern. Clara neben ihr, war das veredelte Bild der Eltern; die lieben treublauen Augen schauten gar so vertrauungs- und unschuldsvoll hinein in die Welt, an deren Schwelle sie stand, und die ihr, wie ein eben geoeffnetes, prachtvoll gebundenes Buch auf den ersten, fluechtig durchblaetterten Seiten, nur freundliche Blumen und ihr zulaechelnde Gestalten zeigte. Kein Schmerz hatte diese engelsanften Zuege noch je durchzuckt, keine Thraene wirklichen Schmerzes den reinen Blick getruebt, und die ganze zarte, sinnige Gestalt glich der eben entkeimenden Fruehlingsbluethe im sonnigen Wald, die dem jungen Fruehlingstag in Glueck und Unschuld die schwellenden Lippen zum Kusse bietet, und in der blitzenden Thauperle ihres Kelchs, den reinen Aether ueber sich, nur schoener, nur gluehender zurueckspiegelt. Ihre um nur wenige Jahre aeltere Schwester, Sophie, die an des Vaters Seite sass, aehnelte der Schwester in mancher Hinsicht an Gestalt, aber das einfach kindliche, was Claerchen jenen unendlichen Reiz verlieh, fehlte ihr. Ihre Gestalt war voller, majestaetischer, aber auch ihr Blick mehr kalt und stolz; "ich bin des reichen Dollingers Kind" lag klar und deutlich in den scharf zusammengezogenen Mundwinkeln, in dem fest und entschieden, blitzenden Auge, und auch ihre Kleidung, ihr Schmuck war, wenn nicht reicher, doch jedenfalls mehr in's Auge springend, Bewunderung fordernd. Zwischen Beiden sass Clara's Braeutigam, ein junger, bildhuebscher Mann in moderner, fast fuer einen Mann etwas zu gewaehlter und sorgfaeltig geordneter Kleidung; er trug das Haar in natuerlichen dunkelbraunen Locken und das Gesicht glatt rasirt, bis auf einen kleinen, aufmerksam gekraeussten, und nur bis zur halben Backe reichenden Backenbart, an den Fingern aber mehre sehr kostbare Diamant-Ringe, eine Brillant-Tuchnadel von prachtvollem Feuer, und eine schwere goldene, ebenfalls mit kleinen Edelsteinen besetzte Uhrkette. Die Bekanntschaft Clara's und ihrer Eltern hatte er dabei auf eine etwas romantische Weise, und zwar gleich als ihr Lebensretter oder doch Befreier aus einer nicht unbedeutenden Gefahr gemacht. Herr und Frau Dollinger waren naemlich mit ihren beiden Toechtern im vorigen Herbst auf einer Rheinreise bei Ruedesheim aus- und zu dem kleinen Waldtempel oben ueber Asmannshausen hinaufgestiegen, um sich von dort nach dem Rheinstein uebersetzen zu lassen; die Mutter hatte aber durch das nicht gewohnte Bergsteigen heftige Kopfschmerzen bekommen oder, was wahrscheinlicher ist, ennuyirte sich am Land und wuenschte an Bord des Dampfers zurueckzukehren, und als sie gerade mit dem Kahn ueber den Rhein fuhren, kam ein Dampfboot stromab, und hielt auf ihr Winken, sie an Bord zu nehmen. Herr und Frau Dollinger, mit Sophie, von den Kahnfuehrern unterstuetzt, hatten auch schon gluecklich die Treppe und das Deck erreicht, und dicht hinter ihnen folgte Clara, als diese sich ploetzlich erinnerte, ihre Geldtasche im Kahn vergessen zu haben, und anstatt diese sich heraufreichen zu lassen, selber wieder zuruecksprang sie zu holen. Durch das Hineinspringen fing aber der schmale Kahn an zu schwanken, waehrend sie, die vergessene kleine Tasche aufhebend, das Gleichgewicht verlor und, mit dem Kopf voran, in den Rhein stuerzte. Ungluecklicher Weise waren gerade in dem naemlichen Augenblick die Kahnleute an Deck des Dampfers gestiegen, den Koffer eines Passagiers, der mit an Land fahren wollte, in ihren Kahn zu heben, und wenn sie jetzt auch, auf das Geschrei an Bord, rasch in diesen zuruecksprangen, trieb doch Clara schon hinter dem Dampfboot aus, als der junge, eben von Amerika zurueckgekehrte Mann, der dem ganzen Vorfall vom Deck des Dampfers zugesehn, mit keckem Muth ins Wasser sprang und die Jungfrau doch wenigstens so lange an der Oberflaeche unterstuetzte, bis das Boot herbeikam sie beide aufzunehmen. Das Weitere nahm einen ziemlich einfachen Verlauf, Joseph Henkel, wie der junge Mann hiess, gewann sich in den naechsten Wochen, die er in der Gesellschaft der ihm zu grossen Dank verpachteten Familie zubrachte, die Achtung des Vaters und die Liebe von Mutter und Tochter, und als er zuerst bei der Mutter um die Hand der Tochter anhielt, sagten Beide nicht nein. Allerdings wollte der Vater erst, wenn auch nicht gerade Schwierigkeiten machen, doch etwas Genaueres ueber die Existenzmittel eines Mannes erfahren, dem er das Glueck und Leben eines lieben Kindes anvertrauen sollte. Henkel selber bot ihm dazu die Hand und gab ihm Adressen an verschiedene Haeuser in New-Orleans, die ihm ueber seine dortige Stellung genaue Auskunft geben konnten. Nach seinem Vermoegen mochte der alte Dollinger, wenn auch Kaufmann, nicht so genau forschen; er war selber reich genug, einen _reichen_ Schwiegersohn entbehren zu koennen, und etwas Vermoegen musste der junge Mann haben, dafuer buergte sein ganzes Auftreten, buergte besonders in den Augen seiner Frau der reiche und wirklich kostbare Schmuck, den er trug. Joseph Henkel war aber auch ausserdem ein interessanter und sehr gescheidter Mann, der Manches in der Welt schon gesehen und erlebt, und das Gesehene und Erlebte mit lebendigen Farben und Worten zu schildern wusste. Er hatte die ganzen Vereinigten Staaten von Nord nach Sued und von Ost nach West durchstreift, und dort theils seinen Geschaeften gelebt, theils gejagt, sogar ein kleines Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den Indianern Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens gegen ihre eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden einzutauschen. Er war auch einmal von jenen wilden trotzigen Staemmen, die uns Cooper so herrlich und unuebertroffen beschrieben, gefangen genommen und zum Opfertod verdammt, und damals wirklich nur durch ein halbes Wunder gerettet worden, und Clara hatte eine ganze Nacht nicht schlafen koennen, nur in der Angst und Unruhe um die entsetzliche Gefahr, der sich der tollkuehne Mensch damals schon ausgesetzt. Der junge Mann schien aber zwischen jenen wilden Staemmen den Umgang mit civilisirten Menschen keineswegs verlernt zu haben, und besass ganz besonders ein fast wunderbares Geschick, sich seiner Umgebung anzuschmiegen, und sich in ihre Charaktere ordentlich hineinzuleben. Als ein tuechtiger und raffinirter Kaufmann, der vorzueglich eine vortreffliche statistische Kenntniss der Union besass, gewann er sich dabei, und gleich von allem Anfang an, die Achtung des alten Dollinger. Der Frau aber hatte er leicht ihre kleinen, oft liebenswuerdigen Schwachheiten abgelauscht, und wusste ihnen auf so geschickte Art zu begegnen, dass Frau Dollinger, mit der Rettung des geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit ganz entzueckt von ihm war, und sein Lob dem Gatten unaufhoerlich redete. Auch mit der aelteren Schwester, Sophie, wusste sich Henkel bald auf guten Fuss zu stellen; er hatte bei ihr das leichteste Spiel, denn ihre Schwaechen lagen offen zu Tag, denen aber schmeichelte er mit solcher Liebenswuerdigkeit, dass ihm Clara, die es fuehlte wie er dabei aus sich herausging und etwas annahm was ihm nicht natuerlich war, oder doch jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natuerlich sein _sollte_, dennoch nicht boese darueber werden konnte. Desto freier, offener und natuerlicher war er dafuer gegen sie selber; er las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte sie eine Menge kleiner reizender, schottischer und irischer Lieder, oder plauderte mit ihr leicht und sorglos Stunden lang in den Tag hinein, und konnte oft so herzlich dabei lachen, dass es Einem ordentlich gut that, ihm zuzuhoeren. Selbst Sophie entsagte dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr abgeschlossenen, fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Theil an ihrer Froehlichkeit zu nehmen. Nur in den letzten Tagen war der junge "Amerikaner" wie er im Hause gewoehnlich scherzhaft hiess, oder der "Delaware" wie ihn Sophie, wenn sie manchmal bei recht guter Laune war, nannte, auffaellig niedergeschlagen gewesen; er hatte Briefe von Amerika bekommen, wie er sagte, und ein sehr lieber Freund von ihm war dort schwer erkrankt, auch ein Schiff das ihm gehoerte, und das nicht versichert worden, so lange ausgeblieben, dass sein Compagnon fast den Untergang desselben befuerchte. Der alte Herr Dollinger troestete ihn deshalb, und er schien sich auch darueber hinwegzusetzen, die sonst so bluehende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht sogleich wieder dorthin zurueckkehren, und das Auge hatte etwas Unsicheres, Unstaetes, ihm sonst gar nicht Eigenes bekommen. Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald die seine zu nennen hoffte, hatte er all die trueben Gedanken, welcher Art sie auch gewesen, und woher sie stammten, von sich abgeschuettelt, und war ganz wieder der frohe glueckliche Mann, wie ihn Clara kennen -- _lieben_ gelernt. Auf seinen Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht ganz einverstanden gewesen, war auch heute keine groessere Gesellschaft geladen worden, sondern die kleine Familie speiste ganz "unter sich" in dem festlich mit Blumen und Guirlanden geschmueckten Zimmer des jungen liebenswuerdigen Geburtstagkindes. Frau Dollinger hatte sich eigentlich schon laenger auf eine zu diesem Zweck einzuladende, groessere Gesellschaft gefreut. Herr Dollinger selber hielt aber nicht viel von solchen Feten; dafuer jedoch bedung sie sich aus, dass sie wenigstens den Nachmittag spatzieren fahren wollten, wobei sie der junge Henkel gewoehnlich zu Pferde begleitete. Etwas that aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar ein Glas Champagner trinken, und der zweite Stoepsel war eben lustig hinausgeknallt, der Gesundheit des "jungen Brautpaares" zu Ehren, als die Thuer aufging und Lossenwerder, ein Comptoirdiener des Hauses, mit einem kleinen Paket in's Zimmer trat. Lossenwerder war schon seit elf oder zwoelf Jahren im Haus, und seinem Aeussern nach eben keine angenehme Persoenlichkeit; er hinkte auf dem linken Bein, das er als Kind einmal gebrochen, war ueberhaupt haesslicher und magerer Natur, und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein sonst gerade nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen Ausdruck bekam. Das Stoerendste aber an dem ganzen Menschen war sein Stottern, wegen dem man sich auf ein laengeres Gespraech gar nicht mit ihm einlassen konnte, und kam er einmal in Affekt, konnte er kein Wort mehr herausbringen. Frau Dollinger sowohl wie Sophie konnten ihn auch nicht leiden, ja die letztere behauptete sogar er verstelle sich und sie habe ihn schon ganz ordentlich, wenigstens zehntausend Mal besser sprechen hoeren, als er es jedesmal affektire, wenn er zu ihnen in die Wohnung komme; Clara aber hatte Mitleid mit dem armen Menschen, den sie seines Ungluecks wegen innig bedauerte, schenkte ihm oft eine Kleinigkeit und spottete nie ueber ihn, waehrend Herr Dollinger selber, ihn als einen brauchbaren und treuen Diener, der noch ausserdem eine vortreffliche Hand schrieb, kannte und sehr zufrieden mit ihm war, ihm auch jedes nur moegliche Vertrauen bewiess. "Hallo, Lossenwerder, was bringst Du mir da in's Haus?" rief ihm sein Principal jetzt halb lachend, halb erstaunt entgegen, als der kleine Mann das Zimmer betrat und schuechtern an der Thuere stehen blieb -- "ist das fuer mich oder meine Tochter?" "Gewiss fuer mich, Vaeterchen," rief Clara, rasch von ihrem Sitze aufspringend -- "siehst Du, der Onkel hat mich doch nicht ganz vergessen mit meinem Fest, und mir Gruss und Geschenk geschickt." "Hehehe -- moe -- moe -- moechten es sich wo -- wo -- wo -- wo -- wohl wue -- n -- nschen Fraeulein" lachte aber der Stotternde, indem er Herrn Dollinger zuwinkte, dass das Paket fuer ihn sei -- "ka -- ka -- ka -- kann ich mir de -- de -- de -- de -- denken -- Go -- go -- gold und Ba -- ba -- ba -- ba -- bank -- no -- noten." Er zog dabei einen Brief aus der Tasche, den er dem Herrn uebergab. "Hm, hm, hm" sagte aber dieser kopfschuettelnd, "und das bringst Du mir jetzt in's Haus -- gerade wo ich ausfahren will -- warum hast Du es denn nicht dem Cassirer gegeben?" "Ni -- ni -- nirgends zu fi -- fi -- fi -- finden" stotterte Lossenwerder. Herr Dollinger warf den Kopf, den Brief fluechtig durchfliegend, herueber und hinueber, sagte dann aber, aufstehend und das Papier vor sich hinlegend: "Ja, da laesst sich denn weiter Nichts aendern; gieb mir das Paket Lossenwerder, und sieh dann zu, dass Du Herrn Reibich findest. Ich lasse ihn bitten um sieben oder halb acht Uhr heute Abend auf einen Augenblick zu mir zu kommen -- verstanden?" "Ja -- ja -- jawohl He -- he -- he -- herr Do -- do -- do -- Do -- " "Schon gut" lachte Herr Dollinger, ihm zuwinkend, "und hier, Lossenwerder, magst Du auch einmal ein Glas auf das Wohl meiner Tochter trinken. Fraeulein Clara's Geburtstag ist heute -- hier Clara, reich es dem jungen Herrn." Er fuellte dabei ein Wasserglas bis zum Rande voll von dem funkelnden, schaeumenden Nass, und waehrend Clara mit freundlichem Laecheln dem armen Teufel das Glas credenzte, nahm Herr Dollinger das Paket mit Geld, ging zu dem nahen Secretair, in dem der Schluessel stak, oeffnete ihn, legte das Geld hinein, zog dann den Schluessel ab und sagte, diesen der Tochter ueberreichend: "So Kinder, heute muesst Ihr einmal auf ein paar Stunden mein Cassirer sein, bis der andere aufgefunden werden kann." Clara nickte dem Vater freundlich zu, und Lossenwerder, der das volle Glas in der Hand hielt und auf einmal ganz blutroth im Gesicht geworden war, hob es empor und rief stotternd: "Fr -- re, re, re, re, re, raeu -- le -- le -- lein Cla -- ra -- ra -- ra -- ra -- aus ga -- ga -- ganzem He -- he -- he -- he -- he -- he -- her -- ze -- ze -- zen." Als ob er aber mit den Worten in der Kehle Luft gemacht, setzte er das Glas an, und der Wein verschwand wie durch Zauberei. "Alle Wetter" lachte Herr Dollinger, der sich gerade nach ihm umdrehte, "Lossenwerder hat einen vortrefflichen Zug -- nun? -- hat's geschmeckt?" "Gu -- gut Herr Do -- do -- do -- do -- do." "Genug, genug" winkte ihm der Principal wieder ab -- "also bestell mir das ordentlich." Lossenwerder, der Art entlassen, und vielleicht froh aus einer Umgebung zu kommen, in der er sich nicht heimisch fuehlen konnte, setzte das Glas auf einen Seitentisch ab, machte eine etwas linkische Verbeugung, und wohl wissend dass er zu einem ordentlichen Danke doch keine Zeit mehr uebrig hatte, empfahl er sich ohne weiter auch nur einen Versuch zu muendlichem Abschied zu machen. "Eine unangenehme Persoenlichkeit" sagte Frau Dollinger zu ihrem Schwiegersohn _in spe_, als der Mann noch die Thuer nicht einmal ordentlich hinter sich geschlossen hatte; "ich kann mir nicht helfen, auf mich macht der Mensch immer einen fatalen Eindruck." "Wie -- wie befehlen Sie meine Gnaedige?" sagte der junge Henkel etwas zerstreut; Sophie bog sich in diesem Augenblick zu ihm nieder und fluesterte ihm ein paar Worte zu -- "Er kann ja doch Nichts fuer seine Gebrechen" nahm Clara aber die Antwort auf, "und thut gewiss Alles in seinen Kraeften sie eben durch gutes Betragen vergessen zu machen." "Papa, ich wuerde das Geld auch nicht so offen in dem Secretair da liegen lassen" sagte Sophie. "Nicht so offen? -- ich habe ja zugeschlossen -- " "Nun, es ist immer nicht gerade gut, wenn die Dienstleute wissen wo man Geld liegen hat" stimmte die Mutter bei. "Dienstleute?" meinte Herr Dollinger -- es war ja Niemand von ihnen im Zimmer -- " "Doch Lossenwerder?" "Bah" lachte der Kaufmann, mit dem Kopf schuettelnd. "Ist es denn viel?" frug seine Frau. "Nun, der Muehe werth waer's immer" sagte Herr Dollinger, "fuenf Tausend Thaler etwa -- es soll aber auch nicht ueber Nacht da liegen bleiben, und Lossenwerder hat mir auf heute Abend den Cassirer zu bestellen, das Geld an sicheren Ort zu legen, bis ich morgen darueber verfuegt habe." "Der Lossenwerder verwandte keinen Blick von dem Geld, so lang er im Zimmer war" sagte die Mutter, mit dem Finger vor sich hindrohend. "Lieber Gott, Muetterchen, Du weisst ja aber doch dass er schielt" vertheidigte ihn lachend Clara -- "eben so fest und unverwandt hat er mich indessen mit dem andern Auge angesehen; seine Schuld ist's nicht dass er zwei Stellen auf einmal im Auge behalten muss." "Lasst mir den armen Teufel zufrieden" sagte aber auch Herr Dollinger -- "der ist mir nuetzlicher wie zwei von meinen anderen Leuten; mehr zum Nutzen wie Staat freilich, aber Staat will er auch nicht machen. Jetzt uebrigens Kinder wird es Zeit dass wir uns ruesten, und Henkel, Sie muessen noch Ihr Pferd holen lassen." "Ich habe es schon, in der Voraussetzung dass wir bei dem schoenen Wetter doch wohl eine kleine Parthie machen wuerden, hierher bestellt," erwiederte rasch der junge Mann -- wuenschen Sie den Wagen jetzt?" "Ich glaube ja, je eher, desto besser; die Tage sind kurz und wenn wir noch eine Stunde oder zwei fahren wollen, duerfen wir nicht mehr viel laenger warten." "Aber Ihr Maedchen moechtet Euch ein wenig warm einpacken" sagte jetzt die Mutter, alles Andere in dem Gedanken an ihre Toilette vergessend -- "zum still im Wagen Sitzen passt ein Sommerkleid noch nicht und heute Abend wird es kuehl werden." "Und nicht so lange machen," mahnte der Vater, der sich sein Glas noch einmal voll schenkte und leerte; "der Wagen wird im Augenblick da sein." Der Wagen fuhr auch wirklich kaum zehn Minuten spaeter vor, Herr Dollinger, der nun seinen Hut und Stock aufgenommen, ging, seine Handschuh anziehend, im Hofe auf und nieder, und endlich erschienen, diesmal in wirklich sehr kurzer Zeit, die Damen, ihre Sitze einzunehmen. "Nun, wo ist Henkel?" sagte Herr Dollinger, sich nach seinem zukuenftigen Schwiegersohne umschauend, "ich habe sein Pferd auch noch nicht gesehen; jetzt wird uns der warten lassen." Die Familie hatte indessen im Wagen Platz genommen, und der alte Herr schaute etwas ungeduldig zum Schlag hinaus, als der junge Henkel zum Thor, aber ohne Pferd, hereinkam. "Nun? und Sie sitzen noch nicht im Sattel?" rief er ihm schon von weitem entgegen -- "das ist eine schoene Geschichte; jetzt duerfen wir den Frauen nie im Leben wieder vorwerfen, dass sie uns warten lassen." "Ich muss tausend Mal um Entschuldigung bitten," sagte der junge Mann, zum Wagen hinantretend, "aber mein Stallmeister hat mich sitzen lassen. Wenn Sie mir erlauben schicke ich einen der Leute danach, oder gehe selber, es ist nicht weit von hier. Aber thun Sie mir die Liebe und fahren Sie langsam voraus, ich hole Sie in Zeit von zehn Minuten ein." "Wir koennen ja hier warten," sagte die Mutter. "Ja, wenn die Pferde stehen wollten," brummte Herr Dollinger -- "zieh nicht so fest in die Zuegel Johann, das Handpferd kann das nicht vertragen und wird nur noch immer unruhiger -- wir wollen langsam vorausfahren -- machen Sie aber dass Sie nachkommen; auf dem Balkon vom rothen Drachen trinken wir Kaffee, dort ist eine wundervolle Aussicht -- der Stalljunge mag hinueberlaufen und Ihnen das Pferd holen." Die Pferde zogen in diesem Augenblick an, Henkel musste aus dem Weg springen und verbeugte sich leicht gegen die Damen, von denen ihm Clara freundlich laechelnd zunickte. Eine starke Viertelstunde spaeter sprengte der junge "Amerikaner," seinem Thiere die Sporen gebend, dass es Funken und Kies hintenaus stob, ueber das Pflaster, zum Entsetzen der Fussgaenger dahin, dem Wagen nach, den er nur erst eine kurze Strecke vor dem bezeichneten Platz wieder einholte. Im Stall wollte Niemand etwas davon gewusst haben, dass er sein Pferd bestellt gehabt -- Einer schob die Vergessenheit natuerlich auf den Andern, und Dollinger's Stallknecht musste die Leute sogar erst zusammensuchen, bis er das Pferd bekam, deshalb hatte es so lange gedauert. Als er mit demselben zurueckkehrte, ging der junge Mann in dem kleinen, dicht am Haus liegenden Garten auf und ab, sprang aber dann, dem Burschen ein Trinkgeld zuwerfend, und dessen Entschuldigung nur halb hoerend, rasch in den Sattel und flog, wie vorher erwaehnt, in vollem Carriere die Strasse nieder. Er hatte den Hof kaum verlassen, als Lossenwerder, einen grossen, wunderschoen bluehenden Monatsrosenstock unter dem Arm, vorsichtig und wie scheu, dass ihn Niemand gewahre, ueber den Hof und in die Hinterthuer des Hauses schlich, und sich leise und geraeuschlos die Treppe damit hinaufstahl. Er blieb etwa zehn Minuten im Haus und wollte dann aus derselben Thuer wieder ueber den Hof zurueck, als der Stallknecht aus der Futterkammer kam. Unschluessig blieb der kleine Mann eine kurze Zeit hinter der Thuer stehen, und schlich sich dann, als der Bursche den Platz nicht verlassen wollte, vorn zur Hausthuer hinaus auf die Strasse, den Weg nach seiner Wohnung einschlagend. Capitel 2. DER ROTHE DRACHEN. Der "rothe Drachen", ein Wirthshaus, das wegen seines vortrefflichen Bieres, wie sonst mancher schaetzenswerthen Eigenschaften einen sehr guten Namen hatte, lag etwa eine halbe Stunde von Heilingen, an der grossen Landstrasse, die gen Norden fuehrte. Ein freundlicher Thalgrund umschloss Haus und Garten und die dunklen, den Gipfel des naechsten Hanges kroenenden Nadelhoelzer hoben nur noch mehr das freundliche Gruen der jungen Birken und Weisseichen hervor, die sich ueber die niedere Abdachung erstreckten, und bis scharf hinan an den hocheingefriedigten und sorgfaeltig in Ordnung gehaltenen Frucht-, Gemuese- und Blumengarten des Hauses selber lehnten. Es war ein warmer, sonniger Fruehlingsnachmittag; der Bach, der am Hause dicht vorbeirieselte, plaetscherte und schaeumte in frischem jugendlichen Uebermuth, des Eises Huelle, die ihn so lange gefangen gehalten oder doch fest und aengstlich eingeklemmt, nun endlich einmal enthoben zu sein, und die Voegel zwitscherten so froh und munter in den Zweigen der alten knorrigen Linde, die unfern der Thuere stand, und flatterten und suchten herueber und hinueber, aus den bluehenden Obstbaeumen fort ueber den Hof und von dem Hof wieder fort in dicht versteckten Ast und Zweig hinein, mit einem gefundenen Strohhalm oder einer erbeuteten Feder im Schnabel, dass Einem das Herz ordentlich aufging ueber das rege glueckliche Leben. Und wie blau spannte sich der Himmel ueber die bluehende, knospende Welt, wie leicht und licht zogen weisse duftige Wolken, Schwaenen gleich, durch den Aether hin, farbige, fluechtige Schatten werfend ueber Wiesen und Feld und die weite Thalesflucht, die sich dem Auge in die Ferne oeffnete und dem leuchtenden Blick neue Schaetze bot, wohin er fiel. Ein Fruehling in Deutschland -- ein Fruehling im _Vaterland_; oh wie sich das Herz da mit der wirbelnden, schmetternden Lerche hebt und jubelnd, jauchzend gen Himmel steigt; zwinge die Thraene da nicht zurueck, die sich Dir, dem Gluecklichen, in's Auge draengt -- in ihrem Blitzen preisest Du den Vater droben, wie es die jubelnde Lerche dort thut, die mit zitterndem Fluegelschlag ueber den gruenen Matten schwebt; -- wie das raschelnde fluesternde Blatt im Wald, wie der schwankende, thaugeschmueckte Halm und die knospende, duftende Bluethe im Thal. Ein Fruehling im Vaterland -- oh wie schoen, wie jung und frisch die Welt da um uns liegt in ihrem braeutlichen Glanz, voll neuer Hoffnungen in jedem jungen Keim, und wie sich das Herz der schoenen Blume gleich zusammenzog, als der Herbststurm ueber die Haide fuhr, mit rauher Hand den Blattschmuck von den Baeumen riss und zu Boden warf und Schnee und Eis vor sich hin jagte ueber die erstarrende Flur, so oeffnet es sich jetzt mit vollem Athemzug wieder den balsamischen Fruehlingsgruss, und vorbei, vergessen liegt vergangenes Leid -- wie der verwehte Sturm selber keine Spur mehr hinterliess und die schoensten Blumen jetzt gerade an den Stellen bluehen, wo er am tollsten, rasendsten getobt. Ein warmer erquickender Regen war die letzten Tage gefallen, und so gut er dem Land gethan, hatte er doch die Bewohner des nahen Staedtchens in ihre Haeuser und Strassen gebannt gehalten, von wo aus sie sehnsuechtig die nahen gruenenden Berge theils, theils die dunklen Wolken betrachteten, die nicht nachlassen wollten Segen auf die Fluren niederzutraeufeln. Heute aber hatte sich das geaendert; voll und warm gluehte die Sonne am Himmelszelt und hinaus stroemten sie in jubelnden Schaaren, hinaus in's Freie. Der "rothe Drachen" vor allen anderen Plaetzen, der so reizend an der Oeffnung des Thales lag und die Aussicht bot in das darunter liegende freie Land, hatte dabei sein reichlich Theil erhalten der froehlichen Schaar, dass die Wirthin mit ihren Kellnern und Maegden nicht Haende genug hatte zu schaffen und herzurichten, und die Tische und Baenke im Garten draussen fast alle besetzt waren rund herum von Schmausenden. Der "rothe Drachen" sollte uebrigens, wie die Sage ging, seinen Namen von einem wirklichen Drachen bekommen haben, der einmal vor vielen hundert Jahren in der Schlucht weiter oben, die auch noch ebenfalls nach ihm die Drachenschlucht hiess, gehaust und viele Menschen und Rinder verschlungen hatte. Der Wirth des "rothen Drachen" nun, Thuegut Lobsich, dessen Voreltern schon diesen Platz gehalten, behauptete dabei, Einer seiner "Ahnen" habe den Drachen im Einzelkampf erlegt -- (die Gaeste meinten, mit schlechtem Bier vergiftet) und dafuer von dem damals regierenden Fuersten Platz und Wirtschaft als Gerechtsame, mit dem Schild als Wahrzeichen, erhalten. Wie dem auch sei, Thuegut Lobsich that wirklich gut auf dem Platz, der ihm vortreffliche Nahrung bot, und befand sich so wohl, wie sich nur ein Wirth in einer gut gelegenen Wirthschaft befinden kann. Seine Frau war aber dabei der Nerv des Ganzen, in Kueche und Stall, in Keller und Haus, und waehrend sich Vater Lobsich, wie er sich gern nennen liess, obgleich er noch jung und ruestig war, am Liebsten zu seinen Gaesten irgendwo an einen Tisch drueckte und "das Bier controllirte", wie er sagte, dass ihm die Burschen kein Saures brachten und die Gaeste verjagten, arbeitete die Frau im Schweisse ihres Angesichts vor dem Heerd, die bestellten Portionen herzurichten und zu gleicher Zeit auch den Verkauf von Kaffee, Thee, Milch und Kuchen zu ueberwachen. Dabei fuehrte sie die Kasse und rechnete mit Kellnern und Maedchen ab, und wehe denen, die eine halbe Portion Kaffee oder Kuchen vergessen, ein nichtbezahltes Glas nicht aufnotirt oder einem schlechten Kunden noch einmal gegen den direkt gegebenen Befehl geborgt hatten. Boese Zungen meinten dabei nicht selten, Frau Lobsich sei der "einzige Mann im Hause" und Thuegut duerfe nur tanzen, wenn sie nicht daheim waere; boese Zungen erwaehnten dann aber nicht dabei, dass sie wirklich allein das Hauswesen in Zucht und Ordnung hielt, und so scharf und heftig sie draussen in Kueche und Wirtschaft, wo sie fremde Leute doch auch eigentlich nur zu sehen bekamen, sein konnte, und so grosse Ursache sie dabei oft hatte aergerlich zu sein, und die Ursache dann auch fuer vollkommen genuegend hielt, es wirklich zu werden, so still und freundlich konnte sie sich betragen, wenn sie allein mit ihrem Manne war, und so gern gab sie ihm in Allem nach, was nicht eben zu Ruin und Schaden trieb. Salome Lobsich war das Muster einer Hausfrau, und was ebensoviel sagen will, eine gute Gattin dabei -- ob ihr Mann dasselbe auch von sich sagen konnte, stand auf einem anderen Blatt. Heute hatte sich uebrigens eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft in dem gar so freundlich gelegenen Garten des rothen Drachen eingefunden, und dicht vor der Thuer desselben, unter der alten breitschattigen Linde, die ihre Arme so weit nach rechts und links hinueberstreckte, dass man sie schon hatte stuetzen muessen, nur den Weg zu ihr und den Platz darunter frei zu behalten, sass Lobsich selber mit einem kleinen Kreis guter Bekannten, d. h. alter Kunden und quasi Stammgaeste von ihm, denn er selber kam selten irgend wo anders hin, und wer also sein Bekannter _bleiben_ wollte, musste ihn eben besuchen. Zu diesen gehoerte besonders Jacob Kellmann, ein Kuerschner und Pelzhaendler aus Heilingen, dann der Aktuar Ledermann von dort, eine lange hagere, etwas ungeschickte Gestalt, mit aber nicht unangenehmen, gutmuethigen Gesichtszuegen, und der Apotheker aus Heilingen, Schollfeld mit Namen, die es gewoehnlich so einzurichten wussten, dass sie an einen Tisch mit einander zu sitzen kamen. Lobsich nahm ebenfalls am Liebsten zwischen dieser kleinen Gesellschaft Platz, und nur dann und wann, besonders wenn er die Stimme seiner Frau irgendwo hoerte, stand er auf und ging einmal durch den Garten und die Reihen seiner Gaeste, zu sehn ob Alle ordentlich bedient wuerden, und keine Klagen einliefen gegen unaufmerksame Kellner, die er in dem Fall auch wohl gleich an Ort und Stelle mit einem Knuff oder einer Ohrfeige abstrafte, als warnendes Beispiel. Er musste an irgend Jemand seinen Aerger auslassen, dass er nicht bei seinem Biere konnte sitzen bleiben. "Ist doch ein prachtvolles Wetter heute," sagte Kellmann, der eben einen tuechtigen Zug aus seinem Glase gethan, und nun mit vollem zufriedenen Blick ueber das freundliche Bild hinaus schaute, das sich, von der warmen Nachmittagssonne beschienen, in all seinem blitzenden Glanz und Farbenschimmer vor ihnen aufrollte "und es waechst und gedeiht Alles draussen so schoen und steht so praechtig -- merkwuerdig dabei, dass Alles so theuer bleibt, und die Preise, statt herunter zu gehen, immer nur steigen und steigen." "Ja das weiss Gott," seufzte der Aktuar, dem der Gedanke selbst den Geschmack am Bier wieder zu verderben schien, denn er setzte das schon zum Mund gehobene Glas unberuehrt vor sich nieder -- "und wenn das noch eine Weile so fort geht, koennen wir alle mit einander verhungern oder davonlaufen." "Nun Ihr habt gut reden," sagte Kellmann, "Ihr bekommt vom Staat Euer Gewisses und koennt Euch genau danach einrichten -- Euer Geld muss Euch werden, wenn der erste jedes Monats kommt, unsereins haengt aber allein von den Zeiten ab, und wenn die Lebensmittel knapp werden, kauft Niemand einen Pelz. Holz will auch sein und daran kann sich nachher die ganze Familie waermen." "Ihr redet wie Ihr's versteht," brummte der Aktuar, -- "unser Gewisses bekommen wir, das ist wahr, aber nur deshalb, damit wir gewisses Elend vor den Augen haben. Ich habe fuenfhundert Thaler Gehalt, und Frau und Kind und Dienstmaedchen zu ernaehren, und soll anstaendig dabei gekleidet gehn, denn vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein Aktuar in meiner Stellung auch nicht mehr, und machte das Alles moeglich, ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber wird Brod, Butter, Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal zum Leben brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine fuenfhundert Thaler _bleiben_; vor zehn Jahren kaufte ich zwanzig Pfund Brod fuer dasselbe Geld, fuer das ich jetzt nicht zehn bekomme -- aber _meine_ fuenfhundert Thaler _bleiben_. Auch mein Hausherr verlangt hoeheren Zins -- schon voriges Jahr bin ich hoeher gegangen, um nicht gesteigert zu werden, d. h. fuer denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage gezogen, aber dies Jahr muss ich ganz hinaus, denn er will wieder zehn Thaler mehr haben und ich kann's ihm nicht geben. Ihr Leute habt Euch gut in die Zeiten schicken, denn wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto mehr auf Euere Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um geringen Lohn, das ist das geplagte, gefaehrdete Geschoepf, und jede neue Taxe macht ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt ihm nur den Leibriemen um ein Loch enger, dass er weniger isst, bis er in's _letzte_ Loch geworfen wird, zum ersten Mal von seinen irdischen Strapatzen, ohne Furcht vor rasch abgelaufenen Ferien, wirklich ungestoert auszuruhen." "Ach geht mit Eueren erbaermlichen Lamentationen an solch freundlichem Tag," fiel ihm der Wirth hier in die Rede, der sich erst vor ein paar Augenblicken wieder mit zum Tisch gesetzt und schon eine ganze Weile ungeduldig mit dem Kopf geschuettelt hatte. "Das Reden macht's nicht besser und Stoehnen und Seufzen hilft auch Nichts -- Kopf oben, das ist die Hauptsache; das andere macht sich von selber -- aber hallo" -- unterbrach er sich ploetzlich, von seinem Sitze aufstehend und die Strasse hinunterzeigend, die in das weite Thal fuehrte -- "was kommt dort fuer ein Trupp den Weg entlang?" -- und in der That wurde dort oben ein ganzer Zug Maenner, Frauen und Kinder mit kleinen Handkarren und ein paar einspaennigen Waegelchen sichtbar. "Das sind Auswanderer!" rief Jacob Kellmann, von seinem Stuhl aufspringend und dem Zug entgegenschauend -- "seht nur ein Mensch an, wieder ein ganzer Schwarm aus dem Hessischen; Heiland der Welt, da muss doch endlich einmal Platz werden." "Na nu ist wieder der Frieden beim Henker," rief aber der Apotheker muerrisch -- "hier Lobsich setzt Euch auf Eueren Stuhl und trinkt Euer Bier aus, und Ihr Kellmann, lasst das Volk da draussen laufen, wohin sie wollen -- unzufriedene Bande, die es ist und die es nirgends gut genug kriegen kann, wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern praesentirt wird. Na kommt nur hinueber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr sticht -- Euch werden sie schon noch das Fell ueber die Ohren ziehn, dass Ihr am hellen lichten Tag die Sterne zu sehn bekommt." "Nein was fuer ein Zug!" rief aber Kellmann, die langsam naeher kommende Schaar mit unverkennbarem Interesse betrachtend; "die armen Teufel." "Hoert Kellmann," rief aber Schollfeld aergerlich, "tretet mir da ein wenig aus dem Weg, dass ich auch was sehen kann, und setzt Euch wieder, ich daechte doch wahrhaftig, Auswanderer hier an der Strasse waeren nichts so besonders Neues, dass Ihr Maul und Nase aufsperrt und thut, als ob Euch so etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen waere." Schollfeld war uebrigens nicht umsonst so muerrisch; er hatte einen Zorn auf Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung als eine indirekte Beleidigung gegen den Staat, gewissermassen als eine Grobheit, die man ihm geradezu unter die Nase sage -- : "ich mag nicht mehr in Dir leben und weiss einen Platz, wo's besser ist." Das _dachten_ sich naemlich die "Toelpel", wie er sie nannte, aber Sie _wussten_ es nicht -- gar Nichts wussten sie und liefen blind und toll in die Welt hinein. Der Staat haette auch eigentlich den Skandal gar nicht dulden sollen; hunderte von Menschen, reine Deserteure aus ihrem Vaterland, liefen da frank und frei vorbei, Anderen noch obendrein ein boeses Beispiel gebend, und er begriff die Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Pass gestatten konnte. Der Zug war indessen naeher gekommen und Lobsich rasch in das Haus gegangen Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen Trupps gewoehnlich eine Menge junge Burschen befanden, die noch Geld im Beutel und immer frischen Durst hatten; um so mehr, da das Bergesteigen heute wirklich warm und den Hals trocken machte. [Capitel 2] Die ersten Waegen passirten still vorbei; die Fuehrer warfen einen langen, vielleicht sehnsuechtigen Blick nach den behaglich hinter ihren Tischen sitzenden Gaesten und dem kuehlen funkelnden Bier hinueber, aber hielten nicht an, sich laengere Rast dafuer auf den Abend versprechend. Nur von den Fussgaengern blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der unsere kleine Gesellschaft sass, und nicht weit von der Gartenthuere stehn, und waehrend ein paar der Maenner dem Kellner winkten, ihnen Bier herauszubringen, als ob sie sich scheuten in ihrer bestaubten schmuzigen Kleidung, mit der schweissbedeckten Stirn, zwischen die geputzten und jetzt nach ihnen heruebersehenden Gruppen hineinzugehn, hielt ein Trupp Frauen ebenfalls dort. Angezogen von der ploetzlichen weiten und freien Aussicht, die ihnen hier nach unten zu das Thal oeffnete, durch das sie gekommen, blieben sie erfreut und ueberrascht stehn und schauten dabei auf das reizende Bild hin, das wie mit einem Schlage so vor ihnen in's Leben sprang. "Heiland der Welt, Lisbeth," rief ein junges, sechzehnjaehriges Maedchen der, vielleicht zwei Jahr aelteren Schwester zu -- "dort drueben liegt Holstetten, und von da ist's nur noch neun Stunden zu Haus -- dahinter kann ich den weissen Weg durch's schwarze Nadelholz sehn, der hinueberfuehrt nach Krisheim." "Ja Marie," antwortete das Maedchen, und waehrend sie sprach, liefen ihr die grossen hellen Zaehren an den bleichen Wangen nieder, "gleich hinter dem Berg dort muss die Windmuehle liegen, und dann kommt Bachstetten und nachher" -- sie konnte nicht mehr sprechen, das Herz war ihr zu voll und sie mochte doch nicht das der Schwester, wenn diese ihren Schmerz sah, noch schwerer machen. Aber zurueckdaemmen liess sich das auch nicht, die Wunde war noch zu frisch und blutete zu stark, und beide Maedchen standen wenige Minuten still und weinend da, die schoenen thraenenueberstroemten Zuege den ihr naechsten Menschen ab- und der verlassenen Heimath, die sie wohl nie im Leben wieder schauen sollten, zugekehrt. "Ob auch wohl Martha der Mutter Grab ordentlich haelt und pflegt, wie sie es versprochen," brach die Juengste endlich wieder mit leiser kaum hoerbarer Stimme das Schweigen. "Sie hat's ja versprochen," fluesterte fast eben so leise die Schwester zurueck, "aber -- -- -- -- so lieb wird sie's doch nicht haben wie wir." "Komm Lisbeth," sagte die Juengere wieder und ergriff, ohne sie aber dabei anzusehn, der Schwester Hand -- "wir wollen gehn -- die Wagen sind schon ein Stueck voraus." Beide Maedchen nickten leise und kaum bemerkbar der verlassenen Heimath zu und schritten dann schweigend Hand in Hand den Weg entlang, der nach und durch Heilingen fuehrte, ihre weite, unbekannte Bahn. "He Marie, Lisbeth!" rief sie der Vater an, der eben an der Thuer des Gartens ein Glas Bier von einem der Kellner erhalten hatte -- "wollt Ihr einmal trinken Kinder?" "Ich danke Vater," sagte Marie zurueck, ohne sich umzusehn oder stehn zu bleiben, "wir sind nicht durstig." "Woher des Wegs Ihr Leute?" wandte sich jetzt Kellmann, der trotz Schollfeld's aergerlichen Worten zu dem Alten getreten war, an diesen. "Aus Hessen," sagte der Mann ruhig und that einen langen durstigen Zug aus dem, mit dem trefflichen Bier gefuellten, schaeumenden Glas. "Und wohin?" "Nach Amerika." "Hm -- ist ein weiter Weg -- ist Euch wohl schlecht gegangen hier im Lande?" sagte Kellmann, die kraeftige und doch gramgebeugte Gestalt des alten Landmanns teilnehmend betrachtend. Der Bauer, dessen Blick auch an dem fernen Punkt indess gehangen, wo seine fruehere Heimath lag, liess das Auge einen Moment wie misstrauisch ueber den Frager gleiten und erwiederte dann leise und kopfschuettelnd: "Schlecht? -- lieber Gott wie man's nimmt; man soll g'rad nicht klagen; der liebe Gott hat geholfen und wird weiter helfen." "Ihr wollt Euch wohl ein paar von den gebratenen Tauben holen die in Amerika herumfliegen?" mischte sich hier der Apotheker in's Gespraech, der nicht umhin konnte dem "Auswanderer", wie er sich ausdrueckte, "einen Hieb zu versetzen" -- "habt Ihr auch Messer und Gabeln mit?" Der Bauer sah den kleinen, spoettisch laechelnden Mann einen Augenblick ruhig von der Seite an, zahlte dann dem neben ihm stehenden Kellner, dem er das Glas zurueckgab, sein Bier, und ohne irgend etwas auf die Frage zu erwiedern, oder aergerlich darueber zu scheinen, ja als ob er sie nicht gehoert haette, wandte er sich und folgte mit einem "gruess Euch Gott Ihr Herren", seinen vorangegangenen Toechtern. "Holzkopf," brummte der Apotheker, nur noch mehr gereizt ueber diese anscheinende Misachtung, hinter ihm drein -- "dem Volk ist zu wohl hier," setzte er dann, mit einem kraeftigen Zug aus seinem Glase hinzu -- "der Art Leute fuehlen sich nicht behaglich, wenn sie nicht baumfest unter dem Daumen gehalten werden." "Guten Abend miteinander," sagte in diesem Augenblick ein Anderer der Auswanderer, der, mit einem kurzen Pfeifenstummel in der Hand zu dem Tisch trat, auf dem in einem schuetzenden Kelchglas ein Licht mit darum gesteckten Fidibus zum Anzuenden der Cigarren stand -- "wenn's erlaubt ist, moechte ich mir wohl einmal eine Pfeife bei Euch anbrennen." "Mit Vergnuegen," sagte Ledermann, ihm einen Fidibus anzuendend und hinreichend. "Danke schoen," nickte der Mann, das Feuer benutzend und den blauen Qualm in schnellen kurzen Zuegen ausblasend. -- "Und wo geht die Reise hin?" frug Ledermann dem Rauchenden. "Da hinueber," sagte dieser; immer noch scharf ziehend, indess er mit dem linken, zurueckgebogenen Daumen ueber die linke Achsel wiess -- "uebers grosse Wasser." -- "Habt Ihr dort schon einen Platz?" frug der Aktuar. "Ja," sagte der Mann freundlich -- "mein Bruder hat mir geschrieben aus dem Wiskonsin heraus; da soll's gut sein." "Und geht Ihr Alle dorthin?" frug ihn Kellmann. "Die meisten von uns, ja; eine Parthie will aber auch hinueber in's Missuri; da ist's waermer." "Es sind wohl lauter Landleute hier miteinander?" "Ja meistens -- ein Schneider ist dabei, und der Schmied aus dem Dorfe und der Herr Pastor ist schon voraus." "Der Pastor geht auch mit?" frug Kellmann schnell. "Ahem," nickte der Mann, "der ist aber mit der Post gefahren, aber er hat gesagt er wollte sehn dass wir Alle auf ein Schiff kaemen. Danke schoen Ihr Herren, adje." "Glueckliche Reise," rief ihm Kellmann nach. "Danke," nickte der Mann noch einmal zurueck, "koennens brauchen," und schloss sich den uebrigen wieder an, von denen die letzten gerade die Thuer des Wirthshauses passirten. Es waren aermliche, viele von ihnen kraenklich oder wenigstens bleich aussehende Gestalten, in die Bauerntracht ihrer Gegend gekleidet; die meisten Frauen mit Kindern auf dem Arm, Manche sogar deren an der Brust, und ein Buendel dazu auf dem Ruecken, die im Schweiss ihres Angesichts, wie sie bis jetzt gelebt, muehsam der fernen ersehnten Heimath entgegenstrebten. Hie und da waren auch ein paar kraeftige junge Burschen von zwoelf bis vierzehn Jahren vor ein kleines leichtes Handwaegelchen gespannt, darauf gepackte Betten, Kleidungsstuecke und Lebensmittel die weite Strasse entlang zu ziehen. -- Die Leute hatten kein Geld uebrig, denn das wenige, was sie zur Reise aufgespart, mussten sie fuer das Schiff aufheben, und ein paar Thaler sollten doch auch noch wenigstens, wenn das irgend anging, uebrig bleiben, damit sie nur die ersten Tage in Amerika, ehe sie Arbeit bekaemen, vor Sorge geschuetzt waeren. Den glaenzenden Schilderungen die ihnen von dem neuen Lande ihrer Hoffnungen gemacht waren, trauten die armen Frauen am wenigsten in ihrem vollen Umfange; von Jugend auf, wie ihnen nur eben die Kraefte wurden ihre juengeren Geschwister in der Welt herumzuschleppen, hatten sie arbeiten, hart arbeiten muessen, und viel anders wuerde es auch wohl nicht da drueben sein. Der Sorgen waren hier nur gar so viele angewachsen, mit jedem Jahre mehr, wie sie sich auch plagten und quaelten, und schlechter _konnte_ es dort drueben nicht sein. Das war fuer jetzt der einzige Trost den sie mit sich trugen die lange, heisse Strasse entlang mit einer kleinen Hoffnung moeglicher Besserung vielleicht, und sie drueckten dann die Kinder nur fester an ihr Herz und kuessten sie, und fluesterten ihnen leise und heimlich zu dass sie nicht mehr schreien sollten, denn sie gingen nach _Amerika_, und da wuerde schon Alles gut werden, wie ihnen der Vater gesagt. Die Maenner und Burschen zogen der fernen Welt aber schon mit mehr Vertrauen entgegen; das Bewusstsein der eigenen Faehigkeit und Kraft hob sie dabei auch ueber Manches hinweg das die abhaengigen Frauen schwerer zu Boden drueckte. Wer bei einer langen Wanderung voran geht, und fuer den Weg zu _denken_ hat, wird nie so muede als der, der ihm folgt, nur fuer sich denken laesst, und hinter drein zieht. Viele von den Maennern trugen auch Jagdtaschen und Gewehre auf dem Ruecken, Buechsen und Schrotflinten -- was sollte es "da drueben" nicht Alles zu schiessen geben; -- Manche auch nachgemachte bunte Blumenstraeusse auf dem Hut. Einzelne, aus Baiern und Thueringen, die sich ihnen angeschlossen, hatten sogar ein paar kleine gefaerbte Maraboutfedern mit ihren Landesfarben, blau und weiss, und gruen und weiss in ihrem Hutband stecken; die Meisten aber schienen keine solche Erinnerung an die Heimath mitnehmen zu wollen, in das neue Vaterland. Die Leute gingen vorueber, und die Gaeste hatten ihnen schweigend nachgeschaut, so lange fast, bis sie die naechste Biegung der Strasse ihren Blicken entzog. Auch Lobsich war wieder vor die Thuer seines Gartens getreten, und sich jetzt kopfschuettelnd zurueck zu seinem Tische wendend, brummte er vor sich hin. "S'ist mir doch was Unbedeutendes" -- es war dieses eine seiner stehenden Redensarten, die in der That unbegrenztes Erstaunen ausdruecken sollte -- "was die Leute diess Fruehjahr wieder an zu ziehen fangen; Tag fuer Tag geht das so fort; Trupp nach Trupp kommt ueber die Berge herueber, mit Sack und Pack, mit Weib und Kind -- und Alles fort, Alles fort, und man merkt nicht einmal von _wo_ sie fort sind." "Doch, doch," sagte Kellmann, die Augenbrauen in die Hoehe ziehend und mit dem Kopf nickend, "doch, doch Lobsich; ob man's wohl merkt? -- geht einmal da ueber die Berge hinueber und seht Euch in den Doerfern um; da steht manches alte halbzerfallene _leere_ Haus, an das irgend eine Familie da drueben noch mit Schmerzen zurueckdenkt, und in das Niemand anderes mehr Lust hat einzuziehen, weil er noch eine Menge _bessere_, ebenfalls leer, in demselben Dorfe findet. Es ist immer ein trauriger Anblick solch ein leeres Haus, und ich seh's nicht gern." "Und was fuer _Geld_ tragen sie ausser Land," fiel der Apotheker hier ein, der indess, sich zu zerstreuen, im Heilinger Tageblatt gelesen hatte, jetzt aber nicht umhin konnte auch noch ein Wort mit drein zu werfen -- "was sie nicht mit hinuebernehmen koennen, lassen sie wenigstens in den Seestaedten, und zu uns kommt Nichts mehr davon zurueck. Wenn ich nur das erst einmal erlebe, dass die Leute zu ihrem Glueck foermlich _gezwungen_, und nicht mehr aus dem Land hinausgelassen werden; geht das aber so fort, so werden sie so lange auswandern, bis uns hier weiter gar Nichts uebrig bleibt als mitzugehen, wenn wir nicht eben allein sitzen wollen in dem veroedeten Land, unseren Acker selber zu bauen. Hol sie der Teufel, wofuer hat sie denn eigentlich der liebe Gott in die Welt gesetzt und ihnen den Holzkopf gegeben, der sie zu allem Anderen untauglich macht. Ackern und Duengen muessen sie drueben doch auch, und weshalb koennen sie das nicht eben so gut _hier_? -- Nein Gott bewahre, die paar Thaler die sie sich _hier_ erspart haben, muessen erst wieder verschleppt und hinausgeworfen werden an Experimente und reinen Uebermuth, und nachher sitzen sie erst recht da; dort drueben _koennen_ sie Nichts mehr sparen, und _muessen_ schon drueben bleiben, wenn sie auch wieder herueber moechten. Die Paar die sich doch noch ein paar Thaler zusammenscharren, die kommen nachher schnell genug wieder zurueck, aber es sind nur wenige, und die anderen armen Teufel haben die Bruecke muthwillig hinter sich abgebrochen, und sitzen nun auf der wohlriechenden Haide ohne Unterfutter. Jesus Maria und Joseph, es muss ein ordentlicher Jammer drueben sein." "Na, _so_ arg nun denn doch wohl noch nicht, Schollfeld," sagte Kellmann kopfschuettelnd, "man hoert doch nun auch so Manches von da drueben was nicht gar so schlecht klingt, und wo sich's schon aushalten liesse, wenn man -- wenn man eben einmal einen solchen verzweifelten Schritt absolut thun muesste oder wollte." "Nicht so arg?" rief aber Schollfeld, der hier sein Steckenpferd ritt, und sich selten eine Gelegenheit entgehen liess auf Amerika zu schimpfen -- "nicht so arg? da, hier lesen Sie einmal das Tageblatt, was der wackere Dr. Hayde darueber schreibt; das ist ein Mann, der hat Haare auf den Zaehnen und muss die Sache verstehn, denn er ist Einer von den Wenigen die drueben gewesen und gluecklich wiedergekommen sind. Er bringt kaum eine Nummer in der er nicht ein oder den anderen Hieb auf die Verhaeltnisse Ihres "gluecklichen Amerika" hat -- das muss ja ein wahres Raubnest sein, lesen Sie nur einmal." "Hoeren Sie lieber Schollfeld, ich will Ihnen einmal 'was sagen," erwiederte ihm Kellmann ruhig, "dieser Dr. Hayde, der Ihnen die schoenen Artikel schreibt ist, der Meinung aller ordentlichen Kerle in Heilingen nach, das wenigste zu sagen eine kleine geschwollene Giftkroete, ein weggelaufener Advokat, den die Verhaeltnisse aus Deutschland vertrieben, und den in Amerika Niemand mit seinen Talenten haben mochte. Zu faul zum arbeiten, und nicht im Stande etwas Anderes zu thun, wurde er dort wahrscheinlich vom Schicksal hin- und hergestossen, und wie ein aus einer Thuer geworfener Mops, stellt er sich jetzt draussen hin, wo sich Niemand die Muehe giebt ihn zu stoeren, und schimpft und klefft. Ich will Amerika eben nicht in allem vertheidigen, aber was _der_ gerade darueber sagt wuerde mich auch nicht bestimmen. Wie ein Dreckkaefer schleppt er sich nur mit groesster Muehe kleine Stueckchen Koth herbei, und rollt sie zusammen eine Kugel zu machen in die er sein Ei legt -- pfui ueber den Burschen." "Na jetzt freut mich aber mein Leben," rief Herr Schollfeld erstaunt aus -- "erst schimpfen Sie selber auf Amerika, und nun auf einmal soll der arme Doktor die ganze Schuld tragen." "Ich _schimpfe_ nicht auf Amerika," sagte Kellmann ruhig, "ich kann nur nicht leiden wenn man es auf Kosten unseres eigenen Vaterlandes herausstreicht, und gegen alle seine Nachtheile blind ist. Es waere allerdings noch viel gefaehrlicher sich die Lichtseiten alle zu bunt auszumalen; die armen Leute die nachher hinuebergehn und es anders finden, sind dann zu sehr enttaeuscht, und fallen gewoehnlich, wie mir gesagt ist, aus einem Extrem in's Andere -- aber so taugt's auch Nichts." "Guten Abend selbander," sagte in dem Augenblick eine andere Stimme dicht hinter ihnen, und als sie sich danach umschauten, stand ein alter Bekannter von ihnen, Mathes Vogel, ein reicher junger Bauer aus dem naechsten Dorf, an ihrem Tisch und streckte ihnen freundlich die Hand entgegen. "Hallo Mathes, wie geht's?" rief Kellmann die gebotene herzlich schuettelnd -- "Wetter noch einmal Mann, wo habt Ihr jetzt gerade in der Saatzeit gesteckt, dass Ihr in der Welt herumreist wie ein Baron, der seine Gueter verpachtet hat? Ihr seid verreist gewesen." "Ja Herr Kellmann, in Bremen." "Wo seid Ihr gewesen?" frug Schollfeld erstaunt. "In Bremen, Herr Schollfeld!" rief der junge Bauer, gegen diesen gewandt, "oben in der Hafenstadt." "Guten Abend Mathes," kam hier der Wirth dazwischen, der den alten Kunden ebenfalls begruesste -- "lange nicht gesehn, recht gross geworden mein Junge; hast Du Durst?" "Merkwuerdigen," sagte der Bauer laechelnd. "Na warte, den wollen wir begiessen," schmunzelte aber Lobsich, rasch in den Garten zurueckgehend, "der soll mir nicht umsonst in den rothen Drachen gefallen sein." "Aber was hat Euch nach Bremen gefuehrt?" wiederholte Kellmann, fast etwas misstrauisch gemacht durch das wunderliche halb verlegene Benehmen des jungen Burschen. "Ja Herr Kellmann," sagte der reiche Bauerssohn, wirklich jetzt verlegen seinen Hut um den Zeigefinger der linken Hand drehend -- "das hat -- das hat so seine eigene Bewandtniss -- Ich bin -- ich bin zu einem Entschluss gekommen -- ich will -- ich will auswandern." "Was will er?" schrie Schollfeld, der die Worte nicht ganz verstanden, den ungefaehren Sinn aber etwa errathen hatte. Jedenfalls schoepfte er Verdacht und ehe Kellmann nur im Stande war ein Wort darauf zu erwiedern rief er nochmals laut: "wo will er hin?" "Nach Amerika," sagte aber der junge Mann entschlossen und wollte noch etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug dermassen auf den Tisch, und fing so an zu schimpfen und zu fluchen, Niemand wusste eigentlich auf was und gegen wen, dass Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte, und vielleicht auch eben nicht boese darueber war. "Hallo, wer ist todt?" rief aber in dem Augenblick Lobsich, der mit dem bestellten Bier fuer einen seiner besten Kunden selber ankam -- "dass Dich die Milz sticht, was ist denn dem Apotheker eigentlich in die Krone gefahren?" "Dem Apotheker Nichts," nahm aber Kellmann kopfschuettelnd das Wort, "doch hier dem Dings da, dem Mathes -- was meint Ihr, Lobsich was er vor hat?" "_Heirathen_?" sagte dieser, und ein breites vergnuegtes Schmunzeln ueber den so richtig und schnell gerathenen Vorsatz zog sich ueber sein dickes gutmuethiges Gesicht. "Heirathen!" schrie aber der Apotheker dazwischen, indem er sich seinen Hut in die Stirn drueckte und seinen Rock anfing zuzuknoepfen -- "heirathen? -- ja prost die Mahlzeit; _auswandern_ will der Kerl, wie ein blindes Pferd das durch die Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen." "_Auswandern_?" schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem Erstaunen -- "na das ist mir aber doch wahrhaftig was Unbedeutendes." "Oh hol Euch der Teufel mit Eurer albernen Redensart!" rief aber der nun einmal aergerliche Apotheker, und nahm seinen Stock unter den Arm -- sein stetes Zeichen dass er fertig zum Gehen sei -- "was Unbedeutendes; ja wohl, wenn der Raptus erst einmal in _solche_ Koepfe und Geldbeutel faehrt, nachher werden wir sehn was wir hier anrichten. Ich will mir aber mein Abendbrod nicht verderben -- gute Nacht Ihr Herren." "Halt Schollfeld!" rief aber Kellmann, ihn am Arm fassend und zurueckhaltend -- "brennt mir nicht durch, ich gehe auch gleich mit und wollte nur erst hoeren, was Mathes den Gedanken in den Kopf gesetzt hat. Hol's der Henker, er macht sich entweder einen Spass mit uns, oder es ist nur so eine Idee von ihm, die wir ihm wieder ausreden koennen." "Wenn ich das wuesste blieb ich die ganze Nacht hier," sagte Schollfeld, seinen Stock wieder auf den Tisch legend und zu dem verlassenen Stuhl zurueckgehend. "Mensch, Mathes, seid Ihr denn rein vom Teufel besessen, oder habt Ihr nur heute, in irgend einer Kneipe, ein wenig des Guten zu viel gethan, dass Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt." Mathes blieb aber bei allen diesen Ausbruechen des Erstaunens, die erste Erklaerung nur einmal ueberstanden, vollkommen ruhig, und zog nur, statt jeder weiteren Antwort, einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam auffaltete und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte. "Nun was soll's mit dem Wisch?" rief aber der Apotheker aergerlich, "Ihr habt Euere Seele doch noch nicht dem Gott sei bei uns verkauft?" "So schlimm noch nicht," lachte der junge Bursch, "das hier ist nur ein Brief von Caspar Lauber, den Sie ja Alle kennen und der vor etwa sieben Jahren nach Wisconsin auswanderte." "Der was that?" rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend und das linke Ohr zu ihm hindrehend -- "nuschelt nicht so in den Bart, dass Euch ein Christenmensch noch verstehen kann ehe Ihr unter die Heiden geht." "Der nach Wisconsin auswanderte," sagte der junge Bauer laechelnd -- "er hatte mir damals versprochen zu schreiben wie es ihm ginge, schlecht oder gut; -- wenn schlecht, wollte ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht nachkommen. Aber er schrieb nicht Jahr nach Jahr, und da er ueberhaupt Nichts von sich hoeren liess, glaubte ich schon er sei da drueben gestorben oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier Wochen etwa einen Brief von ihm erhielt und seit der Zeit habe ich keine Ruhe gehabt bis zu dem heutigen Tag." "Nun ja natuerlich," brummte der Apotheker. "Aber so lasst ihn doch nur reden," rief jetzt auch aergerlich der Actuar dazwischen, "Ihr raisonnirt nur in einem fort und glaubt nachher, wenn Ihr recht geschrieen habt, Ihr haettet recht." "So lest den Brief einmal!" sagte Kellmann, die Arme auf den Tisch stuetzend, "nachher wissen wir ja gleich woran wir sind." "Aber erst muss ich noch Bier haben," rief Schollfeld dazwischen, "ich mag die Luegen wenigstens nicht trocken mit anhoeren." Lobsich winkte einem der naechsten Kellner, die indess leer gewordenen Glaeser wieder zu fuellen, denn der Brief interessirte ihn selber zu sehr, den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes sagte wie entschuldigend: "Der Brief ist sehr kurz, aber es steht Alles darin was ich zu wissen verlangte, und er lautet: "Lieber Mathes -- ich habe bis jetzt mein Versprechen nicht gehalten, Dir zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen ist." "Na ja," fiel ihm hier der Apotheker in das Wort -- "und nun muesst Ihr Hals ueber Kopf machen dass Ihr auch hinueber kommt." Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwiedern, aber Mathes fuhr, laechelnd die Hand gegen ihn aufhebend, wieder laut fort: "Ich wollte aber nicht gern, dass mich Jemand Anders unterstuetzen sollte, weil das hier im Lande eine Schande ist; ich wollte mir selber helfen, und habe mir kuemmerlich, aber ehrlich und fleissig durchgeholfen. Jetzt habe ich eine kleine Farm von achtzig Acker, und vier und zwanzig Stueck Rindvieh, und dreissig Schweine und zwei Pferde und es geht mir gut. Ich habe hart arbeiten muessen, aber ich komme durch. Wenn Du mit Geld hier herueber kommst und willst mich aufsuchen, dass ich Dir mit Rath und That an die Hand gehen kann, dann brauchst Du keine Angst zu haben, dass Du nicht durchkommst. Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder sind ein Segen hier, kein Fluch wie fuer manchen armen Mann in Deutschland. Wer arbeiten will kommt fort, wer faul ist geht zu Grunde. Es gruesst Dich zehntausend Mal Dein Caspar Lauber -- Lauber's Farm bei Milwaukie, Wisconsin." "Und auf den Brief wollt Ihr auswandern?" rief aber auch Kellmann jetzt erstaunt -- "Mathes, ist Euch denn das Auswanderungsfieber so ploetzlich in die Glieder geschlagen, dass Ihr die Seekrankheit fuer das einzige Mittel haltet die es curiren koennte?" Mathes schuettelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, faltete den Brief zusammen, den er zurueck in seine Tasche schob, und sagte mit fester und entschlossener Stimme: "Lange im Sinn hab' ich's schon gehabt, aber der Brief hat es zuletzt zum Ausbruch gebracht." "Aber Mathes, Ihr vor allen Anderen habt doch Euer Auskommen hier im Land," rief jetzt auch Lobsich, waehrend der Apotheker das ihm eben gebrachte Glas auf einen Zug hinuntergoss, wie um seinen Ingrimm damit nieder zu spuelen -- "wenn Ihr nach Amerika auswandern wollt, wer soll denn noch da bleiben?" "Ich _bliebe_ auch," sagte Mathes rasch und mit vor innerer Bewegung fast erstickter Stimme, "ich bliebe auch, wenn mich mein Vater liesse, aber -- der will nicht in die Heirath willigen mit Rossner's Kaethchen, des Haeuslers Tochter aus Rodnach; hier haelt er mich dabei unter dem Daumen mit seinem Gut und Geld, und das Maedchen stirbt mir indessen in Arbeit und Gram; dort drueben aber ist ein Platz, wo fleissige Menschen auch durchkommen koennen mit Gottes Huelfe _ohne_ Geld, _ohne_ Ansehn. Der Lauber hatte gar Nichts wie er hinueberging; nicht das Hemd auf seinem Ruecken war sein, und ich weiss dass er nicht einen rothen Pfennig mit in das fremde Land gebracht hat. Aus dem ist jetzt ein rechtschaffener Farmer geworden, mit eigenem Land, Haus und Vieh, und was der kann -- schwere Noth noch einmal -- das kann ich auch. Ich gehe hinueber, nehme das Kaethchen mit -- Geld zur Ueberfahrt krieg ich schon, und wenn ich meine beiden Schimmel um den halben Werth verkaufen sollte, und dort hilft der liebe Gott schon weiter. Verhungern werden wir nicht, und ich brauche mir hier nicht mehr unter die Nase reiben zu lassen, "das sollst Du thun und das nicht, und _die_ sollst Du heirathen, die Du nicht magst und willst, und die Dich lieb hat und Dich gluecklich machen kann, der sollst Du das Herz brechen -- weil ihr eben nur der volle Geldsack fehlt." "Unsinn!" sagte der Apotheker, jetzt wieder und zwar im Ernste aufstehend -- "wenn Jemand einmal rein verrueckt geworden ist, laesst sich auch nicht mehr mit ihm streiten. Gehn Sie mit Kellmann?" "Ja, gleich," erwiederte der Gefragte -- "weiss denn aber schon Euer Vater um den Plan, Mathes?" "Heute hab' ich's ihm gesagt," erwiederte der Gefragte leise -- "aber er glaubt es noch nicht." "Und ist es denn schon wirklich so fest bestimmt?" sagte Kellmann theilnehmend. "Meine Passage in Bremen fuer mich und -- meine _Frau_ ist schon bezahlt," rief der junge Bursch da entschlossen -- "den funfzehnten geht das Schiff ab, und ich habe nur noch eben Zeit das Nothwendigste in Ordnung zu bringen." "Ja da koemmt freilich jeder gute Rath zu spaet," sagte Kellmann, jetzt ebenfalls aufstehend und seinen Hut ergreifend, "wenn der Sprung erst einmal geschehen ist, braucht man nicht mehr ueber das Springen zu streiten und ich wuensche Euch das Beste in Euerer neuen Heimath." "Ich weiss es, ich weiss es," sagte Mathes geruehrt -- "aber vielleicht seh ich Sie selber noch einmal auf freiem Boden drueben, mit Axt oder Pflug in der Hand, wie ein wackerer, richtiger Farmer." "Wen -- mich?" rief aber Kellmann ordentlich erschreckt aus -- "ich nach dem vermaledeiten Lande, dass alle unsere besten Buerger frisst? Nein Mathes, fuer dies Leben nicht -- aber wann geht Ihr fort? vielleicht laesst Euer Vater doch noch mit sich reden, und lenkt ein wenn er sieht dass es Euch wirklich Ernst ist." Mathes schuettelte mit dem Kopf und der Actuar rief: "Ein Bauer und einlenken, Kellmann? -- da kennt Ihr unseren deutschen Bauer nicht; worauf der einmal seinen Dickkopf gesetzt hat, da muss er durch, und wenn's nicht geht, so zerhaut er sich eben den Schaedel, aber er laesst nicht nach. Der alte Vogel und nachgeben; Du lieber Gott, wenn er den eigenen Sohn mit einem einzigen Wort vom Verderben retten koennte -- er spraech es nicht." "Na, da kann ich wohl auch meine Bude hier bald zuschliessen und mitgehn," sagte Lobsich, sich den Kopf kratzend -- "Schwerebrett das ist mir -- hm -- hm -- ist mir doch was Unbedeutendes, das -- das Amerika." "Und was sagt denn das Kaethchen dazu?" frug Kellmann jetzt den Mathes, waehrend die Uebrigen schon aufgestanden waren und sich zum fortgehn geruestet hatten. "Die weint und will nicht mit," sagte Mathes leise -- "aber sie wird schon gehen." "Sie will nicht mit?" "Sie meint, es braeche meinem Vater das Herz." "Das Herz brechen? -- dem alten Vogel?" lachte aber dieser veraechtlich -- "na Gott sei Dank, die hat einen guten Begriff von ihm -- als ob dem etwas das Herz brechen koennte." "Nun, es fraegt sich nur jetzt wem sie es lieber bricht," meinte der Actuar, "dem Alten, wenn sie geht, oder dem Jungen, wenn sie bleibt -- die Wahl wird ihr nicht schwer werden. Aber Schollfeld, Ihr seid ja auf einmal so still geworden?" "Ach lasst mich zufrieden," brummte dieser aergerlich -- "weiss es Gott, man moechte am Ende selber mit hinueberlaufen, nur Nichts mehr von dem verwuenschten Auswandern reden zu hoeren." "Hahahaha!" rief da Kellmann, "Schollfeld bekoemmt auch ueberseeische Ideen." "Ueberseeische -- haette bald was gesagt," knurrte dieser aber, auf der Strasse hingehend, ohne weder Mathes noch Lobsich gute Nacht zu sagen. Die Uebrigen wechselten noch kurzen Gruss mit ihren Bekannten dort, zuendeten sich frische Cigarren an, und schlenderten langsam, den freundlichen Abend so viel als moeglich zu geniessen, die Strasse hinab, der eigenen Heimath zu. Capitel 3. DER DIEBSTAHL. Zehn Minuten mochten sie so etwa schweigend nebeneinander hergegangen sein, als hinter ihnen auf der Strasse eine Equipage und klappernde Hufschlaege gehoert wurden, die sie rasch einholten und an ihnen vorbeirauschten, eine dicke Staubwolke dabei ueber den Weg waelzend. Es war die Familie Dollinger mit dem, neben dem Wagen hin galoppirenden Fremden, dem Braeutigam der Tochter. "Die kommen schneller von der Stelle als die armen Auswanderer vorhin," sagte Kellmann, als sie vorbei waren -- "Wetter noch einmal, es ist doch ein anderes Ding so ein paar fluechtige Rappen vor sich zu haben, und wie im Flug durch die Welt zu jagen, als mit einem schweren Packen auf dem Ruecken und wunden Fuessen vielleicht, muehselig die staubige Strasse entlang zu keuchen." "Ja, die Gaben sind ungleich vertheilt in der Welt," seufzte der Actuar, "was der Eine haben moechte, _hat_ der Andere schon, und das ist auch wohl das ganze Geheimniss der socialen Frage, laesst sich aber nun einmal nicht aendern, und wir duerfen vielleicht den Kopf darueber schuetteln, und wuenschen dass es anders waere, aber weiter eben Nichts." "Der auf dem Pferd, war der Dings da von Amerika," sagte der Apotheker jetzt, "der das schmaehlige Geld hat und des reichen Dollingers Tochter noch dazu heirathet. Soll mir noch einmal einer sagen dass Eisen der staerkste Magnet sei; Gold ist's, und wo das liegt zieht es anderes hin. "Und wie steht's mit Actien?" lachte Kellmann. "Bah -- bleibt immer dasselbe," brummte der Apotheker, "das Gold steckt darin, und kann durch einen sehr einfachen chemischen Process leicht herausgezogen werden -- wenn man sie hat." "Es wundert mich uebrigens dass der alte Dollinger sein Kind ueber das grosse Wasser hinueberziehen laesst," meinte der Actuar -- "dem haette es doch auch hier im Lande nicht an einer eben so guten Parthie gefehlt." "Liebe," meinte Kellmann achselzuckend -- "Liebe ist blind sagt ein altes Sprichwort; dagegen lassen sich eben keine Gruende anbringen. Waer's uebrigens auch nicht wegen dem grossen Wasser, der Bursche gefaellt mir ausserdem nicht, und ich moechte ihm meine Tochter nicht geben und wenn er bis ueber die Ohren in Golde staecke. Er hat ein verschlossenes, hochfaehrtiges Wesen, behandelt den gemeinen Mann wie einen Hund, und spricht von Allem was wir hier haben, unseren Einrichtungen, unseren Gesetzen, unseren Vergnuegungen selber, ja unserem Klima und Land, das doch zum Henker auch _sein_ Vaterland ist, mit der groessten Verachtung. Amerika, und immer wieder Amerika, hinten und vorn; ei Blitz und Hagel, ich will gar nicht leugnen dass es manche gute Seiten haben mag, das Amerika, wenn ich sie auch gerade nicht einsehen kann, aber so viel besser wie unser Deutschland ist es doch auch nicht drueben, und wenn's so einem Burschen da einmal zufaellig geglueckt ist, sollt' er nicht als Lockvogel sich hier mitten zwischen uns hineinsetzen, anderen vernuenftigen Leuten unglueckselige Ideeen in den Kopf zu pflanzen. "Wenn sich andere vernuenftige Leute solche Ideeen einpflanzen _lassen_, geschieht's ihnen ganz recht," sagte der Apotheker -- "man braucht nicht zu glauben was jeder dahergelaufene Lump eben sagt." "Nun _ganz_ ohne kann's aber auch nicht sein," meinte Kellmann kopfschuettelnd, "und ich -- ich halt' es immer fuer gefaehrlich. S'ist merkwuerdig, wie rasch sich das mit der Hochzeit gemacht hat." "Nun, wer sich die Braut gleich fix und fertig aus dem Wasser zieht hat leicht freien," sagte der Actuar -- "Glueck muss der Mensch haben, dann geht Alles wie am Schnuerchen; wer aber _das_ nicht hat, der mag sein Lebtag fischen und faengt doch Nichts -- am wenigsten aber solch einen Goldfisch. "Wo stammt er denn eigentlich her?" frug der Apotheker jetzt, wie sie wieder eine Weile schweigend neben einander hingegangen waren, "man hoert doch sonst eigentlich gar Nichts von ihm, und er kommt auch mit keinem Menschen weiter zusammen -- stolzer aufgeblasener Bursche der." "Gott weiss es," sagte der Actuar; "er ist, glaub' ich, mit einem hollaendischen Schiff heruebergekommen, und hatte einen Pass von Amsterdam." "Und der Pass lautete nach Heilingen?" "Nun nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der Residenz, und wie sich die Sache dann hier mit der Dollingerschen Familie gestaltete, nun lieber Gott, da drueckte der Stadtrath das eine, und die Stadtverordneten drueckten das andere Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren. Ueberdiess verzehrte er ja hier viel Geld; waer' es ein armer Teufel gewesen, haetten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder ueber die Grenze gehabt. "Hm, ja, glaub's," sagte Kellmann mit dem Kopfe nickend, "s'ist in Heilingen eben nicht anders wie -- wie anderswo -- warum auch?" Das Gespraech drehte sich von da ab, auf die staedtischen Einrichtungen, deren waermster Vertheidiger der Apotheker war, und ueber die sich der Actuar natuerlich nur sehr vorsichtig ausliess, waehrend sie Kellmann um so unnachsichtiger angriff; kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder mit einem Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen Reiches, bis sie das Thor und zwar gerade mit Sonnenuntergang erreichten, wo Jeder seinen Weg ging, die eigene Heimath aufzusuchen. Der Actuar Ledermann besonders, der an dem entgegengesetzten Ende der Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, noch vor einbrechender Dunkelheit seine Wohnung zu erreichen; das Geruecht ging naemlich in der Stadt, dass ihn seine Ehehaelfte bei solchen Gelegenheiten oft allerdings sehr unfreundlich empfange, und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr nuetzliche, bei _der_ Gelegenheit aber nichts weniger als passende haeusliche Geraethe entgegen und vor die Fuesse geworfen habe. Thatsache war, dass "Madame" oder Frau Actuar Ledermann, was auch ihres Gemahls Thaetigkeit und Ansehn ausserhalb seiner eigenen vier Pfaehlen sein mochte, _innerhalb_ derselben jedenfalls das Commando, und nicht immer mit Maessigung fuehrte, und der Actuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel als moeglich zu erhalten und jeden Anlass, zu irgend einer Stoerung desselben, zu vermeiden. Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann eben vom Marktplatz aus in die Strasse einbiegen, an deren aeussersten Ende seine eigene, sehr bescheidene Wohnung stand, als er seinen Titel genannt und sich selber gerufen hoerte. "Herr Actuar -- Herr Actuar Ledermann." Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener eilig auf sich zukommen, der, die Muetze abnehmend, vor ihm stehen blieb und ihm meldete, dass er eben abgeschickt worden ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein Einbruch geschehen sei, ueber den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen werden solle. "Protokoll aufnehmen?" sagte Actuar Ledermann, keineswegs angenehm ueberrascht; "ja was hab ich denn heute damit zu thun, wo ist mein _College_?" "Herr Actuar Beller sind unwohl geworden, heute Nachmittag," berichtete der Polizeidiener, "und mussten zu Hause gehn; ich bin eben abgeschickt zu sehn, welchen von den andern Herren ich zuerst treffen koennte." "Hm -- ist sehr amuesant," brummte Ledermann vor sich hin -- "kommt mir gerade apropos. Bei wem ist es denn?" "Bei Herrn Dollinger." "Was? -- bei Kaufmann Dollinger?" rief der Actuar rasch und erstaunt -- "am hellen Tag, waehrend er ausgefahren war?" "Er ist, wenn ich nicht irre, eben zu Hause gekommen," berichtete der Mann, und hat glaub' ich sein Pult geoeffnet, und eine bedeutende Summe Geldes entwendet gefunden." "Hm, hm, hm," sagte der Actuar kopfschuettelnd und seinen Rock dabei, den er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen hatte, zuknoepfend, "es wird immer besser hier bei uns. Am hellen lichten Tage. Aber die ganze Stadt steckt auch voll fremden Volkes, das sich natuerlich keine Gelegenheit entschluepfen laesst Reisegeld zu bekommen." "Es muss doch wohl Jemand gewesen sein der mit dem Hause genau bekannt war," sagte der Polizeidiener -- "nach dem wenigstens, was ich bis jetzt von den Dienstleuten darueber gehoert habe, kann's nicht gut anders sein." "Nun wir werden ja sehn; da muss ich aber erst -- " "Wenn sich der Herr Actuar nur eben an Ort und Stelle bemuehen wollen," sagte jedoch der Diener des Gerichts, "alles Noethige ist schon dorthin geschafft und ich war eben nur fortgelaufen, einen der Herren zu suchen." Der Actuar, dem Dienste natuerlich Folge leistend, seufzte tief auf und schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs gedenkend, der seiner harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem Abendessen warten musste, rasch die "Poststrasse" hinaufbiegend, dem gar nicht weit entfernten Dollinger'schen Hause zu, dort den Thatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen, etwaige Spuren des Uebelthaeters zu entdecken und zu verfolgen, und die Leute im Hause nach moeglichem Verdachte zu inquiriren. * * * * * Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem Alles sonst so still und ruhig und wie am Schnuerchen zuging, wo Jeder seine angemessene und fest bestimmte Beschaeftigung hatte, genau wusste was ihm oblag, und das that, ohne eben viel Laerm darum zu machen, lief und rannte und sprach heute alles durcheinander, und saemmtliche Bande der Ordnung schienen geloest. Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Kraempfen in ihrem Boudoir, und beanspruchte die Huelfe ihrer beiden Toechter und der weiblichen Dienstboten im Haus, ihren Zustand zu bewachen; Herr Dollinger selber war in seinem Zimmer des obern Stocks, und ging dort mit raschen Schritten und auf den Ruecken gekreuzten Armen auf und ab, waehrend dem jungen Henkel indessen die Bewachung des Platzes selber uebertragen war, und die andern Dienstboten, mit einem nicht unbedeutenden Theil der Nachbarschaft und deren Verwandten, in den verschiedenen Winkeln und Ecken des Hauses herumstanden und kopfschuettelnd, die Haende ein ueber das andere Mal in Verwunderung zusammenschlugen. Die verschiedenartigsten Vermuthungen und Beweise wurden da laut, und die Orte und Stellungen oder Beschaeftigungen jedes Einzelnen auf das Genaueste und Peinlichste angegeben, wo und wie sich Jeder gerade in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche, verruchte That geschehen und vollbracht sein musste. Dem Actuar, mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener wurde uebrigens willig und dienstfertig Platz gemacht; Alle wollten aber hinter drein, und die Frauen besonders gaben dabei durch die entschiedensten Ausrufe -- "Ne Du meine Guete" und "Ne so was" ihre vollkommenste Misbilligung des Geschehenen zu erkennen. Nichts desto weniger wurde auch selbst ihnen die Thuere vor der Nase zugemacht, und Einer der Bedienten bekam strenge Ordre die Hausflur zu raeumen, und Niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse Jemand noch um den Diebstahl, und koenne irgend einen Fingerzeig geben den Dieben auf die Spur zu kommen; solche Zeugen sollten nachher vernommen werden. Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie gleich zu dem Ort, wo der Diebstahl veruebt worden, hinzufuehren; einer der Leute war indessen abgeschickt Hrn. Dollinger selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den Actuar freundlich gruessend. Es war indessen schon ziemlich dunkel, und im Zimmer Licht angezuendet worden. "Ich bedaure sehr, Herr Dollinger," sagte der Actuar, "dass, wie ich gehoert habe, eine so fatale Sache mich hier in Ihr Haus gefuehrt haben muss." "Ja allerdings," erwiederte der alte Herr, "ist es sehr unangenehm; weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls ertragen liess, als wegen dem Bewusstsein getaeuschten Vertrauens, mit selbst keinem gewissen Anhaltspunkt auf Verdacht. Ich wollte gern das Doppelte verloren haben, wenn es haette koennen auf andere Weise geschehn." "Das Ganze ist uebrigens mit einer raffinirten Geschicklichkeit ausgefuehrt," fiel Henkel hier ein, "und der Thaeter, wer auch immer, jedenfalls ein hoechst gefaehrliches Subject, von dem ich nur hoffen will dass wir ihm auf die Spur kommen." "Duerfte ich Sie bitten mir den Platz zu zeigen?" "Treten Sie hier in das Zimmer meiner Toechter; dort der Secretair ist erbrochen." "Hm -- mit einem breiten meisselartigen Instrument," sagte der Actuar nach kurzer Besichtigung der offenen, arg beschaedigten Mahagoniplatte -- "und die Thuer ebenfalls eingebrochen?" "Nein -- die Thuer ist unbeschaedigt und muss jedenfalls mit einem Nachschluessel geoeffnet sein." "Und was vermissen Sie in dem Secretair?" "Eine Summe Geldes, die ich erst vor wenigen Stunden, und im Beisein meiner Familie und eines zuverlaessigen Comptoirdieners, im Paket wie ich sie von der Post erhalten, hier eingeschlossen hatte, und von der der Dieb auf eine mir unbegreifliche Weise muss Kenntniss bekommen haben." "Wer ist dieser Comptoirdiener?" "Oh, Lossenwerder; Sie kennen ihn ja wohl?" "Lossenwerder," sagte der Actuar nachdenkend -- "ist wohl schon eine ganze Weile in Ihrem Geschaeft?" "Schon zwoelf Jahr; mit keinem Schatten irgend eines Verdachts; ich nahm ihn als einen ganz jungen Burschen in mein Haus; er muss aber gegen irgend Jemand davon gesprochen haben." "Hm, hm, wollen ihn uns doch einmal nachher besehn; also hier hinein hatten Sie das Geld gelegt?" "Es ist ein Secretair, den meine Toechter gemeinschaftlich benutzen, und zu dem jede von ihnen ihren Schluessel hat. Bitte lieber Henkel, lassen Sie doch einmal Sophie oder Clara einen Augenblick zu uns herueber rufen." "Ich habe schon das Maedchen geschickt, eine der jungen Damen ersuchen zu lassen," entgegnete der junge Henkel, der indessen im Zimmer umhergegangen war, und sich ueberall umgesehen hatte, ob nicht vielleicht doch der Dieb irgend eine Spur, irgend ein Zeichen hinterlassen habe, an das man sich spaeter einmal halten koenne. -- "Und vermissen Sie weiter Nichts als das Geld?" frug der Actuar. "Auch ein Schmuck meiner aeltesten Tochter scheint mit geraubt zu sein," sagte Herr Dollinger -- "aber da kommt Clara, die Ihnen das Naehere davon selber angeben wird." Clara betrat in diesem Augenblick das Gemach; sie sah todtenbleich und angegriffen aus, und Henkel eilte ihr entgegen sie zu unterstuetzen. "Clara, mein liebes armes Kind," sagte Herr Dollinger, auf sie zugehend und die Hand nach ihr ausstreckend, "fehlt Dir etwas? -- Der Schreck hat Dich wohl so angegriffen. Mach Dir doch nur keine Sorge, mein Herz; vielleicht bekommen wir Alles wieder und wenn nicht -- nun ein _Unglueck_ ist es dann auch nicht; wenn Ihr mir nur Alle gesund bleibt, koennen wir die paar tausend Thaler schon verschmerzen." "Es ist nicht der Verlust, lieber Vater," sagte aber das junge Maedchen, sich gewaltsam zusammennehmend, und des Vaters Hand ergreifend -- "nur die Ueberraschung, der Schreck wahrscheinlich, und das -- das Unheimliche dabei, als ich mein Zimmer vorhin betrat, und die Spuren des veruebten Verbrechens entdeckte. Ich fuerchtete die entsetzlichen Menschen noch irgend wo zu sehn, die vielleicht hinter einer Gardine stehen, unter einem der Divans liegen, hinter einem Ofen lauern konnten und, wenn entdeckt, zu verzweifelter Gegenwehr getrieben mich anfallen wuerden, und all solch kindische Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm dabei, die hinuntergeworfene Stickerei von dem Secretair selber, am meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und die verloeschte, angerauchte Cigarre dort auf dem Fensterbret, erfuellten mir das Herz mit einem unbeschreiblichen Grausen." "Eine Cigarre?" sagte Ledermann, sich vergebens nach dem bezeichneten Gegenstand umschauend -- "wo lag sie?" "Dort im Fenster, als ich zurueckkam." "Die alte angerauchte Cigarre?" sagte Henkel rasch -- "die hab' ich zum Fenster hinausgeworfen; ich glaubte Einer der Dienerschaft haette sie in der Aufregung mit hereingebracht und dort abgelegt -- sie muss unten auf der Strasse liegen." "Bitte schicken Sie doch einmal einen Burschen danach, dass er sie heraufholt," sagte der Actuar; "man darf auch das Unbedeutendste nicht unbeachtet lassen, und wir wollen indessen die vermissten Gegenstaende aufnehmen. Das Geld? -- " "Davon giebt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichniss," sagte Herr Dollinger, "aber ich fuerchte fast dass wir durch das Geld selber nicht auf die Spur kommen werden, indem das Paket fast nur Gold und kleinere Banknoten enthielt, die leicht umzusetzen und schwer zu controliren sind. Eher hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verrathen zu sehn, da einige sehr auffaellige Stuecke, wie ich hoere, dabei gewesen sind." "Duerfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute Abend noch, wenn irgend moeglich _schriftlich_ bitten?" erwiderte, nach einigem Besinnen, der Actuar, "diese Einzelheiten wuerden mich jetzt zu lange aufhalten." "Kannst Du das geben, Clara? "Bis auf die kleinste Nadel hinunter," sagte das junge Maedchen rasch, "besonders auffaellig war eine kleine, rundum mit Brillanten besetzte Broche, ein Erbstueck unserer Grossmutter, und ausgezeichnet vor jedem andern Schmuck, den ich noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen, in der Mitte gefassten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen Turquis. Mein Schmuck lag gleich dicht dahinter, den aber muss der Dieb in der Eile uebersehen haben; er ist unangeruehrt geblieben." "Das ist allerdings gluecklich," sagte der Actuar, "waere wohl auch des Mitnehmens werth gewesen. Lag gleich dabei?" "Hier in dem rothen Kaestchen." "Aber das ist auch geoeffnet worden." "Das? -- nein, das hab ich wohl selbst geoeffnet, nachzusehen, ob auch Alles darin sei, und nicht wieder ordentlich geschlossen. Die Haken waren allerdings auf, wenn ich mich nicht ganz irre, aber der Dieb hat keinenfalls eine Ahnung gehabt, welchen Werth das kleine unscheinbare Kaestchen enthalte, oder es staende jetzt nicht mehr da." "Sehr wahrscheinlich, hm -- aber Sie vergeben wohl nicht, mein Fraeulein, alle diese Einzelheiten besonders zu notiren; wer weiss ob sie nicht noch einmal wichtig werden. Ah, da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die Cigarre gefunden?" "Gott weiss wo sie ist;" lachte dieser, "irgend Jemand muss es doch noch der Muehe werth gehalten haben sie aufzuheben, und in einer Pfeife vielleicht zu verrauchen -- ich bin selber hinunter gegangen, kann sie aber nirgends mehr entdecken. Uebrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde morgen ganz frueh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen freilich nicht viel helfen." "Man weiss nicht," sagte der Actuar kopfschuettelnd, "je nach der Guete des Tabaks liess sich vielleicht auf die Schicht der menschlichen Gesellschaft schliessen, in der sich unser heimlicher Besuch herumtriebe. Aber das ist allerdings Nebensache; wo also ist der Dieb hereingekommen? -- hier durch diese Thuer?" "Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Euers Schlafzimmers," sagte Herr Dollinger, "denn durch das Haus wuerde er es sich am hellen Tage im Leben nicht getraut haben." "Aber ich moechte meine Seligkeit zum Pfande setzen dass ich den Schluessel, der nach unserer Schlafkammer fuehrt, ehe wir fortgingen, herumgedreht und stecken gelassen haette, so dass von innen ein Oeffnen unmoeglich war." "Und war die Thuer noch verschlossen wie wir zurueckkamen?" "Nein, nur in's Schloss gedrueckt, aber der Schluessel stak darin." "Hm, hm, hm -- dann ist der Bursche dort wahrscheinlich hinaus" -- sagte der Actuar -- "zur Thuer hier hereingekommen und dort zur Nothroehre hinaus -- hm, muss aber genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf in's Gebet nehmen muessen, denn ein ganz Fremder, kann sich die Zeit nicht so abgepasst haben." "Wo kommt der Blumenstock her?" sagte da ploetzlich Clara rasch und erstaunt, auf einen sehr schoenen Rosenstock deutend, der in ihrem Fenster, zunaechst der Thuere stand -- "wer hat den jetzt hier heraufgestellt?" "So lange wir hier sind Niemand" -- rief Henkel -- "war er vorher nicht da?" "Nicht heute Mittag, das weiss ich gewiss; aber vielleicht hat ihn eins der Dienstleute mir heimlich hier hereingesetzt." "Heimlich? -- so?" sagte der Actuar, "den freundlichen Geber wollen wir also vor allen Dingen einmal herauszubekommen suchen." "Es ist heute mein Geburtstag," sagte Clara leise und erroethend." "Oh?" meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen Laecheln, "da thut es mir freilich leid, meine ganz ergebensten Gratulationen zu keiner angenehmeren Zeit vorbringen zu koennen -- will eben nicht passen bei einer solchen Untersuchung, kann es aber doch auch nicht geradezu hinunterschlucken -- ich gratulire eben nicht zur Untersuchung." "Es muss gewiss ein gesegnetes Land sein," sagte Henkel mit einem leisen, halb boshaften Laecheln, "wo die Polizei sogar witzig sein kann." "Hm," meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher umdrehend, "die Polizei macht eben keinen Anspruch darauf, und ist das meistens Privateigenthum. Aber wir wollen die Zeit nicht mit Allotrien vergeuden; ist nicht herauszubekommen wer den Blumenstock hier, waehrend Ihrer Abwesenheit in das Zimmer gesetzt hat?" "Jedenfalls muessen die Dienstboten darum wissen," sagte der junge Henkel, "und es wird das Beste sein sie einzeln darum zu befragen." "Allerdings; -- Einzelverhoer hat ueberhaupt viele Vortheile, bitte schicken Sie einmal die Leute herauf, dass man vor allen Dingen ihre Gesichter zu sehen bekommt." "Aber nicht hier, Vaeterchen, nicht wahr nicht hier in meiner Stube?" bat Clara -- "ich wuerde den fatalen Gedanken im Leben nicht wieder los." "Wir wollen hinuntergehn in das untere Zimmer," sagte Herr Dollinger, freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend, "es laesst sich das dort eben so gut abmachen als hier." "Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste," warf der Actuar ein, "aber wie Sie wuenschen -- nur um eines moechte ich Sie noch vorher bitten, dass ich mir einmal die Stelle oder das Fenster ansehn darf, durch das sich Ihrer Vermuthung nach, der oder die Diebe entfernt haben koennten." "In unserem Schlafzimmer?" "Doch durch diese Thuer?" "Lieber Henkel, Sie sind wohl indessen so freundlich, meine Leute unten zusammenzurufen; wir kommen gleich hinunter. Sie werden heut viel belaestigt." "Aber ich bitte Sie, bester Herr Dollinger," sagte der junge Mann, rasch seinen Hut aufgreifend, "wenn ich Ihnen nur darin von irgend einem wirklichen Nutzen sein koennte. Lieber erlauben Sie mir vielleicht mit Ihnen einer moeglichen Spur zu folgen, denn meine Augen sind darin vielleicht schaerfer als manche andere." "Es wird in der Dunkelheit nicht eben mehr viel zu spueren geben," meinte indess der Actuar; "das werden wir uns muessen auf morgen frueh aufsparen -- also jetzt noch das Fenster, wenn ich bitten darf -- ich moechte mir nur die Gelegenheit einmal von oben besehn." Clara selber oeffnete die Thuer und fuehrte dem Actuar mit ihrem Vater in das kleine freundliche Gemach, dessen beide, schon von Blaetter schiessenden Weinranken ueberzogene Fenster, auf den Garten hinaussahen. Das eine Fenster war allerdings geoeffnet gewesen, aber der Rankenwuchs so dicht zusammengezogen, dass sich ein Koerper kaum haette hindurchzwingen koennen. Die Hoehe nach dem Garten hinunter, und gerade unter dem Fenster sollte ein kleiner Rasenplatz sein, war eben nicht betraechtlich, vielleicht zehn oder zwoelf Fuss, und unten umgab niederer aber ziemlich dichter Hollunder den Rasen. Im Zimmer selber liess sich aber nicht das mindeste erkennen, das einen solchen Verdacht unterstuetzt haette; das Einzige was dafuer sprach, war die aufgeschlossene Thuer. Zu der Unterstube des Hauses waren indessen die Dienstleute versammelt worden, streng examinirt zu werden. Der Hausmagd vor allen andern lag die Pflicht ob, die Etage, wenn sie nach unten in die Kueche ging, in Abwesenheit der Herrschaft verschlossen zu halten. Diese aber behauptete steif und fest, und weinte dabei und rief Gott und alle Heiligen zu Zeugen an, dass sie die Vorsaalthuer auch ordentlich, "zweimal herum" abgeschlossen und den Schluessel zu sich gesteckt haette, und Niemanden in der weiten Gotteswelt gesehen habe, der das Haus in der Zeit betreten haben koenne. Trotzdem aber sei die Vorsaalthuer, als sie wieder nach oben gekommen offen, wenigstens aufgeschlossen, wenn auch zugeklinkt gewesen, und sie haette selber im Anfang nicht begreifen koennen wie das moeglich waere, aber auch nicht weiter darueber nachgedacht, und es ihrer eigenen Unaufmerksamkeit zugeschoben. Nach der Abfahrt der Herrschaft sei sie aber nur eine ganz ganz kurze Zeit unten geblieben um -- sie wollte erst nicht mit der Sprache heraus, aber der Herr Actuar draengte gar so sehr -- um den jungen Herrn Henkel fortreiten zu sehn. Nachher mochte sie vielleicht noch zehn Minuten der Koechin geholfen haben, und war dann nicht wieder von dem Vorsaal oben fortgekommen, auf dessen Balkon sie gesessen und genaeht hatte. In der Zeit habe Niemand mehr den Vorsaal oder des Fraeuleins Zimmer betreten, darauf wolle sie das heilige Abendmahl nehmen, und der Diebstahl muesse jedenfalls in den paar Minuten, die zwischen dem Fortreiten des jungen Herrn und ihrem eigenen Wiederhinaufgehn nach oben gelegen haetten, veruebt sein -- anders war es nicht moeglich. "Wer aber hatte den Blumenstock in des Fraeuleins Zimmer gestellt?" "Einen Blumenstock? -- waehrend die Herrschaft fort war?" "Allerdings, eine Monatsrose -- in das Fenster naechst der Thuer." "Der das gethan hat, muesse damit zum Fenster, oder in derselben Zeit mit einem Nachschluessel zur Thuer hereingekommen sein, als der Diebstahl veruebt worden, denn sie haette keine Seele im Haus gesehn. Die Dienstboten hatten indessen mit einander gefluestert, als der Actuar das Wort nahm und mit langsam bedaechtiger, aber ziemlich ernster Stimme sagte: "Hoert einmal Leute, ich will Euch etwas sagen; Ihr habt Euch da gut unschuldig stellen, als ob Ihr eben erst auf die Welt gekommen waert, damit dringt Ihr aber nicht durch. Das Geld ist fort -- Ihr seid die Einzigen die unter der Zeit im Haus waren, und Euere Pflicht waere es gewesen -- "Aber Herr Actuarius" -- "Ruhe da, wenn ich Euch etwas mitzutheilen habe -- und Euere Pflicht waere es gewesen, sag' ich, aufzupassen, dass niemand Fremdes den Platz betrat, der Euch anvertraut war, und fuer den Ihr also auch in der Zeit zu stehn hattet. Jemand ist aber in der Zeit da gewesen, und hat etwas gebracht und etwas geholt, und man wird sich jetzt an _Euch_ halten muessen, bis der Jemand ausfindig gemacht ist. Was giebt's da hinten -- was ist gekommen?" "Dullmanns Rieke von ueber dem Weg drueben," sagte die Koechin jetzt, gegen den Actuar vortretend, "will den Lossenwerder haben heimlich aus dem Haus schleichen sehn. Da _haben_ Sie einen; _uns_ brauchen Sie so etwas nicht unter die Nase zu reiben, Herr Actuar -- wir sind ehrliche Dienstboten die sich ihr bischen Brot sauer genug im Schweisse ihres Angesichts -- " "Ach halt' sie das Maul," fiel ihr aber der Actuar etwas unsanft in die Rede -- "_wer_ ist im Haus gewesen, Lossenwerder? -- und heimlich hinausgeschlichen? -- wer hat ihn gesehn?" "Hier die Rieke von Dullmann's -- " "Wann war das?" fragte der Actuar das jetzt vorgeschobene Maedchen, das feuerroth wurde und ihren einen Schuerzenzipfel anfing wie einen Plumpsack zusammenzudrehen. Erst ganz kurze Zeit vorher hatte sie einer ihrer Freundinnen im Dollinger'schen Haus, und gewiss nicht in der Absicht die Mittheilung gemacht, gleich damit, ohne weitere Warnung, vor die Polizei gezogen zu werden. "Nun Mamsell -- wie hiess sie? -- Rieke? -- Wann haben Sie Lossenwerder aus dem Haus kommen sehn, und ist er ruhig hinausgegangen oder _geschlichen_?" "Wenn Lossenwerder im Haus war," sagte Herr Dollinger ruhig, "so wird er auch ordentlich hinaus_gegangen_ und nicht geschlichen sein; der waere der Letzte dem ich so etwas zutrauen moechte." "Die Rieke behauptet," fiel aber hier die Koechin in dem Bewusstsein unrechtlich gekraenkten Ehrgefuehls rasch ein, "dass sie gar nicht auf ihn geachtet haben wuerde, wenn er sich nicht so schnell und heimlich, und dicht unter den Fenstern, am Hause hingedrueckt haette. Wer kein boeses Gewissen hat, kann gerade und offen gehen." "Sie sind aber gar nicht gefragt, zum Henker noch einmal," rief der Actuar jetzt ungeduldig werdend -- "wenn Sie jetzt nicht ruhig sind, lasse ich Sie so lange hinausfuehren, bis wir Sie wieder brauchen. Hier Mamsell Rieke; wenn Sie sich die Schuerze abgedreht haben, dann sein Sie so gut und sagen Sie uns einmal wo und wie Sie den Herrn Lossenwerder gesehen haben." "Ich -- ich weiss nicht gewiss" -- stammelte das Maedchen verlegen -- "aber -- aber Lossenwerder kam -- bald nachher wie die Herrschaft fortgefahren war -- " "Wie lange nachher?" frug der Actuar. "Etwa eine halbe Stunde denk' ich -- vielleicht nicht so lange -- kam er viel rascher als es sonst seine Art ist, denn er geht gewoehnlich immer sehr langsam -- kam er -- kam er aus der Thuer heraus, die er geschwind hinter sich zuzog -- und dann -- " "Und dann?" -- Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte dass ihn Jemand, der vielleicht von oben heruntersaehe, erkennen moechte -- hielt er den Kopf nieder und drueckte sich -- drueckte sich dicht am Haus hin, so schnell er konnte die Strasse hinunter, und um die Ecke." "Und nachher?" frug der Actuar. "Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehn," sagte die Koechin. "Ob Sie still sein wird," sagte Herr Ledermann jetzt aber wirklich boese gemacht -- "Wenzel, wenn mir die Person da jetzt noch einmal das -- noch einmal den Mund aufthut, dann wissen Sie was Sie zu thun haben." "Sehr wohl, Herr Actuar," sagte der Gerichtsdiener -- "Und sind Sie dann nachher nicht heruebergekommen und haben das den Leuten im Hause gesagt, was Sie gesehn?" frug der Actuar. "Ich habe ja aber Nichts gesehen," sagte die Rieke. "Sie haben doch den Lossenwerder gesehn" -- "Ja aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und kommt nachher immer wieder heraus." Der Actuar warf sich ungeduldig herueber und hinueber und sagte endlich muerrisch: "Unsinn -- baarer Unsinn -- aber hatte er denn irgend etwas in der Hand? -- _trug_ er etwas?" "_Trug_? -- ja -- ja sehn Sie Herr Actuar -- das kann ich Sie nicht sagen -- das weiss ich nicht -- " "Nun Sie werden doch gesehen haben, ob er irgend ein schweres Paket in der Hand hatte oder nicht." "Ja sehn Sie, das weiss ich Sie wahrhaftig nicht, aber ich glaube es fast," sagte das Maedchen, "denn ich habe den Herrn Lossenwerder eigentlich noch gar nicht anders gesehn, als dass er irgend 'was getragen haette; und wenn's nur ein paar Briefe gewesen waeren, oder ein Regenschirm." "Lieber Herr Actuar, ich glaube Sie sind da auf einer falschen Faehrte," sagte Herr Dollinger jetzt -- "man kann einem Menschen allerdings nicht in's Herz sehen, aber fuer den Lossenwerder moechte ich fast selber einstehen." "Mein bester Herr Dollinger," sagte aber der Actuar kopfschuettelnd, "es ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche Sache, und Leute auf die man am allerwenigsten gedacht, von denen man nie das geringste Unrechte vermuthet hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwickelungen vor und -- sind schuldig. Ich selber kenne Lossenwerder als einen ordentlichen braven Menschen, und will zu Gott hoffen, dass unser ganzer Verdacht unbegruendet ist; das heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und dass ihn Niemand sonst im Haus gesehen hat macht ihn verdaechtig. Meine Pflicht ist es wenigstens ihn selbst deshalb zu vernehmen und ich werde jedenfalls noch heute Abend nach ihm schicken muessen -- unsere Eisenbahnverbindungen sind jetzt zu schnell, und man darf keiner Menschenseele mehr zwoelf Stunden Vorsprung lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehn haben will." "Passen Sie auf," sagte Herr Dollinger, "der Lossenwerder wird den Blumenstock zum Geburtstag Clara's oben hinaufgetragen haben, und zum Dank dafuer kommt der arme Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen Diebstahls." "Wie aber ist er ohne Nachschluessel in die verschlossene Thuer gekommen," warf der Actuar ein -- "Hm -- " sagte Herr Dollinger, "das weiss ich freilich nicht -- nun fragen Sie ihn selber, das wird jedenfalls der kuerzeste Weg sein." "Um das Verzeichniss der gestohlenen Gegenstaende duerfte ich Sie dann vielleicht nachher noch bitten." "Meine Tochter wird es gerade jetzt eben schreiben," sagte Herr Dollinger, "wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen." "Dann duerfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine Wohnung zu schicken," meinte der Actuar nach kurzer Ueberlegung, "ich muss vor allen Dingen erst in meine Wohnung und werde dann von da gleich noch einmal in's Bureau gehen. Wo ist denn der Lossenwerder wohl am leichtesten zu finden?" "Ich habe eben nach seinem Hause geschickt," sagte Herr Dollinger, "aber dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet, er ginge manchmal, aber selten, in eine Bierstube an der Ecke der Roessnitzer und Hertzergasse, aber dort war er auch nicht; es ist uebrigens an beiden Orten bestellt, ihn gleich, so wie Jemand seiner ansichtig wird, hierherzuschicken." "Sehr wohl," sagte der Actuar, seine Papiere zusammenpackend, und sie dem Gerichtsdiener uebergebend; nach kurzer Begruessung wollte er sich dann eben entfernen, als er noch einmal in der Thuer stehen blieb und, sich scharf auf dem Absatz herumdrehend, fragte: "A prospos -- _raucht_ Lossenwerder?" "Soviel ich weiss _nicht_," sagte Herr Dollinger. "Doch ja, manchmal," sagte Einer der Leute -- Sonntags nach Tisch z. B. regelmaessig eine Cigarre." "Hm, so?" sagte der Actuar und verliess dann rasch das Zimmer und Haus. Er hatte uebrigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn daheim wartete ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes Unwetter auf ihn, das er mit einer Art von verzweifelten Hoffnung immer noch mit den, dem Gerichtsdiener wieder zu dem Zweck abgenommenen, und geschaeftsmaessig unter den Arm geklemmten Streifen Akten abzuleiten gedachte. Jedenfalls musste ihm der Vorfall im Dollinger'schen Haus, der so viel von seiner Zeit in Anspruch genommen, entschuldigen. Frau Actuar Ledermann aber hatte sich schon den ganzen Nachmittag ueber, mit immer wachsender Ungeduld, vorgenommen gehabt mit ihrem Gatten gegen Abend einen der vor der Stadt gelegenen Gaerten, wo Concert sein sollte, zu besuchen und die Parthie war ihr jetzt -- was halfen alle Gruende dagegen -- zu Wasser geworden; es verstand sich von selbst dass Actuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch die Folgen trug. Frau Actuar Ledermann hatte sich uebrigens vor einigen Tagen, wo sie trotz dem nassen Wetter und allen Vorstellungen ihres Mannes spatzieren gegangen war, furchtbar erkaeltet, und brachte keinen lauten Ton ueber die Lippen. Das aber, und dass sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen Kraft ihrer Stimme hinaus_giessen_ konnte ueber den Gatten, wie sie es -- und er auch -- gewohnt war, sondern alles das was sie ihm zu sagen hatte -- und sie hatte ihm viel zu sagen -- heraus_fluestern_ musste, reizte ihren Zorn nur noch immer mehr. "Aber liebes Kind, ich versichere Dich," sagte der Actuar in einem vergeblichen Versuch den aufsteigenden Sturm zu beschwichtigen, "dass ich mich ueber anderthalb Stunden bei dem verwuenschten Diebstahl im Dollinger'schen Hause aufgehalten habe und -- " "Und ich versichere Dich," zischte sie, mit einem Gesicht, dem die Anstrengung die es sie kostete die Worte hoerbar zu machen, einen noch viel unfreundlicheren, ja sogar boshaften Ausdruck gab -- "dass ich Dich vor anderthalb Stunden schon gerade so erwartet habe wie jetzt, und seit drei Stunden vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe." "Aber Du _bist_ ja gar nicht angezogen, beste Therese." "Weil ich mich wieder ausgezogen habe," rief die Frau -- "glaubst Du ich soll mir ein Beispiel an einem liederlichen Menschen nehmen, und bei Nacht und Nebel noch draussen herumstreichen, wie Leute die das Licht zu scheuen haben? -- Und dann mit meinem Katharr -- dass ich mir den Tag ueber im warmen Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das faellt Dir nicht ein; aber Nachts, wenn der schaedliche Thau niederfaellt, der fuer mich gerade Gift waere, da moechtest Du mich jetzt wohl noch hinausschleppen nicht wahr? damit ich nur recht schnell unter die Erde kaeme -- o ich armes unglueckseliges Weib -- " "Aber Therese Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten heute Nachmittag mit mir nach dem rothen Drachen hinauszugehn -- " "Weil Du wusstest dass das nichtsnutzige Geschoepf von einer Waescherin mir mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen wuerde," zischte die Frau. "Aber Du hast ja noch andere -- " "Am Sonntag zum Skandal der andern Menschen mit einer solchen _Fahne_ zu einem anstaendigen Vergnuegungsort hinausziehn, nicht wahr? -- _Dir_ laege natuerlich Nichts daran was die Leute ueber Deine Frau sagten; aber Du bist auch an anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau einmal ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten, und nachher mit ihr zusammen auszugehen, musst Du natuerlich g'rad in's Wirthshaus laufen, und ein Bischen vor Mitternacht dann wieder zu Hause kommen." "Liebes Kind, es ist halb neun Uhr jetzt" -- sagte der Actuar ruhig, "dann aber Therese," fuhr er nach kleinem Zoegern, mit einer fast gewaltsamen Anstrengung etwas herauszubringen, das er auf dem Herzen hatte, fort -- "bist Du theilweise mit selbst Schuld daran, _dass_ ich mir eben ausser dem Hause mein Vergnuegen suchen _muss_." "Ich?" wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch eingesetzte Ton blieb aber total aus, und Ledermann sah nur, mit der entsprechenden Gesticulation, das zum Hoechsten erstaunte Gesicht der Gattin. Dadurch aber vielleicht, und durch die ungewoehnliche, freilich erzwungene Stille, etwas muthiger gemacht, fuhr er entschlossen fort: "Ja liebes Kind, Du; denn anstatt Deinem Mann, wenn er von seinen Berufsgeschaeften ermuedet zu Hause kommt den Aufenthalt daheim zu einem freundlichen zu machen, in dem er gerne bleibt, laesst Dich Dein unglueckseliges, heftiges Temperament nicht ruhen noch rasten, sondern Du musst irgend eine Gelegenheit vom Zaune brechen mit mir zu zanken. Gebricht es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in hoechst seltenen Faellen zu sein scheint, so bist Du muerrisch und verschlossen, machst ihm ein finsteres, verdriessliches Gesicht, und sprichst kein Wort." Sprachlos nur vor Zorn und Staunen ueber die unerhoerte, bodenlose Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute so redseligen Gatten (der aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen wagte, sondern bald die rechte, bald die linke Ecke der Stube mit den Augen suchte) angesehn. Es war eine allerdings noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt, die Frau Actuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens stark markirten Backenknochen und durchdringend scharfen, wenn auch kleinen lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und um den Mund in vielen kleinen Faeltchen, zusammengezogen, das Kinn jedoch etwas zurueckstehend, was ihr ein besonderes, und nicht eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem Anzug liess sie sich zuviel gehn; der Zauber reinlicher Kleidung fehlte ihr, der selbst der aermlichsten Tracht etwas Nettes, Freundliches giebt; die Krause die das oben am Hals dicht anschliessende Kleid einfasste, war schon mehrere Tage getragen und verdrueckt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren laengeren Dienstes, und die Haube sass ihr verschoben und zu viel zurueckgedraengt auf dem, nicht ueberreich mit Haaren bedeckten Scheitel. Frau Actuar Ledermann war nicht huebsch, und der Affect der ihre Zuege in diesem Augenblick mehr entstellte als belebte, nahm ihnen leider auch die letzte Spur sanfter Weiblichkeit, die sonst doch wohl noch hie und da darin verborgen lag. Der bis jetzt mehr durch Erstaunen als Maessigung niedergekaempfte Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und waehrend die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehoert zu machen, ihr Antlitz fast dunkel faerbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt, den Oberkoerper gegen den ueberrascht einen Schritt zurueckweichenden Gatten vorgebeugt: "Spreche kein Wort, _heh_? sagt der Herr? -- prahlt da, "wenn er von Berufsgeschaeften nach Hause kommt" -- spreche kein Wort? -- sitzt in der Kneipe den ganzen gesegneten Nachmittag -- im rothen Drachen und das nennt er Berufsgeschaefte; vertrinkt das Geld das wir hier zum nothwendigsten Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit vor, die mir der Himmel geschickt hat, oder mein boeses Glueck, dem ich auch einen solchen Mann verdanke -- dass ich kein Wort spreche und verdriesslich bin. Ich soll wohl _tanzen_? eh? -- wenn mir das Herz zum Zerspringen voll ist vor Jammer und Elend daheim, und wenn ich den ganzen Tag da sitze, und bruete und denke wie wir auskommen wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann soll ich nachher, wenn der gestrenge Herr sein Gesicht zeigt, lachen und vergnuegt und lustig sein, nur damit der Haustyrann sich nicht unbehaglich fuehlt in _seinen_ vier Waenden." Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der Frau, der die uebermaessig angestrengte Luftroehre den Dienst versagte, und der Actuar Ledermann nahm still und schweigend, den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen Seitenschrank, zuendete es an der Lampe an, und verliess kopfschuettelnd und seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes kleines Stuebchen zurueckzuziehn. Capitel 4. FRANZ LOSSENWERDER. In Heilingen, in der Glockenstrasse, stand ein vortreffliches Weinhaus, in dem die wohlhabenderen Buerger Abends gewoehnlich zusammenkamen und ihr Flaeschchen, aus denen auch oft zwei und drei wurden, tranken. Das Lokal war ziemlich gemuetlich, und dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner Zimmerchen abgetheilt, die theils durch wirkliche Thueren und Verschlaege, theils durch Vorhaenge von einander getrennt lagen, einzelnen Gesellschaften zu gestatten eben einzeln zu bleiben, und ihr Glas, ungestoert von dem Nachbar, zu trinken. Das Haus hiess "der Pechkranz" nach einer alten Sage, die der Wirth sehr gern mit der Heilinger Chronik belegte, und die noch in dem dreissigjaehrigen Kriege spielte; ein, ueber der Eingangsthuer in neuerer Zeit erst aus Stein gehauener Bachus, hielt auch in der einen Hand einen Tyrsusstab, und in der anderen einen Pechkranz, in hoechst wunderlicher Weise Sage und Geschaeft mit einander vereinigend. Die Allegorie war aber gar nicht so uebel angebracht, und haette sich auch schon ohne Tilly recht leidlich und genuegend erklaeren lassen, denn Bachus hatte hier schon in der That in manchen Kopf seinen Pechkranz hineingeworfen, dass es lichterloh zum Dache hinausbrannte, ohne weiter eben groesseren Schaden anzurichten, als der alte Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte. Der Wirth war uebrigens nicht in Heilingen geboren und erzogen, sondern ein Rheinlaender, der sich hier erst vor einigen Jahren niedergelassen, und durch gute Getraenke auch bald gute und schlechte Kunden genug bekommen hatte. Seine Preise waren allerdings ein wenig theuer, "aber," sagten die Heilinger, "wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf einen Groschen dabei ankommen, wenn er nur aecht und rein ist," und Wirth und Gaeste befanden sich wohl dabei. Es war am Abend des naemlichen Tages, an welchem ich meine Erzaehlung begann, als die Gaeste, die den Tag ueber meist auf Spaziergaengen im Freien gewesen waren, anfingen einzutreffen, und die Kellner geschaeftig herueber und hinueber sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen zu bringen. Die kleinen Raeumlichkeiten fuellten sich nach und nach, und selbst in dem grossen Mittelsaal, der ungefaehr das Centrum des Ganzen bildete, hatten sich schon hie und da einzelne Gruppen gebildet, oder auch einzelne Gaeste sassen in irgend einer Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, und auf eigene Hand, in ungeselliger Gemuethlosigkeit, langsam Glas nach Glas zu leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art; zu einer schoenen Landschaft und einer guten Flasche Wein gehoeren mindestens zwei Personen, um Beides recht und ordentlich zu geniessen, die eine sich _darueber_, die andere sich _dabei_ auszusprechen; wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genuss von Beiden verloren. Es giebt allerdings Menschen, die sich zufriedener fuehlen wenn sie Alles allein geniessen koennen, aber denen geh' aus dem Weg; es sind Hypochonder oder Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen schuldig bist ist dafuer, dass sie sich eben auch von Dir zurueckziehn. Nur wer Niemanden hat an den er sich anschliessen darf, wer allein und freundlos in der Welt dasteht und das Leid das ihn drueckt, allein tragen, die wenigen frohen Momente seines Lebens allein geniessen muss, den bedauere und hilf ihm, wenn Du kannst, denn er ist der Ungluecklichste von Allen. Es mochte neun Uhr Abends sein, als ein Bekannter von uns, der Kuerschnermeister Kellmann, die Weinstube betrat und, sich ueberall umschauend, ob er nicht irgend einen Freund traefe zu dem er sich setzen koennte, in einer der Ecken eine bekannte Gestalt entdeckte. Aber er sah erst ein paar Secunden wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen traute, und sagte dann, auf Jenen losgehend und neben dem Tisch stehen bleibend: "Hallo, _Lossenwerder_? Ihr hier im Pechkranz? na da moechte man doch, wie die Schwaben sagen, den Ofen einschlagen. Alle Wetter Mann und vor einer Flasche Ruedesheimer; nun das lass ich gelten und es freut mich wahrhaftig, dass Ihr endlich einmal aufthaut und unter Menschen kommt. Aber was ist denn heute los bei Euch? denn einen ganz besonderen Grund muss doch die Festlichkeit haben." "Ha -- ha -- ha -- hat sie auch He -- he -- he -- he -- herr Ke -- ke -- ke -- kellmann," sagte der kleine Mann verlegen laechelnd und sich etwas schuechtern dabei umschauend, denn es schien ihm nicht angenehm, die Aufmerksamkeit der uebrigen Gaeste so direkt auf sich gelenkt zu sehn. "Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen," sagte Kellmann, seinen Hut und Stock an einen der naechsten Haken haengend und sich neben ihn setzend, "wenn sie behaupten Ihr traenkt nur Wasser, und Sonntags hoechstens einmal ein Glas Duennbier -- ich kriege Leibschneiden, wenn ich nur an das Zeug denke -- und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit einem halben Thaler auskommen muesstet. Alle Wetter Mann, das ist recht, dass Ihr Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein goennt; das haelt Leib und Seele zusammen, und staerkt die Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Wuerde mir schwer ankommen, wenn ich unseren vaterlaendischen Wein entbehren muesste," setzte er mit einem halbunterdrueckten Seufzer hinzu. "Ha -- ha -- ha -- haben Sie a -- a -- a -- auch wohl ni -- ni -- nicht noe -- noe -- noe -- noe -- noe -- noethig, be -- be -- be -- bester He -- he -- he -- he -- he -- he." "Ih nun wer weiss was Einem noch Alles bevorsteht," unterbrach ihn Kellmann -- "hier Kellner -- mir auch eine Flasche von dem Ruedesheimer; der Duft hat mir Appetit gemacht." "Hallo Lossenwerder bei einer Flasche Ruedesheimer," rief aber jetzt noch eine andere Stimme aus dem naechsten Stuebchen, wo ein paar junge Kaufleute bei ihrem Glase zusammensassen -- "da muessen wir auch dabei sein; Lossenwerder hat vielleicht heute seinen splendiden Tag und traktirt -- haben Sie was in der Lotterie gewonnen?" Die jungen Leute, die Kellmann und Lossenwerder begruessten, kamen mit ihrer Flasche heraus, und setzten sich an denselben Tisch, mit dem immer verlegener werdenden kleinen Mann anstossend und trinkend. Denen gesellten sich aber noch bald darauf Andre zu; Lossenwerder war in der ganzen Stadt bekannt und oft auch, seiner koerperlichen Maengel wegen, zum Besten gehalten. Vertheidigen konnte er sich aber schon seines Stotterns wegen nicht, was den Gegnern gleich nur noch mehr Anlass und Stoff gegeben haette; so wurde denn diese freilich gezwungene Zurueckhaltung endlich fuer Gutmuetigkeit ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig gefallen liess, und was die schaerfste Erwiderung nicht vermocht, erreichte er unfreiwillig dadurch, dass man es endlich muede wurde, den sich nicht Verteidigenden zum Besten zu haben, und ihn eben zufrieden liess. Aber in des Verwachsenen Betragen aenderte das Nichts; abgestossen und verhoehnt -- in nur sehr wenigen Ausnahmen -- von Allen, mit denen er in Beruehrung kam, zog er sich mehr und mehr in sich selbst zurueck, ging, ausser den noethigen Geschaeftswegen und ausser der Geschaeftszeit, fast nirgends hin, und lebte so einfach, ja fast duerftig, wie nur ein Mensch leben kann, der eben _nur_ Geld ausgiebt, um zu existiren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch Niemand gesehn, und die Gaeste dort, die ueberdies keinen weiteren Zweck da hatten als sich zu amuesiren, glaubten das einmal einen Abend mit dem kleinen "Stotterberg", wie er spottweis, seines Stotterns und Hoeckers wegen genannt wurde, am Besten thun zu koennen. Im Anfang wollte sich Lossenwerder aber auf Nichts einlassen, ja machte sogar zwei oder drei, wenn gleich vergebliche Versuche, sich zu entfernen, denn von allen Seiten wurde er gehalten, und Jeder wollte und musste mit ihm trinken. Nach und nach aber fing er an aufzuthauen; der ungewohnte kraeftige Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die Adern jagen. Nun sollte er erzaehlen, aber das ging nicht, sein Stottern wurde, mit der schwereren Zunge, kaum verstaendlich, bis Einer, im Spott eben, auf den Gedanken kam, ihn zum Singen aufzufordern. Lossenwerder weigerte sich erst ganz verschaemt; das aber kam den Anderen zu komisch vor, und mit Lachen und Toben, waehrend ein paar schon Champagner bestellten, den Genuss wuerdig zu feiern, raeusperte sich Lossenwerder ploetzlich und stieg, von dem Wein erregt, und jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdraengenden Gaeste, auf einen Stuhl. [Capitel 4] Was aber, wie sich die Uebrigen gedacht, Spott und Scherz hatte werden sollen, das erstarb in athemlosem Schweigen, nur von leisen Ausrufungen des Staunens und der Bewunderung unterbrochen, als der kleine verkrueppelte Mensch, mit einer hellen, glockenreinen Stimme, und Toenen, die zum innersten Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer zuversichtlicher werdend, und wie von dem Inhalt des Liedes mit fortgerissen, dieses also begann: "Ich habe schon zu oft geschaut In Deiner Augen Glanz, Du Holde, Auf meine Kraft zu fest vertraut, Viel mehr, als ich vertrauen sollte. Doch nein, fuer Dich Geliebte sind Des Lebens schoenste, reinste Bluethen, Von keinem Schmerz getruebt, bestimmt, Und was koennt' ich dafuer Dir bieten? Nichts -- gar Nichts, als ein treues Herz; Doch nimmer sollst Du es erfahren -- Ich kann, wie frueher, meinen Schmerz In tiefer, innerer Brust bewahren. Sei gluecklich! -- wenn auch ohne mich, Ich will Dich lieben, aber schweigen Und mein Gebet nur soll fuer Dich Empor, zum Thron des Hoechsten steigen. Wenn dann mein Herz im Grabe liegt, Und austraeumt seine stillen Leiden, Dann soll der Geist zum Himmel nicht Entfliehn, und zu der Seel'gen Freuden. -- Ein schoen'res Loos werd' ihm zu Theil, Umschwebend Dich in trueben Tagen, Soll er, zu Deinem Schutz und Heil, Selbst seiner Seligkeit entsagen." Lossenwerder war ganz geruehrt geworden beim Schluss des Liedes, und die Thraenen standen ihm in den Augen; waehrend sein wirklich haessliches Gesicht durch den Schmerz aber eher einen komischen als ernsten Ausdruck bekam, jubelte die Schaar jetzt um ihn her, die wirklich erst wieder Athem und Laut gewann, als der wundersame Zauber dieser Stimme von ihnen genommen war. "Bravo -- bravo Lossenwerder -- bravo dacapo! Donnerwetter Mann, Ihr habt ja eine Stimme wie eine Nachtigall, und stottert nicht die Probe dabei -- wie am Schnuerchen geht das!" "Es ist erstaunlich!" rief Kellmann, vor lauter Verwunderung ueber das eben Gehoerte wirklich fast sprachlos. "Nun aber auch trinken -- hier Lossenwerder -- hier," riefen sie, ihm das Glas bis zum Rand mit dem schaeumenden Trank fuellend, "und dann noch ein Lied; bei Gott, das zuckt und prickelt Einem ordentlich durch die Adern, und klingt wie Glockenton so rein und voll; Lossenwerder wo habt Ihr das Singen gelernt?" "Vo -- vo -- vo -- vo -- vo -- von mi -- mi -- mir se -- se -- se -- se -- selb -- bber," stotterte der kleine Mann, kaum im Stande jetzt mit immer schwerer werdender Zunge nur die paar Worte vorzubringen, waehrend ihm im Gesang die Strophen wie der Lerche das schmetternde Lied; aus der Kehle wirbelten. "Und da hat bis jetzt noch gar kein Mensch etwas davon erfahren," rief Kellmann wieder -- "behaelt die liebe Gottesgabe da ebenfalls fuer sich allein, kommt nirgends hin, spricht mit Niemand, trinkt und singt mit Niemand, und hat eine Stimme in der Luftroehre sitzen, die Einer, wer es darauf anzulegen verstaende, in reines Gold verwandeln koennte." Von allen Seiten tranken sie jetzt dem kleinen Mann zu, und ueberschuetteten ihn mit Lob und Jubel, und dieser schwamm wirklich in einem wahren Meer von Wonne. So wohl war ihm auch noch nie geworden -- Niemand hatte sich bis jetzt um ihn bekuemmert, Jeder ihn verspottet und verhoehnt, und zum ersten Mal, vielleicht seit langen, langen Jahren, fuehlte er sich unter Menschen einem Menschen gleich, wusste sich nicht mehr verachtet und unter die Fuesse getreten, und sah freundliche Augen um sich her, die ihn wie ihres Gleichen anschauten. Dem loeste sich auch endlich seine Zunge, oder wenigstens sein guter Wille zu reden, so weit, dass er beginnen wollte Geschichten zu erzaehlen. Das ging aber unter keiner Bedingung; beim Singen ja, aber beim Sprechen brachte er kein Wort mehr ueber die Lippen, und selbst das Singen versagte ihm zuletzt den Dienst; die Augenlider wurden ihm schwer, er fing an zu lallen, und war eben zurueck auf seinen Stuhl und dem Schlaf in die Arme gesunken, als die Thuer aufging und zwei Gerichtsdiener in's Zimmer traten. Es war etwa elf Uhr Abends und die meisten Gaeste, mit Ausnahme des einen Tisches, hatten das Haus schon verlassen. "Hallo was ist das?" sagte Herr Kellmann, der die beiden Leute zuerst bemerkte, "das ist wunderlicher Besuch -- es wird doch nicht etwa eine Polizeistunde eingefuehrt in Heilingen?" Aber auch der Wirth war die "Diener der Gerechtigkeit", wie sie meist etwas poetisch genannt werden, gewahr geworden und ging auf sie zu, sich zu erkundigen was sie hierher gefuehrt. "Ein kleiner buckliger Mann soll hier heute Abend bei Ihnen sein," sagte der Erste -- "er ist aus dem Dollingerschen Geschaeft." "Dort sitzt er in der Ecke," sagte der Wirth vom Pechkranz nach Lossenwerder hinueberzeigend, "hat er etwas verbrochen?" "Ich weiss nicht," erwiederte der Zweite ziemlich kurz -- "wir sollen ihn abholen." -- "Wird schwer sein," meinte der Wirth -- "sie haben ihm heute Abend hier ordentlich zugetrunken, und der Wein hat jetzt das Uebergewicht -- wenn er aufsteht kippt er wieder um." "Hm -- da wird wohl auch nicht viel mit Fragen aus ihm herauszubringen sein, Meier; was meinst Du, nehmen wir ihn mit?" "Ich denke das Beste wird sein wir fuehren ihn zu Haus, und Einer bleibt bei ihm bis er morgen frueh wieder zu Verstande kommt; jetzt ist doch Nichts mit ihm anzufangen." "Aber um Gottes Willen was ist denn vorgefallen?" frug Kellmann bestuerzt; "der arme Teufel hat doch nicht etwa irgend 'was verbrochen?" "Noch ist nichts Gewisses bekannt," erwiederte der erste Polizeidiener, "nur bei Dollinger's ist heute Nachmittag eingebrochen, und die Untersuchung muss jetzt erst ergeben, wer schuldig sei." "Bei Dollinger's eingebrochen?" riefen Mehrere, "heute Abend?" "Nein heute am hellen Tag," sagte der Mann. "Alle Wetter das muss dann gewesen sein waehrend sie nach dem rothen Drachen gefahren waren," sagte Kellmann rasch -- "sie kamen an uns vorbei mit dem jungen Henkel." "In der Zeit war's," bestaetigte der Polizeidiener, "denn wie sie zu Hause kamen, wurde es entdeckt -- hier da Lossenwerder -- Sie da -- wachen Sie auf." "Ja wenn Sie den stossen wollen bis er munter wird," lachte Einer der jungen Leute, "da haben Sie Arbeit." "Sie -- Lossenwerder -- hoeren Sie?" "Ja -- ja" -- stammelte der von dem ungewohnten Weine, von dem er eigentlich gar nicht so sehr viel getrunken, Betaeubte -- "me -- me -- me -- mehr We -- we -- wein; ich za -- za -- za -- zahle A -- a -- a -- a -- a -- alles!" "So?" sagte der Polizeidiener ruhig -- "nun fuer heute moecht' es doch wohl genug sein; komm, fass ihn da drueben unter den Arm, er wohnt ja auch nicht so sehr weit von hier -- wo ist sein Hut?" "Hier -- armer Teufel, das wird ein boeses Erwachen werden." "Wie man sich bettet so schlaeft man," sagte der zweite Polizeidiener, und den Betrunkenen in die Hoehe richtend, der dabei unverstaendliche Sachen stammelte und sogar einen total misglueckenden Versuch machte wieder zu singen, fuehrten sie ihn hinaus und seiner Wohnung zu, indess die Gaeste noch das "fuer und wider" der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas Uebles gehoert bei einer anderen Flasche besprachen. Und es _war_ ein boeses Erwachen fuer den Mann; von dem Weindunst betaeubt schlief er, wie ein Todter, bis zum lichten Tag, und als er die Augen aufschlug und ihm der Kopf schmerzte zum Zerspringen, fiel sein erster Blick auf den ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden Polizeidiener, den er einen Moment bestuerzt anstarrte, und dann die Augen wieder schloss, wie vor einem unangenehmen Traumbild. "Nun Lossenwerder, ausgeschlafen?" sagte der Mann aber, froh endlich einmal zu einem Resultat zu kommen -- "das hat lange gedauert -- kommen Sie, stehn Sie auf und ziehn Sie sich an." Die Stimme war _kein_ Traum, und der kleine Mann richtete sich erschreckt von seinem Bett, auf dem er noch mit den Kleidern vom vorigen Abend lag, empor. Wo war er? -- wie war er hierher gekommen? er drueckte sich mit beiden Haenden die Stirn und der klare Angstschweiss brach ihm aus ueber den ganzen Koerper; er _wusste_ nicht mehr was gestern Alles geschehn, und die unheimliche finstere Gestalt vor ihm fuellte sein Herz mit einer wilden Ahnung von Unheil, die alles Blut dorthin in jaehem Strom zuruecktrieb. Wie ein Schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem entdecktem Diebstahl, das Gefuehl, dass der Verdacht auf ihm laste, und die naechste Stunde -- waehrend ein anderer Polizeibeamter bei ihm visitirte und man nichts weiter, als in einem Winkel seines kleinen Schreibtisches, unter dreifachem Schloss, ein Paeckchen mit 200 Thalern in fuenf und zwanzig Thaler Cassenanweisungen, wie noch einige Goldstuecke fand, wie seine Abfuehrung dann nach dem Dollingerschen Hause, da Herr Dollinger gebeten hatte den Mann, an dessen Schuld er nicht glauben wollte, erst einmal an Ort und Stelle selber zu befragen -- lag wie ein Alp auf seiner Seele, unter dessen Last er auch kein Wort zu seiner Verteidigung zu sagen, ja nicht einmal eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten vermochte. In dem Dollingerschen Hause angekommen, wurde er gleich in Herrn Dollinger's Zimmer hinaufgefuehrt, und der alte Herr ging, als Lossenwerder die Stube betrat, mit auf dem Ruecken gekreuzten Haenden in seinem Zimmer auf und ab. Der junge Henkel sass in der einen Ecke des Sophas, das rechte Knie ueber das linke geschlagen, mit einem Buch in der Hand, ueber das hin er aufmerksam den Gefangenen betrachtete. Lossenwerder war bleich wie ein Todter -- jeder Blutstropfen hatte sein Antlitz verlassen, und bei dem Versuch den er zum Reden machte, kam kein Laut ueber seine Lippen. "Lossenwerder," sagte Herr Dollinger endlich, nach einer kleinen Weile vor ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig betrachtend -- "ein boeser Mensch ist gestern, waehrend unserer Abwesenheit, in unser Haus geschlichen und hat, ausser einigen Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir gestern Mittag gebracht und das ich, wie Du weisst, in den Secretair dort schloss. Warst Du waehrend unserer Abwesenheit wieder im Haus und in dem Zimmer meiner Toechter?" "He -- he -- he -- he -- he -- he -- he -- rr Do -- Do -- Do -- Do." "Schon gut Lossenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das Sprechen wird Dir schwer; beschraenke Dich auf ein einfaches ja und nein." "Ja -- a -- !" "In dem Zimmer meiner Toechter?" "J -- a -- a -- a aber -- i -- i -- i -- i -- ich wo -- wo -- wollte" -- "Sie haben einen Blumentopf dort hineingesetzt?" sagte Herr Henkel jetzt ruhig. Das Blut stieg dem kleinen Mann rasch bis in die Schlaefe hinauf, aber der naechste Moment liess sein Antlitz wieder so weiss als vorher; er nickte nur, zur Betaetigung des eben Gesagten, mit dem Kopf. "Lossenwerder," sagte der Herr Dollinger mit leiser, bewegter Stimme und dicht zu dem kleinen Mann hinantretend, wobei er die Hand auf dessen Schulter legte, "Lossenwerder, noch gestern wuerde ich eben so leicht geglaubt haben, dass eines von meinen eigenen Kindern eines schlechten, unrechtlichen Streiches faehig waere, bis mich leider die immer deutlicher sprechenden Thatsachen in meinem Glauben an Dich _wankend_ gemacht haben." "He -- he -- he -- he -- he -- herr Do -- Do -- Do -- Do -- -- Dollinger" -- "Ich will Dir klar und einfach unseren ganzen Verdacht vorlegen," sagte da der alte Herr, dem Angeklagten jedes unnuetze Wort zu ersparen -- "gestern, waehrend unserer Abwesenheit, ist der Secretair meiner Toechter erbrochen und das Dir bekannte Geld entwendet worden -- drueben ueber der Strasse hat Dich ein Maedchen gesehn, wie Du heimlich aus dem Hause geschlichen bist. Ebenso bestaetigt Wilhelm, der Stalljunge, Dich gesehn zu haben, wie Du haettest das Haus durch die nach dem Hofe zu fuehrende Thuer verlassen wollen, bei seinem Anblick aber, was selbst dem Jungen aufgefallen ist, zurueckgefahren, und dann auch nicht ueber den Hof gekommen waerst. Das Stubenmaedchen, die keine Ahnung davon haben konnte dass Geld in dem Secretair lag, ist bereit den schwersten Eid abzulegen, dass sie, wenige Minuten spaeter, nachdem man Dich hatte aus dem Hause schleichen sehen, die Vorsaalthuer nicht mehr aus den Augen gelassen, und gewiss waere, dass Niemand die Schwelle mehr ueberschritten habe, bis sie den zurueckkehrenden Wagen in den Hof einfahren gehoert. Heimlich bist Du im Haus gerade in der Zeit, in welcher das Geld entwendet wurde, gewesen, und die gestrige Ausschweifung, die man an Dir nicht gewoehnt ist, wie die bei Dir gefundene Summe, lassen allerdings das Schlimmste fuerchten. Lossenwerder -- ich brauche Dir nicht zu sagen, wie weh -- wie weh mir das gerade von _Dir_ thut, und ich wollte die doppelte Summe, so bedeutend sie ist, gern verschmerzen, wenn es _nicht_ geschehen waere. Mache aber jetzt Deinen Fehler, wenigstens so weit das noch in Deinen Kraeften steht, wieder gut; gestehe was Du mit dem uebrigen Gelde gemacht, wo Du es verborgen hast, und ich selber will dann auch Alles thun was in meinen Kraeften steht, Deine Strafe zu erleichtern. Ein anderer Welttheil mag Dir nachher in spaeterer Zeit Gelegenheit geben Deinen Fehltritt zu bereuen, und das wieder zu werden, fuer was ich Dich, selbst bis diesen Morgen noch, gehalten habe." Lossenwerder hatte waehrend dieser Auseinandersetzung wie aus Stein gehauen vor seinem Prinzipale gestanden, nur das Zittern seiner Glieder verrieth dass er lebe; jetzt aber brach er in die Knie, und zum ersten Mal vielleicht mit dem vollen Bewusstsein der gegen ihn erhobenen Anklage -- oder auch von Schuld und Angst zu Boden gedrueckt, denn wer konnte in den stieren, ueberdies nicht geraden Augen und in den todtenbleichen, mit grossen Schweissperlen bedeckten Zuegen das richtige lesen -- umfasste er die Knie des alten Herrn und bat mit wild stotternder Stimme, aus der dieser nur mit aeusserster Anstrengung einen Sinn herausfinden musste -- ihn nicht ungluecklich zu machen -- Nichts so Schreckliches von ihm zu denken. "Ein aufrichtiges Gestaendniss, Lossenwerder," entgegnete darauf Herr Dollinger, "ist das Einzige, was Deine Schuld jetzt noch in etwas erleichtern kann. Das Gericht wird einen unbewachten Augenblick, dem die Reue auf dem Fusse folgt, nicht so schwer strafen, wie den hartnaeckigen Uebelthaeter. "A -- a -- a -- a -- a -- aber ich bi -- bi -- bin ni -- ni -- ni -- nicht schu -- schu -- schu -- schuldig," -- stotterte der Unglueckliche -- "ich we -- we -- we -- we -- weiss vo -- vo -- vo -- von Ni -- ni -- ni -- nichts -- " "Du weisst von Nichts, Lossenwerder?" sagte Herr Dollinger leise mit dem Kopf schuettelnd -- "und woher ist das Geld das man bei Dir gefunden, woher die Fuenfundzwanzig Thaler-Note, die Du locker in der Tasche getragen, und die Dir der Polizeidiener gestern Abend noch herausgenommen hat?" "Ge -- spa -- pa -- pa -- pa -- partes Geld -- e -- e -- e -- e -- e -- ehrlich ge -- ge -- gespartes G -- g -- g -- geld!" stammelte der arme Teufel. Herr Henkel stand jetzt auf und ging langsam auf Herr Dollinger zu, dem er ein paar Worte in's Ohr fluesterte und dann, waehrend dieser leise und traurig mit dem Kopf nickte, das Zimmer verliess. Lossenwerder aber, der ihm aengstlich mit den Augen folgte und vielleicht in einer unbestimmten Ahnung fuehlte dass man ihn fortfuehren -- in ein Gefaengniss bringen werde, ergriff wieder und jetzt aber wie in Todesangst des alten Mannes Hand, und bat ihn um Gottes -- um seiner Seligkeit willen, soweit es ihm die, jetzt in der Aufregung nur noch mehr fehlende Sprache immer gestattete, dass er ihm nur das nicht anthun -- dass er ihn in kein Gefaengniss moege fuehren lassen. Herr Dollinger erklaerte aber natuerlich darin Nichts thun zu koennen, denn wenn er Nichts gestehen wolle oder zu gestehen habe, so muesse allerdings das Gericht, bei so stark vorliegendem Verdacht, die Untersuchung aufnehmen, wonach sich bald seine Schuld oder Unschuld herausstellen wuerde. "Hab' ich aber einmal erst auf solchen Verdacht gesessen," stotterte der Unglueckliche, "so bin ich gebrandmarkt mein Lebelang" -- Herr Dollinger zuckte die Achseln, und die Thuer oeffnete sich in diesem Augenblick, den einen Polizeidiener zeigend, der Lossenwerder leise auf die Achsel klopfte und freundlich sagte: "Wenn's gefaellig waere." Lossenwerder zuckte zusammen als ob er einen Schlag bekommen, und wandte sich noch einmal, wie Huelfe suchend, an Herrn Dollinger, aber ein Blick auf diesen ueberzeugte ihn, dass er schon nicht mehr helfen koenne, wo das Gericht die Sache in die Hand genommen, und sein Gesicht in den Haenden bergend, folgte er dem Gerichtsdiener fast willenlos hinaus. Gerade als er durch die Thuer schritt begegnete ihm, noch auf der Schwelle, Frau Dollinger, und rasch bei Seite tretend, als ob sie selbst durch seine Beruehrung angesteckt zu werden fuerchte, warf sie ihm einen zornigen, veraechtlichen Blick zu und ging an ihm vorueber. Lossenwerder seufzte tief auf, sagte aber kein Wort, denn wie er den Kopf hob, sah er am andern Ende des Vorsaals Clara mit dem jungen Henkel in eifrigem Gespraech, und auch dort musste er vorbei. Das war zu viel und wie unschluessig blieb er stehn und sah sich um, als ob er einen Weg zur Flucht suche. "Na kommen Sie, Lossenwerder, machen Sie keine Dummheiten," sagte aber, ihm ermunternd auf die Schulter klopfend, der Polizeidiener -- "es ist Alles ein Uebergang, wie der Fuchs sagte, als sie ihm das Fell ueber die Ohren zogen." Lossenwerder nahm sich zusammen und schritt festen Trittes an dem jungen Maedchen vorueber, das ihn mitleidig betrachtete. "Etwas ueber zweihundert Thaler hat man schon bei ihm gefunden," fluesterte der junge Henkel ihr leise zu -- "ich hoffe dass Vater Dollinger das andere auch noch wieder bekommen soll." "Ach Lossenwerder, warum habt Ihr das gethan?" sagte Clara, leise und mitleidig den Gefangenen ansehend, als er an ihr vorueberging. "U -- u -- u -- und Si -- si -- si -- si -- sie g -- g -- g -- glau -- ben d -- d -- das a -- a -- a -- a -- auch?" rief Lossenwerder und die grossen hellen Thraenen standen ihm dabei in den Augen, aber der Polizeidiener hatte sich schon laenger mit ihm aufgehalten, als er meinte verantworten zu duerfen, nahm ihn leise an der Hand und fuehrte ihn die Treppe hinunter. Lossenwerder folgte ihm wie in einem Traum. Das Polizeigebaeude war nur hoechstens fuenfhundert Schritt von dort entfernt, und stand an der andern Seite einer kleinen steinernen Bruecke die ueber den, mitten durch die Stadt und haeufig ueberbrueckten kleinen Fluss fuehrte. Als sie hinunter auf die Strasse kamen, liess der Polizeidiener seinen Gefangenen los, kein Aufsehn zu erregen, und fluesterte ihm zu nur ruhig neben ihm hinzugehn. Lossenwerder verstand ihn wohl gar nicht, denn er sah verstoert zu ihm auf, und dann um sich her, und fand die Augen der Voruebergehenden alle neugierig auf sich geheftet; sich aber doch, wenn auch nur dunkel, des Zwanges bewusst der auf ihm lag, nahm er sein Taschentuch heraus, trocknete sich die feuchte Stirn damit ab, und ging mit krampfhaft zusammenengebissenen Zaehnen neben seinem Waechter her. So erreichten sie die Bruecke, wo vier oder fuenf Jungen standen, die neugierig die Ankommenden betrachteten; Lossenwerder's Blick schweifte ueber sie hin, aber er sah sie nicht, bis er dicht bei ihnen war und einer derselben spottend rief: "Hoho, hoho -- Stotterberg hat gestohlen, Stotterberg hat gestohlen!" Die Anderen stimmten lachend mit in den Ruf ein, und der Polizeidiener drehte sich aergerlich und drohend gegen die Buben um, die scheu auseinander stoben; Lossenwerder aber fuhr sich mit beiden Haenden krampfhaft gegen die Stirn -- "hat gestohlen!" schrie er dabei, ohne zu stottern, mit gellendem wilden Schrei, und ehe sein Waechter es verhindern konnte, ja nur eine Ahnung davon hatte, warf er sich mit einem verzweifelten Sprung, ueber die niedere Ballustrade hin in den unten vorbeilaufenden Strom. Noch ueber dem Gelaender erfasste ihn der Polizeidiener an einem Rockzipfel, das Gewicht des niederfallenden Koerpers war aber zu gross, als dass er es mit einer Hand haette aufhalten koennen, ja er musste sogar loslassen, nicht selber das Gleichgewicht zu verlieren, und der Unglueckliche schlug gleich darauf auf das Wasser, unter dessen Oberflaeche er im naechsten Augenblick verschwand. Der Fluss war indess hier weder breit noch tief, und auf der ziemlich belebten Strasse fanden sich gleich mehre Leute, die unterhalb der Bruecke in's Wasser sprangen, das ihnen etwa bis unter die Arme reichte, den niedertreibenden Koerper aufzufangen. Sie hatten ihn auch bald erreicht und gefasst, und von kraeftigen Armen wurde derselbe an die Oberflaeche gehoben und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser selber noch nichts geschadet hatte, war der Unglueckliche doch durch den Sturz, in dem er wahrscheinlich durch das Zurueckhalten seines Rockes gegen einen der Brueckenpfeiler geworfen worden, schwer am Kopf verletzt -- die Wunde blutete stark, und die Maenner trugen den Bewusstlosen zuerst auf die Polizei, und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen Arztes, in die Charite. Capitel 5. DIE AUSWANDERUNGS-AGENTUR. Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen, auf diesen auslaufenden Gaesschens, stand ein ziemlich grosses, gruen gemaltes und gewiss sehr altes Erkerhaus, dessen Giebel und Stuetzbalken geschnitzt, und mit wunderlichen Koepfen und Gesichtern verziert, und braun angestrichen waren, und sich so weit dabei nach vorn ueberneigten, dass es ordentlich aussah, als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen Dach naechstens einmal ohne weitere Meldung nach vorn ueber, und gerade mitten zwischen die Toepfer und Fleischer hineinspringen wuerde, die an Markttagen dort unten ihre Waare feil hielten. Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter das Dach hinauf bewohnt, und der untere Theil desselben ganz besonders zu kleinen Waarenstaenden und Laeden benutzt. Die Ecke desselben nun, hatte seit langen Jahren ein Kaufmann oder Kraemer in Besitz, der sich zu seinen Materialwaaren, Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Gruetze &c. auch noch in der letzten Zeit die Agentur mehrer Bremer und Hamburger Schiffsmakler zu verschaffen gewusst, und damit bald in einer Zeit, wo die Auswanderungslust so ueberhand nahm, solch brillante Geschaefte machte, dass er die Materialwaarenhandlung seiner Frau, wie seinem aeltesten Sohn uebertrug, und fuer sich selber nur ein kleines Stuebchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus, behielt, ueber dessen Thuere ein riesiges, sehr buntgemaltes Schild jetzt prangte. Dies Schild verdient uebrigens mit einigen Worten beschrieben zu werden, da die Heilinger in den ersten Tagen -- als es eben erst aufgehangen worden -- in wirklichen Schaaren davor stehen blieben und es anstaunten. Es war ein breites, laenglich viereckiges Gemaelde, ein grosses, dreimastiges Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen Segeln der fremden, ersehnten Kueste naeherte. Die See selber war hellgruen gemalt, mit einer Unmasse von sichtbar darin herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas besorgt um die Sicherheit des Fahrzeugs selber machen konnten. Dessen wackerer Kiel schaeumte aber mitten hindurch, und der, dem Anschein nach vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas laenglich auslaufende Rumpf, presste eine grosse gruen und weiss gestreifte Welle vorne auf, die sich wie eine breite Falte quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast ein wenig zu sackartig, und nur an den vier Zipfeln festgehalten, stramm und steif von den Raaen ab, und die langen blutrothen Wimpel mit roth und weisser Bremer Flagge hinten an der Gaffel, stroemten und flatterten lustig nach hinten aus, wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch das Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst diesen ueberfluegelte. Ueber Deck war aber auch die Mannschaft, und Kopf an Kopf eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar, mit sehr dicken rothen Gesichtern, die Gesundheit an Bord des Schiffes bestaetigend, und mit sehr hellgelben und sehr breitraendigen, rothbebaenderten Strohhueten auf, waehrend hinten auf Deck der Capitain des Schiffes mit einem dreieckigen Hut, wie einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der andern Hand stand. Was der Maler mit dem Dreizack andeuten wollte weiss nur er und Gott; er muesste denn gemeint haben dass der Capitain, wie frueher Neptun, das Meer beherrsche. Uebrigens war es auch moeglich dass er fischen wolle, und sich mit dem Fernrohr nur eben den staerksten und fettesten der ihn reichlich umschwimmenden Fische ausgesucht habe. Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestuecks bildete ein schmaler Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Kueste, an der eine Anzahl pechschwarzer, nackter Maenner standen, die nur einen gelb und blauen Schurz um die Huefte und einen gruenen Busch in der Hand trugen. -- Diese sahen uebrigens gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon sehnsuechtig und vielleicht sehr lange Zeit erhofft haetten, und nun die Zeit nicht erwarten koennten dass die Fremden an Land stiegen, damit sie geschwind fuer sie arbeiten, und ihnen den Boden urbar machen duerften. Neben dem Bild, und zu beiden Seiten der Thuer, wie sogar noch an dem innern Theile des Fensterschalters, hingen lange Listen der verschiedenen anzupreisenden Plaetze fuer Auswanderung. Obenan New-York, Philadelphia und Boston, dann Quebeck und New-Orleans, Galveston; in Brasilien, Rio de Janeiro und Rio Grande; in Australien Adelaide, dann Chile, Valdivia und Valparaiso, und Buenos Ayres mit einer Menge neu entdeckter verschiedener Kolonien und Ansiedlungen, wohin ueberall die besten kupferfesten Schiffe A¹, in unglaublich kurzer Zeit und mit Allem versehen ausliefen, was dem gluecklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes nur in der That zu einer Vergnuegungsfahrt machen muesse und wuerde. Weigel, wie der Eigentuemer dieser "auslaendischen Versorgungsanstalt" (ein Spottname den die Heilinger der Weigelschen Agentur gaben) hiess, war ein dicker, vollgenaehrt und bluehend aussehender Mann, ungefaehr sechs bis achtunddreissig Jahr alt, mit ein wenig fest umgeschnuerter Cravatte, was seinen Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug von Grau in den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die Augen waren gross, blau und ziemlich ausdruckslos; ein fast mitleidiges Laecheln aber, das oft, und besonders dann wenn er irgend Jemandes Meinung bestritt, um seine Mundwinkel spielte, gab dem Ausdruck seiner Zuege jene scheinbare Ueberlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen oft ueber Andere, wenn mann es ihnen gestattet, anzumassen wissen. Ganz vorzueglich wusste er diese Miene anzunehmen, wenn er ueber Amerika, oder irgend einen ueberseeischen Fleck Landes sprach, ueber dem fuer ihn ein gewisser heiliger und unantastbarer Zauber schwamm, und Jemand dann irgend einen Zweifel gegen das Gesagte zu hegen wagte. Er schwaermte besonders fuer Amerika, und es gab deshalb auch, seiner Aussage nach, keinen groesseren Luegner in der Stadt, als den Redacteur des Tageblatts, den Advokaten und Doctor Hayde in Heilingen. Dieser und er waren denn auch, wie das sich leicht denken laesst, grimme und erbitterte Feinde und Gegner, woselbst sich nur irgend eine Gelegenheit dazu fand. Weigel bekam, wie das gewoehnlich bei den Agenturen der Schiffsbefoerderung ueblich und der Fall ist, fuer jede Person die er einem Bremer oder Hamburger Rheder sicher an Bord lieferte, einen Thaler, kurzweg genannt "fuer den Kopf" und er theilte deshalb die Leute -- seine Mitbuerger sowohl wie saemmtliche uebrige Bewohner Deutschland's, in solche ein "die Energie hatten," d. h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen "Platz nach Amerika" besorgen liessen, wo sie nachher drueben selber sehn konnten wie sie fertig wurden, und in solche, die "im alten Schlendrian hinkrochen, und hier lieber verfaulten, ehe sie einen maennlichen entscheidenden Schritt thaten, ihrer Existenz auf die Beine zu helfen." Jeder der hier blieb betrog ihn aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm in ehrlichem Verdienst zustehenden Thaler, und es verstand sich von selbst, dass er vor einem solchen Menschen keine Achtung haben konnte. Er selber kannte die Verhaeltnisse Amerika's nur aus Buechern die das Land lobten, denn andere las er gar nicht, und bekam er sie einmal zufaellig in die Hand, so warf er sie auch gewiss mit einem Kernfluch ueber den "nichtswuerdigen Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Luegen zusammengeschmiert" in die Ecke. Sein groesster Aerger war aber jedenfalls -- und so regelmaessig wie die Uhr Morgens acht schlug -- das Tageblatt, das er der haeufigen Annoncen wegen halten _musste_, und das ebenso regelmaessig kleine gehaessige und schmutzige Artikel gegen Amerika wie ueberhaupt gegen Alles brachte, was sich frei und selbststaendig bewegte. Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen den "kleinen erbaermlichen Doctor" zu pruegeln, und sehr vielen Leuten wuerde er dadurch ein grosses Vergnuegen bereitet haben; aber er unterliess es doch jedesmal auch wieder, wenn sich ihm gleich oft genug die Gelegenheit dazu bot; Beide mussten jedenfalls schon einmal frueher etwas mit einander gehabt haben, vielleicht mehr von einander wissen als Beiden zutraeglich war, und ein solcher Bruch waere da nicht raethlich gewesen. Sonst lebte Weigel still, und anscheinend als ein vollkommen guter und achtbarer Buerger, vor sich hin, aber im Stillen wirkte und wuehlte er seinem Ziel entgegen, und richtete in der That viel Unheil an. Seine Beschreibungen Amerika's, die er sich selber in kleinen Brochueren aus anderen Buechern zusammentrug, und um ein Billiges verkaufte, waren ein langsames Gift, das er in manche friedliche und glueckliche Familie warf, ein Saatkorn das dort wucherte und Wurzel schlug, und waehrend es die Leser anreizte nur gleich ohne weiteres ihr Buendel zu schnueren und jenen herrlichen Laenderstrichen zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem murmelnden Bache gleichen wuerde, der zwischen Blumen dahin fliesst, fuellte er ihre Koepfe mit falschen Ideen und Begriffen von dem Land, das ihre neue Heimath werden sollte, und machte viele, viele Menschen ungluecklich. In der neuen Heimath dann angekommen, die ihnen, mit maessigen Anspruechen, wirklich Manches geboten haben wuerde was ihre Lage, im Vergleich mit dem alten Vaterland gebessert haben koennte, fanden sie sich jetzt ploetzlich in all den wilden extravaganten Ideen, die sie durch solche Lectuere eingesogen, enttaeuscht, fanden die Hoffnungen nicht realisirt, die man ihnen gemacht, hielten sich fuer schlecht behandelt und ungluecklich, und verfielen nun oft in das Extrem trostloser und eben so unbegruendeter Verzweiflung, wobei sie den Mann verwuenschten, der sie hierverlockt, und sie verleitet hatte, Heimath und eigenen Heerd zu verlassen, einem Phantom zu folgen. Weigel aber hatte seinen Thaler fuer den richtig abgelieferten "Kopf" bekommen, und dachte schon gar nicht mehr an die frueher Befoerderten, die seiner Meinung nach jetzt in einem Meer von Behagen schwammen und "unter Palmen wandelten." Herr Weigel war allein in seinem kleinen Bureau, einem niederen, etwas dumpfen und nicht ueberhellen Stuebchen, dessen eines breites Fenster mit durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen Gardinen verziert war, waehrend die Waende durch Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und Gasthaeusern, Plaenen von neuangelegten Staedten oder zu verkaufenden Farmen fast voellig bedeckt hingen. Er sass an einem hohen, ziemlich breiten Pult, das einen maechtigen Kamm von Gefachen und Schiebladen trug und las, mit einer Tasse Kaffee neben sich, eben seinen taeglichen Aerger, das Tageblatt, als es an die Thuer klopfte, und auf sein lautes "Herein" ein junger, sehr anstaendig, aber trotzdem etwas aermlich gekleideter Mann das Zimmer betrat. "Herr Weigel?" sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung. "Bitte -- ja wohl," sagte Herr Weigel, seine Brille rasch in die Hoehe schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend, seinen Besuch besser in's Auge zu fassen -- "womit kann ich Ihnen dienen?" "Sie befoerdern Passagiere nach Amerika?" "Nach Amerika? -- denke so, hehehe," lachte Herr Weigel, sich vergnuegt die Haend reibend, "habe schon ganze Colonien hinueber geschafft, Maenner und Frauen, Weiber und Kinder; sitzen jetzt drueben in der Wolle und schreiben einen Brief ueber den andern an mich, wie gut es ihnen geht -- da nur den einen hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen habe -- der Mann ist blos mit zwei tausend Dollarn hinuebergegangen und hat schon eine eigene Farm, achtzig Acker Land, vierundzwanzig Stueck Rindvieh, einige sechzig Schweine, fuenf Pferde und will jetzt eine Schaeferei anlegen -- schreibt an mich ich soll ihm einen Schaefer hinueber schicken, aber einen der die Sache aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein paar Dollar Lohn nicht dabei an -- bitte lesen Sie einmal den Brief." "Sie sind sehr freundlich Herr Weigel," sagte der junge Fremde mit einem verlegenen wie schmerzhaften Zug um den Mund -- "aber der Brief wuerde gerade nicht massgebend fuer mich sein, da ich mich gegenwaertig nicht in den Verhaeltnissen befinde, gleich einen Platz zu _kaufen_. Sind die Passagierpreise jetzt theuer?" "Theuer? spottbillig," lachte Herr Weigel, den Brief offen wieder zurueck auf sein Pult, und seine Brille darauf legend, ihn zu weiterem Gebrauch bereit zu haben; "spottbillig sag' ich Ihnen, man koennte wahrhaftig auf dem festen Land nicht einmal dafuer leben -- _so_ nicht; und unter uns -- ich weiss wahrhaftig nicht wie die Leute dabei auskommen, aber es muss eben die rasende _Menge_ von Passagieren machen, die sie jetzt woechentlich, ja fast taeglich hinueber spediren. Es ist fabelhaft was jetzt fuer Menschen auswandern; auf einmal werden sie Alle gescheidt, und merken endlich was sie hier haben, und was sie dort erwartet -- ist doch ein famoses Land, das Amerika." Und wie viel betraegt die Passage nach dem _naechsten_ Hafen der Vereinigten Staaten, wenn ich fragen darf, fuer -- fuer eine erwachsene Person und ein Kind?" "_Naechsten_ Hafen? -- hehehe, fuerchten sich wohl vor der Seekrankheit? lieber Gott, daran gewoehnt man sich bald; ist auch gar nicht so arg wie's eigentlich gemacht wird. Der Mensch, der Doctor Hayde hier im Tageblatt, hat neulich einen Artikel ueber die Seekrankheit gebracht den er wahrscheinlich auch selber geschrieben, und wonach Einem gleich ach und weh zu Muthe werden muesste; der ist aber nur dazu bezweckt den Leuten das Auswandern zu verleiden. Sie moechten sie gern hier behalten, damit sie sie nur recht ordentlich plagen und schinden koennen, weiter Nichts; davor braucht sich kein Mensch zu fuerchten." "Sie wollten mir aber den _Preis_ der Passage nennen." "Den Preis? -- ja so -- warten Sie einmal" -- sein Blick fiel auf die Glacehandschuhe und die schneeweisse Waesche des Fremden, dessen etwas abgetragene Kleider er in dem halbdunklen Raum nicht so leicht erkennen konnte, oder auch uebersah -- "der Preis -- Dampfschiff oder Segelschiff?" "Segelschiff." "Segelschiff -- wird -- sein -- Preis in erster Cajuete vier und achtzig Thaler Gold." "Und die -- die billigeren Plaetze?" "Billigeren Plaetze -- zweite Cajuete oder Steerage fuenfundsechzig Thaler Gold -- " "Und Zwischendeck?" sagte der Fremde leise und verlegen. "Zwischendeck wuerde ich Ihnen nicht rathen," meinte Herr Weigel, seine Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend; "besonders wenn man eine Frau und ein Kind bei sich hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man nie Zwischendeck gehn, man ruinirt sich's und den Seinigen an der Gesundheit herunter, was die paar Thaler mehr kosten." "Aber Sie koennen mir wohl den Preis des Zwischendecks sagen?" "Ja wohl, mit dem groessten Vergnuegen -- Zwischendeck nach New-York kostet -- warten Sie einmal, ich habe ja hier die letzten Briefe von meinen Haeusern. Zwischendeck nach New-York kostet vierundvierzig Thaler Gold." "Vierundvierzig Thaler?" "Ja es ist seit ein paar Tagen erst wieder um vier Thaler aufgeschlagen, weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen koennen fuer die Auswanderer. Ist fabelhaft was besonders dieses Jahr fuer Leute uebersiedeln. Soll ich Sie vielleicht einschreiben? es trifft sich jetzt gerade gluecklich, denn am 15ten geht ein ganz vortreffliches Schiff ab, die _Diana_, Dreimaster, gut gekupfert, mit allen nur moeglichen Bequemlichkeiten versehn und einem Capitain, ich sage Ihnen ein wahrer Schentelmann, wie er sich gerade nicht immer auf den Schiffen findet." "Ich danke Ihnen fuer jetzt noch bestens, lieber Herr Weigel," sagte der junge Mann -- "ich muss doch nun erst mit meiner Frau Ruecksprache ueber diess nehmen, denn erst seit gestern ist mir die Idee ueberhaupt gekommen auszuwandern; aber -- noch eine Bitte haette ich an Sie," und er drehte dabei den Hut den er in der Hand hielt, fast wie verlegen zwischen den Fingern -- " "Ja? womit koennte ich Ihnen dienen?" frug Herr Weigel. "Koennten Sie mir wohl sagen, ob die Capitaine der Segelschiffe -- ich habe einmal irgendwo gelesen dass das manchmal geschaehe -- auch Leute -- Passagiere mitnaehmen, die unterwegs ihre Passage -- abarbeiten duerften und also -- auch keine Ueberfahrt zu bezahlen brauchten?" "Keine Passage zahlen?" sagte Herr Weigel, die Lippen vordrueckend und die Augenbrauen in die Hoehe ziehend, waehrend er langsam und halb laechelnd mit dem Kopfe schuettelte -- "keine Passage bezahlen? -- ne lieber Herr -- ja so wie heissen Sie denn gleich -- " "Eltrich," sagte der junge Mann etwas zoegernd -- "So? -- ne mein lieber Herr Eltrich, davon steht Nichts in unseren Verzeichnissen und Contracten; im Gegentheil, _da_ kommen wir zusammen; das ist der Hauptpunkt, der Nervum Rehrum, der die ganze Geschichte eigentlich zusammenhaelt, Amerika und Europa und die umliegenden Dorfschaften, heh, heh, heh." "Aber wenn nun irgend ein armer Teufel," fuhr der Fremde etwas lauter, fast wie aengstlich fort -- "irgend ein armer Teufel sein ganzes Hoffen eben auf eine Reise nach Amerika gesetzt haette, und bestimmt wuesste dass er dort, wenn auch nicht gerade sein Glueck machen, doch sein Auskommen finden wuerde? -- " "Nun dann soll er gehn -- um Gottes Willen gehn, und am 15ten dieses wird wieder das neue, kupferfeste -- ja so, aber er muss bezahlen," unterbrach er sich rasch als ihm einfiel von was sie vor erst wenigen Secunden gesprochen, "er muss bezahlen, sonst nimmt ihn kein Capitain der Welt mit ueber See." "Und Sie glauben nicht dass da jemals eine Ausnahme stattfinden duerfte?" sagte Herr Eltrich -- "es werden doch Leute auf See gebraucht zu den nothwendigsten sowohl, wie den geringeren Arbeiten, und die Capitaine muessen gewiss dafuer _bezahlen_. Wenn sich also nun Jemand erboete alle diese Verrichtungen ganz _umsonst_, nur um Passage und die einfachste Matrosenkost zu machen, sollte das nicht moeglich sein zu erlangen?" "Lieber Herr," sagte der Herr Weigel, dem es jetzt so vorkommen mochte als ob er mit dem Fremden da kein besonders grosses Geschaeft machen wuerde, und der anfing ungeduldig zu werden, "zu den Arbeiten an Bord eines Schiffes werden _Matrosen_ gebraucht, und wer kein Matrose ist, kann die auch nicht verrichten. Das ist keine kleine Kunst, lieber Herr Schelbig, in den Tauen den ganzen Tag herumzuklettern und zwischen den Segeln, wenn das Schiff bald so herueberschlenkert und bald so" -- und er begleitete dabei seine Erklaerung mit einer entsprechenden Bewegung der vor sich gerade aufgehaltenen Hand -- "da muessen die Leute fest stehen koennen wie die Mauern, sonst kann man sie nicht gebrauchen." "Aber glauben Sie nicht, wenn man einmal an einen Capitain schriebe, ob er sich doch nicht am Ende bewegen liess; oder" -- setzte er rasch hinzu, wie von einem ploetzlichen Gedanken ergriffen, "wenn man sich nun verbindlich machte die Passage nach einer bestimmten Zeit in Amerika nachzuzahlen -- sie dort abzuverdienen?" "Ja da koennte Jeder kommen," sagte Herr Weigel kopfschuettelnd, "wenn die Leute erst einmal drueben sind, thun sie was sie wollen. Das ist ein freies Land da drueben, Herr Wellrich, und da koennte man nachher jedem Einzelnen nachlaufen, und sehen dass man sein Geld wieder kriegte. Ne, damit ist's faul, und ich nun einmal vor allen Dingen, moechte mich nicht auf solch eine Quaengelei einlassen; daran hat man keine Freude, und das ist auch kein rundes Geschaeft." "Es ist nur ein armer Verwandter, der sich auf solche Weise gern forthelfen wuerde," sagte Herr Eltrich erroethend -- "er ist sehr fleissig und wuerde arbeiten wie ein Sclave, die Zeit ueber." "Ja das glaub' ich," meinte Herr Weigel gleichgueltig -- "versprechen thun die Art Herren gewoehnlich Alles was man von ihnen haben will." "Koennten Sie mir denn vielleicht die Adresse irgend eines Schiffes oder Rheders geben, der bald ein Schiff hinueberschickt," sagte der junge Fremde, sich schon wieder zum Gehen ruestend -- "wenn ich vielleicht selber einmal dorthin schriebe, um Sie nicht weiter mit der Sache zu belaestigen." "Ja, schreiben koennen Sie," sagte Herr Weigel, "hehehe; aber Sie werden keine Antwort bekommen; darauf koennen Sie sich verlassen. Die Leute da haben mehr zu thun, als sich eines Passagiers wegen, fuer den sie noch umsonst die Kost hergeben muessten, in eine Correspondenz einzulassen; kann ich ihnen auch gar nicht so sehr verdenken." "Und die Adresse?" "Die Adresse? -- da, hier liegt die neueste Auswanderer-Zeitung; wenn Sie wollen, koennen Sie sich da ein oder zwei Adressen herausschreiben. Da hinten, auf der letzten Seite stehen sie." Herr Weigel sah nach der Uhr, drehte sich wieder auf seinem Drehstuhl, der beim Aufschrauben etwas quietschte, herum, schob das Tageblatt zur Seite und rueckte sich einen Bogen Papier zurecht, als ob er irgend einen nothwendigen Brief zu schreiben haette. Wieder klopfte es da an die Thuer, und diessmal, ohne ein ermunterndes "Herein" zu erwarten, oeffnete sie sich, und drei Bauern, denen die grossen silbernen Knoepfe auf Weste und Rock und das feine Tuch der letzteren, die jedoch ganz nach ihrem alten baeurischen Schnitt gemacht waren, etwas ungemein solides gaben, traten, die Huete erst unter der Thuer und schon im Zimmer abziehend, herein, und gruessten die beiden Leute die sie hier beisammen fanden, mit einem herzlichen "Guten Morgen miteinander." Das waren die Leute die Herr Weigel gern kommen sah, die wussten wesshalb sie die eine Hand immer in der Tasche trugen, denn sie hatten dort etwas zu verlieren, und waren nicht selten dabei die Vorboten eines groessern Trupps, oft einer ganzen "Schiffsladung voll" die aus ein und derselben Gegend auswandern wollte, und ein paar der Angesehensten indess vorausgeschickt hatte, Platz fuer sie zu bestellen. Wie der Blitz war er denn auch von seinem Stuhle herunter, schuettelte ihnen nacheinander die Hand, und frug sie wie es ihnen ginge und was sie hier zu ihm gefuehrt. "Seid Ihr der Mensch der die Leute nach Amerika schickt?" sagte da der Eine von ihnen, eine breitkraeftige, sonngebraeunte Gestalt mit vollkommen lichtblonden Haaren und Augenbrauen, aber dabei gutmuethigen vollen und frischen Zuegen, dem das Ganze uebrigens etwas fremd und unheimlich vorkommen mochte, denn er warf den Blick waehrend er sprach wie scheu von einer der Schiffszeichnungen zur anderen, und schien sich ordentlich dazu zwingen zu muessen das zu sagen, was er eben hier zu sagen hatte. "Nun nach Amerika _schicken_ thu' ich sie gerade nicht," laechelte Herr Weigel, die Anderen dabei ansehend, und etwas verlegen ueber die vielleicht ein wenig plumpe Anrede. "Nicht?" sagte der Bauer rasch und erstaunt -- "aber hier haengen doch all die vielen Schiffe." "Nun ja, ich besorge den Leuten Schiffsgelegenheit die hinueber _wollen_," sagte Herr Weigel, jetzt geradezu herauslachend, weil er glaubte dass sich der Mann mit ihm einen Scherz gemacht, auf den er natuerlich einzugehen wuenschte." "Ja aber wir _wollen_ eigentlich noch nicht hinueber," sagte der zweite von den Bauern, seinen Hut auf seinen langen Stock stellend, und sich dabei verlegen hinter den Ohren kratzend -- "wir wollten uns nur erst einmal hier erkundigen ob denn das auch wirklich da drueben so ist, wie es jetzt immer in den Auswanderungszeitungen steht, und ob man blos hinueberzugehn und zuzulangen braucht, wenn man eine gut eingerichtete Farm mit ein paar hundert Morgen Land haben will." "Ja wenn man Geld hat," lachte Herr Weigel. "I nu -- Geld haetten wir," sagte der Bauer, und sah seine Nachbarn an. "Ich bin Ihnen sehr dankbar," unterbrach den Sprecher hier der junge Mann, der indessen die Zeitung nachgesehn, und sich Einzelnes daraus notirt hatte. "Bitte," sagte Herr Weigel, und nahm ihm das Blatt, ohne sich weiter um ihn zu bekuemmern, aus der Hand, und wandte sich wieder zu den Bauern, als der junge Fremde sich mit einem artigen: "Guten Morgen meine Herren" empfahl. "Adje Herr -- Herr Schnellig," rief der Agent ziemlich laut hinter ihm her, ohne sich weiter nach ihm umzudrehen, waehrend die Bauern freundlich den Gruss in ihrer Art erwiederten. "Wer war der junge Herr?" frug der erste Sprecher aber, als er die Thuer rasch hinter sich in's Schloss gedrueckt. "Ach, ein armer Teufel, der gern mit umsonst nach Amerika hinueber moechte," sagte Herr Weigel -- "er thut zwar als waer' es nur fuer einen armen Verwandten, aber, hehehe, derlei Ausreden kennen wir schon -- kommen alle Wochen vor." "Umsonst mit nach Amerika?" sagte der erste Sprecher verwundert, "_der_ sieht doch nicht aus als ob er etwas umsonst haben wollte, der ging ja _so_ fein gekleidet; Donnerwetter -- mit Handschuhen und allem -- " "Ja auswendig sind die Leute in der Stadt meist alle schwarz und sauber angestrichen," lachte Herr Weigel, "aber inwendig, in den Taschen, da hapert's nachher. Wer aber ein Bischen Uebung darin hat, kann auch schon oben auf erkennen, ob der Lack aecht, oder blos nachgemacht ist, hehehe." "Bei dem war er wohl nachgemacht?" sagte der zweite Bauer, dem Anschein nach gerade nicht unzufrieden damit, dass der "glatte Stadtmensch" nicht so viel galt wie sie, und dass der Auswanderungsmann das sogleich durchschaut hatte. Herr Weigel nickte, seine Zeit war ihm aber kostbarer, als sie noch laenger an Jemanden zu verschwenden, bei dem er doch voraussah, dass er von ihm keinen Nutzen haben wuerde, und er suchte das Gespraech wieder dem mehr praktischen Anliegen der drei Bauern zuzulenken. "Also Sie wollten mitsammen nach Amerika gehn und sich eine ordentliche Farm, gleich mit Land, Vieh, Haeusern und was dazu gehoert, ankaufen heh? -- 'waer keine so schlechte Idee." "Ja erst moechten wir aber einmal wissen wie die Sache steht;" sagte der Erste wieder, der Menzel hiess, "wenn man ueber einen Zaun springen will, ist es viel vernuenftiger dass man erst einmal hinueber guckt was drueben ist, und wenn man das nicht kann, dass man Jemanden fragt der es genau weiss. Sind denn die Farmen da drueben wirklich so billig? -- ist das wahr, dass man dort noch gutes frisches Land fuer ein und einen Viertel Thaler kaufen kann?" "Thaler? -- nein," sagte Herr Weigel, "_Dollar_." "Ja nun, das ist aber auch nicht viel mehr," meinte der Zweite, Mueller. "Nun ein Dollar ist ungefaehr ein Speciesthaler," sagte Herr Weigel -- "lassen Sie mich einmal sehn -- die stehn jetzt -- stehn jetzt 1 Thlr. 121/2 Silber- oder Neugroschen." "Nu ja," sagte Menzel wieder, "das ist aber immer kein Geld -- und fuer tausend Dollar kauft man da eine fix und fertig eingerichtete Farm, wie sie's glaub' ich nennen? mit Allem was dazu gehoert?" "Ich habe hier gerade," sagte Herr Weigel in seinen Papieren suchend, "ein paar Anerbietungen von hoechst achtbaren Leuten -- wirklichen Amerikanern -- die mir Farmen zu hoechst maessigen Bedingungen offeriren. -- Die Leute wissen da drueben dass hier Viele zu mir kommen und sich nach solchen Plaetzen erkundigen, und wenn sie dann 'was Gutes haben, schicken sie's mir. -- Wo hab' ich denn die verwuenschten Plaene jetzt hingelegt -- ah, hier ist der eine -- sehn Sie, Gebaeude und Alles sind darauf angegeben -- und der andere kann nun auch nicht weit sein; ich habe sie erst vorgestern meinem Bruder gezeigt, der gar nicht uebel Lust hatte eine davon fuer sich zu kaufen -- da ist er." Die drei Bauern draengten sich um den kleinen Tisch herum auf dem Herr Weigel die Plaene jetzt ausbreitete, und suchten sich in den kreuz und quer laufenden Strichen zu orientiren, wie der Platz eigentlich liege, und was darauf staende. "Ja aber wo ist denn das nun eigentlich, und wie sieht's dort aus?" sagte Menzel endlich, nach einigen vergeblichen Versuchen deshalb -- "aus der Geschichte hier wird man nicht klug." "Ja sehn Sie," sagte Weigel, mit seinem Finger den Plan erklaerend, und den angegebenen Zahlen folgend, "das hier, Nr. 1 ist das Wohnhaus, ein Doppelgebaeude, der Zeichnung nach mit einer offenen Veranda dazwischen, des warmen Klima's wegen, denn drum herum stehen "Baumwollenbaeume" angegeben; Nr. 2 da ist ein anderes Gebaeude, bis jetzt zu Negerwohnungen benutzt, denn der bisherige Besitzer scheint Sclaven gehalten zu haben; Nr. 3 ist eine Scheune; Nr. 4 ist ein Rauchhaus, die Leute verschicken von dort aus viel getrocknetes Fleisch; Nr. 5 ist, wie es scheint, ein Waschhaus, und Nr. 6 ein anderes Wohnhaus, was dem ersten gegenuebersteht, und wahrscheinlich den ganzen Hofraum, da die Front nach dem Flusse zu liegt, abschliesst. "Und welcher Fluss ist das?" "Der Missouri, einer der groessten Stroeme Amerika's, ueber eine englische Meile breit, und viel hundert Meilen hinauf schiffbar; alle Wetter meine Herren, von den dortigen Stroemen koennen wir uns hier gar keinen Begriff machen." "Hm -- und wieviel Land gehoert dazu?" "Dazu gehoert ein "Died" von 40 Acker, was frueher als Congressland gekauft und schon bezahlt ist, und natuerlich mit uebernommen wird, und um den Platz herum kann noch so viel Congressland dazu genommen werden, wie man haben will -- nur die vierzig Acker, von denen aber ein Theil schon urbar gemacht ist, muessen natuerlich hoeher bezahlt werden." "Und was soll die ganze Geschichte kosten?" frug Mueller. -- Der dritte, dessen Name Brauhede war, hatte noch kein einziges Wort zu der ganzen Verhandlung gesagt. "Die ganze Geschichte," erwiederte Weigel, sich das Kinn streichend, "wie ich sie Ihnen hier gleich an Ort und Stelle ueberlassen kann, mit Haeusern und Grundstueck und dazu noch einem kleinen Viehstand von vielleicht einigen achtzig Stueck Rindvieh, und fuenfundfunfzig oder sechzig Schweinen, wuerde -- etwa -- ein tausend und einige sechzig spanische Dollar betragen -- " "Und das waere nach unserem Geld?" sagte Menzel, Mueller dabei heimlich unter dem Tisch anstossend -- " "Nach unserem Geld?" wiederholte Herr Weigel, mit einem Stueck dort liegender Kreide die Summen rasch auf dem Tisch selber aufaddirend -- "wuerde es in einer runden Zahl etwa 1000 -- 400 -- eine Kleinigkeit ueber 1400 Thlr. Preuss. Courant betragen." "Wieviel Stueck Rindvieh?" sagte Mueller. "Einige achtzig Stueck sind angegeben," sagte Weigel, "und muessen auch ueberliefert werden; aber gewoehnlich sind es noch mehr, denn das Vieh laeuft draussen im Freien herum und bekommt Kaelber und man weiss es oft nicht einmal -- die Kaelber werden ueberhaupt nie mitgezaehlt." "Und die Passage hinueber kostet?" frug Menzel -- "Zwischendeck oder Cajuete?" "Zwischendeck -- immer wo's am Billigten ist," lachte Menzel, und strich sich wohlgefaellig ueber die silbernen Knoepfe. "Ja, kann mir's denken," rief Herr Weigel, auf den Scherz eingehend, und ihn leise gegen den Arm von sich stossend -- "Sie sehn mir auch gerade aus, als ob's Ihnen auf ein paar Thaler ankaeme." "Ja, wo man's kann muss man's zusammennehmen," betheuerte aber auch Mueller -- "also wieviel kostet's im Zwischendeck a Person?" "Vierundvierzig Thaler fuer die Person -- Kinder zahlen die Haelfte." "Aber ganz kleine Kinder?" sagte Mueller. "Nun Saeuglinge gehen ein," lachte Herr Weigel, "das ist die Beilage, die doch auch nur vom Schiff aus indirecte Nahrung bekommen." "Leichten Zwieback?" frug Menzel. "Ja wohl," sagte Herr Weigel, etwas verlegen laechelnd, da er nicht wusste ob der Bauer das im Spass oder Ernst gemeint -- "wie viel Personen sind Sie denn aber wohl etwa?" "Nu, so eine sechzig moechten wir immer zusammen herausbekommen," meinte Mueller -- "Aber Alle auf ein Schiff muesstet Ihr uns bringen," sagte Menzel. "Nun das versteht sich von selbst," rief Herr Weigel, und ein famoses Schiff geht gerade den funfzehnten ab -- ich glaube das beste, das von Bremen und Hamburg ueberhaupt laeuft -- die Diana." "Ne das waer' uns noch zu frueh -- " "Am ersten naechsten Monats geht ein noch besseres," sagte Herr Weigel -- "wenigstens geraeumiger und ein besserer Segler." "Ne das waer' uns auch noch zu frueh," sagte Menzel. "Gut, dann traefen Sie es gerade ausgezeichnet mit dem Meteor," versicherte Herr Weigel, keineswegs ausser Fassung gebracht; "ich wollte Ihnen den im Anfang nicht anbieten, weil ich fuerchtete dass Sie frueher zu reisen wuenschten, wenn Sie aber _so_ lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen allerdings die vorzueglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur ueberhaupt denken laesst." "So -- na das passte schon besser -- " sagte Mueller -- "wie hiess das Schiff gleich?" "Meteor." "Hm -- werd' es mir merken -- aber nicht wahr, beim _Dutzend_ kriegen wir die Passage doch auch was billiger." "Ne, das geht nicht," lachte aber Herr Weigel da gerade heraus; "es ist ja nicht so, dass ein Schiff nur eben so viel Menschen an Bord nehmen kann wie darauf Platz haben, sondern es muss auch genug Raum, und ueber und ueber genug Essen und Trinken fuer sie dabei sein, wenn einmal die Reise, in einem ungluecklichen Fall laenger dauerte als gewoehnlich. So ein Schiff hat deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von Auswanderern, die es an Bord nehmen kann, und nach Amerikanischen Gesetzen nehmen _darf_, und auf die ist Alles mit Kosten und Preis ausgerechnet, auf's tz. Die kleinen Kinder werden eingegeben, aber die grossen muessen bezahlen. Und wie war's mit der Farm?" "Wo ist denn der andere Platz -- zu dem da der lange Zettel gehoert?" sagte Menzel, der sich diesen indessen genau betrachtet, und nach allen Ecken herum und herumgedreht hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran bekommen zu koennen. "Der hier? der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz, aber kein so grosser Strom dabei," sagte Herr Weigel -- "ist aber auch billiger. Dort kann ich Ihnen eine Farm, allerdings nur mit einigen vierzig Kuehen, fuer etwa siebenhundertundfunfzehn Dollar ueberlassen, und dann habe ich noch fuenf andere von sechs, acht, elf, neun und ich glaube zwoelfhundert Dollar -- die letztere ist aber eine wirkliche Musterwirthschaft mit importirtem Schweizervieh, und Backsteingebaeuden, und einer prachtvollen Lage Milch und Butter in die nicht zu entfernte Stadt zu bringen; wird Ihnen aber auch freilich wohl zu theuer sein?" "Zu theuer? -- warum?" sagte Menzel -- "wenn man sich einmal etwas kauft, soll man sich auch gleich 'was ordentliches anschaffen. Ich habe mir uebrigens die Sache immer viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen, und gedacht, dass man da erst lange in der Welt umher fahren und sein Geld verreisen muesste. Wenn man das gleich hier an Ort und Stelle abmachen kann, ist das ja weit bequemer." "Auf eins moechte ich Sie uebrigens noch aufmerksam machen, meine Herren, was Sie ja nicht versaeumen duerfen," sagte Herr Weigel -- "naemlich sich hier gleich Ihre Billets zur Weiterfahrt in's Innere, wohin Sie auch immer wollen, zu loesen. "Von Neu-York aus?" sagte Menzel verwundert. "Ja wohl von Neu-York oder Philadelphia oder wohin Ihr Reiseziel liegt." "Ja aber kann man denn die _hier_ bekommen?" frug Mueller. "Gewiss kann man das," laechelte Herr Weigel, "und das ist gerade der ungeheure Vortheil unserer jetzigen Verbindung, die den Auswanderer von der Thuer seiner alten Heimath fort, vor die seiner neuen setzt, ohne dass er ein einziges Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht, als was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben macht auch das Reisen jetzt so billig, dass man mit _einem_ Blick im Stande ist saemmtliche Kosten zu uebersehn; die Extra-Ausgaben fallen ganz weg." "Das waere freilich ein Glueck," sagte Mueller, von dem erst vor einigen Monaten ein Bruder "hinueber" gegangen war -- "die Extra-Ausgaben fressen sonst das meiste Geld." "Ob sie's fressen, bester Herr, ob sie's fressen," sagte Herr Weigel, sich wieder vergnuegt die Haende reibend. "Und wo kann man die Billete also bekommen?" frug Menzel. "Bei mir hier, versteht sich," sagte Herr Weigel -- "alle bei mir." "Und die gelten dann drueben?" "Nun versteht sich doch von selbst," lachte der freundliche Agent, "ich wuerde sie ja Ihnen doch sonst nicht verkaufen. Sehn Sie, wenn die Deutschen hinueber kommen, dann sprechen sie gewoehnlich noch kein Englisch -- oder haben Sie das etwa schon gelernt?" "Ne -- " "Nun sehn Sie, und dann werden sie dort von ihren Landsleuten -- denn der Amerikaner ist nicht halb so schlimm -- die sich das richtig zu Nutze zu machen wissen, tuechtig ueber's Ohr gehauen, und muessen gewoehnlich gerade noch einmal so viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten. "Aber es soll doch eine "Deutsche Gesellschaft" drueben in Neu-York sein," sagte jetzt Brauhede, der zum ersten Mal bei der ganzen Verhandlung den Mund aufthat -- "die sich eben der Deutschen annimmt und Nichts dafuer verlangt." "Leben wollen wir _Alle_," sagte Herr Weigel achselzuckend -- "umsonst ist der Tod, und dass die Leute, wenn sie ihre Zeit darauf verwenden fuer die Deutschen zu sorgen, auch etwas dafuer nehmen werden, laesst sich wohl an den fuenf Fingern abzaehlen. Neu-York ist aber ein theures Pflaster, die Leute _brauchen_ dort mehr wie wir hier, und wer es daher _billiger_ thun kann ist auch wieder leicht einzusehn. Ich will mich auch keineswegs empfehlen; lieber Gott es giebt noch eine Menge Leute in Deutschland, die sich demselben schwierigen und undankbaren Geschaeft unterzogen haben wie ich, und die es sich vielleicht eben so sauer werden lassen gerade und ehrlich durch die Welt zu kommen; aber Einen der es besser _meint_ dabei, werden Sie wohl schwerlich finden, und ich ueberrede gewiss Niemanden nach Amerika auszuwandern. Jeder Mensch muss seinen freien Willen haben, und auch am Besten selber wissen was ihm gut ist." "Ne gewiss," sagte Menzel -- "da habt Ihr ganz recht, das ist auch mein Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet mir auch ein, und umsonst thut da gewiss Niemand etwas -- das sind verflixte Kerle da, hab' ich mir sagen lassen, besonders die Deutschen, und wo die nicht wollen gucken sie nicht 'raus." "Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen?" sagte Mueller. "Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafuer dass sie nicht allein aecht sind, sondern dass die hier in Deutschland geloesten Plaetze auch noch den Vorrang haben vor allen in Amerika genommenen, wenn einmal Eisenbahn oder Dampfboote zu sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der Post, wo Die, die sich zuerst, und auf der laengsten Station haben einschreiben lassen, den Vorrang behalten muessen vor denen die nachher kommen. "Ahem, das ist klar," sagte Menzel; "na also da daecht' ich liessen wir uns gleich einmal Plaetze belegen und gaeben das D'raufgeld, damit wir die Sache richtig haetten, und nachher koennen wir ja einmal ueber die Farmen sprechen; ich habe verwuenschte Lust." "Du, das hat noch Zeit," sagte aber jetzt Brauhede wieder, Menzel am Rocke zupfend; "erst muessen wir es uns doch einmal mit den Anderen zu Hause ueberlegen." "Wenn aber nachher die Plaetze auf dem ganz guten Schiffe fort sind," sagte Mueller mit einem sehr bedenklichen Gesicht. "Ja, _stehen_ kann ich Ihnen _nicht_ dafuer," versicherte Herr Weigel die Achseln zuckend, dass sie beinah seine Ohrlaeppchen beruehrten. "Na mein'twegen," sagte Brauhede, der allerdings auch in der Absicht hierher gekommen war, ihre Passage fest zu accordiren, jetzt aber, da es dazu kam Geld zu zahlen, nur ungern damit herausrueckte -- "aber von wegen der Farm muessen wir noch erst mit den Anderen sprechen, und eine Farm kriegen wir auch noch immer." "Ja aber was fuer eine," sagte Herr Weigel. Brauhede blieb uebrigens bei seiner Meinung, und Menzel bestand jetzt nur wenigstens darauf die beiden Plaene einmal mitzunehmen, damit sie sich zu Hause ordentlich hinein denken koennten. Wenn auch Herr Weigel sie im Anfang nicht ausser Haenden geben mochte, ja sogar versicherte er habe nicht uebel Lust die eine Farm fuer sich selber auf Spekulation zu kaufen, liess er sich doch zuletzt ueberreden ihnen, aber allerdings nur auf zwei Tage, die Plaene zu ueberlassen, und dann das Weitere ueber den Ankauf mit einer zweiten Deputation der Gesellschaft zu besprechen. Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im _Meteor_ fuer siebenundfunfzig Personen und dreizehn Kinder, die saemmtlich aus _einer_ Ortschaft auswandern wollten, und nahm dann auch noch, nach einer kurzen Berathung mit den beiden anderen, die noethigen Billete auf der Eisenbahn von Neu-York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf, dass sie ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser sie versicherte er sei nur noch im Besitz einer sehr kleinen Anzahl, und wisse nicht, wann er gleich wieder andere bekommen wuerde, waehrend die Anfrage darnach sehr stark waere. Ausserdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend kleine Brochueren, die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch aus der Druckerei als etwas _ganz Neues_ bekommen hatte -- ein Datum stand nicht darauf -- und die drei Maenner verliessen dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an die auf den Markt fuehrende Thuer begleitet, das Haus. "Hoere Du," sagte aber Brauhede als sie wieder vor dem Haus und auf der Strasse waren, und langsam ueber den Markt weggingen, "mit dem Landkaufen wollen wir uns doch lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine wunderliche Geschichte und will mir nicht recht in den Kopf." "Nicht in den Kopf?" rief aber Menzel -- "und warum nicht? -- der Mann bekommt alle Tage Briefe aus Amerika, warum soll der nicht wissen was dort zu verkaufen ist?" "Wenn's aber so gut und billig waere, brauchten sie's doch nicht hier herueberzuschicken," meinte Brauhede kopfschuettelnd. "Das ist Alles was Du davon verstehst," sagte Mueller, "Amerikaner koennten sie gewiss genug zu Kaeufern kriegen, aber deutsche Bauern wollen sie, die ihnen zeigen wie man das Land behandeln muss, und darum schicken sie herueber -- die sind froh drueben, wenn unsereins hinueber kommt. "Nun, mag sein," brummte Brauhede -- "aber sicher ist doch sicher, und wenn ich mein Geld hier weggegeben habe, und kann das Land was mein sein soll nachher nicht finden, wie's dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher waere die Geschichte aber faul." "Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel," sagte der Andere, "der sich hier Land von einem herumziehenden Vagabunden gekauft; da sollt' er nachher wohl suchen. Aber _der_ Mann hier ist in der Stadt ansaessig und hat ein Geschaeft; was der verkauft das muss gut sein, sonst waer' er ja gar nicht sicher dass man ihn einmal deshalb beim Kragen kriegte." "Ja krieg' ihn einmal wenn Du drueben in Amerika bist," sagte Brauhede ruhig -- "das ist ein verwuenscht weiter und umstaendlicher Weg und -- wenn man sich einmal hat anfuehren lassen, will man auch nicht gern noch dazu ausgelacht werden." "Papperlapapp!" sagte Menzel -- "dafuer hat Jeder seine Augen dass er sie offen haelt, und ehe ich ihm mein gutes Geld gebe, werd' ich mich schon sicher stellen dass er mir Nichts aufbindet." Und die Maenner schritten, Jeder von jetzt an mit seinen eigenen Gedanken ueber die nahe Auswanderung beschaeftigt, langsam die Strasse hinunter, waehrend in seinem kleinen Bureau, vergnuegt die Haende zusammenreibend, Herr Weigel auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die naechst zu ziehenden Summen zusammenaddirte, die er in kurzer Zeit, nach eifriger Aussaat, einzuerndten hoffte. Die Geschaefte gingen vortrefflich; Lust zur Auswanderung hatte in der That ein Drittel der saemmtlichen Bevoelkerung, und es bedurfte nur manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu etwas zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen gewesen waren. Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die Haende auf den Ruecken und summte ein leises Lied vor sich hin, seinen Marsch dabei fortsetzend. Aber er sang falsch; er hatte keine Idee von irgend einer Melodie; doch das schadete nichts, er _meinte_ wenigstens eine, und da er selber nicht hoerte was er sang, genuegte es ihm vollkommen. Die Thuer ging jetzt auf und der Tischler oder Schreiner kam herein, irgend etwas an dem Pult auszubessern -- er hatte zweimal angeklopft ohne dass der vergnuegte Agent darauf geantwortet haette. "Guten Morgen Herr Weigel." "Ah guten Morgen Meister -- nun kommen Sie endlich? ich hatte schon ein paar Mal nach Ihnen hinuebergeschickt -- " "Ja lieber Gott Herr Weigel, ich war gerade drueben beim Herrn Geheimen Rath Baerlich beschaeftigt -- die Leute sind so eigen wenn man von der Arbeit fort geht -- " "Sehn Sie, hier das Bein moecht' ich gemacht haben; der Tisch wackelt da immer, und wenn man etwas darunter legt, verschiebt sich das doch jedesmal wieder. Koennen Sie es mir wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?" "Ja gewiss," sagte der Mann, "das ist ja nur eine Kleinigkeit." "Und wie ist es mit den Auswandererkisten die ich bestellt habe? -- werden die bis heute Abend fertig? "Ja wohl Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus "Stadt Breslau," wie Sie mir sagten, abgeliefert." "Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute Vormittag ankommen, und will morgen frueh wieder fort -- es sind doch noch keine Auswanderer heute Morgen hier eingetroffen? -- " "Nicht dass ich gesehen haette -- aber gestern Abend zogen Viele durch." "Ja ich weiss -- von Hessen herueber -- die armen Teufel; denen wird's einmal wohl drueben werden. Nun wie gehn denn bei Ihnen die Geschaefte jetzt?" "Ih nu gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen; das Brod wird freilich immer theuerer, aber man schlaegt sich so durch -- Kinder haben wir nicht, und was verdient wird reicht eben ordentlich aus." "Ich begreife nicht," sagte Herr Weigel da kopfschuettelnd vor dem Mann, der seine Muetze eben wieder aufgegriffen hatte und sich zum Fortgehen anschickte, stehen bleibend -- "wie Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis Abend plagt und schindet, eben nur das liebe Brod zu verdienen, wo Ihr in ein paar Wochen drueben sein koenntet und so viel Dollare fuer Euere Arbeit bekaemt, wie hier Groschen. "Drueben, wo?" "Nun in Amerika -- " "Hm, ja," sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn streichend, und einen leichten Seufzer unterdrueckend -- "gedacht hab' ich auch schon ein paar Mal daran, aber -- das geht nicht gut und -- es ist auch so eine unsichere Sache mit da drueben. Hier weiss ich einmal was ich habe und dass ich auskomme, und wie mir's da drueben geht weiss ich _nicht_." "Aber Freund," rief Herr Weigel verwundert -- "ein Mann der fleissig arbeitet bringt es dort immer zu was. Wetter noch einmal, Meister, Amerika ist gerade der Platz fuer Euch, wo Ihr Euch ruehren und ausbreiten koenntet -- wenn Ihr dort waeret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! in fuenf Jahren haettet Ihr zwanzig Gesellen." "Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf, und sah ein paar Secunden still vor sich nieder, als ob das Bild mit der grossen Werkstaette und dem regen Treiben sich vor seinem inneren Geist eben auszubreiten beginne, dann aber sagte er, jetzt herzhaft aufseufzend -- " "Und es geht doch nicht, Herr Weigel -- ich habe die alte Mutter zu Hause, die ich unmoeglich hier allein zurueck lassen koennte -- " "Hierlassen? das fehlte auch noch," rief der Agent -- "die nehmt Ihr mit, Mann -- koennt Ihr der denn eine groessere Freude machen, als wenn sie noch vor ihrem Ende saehe wie wohl es Euch geht auf der Welt, und wie sich Euer Zustand mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? -- Muss sie hier nicht in Sorge und Kummer leben dass Ihr einmal krank werdet und Nichts verdienen koennt, und wie sieht's dann aus?" "Wenn ich aber nun dort drueben krank werde?" sagte der Meister leise. "Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht und fuer ein Unglueck kann Niemand" -- warf dagegen Herr Weigel ein, "so koennt Ihr Euch auch schon so viel gespart haben, das eine Weile mit ruhig anzusehn; und wenn Ihr nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender Mann." "Es ist eine verwuenschte Geschichte mit dem Amerika," seufzte der Mann wieder, sich hinter dem Ohr kratzend -- "man hoert so viel davon, und sieht eine solche Masse Menschen hinueberziehen, die alle voller Hoffnung sind dass es ihnen gut geht -- und moechte am Ende ebenfalls gern mit -- wenn man nur erst so einmal hinuebergucken koennte wie es eigentlich aussieht." "Dazu ist es ein Bischen zu weit," meinte Herr Weigel. "Ja nun eben," sagte der Tischler -- "und so auf's gerathewohl -- " "Das koennt Ihr aber nicht auf's gerathewohl nennen, wo wir alle Tage Briefe von drueben herueber bekommen, von denen einer immer besser lautet als der andere. Da -- hier liegt gleich einer, der letzte den ich bekommen habe, wo ein Deutscher, den ich selber hinueberbefoerdert, und dem es jetzt ausgezeichnet gut geht, an mich schreibt, und ein oder zwei gute gelernte Schaafknechte haben will; lesen Sie einmal den Brief." Leupold legte seine Muetze wieder hin, nahm den Brief und las ihn aufmerksam durch; er nickte dabei mehrmals mit dem Kopf, und sah dann wieder zu dem Agenten auf, der ihn indessen mit einem triumphirenden Laecheln betrachtet hatte. "Nun?" frug der Letztere, als Jener das Schreiben beendet und wieder zusammenfaltete -- "wie klingt das?" "_Sehr_ gut" sagte Leupold leise, "aber -- es hilft mir doch Nichts. Wenn ich jetzt mein kleines Haeuschen, das ich mir mit Muehe und Noth zusammengespart und aufgebaut, auch verkaufen wollte; faende ich erstlich keinen Kaeufer, und dann bekaem ich auch das nicht dafuer wieder, was es mich selber gekostet; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch wohl besser wie die Taube auf dem Dache." "Bah, Taube," sagte Herr Weigel muerrisch -- "wenn die Taube auf dem Dach eben so fest und sicher sitzen bleibt bis man sie holen kann, wie Amerika ruhig liegt, und auf die wartet die hinueber kommen, so ist sie mir lieber wie ein erbaermlicher Sperling, zum Sterben zu viel, und zum Leben zu wenig; aber -- ueberlegt's Euch -- ah da kommt der Brieftraeger -- 'was fuer mich?" "Nun guten Morgen Herr Weigel," sagte der Tischler und wollte sich eben entfernen, waehrend der Brieftraeger dem Agenten mehrere fuer ihn gekommene Briefe ueberreichte. "Siebzehn Silbergroschen drei Pfennige" sagte er dabei. "_Siebzehn_ Silbergroschen?" rief Herr Weigel verwundert -- "aha da ist ein Amerikaner dabei -- halt, wartet noch einmal einen Augenblick Leupold" -- da ist vielleicht gleich noch was fuer uns, und was ganz Neues -- wollen gleich einmal sehn was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von Jemand den ich hinueber befoerdert habe, und der sich jetzt bedankt -- das kostet aber viel Geld -- " "Apropos Neues," sagte Leupold, waehrend der Agent den Brieftraeger bezahlt hatte und seine Papierscheere vom Tisch nahm, den Amerikanischen Brief aufzuschneiden -- "haben Sie schon gehoert dass gestern Nachmittag bei Herrn Dollinger eingebrochen und fuer sieben tausend Thaler Gold und Juwelen gestohlen sind?" "Alle Wetter," rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt ausgehaltenen Scheere in der Hand -- "gestern Nachmittag?" "Am hellen Tage," bestaetigte Leupold. "Und weiss man nicht wer der Thaeter ist?" "Sie haben den einen Comptoirdiener in Verdacht und auch schon eingezogen," sagte der Tischler. "Gewiss den Lossenwerder," rief Weigel. "Ich glaube so heisst er -- er ist ein wenig verwachsen -- " "Und schielt -- derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden koennen; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden abspenstig gemacht, aus reinem Brodneid; ich wuesste wenigstens sonst nicht weshalb, und habe ihn dabei stark in Verdacht, dass er selber damit umgeht eine Agentur fuer Auswanderer zu errichten. Da koennte Jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe, ohne Connexionen und ohne Kenntniss vom Land -- schickte nachher die Leute in's Blaue hinein, dass sie dort saessen und nicht wuessten wo aus noch ein. Na nun, wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden; ich goenne nicht gern einem Menschen etwas Uebles, aber bei dem freut mich's dass sie's wenigstens herausbekommen haben, und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?" "So viel ich weiss nicht, einige hundert Thaler ausgenommen, von denen aber der Mann betheuert dass er sie sich gespart haette; es ist uebrigens Manches dabei zusammengekommen was ihn verdaechtig macht; das Naehere weiss ich freilich nicht." "Hm, hm, hm," sagte Herr Weigel, kopfschuettelnd den Brief, den er noch immer in der Hand hielt, anschneidend -- "boese Geschichten -- boese Geschichten, was man nicht Alles hoert auf der Welt. -- Nun wollen wir also einmal sehen was der Herr da aus Amerika schreibt -- hm -- Washington County, Tennessee den siebenten Januar 18 -- alle Wetter der Brief ist lange unterwegs gewesen -- Herrn F. G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft in Deutschland -- ahem -- Sie nichtsw -- hm -- Sie haben -- hm -- vor allen Dingen -- hm -- hm -- hm -- hm" -- Herrn Weigels Gesicht verlaengerte sich immer mehr, je weiter er in seiner, wie es schien nicht eben angenehmen Lectuere vorrueckte, aber er brach mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise hoechst derber Art war, schon gleich nach den ersten Sylben ab, und murmelte, das Ganze nur fluechtig ueberfliegend, blos einzelne unzusammenhaengende Worte, aus denen Leupold Nichts herausfinden konnte, vor sich hin. "Nun, was schreiben sie?" sagte dieser endlich laechelnd; er waere schon lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurueckgehalten haette -- "gute Neuigkeiten?" "Bah!" sagte Herr Weigel, den Brief zurueck auf seinen Schreibtisch werfend -- "Jemand der seine Geschwister will hinuebergeschickt haben und mich ersucht das Geld fuer ihn auszulegen. Da muesst' ich schoene Capitale herumstehn haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann suchen." "Ne, das ist ein Bischen viel verlangt," sagte der Meister, wieder nach der Klinke greifend -- und diessmal hielt ihn Herr Weigel nicht zurueck -- "aber nun leben Sie auch recht wohl, und verlassen Sie sich darauf ich besorge Ihnen das heute noch." "Sein Sie so gut," sagte der Agent -- er war auf einmal ganz einsylbig geworden, und Meister Leupold verliess mit nochmaligem Gruss das Zimmer, in dem jetzt Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Haenden, aber keineswegs mehr so guter Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf und ab ging. "Und vierzehn Groschen bezahlt fuer den Wisch -- es ist eine Frechheit wahrhaftig, die in's Bodenlose geht. Lumpengesindel! glaubt die gebratenen Tauben sollen ihm da in's Maul fliegen, so bald sie's nur aufsperren." Und wieder riss er den Brief vom Pult, rueckte sich die Brille zurecht, und las mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal, und zwar aufmerksamer durch als vorher. "Sie nichtswuerdiger Hallunke" -- wenn ich Dich nur hier haette mein Bursche, dafuer solltest Du mir brummen -- "schaendlich betrogen und angefuehrt" -- wozu hat Dir denn der liebe Gott die grossen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie nicht aufsperren willst -- "Land eine Wueste" -- na versteht sich, ein Gewaechshaus hab' ich ihm nicht verkauft -- "Haelfte gar nicht zu bekommen" -- Holzkopf -- "kein Mensch wollte die Billete nehmen" -- bah, geschieht Dir recht -- "Wohngebaeude zu schlecht fuer einen Hund" -- fuer Dich noch immer viel zu gut, mein Schatz -- "wenn Sie nur einmal herueber kaemen, Sie miserabeler" -- bah" -- unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger als schmeichelhaften Lectuere, indem er den Brief in zwei Haelften riss, und sich dann ein Streichhoelzchen mit einem Gewaltstrich an der Thuer entzuendete "so viel fuer den Wisch!" und das Papier anbrennend, warf er das auflodernde in den Ofen, und schloss die Klappe so heftig er konnte. Allerdings wollte er sich nun ueber den Brief hinwegsetzen, aber geaergert hatte er sich doch, und Rock und Stiefeln anziehend drueckte er sich seinen Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke, und verliess sein Bureau, das er sorgfaeltig hinter sich abschloss, und eine kleine Pappe mitten an die Thuer hing, auf der die Worte standen. "Kommt um elf Uhr wieder." Capitel 6. DIE WEBERFAMILIE. Nicht weit von Heilingen, und in Hoerweite der Domglocke selbst, in ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes Dorf, dessen Bewohner, da ihre Felder gerade nicht zu den besten gehoerten, sich kuemmerlich, aber meist ehrlich, mit verschiedenen Handwerken und Gewerben, mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl, ernaehrten. Das Dorf hiess eigentlich "Zur Stelle", welchen Namen aber die Bewohner im Laufe der Zeit, und mit Huelfe ihres Dialekts, zu dem von _Zurschtel_ umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreissig Haeuser und Huetten, mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von Kindern zaehlen. Es ist eine wunderliche Thatsache, dass man in den aermlichsten Distrikten stets die meisten Kinder findet. Mitten im Dorf lag eins der besseren Haeuser; es war weiss getuencht, und hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weisse, reinliche Gardinen. Vor dem Hause, ueber dessen Thuere ein frommer Spruch mit rothen und gruenen Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Roehrtrog, und ein kleiner Koven an der Seite desselben, zeigte in der nach aussen befestigten Klappe des Futterkastens dann und wann den schmuzigen Ruessel eines seine Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket umgab das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu ihrem Vortheil gegen manche der Nachbarhaeuser ab. Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger sehr aermlich aus. In der einen Ecke stand ein grosser, viereckiger, sauber gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zweien der Waende waren Baenke aus dem naemlichen Material befestigt, und um den grossen viereckigen Kachelofen, der fast den achten Theil der Stube einnahm, hingen verschiedene Kochgeraethschaften, waehrend auf darueber angebrachten Regalen die braunen Kaffeekannen und gebluemten Tassen gewissermassen mit als Zierrath zur Schau ausstanden. Die dritte Ecke fuellte der Webstuhl des Mannes aus, und dem gegenueber stand eine riesengrosse, braunangestrichene Kommode, mit Messinghenkeln und Griffen und fuenf Schiebladen, die, mit wirklich ruehrender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten Blumen bemalte Henkelglaeser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift "der guten Mutter" -- ein Geschenk aus frueherer Zeit -- und ein gelb irdenes aber allerdings sehr wenig benutztes Dintenfass trug, waehrend dahinter, in zwei ordinairen Stangenglaesern, in dem einen Schilfbluethenbueschel, und in dem anderen grosse stattliche Aehren von Roggen, Waizen, Gerste und Hafer standen, zur Erinnerung an eine fruehere segensreiche Erndte. Die Bewohner der kleinen Stube passten genau in ihre Umgebung; es war eine, nicht mehr ganz junge aber doch ruestige Frau, in die nicht unschoene Bauertracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad sass und eifrig das Raedchen schnurren liess, waehrend die rechte Hand manchmal eine neben ihr stehende Wiege beruehrte, den darin ruhenden kleinen Saeugling, der immer wieder die grossen dunklen Augen zu ihr aufschlug, endlich in Schlaf zu bringen. Sie war reinlich, aber in die groebsten Stoffe gekleidet, ebenso der Bube von etwa vier Jahren, der ihr zu Fuessen mit einer kleinen Mulde auf dem ueber die Diele gestreuten Sand "Schiff" spielte. Ausserdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau, eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad drehte, sich aber mit dem hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil ihr das heutige nasskalte, unfreundliche Wetter froestelnd durch die alten Glieder zog. Es war eine gutmuethige, aber muerrische alte Frau, selten zufrieden mit dem was sich ihr gerade bot, und unermuedlich darin, sich und ihren Kindern die Last vorzuwerfen die sie ihnen mache, und den lieben Gott taeglich zu bitten dass er sie doch bald zu sich naehme. Nur eine kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch -- dann wollte sie gerne sterben. Erst; wie das Aelteste geboren war, wollte sie das noch gerne laufen sehn; dann haette sie gern erlebt wie es zum ersten Mal in die Schule ging; dann war es Fruehjahr geworden und sie hoffte nur noch einmal neue Kartoffeln zu essen, zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem Pflaumenbaum die Fruechte kosten, den ihr "Seliger" noch gepflanzt. Wie der Herbst kam wuenschte sie im Fruehjahr begraben zu werden, und die knospenden Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von denen sie sich eigenhaendig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht am Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit immer neuer, nie sterbender Kraft, und je aelter wir werden, desto mehr lernen wir die schoene Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an sie, und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen. Der Tag neigte sich dem Abend zu; der Mann war in die Stadt gegangen seine Steuern zu zahlen, und Manches einzukaufen was sie nothwendig im Hause brauchten -- zum Ersatz dafuer hatte er das zweite Schwein, das sie bis dahin gehalten, hineingetrieben, und der Erloes sollte seine Ausgaben bestreiten. Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die grossen schweren Tropfen schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollstaendig munter und fing an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurueck, nahm das Kleine aus der Wiege, und ging damit traellernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann indess ruhig weiter, und suchte mit zitternder leiser Stimme ein geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst sprach keine ein Wort. Endlich wurde die Hausthuer geoeffnet, Jemand kam von draussen herein, und strich sich die Fuesse auf den Steinen und der Strohdecke ab, und sie hoerten gleich darauf wie der zurueckkehrende Vater und Gatte seinen grossen rothblauwollenen Schirm auf die Steine stiess, das Wasser so viel wie moeglich davon abzuschuetteln, und den Mantel auszog und ueber den grossen Schleifstein hing der draussen im Flur stand, wie er das gewoehnlich that. Die Frau oeffnete rasch die Thuer den Mann zu begruessen, der den Hut abnahm, sich die nassen Haare aus der Stirn strich, und das Kind kuesste, das sie ihm entgegenhielt. "Jesus ist das ein Wetter, Gottlieb," sagte sie dabei, als sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing, "komm nur herein, dass Du 'was Trockenes auf den Leib bekommst; wo hast Du denn den Jungen? -- ist er nicht bei Dir?" setzte sie, fast aengstlich, hinzu. "Er ist draussen bei Lehmann's hineingegangen, denen wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht," sagte der Mann -- "wird wohl gleich kommen -- wie geht's Frau? -- wie geht's Mutter? -- ha, das regnet einmal heute was vom Himmel herunter will; was nur d'raus werden soll wenn das Wetter so fort bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt wieder Guss auf Guss -- Guss auf Guss, als ob sie uns unsere paar Stuecken Feld noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat schon halb fortgespuelt -- wenn dasmal das Korn misraeth, weiss ich nicht wo der arme Mann das Brod hernehmen soll." "Klag nicht, Gottlieb," sagte aber die Frau freundlich -- "es geht noch Vielen schlechter wie uns, und was sollen da die _ganz_ armen Leute sagen. Lieber Gott, es ist viel Noth in der Welt, und wer heut zu Tage eben sein Auskommen und ein Dach ueber dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht versuendigen." Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der Roehre, in der, trotz der vorgerueckten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte, der alten, froestelnden Mutter wegen, und goss den darin heiss gehaltenen Kaffee -- sie nannten das braune Getraenk von gebrannten gelben Rueben und Gerste wenigstens so -- in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der den ganzen Tag draussen im Regen herumgezogen war, daran erquicken koenne. Zugleich auch deckte sie ein weisses Tuch ueber den Tisch, auf den sie noch Butter und Brod stellte, die versaeumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen. Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goss, und schnitt sich ein grosses Stueck Brod ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein Wort dabei, und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurueck, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen auf den Tisch gestuetzt, den Kopf gegen die Wand gelehnt, regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster hinueber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draussen gepeitscht, hohl und heftig anschlugen. Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet; es war irgend etwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein mochte, hatte doch auch seine "verdriesslichen Stunden" und war dann, wenn gestoert, oft rauh und unfreundlich; aber eine eigene Angst ueberkam sie ploetzlich. Ihr aeltester Sohn -- der Hans -- war nicht mit zu Hause gekommen -- konnte dem -- heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie in's Herz und sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu. "Gottlieb -- um aller Heiligen Willen wo ist der Hans? -- es ist -- es ist ihm doch nicht etwa ein Unglueck geschehn?" "Der Hans?" sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf, "was faellt Dir denn ein? was soll denn dem Hans zugestossen sein? ich habe Dir ja gesagt dass er bei Lehmann's etwas abgegeben hat, und dort wahrscheinlich das Wetter abwarten wird." "Ich weiss nicht," sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Centnerlast von der Seele gewaelzt wurde -- "aber Du bist so sonderbar heut Abend, so still und ernst, und da schlugs mir wie ein Schreck in die Glieder, ueber den Hans. Ist etwas vorgefallen Gottlieb? -- " Gottlieb schuettelte den Kopf langsam und sagte. -- "Nicht dass ich wuesste -- nichts Besonderes wenigstens, oder nichts Anderes, als was jetzt alle Tage vorfaellt -- Geld zahlen." "War es denn so viel?" sagte die Frau leise und schuechtern. Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich erwiederte er seufzend: "Das Schwein ist d'rauf gegangen, und vier Thaler Siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der alten Processgeschichte mit der Brueckenplanke, mit der ich eigentlich gar Nichts mehr zu thun hatte, stehen geblieben, und ich muss sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter Androhung von Pfaendung." "Nun lieber Gott," sagte die Frau troestend -- "wenn das das Schlimmste ist, laesst sich's noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben ueberhaupt eins zu schlachten, und leben doch; warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins leben koennen als die." "Ja," sagte der Mann leise und still vor sich hin bruetend -- "verkaufen und immer nur verkaufen, ein Stueck nach dem anderen, und waehrend wo anders die Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitzthum vergroessern, und fuer ihre Kinder etwas zuruecklegen koennen, sieht man es hier mehr und mehr zusammenschmelzen, unter Mueh und Plack das ganze Jahr lang." "Aber kannst Du's aendern?" sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann schwieg und mit der Faust die Stirn stuetzend vor sich nieder starrte, schuechtern fort -- "arbeitest Du nicht von frueh bis spaet fleissig und unverdrossen? goennst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgend eine noethige Beschaeftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste vorzuwerfen?" "Nein," sagte der Mann, waehrend er die Hand auf den Tisch sinken liess und die Frau voll und fest ansah -- "nein, aber das ist es ja eben, was mir am Leben frisst. Wir koennen nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen wie wir jetzt thun, und jetzt sind wir noch jung und kraeftig, unsere Kinder noch klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurueck, wird es mit jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr brauchen, wenn wir selber aelter werden und nicht mehr so zugreifen koennen wie jetzt? -- Schon jetzt koennen wir uns nicht mehr in der theueren Zeit oben halten -- das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort muessen; unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren, unsere Beduerfnisse aber sind gewachsen -- wie soll das enden?" "Aber Gottlieb," sagte die Frau freundlich -- "wie kommen Dir jetzt doch nur solche Grillen? haben Dir die paar Thaler Steuern den Kopf verdreht? Mann, Mann, Du bist doch sonst so ruhig, und hast immer vertrauungsvoll in die Zukunft gesehn, wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch den Sinn gefahren?" Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die Beiden mit einander gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen, und dem Gespraech aufmerksam zugehoert; dabei schuettelte sie fortwaehrend mit dem Kopf, und sagte endlich mit ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme: "Ja wohl, ja wohl -- das Geld wird rar und das Brod theuer, und mehr Maeuler kommen -- mehr Maeuler sind da zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt mich todt; schlagt mich todt dass ich weg komme aus dem Weg und Euch Platz mache -- schlagt mich todt." "Mutter," bat die Frau, in Todesangst dass sie dem Manne mit solcher Rede wehe thun wuerde, denn _er_ gerade hatte sie immer auf das Freundlichste behandelt, und Alles gethan was in seinen Kraeften stand, ihr jede Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen -- "wie duerft Ihr nur so etwas reden; versuendigt Ihr Euch denn nicht?" "Wir haben noch genug fuer uns Alle Mutter," sagte aber der Mann freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht wehe thun mochte -- "nur fuer spaetere Zeit ist mir bange; Sie aber waeren die Letzte die darunter leiden sollte. Wir werden Alle alt, und wenn wir unsere Schuldigkeit in unserer Jugend gethan, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie Pflicht und Schuldigkeit der Juengeren fuer ihre Eltern zu sorgen -- wenn sie nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden." Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit lang vor sich nieder, und begann dann auf's Neue ihre Arbeit, aber die Frau fuhr fort und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf im Ton zu ihrem Mann. "Siehst Du Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen trueben und traurigen Ideen; Du machst Dir und mir und der Mutter nur das Herz schwer, und nuetzest und hilfst doch Nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird's schon machen und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch in ihrer Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt und gepflegt, wie unser Herr Pastor sagt, Er wird's auch schon weiter thun, und wir duerfen uns eigentlich gar nicht sorgen und kuemmern um den "naechsten Tag." "Doch, doch Frau," sagte aber der Mann, aufstehend und jetzt, die Haende in den Hosentaschen, in der Stube auf und ab gehend -- "doch Frau, der Mann _muss_, denn wenn er's _nicht_ thaete, waer er ein schlechter Hausvater, und ihm allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus entstaenden. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich machen, wie mir's neulich der Schulmeister, mit dem ich darueber sprach, erklaerte, aber der meinte es waere etwa so wie wenn Einer im Wasser waere. Da sei es auch nicht genug dass man sich oben hielte an der Luft, und im Kreis herum schwaemme eben nur nicht zu ertrinken, das thaete nicht einmal ein unvernuenftiges Stueck Vieh; nein des Menschen, des verstaendigen Menschen Pflicht sei es sich schon im Wasser nach dem festen Lande umzusehn, ob man das nirgends erreichen koenne, denn zuletzt wuerde man da im Wasser, man moechte noch so tapfer schwimmen, doch muede, und liessen erst einmal die Kraefte nach, dann huelfe auch zuletzt das Schwimmen Nichts mehr, und man saenke eben langsam zu Boden." "Ich verstehe nicht recht was Du damit meinst," sagte die Frau, "aber Du siehst mich so sonderbar dabei an -- hast Du noch 'was anderes dahinter?" "Nein und Ja," sagte der Mann nach kleiner Pause, indem er sich mit dem Ruecken an den Ofen lehnte, und langsam dazu mit dem Kopfe nickte, "eigentlich nicht, denn Gott da oben weiss dass es wahr ist, und weiss wie, und ob's einmal enden kann; aber dann -- dann hab' ich allerdings noch was dahinter, denn ich meine -- ich meine -- " er schwieg und es war augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er sich scheue so mit blanken klaren Worten heraus zu sagen, die Frau aber, die eben damit beschaeftigt war das Geschirr hinaus zu raeumen, setzte die Kanne wieder auf den Tisch, sah den Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen und sagte leise, vor ihm stehen bleibend: "Geh her, Gottlieb -- Du hast 'was, was Dich drueckt und willst nicht mit der Sprache heraus -- es ist irgend noch etwas vorgefallen in der Stadt, was Du nicht sagen magst. Du darfst doch nicht _sitzen_?" "_Sitzen_? -- weshalb?" laechelte der Mann kopfschuettelnd -- "ich habe nie etwas Boeses gethan." "Nun was ist's denn, so sprich doch nur, denn Du aengstigst mich ja mehr mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir das Schlimmste gleich vornheraus erzaehlst -- dem Hans fehlt doch Nichts?" "Was soll dem Hans fehlen, naerrische Frau -- wenn's aufhoert zu giessen wird er schon kommen." "Und was ist's denn? -- gelt, Du sagst mir's?" "Ich muss Dir's wohl sagen;" seufzte der Mann, "nun sieh Hanne, ich meine -- ich habe so darueber nachgedacht, dass es jetzt hier in Deutschland immer schlechter wird mit uns -- und dass wir's zu Nichts mehr bringen koennen, trotz aller Arbeit, trotz allem Fleiss, und dass jetzt -- dass jetzt doch so viele Menschen hinueber ziehen -- " "Hinueber ziehen?" frug die Frau erstaunt, fast erschreckt, und legte die Hand fest auf's Herz, als ob sie die aufsteigende Angst und Ahnung ueber etwas Grosses, Schreckliches da hinunter und zurueckdruecken wolle, eh sie zu Tage kaeme -- "wo hinueber Gottlieb?" "Nach Amerika;" sagte der Mann leise -- so leise dass sie das Wort wohl nicht einmal verstand, und nur an der Bewegung der Lippen es sah und errieth. Wie ein Schlag aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts, und ohne ein Wort zu erwiedern, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, setzte sie sich auf den, dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht mit der Schuerze zu und sass eine lange, lange Weile still und regungslos. Auch der Mann wagte nicht zu sprechen -- er hatte den Gedanken wohl schon eine Zeit lang mit sich herumgetragen, aber sich immer davor gefuerchtet ihm Worte zu geben, sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die Wirkung die er hervorgebracht. Auch die alte Mutter sass, mit der Hand auf dem Rad das sie im Drehen aufgehalten, und horchte nach den Beiden hinueber, was sie mitsammen hatten, und wie die so still waren und kein Wort mehr sprachen, mochte es ihr auch unheimlich vorkommen und sie sagte laut und muerrisch: "Nun Gottlieb was giebt's -- was hast wieder Du mit der Hanne -- was habt Ihr denn dass Ihr so still und heimlich thut -- macht Einem nicht auch noch Angst unnuetzer Weise -- was ist nun wieder los?" "Ja Mutter," sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam Muth fasste ueber das, was nun doch nicht laenger mehr verschwiegen bleiben konnte und besprochen werden _musste_, auch laut zu reden, dass er's vom Herzen herunter bekam -- "es geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen gesagt dass uns zuletzt nichts anderes uebrig bleiben wuerde als -- als es eben auch wie andere zu machen, und -- " "Und? -- und was zu machen?" frug die alte Frau gespannt -- "Als _auszuwandern_," sagte der Mann mit einem ploetzlichen Ruck und seufzte dann tief auf, als ob er selber froh waere es los zu sein. "Herr Du meine Guete!" rief die alte Frau, liess die Haende erschreckt in den Schooss sinken und lehnte sich in ihren Stuhl zurueck, waehrend ihr alle Glieder am Leibe flogen -- "Herr Du meine Guete!" wiederholte sie noch einmal, und die Finger falteten sich unwillkuerlich zusammen, so hatte sie der Schreck getroffen. "Auswandern," sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit tonloser Stimme, und liess die Schuerze vom Gesicht herunterfallen -- "auswandern, das ist ein schweres -- schweres Wort Gottlieb -- hast Du Dir das auch recht -- recht reiflich ueberlegt?" "Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch," rief aber der Mann, der jetzt, da das Eis einmal gebrochen war, wieder Leben und Waerme gewann. "Wie ein Muehlstein hat's mir auf der Seele gelegen, und ich habe lange und tapfer dagegen angekaempft, aber es waere das Beste fuer uns, was wir auf der weiten Gotteswelt thun koennten; und wenn auch nicht einmal fuer uns, wenn wir selber auch schwere und bittere Zeiten durchzumachen haetten, doch fuer die Kinder, die einmal den Segen erndten, den wir mit unserem Schweiss, unseren Thraenen gesaeet." "Auswandern? ja," sagte aber jetzt die Grossmutter, mit dem Kopfe nickend und schuettelnd, als ob sie den schrecklichen Gedanken wieder von sich abwerfen wollte -- "ja wohin es euch luestet, aber erst wenn ich todt bin. Die paar Tage muesst Ihr noch hier bleiben die ich noch zu leben habe, oder sonst schlagt mich todt, werft mich in's Wasser, oder schlagt mich mit dem Beil auf den Kopf dass ich fortkomme, und hier auf dem Kirchhof unter der alten Linde liegen kann, wo der Leberecht liegt. In der Welt koennt Ihr mich doch nicht mehr umherschleppen, und nutz bin ich auch Nichts mehr, wie das mit zu verzehren was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort wollt schlagt mich vorher todt." "Ach Mutter wenn Sie nur nicht gar so haesslich reden wollten," sagte die Frau traurig, waehrend der Mann wieder zum Tisch ging, sich dort auf den Stuhl setzte, und den Kopf in die Hand stuetzte -- "Sie sind noch wohl und ruestig und werden, will's Gott, noch manches Jahr leben und sich Ihrer Kinder freuen. Wo die dann hin ziehen und sich ihr Brod suchen muessen, da gehoeren Sie auch hin, und was die verdienen, das haben Sie auch verdient mit Muehe und Noth und banger Sorge schon vor langen Jahren, wie wir noch klein und unbehuelflich waren, wie unsere Kinder jetzt." "Wozu mich mitnehmen," sagte aber die Frau, stoerrisch dabei mit dem Oberkoerper herueber und hinueber schwankend, "unterwegs muesstet Ihr mich doch aus dem grossen Schiff hinaus in's Wasser werfen, die Fische zu fuettern. Bleibe im Lande und naehre Dich redlich, das ist _mein_ Spruch und meines Leberecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir haben uns wohl dabei befunden, aber das junge Volk jetzt will immer alles anders haben, will oben zur Decke 'naus und fliegen und schwimmen, anstatt huebsch auf der Erde und im alten Gleis zu bleiben. Warum ist's denn frueher gegangen? -- nein Gott bewahre, jetzt soll Alles mit Eisenbahnen und Dampf gehen und keine Geduld, keine Ausdauer mehr; nur fort, immer gleich fort, in die Welt hinein und mit dem Kopf gegen die Wand -- schlagt mich todt, dann seid Ihr mich los und koennt hingehn wohin Ihr wollt." Und die alte Mutter stand auf, rueckte ihr Spinnrad bei Seite, und humpelte, noch immer vor sich hin murmelnd und grollend, aus der Stube hinaus. "Sie meint es nicht so boes, Gottlieb," sagte die Frau zu dem Mann tretend und ihre Hand auf seine Schulter legend, "es ist eine alte Frau die an ihrer Heimath mit ganzem Herzen haengt und sich vor der Reise fuerchtet." "Und Du nicht, Hanne?" rief der Mann sich rasch nach ihr umdrehend, und ihre Hand ergreifend -- "Du nicht? Du wuerdest Dich dazu entschliessen koennen unsere Heimath hier, unser Haeuschen, unser Feld zu verlassen, und mit mir und den Kindern ueber das weite Meer zu fahren, in eine fremde Welt?" Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des Mannes -- endlich sagte sie leise -- "So weit fort? -- und muss es denn sein, ist es denn gar nicht moeglich mehr, dass wir hier gut und ehrlich durchkommen durch die Welt, wenn wir uns auch ein Bischen knapper einrichten wie bisher? Ach Gottlieb, es ist gar hart so von zu Hause fortzugehn, die Thuer zuzuschliessen und zu denken dass man nun nie und nimmer wieder dahin zurueckkommt -- " Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte endlich: "Du hast recht Hanne; es ist ein schwerer, recht schwerer Schritt, und man sollte ihn sich wohl vorher ueberlegen ehe man ihn thut, denn zurueck kann man nicht wieder, wenn man nicht wenigstens Alles opfern will, was Einem bis dahin noch zu eigen gehoert hat. Thun wir aber recht nur allein an uns zu denken? -- Sieh, wir schleppen uns vielleicht noch wenn auch kuemmerlich, doch ehrlich, durch, bis wir einmal sterben, und wenn es auch hart ist, dass es Einem nachher im Alter schlechter gehn soll wie in der Jugend, brauchten wir doch gerade keine Furcht zu haben dass wir verhungerten; aber die Kinder -- die Kinder -- was wird aus denen? Unser kleines Grundstueck ist die Jahre ueber kleiner und kleiner geworden; mit dem Geschaeft geht's auch kuemmerlicher wie bisher -- neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen die noch keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Doerfern herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnedies den Todesstoss. Stahl und Holz braucht Nichts zu essen und arbeitet unermuedet Tag und Nacht durch, und die Raeder und Walzen und Haemmer klopfen und drehen und schwingen ununterbrochen fort gegen den Schweiss des armen Arbeiters der darueber zu Grunde geht. Ich murre auch nicht darueber, es muss wohl schon so recht sein, denn Gott hat's den Menschen selber gelehrt und die Welt muss vorwaerts gehn -- wir aelteren Leute koennen uns aber eben nicht mehr darein schicken, koennen nichts Anderes mehr ergreifen, und wieder von vorne anfangen, wenigstens hier im Lande nicht wo Einem die Haende nach allen Seiten hin gebunden sind, und darum ist mir der Gedanke gekommen auszuwandern. Da drueben ueber dem Weltmeere hat der liebe Herr Gott noch einen grossen gewaltigen Fleck Erde liegen, fuer uns arme Leute bestimmt, den Maschinen und Raederwerken zu entgehn; dort haben wir Platz uns zu bewegen, und wer nur da ordentlich arbeiten will hat nicht allein zu leben, sondern kann auch vielleicht fuer sich und die Kinder was vorwaerts bringen und braucht sich nicht mehr vor der Zukunft zu fuerchten und vor Hunger und Noth. Wenn wir nicht auswandern, was bleibt unsern Kindern da einmal anders uebrig, als in Dienst zu gehn und sich bei fremden Leuten doch herumzuschlagen ihr Lebelang." "Und die Mutter?" sagte die Frau, sich aengstlich nach der Thuere umsehend -- "was wuerde aus der alten Frau auf dem Meere?" "Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz," sagte aber der Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigeren Herzen, als er bei dem eigenen Weib nicht den Widerstand fand, den er vielleicht gefuerchtet -- "sie gewoehnen sich an das neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um sich sehen, und die Seeluft soll kraeftigen und staerken." "Aber sie wird nicht mit uns wollen." "Sie wird ihre Kinder nicht verlassen," troestete sie der Mann, "und ohne sie duerften wir ja auch gar nicht fort." Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich drueckte, und wandte sich dann, und wollte eben das Zimmer verlassen, als draussen Jemand die Thuer aufriss und in das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen hoechsten Grad erreicht, und der Regen schlug in ordentlichen Guessen gegen die Fenster an, waehrend der Wind die Wipfel der Baeume herueber und hinueber schuettelte und die Bluethen von den Zweigen riss mit rauher Hand. [Capitel 6] "Schoenen Gruss mit einander," sagte dabei eine rauhe Stimme, waehrend die Stubenthuer halb geoeffnet wurde -- "darf man hinein kommen?" "Gott gruess Euch," sagte die Frau -- "kommt nur herein, bei dem Wetter ist's boes draussen sein -- es tobt ja, als ob der letzte Tag hereinbrechen sollte." Der Fremde hing seinen Hut und Mantel draussen ab und trat mit nochmaligem Gruss in die Stube. "Gott gruess Euch," sagte auch Gottlieb -- "da, nehmt Euch einen Stuhl und setzt Euch zum Ofen; es ist heut unfreundlich draussen, und man kann ein Bischen Feuer brauchen." "Sauwetter verdammtes," fluchte der Mann, als er der Einladung Folge geleitet und sich die nassen Haare aus der Stirne strich -- "ich wollte erst sehen dass ich die Schenke erreichte; hier um die Ecke herum kam der Wind aber so gepfiffen dass er mich bald von den Fuessen hob, und es war gerade als ob sie Einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach dem andern entgegen gossen. Schoenes Wetter fuer Enten, aber fuer keine Menschen." Es war eine rauhe, kraeftige Gestalt, der Mann, mit krausem dicken schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden unstaeten Augen, in einen groben braunen Tuchrock gekleidet, wie ihn die Fleischer nicht selten auf dem Lande tragen. Die ebenfalls braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt, bis fast unter das Knie, mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch alle Pfuetzen und Schlammwege hindurch zu koennen; die aus ungeborenem Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den Hals hinauf zugeknoepft, und eine lange silberne Kette, an der die in der Westentasche steckende Uhr befindlich war, hing ihm darueber hin. "Ihr seid wohl weit von hier zu Haus?" frug Gottlieb nach einer laengeren Pause, in der er den Mann und dessen Aeusseres fluechtig nur betrachtet hatte -- "hab' Euch wenigstens noch nicht hier bei uns gesehen." "Zehn Stunden etwa," sagte der Fremde, seine Pfeife jetzt aus der Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl und Schwamm, den er bei sich fuehrte, entzuendend -- "wie weit ist's noch bis Heilingen." "Eine tuechtige Stunde -- wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich waere, koennte man's recht bequem in kuerzerer Zeit gehn." "Hm -- ist noch verdammt weit, puh wie das draussen stuermt; und die Pflaumenbluethen pflueckt's beim Armvoll herunter -- Pflaumenmuss wird theuer werden naechsten Herbst." "Das weiss Gott," sagte Gottlieb -- "es wird Alles theuer, immer mehr jedes Jahr, langsam aber Sicher." "Bah, es geschieht denen recht die hier bleiben, wenn sie nicht hier bleiben muessen; 's giebt Plaetze die besser sind." "Wollt Ihr auch auswandern?" sagte Gottlieb rasch. "Auswandern? -- nach Amerika? -- hm -- ich weiss noch nicht," brummte der Fremde, sich den Bart streichend -- "es waere aber moeglich dass sie Einen noch dazu trieben. Sind das Euere Kinder?" "Ja. -- " "Habt Ihr noch mehr?" "Noch einen Jungen von elf und ein halb Jahr." "Und Ihr seid ein Weber?" sagte der Fremde mit einem Blick auf den Webstuhl -- "auch schwere Zeiten fuer derlei Arbeit, mit einer Familie durchzukommen." "Ja wohl, schwere Zeiten," seufzte Gottlieb, als in diesem Augenblick die Thuer draussen wieder aufging und die Mutter laut ausrief: -- "Der Hans, lieber Himmel kommt der in dem Wetter." Es war Hans, der aelteste Sohn des Webers, durch und durch nass, aber mit frischem gesunden Gesicht und rothen Backen, auf denen das Regenwasser in grossen Perlen stand. "Guten Tag mit einander," sagte er, als er in's Zimmer trat und die triefende Muetze vom Kopf riss -- "guten Tag Mutter." "Guten Tag Hans, aber wo um Gottes Willen kommst Du in dem Regen her; warum hast Du das Wetter nicht bei Lehmann's abgewartet?" "Es wurde mir zu spaet Mutter und ich war hungrig geworden; habe auch noch heute Abend dem Vater etwas zu helfen." "Ein derber Junge," sagte der Fremde, der sich den Knaben indess mit finsterem Blick betrachtet hatte -- "kann wohl schon ordentlich mit arbeiten." "Ach ja, er packt tuechtig mit zu," sagte der Vater -- "lieber Gott in jetziger Zeit muss Alles mit Brod verdienen helfen." "Die Kinder fressen Einen arm," sagte der Fremde. "Habt Ihr Kinder?" frug Gottlieb. "Ich? -- hm, ja," sagte der Fremde nach einer Pause -- "koennte noch Jemandem abgeben davon." "Ich moechte keins hergeben," sagte die Frau rasch, und kuesste das Juengste, das sie eben wieder aufgenommen hatte um es zu fuettern, "Kinder sind ein Segen Gottes." "Ja -- so sprechen die Leute wenigstens," sagte der Fremde trocken, "aber ich glaube es laesst nach mit Regnen; ich werde die Schenke wohl jetzt erreichen koennen." "Wollt Ihr nicht vielleicht erst eine heisse Tasse Kaffee trinken?" frug die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum Ofen gehend, die dort warmgestellte Kanne wieder vorzuholen. "Danke, danke," sagte aber der Fremde abwehrend -- "kann das warme Zeug nicht vertragen; ein Glas Branntwein ist mir lieber." "Das thut mir leid," sagte der Mann, "den kann ich Euch nicht anbieten; ich habe keinen im Hause." "Thut auch Nichts," lachte der Fremde; "so lange halt ich's schon noch aus. Sind doch huelflose Dinger so junge Menschen, ehe sie die Kinderschuh ausgetreten haben," setzte er dann hinzu, als das Juengste das Maeulchen nach dem schon einmal gereichten Loeffel vorstreckte -- "was machte nun so ein jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber ueberliesse." "Ach Du lieber Gott," sagte die Frau bedauernd -- "so ein armer Wurm muesste ja elendiglich umkommen." "Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg wuerde und sie kaemen und es fuetterten," lachte der Andere. "Dafuer haben die Kinder Eltern," sagte die Frau, das kleine, die Aermchen zu ihr ausstreckende Maedchen liebkosend und kuessend, "die sorgen schon dafuer dass kein Nachbar danach zu sehen braucht." "Wenn die aber einmal ploetzlich stuerben, wie dann?" frug der Fremde, mit einem Seitenblick auf die Frau, indem er seinen Rock wieder zuknoepfte und sich zum Gehen ruestete. "Dann ist Gott im Himmel," sagte Hanne, mit einem frommen vertrauungsvollen Blick nach oben. "Ja, das ist wahr;" sagte der Fremde mit einem leichtfertigen Laecheln, "der hat allerdings die grosse Kinderbewahranstalt. Aber es hat wirklich aufgehoert mit Giessen," unterbrach er sich rasch, "den Augenblick will ich doch lieber benutzen. So schoen Dank fuer gegebenes Quartier Ihr Leute, und gut Glueck." "Bitte, Ihr habt fuer Nichts zu danken, behuet' Euch Gott," sagte Gottlieb freundlich. "Behuet' Euch Gott;" sagte auch die Frau, und der Mann, ihnen noch einmal zunickend, nahm draussen wieder den nassen Mantel um, drueckte sich den breitraendigen Hut in die Stirn, griff einen derben Knotenstock, der daneben in der Ecke lehnte, auf, und verliess rasch das Haus, die Richtung nach der Schenke einschlagend. "Mich freut's dass er fort ist," sagte die Frau, die dem Knaben gerade das Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee einschenkte -- "bewahr uns Gott, was hatte der Mann fuer ein finstres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht schlafen koennt' ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir wuesste. In dem Gesicht liegt auch nichts Gutes -- und wie er fluchte und ueber die Kinder sprach -- ob er nur wirklich selber welche hat." "Er sagt's ja," bestaetigte Gottlieb -- "aber mir schien's ein Fleischer zu sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer rauh und derb, meinen's aber nicht immer so boes." "So bess're ihn Gott," sagte die Frau mit einem Seufzer, "und je seltener er unseren Weg kreuzt, desto besser." Capitel 7. NACH AMERIKA. "Nach Amerika!" -- Leser, erinnerst Du Dich noch der Maerchen in "Tausend und eine Nacht", wo das kleine Woertchen "Sesam" dem, der es weiss, die Thore zu ungezaehlten Schaetzen oeffnet? hast Du von den Zauberspruechen gehoert, die vor alten Zeiten weise Maenner gekannt, Geister heraufzurufen aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu machen? -- Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkuehne Menschenkind das sie gesprochen, bebte zurueck vor der furchtbaren Gewalt die es heraufbeschworen. Die Zeiten sind vorueber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das rechte Wort vergessen sie zu rufen -- aber ein anderes dafuer gefunden, das kaum minder stark mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern, den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhaeltnissen und Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reisst, in dem es bis dahin mit seinen staerksten, innigsten Fasern treulich festgehalten. "Nach Amerika," leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft pruefen sollte, seinen Muth staehlen -- "nach Amerika," fluestert der Verzweifelte der hier am Rand des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde -- "nach Amerika," sagt still und entschlossen der Arme, der mit maennlicher Kraft und doch immer und immer wieder vergebens, gegen die Macht der Verhaeltnisse angekaempft, der um sein "taegliches Brod" mit blutigem Schweiss gebeten -- und es nicht erhalten, der keine Huelfe fuer sich und die Seinen hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen _kann_ -- "nach Amerika" lacht der Verbrecher nach gluecklich veruebtem Raub, frohlockend der fernen Kueste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt vor dem Arm des beleidigten Rechts -- "nach Amerika," jubelt der Idealist, der wirklichen Welt zuernend, weil sie eben wirklich ist, und ueber den Ocean drueben ein Bild erhoffend, das dem, in seinem eigenen tollen Hirn erzeugten, gleicht -- "nach Amerika" und mit dem einen Wort liegt hinter ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes frueheres Leben, Wirken, Schaffen -- liegen die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknuepft, liegen die Hoffnungen die sie fuer hier gehegt, die Sorgen die sie gedrueckt -- _"nach Amerika!"_ So gaehrt und keimt der Saame um uns her -- hier noch als leiser, kaum verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und Kasten. Der Bauer draussen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain der ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer geaergert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit ueber dem Meer drueben, in dem fetten, herrlichen Land; -- der Handwerker in seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt mit Neuerungen und grossen, marktschreierischen Firmen, die wenigen Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thuer zu locken; der Kuenstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der ueber einer freieren Entwickelung bruetet, und von einem Lande schwaermt wo Nahrungssorgen ihm nicht Geist und Haende binden; -- der Kaufmann hinter seinem Pult, der Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Buechern zieht und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestuetzt, von einem neuen, andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefuellten Waarenhaeusern traeumt; in Tausenden von ihnen draengt's und treibt's und quaelt's, und wenn sie auch noch vielleicht Jahre lang nach aussen die alte fruehere Ruhe wahren, in ihren Herzen glueht und glimmt der Funke schon -- ein stiller aber ein gefaehrlicher Brand. Jeder Bericht ueber das ferne Land wird gelesen und ueberdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend fuer den Kranken. Vorsichtig und aengstlich, und weit herum um ihr Ziel, dass man die Absicht nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding -- nach Leuten die vordem "hinueber" gezogen und denen es gut gegangen -- nach Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk -- fuer Andere natuerlich, nicht fuer sich etwa -- sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinueber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wuenschen dass es dem wohl geht, und haeufen mehr und mehr Zunder fuer sich selber auf. So ringt und draengt und wuehlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan, und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war -- aus dem, aus jenem Grund -- und taeglich, stuendlich noch hoeren wir von anderen, von denen wir im Leben nie geglaubt dass _sie_ je an Amerika gedacht, wie sie mit Weib und Kind, mit Hab' und Gut hinueberziehn. Und _dort_? -- noch liegt ein dichter Schleier ueber ihrem Schicksal dort, doch Gottes Sonne scheint ja ueberall -- Dir aber lieber Leser, greif ich aus dem Leben noch hie und da ein paar Freunde heraus, die wir begleiten wollen auf dem weiten Weg. * * * * * Oben in der Brandstrasse -- nicht weit vom Brandthor entfernt, und dem Gasthaus zum Loewen schraeg gegenueber, wohnte Professor Lobenstein mit seiner Familie, in der ersten Etage eines, zwar sehr alten, aber auch sehr wohnlich eingerichteten Hauses, das ihm eigen gehoerte. Der Professor war ein Mann, gerade an der anderen Seite der "besseren Jahre", etwa einundfuenfzig alt, aber ruestig und gesund, nur erst mit einzelnen grauen Haaren zwischen den rabenschwarzen Locken, die ihm ueber die bleiche, aber hohe und geistvolle Stirn fielen, wie mit fast jugendlichem, elastischem Gang und Wesen. Ein tuechtiger Kopf dabei, hatte er _jura_ und _cameralia_ studirt, und einen grossen Schatz von Kenntnissen aufgehaeuft; auch in manchem, mit schweren muehsamen Nachtwachen erkauften Werk der Welt, der undankbaren Welt das Resultat seiner Studien und Forschungen gebracht und dargelegt. Unzufrieden aber mit dem Erfolg, und der kalten Aufnahme die es gefunden, wandte er sich spaeter wieder von den bis dahin bevorzugten juristischen Wissenschaften ganz ab und allein seinem Lieblingsstudium den Cameralien zu, in denen er besonders der Gewerbskunde seine Thaetigkeit widmete, auch mit einem Buchhaendler in Heilingen eine Gewerbszeitung gruendete und herausgab. Hierin hatte er Unglueck; der Buchhaendler machte bankerott und er uebernahm die Zeitung, mit ziemlich grossen Verlusten schon, allein. So vortrefflich aber Professor Lobenstein in der Theorie seiner Wissenschaft bewandert sein mochte, so wenig sattelfest war er es in der Praxis, und seine Zeitung wollte und wollte keinen Boden gewinnen. Mit fabelhaftem Fleiss suchte er dem zu begegnen, umsonst -- umsonst auch dass er Capital nach Capital in das, zuletzt nur noch zur Ehrensache gewordene Unternehmen steckte. Sein Haus bekam Hypothek auf Hypothek und mit einer hoechst unguenstigen politischen Periode, in der ihm eine grosse Anzahl Abonnenten absprang, trafen ihn auch so bedeutende pecuniaere Verluste, dass er sich endlich genoethigt sah sein Blatt vollstaendig aufzugeben. Es war das das schwerste Opfer, das er bis dahin gebracht. Professor Lobenstein hatte eine ziemlich starke Familie, eine Frau, zwei erwachsene Toechter von siebzehn und zwanzig Jahren, einen Sohn von achtzehn, und zwei kleinere Kinder, einen Knaben von acht und ein Maedchen von sieben Jahren. Wenn auch nicht in Reichthum doch in einem gewissen Wohlstand erzogen, war aber der Familie bis jetzt das schwere Wort "_Nahrungssorgen_" fremd geblieben; der Professor hatte immer, was man so nennt, ein Haus gemacht, und sich in einem Umgangskreis bewegt, der ihnen schon an und fuer sich eine gewisse Verpflichtung auferlegte Manches mitzumachen, was seinen, sonst mehr einfachen Neigungen eben nicht Beduerfniss schien. Das Alles sollte, ja _musste_ sich jetzt aendern, denn wenn er auch aus den Truemmern seines Vermoegens, nach allen erlittenen Verlusten, einen kleinen Theil zu retten vermochte, genuegte der nicht, das bisherige Leben fortzufuehren. Die Wahl blieb ihm jetzt allein, von Neuem eine Laufbahn mit geringeren Mitteln anzufangen, und sich und den Seinen schwere und ungewohnte Entbehrungen an einem Orte aufzuerlegen, wo ihn Alles und Jedes an fruehere und bessere Zeiten erinnerte oder -- es war eine schwere Stunde in der ihm das Bild zum ersten Mal vor die Seele stieg -- in einem anderen Welttheil, ungekannt, aber auch nicht bemitleidet oder verspottet, ein vollkommen neues _Leben_ zu beginnen. Aber die Frauen? -- wuerden sie den Muehseligkeiten einer so langen Reise, einer Ansiedlung drueben in einem noch wilden Lande gewachsen sein? -- Dass er selber die Beschwerden eines solchen Lebens leicht ertragen wuerde, daran zweifelte er keinen Augenblick; er hatte so viel ueber Amerika gelesen, sich mit den dortigen Verhaeltnissen aus allen erschienenen Schriften so vertraut gemacht, dass er Alles kannte was ihn dort erwartete, und einem derartigen Wirken eher mit Freude und Lust, als Bangen entgegenging; aber durfte er seine Frau all den sie erwartenden Unbequemlichkeiten und Strapatzen aussetzen? durfte er seine Toechter aus ihrem geselligen gluecklichen Leben reissen, und ihnen mit einem Schlage alle jene Vergnuegungen entziehen, die ihnen hier schon mehr als Erholung, die ihnen fast Beduerfniss geworden? Einen langen und schweren Kampf kaempfte er mit sich selber, Monate lang, und er wurde alt in der Zeit; die Augen lagen tief in ihren Hoehlen und seine Zuege bekamen etwas Mattes und Abgespanntes, das sie sonst, in seiner schwersten Arbeitszeit noch nie gehabt. Wenn auch die Kinder dabei sich leicht mit einem vorgeschuetzten Unwohlsein beruhigen liessen, dem scharfen Blick der Gattin entging die Sorge nicht, die an seinem Herzen heimlich, aber desto gewaltiger nagte, und ihren dringenden, aengstlichen Bitten konnte er zuletzt nicht laenger widerstehen. Was sie doch zuletzt haette erfahren _muessen_, vertraute er ihr an und wenn es die arme Frau auch wie ein Schlag aus heiterem Himmel traf, nahm sie das Ganze doch viel ruhiger auf als er erwartet, gefuerchtet, und damit eine schwere Last von _seinem_ Herzen -- auf das ihre. Aber leichter traegt sich die getheilte, und bereden konnten sie jetzt zusammen was zu thun, welchen Weg zu gehen, die Moeglichkeit besprechen die sich hier ihrem Leben bot, die Moeglichkeit errwaegen, die ihnen dort eine andere freiere Zukunft oeffnete. Und die Kinder? wohin Muetter und Vater gingen folgten die ja gern; nur die Scene wechselte fuer sie, anderen, vielleicht selbst bunteren Bildern Raum zu geben, und Kummer und Sorge kannten die ja nicht. An demselben Abend waren die beiden aeltesten Toechter zu einem kleinen Fest, dem Geburtstag einer Freundin, eingeladen und hatten schon den ganzen Tag mit rastlosen Fingern an dem bunten blitzenden Ballstaat genaeht. Der Vater begleitete sie dorthin, nur die Mutter blieb daheim, Kopfschmerz vorschuetzend, und die Sorge um das juengste Kind, das mit einem leichten Unwohlsein in seinem Bettchen lag. Aber gegen zehn Uhr schlummerte es sanft und ruhig auf dem weichen Lager ein, und daneben, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestuetzt, sass die Mutter und weinte -- weinte als ob sie mit dieser Thraenenfluth all den Gram und Kummer fortwaschen wollte, der jetzt, ein dunkler Wolkensaum, am Horizonte ihres Gluecks erschien, und wild und drohend hoeher und hoeher stieg. Lachend und plaudernd kehrten die Toechter, mit dem Vater spaet in der Nacht zurueck; den leichten, sorglosen Herzen lag die Welt noch, ein weiter Garten offen da, und was etwa an wuchernden Giftpflanzen dazwischen stand, mischte noch sein fastgruenes Laub, dem jungen Auge nicht erkennbar, mit Blum' und Bluethenpracht. Aber der Moment naeherte sich auch, wo mit der vorgerueckten Jahreszeit all' die noethigen und mannichfaltigen Vorbereitungen zu einer so langen Reise, zu einer gaenzlichen Umgestaltung aller ihrer Verhaeltnisse, getroffen werden _mussten_; auch schien die Zeit eine passende fuer den Sohn, der, von der Schule gerade abgegangen, eben sein Abiturienten-Examen gluecklich bestanden hatte. Der Vater wuenschte allerdings dass er hier erst studiren, und ihnen dann spaeter, wenn er etwas Tuechtiges gelernt, vielleicht folgen sollte, dachte ihm aber doch die freie Wahl zu lassen, und seinem Herzen keinen Zwang aufzuerlegen. Am naechsten Morgen nach dem Balle nun -- es war spaet mit Aufstehn geworden nach der durchschwaermten Nacht und die zweite Tochter Marie eben erst zum Kaffee heruebergekommen, waehrend der Sohn das Haus schon, irgend eines notwendigen Ganges wegen verlassen hatte -- sass der Vater, ungewohnter Weise nicht in seiner Studirstube an der Arbeit, sondern im Sopha, aus der langen Pfeife den Dampf in weissen Kraeusselwolken von sich blasend, und die Mutter am Naehtisch, Kleider ausbessernd fuer das Juengste, das in seinem heruebergeschafften Bettchen wieder mit klaren Augen seine Puppe schaukelte. "Schon ausgeschlafen, Vaeterchen?" sagte Marie als sie, etwas beschaemt, die Letzte am Kaffeetische Platz genommen, "ich habe wohl recht lange heut geschlafen, aber -- was ist Dir denn? -- und der Mutter auch?" -- rief sie vom Stuhl wieder aufspringend, als sie das ungewohnte ernste Wesen der Eltern gewahrte -- "bist Du boese auf mich, Muetterchen?" "Nein mein Kind," sagte diese und zwang ein Laecheln auf die Lippen, "aber der Vater hat Euch etwas recht Ernstes heute zu sagen, etwas von dem wir noch nicht wissen, ob es Euch betrueben wird oder nicht." "Der Vater?" rief Marie erschreckt, und auch Anna, die aelteste Tochter, sah aengstlich zu ihm auf; Professor Lobenstein aber, so in die Enge und zum Aeussersten getrieben, hustete, paffte den Dampf ein paar Mal scharf vor sich hin, die Pfeife ordentlich in Gluth zu bringen, und sagte: "Ja Kinder, Ihr wisst -- wir -- wir haben doch in den letzten Tagen viel ueber Nord-Amerika gesprochen, und auch Manches gelesen -- " "Ja, die herrlichen Romane von Cooper," rief Marie rasch. "Und die schrecklichen Berichte im Tageblatt," laechelte Anna. "Der Doctor Haide ist ein Esel," sagte der Professor, den Rauch wieder ein paar Mal rasch ausstossend -- "wenn der haette in Amerika ordentlich arbeiten wollen, brauchte er sich jetzt nicht von einer Winkeladvocatur und vom Schimpfen auf freisinnige Leute zu ernaehren; ueber dessen Berichte wollen wir uns keine Sorgen machen, aber -- " er schwieg wieder einen Augenblick und sah, wie furchtsam, nach der Frau hinueber. Die jedoch arbeitete um so emsiger weiter, und selber mit dem Beduerfniss dem, was ihn schon so lange gedrueckt, endlich einmal Worte zu geben, fuhr er rasch fort -- "ich habe eine Frage an Euch zu thun, Kinder -- Haettet Ihr -- haettet Ihr wohl selber Lust hinueber nach -- nach Amerika zu gehn?" "Nach Amerika?" rief Anna rasch und auch wohl erschreckt. Marie aber sprang auf, schlug in die Haende und rief jubelnd: "Nach Amerika? oh das waere ja praechtig -- das waere herrlich -- nicht wahr da sind auch Baelle, Vaeterchen?" Die Mutter seufzte tief auf und der Vater zog wieder, etwas verlegen an der Bernsteinspitze. "Hm -- ich weiss nicht," sagte er langsam mit dem Kopf schuettelnd -- "wo wir im Anfang hinwollten, werden wohl keine sein. Haengst Du so an Baellen, Marie?" "Ich tanze gern," laechelte das junge froehliche Maedchen etwas verlegen und schuechtern. "Nun tanzen wirst Du dort hoffentlich auch koennen, mein Kind," sagte der Vater freundlich -- "wenn auch nicht gerade gleich auf solchen Baellen wie wir sie hier gewohnt sind -- das Leben ist dort einfacher." "Oh, und bis zum naechsten Fasching sind wir gewiss auch wieder zurueck," rief Marie. Der Vater schwieg erst eine kleine Weile, und sagte dann leise aber entschlossen. "Wir wollen _ganz_ hinueberziehn, mein Kind." "Auswandern?" rief die aeltere Schwester fast erschreckt -- das Wort, dessen Bedeutung sie noch gar nicht vollkommen verstand, traf sie mit einem unbekannten ahnenden Gefuehl von Schmerz und Leid -- "und die Mutter?" "Ihr werdet mich doch nicht wollen allein zuruecklassen?" laechelte die Frau, sich gewaltsam zwingend ueber den Schmerz dieser Stunde. "Mutter!" sagte Anna, warf die Arme um ihren Nacken und kuesste sie. "Und Eduard?" frug Marie. "Bleibt, wenn er meinem Rathe folgt, noch hier bis er ausstudirt und etwas ordentliches gelernt hat," sagte der Vater -- "wo nicht, hat er seinen freien Willen und mag uns begleiten; sowie er zu Hause kommt werde ich mit ihm sprechen." "Aber -- " rief Marie -- "wer verwaltet unterdessen unser Haus?" "Wenn wir einmal fort sind von hier," sagte der Professor ausweichend, "kann uns auch das Haus nichts mehr nuetzen, und ich werde es verkaufen." "_Verkaufen_? -- unser Haus und den Garten?" riefen Maria und Anna fast wie aus einem Munde erschreckt und rasch -- "Unser freundliches Stuebchen, wo wir als Kinder gespielt," setzte Marie traurig hinzu. "Und die Baeume die Vater alle gepflanzt -- die Laube, die wir uns selbst gebaut, und die so schoen geworden ist in diesem Jahr," sagte Anna leise -- "verlassen wollt' ich es ja gern, wenn wir Alle gehn, aber dass fremde Menschen jetzt darin hausen sollen, die vielleicht gar nicht wissen wie wir das Alles gehegt und gepflegt und -- " ihr Blick fiel in diesem Augenblick auf der Mutter, halb von ihr abgewandte bleiche Zuege, und fasste das Blitzen einer heimlich fallenden Thraene. Anna erschrak und wurde todtenbleich -- hier lag mehr verborgen als man ihnen gesagt, und heimlicher Gram, heimliche Sorge nagte an der Eltern Herzen, durfte sie die vermehren? Sie schwieg einen Augenblick und sah sinnend vor sich nieder, dann aber Mariens Hand ergreifend sagte sie mit leichterem vielleicht gezwungen froehlicherem Ton: "Aber wir wollen nicht klagen; Vater und Mutter wissen am Besten was sie zu thun haben, und was uns gut ist, und dort baut uns Vater dann ein anderes Haus, und wir selber pflanzen uns ein neues Gaertchen, schoener als das unsere hier." "Aber ich bliebe hier, wenn ich an Vaters Stelle waere," schmollte Marie, "und was wird Herr Kellmann dazu sagen, wenn er es erfaehrt? der ist so immer gegen Amerika, und hat sich schon oft mit Vater darueber gezankt." "Ach der macht mir die geringste Sorge," sagte Anna in ihrem Schmerz laechelnd -- "wenn man _fuer_ Amerika spricht, schimpft er aus Leibeskraeften, und citirt Gott weiss was fuer Stellen aus Briefen und Zeitungen, alles Guenstige zu widerlegen, oder wenigstens stark zu bezweifeln, und kommt Jemand der das Land ordentlich angreift, dann hab' ich auch schon gesehn, dass er den Handschuh wacker dafuer aufnimmt, und man wirklich glauben sollte er bekaeme so und so viel fuer den Kopf, Leute zu bereden hinueberzuziehn. Das ist ein wunderlicher Kauz, der die meiste Zeit selber nicht weiss was er will, und ich glaube, wenn es Jemand recht ordentlich bei ihm darauf anlegte, koennte man ihn selber, nur durch Widersprechen, dahin bringen, dass er in eigener Person hinueberginge." "Herr Kellmann?" lachte Marie -- "nun _den_ moecht' ich in Amerika sehn." "Und wer weiss, ob Dir das nicht noch passirt," bestaetigte der Vater, mit dem Kopfe nickend. "Und darf ich mein neues seidenes Kleid mitnehmen, Mama?" frug das junge lebenslustige Maedchen jetzt die Mutter -- "hier lassen moecht' ich es doch nicht gern, und drueben im Wald -- " "Liebes Kind, wir werden auch nicht mitten in den Wald gehn," sagte die Mutter, die indessen heimlich die verraetherische Thraene aus dem Auge geschuettelt, freundlich dabei der zu ihr getretenen Tochter die Stirn streichend und kuessend, "denkt es Euch nicht so schlimm. Der Vater wird uns schon einen Platz aussuchen, wo wir wenigstens unter Menschen und der Cultur nicht ganz verschlossen sind -- er hielte es ja dort sonst selber nicht aus." "Aber warum gehst Du nur, Vaeterchen?" bat Marie -- "es ist doch hier so wunderhuebsch in Heilingen, und was wir da drueben haben, wissen wir noch nicht." Der Professor, zu dem Anna aengstlich aufsah, hatte seinen Sitz verlassen und ging, langsam dabei mit dem Kopf nickend, im Zimmer auf und ab; er fuehlte dass er, auch den Toechtern gegenueber, diesen eine Erklaerung seines Handelns schuldig sei, denn er riss sie aus einem liebgewonnenen Leben heraus, und fuehrte sie vielen, vielen Entbehrungen -- er durfte sich das nicht leugnen -- entgegen. Von ihrer spaeteren Haltung dabei hing auch viel ihrer Aller Glueck, ihrer Aller Zufriedenheit ab, und sie waren alt genug ihrem Urtheil zu vertrauen. Aber es kostete ihm der Entschluss einen schweren Kampf, und wo ihm die Frau war auf halbem Weg entgegen gekommen, fuerchtete er hier gerade, nicht Widerstand zu finden, denn dafuer hatten sie ihn zu lieb, aber Schmerz und Sorge zu wecken in den jungen Herzen, denen er die ungebetenen Gaeste gern noch fern gehalten haette so lang als moeglich. Sie standen jedoch an einem wichtigen, bedeutungsvollen Abschnitt ihres Lebens, und mussten _sehen_, wohin der Weg sie fuehrte. In kurzen, einfachen Worten, frei vom Herzen weg, und zu den Herzen sprechend, weil sie aus dem Herzen kamen, schilderte er ihnen jetzt die veraenderte Lage in die er, durch das gezwungene Aufgeben seiner Zeitschrift sowohl, wie durch manche schwere, ihn betroffene Verluste gekommen. Er verheimlichte ihnen nicht laenger dass er einen Theil -- einen grossen Theil seines Vermoegens eingebuesst, und das ihm selber liebe Haus nicht verkaufen wuerde, wenn ihn eben nicht -- die Verhaeltnisse dazu _zwaengen_. Aber noch blieb ihnen genug nach einem fernen Welttheil ueberzusiedeln und dort, mit bescheideneren Beduerfnissen, von Neuem zu beginnen; Amerika mit seiner ungeheuren Lebenskraft bot ihnen nach allen Seiten hin die Moeglichkeit der Existenz, und das gut und zweckmaessig angelegte kleine Capital konnte dort gute Zinsen tragen fuer spaetere Zeit. Hatten sie sich dann etwas verdient, waren die Hoffnungen, mit denen sie hinueber gingen, Wahrheit geworden, und sehnte sich ihr Herz noch nach dem Vaterland, wer hinderte sie dann zurueckzukehren zu den theueren Plaetzen, die ihnen ewig lieb bleiben wuerden in der Erinnerung? Dem Professor war es leichter um die Brust geworden, wie er das Eis nur erst gebrochen. Selbst ueberzeugt von dem was er sprach, wurde er warm, indem er den Gedanken weiter dachte, und seine Phantasie verlor sich zuletzt sogar, Luftschloesser aufbauend, zauberschnell in weiter Ferne. Der Professor ging mit dem Menschen durch, und die leicht geroetheten Wangen belebte ein eigenes, inneres Feuer. Und die Mutter sass dabei, still und schweigend, und aengstlich bemueht, in der wiederaufgenommenen Arbeit die eigene Bewegung zu verbergen. Marie und Anna aber, die des Vaters Haende erfasst und in den ihren hielten, schmiegten ihre Haeupter an seine Schultern und fluesterten; die grossen, zu ihm aufgeschlagenen Augen voll von Thraenen. "Genug, genug, Vaeterchen; mal' uns das Alles nicht so praechtig aus -- wohin Du und Mutter gehn, gehn auch wir, und waer' es mitten hinein in den wildesten Wald. Kein unzufriedenes Wort sollst Du dabei von uns hoeren, keine Klage, kein boeses Gesicht weiter -- keine Thraene -- nur die hier sind uns so ganz von selber ueber die Backen gelaufen, weil wir die Mutter weinen sahen. Mit Lieb und Lust wollen wir das Leben dort beginnen -- " "Und Kuehe und Huehner schaffen wir uns an!" rief Marie, "und die Kuehe melken wir selber und machen Butter und Kaese." "Wie gut," sagte Anna, dass wir im vorigen Jahr auf dem Land bei der Tante waren, und dort das Alles zum Spass gelernt haben; jetzt wird es uns nuetzen." "Aber nicht wahr, Muetterchen, nun weinst Du auch nicht mehr," rief Marie, zur Mutter hinuebergleitend, ihren Arm um deren Nacken legend und sie kuessend -- "drueben wird schon Alles huebsch werden. Und ein paar von den grossen Holzschuhen nehm' ich mir mit, wie sie die Bauern tragen, fuer draussen bei nassem Wetter; hei wie wir da herumpatschen wollen und schaffen und arbeiten; und plaetten thun wir auch selbst, dafuer nimmst Du kein Maedchen mehr." Den frohen, leichten Herzen schwammen schon die gewaltigen Umrisse ihrer ganzen fernen, so ungewissen Zukunft, in den einzelnen bunten Kleinigkeiten zusammen, die ihrem Geist, von dem Reiz der Neuheit mit frischem Duft ueberhaucht, entstiegen. Nur die Lichtpunkte erspaehte der, in die Ferne arglos hinausschauende Blick, und die goss er sich lustig zusammen zu einem Ganzen: was dahinter lag, der duestere Hintergrund, den das erfahrenere Mutterauge wohl erkannt, diente ihnen nur dazu die einzelnen Lichter staerker hervorzuheben, deutlicher erkennen zu koennen, und der Himmel spannte sich blau und rein ueber ihren gluecklichen Haeuptern. Capitel 8. DER TANZ IM ROTHEN DRACHEN. Drei volle Monat waren nach den, in den vorigen Capiteln betriebenen Scenen verflossen, und der Diebstahl im Dollingerschen Hause zu Heilingen, der eine ganze Woche lang fast das alleinige Stadtgespraech gebildet, wurde kaum noch erwaehnt. Der vermuthete Dieb (gegen den aber allerdings nachtraeglich keine weiteren Beweise aufgefunden worden), war zwei Tage nach dem Sturz von der Bruecke an seiner Kopfwunde gestorben; er hatte die beiden Tage vollkommen bewusstlos gelegen, und kein Wort mehr gesprochen. Das uebrige Geld aber -- ausser den zweihundert und einigen Thalern -- wie die vermissten Pretiosen, konnten, trotz den genausten Nachforschungen nirgends aufgefunden werden, und hatte er es wirklich gestohlen, so liess sich jetzt gar nichts Anderes vermuthen, als dass er es irgendwo an einer heimlichen Stelle vergraben, und ausser Sicht gebracht habe. Actuar Ledermann hatte dabei ganze Actenstoesse ueber den Fall geschrieben -- man wusste wirklich nicht wo er nur den Stoff dazu herbekommen; aber mit dem ueblichen Canzleistyl wurde die Sache, der jede gruendliche Vorlage mangelte, nach Moeglichkeit gereckt und ausgedehnt und dann, als sich Nichts weiter darueber ergab, mit starkem Bindfaden umschnuert und etiquettirt, um spaeter vielleicht, mit Jahreszahl und Nummer versehn, in irgend ein staubiges Gefach geschoben zu werden, dort ein Jahrhundert fortzutraeumen, -- wie der Verstorbene unter dem Rasen, dicht an der Kirchhofsmauer, an die er, ohne Sang und Klang damals, noch vor Tag, still und heimlich hinausgeschafft worden. Die Geistlichkeit von Heilingen hatte dem Ungluecklichen allerdings sogar dies "ehrliche Begraebniss" versagen und den Koerper der Anatomie ueberantworten wollen, da er unter dem Verdacht eines schweren Diebstahls und gewissermassen als Selbstmoerder seinen Tod gefunden -- was kuemmerte die stolzen Geistlichen die duldende Liebe die Christus gelehrt, wo _ihre_ Autoritaet Gefahr leiden konnte gekraenkt zu werden, und sie hatten einmal verordnet, dass solchen Suendern ein "christliches Begraebniss" versagt werden solle; aber die Polizei war milder und verstaendiger als die "Diener des Hoechsten" und erklaerte den Tod des Armen fuer keinen Selbstmord, indem er nur "auf der Flucht" umgekommen, waehrend wahrscheinlich der ihm beigegebene Waechter die allerdings unschuldige, und nicht zur Verantwortung zu ziehende direkte Ursache, seines Todes gewesen sei. Aber fort -- fort mit den traurigen Bildern; das menschliche Leben hat der dunklen Seiten so viele, und sie draengen sich uns doch auf, wohin wir gehen -- nur der Augenblick gehoeret uns, und nicht muthwillig wollen wir den Schmerz suchen. So mag mir der Leser denn noch einmal zum rothen Drachen hinaus folgen -- es dauert vielleicht lange, ehe wir den Platz wieder zu sehn bekommen -- und dort toent heut froehliche Musik aus dem hellerleuchteten Saal des grossen Hauses, der mit Guirlanden und Blumen und jungen Birkenreisern festlich geschmueckt ist, indess ihn eine muntere, laut und lustig durcheinander wogende Schaar belebt. Kaum eine Viertelstunde -- oder eine "halbe Pfeife Tabak", wie die Bauern sagten -- vom rothen Drachen entfernt, lag Schloss Hohleck an der anderen Seite des naemlichen Huegelrueckens, das gegenueber liegende Thal ueberschauend, und der Besitzer desselben, Graf von Hohleck, feierte heute die Vermaehlung seines aeltesten Sohnes, der dabei das Gut selber uebernahm, und nun seinen Leuten dem Tag zu Ehren ein Fest "in der Schenke" gab. Bier und Branntwein waren dabei zu freier Verfuegung gestellt, und ein starkes Musikchor aus der Stadt engagirt worden, den Leuten die ganze Nacht hindurch zum Tanze aufzuspielen -- und sie machten Gebrauch davon. Aber auch aus Heilingen selber hatten sich eine Menge Gaeste eingefunden, dem muntern Leben und Treiben der froehlichen Menschen zuzuschauen, und waehrend der untere Gartensaal einzig und allein den Dienstleuten des Rittergutes eingeraeumt war, zu dem den Stadtleuten jedoch gastlich der Zutritt gestattet wurde, hatten sich die letzteren noch besonders in einem paar der kleineren Stuben festgesetzt, wo sie ihren Wein oder ihr Bier tranken oder auch eine Parthie spielten, die Zeit auszufuellen. Zu den Gaesten aus der Stadt gehoerten auch mehre unserer alten Bekannten, unter ihnen Kellmann und Schollfeld, zwei Stammgaeste des rothen Drachen. Ledermann war ebenfalls, wenn auch spaeter, herausgekommen und ihnen hatte sich noch der Auswanderungsagent Weigel -- sehr zum Aerger Schollfeld's, der ihn nicht ausstehen konnte -- zugesellt. Weigel blieb aber nicht ruhig an ihrem Tisch sitzen, sondern ging ab und zu, und hatte sein Glas nur mit bei ihnen stehn, gewissermassen seinen Platz zu belegen. Ledermann war uebrigens heute sehr still und niedergeschlagen, er hatte sein einziges Kind vor etwa vierzehn Tagen verloren, und schien sich das sehr zu Herzen zu nehmen, erklaerte auch nur herausgekommen zu sein, sich ein wenig zu zerstreuen und die Gedanken los zu werden, die ihn in der Stadt drin peinigten. Uebrigens war ihm in den letzten Tagen hoechst unerwarteter Weise eine kleine Erbschaft von 600 Thalern zugefallen und Schollfeld, der heute Abend aussergewoehnlich gut aufgeraeumt schien, versuchte jetzt sein Bestes des Freundes Grillen oder truebe Gedanken ebenfalls zu verscheuchen. "Hoeren Sie einmal Ledermann," begann er, mit dem Deckel seines Kruges klappend und mehr Bier verlangend -- "wie ist denn die Geschichte nun mit den 600 Thalern? -- beilaeufig gesagt schneiden Sie ein Gesicht dabei, als ob Sie Schwefelsaeure verschluckt haetten." "Er hoert nicht einmal," sagte Kellmann, als der Actuar kein Wort darauf erwiederte, und die Anrede in der That gar nicht verstanden zu haben schien -- "Ledermann, Mensch, wo sind Sie jetzt mit Ihren Gedanken, im rothen Drachen bei Heilingen, im Monde, oder in Amerika?" "Wo?" sagte der Actuar, rasch und fast verstoert aufschauend, als aber die Anderen laut lachten, schuettelte er mit dem Kopf und seinen Krug nehmend und trinkend sagte er ruhig und ernst: "Ach lasst mich zufrieden Kinder -- ich habe den Kopf voll, und bin wahrhaftig heute Abend nicht zum Spassen aufgelegt." "Nicht zum Spassen aufgelegt?" rief aber Schollfeld, Kellmann unter dem Tisch anstossend -- "ist auch gar nicht noethig mein lieber Actuar -- wir spassen auch hier gar nicht; Jemand aber, der eine Erbschaft macht und irgendwo Stammgast ist, ueberkommt dabei die moralische Verpflichtung irgend etwas zum Besten zu geben, und es bleibt ein Skandal, dass man einen solchen Glueckspilz auch nur noch daran erinnern muss. Hat der Henker da wieder den Schleicher, den Weigel," unterbrach er sich aber ploetzlich mit etwas leiserer Stimme, als er sah wie dieser das Zimmer wieder betrat, und sich ihrem Tische zuwandte -- "ich hatte schon gehofft wir wuerden ihn heute Abend los sein; jetzt ist _mein_ Vergnuegen beim Teufel." "Nun meine Herren, noch so froehlich beisammen?" sagte Weigel jetzt, indem er zum Tisch trat -- "ah, da sind ja der Herr Actuar auch noch dazu gekommen -- bitte behalten Sie ja Platz, ich ruecke ein klein wenig hier herueber -- so -- das geht vortrefflich. Nun, der Herr Actuar haben in diesen Tagen ein grosses Glueck gehabt -- da darf man ja wohl gratuliren." "Danke herzlich," sagte Ledermann ruhig; "es wird uebrigens so viel von den paar hundert Thalern gesprochen, als ob's eben so viel Tausende waeren." "Ih nun, das lassen Sie gut sein," sagte aber Weigel, mit dem Kopf schuettelnd -- "sechshundert Thaler richtig angewandt koennten in der That in kurzer Zeit zu so viel Tausenden werden." "Wenn man sich Saechsische Loebau-Zittauer Eisenbahnactien dafuer kaufte, nicht wahr?" sagte Schollfeld, das Gesicht halb in den ebengebrachten Krug versteckt, und einen grimmigen Blick ueber den Rand desselben hin, nach dem Auswanderungsagenten schiessend. "Nun das gerade nicht," schmunzelte Herr Weigel, sein Glas ein wenig weiter auf den Tisch schiebend, und sich die Haende reibend, "da wuesste ich doch noch eine bessere Speculation." "Und die waere," sagte der Actuar, seitwaerts zu ihm aufschauend. "Wenn Sie sich eine kleine Farm in Amerika kauften." "Puh!" rief Schollfeld, veraechtlich den Kopf abwendend, "jetzt sein Sie so gut, kommen Sie uns hier nicht mit Ihrer alten Leier von dem verdammten Amerika, und verderben Sie uns das Bier nicht -- hier ist auch Nichts zu verdienen, denn von uns geht doch keiner hinueber." "Lieber Herr Schollfeld," sagte aber Weigel mit grosser Ruhe, "von _uns_ weiss noch Niemand was er naechstes Jahr thun wird, und verschwoeren laesst sich so eine Sache nun einmal gar nicht -- Amerika ist immer noch ein Zufluchtsort." "Ja fuer die Spitzbuben und Hallunken, _da_ haben Sie recht!" rief der Apotheker. "Ne lieber Herr Weigel!" rief aber auch Kellmann jetzt -- "mit sechshundert Thalern kann ich da drueben auch Nichts anfangen, und bin dann noch obendrein bei jedem Schritt und Tritt der Gefahr ausgesetzt, dass ich betrogen und hintergangen werde. Man kann dort ja nicht einmal seinem eigenen Bruder trauen." "Aber mein bester Herr Kellmann, das sind die unglueckseligen Ideen, die von -- na, ich will keinen Namen nennen -- ausgesprengt werden, um die Leute blind zu machen, rein blind. Sie sollen eben nicht sehen was fuer Vortheile, fuer fabelhafte Vortheile dort gerade fuer sie zu Tage liegen, und die Geruechte von dort veruebten Betruegereien haengen eben als Vogelscheuche ueber den Erbsen. Wir haben _hier_ eben so viele schlechte Charaktere wie in Amerika." "Ob eben so _viel_, will ich dahingestellt sein lassen," sagte Schollfeld mit einem nichts weniger als freundlichen Seitenblick auf den Agenten -- "aber eben so schlechte gewiss." "Nun also," erwiederte Weigel freundlich, ohne auf den Hieb einzugehn, ja im Gegentheil die Waffe laechelnd umdrehend -- "sehn Sie, selber Herr Schollfeld stimmt mir darin bei." "Ja aber nicht wie _Sie_ es meinen!" rief da Schollfeld entruestet, keineswegs gesonnen sich die Worte so im Munde verdrehen zu lassen. "Von den Betruegereien will ich noch gar Nichts sagen," unterbrach ihn aber Kellmann, ziemlich in Eifer -- "was ich dagegen sehr guten Grund habe zu bezweifeln, sind die billigen Landkaeufe, sind dabei die Erleichterungen, welche diese republikanische Regierung allen moeglichen Gewerken und Unternehmungen bietet, die geringen Taxen, der freie Verkehr und Umsatz im Innern. Das wird Alles ausgemalt mit Gold und Silber und Himmelblau, und kommt man am Ende hinueber, so hat man die ganze naemliche Geschichte wie bei uns. Dass all das nichtsnutzige Gesindel dort ohne _Pass_ herumlaufen darf, mag wahr sein, das halte _ich_ aber eben fuer keinen Fortschritt." "Verehrtester Herr Kellmann!" rief aber Weigel in Eifer -- "gegen _Thatsachen_ koennen wir doch nicht anstreiten; wir wollen doch nicht blind und taub mit dem Kopf gegen die naechste, und womoeglich haerteste Wand rennen? wir sind doch vernuenftige Menschen, aber haben Sie nicht alle die neueren Schriften jetzt gelesen, die -- " "Ach gehn Sie mit Ihren Schmierereien," rief aber Schollfeld, dem das Gespraech jetzt zur Last wurde, "fuer einen Thaler den Bogen malen ihnen die lumpigen Literaten selbst die Hoelle himmelblau an, und kleben von oben bis unten Sterne drueber. Lasst mir jetzt Euer Geschwaetz von Amerika hier, oder ich stehe, Gott straf mich, auf, und setze mich wo anders hin." "Nun, jeder darf sich hinsetzen wo es ihn gerade freut," sagte Weigel, wirklich etwas beleidigt, obgleich er sonst einen ziemlichen Theil vertragen konnte. "Ja leider," sagte aber Schollfeld, mit wieder einem Seitenblick auf den Agenten, der diesen doch jetzt vermochte aufzustehn und sein Bier auszutrinken. "Herr Schollfeld," sagte er dabei, "Sie sind in der Stadt als ein Antiamerikaner bekannt, und ich glaube Sie wuerden den Leuten eher zu einer Auswanderung nach Sibirien wie nach Nordamerika rathen." "Wuerde ich auch," sagte Herr Schollfeld trotzig, sich den Hut noch fester in die Stirn drueckend. "Nun ja, der Geschmack ist verschieden -- Jeder weiss am Besten wohin er gehoert, und dahin treibt ihn der Instinkt," sagte Herr Weigel achselzuckend, indem er den Tisch verliess, und Kellmann erwischte eben noch zur rechten Zeit Schollfeld hinten am Frackzipfel, der aufspringen und dem sich rasch entfernenden Weigel nach wollte. "Aber so fangen Sie hier doch um Gottes Willen keinen Skandal mit dem Menschen an!" rief Kellmann leise und bittend. "Instinkt treibt?" rief aber Schollfeld jetzt, da er sich hinten, vielleicht gern, gehalten fuehlte -- laut hinter dem Davoneilenden her -- "Sie wird bald 'was anders treiben Sie -- Sie _Seelenverkaeufer_ Sie!" "Pst!" rief aber auch der Actuar jetzt, ihn rasch zu sich niederziehend -- "Sind Sie denn ganz vom Boesen besessen Apotheker? auf das Wort koennte er Ihnen, wenn er's noch gehoert haette, die schoenste Injurienklage an den Hals haengen." "S'ist aber wahr -- der Lump!" rief Schollfeld aergerlich, den leeren Krug zum hastigen Trunk aufhebend, und denselben dann laut auf den Tisch aufstossend -- "es ist ein Seelenverkaeufer, der Kerl, und um einen Thaler beschwatzt er das Kind, dass es die Eltern, den Mann, dass er die Frau verlaesst -- hier Kellner, noch ein Glas Bier. -- Sprecht mir von Raubmoerdern und Strassenraeubern, gegen die das Gericht einschreitet und ihnen das Handwerk legt -- allen Respect vor einem Mann, der es den Leuten geradezu in's Gesicht wirft, "ich _bin_ ein schlechter Kerl -- ich stehle wo ich's bekommen kann, und wo ich's nicht gutwillig kriege mord' ich auch; aber solche heimliche Hallunken sind die Upasbaeume der menschlichen Gesellschaft -- sie vergiften was sie erreichen koennen, und von aussen geben sie sich das Ansehen eines ehrlichen Baumes und haben gruene Blaetter und glatte Rinde. Gegen _die_ Schufte sollte eingeschritten werden, nicht mit Geldstrafen oder Gefaengniss, nein mit Knute und Strang -- Himmeldonnerwetter, wenn ich da 'was in der Regierung zu befehlen haette." "Sie wuerden schoene Geschichten anrichten, kann ich mir etwa denken," sagte der Actuar trocken, "s'ist so schon manchmal wie's ist. Lassen Sie doch jeden seinen Weg gehn in der Welt; der liebe Gott weiss wohl wozu's gut ist. Blutigel sind auch unangenehme Geschoepfe in der Naturgeschichte, und doch verwendet sie die Natur wieder zu hoechst nuetzlichen und nothwendigen Zwecken; denken Sie sich so ein Individuum waere ein menschlicher Blutigel." "Dann trink' ich aber nicht mein Bier an einem Tisch mit ihm," rief der Apotheker. "Bah, das ist wieder zu weit gegangen," sagte Kellmann, "viel zu weit gegangen. 'Was Schlechtes koennen Sie dem Mann ueberhaupt nicht nachsagen, denn dass er fuer Amerika wirbt, ist einesteils sein Geschaeft, anderntheils seine Ansicht, und er koennte Ihnen von _seinem_ Standpunkt aus dann ebensogut wieder vorwerfen, dass Sie eine Menge Menschen absichtlich ungluecklich machten, die sie von einer Auswanderung nach jenem Lande abhielten." "Unsinn -- baarer Unsinn!" rief aber Schollfeld, unwillig den Kopf herueber und hinueber werfend -- "Jemand ungluecklich machen, dass man ihm von einer Auswanderung nach Amerika abraeth, waere gerade so, als ob ich als eines Menschen Moerder betrachtet wuerde, den ich abhalte aus dem dritten Stock auf die Strasse zu springen. Aber hol den Lump der Henker," brach er kurz und aergerlich ab, "ich war so guter Laune und jetzt hat er mir den ganzen Abend verdorben. -- Nach Sibirien auswandern -- " brummte er dabei, waehrend er eine neue Cigarre aus der Tasche nahm und sie an dem, auf dem Tisch stehenden Licht entzuendete -- "Holzkopf der -- nach Sibirien auswandern -- ich will nur einmal in den Saal gehn und sehn wie sie's da treiben, dass man auf andere Gedanken koemmt -- ich bin bald wieder da." Und von seinem Stuhl aufstehend verliess er langsam, und immer noch vor sich hin murmelnd, das Zimmer. Der Actuar stand ebenfalls auf und nahm seinen Hut. "Na nu?" sagte aber Kellmann erstaunt -- "was ist das fuer eine Wirthschaft heut Abend? Schollfeld laeuft fort, Lobsich hat sich gar nicht sehen lassen, und Sie wollen jetzt auch Fersengeld geben? wo bleibt denn da heute Abend unser Solo? -- wir koennen doch nicht wie die Pferde zu Bette gehn, ohne unsere Parthie gespielt zu haben?" "Mir ist heute nicht wie spielen," sagte der Actuar, langsam mit dem Kopfe schuettelnd, "ich habe auch Kopfschmerzen, und an der frischen Luft wird mir wohl besser werden." "Fort duerfen Sie aber noch nicht," sagte Kellmann, indem er sein Bier austrank, und ebenfalls aufstand, "da wollen wir lieber einmal unten im Garten auf und ab gehn." Der Actuar zoegerte einen Augenblick, dann aber legte er schweigend seinen Arm in den Kellmann's und beide Freunde gingen mitsammen die Treppe hinunter. Es war indessen vollkommen dunkel geworden, und die Leute hatten sich, des feuchten Abends, wie des im Saal wogenden Tanzes wegen, meist alle aus dem Garten hinaus, und in die mehr geschuetzten Raeume der Gebaeude gezogen. Nur hie und da sass noch irgend ein kosendes Paerchen in einer Laube, oder schwaermte auch wohl auf dem Vorbau des Gartens nach dem, gerade ueber dem nebelgefuellten Thal jetzt aufzeigenden Vollmond hinueber, dessen grosse rothe Scheibe sich gluehend aus den Bergen hob, und das weite, thaublitzende Thal ueberschaute. Kellmann ging ruhig neben dem still vor sich nieder schauenden Freund her, bis sie den breiten Fussweg der schoenen ebenen Chaussee erreichten, und eine kleine Strecke derselben hinauf gewandert waren; dann aber blieb er, diesen zurueck haltend, ploetzlich stehen, und sagte mit freundlichem, herzlichen Ton: "Aber lieber Ledermann, Sie duerfen sich Ihrem Schmerz um das Kind nicht so ganz und ruecksichtslos hingeben; lieber Gott ich begreife dass es ein schwerer, recht schwerer Verlust ist, aber Gott hat's gegeben und Gott hat's genommen, und wer weiss ob dem kleinen lieben Wesen dadurch nicht vielleicht ein recht truebes und schmerzliches Dasein erspart wurde." "Es ist nicht das Kind, Kellmann," sagte aber der Actuar, leise mit dem Kopf schuettelnd, "nicht der Tod meiner kleinen Adele nagt mir jetzt am Herzen, obgleich der da oben weiss wie weh er mir gethan -- nein, ich halte ihn sogar unter den jetzigen Verhaeltnissen, in denen ich lebe, fuer ein _Glueck_, und es ist _furchtbar_, dass ich gezwungen bin so etwas von dem Tod meines eigenen, einzigen Kindes zu sagen." "Aber was, um Gottes Willen, haben Sie _denn_?" rief Kellmann, verwundert vor ihm stehen bleibend und ihn anschauend. "Irgend etwas _ist_ vorgefallen, aber was? -- etwa wieder zu Hause der alte wunde Fleck?" Ledermann nickte finster und schweigend mit dem Kopf. "Aber was _will_ sie denn eigentlich," rief Kellmann finster die Brauen zusammen und seinen Arm aus dem des Freundes ziehend, um besser gesticuliren zu koennen -- "Wetter noch einmal, Ledermann, Sie haetten da schon lange ernst und entschieden auftreten sollen, die Sache ist jetzt schon viel zu weit eingerissen, und die Frau bringt sie, wenn das so fort geht, wahrhaftig noch unter die Erde." "Ernst und entschieden auftreten? -- lieber Gott," stoehnte der Actuar kopfschuettelnd -- "soll ich mir denn die letzte leiseste Hoffnung auf einen, nur moeglichen Hausfrieden selber muthwillig vernichten? -- _Sie_ haben gut reden; _Ihr_ Geschaeft ist in Ihrer eignen Wohnung, und Ihre Erholung gestattet Ihnen, _die_ ausserhalb desselben zu suchen, ich aber sitze und schwitze den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag auf dem verwuenschten Bureau, und komme ich dann Abends zu Hause, und sehne mich nach einer halbstuendigen gemuethlichen Ruhe, so beginnt die Frau, und wenn sie eine Ursache aus der Luft greifen sollte, mir das Leben zu einer Hoelle zu machen. Lieber Gott, es fiele mir ja gar nicht ein Abends in ein Wirthshaus zu gehn, wenn ich Frieden daheim haette; es giebt vielleicht wenig Menschen in der Welt, die sich so nach einem stillen, haeuslichen Leben sehnen, wie gerade ich, und keinen, Kellmann, keinen weiter, dem es _so_ verbittert, so gaenzlich aus dem Fenster geworfen wird, jeden Abend wieder von Frischem, wie gerade mir." "Aber was ist denn nur vorgefallen?" "Das Ganze ist mit wenig Worten erzaehlt," sagte der Actuar nach kurzer Ueberlegung entschlossen, "und Sie sollen mir rathen, wie ich im Stande bin mich einem Zustand zu entziehn, der mir unertraeglich wird. Sie haben gehoert dass ich von einem entfernten Verwandten sechshundert Thaler geerbt, die ich in den naechsten Wochen ausgezahlt bekomme. Das Vernuenftigste nun waere das Geld in irgend einem _sichern_ Staatspapier, oder in guten Actien anzulegen, und mit den wenigen, aber gewissen Zinsen meinen, ueberdies aermlichen Gehalt zu erhoehen -- ich habe fuenfhundert Thaler jaehrlich und weiss bei Gott oft nicht wie ich auskommen soll." "Nun gut, das ist ja Alles so schoen und glatt wie es nur sein kann." "Jawohl, aber meine Frau besteht darauf das Capital ihrem Bruder geben zu wollen, der ein Geschaeft hat und mir _fuenf_ Procent verspricht." "Ih nun, wenn es da sicher angelegt ist -- fuenf Procent waere aller Ehren werth." "Aber es _ist_ nicht sicher angelegt; der Bursche ist ein liederlicher leichtsinniger Mensch, der schon einmal Bankerott gemacht hat und -- wie ich ziemlich guten Grund habe zu vermuthen -- an der Grenze eines zweiten steht." "Ahem," sagte Kellmann nachdenkend. "Geb ich _ihm_ das Geld," fuhr der Actuar fort, "so ist es ueber Jahr und Tag, so sicher wie dort drueben der Mond aufgeht, verloren, und geb' ich es ihm _nicht_, so weiss ich dass mir die Frau zu Hause den eignen Heerd zur Hoelle macht." "Aber Donnerwetter, Ledermann, nehmen Sie mir das nicht uebel," sagte Kellmann stehen bleibend, "da wuerde ich denn doch einmal einen Trumpf darauf setzen und mein Recht als Mann und Herr im Hause wahren; nur durch Ihr ewiges Nachgeben haben Sie die Geschichte schon so, in Grund hinein verdorben." "Aber was _soll_ ich thun?" rief der Actuar verzweifelnd -- "mit Worten _kann_ ich nicht gegen sie anstreiten, nicht sechs Maenner koennten das; in Ruhe und Guete ist Nichts anzufangen mit ihr, und schlagen darf und will ich sie ebenfalls nicht." "So lassen Sie sich scheiden, zum Wetter noch einmal;" rief Kellmann, "lieber doch eine trockne Brodrinde kauen, als mit solchem Drachen das ganze Leben, eine ganze Existenz, muehselig und qualvoll hinzuschleppen." "Heute Abend zum ersten Mal," sagte der Actuar seufzend, "habe ich ihr selber damit gedroht; ich habe ihr vorgehalten, dass sie sich mit mir nicht gluecklich fuehlen _koenne_, weil sie fortwaehrend, und ohne auch nur einen einzigen Tag Frieden zu gestatten, zanke, und das Beste sein wuerde, wir liessen uns, einem Leben zu entgehen das auf die Laenge der Zeit doch nicht durchgefuehrt werden koenne, gerichtlich scheiden." "Nun? -- und was hat sie darauf erwiedert?" "Ich bin fortgelaufen," sagte der Actuar, seufzend den Kopf von dem Freund abwendend, "denn sie wurde -- sie wurde so heftig, und betrug sich -- betrug sich so unvernuenftig, dass ich mich vor den Nachbarn schaemte, und lieber Hut und Stock nahm, den Frieden wieder, wie schon so oft, auswaerts zu suchen." "Also sie weigert eine Scheidung?" "Sie schwur sie wolle mir die Augen auskratzen, wenn ich noch einmal ein derartiges Wort erwaehne, zerbrach dann in ihrer Wuth Gott weiss was Alles, und -- ich glaube sie bekam nachher Kraempfe -- ihr altes Leiden. Erst hatte ich gehofft der Tod des Kindes wuerde sie milder stimmen, aber nein, und wenn mich etwas ueber den Verlust des kleinen lieben Wesens troesten koennte, so ist es gerade der Gedanke, es dem boesen Beispiel, das ihm die eigene Mutter taeglich gab, entrissen zu sehn -- was haette zuletzt aus ihr werden sollen, als eben eine solche Frau." "Und so ist gar keine Hoffnung, mit Guete durchzukommen? -- " Der Actuar schuettelte schweigend mit dem Kopf. "Hm, das ist eine verfluchte Geschichte," sagte Kellmann, "da -- da weiss ich wahrhaftig auch nicht was ich rathen soll. Das Geld vertraute ich aber -- wenn die Sache _so_ steht -- meinem Schwager auch nicht an, soviel ist sicher -- Sie sind das sich selber und Ihrer eigenen Existenz schuldig." Der Actuar seufzte tief auf und die beiden Maenner gingen wieder eine Zeitlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschaeftigt, nebeneinander hin. Sie waren indess die Strasse ein Stueck hinauf- und wieder zurueckgegangen, und blieben jetzt mehre Minuten nicht weit von dem Eingang des Gartens stehn, den Ruecken diesem, und ihr Gesicht dem sich gerade ueber die Berge hebenden Monde zugewandt, als ein junges Maedchen, noch ein Kind fast und augenscheinlich auf der Wanderung, ganz allein mit einem kleinen Buendel in der linken Hand, und einem grossen dunklen Tuch ueber dem rechten Arm, die Strasse herunter kam und ziemlich dicht an ihnen vorueberging. So viel sie im Mondenlicht erkennen konnten, war sie nur aermlich gekleidet, und auch wohl ermuedet von einem vielleicht langen Marsch, denn sie blieb zweimal stehen und trocknete sich dabei den Schweiss von der Stirn. Das zweite Mal als sie Halt machte geschah das fast dicht vor den beiden, hier im Schatten eines Hollunderbusches stehenden Maennern, die sie im Anfang gar nicht bemerkte, und sie schien den Toenen zu lauschen die aus dem etwa zweihundert Schritt davon gelegenen hellerleuchteten Gartenhaus wild und lustig heraustoenten. "Froehliche Menschen," fluesterte sie dabei -- "_Glueckliche_;" wie sie aber den Kopf dem Lichte zuwandte, fiel ihr Blick auch auf die beiden dunklen Schatten unter der Mauer, und wie unwillkuerlich fuhr sie zurueck; dabei glitt ihr das Buendel aus der Hand und fiel zu Boden. "Wir thun Dir Nichts, Kind," sagte Kellmann, der die Bewegung gesehen hatte, gutmuethig; "wo willst Du denn noch so spaet hin?" "Nach Heilingen," antwortete das fremde Maedchen, ihr Buendel wieder aufnehmend -- "ist es noch weit bis dorthin?" "Eine halbe Stunde etwa, wenn Du ruestig zugingst; aber Du scheinst muede zu sein und wirst wohl laenger brauchen." "Ich komme weit her," sagte die Fremde, aber sie zoegerte dabei und es war als ob sie noch nach irgend etwas fragen oder um etwas bitten wolle, und sich auch wieder scheue es zu thun. "Du bist wohl hungrig, Kind?" frug sie da Kellmann, dessen gutes Herz ihn zu helfen draengte, wo das in seinen Kraeften stand -- "sag's gerad' heraus; und wenn Du kein Geld hast macht das nichts, ich schaffe Dir was." Das Maedchen schwieg und drehte seufzend den Kopf ab und Kellmann, dem richtigen Princip der Gastlichkeit und Menschenliebe treu, nicht viel zu fragen erst, wo man gern giebt, sagte ihr sich einen Augenblick auf die kleine Bank am Thor zu setzen, und er werde ihr einen Imbiss holen -- sie koenne dann Heilingen bald erreichen. Ohne erst eine Antwort abzuwarten ging er darauf rasch in's Haus, und das Maedchen zoegerte noch einen Augenblick und folgte dann, augenscheinlich zum Tod ermuedet, der freundlichen Einladung. "Du kommst weit her?" sagte der Actuar endlich, der neben ihr stehn geblieben, im Anfang aber noch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschaeftigt war, viel auf die Fremde zu achten. "Von Erfurt." "Von Erfurt? hm -- das ist eine lange Strecke; zu Fuss den ganzen Weg?" "Ja." "Und willst in Heilingen bleiben?" "Ich weiss es noch nicht." "Hast Du Verwandte dort?" "Einen Bruder." "Hast Du denn einen Pass bei Dir?" "Ja," sagte das Maedchen und holte, mit einem scheuen Blick auf den Frager, ihr kleines Buendel vor, das sie Miene machte aufzuknuepfen, der Actuar aber, der die Bewegung verstehen mochte, sagte rasch: "Nein nein -- lass nur sein -- ich will ihn nicht sehen -- ich frug nur Deinethalben, damit Du hier in der Stadt in keine Verlegenheit kaemest. Da ist auch Freund Kellmann schon mit dem Essen -- nun lass Dir's schmecken." "Da," sagte der kleine Kuerschner, der schnellen Schrittes mit einem grossen gestrichenen Weissbrod und einem hohen Glas Milch herankam und es der Fremden reichte -- "das wird Dir gut thun." Das junge Maedchen nahm das Glas mit schuechternem Danke an und trank -- erst ein wenig, dann aber herzhafter -- sie mochte wohl recht durstig gewesen sein. Wie sie fertig war setzte sie das Glas auf die Bank zurueck und nahm ihr Buendel wieder auf. "Ich danke Ihnen auch noch viel tausend Mal," sagte sie dabei mit weicher, ergriffener Stimme -- "ich hatte seit heute Morgen Nichts gegessen und war recht matt geworden." "Armes Kind," sagte Kellmann mitleidig -- "aber hast Du denn schon einen Platz in der Stadt wo Du uebernachtest?" "Ja," sagte die Kleine -- "ich denke so -- koennen Sie mir aber wohl noch sagen ob das Haus des reichen Herrn Dollinger nahe am Thore ist, oder weit in der Stadt drin?" "Dollinger's Haus? oh nicht so weit in der Stadt drin -- aber was willst Du dort?" "Mein Bruder ist in Herrn Dollinger's Geschaeft -- wohnen auch die Leute bei ihm im Hause?" "Nicht dass ich wuesste," sagte Kellmann. "Aber man kann es doch dort erfahren wo sie wohnen?" "Gewiss -- gleich unten im Haus bei dem Hausmann; frage nur nach der Poststrasse, wenn Du in's Thor kommst." "Gute Nacht Ihr Herren, und nochmals schoensten Dank -- Gott mag es Ihnen vergelten." "Gute Nacht Kind, guten Weg," sagte Kellmann, "aber -- wie heisst denn Dein Bruder?" "Franz Lossenwerder," sagte das Maedchen und ging langsam die Strasse hinab. "Oh Du mein Gott," rief der Actuar leise und erschreckt vor sich hin, wie er den Namen hoerte -- "das ist ja schrecklich." "Du lieber Gott, das arme Ding muss von dem Schicksal des Bruders gar Nichts wissen," seufzte auch Kellmann -- "und wenn sie das jetzt heute Abend erfaehrt -- o wo wird sie nur die Nacht bleiben?" "Armes, armes Kind," sagte der Actuar, "und selbst ohne Geld in der fremden Stadt." "Ich geb' ihr etwas," rief Kellmann, rasch entschlossen, und eilte "heh! -- pst!" rufend die Strasse hinab dem Maedchen nach, das stehen blieb und nach Buendel und Tuch fuehlte als sie den Ruf hoerte, weil sie glaubte dass sie vielleicht etwas vergessen haette. "Liebes Kind," stotterte aber Kellmann verlegen, als er sie eingeholt, denn er konnte es nicht ueber's Herz bringen ihr die Wahrheit zu sagen -- "ich -- ich kenne Deinen Bruder, aber -- er ist jetzt nicht in Heilingen -- Du -- Du wirst es morgen schon hoeren, und im Dollingerschen Hause koennen sie Dir auch heute nichts weiter sagen, es ist sogar sehr die Frage ob der Mann unten im Haus noch auf ist. Gleich wenn Du in's Thor hineinkommst, das dritte Haus an der rechten Seite, vor dem die beiden Laternen stecken, ist ein Gasthaus -- ein gutes anstaendiges Haus, wo sie Dir Quartier geben werden -- da gieb ihnen diese Karte, der Wirth kennt mich, und sage ihm nur ich haette Dich hingeschickt." "Aber bester Herr," sagte das Maedchen bestuerzt, als ihr der gutmuethige Kuerschnermeister mit der Karte zwei grosse Stuecken Geld -- es waren zwei Thaler -- in die Hand drueckte -- "ich weiss gar nicht -- " Kellmann liess sie aber gar nicht zu Worte kommen. "Schon gut -- schon gut," rief er, drehte sich um, und kehrte, das Maedchen allein auf der Strasse zuruecklassend, eben so rasch nach dem Platz zurueck, wo der Actuar noch seiner harrend stand. "Haben Sie es ihr gesagt?" frug dieser ihn. "Nein -- um Gottes Willen nein; das moegen Andere thun, _ich_ koennte es nicht." "Aber was soll jetzt aus ihr werden?" "Ich werde mich im Loewen schon nach ihr erkundigen," sagte Kellmann nach kurzer Ueberlegung -- "und wenn es ein ordentliches Maedchen ist, hab ich Bekannte genug hier in der Stadt, ihr einen Dienst zu verschaffen. Aber wie ist es denn mit der Lossenwerderschen oder Dollingerschen Geschichte geworden? ist denn noch etwas von dem gestohlenen Gut zu Tage gekommen? -- man hoert ja keine Sterbenssylbe mehr darueber." "Nichts -- gar nichts weiter," sagte der Actuar; "im Gegentheil hat der arme Teufel von Lossenwerder ein kleines Tagebuch gefuehrt gehabt, was sich unter den confiscirten oder mit Beschlag belegten Sachen fand, und worin er jeden bis dahin eingenommenen Groschen sorgfaeltig und ordentlich, mit seinen hoechst bescheidenen Ausgaben, aufnotirt. Das aber als gueltig angenommen -- und wir haben nicht die mindeste Ursache es zu bezweifeln da es fast zwoelf Jahre zurueckfuehrt -- waere im Gegentheil der Beweis geliefert dass die aufgefundenen zweihundert Thaler muehsam und redlich gespartes Geld gewesen waeren." "Und _kein_ anderer Beweis hat sich gegen ihn herausgestellt?" "Keiner, als dass er im Hause war und sich auffaellig heimlich daraus entfernt hat; aber auch selbst das findet nach den Acten eine wahrscheinliche, wenn auch etwas wunderliche Erklaerung. Nach einer Zahl vieler hoechst mittelmaessiger, oft aber auch ziemlich guter Gedichte, in denen sich besonders viel Gemueth ausspricht, scheint der arme verwachsene und huelflose Mensch eine Art von -- Liebe -- ich kann es nicht anders nennen, gegen Dollinger's juengste Tochter und Henkel's Braut in seinem unschoenen Koerper mit herumgetragen, und nur, seinen Standpunkt gar wohl erkennend, den einzelnen, in seinem Pult verschlossenen Blaettern anvertraut zu haben -- doch das unter uns. Diese unglueckselige und hoffnungslose Neigung _kann_ ihn moeglicher Weise dazu getrieben haben, dem jungen Maedchen zu ihrem Geburtstag einen Blumenstock zu schenken -- er hat sogar ein Gedicht geschrieben was den Punkt beruehrt, und worin er sich gluecklich fuehlt dass sie eine Blume pflegen koennte die er gezogen, wenn sie auch nicht wuesste von wem sie kaeme. Dass er unter solchen Umstaenden nicht wollte im Hause gesehen sein laesst sich denken, und ein Diebstahl in ihrem eigenen Zimmer verliert, diesen Thatsachen gegenueber, an Wahrscheinlichkeit, wenn er auch nicht eben zu einer Unmoeglichkeit gehoerte. Das Menschenherz ist schwach, und Mancher schon ist geringerer Verfuehrung erlegen." "Hm, hm, hm," sagte Kellmann vor sich hin -- "das ist ja eine rechte, rechte boese Geschichte, und der arme Teufel da am Ende ganz und gar unschuldig in sein Verderben gesprungen." "Ja, und eine Sache die mir selber schon manche schlaflose Nacht gemacht hat," sagte der Actuar, "denn ich _kann_ den Gedanken nicht los werden, welchen Antheil ich selber daran gehabt, den Ungluecklichen dahin zu treiben -- obgleich ich eben nicht mehr als meine Pflicht gethan, und an einen solchen verzweifelten Schritt nicht denken konnte; war er unschuldig, haette sich das ja bald in der Untersuchung herausgestellt." "Ja, und die Untersuchung rechnet Ihr Herrn vom Gericht eben fuer Nichts," sagte Kellmann finster -- "aber wenn das sein erspartes, und Gott weiss dann _wie_ muehsam erspartes Geld war, wird es doch auch seinen Erben nicht koennen vorenthalten werden." "Die Untersuchung ist noch nicht ganz geschlossen," sagte der Actuar, "aber ich glaube auch nicht dass irgend Jemand anders einen Anspruch darauf wird geltend machen koennen. Diese Schwester erwaehnte er ueberhaupt mehrmals in seinen Notizen, und hat sie auch dann und wann unterstuetzt, das Geld wird ihr spaeter allerdings zugesprochen werden." "Und keine Spur ist sonst aufgefunden von dem moeglichen, von dem wirklichen Dieb?" "Keine -- die Dienstboten sind Alle mehrmals scharf inquirirt und auf das Genauste die ganze Zeit beobachtet, zu sehen ob eins von ihnen vielleicht groessere Ausgaben als gewoehnlich mache, oder sich durch irgend etwas anderes verrathen wuerde; ja die Leute haben untereinander fast eben so scharfe Wacht gehalten, den Verdacht von sich abzuwaelzen und den Schuldigen aufzufinden, aber es hat sich bis jetzt nicht das Mindeste herausstellen wollen. Mit Geld ist das eine boese Sache, und wenn der Dieb die Juwelen nur vorsichtig ein paar Jahr an sich haelt, und dann vielleicht noch gar ausser Landes schafft, wer soll ihn da aufspueren? allwissend sind wir auch nicht." "Das weiss Gott," sagte Kellmann -- "wie damals mit der Pelzdecke, die mir Jemand von der Ladenthuer weggestohlen, und die ich zwei Jahr spaeter ganz gemuethlich im Polizeibureau, beim Polizeidirector selber in der Stube wiederfand; da hoert denn doch Alles auf. Aber mir ist wahrhaftig jetzt nicht wie spassen zu Muth; der Anblick des armen Maedchens hat einen wehmuethigen Eindruck auf mich gemacht; lieber Himmel, was es doch fuer Elend auf der Welt giebt, und still und bewusstlos gehen wir meist daran vorueber." "Und die Musik da drinnen, waehrend das arme Kind dort allein und freundlos seine Strasse geht, und trotzdem jetzt noch gluecklich ist gegen den Augenblick, wo es das Furchtbare doch erfahren _muss_. Mich leidet's heute nicht laenger hier draussen, Kellmann," brach er kurz ab -- "ich mag die Tanzmusik nicht hoeren -- wollen wir zurueck in die Stadt gehn? es ist ueberdies schon spaet." "Ich habe Nichts dagegen," sagte Kellmann, tief aufseufzend -- "mir ist der Abend heute auch verdorben, aber wir wollen Schollfeld erst abrufen." "Da drin ist wohl Pruegelei?" sagte da Ledermann, als aus dem Hause wilder Laerm zu ihnen heraus toente. "Das waere frueh," meinte Kellmann -- "die kommt gewoehnlich sonst erst spaeter, oder ganz zum Schluss. Es ist doch sonderbar, dass ein deutscher "Tanz" nie ohne eine Schlaegerei enden kann; es scheint auch ungefaehr dasselbe, wie der Cotillon bei einem Ball, nur dass sich die jungen Maedchen nicht dabei betheiligen -- hoechstens verheirathete Frauen, ihre Eheherren zu schuetzen, und die Verwirrung womoeglich noch groesser zu machen -- hallo aber das kommt hier heraus." "Sie werden Jemanden hinauswerfen," sagte der Actuar ruhig -- "lassen Sie uns an die Seite treten dass wir nicht in das Gewirr gerathen." Der Actuar hatte allerdings recht, denn unter dem Lachen, Schreien und Jubeln der Menge, durch das einzelne wilde Flueche einer, ihnen keineswegs unbekannten Stimme toenten, waelzte sich ein Haufen Menschen aus dem Saal heraus, in der Mitte einen Mann schleppend, der sich mit Haenden und Fuessen, wenn auch umsonst, gegen solche unwuerdige Behandlung straeubte, und in dem die beiden Freunde sehr zu ihrem Erstaunen den Auswanderungsagenten Weigel erkannten. "Lasst mich los!" schrie dieser dabei, mit den wildesten, ungemessensten Fluechen und Schimpfreden -- "lasst mich los oder ich rufe die Polizei -- Huelfe! -- Moerder! Feuer!" "Bruell nur mein Herzchen!" sagte aber der Verwalter von Hohleck, eine riesige breitschultrige Gestalt, der den machtlos dagegen Ankaempfenden wie in einer eisernen Klammer am Kragen gepackt hielt -- "Dich koennten wir hier brauchen, die Leute heimlich beschwatzen dass sie Hof und Dienst verlassen und nach Amerika liefen -- ei Du Hallunke, Du kommst mir einmal wieder vor die Faeuste." "Halt da -- Hohmeier! lasst ihn los!" rief aber in diesem Augenblick eine andere, etwas schwer klingende Stimme, die dem also Gefaehrdeten zu Huelfe zu eilen schien -- "der hier -- Homeier -- der hier ist mein Freund -- mein ganz intimer Freund und den lass ich mir -- Homeier, den lass ich mir nicht aus dem Hause werfen." Es war Niemand anderes als der Wirth, Lobsich, selber, aber, wie es die Seeleute nennen, "halb im Wind", mit schwerer Zunge und schon etwas taumelndem Gang, dass sich der Zustand in dem er sich befand, nicht gut verkennen liess. Er versuchte dabei den Agenten zu halten und aus den Haenden derer die ihn gefasst hatten fortzuziehn; Hohmeier, der Verwalter schob ihn aber mit seinem linken Arm bei Seite, als ob es ein Kind gewesen waere, und sagte ruhig: "Geht zu Bett Lobsich, das waer' Euch viel besser heut Abend, aber mischt Euch nicht in Sachen die Euch Nichts kuemmern." "Nichts kuemmern?" rief aber der Wirth gereizt, indem er den Verwalter mit grossen stieren Augen ansah -- "nichts kuemmern _Hoh_meier? -- oh _Hoh_meier wem gehoert denn dies Haus, heh? -- nichts _kuemmern_? wem gehoert denn der rothe Drache, heh, _Hoh_meier." Die Schaar war indessen bis grade dorthin gekommen, wo Kellmann und der Actuar standen, und wo sie den Agenten zwischen zwei ziemlich nah zusammen wachsenden Akazienbaeumen durchtragen wollten als dieser, solche letzte Gelegenheit vielleicht, benutzend, Arm und Beine auseinanderspreitzte, dass sie ihn nicht hindurchbringen konnten, waehrend er von Neuem sein "Huelfe! Moerder! Feuer!" aus voller Kehle schrie. "Wenn ihm nur Jemand die Beine ausheben wollte!" sagte Herr Schollfeld, der ein hoechst vergnuegter Zeuge der Scene war, ohne jedoch seines schwaechlichen Koerpers wegen selber Theil daran zu nehmen, jetzt wohlmeinend. Ein paar Knechte vom Hof, die ihren Verwalter in seinem Richteramt unterstuetzten, liessen sich das auch nicht zweimal sagen, und der wuethend, aber vergebens dagegen Antretende fand sich bald in der vollkommnen Gewalt der Leute, ohne im Stande zu sein auch nur den geringsten erfolgreichen Widerstand zu leisten. "Heh _Hoh_meier!" schrie aber Lobsich, der sich indess durch die im Garten stehenden Stuehle und Tische wieder nach vorn gedraengt hatte den Mann frei zu machen, von dem er sich ploetzlich einbildete dass er sein Freund sei, "lasst mir den Menschen los, sag ich Euch _Hoh_meier -- Donnerwetter ich will doch einmal sehn wer hier in meinem eigenen Hause zu befehlen hat. Ihr oder ich -- _Hoh_meier. Es ist mir doch was Unbedeutendes!" Er schien sich auch in der That den Leuten entgegenwerfen zu wollen; im Vorspringen, und das viele Getraenk im Kopf, blieb er aber mit dem einen Fuss in einer dort stehenden Fussbank haengen, und schlug der Laenge lang in den Garten, waehrend die Knechte den jetzt wuethend um sich schlagenden Agenten rasch aufgriffen und, lachend ueber des Wirthes Unfall, aus der Gartenthuer auf die Strasse warfen. Ein furchtbarer Laerm entstand jetzt, die Leute jubelten und lachten, und erzaehlten sich untereinander wie der "Auswanderungsmann" einen Schaafknecht vom Gut haette bereden wollen als "Schaafmeister" nach Amerika auszuwandern, und vom Verwalter dabei erwischt waere, und der "Auswanderungsmann" stand vor dem Gartenthor und schimpfte und wuethete, bis einer der Knechte das Schloss wieder aufdrueckte und hinaus und ihm nach wollte, und dann auf der Chaussee stehen blieb und hinter dem davon Laufenden herfluchte, und Steine hinter ihm drein warf. Drinnen im Saal toente die Musik aber wieder rauschender als vorher, und die jungen Burschen durften die Zeit hier nicht laenger im Garten versaeumen. Waehrend die aber wieder in den Saal draengten, Taenzerinnen zu bekommen, und Schollfeld von Kellmann angerufen war, mit ihnen zurueck nach der Stadt zu gehn, blieb Lobsich noch im Garten, an dessen Thuere er trat, und nach der Strasse hinaus mit lauter und immer aergerlicher werdender Stimme Weigel's Namen schrie. Lobsich war jedenfalls stark angetrunken und wollte sehr wahrscheinlich den Mann zurueck holen, um ihm jetzt ernstlich beizustehn und den Skandal noch einmal von Neuem zu beginnen. Die drei Freunde hielten sich dabei im Schatten eines dichten Fliederbusches, von dem aufgeregten und jetzt doch nicht zurechnungsfaehigen Menschen nicht bemerkt zu werden, und dann unbelaestigt den Garten zu verlassen, als Lobsich's Frau, die das Toben ihres Mannes wohl im Haus gehoert, von dort her und den Mittelweg herunter eilte. Ohne dass er sie bemerkte kam sie auch bis dicht an ihn hinan, und hier seinen Arm ergreifend sagte sie mit leiser, bittender Stimme. "Lobsich -- Vater -- komm sei vernuenftig, lass das Schreien und Toben hier auf der Landstrasse und geh zu Bette -- thu _mir's_ zu Liebe Lobsich, wenn ich Dich darum bitte." "Lassmchfrieden," stammelte aber der Betrunkene mit schwerer Zunge und suchte sie von sich abzuschuetteln -- "lass mchfrieden sag ich -- Dnrrwttrrr -- ich weiss -- ich weiss was ich ss -- se thun habe -- " "Aber Lobsich, ich bitte Dich um Gottes Willen," fluesterte die Frau in Todesangst -- "Du machst Dich und mich ungluecklich wenn Du Dich nicht aenderst -- was soll daraus werden?" -- "Lassmch -- frieden," stammelte aber der Mann, sie unwillig von sich abschuettelnd, aber er verliess den Thorweg wenigstens und taumelte durch den Garten fort, seitwaerts vom Hause ab -- "Weibervolk," murmelte und fluchte er dabei -- Himmelsakkrments Weibervolk -- Unsinn -- violettblaues -- ist mir doch -- ist mir doch was Unbe -- Unbedeutendes -- " und er verschwand damit hinter den Bueschen. Die Frau aber blieb, den Ellbogen auf das Thuerschloss gestuetzt und das Gesicht in den Haenden bergend, allein zurueck, richtete sich aber rasch wieder auf, als sie Schritte auf sich zukommen hoerte, und wollte nach dem Haus zurueck. "Frau Lobsich," sagte Kellmann, der es war, gutmuethig, ja fast herzlich -- "macht denn das Lobsich jetzt oefter dass er so ueber die Schnur haut?" "Ach Sie sind es Herr Kellmann," sagte die arme Frau beruhigt. "Lieber Gott, ich weiss meinem Herzen keinen Rath mehr, wenn er's so fort treibt; wie soll das enden?" "Aber ich habe Ihren Mann so doch noch in meinem Leben nicht gesehn," sagte Kellmann verwundert. "Ach ja," seufzte die Frau -- "es ist nicht das erste Mal, aber ich habe immer gesucht es so viel als moeglich zu verheimlichen, es giebt gar solch ein boeses Beispiel fuer die Leute. Es sind auch eigentlich nur einige Wochen erst dass er so scharf zu trinken anfaengt. Lieber Gott, im Kopf hat er frueher schon manchmal eins gehabt, aber er artete doch nie aus, jetzt jedoch geht der Spiritus mit ihm durch, und er wird zum Thier. Ach guter Herr Kellmann, wenn Sie einmal ein recht ernstes aber doch freundliches Wort mit ihm sprechen wollten; auf Sie haelt er etwas. Mir verspricht er's wohl auch," setzte sie leiser hinzu, "aber -- er vergisst es immer nur zu rasch wieder." "Ich will mein Moeglichstes mit ihm versuchen, Frau Lobsich," sagte Kellmann freundlich -- "aber," setzte er rascher und leiser hinzu -- "dort glaub' ich kommt er schon wieder zurueck, es wird besser sein wenn Sie versuchen ihn heute Abend zu Bett zu bringen; mit einem betrunkenen Menschen laesst sich Nichts anfangen." "Na? -- Donnrrwttrrr," stammelte aber in diesem Augenblick der Wirth, der auf seinem Zickzack Cours wieder nach der Thuer zurueckkam, und die Arme einstemmend einen, wenn auch vergebenen Versuch machte, mit gespreitzten Beinen vor seiner Frau stehen zu bleiben -- "Dnnrrrwttrrr," wiederholte er, herueber und hinueber schwankend -- "was's das vor Wirthschaft heh? wo gehoert die -- gehoert die Frau hin, heh? -- in die Hofthuer mit fremden Kerlen schwatzen heh? -- ist mir doch -- ist mir doch was Unbe -- Unbedeutendes." "Aber lieber Lobsich," nahm hier der jetzt auch hinzugetretene Schollfeld das Wort, "sein Sie doch vernuenftig und gehn Sie -- " "Hallo?" rief aber der Wirth, sich halb nach dem Redner herumdrehend, in dessen hell vom Mond beschienenen Zuegen er den Apotheker erkannte -- "sin' wir auch hier? heh? -- haben auch mit g'holfen mein' besten Freund -- mein' besten Freund mit hinaus zu werfen -- heh? Sie -- Sie Giftmischer Sie -- Sie -- " "Herr Lobsich!" rief Schollfeld aergerlich, "Sie sind heute nicht zurechnungsfaehig, sonst -- " "Was? -- Pillendreher will noch -- will noch raiss -- raiss'niren -- heh?" rief aber der gereizte Wirth und that einen Schritt gegen den Mann an. "Aber Lobsich so bedenke doch um Gottes Willen was Du sprichst," bat ihn die Frau, seinen Arm ergreifend -- "komm mit mir in's Haus -- wir haben noch so viel zu thun." "Viel zu thun? -- heh? -- habe keine Zeit mehr heut Abend -- hickup" -- stammelte aber der Mann gegen den Schlucken ankaempfend -- "muss noch -- muss noch -- hickup -- muss noch Wein abziehn und -- und Bier trinken -- hickup -- und -- und hahahahaha -- da ist -- da ist ja die ganze Gesellschaft -- ja wohl -- hickup -- ja wohl, komme schon -- komme schon meine Herrn -- Lobsich ist immer da -- ein verfluchter Kerl, der -- der -- hickup -- der Lobsich -- ist mir doch -- ist mir doch was Unbedeutendes;" -- und in einer unbestimmten Idee dass ihn vom Haus aus Jemand gerufen haette, wobei er seine Umgebung ganz vergass, taumelte er dem Saal wieder zu, wohin ihm die Frau aengstlich folgte. Sie musste ihn ja zurueckhalten, dass er so seinen Gaesten und Leuten nicht wieder unter die Augen kam. Capitel 9. RUeSTUNGEN. "Nach New-Orleans!" "Das ausgezeichnet schoene, 360 Last grosse, schnellsegelnde, kupferfeste und gekupferte dreimastige Bremer Schiff erster Klasse: _Die Haidschnucke_, Capitain _E. Siebelt_, mit vorzueglicher Gelegenheit fuer Cajuets- und Zwischendecks-Passagiere -- wird am 30. August expedirt. Agent dafuer, I. G. Weigel, Hauptagent des Central-Bureau's fuer Norddeutsche Auswanderung in Heilingen, am Markt Nr. 17." Diese Anzeige stand am Morgen nach den, im letzten Capitel beschriebenen Vorfaellen im Heilinger Tageblatt, und Dr. Haide, der Redacteur desselben, hatte die Gelegenheit nicht unbenutzt wollen voruebergehen lassen, einige entsetzliche Mordgeschichten und falsche Bankerotte aus den Vereinigten Staaten, wie zur Entmuthigung aller Auswanderungslustigen, in der naemlichen Nummer seines Blattes abzudrucken. Weigel war wuethend darueber, und schrieb augenblicklich einen anderen Artikel dagegen; den nahm Doctor Haide aber nicht auf, weil er, wie er ganz naiv erklaerte, "sich dadurch selber blamiren wuerde." Uebrigens sei die Sache auch schon erledigt, indem die Schiffsanzeige _fuer_, sein Artikel aber _gegen_ Amerika und die Auswanderung waere, und er es sich zum Grundsatz gemacht haette, jeden Artikel nach beiden Seiten hin zu beleuchten -- wenn Herr Weigel etwas gegen ihn wolle einruecken lassen, sei er keineswegs verpflichtet es aufzunehmen, und er moege ihn deshalb, wenn er damit durchzukommen glaube, nur ganz einfach darauf verklagen. Die Abfahrt dieses Schiffes war aber fuer Heilingen in so fern von nicht unbedeutender Wichtigkeit, als sich mehre Familien dieser Stadt ernstlich dahin entschlossen hatten, mit demselben nach Amerika auszuwandern. So unter Anderen Professor Lobenstein, der sein Haus jetzt verkauft, und der Stadt ueberhaupt durch seine beabsichtigte Auswanderung hoechst willkommenen Stoff zu den mannichfaltigsten Vermuthungen und Eroerterungen geliefert hatte. Ja mehrere Kaffeegesellschaften der naeheren Bekannten Lobenstein's waren wirklich nur einzig und allein zu dem Zweck gegeben worden, sich einmal ordentlich ueber die Sache "aussprechen" zu koennen. Auch in dem Dollinger'schen Haus hatten die letzten Wochen bedeutende Veraenderungen hervorgebracht, indem der junge Henkel Briefe von Amerika erhielt, nach denen seine Anwesenheit dort, dringend nothwendig geworden. Zwei Wechsel trafen zugleich fuer ihn ein, wie ziemlich starke Auftraege zu Ankaeufen in Tuchen und Seidenwaaren von seinem Haus, welches Geschaeft er mit Herrn Dollinger in Gemeinschaft auszufuehren gedachte. Der alte Herr Dollinger, so schwer es ihm auch wurde, und so lange er sich dagegen gestraeubt, musste da wohl endlich seine Einwilligung zu der Verbindung Clara's mit dem jungen Amerikanischen Kaufmann, ueber dessen Familie und Geschaeft in New-Orleans er von einem dortigen Geschaeftsfreund das Beste erfahren hatte, geben. Nur wunderte man sich dort, dass der junge Henkel in Nord-Deutschland sei, waehrend man ihn auf einer groessern Tour durch Italien und Griechenland vermuthet. Die Leute dort konnten nicht wissen dass der junge Mann auf dem Rhein andere Plaene fuer seine Zukunft geschaffen, als er sie frueher vielleicht ausgesonnen. Am letzten Sonntag war also, ganz in der Stille, die Trauung vollzogen und Clara, das liebe holde Maedchen, die Frau des jungen reichen Amerikaners -- wie man ihn ueberall in der Stadt nannte, geworden. Jetzt galt es nun freilich noch, in der kurzen Zeit all die noethigen und so mannichfachen Vorbereitungen zu einer Reise nach Amerika fuer die junge Frau zu treffen. Es sollte aber wirklich auch nicht viel mehr als eine Reise werden, denn Henkel hatte sich schon selber fest erklaert, seinen kuenftigen Wohnsitz keineswegs in Amerika, sondern in Havre nehmen zu wollen, wo ueberdies, der bedeutenden Geschaeftsverbindung wegen mit diesem Hafen, ein Associe des Hauses sich aufhalten musste. Ein oder zwei Monate gedachten die jungen Eheleute dann jedes Jahr in dem reizend gelegenen Heilingen zuzubringen, was ihnen, wie den Eltern, die jetzige Trennung sehr erleichterte, und spaetestens im Maerz oder April schon wieder nach Europa zurueckkehren zu koennen. Die ganze Reise war dadurch wirklich fast nur zu einer etwas laengeren Vergnuegungsfahrt geworden. Auch fuer Clara's Mutter war das Bewusstsein, ihr Kind nicht fuer immer zu verlieren und bald wieder in die Arme schliessen zu koennen, eine unendliche Beruhigung, und selbst hierzu hatte es ihr einen grossen Kampf gekostet, ihre Einwilligung zu geben. Clara selbst aber hing mit ganzem Herzen an dem theuren Mann, und fuehlte sich vollkommen gluecklich in einer Verbindung, die seit sie den Fremden kennen und lieben gelernt, ihr das Ziel ihrer irdischen Wuensche geschienen. Was war ihr die Reise, was die Gefahr und Muehseligkeit derselben? sie waere ihm in eine Wildniss gefolgt, und haette sich doch gluecklich an seiner Seite gefuehlt. Der junge Henkel wuenschte nun die Ueberfahrt in einem Englischen Dampfer nach New-York, und von da mit einem Amerikanischen Dampfschiff nach New-Orleans zu bewerkstelligen, Clara fuerchtete sich aber an Bord eines Dampfers zu gehn, theils der doppelten Gefahr, theils der unangenehmen Bewegung derselben in schwerem Wetter wegen, von der sie viel gehoert, und da es sich jetzt gerade so traf dass eine ihr befreundete Familie, Professor Lobenstein's, ebenfalls nach New-Orleans, und in einem Segelschiff von Bremen ab auswanderte, bat sie mit diesen reisen zu duerfen. Henkel selber schien nicht recht damit einverstanden, fuegte sich aber doch endlich den Bitten seiner jungen Frau. Wenn aber bei Dollinger's im Haus wenig mehr als Waesche und Kleider herzurichten waren, nur zu einer Reise nicht zu einer Uebersiedlung nach Amerika, und man diese schon grossenteils gepackt und vorausgeschickt hatte, die letzten Stunden in der Heimath durch kein Aussuchen und Packen gestoert zu haben, so schien dagegen bei Professor Lobenstein das ganze Haus von innen nach aussen gekehrt zu sein. Der Professor naemlich hatte auf keinerlei Weise bewogen werden koennen mit seinen Sachen eine Auction anzustellen, und nur das Nothwendigste mitzunehmen, da Fracht und Spesen unterwegs ein wirkliches Capital auffressen wuerden, fuer das er sich Alles was er dort brauchte auch an Ort und Stelle neu anschaffen koennte. Allen die ihm dies riethen zeigte er aus verschiedenen Schriften die statistisch aufgestellten Arbeitsloehne der verschiedenen Handwerker, wie die Preise der Provisionen, und bewiess ihnen auf das Klarste und Unumstoesslichste was jedes einzelne Stueck Meublen und Hausgeraeth in notwendiger Folgerung in Amerika kosten muesse. Eben so hatte er sich mit unendlicher Ausdauer einen Ueberschlag der verschiedenen Frachtpreise nach New-Orleans, und von da in's Innere gemacht, bis er endlich zu dem obigen Resultat gekommen, und nun auch augenblicklich eine Anzahl Tischler in Arbeit setzte, lauter neue Kisten fuer seine Sachen anzufertigen. Eine grosse Anzahl von diesen war nun schon, gepackt und mit eisernen Reifen beschlagen, als Fracht vorausgeschickt, eine andere Sendung sollte heute abgehn, und die letzten dann in den naechsten Tagen befoerdert werden, noch zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein. Kellmann selbst, dem Hause eng befreundet, hatte dahin mehrere Auftraege uebernommen, und kam heute Morgen, Bericht ueber die Ausfuehrung derselben abzustatten. Er selber war natuerlich mit der ganzen Uebersiedlung gar nicht einverstanden, hatte aber doch, als er alle Gruende des Professors dafuer gehoert, weit weniger dagegen gesagt, als die Familie im Anfang vermuthet und auch wohl gefuerchtet haben mochte. Der Professor sei eben ein Professor, meinte er nur, und wo der einmal seinen Kopf aufgesetzt habe, liess sich auch Nichts mehr abstreiten oder gar dagegen beweisen, man muesse ihn eben sich selber ueberlassen, und -- es thue ihm nur um die Familie leid. Nichtsdestoweniger gab er sich jede erdenkliche Muehe ihnen, wo er es nur irgend vermochte, beizustehn, wobei er den Professor doch von manchem unueberlegten oder unpraktischen Schritt zurueckhielt. So kaempfte er, und zwar gluecklicher Weise mit Erfolg, gegen die unglueckselige Idee des Professors an, sich hier, trotz Allem was er darueber schon gelesen, von dem Auswanderungsagenten Land und eine Farm zu kaufen. Er wollte drueben nicht "in Gefahr kommen" von Amerikanischen und betruegerischen Landspeculanten hintergangen zu werden, und seine Berechnung saemmtlicher Kosten gleich hier an Ort und Stelle machen koennen, was ihm nicht moeglich sei, wenn er die Contracte nicht in der Tasche habe. Kellmann, auf dessen praktisches und gesundes Urtheil er sonst ueberhaupt viel gab, machte ihn mit seinen ernstlichen Vorstellungen aber doch stutzig, und noch eine authentische Person ueber die dortigen Verhaeltnis zu hoeren, wandte er sich zuletzt an den jungen Henkel, und bat diesen um Meinung und Rath ueber die, ihm allerdings sehr am Herzen liegende Sache. Dieser rieth ihm aber ebenfalls auf das Entschiedenste ab, sein Geld hier an eine solche Speculation wegzuwerfen, denn dieser Weigel scheine ihm, was er bis jetzt von ihm gesehn, eine keineswegs volles Vertrauen verdienende Persoenlichkeit. Er solle warten bis sie drueben waeren, dort habe er Zeit genug (Kellmann hatte ihm dasselbe gesagt), und finde er in New-Orleans oder Missouri nichts Besseres, so sei er selber vielleicht im Stande ihm ein kleines reizendes Gut abzutreten, das er einmal auf einem Jagdzug in's innere Land gekauft, und jetzt noch verpachtet haette. "Und der Preis?" "Er wuerde zufrieden sein." Damit war die Sache fuer jetzt abgemacht; freilich zu Weigels Verdruss, der die Farm, wie er sich ausdrueckte, nun noch "zur Verfuegung" behielt. Es mochte etwa Morgens um elf sein, als Kellmann Professor Lobensteins besuchte. Das Haus war am vorigen Tag oeffentlich verauctionirt und von einem reichen Weinhaendler in Heilingen erstanden worden, die Familie aber jetzt in angestrengter Arbeit eifrig bemueht das unangenehme Gefuehl nicht allein zu verscheuchen, sondern auch eines vor dem anderen zu verbergen, "zum _ersten_ Male in der _eigenen_ Heimath _fremd_ zu sein;" zum ersten Mal fremd in den Raeumen, die ihrer Kindheit Spiele gesehn, und Zeuge gewesen waren ihrer keimenden Hoffnungen und Traeume. Der erste schwere Schritt zu einem neuen Leben und Wirken war aber damit geschehn; freilich auch zu gleicher Zeit die Bruecke abgebrochen, die noch zurueck haette fuehren koennen in das Vaterland. Das Band war damit zerrissen, das sie noch an dieses knuepfte, und wunderbarer Weise hatte sich jetzt, wie sie sich gestern noch fast Alle gefuerchtet vor dem Gedanken die lieben theueren Raeume zu verlassen, ein fremdes unheimliches Gefuehl zwischen sie und das Haus geworfen, und sie _ersehnten_ den Augenblick wo sie hinaus konnten, fort, nur fort von hier -- aus den Erinnerungen fort. Und doch sprachen sie das nicht aus gegen einander; Jedes hielt sich nur allein fuer so thoericht und kindisch, mit den quaelenden Gedanken; keines wusste dass das Gefuehl in ihrer Aller inneres Leben verwoben sei, und in des Herzens feinsten Fasern Wurzel schlug. Die Stimmung Aller, so sehr sie sich auch hueteten dem was sie dachten Worte zu geben, war denn auch an dem ganzen Morgen schon eine stille, gedrueckte gewesen, und Kellmann's Erscheinen befreite Alle wie von einer Last. Unten auf der Treppe wurde der aber schon laut. "Na, ist das ein Vergnuegen zu so einer Auswanderungsfamilie in's Haus zu kommen," rief er, als er sich mit zusammengehaltenen Schoessen zwischen einer Reihe Kistendeckel hindurchdrueckte, die, mit den Naegeln nach aussen, an der Wand lehnten, und dabei noch ueber eine Unzahl Koerbe und Schachteln wegsteigen musste, nur in die Stube zu kommen. "Nehmen Sie sich in Acht, lieber Kellmann," rief ihm der Professor, der seine Stimme gehoert hatte, aus der halbgeoeffneten Thuere entgegen (er konnte diese nicht ganz aufmachen da ebenfalls eine Kiste dahinter stand). "Sie moechten sich da draussen die Kleider zerreissen." "Ist schon bereits geschehen," brummte Kellmann, indem er versuchte einen Blick nach seinem, allerdings beschaedigten Ruecktheil zu gewinnen, "meine Guete, wie sieht das bei Ihnen aus -- ah guten Morgen meine Damen -- und schon so fleissig? -- was um Gottes Willen naehen Sie denn da? -- Getraidesaecke fuer die naechste Erndte?" "Fehlgeschossen Herr Kellmann," rief ihm aber Marie, die sich gern mit dem freundlichen Mann neckte, entgegen -- "Jacken sind das fuer uns, in den Busch, zwischen den Dornen und Schlingpflanzen, die uns sonst das leichte Zeug von den Schultern rissen. Warten Sie einen Augenblick, da koennen Sie uns gleich Ihre Meinung sagen; die meinige ist gerade fertig, und ich will sie eben anprobiren. Lassen Sie nur, ich werde schon allein fertig, dort drueben muessen wir ueberdies Alles allein machen -- So -- nun, wie gefalle ich Ihnen darin?" "Gar nicht," sagte Kellmann muerrisch, "ich saehe Sie weit lieber in einem leichten Ballkleid und mit Ihrem gewoehnlichen heiteren Gesicht, als in der Sackleinwand und -- hm -- das verdammte Amerika. Geht denn Eduard jetzt noch mit, oder bleibt er da? wo steckt er denn wieder? -- der ist immer fort wenn ich komme." "Der geht mit, lieber Kellmann," rief der Professor, "er konnte sich nicht dazu entschliessen, seine Eltern und Geschwister allein in die Welt ziehn zu lassen, wo er ihnen vielleicht, zum ersten Mal in seinem Leben, nuetzlich sein wuerde, und ist jetzt noch in der Geschwindigkeit zu einem Tischler gegangen, die paar Wochen wenigstens zu benutzen, und doch eine Idee von dem Handwerk zu gewinnen; wer weiss was wir da Alles zu thun bekommen." "Wird auch was recht's davon in den paar Tagen profitiren," brummte Kellmann -- "bei wem ist er denn, bei Leupold?" "Leupold?" rief der Professor, "der geht ja mit unserem Schiff nach New-Orleans." "Der Tischlermeister Leupold wandert auch aus?" rief Kellmann laut und verwundert. "Hat sein Haeuschen und seine Werkstaette verkauft, und ist jetzt wahrscheinlich schon unterwegs nach Bremen," betaetigte ihm der Professor. "Na nu ist mir's aber doch ueber den Spass," rief Kellmann -- "da laeuft ja halb Heilingen fort; jetzt freut mich mein Leben; naechstens werden wir uns unsere Schraenke und Schuhe und Roecke selber machen koennen wenn wir 'was haben wollen; ich darf nur gleich den meinigen zum Schneider schicken dass er ihn mir noch ausbessert, ehe er auch durchbrennt. S'ist wirklich zum Verzweifeln." "Lieber Gott," sagte der Professor -- "die Leute verlangen nur Ellbogenraum sich zu ruehren; sie wollen einen Platz haben, der ihren Beduerfnissen Befriedigung verspricht." "Da haben Sie gleich den faulen Fleck," rief Kellmann, "_Beduerfnisse befriedigen_, wenn die Leute lebten wie ihre Voreltern gelebt haben, und nicht mit jedem Jahre auch neue Beduerfnisse kennen lernten und befriedigt haben wollten, so haetten wir alle Platz, und das verwuenschte Amerika koennte sehen wo es Haende und Faeuste bekaem zuzupacken und ihm den Boden zu bestellen. Aber ich will mich nicht laenger aergern -- lasst sie laufen, nachher wird's hier erst recht gemuethlich -- apropos -- Ihren Freund Weigel haben sie gestern Abend im rothen Drachen hinausgeworfen -- er wollte Dienstleute, ich glaube einen Schaefer, verlocken nach seinem geruehmten Amerika auszuwandern." "Meinen _Freund_?" sagte der Professor achselzuckend, "ich habe mit Herrn Weigel nie in einer solchen Beziehung gestanden, aber ich achte ihn als einen Mann der ein gutes Herz mit einer tuechtigen Portion gesundem Menschenverstand verbindet, und besonders schaetzenswerthe statistische Kenntnisse Amerika's besitzt." "Bah!" sagte Kellmann, den Kopf auf die Seite werfend, und mit den Fingern schnalzend, "so viel fuer seine statistischen Kenntnisse; _unverschaemt_ ist er, das halt' ich fuer seine Hauptforce, und er wirft Ihnen da mit der groessten Kaltbluetigkeit eine Masse Zahlen in den Bart, denen man nicht gleich widersprechen kann, weil sich der Gegenbeweis eben nicht fuehren laesst. Wenn das Alles wahr ist was er ueber Amerika sagt, waere _er_ der groesste Esel wenn er nicht selber hinueberginge." "Seine Verhaeltnisse gestatten es ihm nicht, wie er mich oft versichert hat," vertheidigte ihn aber der Professor. "Ja, das kennen wir schon," sagte Kellmann, "und wenn mich irgend etwas glauben machen koennte dass _er_ wirklich Amerika kennt, so waere es der Umstand dass er selber nicht hinuebergeht." "Im rothen Drachen war ja wohl gestern ein kleines Fest?" frug die Frau Professorin dazwischen, die das unerquickliche Gespraech abzubrechen wuenschte. "Ja, fuer die Dienstleute von Hohleck," sagte Kellmann, "und Schollfeld und ich waren ebenfalls hinausgegangen um den Spass mit anzusehn." "Und ihr Freund, der lange Actuar war nicht dabei?" lachte Marie. "Er kam spaeter nach," sagte Kellmann -- "der arme Teufel ist jetzt auch immer verdriesslich und niederschlagen." "Er hat sein Kind verloren," sagte Anna mitleidig. "Ja, und zu Hause fuehlt er sich auch wohl nicht so recht wohl und behaglich." "Wir haben davon gehoert," sagte die Professorin -- "seine Frau soll eigenwillig und heftig sein, und ihm oft gar unangenehme Scenen bereiten." "Seine Frau ist -- " fuhr Kellmann auf, aber er unterbrach sich selber wieder, und trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem vor ihm stehenden Tisch. "Was ist Ihnen denn nur heute, Herr Kellmann?" sagte aber Marie, jetzt zu ihm tretend und seinen Arm beruehrend -- "Sie schneiden ja heut Morgen ein so bitterboeses Gesicht, wie ich noch fast in meinem Leben nicht an Ihnen gesehn. Ist Ihnen irgend etwas Aergerliches begegnet? -- oder -- Sie sind doch nicht boese mit uns?" "Boese mit Ihnen? lieber Gott Mariechen," sagte Kellmann herzlich ihre Hand ergreifend -- "ich muesste boese mit Ihnen sein dass Sie fortgehn und mich hier allein zuruecklassen; sonst wuesst' ich wahrhaftig nicht weshalb." "So kommen Sie mit," lachte Marie, indem sie neckisch zu ihm aufsah. Kellmann seufzte tief auf, sagte dann aber kopfschuettelnd, und mit der Hand ueber seine Stirn streichend, als ob er sich daraus all' die trueben Gedanken verscheuchen wollte -- "Nach Amerika? -- ja, weiter fehlte mir gar Nichts; aber heute sind es wirklich andere Sachen die mir im Kopf herumgehn." "Ist etwas vorgefallen, und koennen wir Ihnen helfen, lieber Herr Kellmann?" sagte Anna freundlich. "Ach Gott nein," sagte der kleine Mann seufzend -- "es ist ein Stueck von dem allgemeinen Elend, das ueber den ganzen Erdball hinspielt, und das uns gewoehnlich mit einem unheimlichen Gefuehl, auch nicht ausser dem Bereich desselben zu liegen, durchschauert, wenn wir ihm einmal auf unserem Lebenspfad begegnen. Sie sahen mich als ich vor dritthalb Stunden etwa drueben aus dem Loewen kam?" "Ja, Sie gruessten ja herauf," sagte die Professorin -- "Nun gut; ich war dort, einem armen Maedchen nachzufragen, das wir gestern Abend spaet auf der Strasse trafen, und das ich dorthin schickte Nachtquartier zu suchen" -- Und nun erzaehlte ihnen Kellmann mit kurzen Worten das gestrige Zusammentreffen mit des ungluecklichen Lossenwerder Schwester, und ebenfalls dass sich schon jetzt herauszustellen scheine, wie der arme Teufel von Lossenwerder unschuldig in Verdacht gerathen sei. Nur in reiner Verzweiflung mochte er sich den Tod gegeben haben, als man ihm das letzte, einzige das er auf der Welt hatte -- seinen ehrlichen Namen -- nehmen wollte -- oder eigentlich schon von Gerichts wegen genommen hatte. Unsere wackeren Polizeigesetze halten ja nun einmal jeden Menschen fuer einen Spitzbuben, bis er nicht durch Atteste genuegend dargethan hat dass -- "gegen ihn noch nichts Gravirendes bekannt geworden." "Und was geschieht jetzt mit dem armen, armen Maedchen?" frugen fast gleichzeitig Marie und Anna -- "lieber Gott, hier in der fremden Stadt, allein, ohne Mittel, ohne Freunde, wie entsetzlich muesste es da sein, wenn sie vielleicht aus rohem Munde zuerst die furchtbare Nachricht vernaehme." "Gestern Abend," sagte Herr Kellmann etwas verlegen, "kam uns das Ganze wirklich so schnell und ueberraschend, dass wir nicht die geringste Zeit zum Ueberlegen behielten; wir -- wir gaben ihr nur ein paar Groschen und schickten sie in den Loewen, hier gegenueber, um da zu uebernachten, damit sie nicht in der Stadt nach ihrem Bruder fruege, und die entsetzliche Geschichte gleich in der ersten Viertelstunde erfuehre; heute Morgen wollte ich dann selber herkommen und sehn was sich thun liess -- " "Und jetzt? -- weiss sie was geschehen ist? frug die Professorin mitleidig die Haende faltend -- Herr Kellmann zuckte mit den Achseln und sagte: "Sie ist fort -- " "Fort? -- wohin?" riefen die Frauen. "Kein Mensch konnte mir darueber Auskunft geben, gestern Abend war sie richtig dort angekommen, und ihres duerftigen Aussehns wegen in die Gesindestube gewiesen, und dort muss sie unglueckseliger Weise ihren Namen genannt, vielleicht nach ihrem Bruder gefragt und das Schrecklichste gleich erfahren haben, denn sie war, selbst ihr Buendel im Stich lassend, hinausgelaufen in Nacht und Nebel und -- und nicht wieder zurueckgekehrt." "Du lieber Gott," sagte Anna, "wenn sie sich nur kein Leides gethan." "Ich bin gleich zu Ledermann und dann auf die Polizei gegangen, diese aufmerksam zu machen," sagte Kellmann etwas kleinlaut, "werde auch selber noch mein moeglichstes thun das arme Ding wieder aufzufinden, aber -- ich weiss wahrhaftig nicht wo man die eigentlich suchen soll, denn sie kennt ja keinen einzigen Menschen in der Stadt." "Und in ihres Bruders frueherem Logis? -- " "Hat sie Niemand gesehn -- ich war dort." "Waren Sie auch schon -- auf dem Kirchhof?" frug ihn Marie jetzt leise und schuechtern." "Wahrhaftig, daran hatte ich gar nicht gedacht," sagte Kellmann rasch seinen Stuhl zurueckschiebend, "die Moeglichkeit ist da, und ich will keinen Augenblick mehr versaeumen -- vielleicht ist es jetzt noch nicht zu spaet." "Und Sie sagen uns Antwort?" "Sowie ich etwas Bestimmtes ueber sie weiss -- aber -- aber was dann mit ihr anfangen? -- hier in der Stadt _kann_ sie nicht bleiben," sagte Kellmann, die Thuerklinke schon in der Hand, "und ueberhaupt scheint mir ihr schwaechlicher Koerper zu grober Handarbeit gar nicht geeignet." "Vielleicht bietet sich da fuer die Schwester in demselben Haus ein Ausweg," rief Anna ploetzlich, "das fuer den Bruder ja so viel gut zu machen, wenn er wirklich unschuldig gelitten. Gestern Nachmittag noch klagte mir Clara ihr Leid, dass ihre Kammerjungfer, mit der sie sehr zufrieden ist, und die ihr bis dahin fest versprochen mitzugehn, ploetzlich anderes Sinnes geworden waere, und sich jetzt weigerte Heilingen zu verlassen. Clara ist so seelensgut, sie wuerde gewiss Alles thun was nur in ihren Kraeften steht, das arme Kind den herben Verlust vergessen zu machen. "Aber wird sich das Maedchen selber dazu eignen?" sagte Kellmann. "Weshalb nicht," rief aber auch jetzt Marie -- "bringen Sie die Arme nur hierher, sobald Sie sie finden, und nehmen sie Henkel's nicht mit, findet Papa gewiss einen Ausweg." "Ja, Papa einen Ausweg," sagte aber der Professor -- "ich kann _Niemanden_ mehr mitnehmen Kinder, so viel solltet Ihr eigentlich jetzt schon wissen, denn wir sind Leute genug." "Ach wenn sie ueberhaupt gehen will," rief Kellmann, "die Passage bringen wir hier schon zusammen, und wenn sich Fraeulein Anna bei Frau Henkel fuer sie verwenden will, waer' es ein Glueck fuer das arme Maedchen, den hiesigen fuer sie so trueben Verhaeltnissen so rasch wieder entrissen zu werden. Doch jetzt leben Sie wohl -- ich habe da nicht lange Zeit mehr zu verlieren, und hoffe Ihnen bald guenstige Nachrichten bringen zu koennen." * * * * * Actuar Ledermann hatte die Nacht einen heftigen Fieberanfall bekommen, und sich am anderen Morgen auf seinem Bureau entschuldigen lassen. Erst um zehn Uhr etwa fuehlte er sich etwas besser, und beschloss ein wenig an die frische Luft zu gehn, in dem sonnigen Morgen draussen die trueben quaelenden Gedanken zu verscheuchen. Er ging auf den Kirchhof, das Grab seines kleinen Lieblings zu besuchen, und nahm einen Monatsrosenstock mit hinaus, ihn darauf zu pflanzen. Der Weg der zu dem Grab, zwischen den andern Huegeln hin, fuehrte, lief eine kurze Strecke die Mauer entlang, die bis jetzt leer gelassen und von Unkraut ueberwuchert lag. Nur ein einziger, unter Gras und Unkraut fast versteckter flacher Huegel war dort aufgeworfen, ueber dem kein Kreuz den Namen des Hingeschiedenen kuendete, keine Blume ein sorgendes Herz verrieth, das dem Entschlafenen die stille Thraene nachgeweint. Und dort? -- in das hohe, feuchte Gras geschmiegt, lag eine schlanke Maedchengestalt, Stirn und Antlitz in dem wuchernden Unkraut verborgen, auf dem die vollen aufgeloesten Locken ruhten. "Lieber Gott," sagte der Actuar, mit dem Blumenstock im Arm neben ihr stehen bleibend, leise vor sich hin -- "es ist doch noch viel, viel Elend in der Welt, und wenn Einem recht traurig und weh um's Herz ist, sollte man eigentlich immer hinaus auf den Kirchhof gehn. Da haben die Leute nicht ihre glatten unbewegten Alltagsgesichter vor, sondern geben sich wie sie sind, und wenn es auch eben kein Trost sein sollte andere Menschen ungluecklich zu sehn, ist es doch jedenfalls einer, zu wissen dass man es nicht allein ist." Und sich langsam abwendend schritt er dem Grabe seines Kindes zu, setzte den Blumentopf auf den kleinen Huegel, und sich selber dann auf eine dicht daneben liegende Marmorplatte, die das Grab eines anderen Menschen deckte. Dort blieb er lange, das Gesicht mit den Haenden bedeckt, und regungslos in seiner Stellung verharrend, seinen schmerzlichen Gedanken ueberlassen, bis die Sonne hoeher und hoeher stieg, und ein stechender Kopfschmerz ihn mahnte den, den heissen Strahlen vollkommen ausgesetzten Platz zu verlassen, wenn er sich nicht noch kraenker machen wollte als er schon war. Er stand auf, und sah sich nach dem Todtengraeber um, diesen zu bitten den Blumenstock fuer ihn einzusetzen, und fand ihn auch, nicht weit von dort entfernt, mit einem neuen Grabe beschaeftigt. Langsam seinen Spaten schulternd ging er mit ihm zu dem verlangten Platz, und dort sein Handwerksgeraeth neben sich in den Boden stossend und sich den Schweiss von der gluehenden Stirne trocknend, sagte er freundlich: "Warmer Tag heute, Herr Actuar -- sehn Sie einmal was fuer ein schoenes Stoeckchen; das muessen wir aber ordentlich angiessen, sonst vertrocknet es gleich in der lockeren Erde -- werde Ihnen das schon besorgen." "Bitte sein Sie so gut," sagte Ledermann, und der Mann nahm den Stock auf, drehte ihn um und schlug mit der flachen Hand unter den Topf, diesen locker und los zu bekommen. "Kennen Sie das junge Maedchen was da auf dem Grabe an der Mauer liegt?" frug der Actuar jetzt, als sein Blick wieder zufaellig dort hinueber streifte -- "dort drueben meine ich." "Ja ich weiss schon," sagte der Mann, ohne den Kopf zu wenden und mit seiner Arbeit beschaeftigt -- "nein -- sie sass vor dem Kirchhofsgitter schon heut' Morgen wie ich oeffnete, um drei Uhr frueh, und muss die ganze Nacht da zugebracht haben. Wie ich das Thor aufmachte frug sie mich nur nach dem Grabe eines armen Teufels, den wir hier vor kurzer Zeit zu Ruh gebracht, und ist seit der Zeit nicht von dort weggegangen. Das kommt manchmal vor." "Und wer liegt da begraben?" frug Ledermann schnell, dem ein ploetzlicher Gedanke an das Maedchen von gestern Abend aufstieg. [Capitel 9] "Dort an der Mauer?" sagte der Todtengraeber, "ih Sie wissen ja, der kleine bucklige Bursche, der von der Bruecke gesprungen war, und sich den Kopf aufgeschlagen hatte." Dem Actuar fuhr es mit einem eisigen Stich durchs Herz, aber er erwiederte Nichts, gab dem Mann eine Kleinigkeit fuer seine Dienstleistung, und ging dann langsam, als ihn dieser wieder verlassen und seine fruehere Arbeit aufgenommen hatte, zu Lossenwerder's Grab, wo die Trauernde noch still und regungslos in ihrem Jammer lag. Nur das krampfhafte Zittern des Koerpers verrieth das darin wohnende Leben. "Liebes Kind," sagte Ledermann leise -- das Maedchen bewegte sich nicht -- "mein liebes Kind," sagte er lauter, und beruehrte ihre Schulter mit seinem Finger. Langsam hob sie das bleiche, Thraenen ueberstroemte Gesicht zu ihm empor, und als sie den fremden Mann neben sich sah, richtete sie sich verwirrt, beschaemt aus ihrer Stellung auf. "Aber wie koennen Sie sich hier so Stunden lang in das feuchte Gras werfen," sagte der Actuar mit freundlichem Vorwurf -- "Sie _muessen_ ja krank werden -- nicht wahr, Sie kennen mich nicht mehr?" Das Maedchen sah ihn gross und verwundert an, und schuettelte dann langsam mit dem Kopf. "Ich sprach gestern Abend mit Ihnen, draussen vor dem Thor, wo die Musik in dem Hause war," sagte Ledermann -- "hatten Sie gar keine Ahnung von dem Schicksal des Bruders?" "Keine," sagte die Arme leise, das Koepfchen wieder senkend. "Und wo erfuhren Sie seinen Tod?" Das Maedchen schauderte zusammen als sie des Augenblicks gedachte, und sagte endlich, wie mit angstgepresster Stimme: "Gestern Abend in dem Haus -- die Leute in der Gesindestube frugen mich wo ich herkaeme und um meinen Namen, und dann -- "Und dann?" frug der Actuar mitleidig, als das Maedchen schwieg und ihr Antlitz wieder zitternd in den Haenden barg -- "Dann sagten sie" -- setzte das Maedchen, am ganzen Koerper bebend hinzu -- "dass Einer der so hiess -- und sie spotteten dabei ueber sein Gebrechen -- dass Einer -- hier -- " sie vermochte nicht auszureden und warf sich, ruecksichtslos um den neben ihr stehenden Fremden, und in krampfhafter Verzweiflung, wieder auf das Grab nieder, das sie laut schluchzend mit ihren Armen umschlang, und den Bruder rief, sie zu sich zu nehmen in sein stilles, kuehles Bett. Nur mit Muehe, und herzlichen troestenden Worten die er zu ihr sprach, brachte sie Ledermann, als sich ihr Schmerz in etwas ausgetobt, endlich dahin sich etwas zu fassen und zu beruhigen, und ihm mehr ueber ihr Schicksal und sich selber zu sagen. Sie hiess Hedwig, war funfzehn Jahr alt und hatte bis zu ihrem elften Jahr bei einer entfernten armen Verwandten zugebracht, nach deren Tode sie, ein Kind noch, bei fremden Leuten in Dienst gehen musste. Ihre Elteren schienen in besseren Verhaeltnissen gelebt zu haben, waren aber frueh gestorben, und die Waisen sich selber ueberlassen gewesen. Ihr um zehn Jahr aelterer Bruder Franz hatte sie dabei noch immer dann und wann von dem Wenigen was er selber verdiente, unterstuetzt, auch ihr vor einigen Monaten -- und das musste etwa grade vor seinem Tode gewesen sein, geschrieben, dass er recht sparsam lebe, und bald so viel zusammen zu haben hoffe mit ihr, der Schwester, nach Amerika auszuwandern, dort vielleicht ein kleines Geschaeft oder irgend etwas Anderes anzufangen, ehrlich durch die Welt zu kommen. Hedwigs Aussage nach musste er ihr auch die genaue Summe geschrieben haben, die er besass, und als sie der Actuar dringend bat ihm den Brief zu verschaffen, wenn es irgend moeglich sei, da der vielleicht vollstaendig des Bruders Unschuld beweisen konnte, zog sie aus ihrer Brust das zusammengefaltete und dort bis jetzt sorgfaeltig bewahrte Papier. Es war das letzte was sie von ihm bekommen, und als Monat nach Monat verstrich und keine neue Nachricht kam, wurde sie zuletzt unruhig und schrieb nach Heilingen. Aber auch hierauf erhielt sie keine Antwort und nicht mehr im Stande die Ungewissheit zu ertragen, verliess sie ihren Dienst und machte sich, mit wenigen Groschen in der Tasche auf, den weiten Weg zu Fuss zurueckzulegen. Und ihr Empfang? grosser Gott mit Spott und Hohn wurde ihr Bruder -- das einzige noch auf der Welt ihr gehoerende Wesen, das sie mehr als sich selber liebte -- eines furchtbaren Verbrechens beschuldigt, in Folge dessen er sich selber das Leben genommen, und schlimmer, gewaltiger noch als die Nachricht seines Todes, erschuetterte das reine, vertrauensvolle Herz des armen Kindes der erste _Zweifel_ an den Hingeschiedenen, der doch heimlich und quaelend in ihr aufsteigen wollte, wie sie sich auch dagegen straeubte; und doch _wusste_ sie dass er keiner schlechten Handlung faehig gewesen sei. Waehrend dieser Erzaehlung flossen ihre Thraenen staerker; wenn aber der Schmerz auch nur mehr aufgeruettelt wurde durch das Wiederdurchleben vergangener Scenen, fand sie doch auch einen Trost in dem Aussprechen ueber ihren Verlust. Der Actuar ueberlas indess fluechtig den Brief, und den Datum mit dem veruebten Raub vergleichend sah er, ob Lossenwerder nun schuldig oder unschuldig sei, dass jenes, bei ihm gefundene Geld sein Eigenthum gewesen sein muesse, schon vor dem Tag, und nicht mehr als Beweis gegen ihn gelten konnte. So traf sie Kellmann, der von Lobensteins direct auf den Gottesacker gegangen war, das arme Maedchen aufzusuchen. Mit wenigen Worten sagte ihm der Actuar was er von ihr erfahren, und der gutmuethige kleine Kuerschner setzte sich neben sie auf das Grab des Bruders, nahm ihre Hand in die seine, und diese streichelnd sprach er ihr Muth und Hoffnung in das arme gequaelte Herz. Sie sollte nicht mehr allein stehn auf der Welt; er wollte Freunde fuer sie finden, die sich ihrer annaehmen, und sie Beide, Ledermann und er, wollten nicht ruhen noch rasten bis ihres Bruders Name wieder ehrlich gemacht sei vor der ganzen Stadt; lieber Gott, sie konnten ja nichts mehr fuer den Armen thun. Hedwig weinte, waehrend er sprach; aber die Thraenen loesten ihren Schmerz -- die freundlichen Worte; oh die ersten wieder seit so langer, langer Zeit die sie gehoert, thaten ihr wohl und bannten die Verzweiflung aus ihrem Herzen, der sie ja sonst wohl rettungslos verfallen waere. Wieviel Segen hat schon ein herzliches Wort gebracht, dem Ungluecklichen gespendet -- wie viele Thraenen getrocknet, wie manches Weh, wenn es nicht heilen konnte, doch gelindert. Kellmann erbot sich dann auch, sie zu seiner Mutter zu fuehren, wo sie wenigstens bleiben konnte bis sich etwas Weiteres entschieden. Von Amerika sagte er ihr noch Nichts, die naechsten Tage mochten sie erst mit dem Gedanken vertrauter machen, wenn sie hoerte wie viel Leute die auch ihren Bruder gekannt und liebe Freunde von ihm selber seien, gerade jetzt nach dort hinuebergingen. Hedwig zoegerte noch schuechtern das guetige Erbieten anzunehmen, aber die Worte klangen so herzlich, so gut gemeint, sie stand so huelflos, so allein in der weiten Welt, der fremde Mann erschien ihr wie ein Engel des Himmels in ihrem Schmerz, und unter Thraenen nahm sie seine Hand und dankte ihm, und sagte dass sie ihm folgen wuerde, wohin er sie fuehre. Capitel 10. DIE BEIDEN FAMILIEN. Der Leser muss mir noch, ehe wir unsere weitere Wanderung zusammen antreten, zu zwei Stellen folgen, in Lage und Art freilich gar sehr verschieden. Den Characteren, die wir dort finden, begegnen wir spaeter wieder, theils auf der Reise, theils in ihrem neugewaehlten Vaterland. An der Hannoeverschen Grenze lag ein kleines Dorf, Waldenhayn mit Namen, und fast versteckt zwischen maechtigen Linden und Fruchtbaeumen, die es von allen Seiten dicht umgaben. Mitten im Dorf auf einem flachen, aber die ganze Ortschaft ueberschauenden Huegel stand die Kirche, und daneben das kleine freundliche Pfarrhaus, das sein Dach ueber gute und glueckliche Menschen gespannt hatte, Jahrzehnte lang -- und heute? -- Guter Gott welche Veraenderung in dem Haus -- der Vater, Pastor Donner, still und ernst in seinem Sorgenstuhl, und, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ordentlich eingehuellt in eine dichte Tabakswolke, die Mutter mit verweinten Augen, und doch immer geschaeftig herueber- und hinuebergehend, bald aus der in jene Stube, Kleinigkeiten zu besorgen die sie immer wieder vergass, ehe sie nur das andere Zimmer betreten. Der aelteste Sohn Georg ging zu Schiff -- ging nach Amerika ueber das weite, wilde Weltmeer nach einem anderen Vaterland, dort fuer den unruhigen Geist das Glueck zu suchen, das er hier nicht fand, und "wann wuerden sie ihn -- ja wuerden sie ihn je wieder sehen?" Oh es ist ein grosser Schmerz fuer ein Elternherz ein Kind in der Bluethe der Jahre zu verlieren -- wie viel Sorge, wie viel schlaflose Naechte hat es gemacht, bis es wuchs und gedieh; welche Hoffnungen knuepften sich an das junge Wesen, und bluehten und reisten mit ihm; wie treulich wurde da nicht jeder Schritt bewacht, den noch unsicheren Fuss vor Stoss und Fall zu schuetzen, wie aengstlich jedem boesen Eindruck gewehrt, der Herz oder Geist haette vergiften koennen. Und nun das Alles preiszugeben der Welt, ihren Verfuehrungen, ihren Gefahren fuer Geist und Koerper, das Alles preiszugeben und hinausgeworfen zu sehn auf die stuermischen Wogen des Lebens -- sich selbst ueberlassen, und der eigenen, vielleicht doch noch zu schwachen Kraft. Wie viele heimliche Thraenen werden da geweint, wie trueb und traurig liegt da oft des Kindes Zukunft vor dem ahnenden Blick des Vaters und der Mutter -- Krankheit wird es erfassen und halten, und keine liebende Hand in der Naehe sein, es zu pflegen und ihm den Schweiss von der heissen, gluehenden Stirn zu trocknen, die Verfuehrung ihre falschen, goldblinkenden Netze nach ihm auswerfen, und keine treu warnende Stimme ihm zur Seite stehn -- Noth und Mangel vielleicht in bitterem Weh auf ihm lasten, und Niemand da sein, der ihm Huelfe bringt, und den Ungluecklichen troestet und unterstuetzt -- Mutter und Vater sind fern, fern von dem Geliebten, seine Klage dringt nicht herueber zu ihnen -- ihr Trost und Huelfswort nicht zurueck zu ihm. Und ein solcher Abschied dann -- der Tod pocht nicht viel haerter an des Glueckes Thor, und das Bewusstsein den Geschiedenen still und geschuetzt in kuehler Erde zu wissen, auf der die treu gepflegten Blumen keimen, ist oft noch weniger bitter als dieser _freiwillige_ Tod -- der Fortgang ueber's Meer, in eine fremde, ungekannte Welt -- vielleicht so ohne Wiederkehr wie jener, und ohne jedes beruhigende Gefuehl der Sicherheit. Der Scheidende ist da noch immer besser, weit besser daran als die Zurueckbleibenden; ihm liegt die Welt jetzt frei und offen da, jede Stunde draussen, jede Meile Wegs bringt ihm Neues, Unbekanntes, und wehrt dem Blick nur an dem einen Schmerz zu haften. Er hat auch zu sorgen, fuer sich und sein Gepaeck, seine ganze Zukunft ist ihm in der einen Stunde in die eigene Hand gegeben -- ein ungewohnt Geschaeft bis jetzt -- und fremde Landschaft, fremde Scenen wechseln so rasch an ihm vorueber, dass jedes Bild einen Theil des alten Schmerzes fortfuehrt mit sich. Selbst der Gedanke an die Verlassenen hat nicht das Herbe, Bittere fuer ihn, als es fuer diese hat, wenn sie sein gedenken, und sich mit Vermuthungen quaelen muessen wie es jetzt ihm geht, was er thut, was er treibt, wo er jetzt gerade weilt. _Er weiss_ in welchem Kreis die Seinen sich bewegen, kennt in jeder Tageszeit ihre kleinen, haeuslichen Beschaeftigungen, ihr gleichmaessiges Wirken und Schaffen, und sein Herz, das immer noch daheim bei ihnen weilt, wahrt seinen festen Anhaltspunkt an sie sich unverkuemmert fort, bis das Bild, von anderen dicht umdraengt in weiter immer weiterer Ferne langsam erbleicht, und nur noch auf dem Hintergrund des Herzens wie schlummernd liegt, in seinen Traeumen ihn zu segnen, oder dereinst, wenn die Welt ihn kalt und rauh von sich stoesst, und er allein und freundlos sich da fuehlt, wieder aufzugluehen in aller Frische und Waerme, ein Trost und Hoffnungsziel, dem armen, einsamen Wanderer. Georg war ein junger lebenskraeftiger Mann von dreiundzwanzig Jahren, mit dunkelbraunen, vollen, ihm frei und ungescheitelt ueber die offene sonngebraeunte Stirn fallenden Locken, schwarzen klaren Augen und freien, gutmuethigen Zuegen, die selbst eine breite dunkle Narbe ueber den rechten Backen, der Autograph eines Commilitonen, nicht entstellen konnte. Er hatte Medicin studirt, und sich das Doctordiplom mit eifrigem Fleiss verdient, aber die Aussichten fuer einen jungen Arzt waren trueb und unversprechend in seiner Heimath, und jene fremde Welt, von der er schon so viel gelesen und gehoert, zog ihn maechtig an. Sein Vater konnte und wollte dieses Streben nicht bei ihm unterdruecken; auch er erkannte die Banden, die hier einen kraeftigen Geist so leicht in Fesseln legen, und ehrte den Wunsch und Drang der jungen, nach Thaten duerstenden Brust, einen Schauplatz zu finden fuer ihr Sehnen und Wirken, wenn er sich auch wohl selber dann wieder mit einem schweren Seufzer gestehen musste, wie manche Hoffnung der Sohn zertruemmert, wie manche Erwartung er getaeuscht sehn wuerde in dem neuen Leben, das jetzt ihm freilich im vollen Glanz einer aufsteigenden Sonne, von warmem Lichte uebergossen winkte. Und wie wuerde sich sein Herz dann bewaehren, das jetzt jubelnd zu den blinkenden, Flaggen- und Blumengeschmueckten Waellen seiner eigenen Luftschloesser aufschaute, wenn es an deren Truemmern stand? oh dass er dann haette an seiner Seite stehen und ihn leiten duerfen den dunklen, schmalen Pfad zum wahren Glueck -- retten ihn dann vor sich selbst und seinem bittern Weh. Aber die Zeit lag noch fern, und weshalb sich selbst den Augenblick vergiften, wo sich der Himmel noch blau und rein ueber seiner Zukunft spannte. Georg selbst sah auch Nichts von solchen trueben Bildern, die das Herz des Vaters oft mit banger Trauer fuellten; ihm war das Thor jetzt weit und frei geoeffnet, das hinaus in's Leben fuehrte und an dessen Schwelle er stand, und nur die Trennung noch vom Vaterhaus lag schwer auf seiner Seele. Am schwersten freilich trug gerade diese Stunde, weil ganz und ungetheilt, das Mutterherz. Nicht dachte _sie_ in diesem Augenblick an die Hoffnungen die dem Sohne in der Welt draussen bluehen, an die Gefahren die ihm drohen koennten; sie sah und fuehlte Nichts, als die Trennung von dem _Kind_, den Abschied von dem Heissgeliebten, und wie im Traum hatte sie schon den ganzen Tag ihren gewoehnlichen Beschaeftigungen obgelegen, wie im Traum noch einmal seine Lieblingsgerichte bereitet fuer den Abend, den letzten Abend, den er im Vaterhause zubringen wuerde. Lieber Gott, die Speisen kamen Abends auf den Tisch und wurden gegessen, aber Keiner von allen, die juengsten Geschwister ausgenommen, schmeckten was sie assen; man sprach dabei ueber das an dem Nachmittag fortgesandte Gepaeck, ueber das Wetter, ueber die Uhr die zehn Minuten vorging -- Georg trug Gruesse auf an alle seine Bekannte, die sich noch seiner erinnerten. Er hatte an dem Tag noch selber ein paar Briefe schreiben wollen, war aber nicht dazu gekommen -- Vieles Andere war ihm ebenfalls entfallen; so wollte er einen Absenker von dem Rosenstock mitnehmen der vor der Mutter Fenster bluehte, und jetzt blieb ihm doch keine Zeit mehr; aber waehrend dem Essen stand die Schwester -- unvermisst -- vom Tische auf, ging hinaus, grub einen Absenker aus, und brachte ihn in einem kleinen Topf dem Bruder, dem sich die Thraenen in die Augen zwangen -- er mochte kaempfen dagegen wie er wollte als er die Gabe sah. Die Mutter stand vom Tisch auf und ging hinaus -- nicht ein Wort wurde gesprochen so lange sie fort war. Die Speisen verschwanden dabei von den Tellern und der Wein wurde getrunken, und die Mutter kam zurueck und nahm ihren Platz wieder ein, lautlos wie vorher; man konnte den langsamen Gang der Uhr hoeren, an der Wand. Da endlich fuellte der Vater sein Glas bis zum Rand, hob es mit der Linken und ergriff mit der anderen Georgs Hand. Er hatte etwas zum Herzen des Sohnes, zum Trost vielleicht der Mutter sprechen wollen, aber die Worte schwollen ihm im Mund -- er brachte eine volle Minute keine Sylbe ueber die Lippen, und sich gewaltsam fassend und zusammennehmend sagte er endlich. "Auf ein frohes Wiedersehn Georg!" Georg presste des Vaters Hand und trank ihm und der Mutter und den Geschwistern zu -- und die Mutter hob ihr Glas und stiess mit dem Sohne an, aber mehr vermochte das Mutterherz nicht -- zu lange hatte sie jetzt gewaltsam gegen ihr eigenes Gefuehl an- und den Schmerz niedergekaempft, den Anderen zu Liebe; laenger war sie es nicht im Stande, und das Glas mit zitternder Hand niedersetzend, dass der Wein ueber und auf das Tischtuch floss, stand sie auf, warf die Arme krampfhaft um den Hals des Sohnes und schluchzte laut. "Mutter, liebe -- liebe Mutter -- " "Mein Kind -- mein Kind," jammerte die Frau und der Schmerz wuchs an Heftigkeit, wie der maechtig aber still dahinwaelzende Strom schaeumend hinausdonnert in's Freie, wo er sich erst einmal Bahn gebrochen aus seinem Bett -- "mein liebes -- liebes Kind." "Aber Mutter," bat der Pastor, "fasse Dich; es ist ja doch nur vielleicht auf kurze Zeit, bis sich der Junge draussen die Hoerner abgelaufen, und ihm die Heimath anders aussieht wie jetzt; dann kommt er wieder." "Liebe -- liebe Mutter," fluesterte Georg, sie innig an sich schliessend, und auch ihm erstickten unaufhaltsam fliessende Thraenen die Stimme. Die Geschwister weinten auch, und der Vater war aufgestanden und ein paar Mal mit raschen Schritten, wie um den Anderen Zeit zu geben, eigentlich aber nur seine eigene Fassung wiederzugewinnen, im Zimmer auf- und abgegangen. Jetzt blieb er neben der Gattin und dem Sohne stehn, und sie langsam trennend sagte er mit sanfter, bittender Stimme: "Kommt Kinder, kommt -- macht Euch selber nicht das Herz zum Brechen schwer; das ist unrecht. Ueberdies quaelt Ihr Euch zweimal, und habt morgen frueh noch dasselbe Leid. Es ist eine lange Trennung, aber keine Trennung fuer's Leben -- wir sind Alle noch ruestig und gesund, und werden uns, will es Gott, hoffentlich Alle einmal froh und freudig in die Arme schliessen koennen." "Aber Du schreibst bald, Georg," fluesterte die Mutter sich mit aller Kraft zusammennehmend -- "Du laesst uns nie lange ohne Nachricht, nicht wahr Du versprichst mir das?" "Gewiss Mutter, gewiss -- so oft ich kann -- aber aengstigt Euch nur auch nicht, wenn einmal ein Brief laenger ausbleibt als gewoehnlich; der Weg ist weit, und ein Brief kann leicht verloren gehn." "So, und jetzt zu Bett Kinder," mahnte der Vater -- "es ist spaet geworden, sehr spaet, und Du musst frueh wieder heraus Georg, die Post nicht zu versaeumen; sind Deine Koffer hinuebergeschafft?" "Es ist Alles drueben," sagte die Mutter, sich aus den Armen des Sohnes windend und ihre Thraenen trocknend, "nur sein Ueberrock ist noch hier, den er anzieht, und die kleine Tasche in die er morgen frueh sein Nacht- und Waschzeug steckt -- doch das besorg' ich schon selber und werd' es nicht vergessen. Ich bin frueh auf, Georg, Du musst ja doch auch noch Deinen Kaffee haben bevor Du gehst." "Gute Nacht Mutter!" rief Georg, umschlang sie noch einmal und kuesste ihr Lippen, Augen und Stirn, "gute Nacht meine gute, gute Mutter -- gute Nacht!" "Gute Nacht mein Georg, mein Kind," sagte die arme Frau unter Thraenen -- "schlaf nur jetzt recht aus -- zum letzten Mal unter unserem Dach -- fuer die naechste Zeit wenigstens," setzte sie rasch hinzu -- "denn mit Gottes Beistand hoff' ich soll es nicht das letzte Mal gewesen sein -- und -- und meinen Segen nimm mit Dir, wohin Du gehst -- wo Du weilst -- was Du thust -- -- er ruhe auf Dir, mein gutes, gutes Kind!" Georg beugte sich unwillkuerlich dem ernsten heiligen Wort -- seine ganze Gestalt zitterte dabei, und die Mutter musste sich endlich mit freundlicher Gewalt aus seinen Armen winden; dann aber floh sie auch hastigen Schrittes aus dem Zimmer, sich in dem eigenen Kaemmerlein recht, recht herzlich auszuweinen. Die Geschwister sagten dem Bruder jetzt gute Nacht -- die aelteste Schwester Louise hing lange an seinem Hals, aber riss sich los, den Schmerz der Eltern nicht zu vermehren. Die Juengeren kuessten ihn auf die Wangen und sagten. "Gute Nacht Georg -- weck' uns nicht zu spaet morgen frueh, dass wir Dir auch noch koennen glueckliche Reise wuenschen." Georg kuesste sie herzlich und bat sie brav und gut zu sein, und Vater und Mutter Freude -- viel Freude zu machen, denn er selber ginge nun fort, und die Eltern wuerden deshalb recht traurig sein. "Gute Nacht Georg," sagte der Vater, als die Kinder zu Bett gegangen waren, und Alle, ausser ihm, das Zimmer verlassen hatten, "habe keine Angst dass Du die Post morgen verschlaefst, ich wache schon auf zur rechten Zeit -- gute Nacht mein Sohn. Komm komm, fange nicht selber wieder an, und mach' mir das Herz nicht schwer vor der Zeit -- aber Georg, um Gottes Willen was ist Dir? -- sei ein Mann -- Nun ja -- so lange die Frauen da waren hat es mir auch das Herz fast abgedrueckt -- man darf es sie ja nicht so merken lassen, sonst zerfliessen sie ganz -- " "Mein lieber -- lieber Vater," schluchzte Georg an seinem Halse." "Mein guter, guter Sohn!" fluesterte der Pastor, des Kindes Stirne kuessend, und jetzt selber im Innersten ergriffen und bewegt -- "bleibe brav -- bleibe so brav wie Du bist -- ich kann Dir nichts Besseres wuenschen -- trage Gott im Herzen und Dich selbst, und -- Deiner alten Eltern Bild, deren Segen Dir folgt auf allen Deinen Wegen." "Mein Vater!" "So mein Sohn -- jetzt gute Nacht und bete zu Deinem Schoepfer dass er uns morgen in der schweren Abschiedsstunde staerkt -- gute Nacht mein Georg -- gute Nacht." Leise machte er sich los aus des Sohnes Arm, kuesste ihn noch einmal, und verliess dann rasch das Zimmer. Georg aber blieb lange, lange Minuten auf dem Stuhle sitzen wo ihn der Vater verlassen, das Gesicht in seinen Haenden bergend. "Gute Nacht," fluesterte er endlich leise und kaum hoerbar, als Alles schon im Hause still war, und zu Ruhe gegangen -- "gute Nacht Ihr Lieben und Gott schuetze Euch und mich; aber nicht moeglich waere es mir, die furchtbare Trennungsstunde noch einmal durchzuleben, nicht moecht' ich Dir Vater, Dir Mutter den Schmerz, das bittere Weh zum zweiten Mal bereiten. Es ist vorbei -- Alles vorbei, und wenig Stunden noch und die Heimath selber liegt, ein schoener Traum nur, in der Erinnerung Tiefe. So denn an's Werk" setzte er fest und entschlossen hinzu, "und ob das Herz darueber brechen will, "durch" ist mein Wahlspruch jetzt, durch Nacht zum Licht -- _durch_." Und mit den, fest zwischen den zusammengebissenen Zaehnen gemurmelten Worten stand er auf, und sein Schlafzimmer oeffnend warf er den Rock ab, und badete Gesicht und Nacken in kuehlem Wasser. Dann, als er die Glut die ihn durchtobte, in etwas geloescht, packte er den kleinen Nachtsack mit den, sorglich fuer ihn auf dem Waschtisch ausgebreiteten Gegenstaenden, zog sich wieder an, knoepfte den Ueberrock bis an den Hals zu, denn die Nacht war kalt, und nach der gehabten Aufregung froestelten ihn die Glieder, und im Zimmer umherschauend fiel sein Blick auf den, unter dem Spiegel stehenden, fuer ihn eingeschlagenen Rosenstock. Rasch barg er ihn in der weiten Tasche seines Ueberrocks, oeffnete dann das Fenster, das in den Garten hinaus und von da ueber den Kirchhof fuehrte, der Landstrasse zu, und schwang sich auf das Fensterbret. "Ade!" fluesterte er, "ade Du trautes, liebes Haus, ade -- Gott halte seine Hand ueber Dir, und schuetze die lieben Menschen -- ade, ade." Und von dem Bret hinunterspringend in den Garten, durcheilte er diesen, schwang sich leicht ueber die Kirchhofmauer, die er als Kind unzaehlige Male ueberklettert, und schritt dann langsam und traurig seinen einsam dunklen Weg entlang. * * * * * Noch hob sich die Sonne nicht ueber den oestlichen Fichtenhang, und der daemmernde Tag gruesste eben die schlummernde Erde, als sich die Mutter von ihrem Lager hob, das Maedchen weckte dass es Feuer in der Kueche mache, den Kaffee bereit zu halten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen. Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf gelegen -- die Gedanken und Sorgen liessen ihn nicht ruhen, und wie aus boesem Traum fuhr er oft empor, mit einem wehen Stich durch's Herz zurueckzusinken, _dass_ es eben kein Traum sei, der ihn bedruecke und quaele. Er stand auf, zog sich an, und waehrend die Mutter draussen in der Kueche sorgte, dem Sohn ein rasches Fruehstueck zu bereiten, ging der Vater hin ihn zu wecken. "Georg!" sagte er, als er die Thuer oeffnete, die in des Sohnes Kammer fuehrte -- "Georg -- es wird Zeit -- heiliger Gott!" unterbrach er sich aber rasch und erschreckt als er das Gemach leer, das Bett unberuehrt und keine Spur mehr von dem Kinde fand -- "heiliger, erbarmender Gott -- er ist fort." Und wie er sich auch vorgenommen sich zu fassen, und der Frau, dem Kind, die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren, durch seine eigene Schwaeche, traf ihn _der_ Schlag doch zu hart -- zu unerwartet. In diesem Augenblick betrat die Mutter das Zimmer, und sah wie der Vater sich erschuettert von der Thuer abwandte und das Antlitz in den Haenden barg. "Mein Sohn -- mein Kind!" stammelte sie, in der sie durchzuckenden Ahnung des Geschehenen, der sie wie ein jaeher Schlag in's Herz traf -- "wo ist -- wo ist Georg?" Aber der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf die seine heissen Thraenen fielen, kuessend, fluesterte er leise: "Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen, Louise -- er ist fort." "_Fort!_" hauchte die Frau -- kaum noch den Sinn der Worte fassend, und brach bewusstlos in den Armen des Gatten zusammen. * * * * * Ausserhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben Kirchspiel gehoerend, und dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden Holzes, stand ein kleines, schon halb verfallenes Haus, das frueher einmal von einem Forstgehuelfen des herrschaftlichen Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr benutzt, und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden war. Der Mann der es kaufte aber, hatte frueher ebenfalls in herrschaftlichen Diensten gestanden, und dann das Metzger-Handwerk getrieben; sein wildes, liederliches Leben jedoch liess sein Geschaeft nicht foerdern, noch vorwaerts gehn. Er schien auch keine rechte Lust an einer regelmaessigen Arbeit zu haben, heirathete dann, als er Alles was er sein nannte, durchgebracht, ein Maedchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst dort verlassen musste und von dem Herrn selber eine Abstandssumme bekam, und kaufte mit dem Gelde eben das kleine unwohnliche Gebaeude, das er nichtsdestoweniger bezog, und sich jetzt angeblich vom Viehhandel ernaehrte. Er zog im Lande herueber und hinueber, und kaufte und verkaufte Vieh, mehr aber noch trieb er sich in den Wirthshaeusern herum, wo er trank und spielte, und den schlimmsten Ruf im Lande hatte, den ein Mensch haben kann, ohne dass jedoch die Polizei den mindesten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die ordentlichen Leute zogen sich von ihm zurueck; Niemand mochte Umgang mit ihm oder seinem Weibe haben, und auf dem Weg zu seinem Hause wuchs Gras; wen dort nicht ein besonderes Geschaeft hinfuehrte, betrat ihn nimmer. So hatte der "schwarze Steffen," wie er im Lande seines dunklen Haares und Aussehns wegen hiess, sechs Jahre in dem kleinen Haus gewohnt, und sein Weib ihm, ausser dem Kind das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere geboren. In der letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn auf, dass er sich naemlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse, und -- wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene kaufe und unterbringe. Sicher ist, dass nicht alles Fleisch was er zu Markte fuehrte, im Stall gemaestet worden, und als nun auch gar einmal, und vor nicht so sehr langer Zeit, ein Forstgehuelfe, in Ausuebung seiner Pflicht, erschossen worden, wurde die Aufsicht ueber den schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu Kragen konnte, so scharf gefuehrt, und diesem zuletzt so unertraeglich, dass er schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirthshaus Streit gesucht und gefunden, und ihm zuletzt von der Herrschaft, nach lange geuebter Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde, das auf den Abbruch damals erstandene Haus, von dem uebrigens kein Ziegel mehr sein gehoerte, zu raeumen und abzutragen oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz aber, wider ihn eingelaufener Klagen wegen, wo anders zu nehmen, vom ersten des naechsten Monats an. Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen Tag zu Haus geblieben, und hatte manche von seinen Sachen, wobei ihm die Frau half, zusammengetragen und in einen Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten wenig darauf; sie waren gewohnt dass der Vater oft fortging, und dann immer mehre, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder zu sehen bekamen, oder auch nur von ihm hoerten. Fragen, wohin er ging, durften sie nie. Der Vater war uebrigens muerrischer heute als je -- er sprach fast kein Wort, trank aber oft aus der Flasche, die zum ersten Mal offen in der Stube stand, und woraus sich auch die Mutter zweimal einschenkte, und sich dann zu dem juengsten Kinde setzte, und es auf den Schoos nahm und kuesste. "Weshalb weinst Du, Mama?" sagte das zweite Kind, ein Junge von etwas ueber fuenf Jahren -- "hat Dir Jemand 'was zu Leid gethan?" "Weil sie eine Naerrin ist," brummte der Vater, der die Frage gehoert hatte, und jetzt einen aergerlichen Blick nach der Frau schoss -- "ich daechte wir haetten nun genug darueber geschwatzt und die Sache waer' abgemacht." "Nun ja -- ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen," erwiederte die Frau -- "es -- es ueberkommt Einen nur noch manchmal so -- nachher wird's besser und -- es geht ja doch nun einmal nicht anders," setzte sie still und schwer vor sich hinseufzend, hinzu. Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald darauf, unter irgend einem Vorwand, die Kinder mitsammen hinaus in den Garten, und sagte dann, als er sich mit der Frau allein sah, muerrisch und finster. "Du flennst und flennst, und wirst die Baelge noch zuletzt aufmerksam und aengstlich machen mit Deiner Heulerei -- kannst Du sie hier ernaehren, so bleib da, ich habe Nichts dagegen; kannst Du's aber nicht, dann sei auch vernuenftig und mach' jetzt keine dummen Streiche -- es waer' ein Spass, wenn sie uns abfassten, und Du weisst am Besten was uns nachher bevorstuende." Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders kleinen Haenden und Fuessen, musste auch einmal in frueheren Jahren wirklich schoen gewesen sein, und mehr noch als nur die Spuren war ihr davon geblieben, haette sie eben etwas gethan sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Aeusseren ging sie, wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlaessigt; die ungeordneten Haare wurden durch einen zerbrochenen, aechten Schildpatkamm, und durch ein schwarzes abgescheuertes Sammetband, in dem vorn eine grosse bronzene Broche mit einem unaechten Turquis sass, gehalten; in den Ohren hingen ihr ebenfalls lange emaillirte unaechte Ohrringe, die mit dazu beigetragen hatten ihr bei ihren bescheidenen und einfachen Nachbarn den Namen der "stolzen Jule" zu geben, und das Kleid von gutem Stoff und nach neuem Schnitt gemacht, zeigte unausgebesserte Risse, und Spuren von Fett, in Streifen und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmucke passten. Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches, das aber doch jetzt einem maechtigeren Gefuehl gewichen war, denn nur manchmal, bei den rauhen Worten, blitzte es an gegen den Mann, und um die Lippen zog sich dann ein eigener fester Zug von Trotz und Zorn. "Ich hab' Dir genug zu Willen gethan, dass ich mit Dir gehe und die Kinder zuruecklasse," sagte sie dann nach kleiner Weile -- "wenn's mir das Herz dabei zusammenzieht, waerst Du schlimmer wie ein Thier, wolltest Du's mir wehren. Der Wolf laesst seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort -- " "Der Wolf hat auch draussen zu leben, und fuer die Jungen Milch -- wer giebt's uns?" zischte der Mann zwischen den zusammgebissenen Zaehnen durch -- "wir koennten krepiren hier im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen Kreis." "Ich weiss es, ich weiss es," sagte die Frau, "und das ist das Einzige was mich freut, dass wir ihnen jetzt einen Streich spielen -- den Lumpen. Und wie sie schreien und schimpfen werden -- aber ernaehren muessen sie sie doch, davon hilft ihnen kein Gott. Leid thut's Einem freilich immer, die armen Dinger, die noch Nichts von der Welt wissen und begreifen, so allein zurueckzulassen -- wenn ich das Juengste nur mitnehmen duerfte -- " setzte sie leise hinzu. "Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewaesch," rief aber der Mann finster und aergerlich -- "ich daechte das haetten wir ueber und genug besprochen und ueberlegt, und waeren einig darueber." "Ueberlegt gar nicht," sagte aber die Frau, die Brauen fest zusammenziehend -- "wenn ich davon anfing hast Du mich immer grob angefahren und ausgezankt, und Deinen Willen gehabt dabei, wie bei allem Anderen. Ich weiss dass ich nicht zu den Weichen gehoere, aber -- Mutter bleibt doch Mutter, und -- 's ist immer ein haesslich unnatuerlich Ding." "Papperlapapp!" sagte der Mann den Kopf herueber und hinueber werfend -- "unnatuerlich -- natuerlich ist's allerdings nicht dass die Scheunen ringsherum voll liegen, und das reiche Lumpenpack das Geld mit vollen Fausten zum Fenster hinauswirft, waehrend wir hier trocken Brod nagen sollen, und das nicht einmal immer kriegen -- schoene Natuerlichkeit das." "Wenn Du nur nicht den dummen Streich mit dem -- " "Halt's Maul!" brummte aber der Mann muerrisch -- "ich sollte mich wohl erwischen und anzeigen lassen, dass ich jetzt im Zuchthaus saess und spaenn -- Gott verdamm mich, ich schoesse eher die ganze Bande ueber den Haufen, einen nach dem anderen -- bist Du nun fertig mit Deinen Sachen?" "Ja!" sagte die Frau leise und unwillkuerlich zusammenschaudernd -- "es kann fort gehn." "Wir wollen aber doch warten bis es dunkel ist," sagte Steffen nach kleiner Pause; "besser ist besser, und der Maertens unten an der Strasse braucht nicht gleich zu wissen dass wir fortgefahren sind, beide zusammen, seine Nase hineinzustecken vor der Zeit; er ist mir so schon ein paar Mal hier oben herumgekrochen, wo er Nichts zu suchen hatte." "Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen?" sagte die Frau, "und unserer Spur nachgehn; wenn's jetzt schlimm ist, nachher wird's erst boes, und wir duerften dann nur gleich mit Sack und Pack abziehn." "In's Arbeitshaus, eh? -- nein, eine Weile halt' ich sie uns schon von den Hacken, und Gefahr dass sie uns finden, hat es auch nicht. Wo wir zur Eisenbahn kommen bin ich bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft, wenn sie auch eben meinen Namen nicht wissen, und wenn wir fortgehn, lasse ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von Dir unten an dem tiefen Wasserloch unter den Erlen. Sobald Jemand hier in der Gegend vermisst wird, suchen sie dort immer zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht erfunden, dem ist leicht was aufgehaengt. Bis sie eine Weile stromab geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und wenn nicht unter, doch ueber dem Wasser. Aber ich will jetzt noch einmal hinunter zum Maertens gehn und Mehl holen; es ist auch heute der gewoehnliche Tag, und hierher kommt nachher keiner so leicht, nimm Du indess die Kinder vor, und instruire sie wie sie sich zu verhalten haben." Und seine Muetze aufgreifend steckte Steffen die Haende in die Taschen, und schlenderte langsam den Hang hinunter dem naechsten, eine gute Viertelstunde entfernten Hause zu, waehrend die Frau die Kinder zu sich hereinrief, das Juengste, ein kleines liebes Maedchen von anderthalb Jahren, auf den Schoos nahm, und sich damit still und lautlos in die Ecke setzte. Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der Vater kam nach etwa einer Stunde, als es schon voellig dunkel geworden war zurueck -- die Mutter sass noch immer mit dem Kind auf dem Schoos, das bei ihr eingeschlafen war, und hielt es fest an sich gedrueckt. "So Jule, es ist Zeit," sagte der Mann, seine Arbeitsjacke abwerfend und den Rock anziehend, "weiss die Albertine was sie zu thun hat?" Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiederte kein Wort, stand auf, kuesste das Kind das sie auf dem Arm trug, und legte es in sein Bettchen -- einen Kasten, der in der Ecke der Stube stand. "Albertine," sagte sie dann zu der Aeltesten, und wandte sich von der duester brennenden Oellampe, die Steffen auf den Ofen gestellt hatte, ab, dass die Tochter ihr nicht in die jetzt wirklich todtenbleichen Zuege schauen sollte -- "ich gehe mit dem Vater heute Abend eine Weile fort -- den Karl bring ich erst noch zu Bett -- sollten wir morgen frueh nicht bei Zeiten da sein, so -- so zieh die Kinder an und gieb ihnen zu essen -- der Brodschrank ist offen, und Milch steht unter der Diele in der Schuessel -- Du passt mir auf dass den Kleinen Nichts passirt -- Du -- Du bist ja schon ein grosses Maedchen." "Und geht mir nicht vor die Thuer morgen, bis wir nicht wieder da sind," sagte Steffen, "wie ich heut Abend drunten gehoert habe, ist hier ein toller Hund herumgelaufen. Das Beste wird sein Ihr haltet die Hausthuer zu, dass er nicht etwa gar herein kommt." Die Frau hatte dabei das etwa dreijaehrige Maedchen das indess gar schlaefrig geworden war, ausgezogen und in sein Bettchen gelegt -- und der Junge, Carl, sass auf der Bank am Fenster, noch auf sein Abendbrod wartend. Aber er sah auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spaet Abends fortgegangen waren, und auch wohl noch nie, oder doch nur selten gar so freundlich mit ihnen gesprochen hatten. "Was fuer ein Hund ist es, Vater?" frug er jetzt, da der Gedanke an den tollgewordenen Hund ihn besonders interessiren mochte -- "Maertens' Bello? der kennt mich, und beisst mich nicht." "Nein, der grosse Tuerk aus dem Dorfe unten," sagte Steffen -- "der den Mueller auch schon einmal gebissen hat." "Oh der ist schlimm!" rief der Knabe erschreckt -- "da geh' ich gewiss nicht hinaus." "Geh' nun zu Bett Carl, es ist spaet," sagte der Vater. "Ich habe mein Abendbrod noch nicht," brummte der arme kleine Bursch. "So? -- dann wird Dir's Albertine geben -- und -- seid brav und folgt ihr -- " Er gab dem Knaben und aeltesten Maedchen die Hand, und ging zu den Bettchen der Kleinen die er kuesste; dann aber als ob er sich einer solchen Regung schaeme, richtete er sich rasch wieder auf, drueckte den Hut in die Stirn, und sagte, das Zimmer verlassend, und noch in der Thuer sich umdrehend: "Ich warte auf Dich unten am Wasser -- mach schnell!" "Sei ein gut Kind Albertine, und hab mir gut auf die Kleinen Acht," fluesterte die Frau jetzt dem Maedchen zu, das eben dem Bruder ein Stueck Brod und Salz gegeben hatte, an dem der ass und verwundert dabei hinter den Vater her aus der Thuer, und nach der Mutter schaute, die lange -- o lange Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte. "Aber Mutter wo geht Ihr nur hin?" -- frug das Maedchen, der das Benehmen der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert. "Auf's Amt," sagte die Frau, auf die Frage schon vorbereitet -- "wir muessen morgen frueh mit Tagesanbruch in der Stadt sein, und wollen gehn so lang's kuehl ist." "Und wann kommst Du wieder?" "Hoffentlich morgen gegen Abend -- wenn wir fertig werden; auf dem Amt sind sie aber gar weitlaeufig -- manchmal dauert's laenger als man denkt. Geht mir aber nicht vor die Thuer, Ihr habt zu essen genug -- jedenfalls sind wir morgen Abend um die Zeit wieder da -- und acht' mir auf die Kleinen, Tine -- sei ein vernuenftig gutes Maedchen -- Du bist gross genug. Und -- wenn Jemand nach uns fragen sollte, so sag nur wir waeren in den Wald gegangen, und kaemen gleich wieder -- es wird aber wohl Niemand fragen," -- setzte sie leise, und wie zu ihrer eigenen Beruhigung hinzu. Sie sah sich im Zimmer um, ob sie Nichts vergessen habe -- ihr Buendel lag aber versteckt draussen vor der Thuer, wie der Mann seine gepackte Jagdtasche ebenfalls draussen verborgen gehabt und jetzt mitgenommen hatte. Ihr Blick ueberflog auch nur fluechtig den kleinen Raum, und haftete dann auf dem Bettchen des juengsten Kindes -- sie konnte nicht widerstehn, und trat noch einmal zu dem schlummernden Kind. "Geh doch hinaus Tine, und hole ein paar Stuecken Holz herein, so lang ich noch hier bin, dass Du morgen frueh Kaffee kochen kannst -- ich bleibe so lang bei den Kindern," setzte sie langsam und ohne das aelteste Maedchen dabei anzusehn, hinzu. Dieses ging, und in wilder, fast aengstlicher Hast kuesste die Frau jetzt die kleine, schon sanft schlummernde Line, und hob dann das Juengste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie den eigenen Mund in wilder Heftigkeit presste, bis es schrie. Die Thraenen -- die Mutter _konnte_ sich nicht ganz verleugnen in dem Augenblick -- liefen ihr dabei voll und schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Aelteste mit dem Holz zurueckkehren hoerte, legte sie das leicht beruhigte Kind wieder auf sein Lager, und kuesste den Jungen, dem die Thraenen auch anfingen in die Augen zu steigen. Er wusste freilich nicht recht weshalb, und nur vielleicht weil er die Mutter weinen sah, wurd' es ihm auch so weh und weich um's Herz. "Aber Mutter, was ist Dir nur heute Abend?" sagte das Maedchen, dem die aussergewoehnliche Bewegung derselben unmoeglich entgehen konnte -- "was habt Ihr nur, Du und der Vater?" "Bah -- der Vater war garstig mit mir, und wir haben uns gezankt," sagte die Mutter, das Gesicht abwendend von dem Kind. Ein scharfer Pfiff von draussen her schlug an ihr Ohr, und sie fuhr erschreckt in die Hoehe. "Ja -- ich komme schon!" murmelte sie, kaum hoerbar, vor sich hin, "so adieu Albertine -- hab auf die Kinder Acht, und -- _behuet Euch Gott_!" und mit dem, wie scheu gefluesterten und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht ausgesprochenen Segen, verliess sie rasch das Zimmer und das Haus. "Was zum Teufel troedelst Du denn da drin, und laesst mich eine Stunde hier warten?" rief der Mann muerrisch, als sie ihn endlich an der verabredeten Stelle traf -- aber die Frau erwiederte kein Wort, und die fieberheisse Stirn in die Hand pressend, folgte sie dem, jetzt ebenfalls finster und schweigend Voranschreitenden, durch die Nacht. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND*** CREDITS May 2006 Project Gutenberg Edition richyfortytwo Joshua Hutchinson Online Distributed Proofreading Team A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 18475-0.txt or 18475-0.zip. 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