The Project Gutenberg eBook of Candida: Ein Mysterium in drei Akten

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Title: Candida: Ein Mysterium in drei Akten

Author: Bernard Shaw

Translator: Siegfried Trebitsch

Release date: December 1, 2005 [eBook #9491]
Most recently updated: October 2, 2014

Language: German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK CANDIDA: EIN MYSTERIUM IN DREI AKTEN ***

Produced by Michalina Makowska

CANDIDA

Ein Mysterium in drei Akten

George Bernard Shaw

Übersetzt von Siegfried Trabitsch

PERSONEN

Pastor Jakob Morell
Candida, seine Frau
Burgess, ihr Vater
Alexander Mill, Unterpfarrer
Proserpina Garnett, Maschinenschreiberin
Eugen Marchbanks, ein junger Dichter

Ort der Handlung: Die St. Dominikpfarre, Viktoriapark, London E.

Zeit: Oktober 1894.

ERSTER AKT

(Ein schöner Oktobermorgen im nordöstlichen Viertel Londons. In diesem ausgedehnten Bezirk sind die Seitengässchen viel weniger schmal, schmutzig, übelriechend und stickig als in dem viele Meilen entfernten London von Mayfair und St. James. Hier spielt sich besonders das unelegante Leben der Mittelklassen ab. Die breiten, dichtbevölkerten Strassen sind mit hässlichen eisernen Bedürfnisanstalten, radikalen Klubs und Trambahnlinien, auf denen Ketten von gelben Wagen endlos einziehen, reichlich versehn. Doch Sind die Hauptverkehrsadern mit grasbewachsenen Vorgärtchen verziert, von denen man nur den kleinen Streifen betritt, der vom Pförtchen zur Haustür führt. Jene Strassen werden durch die stumm geduldete Eintönigkeit sich meilenweit erstreckender hässlicher Ziegelbauten, schwarzer Eisengitter, Steinpflaster und Schieferdächer arg entstellt. Anständig aber unmodern oder gemein und ärmlicb gekleidete Leute, die an dieses Viertel gewöhnt sind und sich zumeist in aufreibender Weise für andere plagen müssen, ohne sich für ihre Arbeit zu interessieren, bilden ihre Bewohner. Das bisschen ihnen gebliebene Energie und Eifer gipfelt in der Habgier des Londoner Cockneys und in der Begierde, ihr Geschäft vorwärts zu bringen. Selbst die Schutzleute und die Kapellen sind nicht selten genug, die Eintönigkeit zu unterbrechen. Die Sonne scheint klar, es ist nicht neblig, und obgleich der Rauch sowohl die Gesichter und Hände als auch die Mauern aus Ziegelstein und Mörtel verhindert, frisch und rein zu sein, so ist er doch nicht schwarz und schwer genug, um einen Londoner zu belästigen.)

(Diese reizlose Wüste hat ihre Oase. Am äussersten Ende der Hackneystrasse ist ein durch ein hölzernes Pfahlwerk abgeschlossener Park von 270 Morgen angelegt. Er enthält Rasenplätze, Bäume, einen Teich zum Baden, Blumenbeete, die Triumphe der vielbewunderten Cockney-Kunst der Teppichgärtnerei sind, und eine Sandgrube, die ursprünglich zur Belustigung der Kinder vom Meeresufer importiert, aber schleunigst verlassen wurde, als sie sich in eine natürliche Ungezieferbrutstätte für die ganz kleine Fauna von Kingsland, Hackney und Hoxton verwandelte. Ein Orchester, ein kleines Forum für religiöse, antireligiöse und politische Redner, Cricketplätze, ein Turnplatz und ein altmodischer Steinkiosk bilden die Hauptanziehungspunkte. Wo die Aussicht von Bäumen oder grünen Anhöhen begrenzt wird, ist es ein hübscher Aufenthaltsort. Wo sich aber der Boden flach bis zu dem grauen Lattenzaun hinzieht und man Ziegel und Mörtel, Reklameschilder, zusammengedrängte Schornsteine und Rauch gewahrt muss die Gegend (im Jahre 1894), trostlos und hässlich genannt werden.)

(Die beste Aussicht auf den Viktoriapark gewinnt man von den Frontfenstern der St. Dominikpfarre; von dort sieht man auf keinerlei Mauerwerk. Das Pfarrhaus steht halb frei, mit einem Vorgarten und einer Vorhalle. Besucher benützen die Stufen, die auf die Veranda führen, Geschäftsleute und Familienmitglieder geben durch eine Tür unterhalb der Treppe in das Erdgeschoß, wo ein Frühstückszimmer nach vorne liegt, das zu allen Mahlzeiten dient; die Küche liegt hinten. Oben, auf einem Niveau mit der Flurtür, befindet sich das Empfangszimmer mit seinem breiten Fenster aus geschliffenem Glas, das auf den Park hinausführt.)

(Hier, in dem einzigen Raume, der von den Familienmahlzeiten und den Kindern verschont bleibt, vollbringt der Pfarrer, Reverend Jakob Mavor Morell, sein Tagewerk. Er sitzt in einem starken drehbaren Stuhl mit runder Lehne am Ende eines langen Tisches, der dem Fenster gegenübersteht, so daß er sich durch einen Blick über die linke Schulter an der Aussicht auf den Park erfreuen kann. Am Ende des Tisches, an diesen anstoßend, befindet sich ein zweiter Tisch, der nur halb so breit ist und eine Schreibmaschine trägt.—Seine Schreiberin sitzt davor mit dem Rücken gegen das Fenster. Der große Tisch ist unordentlich mit Zeitungen, Broschüren, Briefen, Schubladeeinsätzen, einem Notizheft, einer Briefwage und ähnlichen Dingen bedeckt. In der Mitte steht ein übriger Stuhl für die Besucher, die mit dem Pfarrer geschäftlich zu tun haben. Seiner Hand erreichbar steht eine Papierkassette und eine Photographie in einem Rahmen. Die Wand hinter ihm ist mit Bücherregalen zugestellt. Die theologische Richtung des Pfarrers kann ein Sachverständiger an: Maurices "Theologischen Essays" und einer vollständigen Ausgabe der Browningschen Gedichte erkennen, seine politischen Reformideen an einem gelbrückigen Band "Fortschritt und Armut", den "Essays der Fabier", dem "Traum John Bulls" von William Morris, dem "Kapital" von Marx und einem halben Dutzend anderer grundlegender sozialistischer Bücher. Dem Pfarrer gegenüber, auf der andern Seite des Zimmers in der Nähe der Schreibmaschine, ist die Tür. Weiter hinten, dem Kamin gegenüber, steht ein Bücherbrett auf einem Spind, daneben ein Sofa. Ein starkes Feuer brennt im Kamin und davor steht ein bequemer Lehnstuhl, ferner ein schwarz lackierter, blumenbemalter Kohleneimer auf der einen Seite und ein Kindersessel für einen Knaben oder ein Mädchen auf der anderen. Der hölzerne Kaminsims ist lackiert, und in den kleinen Feldern der nett geformten Fächer sind winzige Spiegelgläser eingelegt, und eine Reiseuhr in einem Lederetui (das unvermeidliche Hochzeitsgeschenk) steht darauf. An der Wand darüber hängt eine große Autotypie der Hauptfigur aus Tizians Assunta. So sieht der Kamin sehr einladend aus. Im ganzen gesehen ist es das Zimmer einer guten Hausfrau, die, was des Pastors Arbeitstisch betrifft, an etwas Unordnung gewöhnt ist, aber trotzdem die Situation vollkommen beherrscht. Die Einrichtung verrät in ihrem ornamentalen Aussehen den Stil der in den Zeitungen annoncierten "Saloneinrichtung" des unternehmenden Vorstadtmöbelhändlers; aber es ist nichts Zweckloses oder Aufdringliches in dem Zimmer. Die Tapeten und die Täfelung sind dunkel und lassen das große helle Fenster und den Park draußen kräftig hervortreten.)

(Hochwürden Jakob Mavor Morell ist ein christlich-sozialer Geistlicher der anglikanischen Kirche und ein aktives Mitglied der Gilde von "Sankt Matthäus" und der "Christlich Socialen Union". Ein starker, freundlicher, allgemein geachteter Mann von vierzig fahren, kräftig und hübsch, voll Energie und mit liebenswürdigen, herzlichen, rücksichtsvollen Manieren, mit einer gesunden, natürlichen Stimme, die er mit der wirkungsvollen Betonung eines geübten Redners benutzt. Er verfügt über einen großen Wortschatz, den er vollkommen beherrscht. Er ist ein vorzüglicher Geistlicher, fähig, was er will zu wem er will zu sagen und die Leute abzukanzeln, ohne sich über sie zu ärgern, ihnen seine Autorität aufzudrängen, ohne sie zu demütigen und, wenn es sein muß, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen, ohne dabei zu verletzen. Die Quelle seiner Begeisterung und seines Mitgefühls versiegt niemals auch nur für einen Augenblick; er ißt und schläft noch immer ausgiebig genug, um die tägliche Schlacht zwischen Erschöpfung und Erholung glänzend zu gewinnen. Dabei ist er ein großes Kind, verzeihlicherweise eitel auf seine Fähigkeiten und unbewust selbstgefällig. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, eine schöne Stirn mit etwas plumpen Augenbrauen, glänzende und lebhafte Augen, einen energischen Mund, der nicht besonders schön geschnitten ist, und eine kräftige Nase mit den beweglichen, sich blähenden Nasenflügeln des dramatischen Redners, die aber wie alle seine Züge der Feinheit entbehrt.)

(Die Maschinenschreiberin, Fräulein Proserpina Garnett, ist eine flinke kleine Person von ungefähr dreißig Jahren, sie gehört der unteren Mittelklasse an, ist nett, aber billig mit einem schwarzen Wollrock und einer Bluse bekleidet, ziemlich vorlaut und naseweis und nicht sehr höflich in ihrem Benehmen, aber empfindungsfähig und teilnahmsvoll. Sie klappert emsig auf ihrer Maschine drauf los, während Morell den letzten Brief seiner Morgenpost öffnet. Er durchfliegt seinen Inhalt mit einem komischen Stöhnen der Verzweiflung.)

(Proserpina.) Wieder ein Vortrag?

(Morell.) Ja. Ich soll nächsten Sonntagvormittag für die
Freiheitsgruppe von Hoxton sprechen. (Er betont mit großer
Wichtigkeit "Sonntag", weil das der unvernünftige Teil des Verlangens
ist.) Was sind das für Leute?

(Proserpina.) Ich glaube, kommunistische Anarchisten.

(Morell.) Es sieht den Anarchisten ähnlich, nicht zu wissen, daß sie am Sonntag keinen Pastor haben können. Schreiben Sie ihnen, sie sollen in die Kirche kommen, wenn sie mich hören wollen, das kann ihnen nicht schaden! Und fügen Sie hinzu, daß ich nur Montags und Donnerstags frei bin. Haben Sie das Vormerkbuch da?

(Proserpina hebt das Vormerkbuch auf:) Ja!

(Morell.) Ist irgendeine Vorlesung für nächsten Montag angesetzt?

(Proserpina im Vormerkbuch nachschlagend:) Der radikale Klub von Tower
Hamlet.

(Morell) Nun, und Donnerstag?

(Proserpina.) Die englische Bodenreform-Liga.

(Morell.) Was dann?

(Proserpina.) In der Gilde von Sankt Matthäus am Montag. In der unabhängigen Arbeitervereinigung, Abteilung Greenwich, am Donnerstag; am Montag darauf in der soziademokratischen Föderation, Abteilung Mile End; am folgenden Donnerstag ist die erste Konfirmationsklasse. (Ungeduldig:) Ach, ich will lieber schreiben, daß Sie überhaupt nicht kommen können; es sind doch nur ein halbes Dutzend unwissende und eingebildete Hausierer, die miteinander keine fünf Schilling haben.

(Morell belustigt:) Ah, aber bedenken Sie, es sind nahe Verwandte von mir, Fräulein Garnett.

(Proserpina ihn anstarrend:) Verwandte von Ihnen?

(Morell.) Ja! Wir haben denselben Vater—im Himmel.

(Proserpina erleichtert:) Oh, weiter nichts?

(Morell mit einer Melancholie, die einem Manne Genuß ist, dessen Stimme sie schon so schön auszudrücken vermag:) Ah, Sie glauben das auch nicht,—jedermann sagt es, niemand glaubt es, niemand! (Schnell zu seinem Gegenstande zurückkehrend:) Gut, gut! Na, Fräulein Proserpina, können Sie keinen Tag für die Hausierer finden, wie ist's mit dem fünfundzwanzigsten,—der war noch vorgestern frei.

(Proserpina aus dem Vormerkbuch:) Auch vergeben—an die Fabier.

(Morell.) Hol' der Geier die Fabier! Ist der achtundzwanzigste gleichfalls vergeben?

(Proserpina.) Bankett in der City. Sie sind von den Hüttenbesitzern zum Speisen eingeladen.

(Morell.) Das geht, ich werde eben statt dessen nach Hoxton gehen. (Sie trägt diese Verpflichtung schweigend ein, mit unerschütterlicher Verachtung gegen diese Hoxtoner Anarchisten, die sich in jeder Linie ihres Gesichtes spiegelt. Morell reißt das Streifband eines Exemplars des "Church Reformer" ab, das mit der Post angekommen ist, und überfliegt den Leitartikel Stewart Hedlams und die Mitteilungen der Gilde von Sankt Matthäus. Diese Vorgänge werden alsbald durch das Erscheinen des Unterpfarrers Morells, Alexander Mill, unterbrochen. Er ist ein junger Mensch, den Morell von der nächsten Missionstelle der Universität bezogen hat, wohin er von Oxford gekommen war, um dem East-End von London die Wohltat seiner akademischen Bildung angedeihen zu lassen. Er ist ein eingebildeter, gutgesinnter, unreifer Mann, von enthusiastischer Natur. Nichts absolut Unausstehliches ist in seinem Wesen außer der Gewohnheit, um eine gezierte Sprache zu erzielen, mit sorgsam geschlossenen Lippen zu reden und eine Menge Vokale schlecht auszusprechen, als ob dies das Hauptmittel wäre, die Bildung Oxfords unter den Pöbel Hackneys zu tragen.)

(Morell, den er durch eine hündische Unterwürfigkeit für sich gewann, blickt nachsichtig von seiner Lektüre im "Church Reformer" auf und bemerkt:) Nun, Lexi, wieder verschlafen, wie gewöhnlich?

(Mill.) Leider ja. Ich wollte, ich könnte des Morgens leichter aufstehen.

(Morell freut sich der eigenen Energie:) Ha, ha! (launig:) "Wache und bete", Lexi, "wache und bete".

(Mill.) Ich weiß. (Er benützt diese Gelegenheit sofort, um einen Witz zu machen.) Aber wie kann ich wachen und beten, wenn ich schlafe; —hab' ich nicht recht, Fräulein Prossi?

(Proserpina scharf:) Fräulein Garnett, wenn ich bitten darf.

(Mill.) Entschuldigen Sie, Fräulein Garnett.

(Proserpina.) Sie müssen heute alle Arbeit allein erledigen. (Mill.)
Warum?

(Proserpina.) Fragen Sie nicht, warum. Es wird Ihnen wohl bekommen, Ihr Abendbrot einmal zu verdienen, bevor Sie es essen, wie ich es täglich tue. Los, trödeln Sie nicht. Sie sollten schon seit einer halben Stunde unterwegs sein.

(Mill starr:) Spricht sie im Ernst, Herr Pastor?

(Morell in bester Laune—seine Augen glänzen:) Ja. Heute werd' ich einmal bummeln.

(Mill.) Sie? Sie wissen ja nicht, wie man das macht.

(Morell herzlich:) Ha, ha! Weißichdasnicht? Diesen Tag will ich ganz für mich haben, oder doch wenigstens den Vormittag! Meine Frau kommt nämlich zurück, um elf Uhr fünfundvierzig soll sie hier eintreffen.

(Mill erstaunt:) Schon zurück—mit den Kindern? Ich dachte, sie wollte bis Ende des Monats fortbleiben.

(Morell.) So ist es. Sie kommt nur für zwei Tage her, um für Jimmy etwas Flanellwäsche einzukaufen und um zu sehen, wie wir hier ohne sie fertig werden.

(Mill ängstlich:) Aber lieber Herr Morell, wenn das, was Jimmy und
Flussy gefehlt hat, wirklich Scharlach war, halten Sie es für klug?—

(Morell.) Unsinn, Scharlach! Masern waren es, ich habe sie selbst von der Pycroftstraße aus der Schule nach Hause gebracht; ein Pastor ist wie ein Arzt, mein Lieber, er muß der Ansteckung ins Auge sehen können wie ein Soldat den Kugeln. (Er erbebt sich und schlägt Mill auf die Schultern.) Trachten Sie, Masern zu bekommen, wenn Sie können; Candida wird Sie dann pflegen, und was für ein Glücksfall wäre das für Sie, —was?

(Mill unsicher lächelnd:) Es ist schwer, Sie zu verstehen, wenn Sie über Frau Morell sprechen.—

(Morell weich:) Mein lieber Junge, seien Sie erst verheiratet! Verheiratet mit einer guten Frau, und dann werden Sie mich verstehen. Es ist ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns in dem himmlischen Reich erwartet, das wir uns auf Erden zu gründen versuchen. Dann werden Sie sich schon das Bummeln abgewöhnen! Ein braver Mann fühlt, daß er dem Himmel für jede Stunde des Glücks ein hartes Stück selbstloser Arbeit zum Wohle seiner Mitmenschen schuldig ist. Wir haben ebensowenig das Recht, Glück zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen, als Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben. Suchen Sie sich eine Frau wie meine Candida, und Sie werden immer Schuldner sein, wieviel Sie auch abzahlen. (Er klopft Mill liebevoll auf den Rücken und ist im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Mill ihn zurückruft.)

(Mill.) Oh, warten Sie einen Augenblick, ich vergaß… (Morell bleibt
stehen und wendet sich um, die Türklinke in der Hand.) Ihr Herr
Schwiegervater wird hierherkommen, er hat mit Ihnen zu sprechen.
(Morell schließt die Tür wieder, mit vollkommen verändertem Wesen.)

(Morell überrascht und nicht erfreut:) Burgess?

(Mill.) Ja! Ich traf ihn mit jemandem im Park, in eifrigem Gespräch. Er sprach mich an und bat mich, Sie wissen zu lassen, daß er hierherkommt.

(Moroll halb ungläubig:) Aber er ist seit Jahren nicht hier gewesen.
Sind Sie sicher, Lexi? Sie scherzen doch nicht etwa?—

(Mill ernst:) Nein, Herr Pastor, ganz bestimmt nicht!

(Morell nachdenklich:) Hm, hm, er hält es an der Zeit, sich wieder einmal nach Candida umzusehen, ehe sie gänzlich aus seinem Gedächtnis verschwindet. (Er fügt sich in das Unvermeidliche und geht hinaus; Mill sieht ihm mit begeisterter, närrischer Verehrung nach. Fräulein Garnett, die Mill nicht schütteln kann, wie sie möchte, läßt ihre Gefühle an der Schreibmaschine aus.)

(Mill.) Was für ein vortrefflicher Mann, welch ein tiefes liebevolles Gemüt! (Er nimmt Morells Platz am Tisch ein und macht es sich bequem, indem er eine Zigarette hervorzieht.)

(Proserpina ungeduldig, nimmt den Brief, den sie auf der Maschine geschrieben hat, und faltet ihn zusammen:) Ach! ein Mann sollte seine Frau lieben können, ohne einen Narren aus sich zu machen.

(Mill erregt:) Aber Fräulein Proserpina!

(Proserpina geschäftig aufstehend, holt ein Kuvert aus dem Pulte, in das sie, während sie spricht, den Brief hineinlegt:) Candida hin und Candida her und Candida überall. (Sie leckt das Kuvert.) Es kann einen außer Rand und Band bringen! (Hämmert das Kuvert, um es fest zu schließen.) Hören zu müssen, wie eine ganz gewöhnliche Frau in dieser lächerlichen Weise vergöttert wird, bloß weil sie schönes Haar und eine leidliche Figur hat.

(Mill mit vorwurfsvollem Ernst:) Ich finde sie ungewöhnlich schön, Fräulein Garnett. (Er nimmt die Photographie zur Hand betrachtet sie und fügt mit noch tieferem Ausdruck hinzu:) Wunderbar schön,—was für herrliche Augen sie hat!

(Proserpina.) Candidas Augen sind durchaus nicht schöner als meine,
(Mill stellt die Photograpbie fort und sieht sie strenge an,) und ich
weiß ganz gut, daß Sie mich für ein gewöhnliches und untergeordnetes
Geschöpf halten.

(Mill erbebt sich majestätisch:) Gott behüte, daß ich von irgendeinem Geschöpf Gottes in dieser Weise dächte. (Er geht steif von ihr fort bis in die Nähe des Bücherschranks.)

(Proserpina mit bitterem Spott:) Ich danke Ihnen, das ist sehr nett und tröstlich.

(Mill traurig über ihre Verstocktheit:) Ich hatte keine Ahnung, daß
Sie etwas gegen Frau Morell haben.

(Proserpina entrüstet:) Ich habe durchaus nichts gegen sie. Sie ist sehr liebenswürdig und sehr gutherzig, ich habe sie sehr gern und weiß ihre wirklich guten Eigenschaften weit besser zu würdigen, als irgendein Mann es könnte. (Mill schüttelt traurig den Kopf, wendet sich zum Bücherschrank und sucht die Reihen entlang nach einem Bande. Sie folgt ihm mit heftiger Leidenschaftlichkeit.) Sie glauben mir nicht? (Er wendet sich um und blickt ihr ins Gesicht. Sie fällt ihn mit Heftigkeit an:) Sie halten mich für eifersüchtig? Was für eine tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens Sie haben, Herr Alexander Mill! Wie gut Sie die Schwächen der Frauen kennen, nicht wahr? Wie schön es sein muß, ein Mann zu sein und einen scharfen durchdringenden Verstand zu haben, statt bloße Gefühle, wie wir Frauen, und zu wissen, daß die Ursache, warum wir ihr Vernarrtsein in eine Frau nicht teilen, nur in gegenseitiger Eifersucht zu suchen sein kann. (Sie wendet sich mit einer Bewegung ihrer Schultern von ihm ab und geht an das Feuer, ihre Hände zu wärmen.)

(Mill.) Ach, wenn Ihr Frauen nur ebenso leicht den Schlüssel zur
Stärke des Mannes fändet wie zu seiner Schwäche, es gäbe keine
Frauenfrage.

(Proserpina über ihre Schulter, während sie die Hände vor die Flammen hält:) Wo haben Sie das von Herrn Morell gehört? Sie selbst haben es nicht erfunden,—Sie sind dazu nicht gescheit genug.

(Mill.) Das ist ganz richtig. Ich schäme mich durchaus nicht, ihm diesen Ausspruch zu verdanken, wo ich ihm schon so viele andere geistige Wahrheiten verdanke! Er tat ihn bei der Jahresversammlung der freien Frauenvereinigung. Erlauben Sie mir hinzuzufügen, daß ich, obwohl bloß ein Mann, im Gegensatz zu jenen Frauen diesen Ausspruch zu schätzen wußte! (Er wendet sich wieder an den Bücherschrank in der Hoffnung, daß diese Worte sie vernichtet haben.)

(Proserpina ordnet ihr Haar vor den kleinen Spiegeln des Kamins:) Wenn Sie mit mir sprechen, sagen Sie mir gefälligst Ihre eigenen Gedanken, soviel sie eben wert sind, und nicht die Pastor Morells. Sie geben niemals eine traurigere Figur ab, als wenn Sie versuchen, ihn nachzumachen.

(Mill gekränkt:) Ich versuche seinem Beispiel zu folgen, aber nicht, ihn nachzumachen.

(Proserpina kommt wieder an ihn heran auf dem Rückwege zu ihrer Arbeit:) Jawohl, Sie machen ihn nach. Warum stecken Sie Ihren Schirm unter den linken Arm, statt ihn in der Hand zu tragen wie jeder andere? Warum gehen Sie mit vorgeschobenem Kinn und warum eilen Sie vorwärts mit diesem eifrigen Ausdruck in den Augen,—Sie, der Sie nie vor halb zehn Uhr morgens aufstehen? Warum sagen Sie in der Kirche "Aandacht", obwohl Sie im Leben "Andacht" sagen? Bah—glauben Sie, ich weiß das nicht? (Geht zurück zur Schreibmaschine.) Da kommen Sie her und machen Sie sich endlich an Ihre Arbeit; wir haben heute Morgen genug Zeit verloren. Hier ist eine Abschrift der Tageseinteilung für heute. (Sie reicht ihm ein Memorandum. Mill schwer beleidigt:) Ich danke Ihnen. (Er nimmt das Papier und steht mit dem Rücken gegen sie an den Tisch gelehnt und liest.) Sie fängt an, auf der Schreibmaschine ihre stenographischen Aufzeichnungen zu übertragen, ohne auf Mills Gefühle zu achten.

(Burgess tritt unangemeldet ein.) Er ist ein Mann von sechzig Jahren, derb und filzig geworden durch die notwendige Selbstsucht des kleinen Krämers, die sich später durch Überfütterung und geschäftlichen Erfolg zu träger Aufgeblasenheit milderte. Ein gemeiner, unwissender, unmäßiger Mensch, beleidigend und hochnasig Leuten gegenüber, deren Arbeit wohlfeil ist, ehrfürchtig gegen Menschen von Reichtum und Rang, aber beiden gegenüber ganz aufrichtig und ohne Groll oder Neid. Da sie ihn ohne besondere Fähigkeiten sah, hat ihm die Welt keine andere gut bezahlte Arbeit zu bieten gewußt, als unnoble Arbeit, und er wurde infolgedessen etwas erbärmlich, hat aber keine Ahnung, daß er so beschaffen ist, und betrachtet seinen kommerziellen Wohlstand ganz ehrlich als den unvermeidlichen und sozial berechtigten Triumph der Geschicklichkeit, Tüchtigkeit, Fähigkeit und Erfahrung eines Mannes, der im Privatleben übertrieben, leichtsinnig, liebenswürdig und leutselig ist. Körperlich ist er kurz und dick, mit einer schnauzenähnlichen Nase in der Mitte eines flachen, breiten Gesichtes; unter dem Kinn ein staubfarbener Bart mit einem grauen Fleck in der Mitte; er hat wässerige blaue Augen mit klagend sentimentalem Ausdruck, der sich durch die Gewohnheit, seine Sätze wichtigtuend zu singen, auch leicht auf seine Stimme überträgt.

(Burgess bleibt an der Schwelle stehen und blickt umher:) Man sagte mir, Herr Morell sei hier.

(Proserpina sich erhebend:) Er ist oben, ich will ihn holen.

(Burgess sie frech anstarrend:) Sie sind nicht dieselbe junge Dame, die sonst für ihn schrieb.

(Proserpina.) Nein.

(Burgess beistimmend:) Nein, die war jünger. (Fräulein Garnett starrt ihn an, dann gebt sie mit großer Würde hinaus. Er nimmt dies gleichgültig entgegen und geht an den Kaminteppich, wo er sich umwendet und sich breitspurig aufpflanzt, den Rücken dem Feuer zugekehrt.)

(Burgess.) Sind Sie im Begriff Ihren Rundgang zu machen, Herr Mill?

(Mill faltet sein Papier und steckt es in die Tasche:) Jawohl, ich muß gleich fort.

(Burgess wichtig:) Lassen Sie sich nicht aufhalten; was ich mit Herrn
Morell zu besprechen habe, ist ganz privater Natur.

(Mill aufgeblasen:) Ich habe durchaus nicht die Absicht, mich einzumengen, verlassen Sie sich darauf, Herr Burgess. Guten Morgen!

(Burgess herablassend:) Guten Morgen, guten Morgen!

(Morell kommt zurück, während Mill sich zur Tür wendet.)

(Morell zu Mill:) Sie gehen an die Arbeit?

(Mill.) Jawohl, Herr Pastor.

(Morell klopft ihn liebenswürdig auf die Schulter:) Da, nehmen Sie mein Seidentuch um den Hals, es geht ein kalter Wind draußen. Aber jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen. (Mill, mehr als getröstet über Burgess' Schroffheit, freut sich und geht hinaus.)

(Burgess.) Guten Morgen, Jakob. Sie verwöhnen Ihren Unterpfarrer wie immer. Wenn ich einen Mann bezahle und einer auf meine Kosten lebt, dann weise ich ihm gehörig seinen Platz an.

(Morell etwas kurz angebunden:) Ich weise meinem Unterpfarrer immer seinen Platz an, nämlich an meiner Seite als meinem Helfer und Kameraden. Wenn es Ihnen gelingt, so viel Arbeit aus Ihren Kommis und Angestellten herauszukriegen wie ich aus meinem Unterpfarrer, dann müssen Sie ziemlich rasch reich werden. Bitte, setzen Sie sich in Ihren gewohnten Stuhl. (Er weist mit trockener Autorität auf den Armstuhl neben dem Kamin, dann ergreift er einen freien Stuhl und setzt sich in zurückhaltender Entfernung von seinem Besucher.)

(Burgess ohne sich zu rühren:) Sie sind ganz der alte, Jakob.

(Morell.) Als Sie mich das letztemal besuchten—ich glaube, es war vor drei Jahren—da sagten Sie genau dasselbe. Nur etwas aufrichtiger. Ihr wörtlicher Ausspruch war damals: "Derselbe Narr wie immer, Jakob."

(Burgess sich rechtfertigend:) Vielleicht sagte ich das, aber (mit versöhnender Heiterkeit:) ich meinte nichts Beleidigendes damit. Ein Geistlicher hat das Privilegium, ein wenig närrisch sein zu dürfen—wissen Sie, das liegt schon in seinem Beruf. Einerlei, ich bin nicht hergekommen, um alte Meinungsverschiedenheiten aufzuwärmen, sondern um die Vergangenheit vergessen sein zu lassen. (Er wird plötzlich sehr feierlich und nähert sich Morell.) Jakob, vor drei Jahren haben Sie mir übel mitgespielt. Sie haben mich um meine Lieferungen gebracht, und als ich Ihnen in meiner erklärlichen Verzweiflung böse Worte gab, brachten Sie meine Tochter gegen mich auf. Nun, ich bin gekommen, um Ihnen zu zeigen, daß ich ein guter Christ bin. (Ihm seine Hand darreichend:) Ich verzeihe Ihnen, Jakob.

(Morell auffahrend:) Verdammt frech!

(Burgess weicht zurück mit fast schluchzendem Vorwurf über diese
Behandlung:) Ziemt diese Sprache einem Pastor, Jakob? Und besonders
Ihnen?

(Morell bitzig:) Nein, sie ziemt ihm nicht, ich habe das falsche Wort gebraucht,—ich hätte sagen sollen: "Der Teufel soll Ihre Frechheit holen!" Das würde Ihnen der heilige Paulus und jeder andere brave Priester gesagt haben. Glauben Sie, ich habe Ihr Anerbieten vergessen, als Sie für das Armenhaus vertragsmäßig Kleider liefern sollten?

(Burgess in höchster Erbitterung, weil ihm seine Forderung nur recht und billig erscheint:) Ich habe im Interesse der Steuerzahler gehandelt, Jakob,—es war das niedrigste Angebot, das können Sie nicht leugnen.

(Morell.) Jawohl, das niedrigste, weil Sie schlechtere Löhne zahlten als irgendein anderer Unternehmer—Hungerlöhne,—ach, ärger als Hungerlöhne war die Bezahlung, die Sie den Frauen für ihre Näharbeit geboten haben. Ihre Löhne hätten die Armen auf die Straße getrieben, um Leib und Seele zu verkaufen. (Immer wütender werdend:) Jene Frauen waren aus meinem Kirchsprengel, ich habe die Armenpfleger dazu gebracht, daß sie sich schämten, Ihr Angebot anzunehmen, ich habe die Steuerzahler dazu gebracht, daß sie sich schämten, es zuzulassen, ich habe jeden bis auf Sie dazu gebracht, sich deswegen zu schämen. (Überschäumend vor Wut:) Wie können Sie es wagen, Herr, hierherzukommen und mir etwas vergeben zu wollen und über Ihre Tochter zu sprechen und…

(Burgess.) Beruhigen Sie sich, Jakob,—still, still, regen Sie sich nicht für nichts und wieder nichts so auf. Ich habe ja zugegeben, daß ich unrecht hatte.

(Morell wütend:) Haben Sie das? Ich habe nichts davon bemerkt!

(Burgess.) Natürlich gab ich's zu, so wie ich's noch jetzt zugebe. Na, ich bitte Sie um Verzeihung wegen des Briefes, den ich Ihnen geschrieben habe,—genügt Ihnen das?

(Morell mit den Fingern schnalzend:) Ganz und gar nicht! Haben Sie die Löhne erhöht?

(Burgess triumphierend:) Ja!

(Morell verblüfft innehaltend:) Was?

(Burgess salbungsvoll:) Ich bin das Muster eines Arbeitgebers geworden. Ich beschäftige keine Frauen mehr, sie haben alle den Laufpaß bekommen, und die Arbeit wird jetzt durch Maschinen verrichtet. Nicht ein Mann verdient jetzt weniger als sechs Pence die Stunde, und die alten geübten Arbeiter bekommen die von den Gewerkschaften festgesetzten Löhne. (Stolz:) Was sagen Sie jetzt?

(Morell überwältigt:) Ist das möglich? Na, es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut—(Er geht auf Burgess zu mit einem Ausbruch entschuldigender Herzlichkeit.) Mein lieber Burgess, ich bitte Sie herzlichst um Verzeihung wegen der schlechten Meinung, die ich von Ihnen hatte. (Seine Hand fassend:) Und fühlen Sie sich nicht wohler nach dieser Veränderung? Gestehen Sie es! Sie sind glücklicher, Sie sehen glücklicher aus.

(Burgess kläglich:) Na ja, vielleicht fühle ich mich jetzt glücklicher, ich muß wohl, da Sie es bemerken. Tatsache ist, daß mein Angebot von der Behörde angenommen wurde. (Wild:) Sie wollte nichts mit mir zu schaffen haben, ehe ich anständige Löhne zahlte—der Teufel soll diese verdammten Narren holen, die ihre Nase in alles stecken müssen!

(Morell läßt seine Hand fahren, aufs tiefste entmutigt:) Das ist also der Grund, warum Sie die Löhne erhöht haben! (Er setzt sich niedergeschlagen.)

(Burgess streng, anmaßend, lauter werdend:) Weswegen sollt' ich es sonst getan haben? Wohin anders führt es, als zu Trunksucht und Ausschweifungen? (Er setzt sich wie ein Richter in den großen Lehnstuhl.) Das ist alles sehr schön und gut für Sie: es bringt Sie in die Zeitungen und macht Sie zu einem berühmten Manne; aber Sie denken nie an den Schaden, den Sie anrichten, indem Sie die Taschen der Arbeiter mit Geld anfüllen, das sie doch nicht vernünftig auszugeben verstehen, während Sie es Leuten fortnehmen, die gute Verwendung dafür hätten.

(Morell nach einem schweren Seufzer, mit kalter Höflichkeit:) Was wollen Sie also heute von mir? Ich bilde mir nicht ein, daß nur verwandtschaftliche Gefühle Sie herführen.

(Burgess hartnäckig:) Doch—gerade verwandtschaftliche Gefühle und nichts anderes!

(Morell mit müder Ruhe:) Das glaub' ich Ihnen nicht.

(Burgess springt drohend auf:) Sagen Sie mir das nicht ein zweites Mal,
Jakob Morell!

(Morell unerschütterlich:) Ich werde es genau so oft sagen, als es nötig ist, Sie davon zu überzeugen.—Das glaub' ich Ihnen nicht.

(Burgess versinkt in einen Zustand von tief verwundetem Gefühl:) Nun gut, wenn Sie durchaus unfreundlich sein wollen, dann ist es wohl am besten, ich gehe. (Er bewegt sich zögernd gegen die Tür, Morell gibt kein Zeichen. Burgess zögert noch.) Ich habe nicht erwartet, Sie unversöhnlich zu finden, Jakob. (Da Morell noch immer nicht antwortet, macht er noch einige zögernde Schritte nach der Tür, dann kommt er zurück, jammernd:) Wir haben uns doch immer ganz gut vertragen, trotz unserer verschiedenen Anschauungen, warum sind Sie mir gegenüber jetzt so verändert? Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich bloß aus Freundschaft hergekommen bin und nicht, um mich mit dem Manne meiner eigenen Tochter auf schlechten Fuß zu stellen. Seien Sie doch ein Christ, Jakob, reichen Sie mir Ihre Hand. (Er legt seine Hand sentimental auf Morells Schulter.)

(Morell blickt nachdenklich zu ihm auf.) Schauen Sie, Burgess, wollen
Sie hier ebenso willkommen sein, wie Sie es waren, ehe Sie Ihren
Vertrag verloren?

(Burgess.) Jawohl, Jakob, das möchte ich wirklich.

(Morell.) Warum benehmen Sie sich dann nicht wie damals?

(Burgess nimmt seine Hand behutsam weg:) Wie meinen Sie das?

(Morell.) Das will ich Ihnen sagen. Damals hielten Sie mich für einen jungen Dummkopf!

(Burgess schmeichelnd:) Nein, dafür habe ich Sie nicht gehalten, ich—

(Morell ihn unterbrechend:) Ja, dafür hielten Sie mich! Und ich hielt
Sie für einen alten Schurken.

(Burgess will diese schwere Selbstanklage Morells heftig abwehren:) Nein, das haben Sie nicht getan, Jakob. Jetzt tun Sie sich selbst unrecht.

(Morell.) Doch, das tat ich. Na, das hat aber nicht gehindert, daß wir ganz gut miteinander ausgekommen sind. Gott hat aus Ihnen das gemacht, was ich einen Schurken nenne, und aus mir das, was Sie eben einen Dummkopf nennen. (Diese Bemerkung erschüttert die Grundfesten von Burgess' Moral. Ihm wird schwach, und während er Morell hilflos anblickt, streckt er die Hand ängstlich aus, um sein Gleichgewicht zu bewahren, als ob der Boden unter ihm wankte. Morell fährt im selben Tone ruhiger Überzeugung fort:) Es ist in beiden Fällen nicht meine Sache, mit Gott darüber zu rechten. Solange Sie offen als ein sich selbst achtender, echter, überzeugter Schurke hierherkommen und, stolz darauf, Ihre Schurkereien zu rechtfertigen versuchen, sind Sie willkommen. Aber (und nun wird Morells Ton furchtbar; er erhebt sich und stützt sich zur Bekräftigung mit der Faust auf die Rückenlehne des Stuhles:) ich mag Sie hier nicht herumschnüffeln haben, wenn Sie so tun, als ob Sie das Muster eines Arbeitgebers wären und ein bekehrter Mann dazu, während Sie nur ein Abtrünniger sind, der seinen Rock nach dem Winde trägt, um einen Vertrag mit der Behörde zustande zu bringen. (Er nickt ihm zu, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, dann geht er zum Kamin, wo er in bequemer Kommandostellung, mit dem Rücken gegen das Feuer gekehrt, lehnt und fortfährt:) Nein, ich liebe es, wenn ein Mensch wenigstens sich selber treu bleibt, selbst im Bösen! Also, nehmen Sie jetzt entweder Ihren Hut und gehen Sie, oder setzen Sie sich und geben Sie mir einen guten, schurkischen Grund dafür an, warum Sie mein Freund sein wollen. (Burgess, dessen Erregung sich genügend gelegt hat, um in einem Grinsen ausgedrückt werden zu können, fühlt sich durch diesen konkreten Vorschlag sichtlich erleichtert. Er überlegt einen Augenblick, und dann setzt er sich langsam und sehr bescheiden in den Stuhl, den Morell eben verlassen hat.) So ist's recht,—nun heraus damit.

(Burgess kichernd gegen seinen Willen:) Nein, Sie sind wirklich ein sonderbarer Kauz, Jakob! (Beinahe enthusiastisch:) Aber man muß Sie gern haben, ob man will oder nicht. Außerdem nimmt man, wie ich schon sagte, nicht jedes Wort eines Geistlichen für bare Münze, sonst müßte die Welt untergehn. Habe ich nicht recht? (Er faßt sich, um einen ernsteren Ton anzuschlagen, und die Augen auf Morell gerichtet, fährt er mit eintönigem Ernste fort:) Nun, meinetwegen, da Sie es wünschen, daß wir gegeneinander ehrlich sind, will ich Ihnen zugeben, daß ich Sie—ein wenig—für einen Narren hielt; aber ich fange an zu glauben, daß ich damals etwas hinter meiner Zeit zurückgeblieben war.

(Morell frohlockend:) Aha, haben Sie das endlich herausgefunden?

(Burgess bedeutungsvoll:) Ja, die Zeiten haben sich mehr verändert, als man glauben sollte! Vor fünf Jahren noch hätte sich kein vernünftiger Mensch mit Ihren Ideen abgegeben. Ich wunderte mich sogar, daß man Sie auf Ihrem Posten als Pastor beließ. Ich kenne einen Geistlichen, der durch den Bischof von London auf Jahre hinaus seiner Funktionen enthoben wurde, obwohl der arme Teufel nicht einen Funken mehr religiös war als Sie. Aber wenn heute jemand mit mir um tausend Pfund wetten wollte, daß Sie selbst noch einmal als Bischof enden werden, ich würde die Wette nicht anzunehmen wagen. (Sehr eindrucksvoll:) Sie und Ihre Sippschaft werden täglich einflußreicher, wie ich überall merke. Man wird Sie einmal irgendwie befördern müssen, und wäre es bloß, um Ihnen den Mund zu stopfen. Sie haben doch den richtigen Instinkt gehabt, Jakob! Der Weg, den Sie eingeschlagen haben, ist der einträglichste für einen Mann Ihres Schlages.

(Morell reicht ihm jetzt die Hand mit fester Entschlossenheit:) Hier meine Hand, Burgess, jetzt reden Sie ehrlich. Ich glaube nicht, daß man mich zum Bischof ernennen wird; aber wenn es geschieht, dann will ich Sie mit den größten Spekulanten bekannt machen, die ich zu meinen Diners bekommen kann.

(Burgess der sich mit einem verschmitzten Grinsen erhoben und die
Freundschaftshand ergriffen hat:) Sie bleiben nun mal bei Ihrem Witz,
Jakob. Unser Streit ist jetzt beigelegt, nicht wahr?

(Die Stimme einer Frau.) Sag "Ja", Jakob!

(Erstaunt wenden sie sich um und bemerken, daß Candida eben eingetreten ist und sie mit jener belustigten, mütterlichen Nachsicht betrachtet, die ihr charakteristischer Gesichtsausdruck ist. Sie ist eine Frau von dreiunddreißig Jahren, schön gewachsen, gut genährt. Man errät, daß sie später eine Matrone sein wird, aber jetzt steht sie noch in ihrer Blüte, mit dem Doppelreiz der Jugend und der Mutterschaft. Ihr Benehmen ist das einer Frau, die erfahren hat, daß sie die Menschen immer lenken kann, wenn sie ihre Neigung gewinnt, und die dies unbekümmert offen und instinktiv tut. In diesem Punkte ist sie wie jede andere hübsche Frau, die gerade klug genug ist, aus ihrer weiblichen Anziehungskraft zu alltäglich selbsttüchtigen Zwecken so viel Kapital wie möglich zu schlagen. Aber Candidas heitere Stirn und ihre mutigen Augen, der schön geformte Mund und ihr Kinn kennzeichnen umfassenden Geist und Würde des Charakters, der ihre Schlauheit im Gewinnen von Neigungen adelt. Ein kluger Beobachter würde, sie betrachtend, sofort erraten, daß wer das Bild der Assunta auch über ihren Kamin gehängt haben mochte, ein seelisches Band zwischen den beiden Frauengestalten geahnt hatte, obwohl er weder ihrem Manne, noch ihr selbst den Gedanken zutraute, sie mit der Kunst Tizians irgendwie in Zusammenhang zu bringen.—Sie ist in Hut und Mantel und hat eine zusammengeschnürte Reisedecke, durch die ihr Schirm gesteckt ist, eine Handtasche und eine Menge illustrierter Zeitungen in den Händen.)

(Morell über seine Nachlässigkeit erschrocken:) Candida! Ei nun!—(Er sieht auf seine Uhr und ist entsetzt, daß es schon so spät ist.) Mein Schatz! (Er eilt ihr entgegen und nimmt ihr die Reisedecke ab, indem er fortfährt, sein reumütiges Bedauern hervorzusprudeln:) Ich hatte die Absicht, dich von der Bahn abzuholen, aber ich bemerkte nicht, daß die Zeit schon um war, (die Reisedecke aufs Sofa werfend:) ich war so sehr in Anspruch genommen—(Wieder zu ihr kommend:) daß ich das vergaß—oh! (Er umarmt sie mit reumütiger Ergriffenheit.)

(Burgess etwas beschämt und ungewiß, wie er von seiner Tochter empfangen werden wird:) Wie geht es dir, Candy? (Candida, noch in Morells Armen, bietet ihm ihre Wange, die er küßt:) Jakob und ich sind zu einer Verständigung gekommen—zu einer ehrenvollen Verständigung. Nicht wahr, Jakob?

(Morell heftig:) Reden Sie nicht von unserer Verständigung!
Ihretwegen habe ich versäumt, Candida abzuholen.

(Teilnahmsvoll:) Du arme Liebe, wie bist du nur mit deinem Gepäck fertig geworden? Wie—

(Candida unterbricht ihn und macht sich los:) Na, na, na! ich war nicht allein. Eugen ist mit uns gekommen—wir sind zusammen hergefahren.

(Morell erfreut:) Eugen?!

(Candida.) Ja. Er plagt sich eben mit meinem Gepäck ab, der arme Junge. Ich bitte dich, lieber Jakob, geh gleich hinunter, sonst bezahlt er den Wagen, und das möchte ich nicht. (Morell eilt hinaus. Candida stellt ihre Handtasche nieder, nimmt dann ihren Mantel und Hut ab und legt sie auf das Sofa neben die Decke und plaudert inzwischen.) Nun, Papa, wie geht's zu Hause?

(Burgess.) Es lohnt sich nicht mehr, dort zu leben, seit du uns verlassen hast, Candy. Ich wollte, du kämst einmal, um nachzusehn und mit dem Mädchen zu sprechen.—Wer ist dieser Eugen, der dich begleitet hat?

(Candida.) Oh, Eugen ist eine von Jakobs Entdeckungen. Er fand ihn im verflossenen Juni schlafend auf dem Kai. Hast du unser neues Bild nicht bemerkt? (Ruf das Bild der Assunta zeigend:) Das haben wir von ihm.

(Burgess ungläubig:) Was soll das heißen? Willst du mir, deinem eigenen Vater, etwa einreden, daß ein Landstreicher, den man schlafend auf dem Kai findet, solche Bilder schenkt? (Strenge:) Betrüg mich nicht, Candy; es ist ein katholisches Bild, und Jakob hat es selbst gekauft.

(Candida.) Du irrst. Eugen ist kein Landstreicher.

(Burgess.) Was ist er denn? (Sarkastisch:) Ein Edelmann wahrscheinlich?

(Candida nickt belustigt:) Jawohl, sein Onkel ist ein Pair—ein wirklicher, leibhaftiger Graf.

(Burgess wagt es nicht, so eine gute Nachricht zu glauben:) Nein!

(Candida.) Ja! Er trug einen Wechsel auf fünfundfünfzig
Pfund—zahlbar in acht Tagen—in der Tasche, als Jakob ihn am Kai fand.
Er dachte, daß er dafür kein Geld bekommen könnte, bevor die acht
Tage um wären, und er war zu schüchtern, Kredit zu verlangen. Oh, er
ist ein lieber Junge, wir haben ihn sehr gern.

(Burgess der so tut, als verachte er die Aristokraten, aber mit glänzenden Augen:) Hm, ich dachte mir's, daß der Neffe eines Pairs nicht bei euch im Viktoriapark zu Besuch sein würde, wenn er nicht ein bißchen verrückt wäre. (Er blickt wieder auf das Bild.) Ich bin natürlich mit dem Vorwurf dieses Bildes, als strenggläubiger Protestant, nicht einverstanden, Candy; aber daß es ein erstklassiges, großes Kunstwerk ist, das habe ich sofort erkannt. Nicht wahr, du stellst mich ihm vor, Candy? (Er sieht ängstlich auf seine Uhr.) Ich kann aber höchstens noch zwei Minuten bleiben.

(Morell kommt mit Eugen zurück, den Burgess mit feuchten Augen begeistert anstarrt. Eugen ist ein seltsamer, scheuer Jüngling von achtzehn Jahren, schlank, weibisch, mit einer zarten, kindlichen Stimme, einem gehetzten, gequälten Ausdruck und mit einem Benehmen, das die schmerzliche Empfindlichkeit sehr schnell und plötzlich gereifter Knaben kennzeichnet, bevor ihr Charakter volle Festigkeit erreicht hat. Erbärmlich unentschlossen, weiß er nie, wo er stehen und was er tun soll. Burgess erschreckt ihn, und er möchte am liebsten fort von ihm in die Einsamkeit laufen, wenn er es wagte. Aber die Intensität, mit der er eine so ganz gewöhnliche Lage empfindet, zeugt doch nur von seiner übergroßen nervösen Kraft; und seine Nasenflügel, sein Mund und seine Augen verraten einen leidenschaftlich ungestümen Eigensinn, über dessen äußersten Grad seine Stirne, die schon vom Mitleid gefurcht ist, wieder beruhigt. Er sieht absonderlich aus, beinahe wie nicht von dieser Welt—und prosaische Leute sehen etwas Ungesundes in dieser überirdischen Art, so wie poetische Menschen darin etwas Engelgleiches sehen. Seine Kleidung ist ganz frei; er trägt ein altes Jakett aus blauem Serge, aufgeknöpft, über einem wollenen Lawn-Tennis-Hemd, mit einem seidenen Halstuch als Krawatte, zu dem Jackett passende Beinkleider und braune Schuhe aus Segeltuch. In diesem Aufzuge hat er augenscheinlich im Heidekraut gelegen und ist durch das Wasser gewatet; es ist auch nicht ersichtlich, daß er die Kleider jemals abgebürstet hat. Da er beim Eintritt einen Fremden sieht, hält er inne und drückt sich längs der Wand nach der entgegengesetzten Seite des Zimmers weiter.)

(Morell beim Eintreten:) Kommen Sie. Sie haben sicher doch eine
Viertelstunde für uns übrig. Das ist mein Schwiegervater, Herr
Burgess—Herr Marchbanks.

(Marchbanks weicht geängstigt gegen den Bücherschrank zurück:) Sehr angenehm—

(Burgess geht mit großer Herzlichkeit auf ihn zu, während Morell vor den Kamin zu Candida tritt:) Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Herr Marchbanks. (Nötigt ihn, ihm die Hand zu geben.) Wie geht es Ihnen bei diesem Wetter? Ich hoffe, Jakob versucht nicht, Ihnen verrückte Ideen in den Kopf zu setzen.

(Marchbanks.) Verrückte Ideen? Ach, Sie meinen sozialistische? Nein, o nein!

(Burgess.) Das ist recht. (Sieht wieder auf seine Uhr.) Na, jetzt muß ich aber gehen, da ist nichts zu machen. Haben Sie vielleicht denselben Weg, Herr Marchbanks?

(Marchbanks.) Nach welcher Richtung gehen Sie?

(Burgess.) Station Viktoriapark. Um zwölf Uhr fünfundzwanzig geht ein
Zug nach der City.

(Morell.) Unsinn, Eugen, Sie frühstücken doch hoffentlich mit uns!

(Marchbanks sich ängstlich entschuldigend:) Nein, ich—ich—

(Burgess.) Nun, ich will Ihnen nicht zureden. Ich wette, daß Sie es vorziehen, mit Candy zu frühstücken. Ich hoffe aber, dafür werden Sie eines Abends im Bürgerklub in Norton Folgate mit mir dinieren,—bitte, sagen Sie zu!

(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, Herr Burgess. Wo ist Norton
Folgate?—Unten in Surrey, nicht wahr?

(Burgess, unaussprechlich belustigt, fängt zu lachen an.)

(Candida zu Hilfe kommend:) Du wirst deinen Zug versäumen, Papa, wenn du nicht sofort gehst; komm am Nachmittag wieder und erkläre Herrn Marchbanks dann, wie man nach dem Klub gelangt.

(Burgess mit schallendem Gelächter:) In Surrey, ha ha, das ist nicht schlecht! Nun, ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der nicht Norton Folgate gekannt hätte.

(Betroffen über den Lärm seiner eigenen Stimme:) Leben Sie wohl, Herr Marchbanks; ich weiß, Sie sind zu vornehm, um meinen Scherz schlecht aufzufassen. (Er reicht ihm abermals die Hand.)

(Marchbanks erfaßt sie mit nervösem Griff.) O bitte, bitte!

(Burgess.) Adieu, adieu, Candy. Ich werde später wiederkommen—auf
Wiedersehen, Jakob.

(Morell.) Müssen Sie wirklich gehen?

(Burgess.) Laßt euch nicht stören. (Er gebt mit unverminderter
Herzlichkeit hinaus.)

(Morelt.) Ich werde Sie hinausbegleiten. (Er folgt ihm, Eugen starrt ihnen ängstlich nach und hält seinen Atem an, bis Burgess verschwunden ist.)

(Candida lachend:) Nun, Eugen? (Er wendet sich mit einem Ruck um und kommt heftig auf sie zu, hält aber unschlüssig inne, als er ihren belustigten Blick bemerkt.) Wie gefällt Ihnen mein Vater?

(Marchbanks.) Ich—ich kenne ihn doch kaum,—er scheint ein sehr lieber alter Herr zu sein.

(Candida mit leiser Ironie:) Und Sie werden seine Einladung in den
Bürgerklub annehmen, nicht wahr?

(Marchbanks unglücklich, es für Ernst nehmend:) Gerne, wenn Sie es wünschen.

(Candida gerührt:) Wissen Sie, daß Sie ein sehr lieber Junge sind, Eugen, trotz all Ihrer Sonderlichkeiten. Wenn Sie meinen Vater ausgelacht hätten, so wäre nichts dabei gewesen, aber es gefällt mir um so besser von Ihnen, daß Sie nett zu ihm waren.

(Marchbanks.) Hätte ich lachen sollen? Mir war, als ob er etwas scherzhaftes sagte, aber ich fühle mich Fremden gegenüber so bedrückt, und ich kann Witze nie verstehen. Es tut mir sehr leid. (Er setzt sich auf das Sofa, die Ellbogen auf den Knien und die Schläfen zwischen den Fäusten, mit dem Ausdruck hoffnungslosen Leidens.)

(Candida heitert ihn gutmütig auf:) Oh, Sie großes Kind,—Sie sind heute noch ärger als sonst. Warum waren Sie auf der Fahrt in der Droschke so melancholisch?

(Marchbanks.) Oh, das war nichts. Ich dachte darüber nach, wieviel ich dem Kutscher geben sollte. Ich weiß, es ist äußerst dumm, aber Sie wissen nicht, wie schrecklich mir solche Dinge sind,—wie ich mich davor scheue, mit fremden Leuten zu unterhandeln. (Frisch und beruhigend:) Aber jetzt ist alles gut. Er lachte mit dem ganzen Gesicht und berührte seinen Hut, als Ihr Mann ihm zwei Schilling gab; ich war im Begriff, ihm zehn zu bieten. (Candida lacht herzlich, Morell kommt mit einigen Briefen und Zeitungen zurück, die mit der Mittagspost gekommen sind.)

(Candida.) Oh, lieber Jakob, denke nur, er wollte dem Kutscher zehn Schilling geben,—zehn Schilling für eine Fahrt von drei Minuten, was sagst du?

(Morell vor dem Tisch die Briefe überfliegend:) Machen Sie sich nichts daraus, Marchbanks. Der Trieb, zuviel zu bezahlen, ist ein Beweis von Großmut und viel besser als der entgegengesetzte, und nicht so gewöhnlich.

(Marchbanks wieder in Niedergeschlagenheit verfallend:) Nein, Feigheit,
Untauglichkeit ist das. Frau Morell hat ganz recht.

(Candida.) Gewiß hat sie recht. (Sie nimmt ihre Handtasche auf.) Und nun muß ich Sie Jakob überlassen. Ich nehme an, Sie sind zu sehr Poet, um sich den Zustand vorstellen zu können, in dem eine Frau ihr Haus wiederfindet, wenn sie drei Wochen fortgewesen ist. Geben Sie mir meine Decke. (Eugen nimmt die eingeschnallte Decke vom Sofa und gibt sie ihr; sie nimmt sie in die linke Hand, da sie ihre Tasche in der rechten hält.) Nun, bitte, hängen Sie mir den Mantel über den Arm. (Er gehorcht.) Nun meinen Hut. (Er gibt ihn ihr in die Hand, die das Gepäck hält.) Nun öffnen sie mir die Tür.—(Er läuft ihr voraus und öffnet die Tür.) Danke. (Sie geht hinaus, und Marchbanks schließt sie hinter ihr wieder.)

(Morell noch am Tisch beschäftigt:) Sie bleiben selbstverständlich zum
Frühstück bei uns, Marchbanks.

(Marchbanks erschreckt:) Ach, ich darf nicht. (Er sieht rasch nach Morell hin, weicht aber plötzlich seinem vollen Blick aus und fügt mit sichtlicher Unaufrichtigkeit hinzu:) Ich meine, ich kann nicht.

(Morell.) Sie meinen, Sie wollen nicht.

(Marchbanks ernst:) Nein, ich möchte wirklich gerne, ich danke Ihnen sehr, aber—aber—

(Morell leichthin, beendigt seinen Brief und tritt dicht an Eugen heran:) Aber—aber—aber—aber! Unsinn! Wenn Sie bleiben wollen, dann bleiben Sie,—Sie werden mich doch nicht überzeugen wollen, daß Sie irgend etwas anderes zu tun haben? Wenn Sie schüchtern sind, machen Sie einen Spaziergang durch den Park und schreiben bis halb zwei Uhr Gedichte, und dann kommen Sie wieder und essen tüchtig.

(Marchbanks.) Ich danke Ihnen. Ich würde das sehr gern tun, aber ich darf wirklich nicht. Die Wahrheit ist, daß mir Frau Morell gesagt hat, daß ich's lieber nicht tun sollte. Sie sagte, sie glaube nicht, daß Sie mich zum Frühstück einladen würden, aber wenn Sie es täten, dann wünschten Sie es doch nicht ernstlich. (Schmerzlich:) Sie sagte, ich würde das schon verstehen, aber ich verstehe es nicht.—Bitte, sagen Sie ihr nichts davon, daß ich es Ihnen wiedererzählt habe.

(Morell belustigt:) Oh, ist das alles? Was halten Sie von meinem
Vorschlag, in den Park zu gehen und diese Frage damit zu erledigen?

(Marchbanks.) Wie?

(Morell in guter Laune herausplatzend:) Na, Sie Dummkopf. (Aber dies geräuschvolle Wesen verletzt sowohl ihn selbst als auch Eugen. Er hält inne und fährt mit liebevollem Ernst fort:) Nein, Scherz beiseite, mein lieber Junge! in einer glücklichen Ehe wie die unsere ist die Rückkehr der Frau in ihr Haus etwas sehr Heiliges. (Marchbanks sieht ihn rasch an, und errät beinahe im voraus, was er sagen will.) Aber ein lieber Freund, eine wirklich vornehme, sympathische Seele ist bei einer solchen Gelegenheit nicht im Wege,—der erstbeste Besucher wäre es allerdings. (Der gehetzte, erschreckte Ausdruck kommt plötzlich und lebhaft in Eugens Gesicht, sowie er begreift. Morell, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, fährt, ohne es zu bemerken, fort:) Candida dachte, ich würde Sie vielleicht lieber nicht hier haben, aber sie hatte unrecht. Ich habe Sie sehr lieb, Eugen; und ich möchte es auch Ihretwegen, daß Sie sehen, wie schön es ist, so glücklich verheiratet zu sein wie ich.

(Marchbanks.) Glücklich? Ihre Ehe? Das meinen Sie, das glauben Sie wirklich?

(Morell heiter:) Ich weiß es, mein Junge. Laroche-foucauld behauptet zwar, daß es höchstens passende, aber keine glücklichen Ehen gäbe. Sie können sich nicht vorstellen, wie wohl es tut, einen so abgefeimten Lügner und verderbten Zyniker zu durchschauen! Ha, ha! Nun aber fort in den Park und schreiben Sie Ihr Gedicht! und vergessen Sie nicht: Punkt halb zwei Uhr! Wir warten niemals mit dem Essen auf jemand.

(Marchbanks wild:) Nein, halten Sie ein, Sie sollen es auch nicht!
Ich will alles ans Licht bringen.

(Morell verwundert:) Wie? Was wollen Sie ans Licht bringen?

(Marchbanks.) Ich muß mit Ihnen sprechen. Es gibt etwas, das zwischen uns erledigt werden muß.

(Morell mit einem belustigten Blick nach der Uhr:) Jetzt?

(Marchbanks leidenschaftlich:) Jawohl, jetzt. Ehe Sie dieses Zimmer verlassen. (Er weicht ein paar Schritte zurück und steht so, als ob er Morell den Weg zur Tür versperren wollte.)

(Morell ernst, ohne sich zu rühren, da er begreift, daß es sich um etwas Ernstes handelt:) Ich will es gar nicht verlassen. Ich dachte, Sie wollten gehen.—(Eugen ist von seinem sicheren Ton verwirrt und wendet ihm, sich krümmend vor Verdruß, den Rücken zu. Morell geht zu ihm hin und legt die Hände auf seine Schultern, fest und gütig, ohne Marchbanks Versuche, ihn abzuschütteln, zu beachten.) Na—setzen Sie sich ruhig und erzählen Sie mir, was los ist. Und bedenken Sie eines: wir sind Freunde und brauchen nicht zu fürchten, daß einer von uns anders als geduldig und gütig zu dem andern sein werde, was wir einander auch mögen zu sagen haben.

(Marchbanks windet sich hin und her:) Oh, ich werde mich nicht vergessen, ich bin nur (bedeckt sein Gesicht verzweifelt mit den Händen:) außer mir vor Entsetzen! (Dann läßt er die Hände fallen, und sich mutig vorwärts gegen Morell wendend, fährt er drohend fort:) Sie werden ja sehen, ob Geduld und Güte da am Platz sind. (Morell, unerschütterlich wie ein Felsen, sieht ihn nachsichtig an.) Betrachten Sie mich nicht so selbstgefällig! Sie halten sich zwar für stärker als mich, aber ich werde Sie aufrütteln, wenn Sie ein Herz im Leibe haben.

(Morell mit mächtigem Vertrauen:) Mich aufrütteln, mein Junge? Nur zu!
Nur zu! Heraus damit!

(Marchbanks.) Zuerst—

(Morell.) Zuerst?

(Marchbanks.) Ich liebe Ihre Frau! (Morell fährt zurück, und nachdem er Eugen einen Augenblick äußerst erstaunt angestarrt hat, bricht er in heftiges Lachen aus. Eugen wird stutzig, verliert aber seine Fassung nicht und steht empört und verachtungsvoll da.)

(Morell setzt sich, um sich auszulachen:) Aber, mein liebes Kind, natürlich lieben Sie Candida. Jeder liebt sie, man kann nicht anders; das freut mich nur, aber (er sieht seltsam zu ihm auf:) halten Sie Ihren Fall für etwas, über das man auch nur zu sprechen braucht? Sie sind unter zwanzig und Candida ist über dreißig,—sieht das nicht einer Dummenjungenliebe ähnlich?

(Marchbanks heftig:) Sie wagen, so von ihr zu sprechen! Sie glauben, daß Ihre Frau diese Art Liebe einflößen kann!—Das ist eine Beleidigung gegen sie!

(Morell erhebt sich rasch und verändert den Ton:) Gegen sie? Nehmen Sie sich in acht, Eugen. Ich war geduldig. Ich hoffe, geduldig zu bleiben. Aber es gibt Dinge, die ich mir verbitten muß. Zwingen Sie mich nicht, Ihnen die Nachsicht zu zeigen, die ich einem Kinde gegenüber haben würde. Seien Sie ein Mann.

(Marchbanks mit einer Bewegung, als würfe er etwas hinter sich:) Oh, lassen Sie dieses Geschwätz beiseite. Ich bin entsetzt, wenn ich denke, wieviel die Arme davon hat anhören müssen in den langen Jahren, in denen Sie Candida selbstsüchtig und blind Ihrem Dünkel geopfert haben! (Sich nach ihm umwendend:) Sie, der Sie nicht einen Gedanken, nicht ein Gefühl mit ihr gemeinsam haben.

(Morell mit philosophischer Ruhe:) Ihr scheint das alles aber recht gut zu bekommen. (Ihm gerade ins Gesicht blickend:) Eugen, Sie machen sich zum Narren—zu einem sehr großen Narren. Es ist zu Ihrem eigenen Besten, wenn man Ihnen das offen und ehrlich sagt.

(Marchbanks.) Oh, glauben Sie, ich wüßte das alles nicht? Glauben Sie, daß die Dinge, über die Leute zu Narren werden, weniger wirklich und wahr sind, als die, bei denen sie vernünftig bleiben? (Morells Blick wird zum ersten Male unsicher, er wendet instinktiv sein Gesicht ab und steht horchend, bestürzt und nachdenklich da.) Diese Dinge sind noch viel wahrer, sie sind überhaupt die einzigen Dinge, die wahr sind. Sie sind sehr ruhig und maßvoll und rücksichtsvoll gegen mich, weil Sie sehen können, daß ich, was Ihre Frau betrifft, ein Narr bin. So wie der alte Mann, der eben hier war, zweifellos sehr weise über Ihren Sozialismus denkt, weil er sieht, daß Sie sich dabei zum Narren machen. (Morell wird sichtlich immer bestürzter, und Eugen nützt seinen Vorteil aus, ihn heftig mit Fragen bedrängend:) Beweist dies, daß Sie unrecht haben? Beweist Ihre sichere Überlegenheit mir gegenüber, daß ich unrecht habe?

(Morell sich zu Eugen wendend, der seinen Platz behauptet:) Marchbanks, irgendein Teufel hat Ihnen diese Worte in den Mund gelegt. Es ist leicht, fürchterlich leicht, in einem Menschen den Glauben an sich selbst zu erschüttern. Dies auszunützen, um eines Menschen Seele zu verwirren, ist Teufelswerk. Hüten Sie sich davor!

(Marchbanks unbarmherzig:) Das weiß ich! Es geschieht absichtlich. Ich sagte Ihnen ja, ich würde Sie aufrütteln. (Sie sehen einander einen Augenblick drohend in die Augen, dann findet Morell seine Würde wieder.)

(Morell mit edler Güte:) Eugen, hören Sie mich an. Ich hoffe und baue darauf, daß Sie eines Tages ein glücklicher Mensch sein werden, wie ich. (Eugen gibt durch eine zornige, ungeduldige Gebärde zu verstehen, daß er an den Wert dieses Glückes nicht glaubt. Morell, tief beleidigt, beherrscht sich mit aller Nachsicht und fährt mit großer künstlerischer Beredsamkeit fort:) Sie werden verheiratet sein und mit aller Macht und Ihrem besten Können daran arbeiten, jeden Erdenfleck, den Sie betreten, so glücklich zu machen, wie Ihr eigenes Heim es sein wird. Sie werden einer von denen sein, die das Himmelreich auf Erden bereiten wollen, und—wer weiß?—Sie mögen ein Pionier oder ein Baumeister werden, wo ich nur ein demütiger Arbeiter bin. Sie dürfen nicht glauben, Eugen, daß ich in Ihnen, so jung Sie auch sind, nicht jene Keime sehe, die Größeres versprechen, als ich jemals von mir erwarten darf. Ich weiß ganz gut, daß der Geist, der in einem Dichter wohnt, heilig—daß er geradezu göttlich ist. Sie sollten bei dem Gedanken daran zittern, bei dem Gedanken, daß die schwere Verpflichtung und die großen Gaben eines Dichters vielleicht einst auf Ihren Schultern ruhen werden.

(Marchbanks unberührt und reuelos; die knabenhafte Knappheit seiner Worte sticht scharf gegen Morells Beredsamkeit ab:) Nicht davor zittere ich! Der Mangel dieser Gaben bei anderen, der macht mich zittern.

(Morell verdoppelt die Kraft seiner Rede unter dem Einfluß seines echten Gefühls und der Verstocktheit Eugens:) Dann tragen Sie dazu bei, jene Gaben in andere und in mich zu pflanzen—und nicht, sie auszurotten. Später einmal, wenn Sie so glücklich sein werden, wie ich es bin, dann will ich Ihr treuer Glaubensbruder werden. Ich will Sie zu dem Glauben führen, daß Gott uns eine Welt geschenkt hat, die nur unserer eigenen Unvernunft wegen kein Paradies ist, und daß jeder Federstrich Ihrer Arbeit Glück aussät für die große Ernte, die alle—selbst die Geringsten—eines Tages einführen werden. Und endlich will ich Ihnen nicht zum wenigsten zu dem Glauben verhelfen, daß Ihre Frau Sie liebt und in ihrem Heim glücklich ist. Wir brauchen solche Hilfe, Marchbanks, wir haben sie immer sehr nötig. Es gibt so viele Dinge, die in uns Zweifel wecken, wenn wir uns erst einmal haben unsern Glauben trüben lassen. Selbst zu Hause sitzen wir wie in einem Kriegslager, umgeben von einer feindlichen Armee von Zweifeln. Wollen Sie den Verräter spielen und sie zu mir einlassen?

(Marchbanks sich umblickend:) Ist es für sie hier immer so gewesen? Daß eine Frau mit einer großen Seele, die nach Wahrheit, Wirklichkeit und Freiheit dürstet, bloß mit Metaphern, Predigten und abgedroschenen Redensarten abgespeist wird? Glauben Sie, daß die Seele einer Frau von Ihrem Predigertalent leben kann?

(Morell tief verwundet:) Marchbanks, Sie machen es mir schwer, mich zu beherrschen. Mein Talent gleicht dem Ihren, sofern es überhaupt einen echten Wert besitzt: es ist die Gabe, göttliche Wahrheit in Worte zu kleiden.

(Marchbanks ungestüm:) Es ist die Gabe des Mundwerks, nicht mehr und nicht weniger. Was hat Ihre Fertigkeit, schöne Reden zu halten, mit der Wahrheit zu schaffen?—so wenig, wie das Orgelspiel mit ihr zu schaffen hat. Ich war niemals in Ihrer Kirche, aber ich war in Ihren politischen Versammlungen und habe Sie dort das tun sehen, was man die Menge zum Enthusiasmus hinreißen nennt. Das heißt: die Leute regten sich auf und benahmen sich, als ob sie betrunken wären. Ihre Frauen sahen zu und merkten, was für Narren sie zu Männern hatten. Oh, das ist eine alte Geschichte, Sie können sie schon in der Bibel finden. —Mir scheint, König David in seinem Enthusiasmus war Ihnen sehr ähnlich. (Ihm die Worte in die Seele hohrend:) "Aber sein Weib verachtete ihn in ihrem Herzen!"

(Morell wütend:) Verlassen Sie mein Haus! Hören Sie? (Er gebt drohend auf ihn los.)

(Marchbanks gegen das Sofa zurückweichend:) Lassen Sie mich in Frieden, rühren Sie mich nicht an!

(Morell faßt ihn kräftig am Aufschlag seines Rockes; er duckt sich auf das Sofa nieder.)

(Marchbanks schreit leidenschaftlich:) Halten Sie ein; wenn Sie mich schlagen, so töte ich mich, ich würde es nicht ertragen! (Beinahe hysterisch:) Lassen Sie mich los: nehmen Sie Ihre Hand fort!

(Morell langsam, mit nachdrücklicher Geringschätzung:) Sie kleiner, winselnder, feiger Hund! (Er läßt ihn los:) Gehen Sie, sonst fallen Sie aus Angst in Ohnmacht.

(Marchbanks auf dem Sofa nach Luft schnappend, aber befreit durch das Zurückziehen von Morells Hand:) Ich fürchte mich nicht vor Ihnen, Sie fürchten sich vor mir!

(Modell ruhig, über ihn gebeugt:) Es sieht mir ganz danach aus!

(Marchbanks mit dreister Heftigkeit:) Ja; es sieht so aus. (Morell wendet sich verachtungsvoll ab, Eugen steht hastig auf und folgt ihm.) Weil ich vor einer brutalen Behandlung zurückschrecke, weil (mit Tränen in der Stimmt:) ich nichts anderes tun kann, als heulen vor Wut, wenn mir Gewalt angetan wird—weil ich keinen schweren Koffer vom Kutscherbock herabheben kann wie Sie—weil ich mit Ihnen nicht um Ihre Frau raufen kann wie ein Arbeiter—deshalb glauben Sie, ich hätte Angst vor Ihnen! Aber Sie irren. Besitze ich auch nicht Ihren berühmten britischen Mut, so besitze ich doch auch nicht die britische Feigheit. Ich fürchte mich vor den Ansichten eines Pastors nicht. Ich will kämpfen gegen Ihre Ansichten. Ich will Candida von der Sklaverei dieser Ansichten befreien, ich will meine eigenen Ansichten den Ihren entgegenstellen. Sie jagen mich aus dem Hause, weil Sie es nicht wagen, Candida zwischen meinen und Ihren Ansichten wählen zu lassen! Sie fürchten sich vor einem Wiedersehen zwischen Ihrer Frau und mir. (Morell wendet sich plötzlich zornig zu ihm; er flüchtet nach der Tür in unfreiwilliger Angst:) Lassen Sie mich in Ruhe. Ich gehe.

(Morell mit kalter Verachtung:) Warten Sie einen Augenblick: ich werde Sie nicht berühren, fürchten Sie sich nicht. Wenn meine Frau zurückkommt, dürfte sie wissen wollen, warum Sie fortgegangen sind; und wenn sie erfährt, daß Sie unsere Schwelle nie wieder überschreiten werden, dann wird sie darüber Aufklärung verlangen. Nun möchte ich sie nicht betrüben und ihr sagen, daß Sie sich wie ein Schuft benommen haben.

(Marchbanks kehrt mit erneuter Heftigkeit um:) Sie sollen es—Sie müssen! Wenn Sie irgendeine andere Aufklärung als die wahre geben, so sind Sie ein Lügner und ein Feigling. Sagen Sie ihr, was ich gesagt habe, und wie Sie stark und männlich waren und mich zerzaust haben wie ein Hund eine Ratte, und wie ich zurückwich und entsetzt war, und wie Sie mich einen winselnden kleinen Hund nannten und mich aus dem Hause jagten! Wenn Sie ihr das alles nicht sagen werden, so werde ich es tun! Ich werd' es ihr schreiben.

(Morell verblüfft:) Warum wollen Sie, daß sie das alles erfahren soll?

(Marchbanks mit lyrischer Begeisterung:) Weil sie mich dann verstehen und wissen wird, daß ich sie verstehe. Wenn Sie nur ein Wort von alledem vor ihr verheimlichen—wenn Sie nicht bereit sind, ihr die reine Wahrheit zu Füßen zu legen—wie ich—dann werden Sie bis an das Ende Ihrer Tage wissen, daß sie in Wirklichkeit mir gehört und nicht Ihnen. Leben Sie wohl. (Er wendet sich zum Geben.)

(Morell in furchtbarer Unrube:) Halt! ich werde ihr das alles nicht erzählen.

(Marchbanks wieder nach der Tür, wendet sich um:) Sie müssen ihr entweder die Wahrheit sagen, wenn ich gehe, oder eine Lüge.

(Morell zögernd:) Marchbanks, es ist manchmal entschuldbar—

(Marchbanks ihn unterbrechend:) Zu lügen—ich weiß! Diesmal wïrd es aber vergeblich sein! Leben Sie wohl, Herr Pfarrer! (Wie er sich endlich zur Tür wendet, geht diese auf und Candida tritt in ibrem Hauskleid ein.)

(Candida.) Sie verlassen uns, Eugen? (Sieht ihn genauer an:) Aber, Sie werden doch nicht in diesem Zustand auf die Straße gehen. Sie sind ein Dichter, sicherlich! Sieh' ihn nur an, Jakob! (Sie faßt Eugen am Rock und zieht ihn nach vorne, ihn Morell zeigend.) Sieh diesen Kragen an und diese Krawatte und dieses Haar. (Zu Eugen:) Man möchte glauben, daß jemand Sie hat erdrosseln wollen! (Die beiden büten sich, ihr schlechtes Gewissen zu verraten.) Da,—halten Sie still. (Sie knöpft ihm seinen Kragen, bindet sein Halstuch zu einer Schleife und ordnet sein Haar.) So, so! Nun sehen Sie so nett aus, daß ich es doch für besser hielte, Sie frühstückten mit uns, obwohl Sie es eigentlich nicht sollten, wie ich Ihnen schon gesagt habe. In einer halben Stunde wird das Essen bereit sein. (Sie glättet sein Halstuch noch mit einer letzten Berübrung; er küßt ihr die Hand.) Nicht dumm sein.

(Marchbanks.) Ich möchte schon bleiben, gewiß—falls Ihr verehrter
Herr Gemahl, der Herr Pastor, nichts dagegen einzuwenden hat.

(Candida.) Soll er bleiben, Jakob, wenn er verspricht, ein braver Junge zu sein und mir beim Tischdecken zu helfen? (Marchbanks wendet den Kopf und sieht Morell über die Schulter fest an, seine Antwort herausfordernd.)

(Morell kurz angebunden:) O ja, gewiß; es wäre mir lieb. (Er geht an den Tisch und tut, als ob er mit den Papieren beschäftigt wäre.)

(Marchbanks bietet Candida den Arm:) Decken wir den Tisch. (Sie nimmt seinen Arm, dann wenden sie sich zusammen nach der Tür, im Hinausgehen.) Nun bin ich der glücklichste Mensch von der Welt!

(Morell.) Das war ich auch—vor einer Stunde.

(Vorhang)

ZWEITER AKT

(An demselben Tage, dasselbe Zimmer spät nachmittags. Der Stuhl für Morells Besucher steht wieder an dem Tisch, der womöglich noch unordentlicher aussiebt als vorhin. Marchbanks, allein und müßig, versucht herauszukriegen, wie die Schreibmaschine arbeitet. Er hört jemanden kommen und stiehlt sich schuldbewußt fort an das Fenster und tut so, als ob er in die Aussiebt versunken wäre. Proserpina Garnett tritt mit ihrem Notizblock ein, der das Stenogramm von Morells Briefen enthält. Sie setzt sich an die Schreibmaschine und will mit der Abschrift beginnen. Sie ist viel zu sehr beschäftigt, um Eugen zu bemerken. Unglücklicherweise versagt die erste Taste, auf die sie schlägt.)

(Proserpina.) Himmel! Sie haben sich mit der Maschine zu schaffen gemacht, Herr Marchbanks, und es hilft Ihnen nichts, wenn Sie auch noch so ein unschuldiges Gesicht aufsetzen.

(Marchbanks schüchtern:) Es tut mir sehr leid, Fräulein Garnett. Ich wollte nur zu schreiben versuchen.

(Proserpina.) Und dabei haben Sie diese Taste verdorben.

(Marchbanks ernst:) Ich versichere Ihnen, daß ich die Tasten nicht berührt habe. Wahrhaftig nicht. Ich habe nur ein kleines Rad gedreht. (Er zeigt unschlüssig auf die Kurbel.)

(Proserpina.) Oh, nun verstehe ich. (Sie bringt die Maschine in Ordnung und schwatzt dabei ununterbrochen:) Mir scheint, Sie dachten, es wäre eine Art Drehorgel. Man braucht nur die Kurbel da zu drehen, und die Maschine schreibt einem den schönsten Liebesbrief glatt aufs Papier, he?

(Marchbanks ernst:) Ich kann mir vorstellen, daß eine Maschine erfunden werden könnte, die Liebesbriefe schreibt.—Es sind ja immer dieselben, nicht wahr?

(Proserpina etwas aufgebracht, da jede derartige Unterhaltung—außer scherzweise einmal—ihren Umgangsformen fernliegt:) Woher soll ich das wissen? Warum fragen Sie mich?

(Marchbanks.) Entschuldigen Sie. Ich dachte, daß gescheite
Leute—Leute, die Geschäfte besorgen, Briefe schreiben und ähnliche
Dinge verrichten können—auch immer Liebesangelegenheiten haben.

(Proserpina erbebt sich beleidigt:) Herr Marchbanks! (Sie siebt ihn strenge an und gebt sehr würdevoll zum Bücherschrank.)

(Marchbanks nähert sich ihr demütig:) Ich hoffe, daß ich Sie nicht beleidigt habe. Ich hätte vielleicht auf Ihre Liebesangelegenheiten nicht anspielen sollen.

(Proserpina nimmt ein blaues Buch aus einem Fach und wendet sich scharf nach ihm um:) Ich habe keine Liebesangelegenheiten! Wie können Sie es wagen, mir so etwas zu sagen?

(Marchbanks naiv:) Wirklich? Oh, dann sind Sie auch schüchtern, wie ich, nicht wahr?

(Proserpina.) Ich bin gewiß nicht schüchtern: was meinen Sie damit?

(Marchbanks geheimnisvoll:) Sie müssen es sein. Das ist der Grund, warum es so wenig echte Liebesgeschichten in der Welt gibt. Wir gehen alle umher und sehnen uns nach Liebe, sie ist die erste Naturnotwendigkeit, das heißeste Gebet unseres Herzens, aber wir wagen es nicht, unsere Wünsche zu äußern, wir sind zu schüchtern. (Sehr ernst:) Oh, Fräulein Garnett, was würden Sie nicht darum geben, ohne Furcht zu sein,—ohne Scham—

(Proserpina empört:) Nein, meiner Treu, das ist stark!

(Marchbanks trotzig und ungeduldig:) Sagen Sie mir nicht solche
Albernheiten. Sie täuschen mich doch nicht. Wozu soll das sein?
Warum scheuen Sie sich, sich mir gegenüber so zu zeigen, wie Sie sind?
Ich bin ja selbst genau so wie Sie.

(Proserpina.) Wie ich? Bitte, ich weiß nicht recht, wollen Sie damit mir oder sich schmeicheln? (Sie wendet sich ab, um zur Schreibmaschine zurückzugeben.)

(Marchbanks tritt ihr geheimnisvoll in den Weg:) Still! Ich bin auf der Suche nach Liebe, und ich finde sie in unermeßlichen Schätzen in den Herzen anderer aufgespeichert. Aber ich wage es nicht, darum zu bitten,—eine fürchterliche Schüchternheit schnürt mir die Kehle zu, und ich stehe da, stumm, ärger als stumm, und rede sinnloses Zeug und stammle törichte Lügen. Und ich sehe die Liebe, nach der ich verschmachte, an Katzen und Hunde und verhätschelte Vögel vergeudet, weil die kommen und darum bitten. (Beinahe flüsternd:) Man muß Liebe verlangen,—sie ist wie ein Geist, sie kann nicht sprechen, bevor nicht zu ihr gesprochen wird. (Mit seiner gewohnten Stimme, aber mit tiefer Melancholie:) Alle Liebe in der Welt ringt nach Worten, aber sie wagt es nicht, zu sprechen, weil sie zu schüchtern ist, zu schüchtern, zu schüchtern! Das ist die Tragik des Lebens! (Mit einem tiefen Seufzer setzt er sieb in den Besuchsstuhl und vergräbt sein Gesicht in den Händen.)

(Proserpina verwundert, aber ohne ihren gesunden Menschenverstand zu verlieren,—ein Ehrenpunkt für sie im Verkehr mit fremden jungen Männern:) Es gibt aber schlechte Menschen, die diese Schüchternheit gelegentlich überwinden, nicht wahr?

(Marchbanks fährt beinahe wütend auf:) Schlechte Menschen! Das heißt Menschen, die ohne Liebe sind, deshalb sind sie auch ohne Scham! Sie haben den Mut, Liebe zu verlangen, weil sie keine brauchen; sie haben den Mut, sie anzubieten, weil sie keine zu geben haben! (Er sinkt in seinen Stuhl und fügt traurig hinzu:) Aber wir, die wir Liebe haben und danach brennen, sie mit anderen auszutauschen, wir können kein Wort über die Lippen bringen. (Schüchtern:) Finden Sie das nicht auch?

(Proserpina.) Nehmen Sie sich in acht. Wenn Sie nicht aufhören, so zu reden, werde ich das Zimmer verlassen, Herr Marchbanks. Ich tue es wirklich! Das gehört sich nicht. (Sie nimmt ihren Sitz vor der Schreibmaschine wieder ein, öffnet das blaue Buch und macht sich bereit, daraus etwas zu kopieren.)

(Marchbanks hilflos:) Nichts gehört sich, was wert ist, daß man darüber spricht! (Er erhebt sich und wandert verloren im Zimmer umher: ) Ich kann Sie nicht begreifen, Fräulein Garnett. Worüber soll ich denn sprechen?

(Proserpina fertigt ihn kurz ab:) Sprechen Sie über gleichgültige
Dinge. Sprechen Sie über das Wetter.

(Marchbanks.) Würden Sie es ertragen, über gleichgültige Dinge zu sprechen, wenn ein Kind neben Ihnen stünde, das vor Hunger bitterlich weinte?

(Proserpina.) Vermutlich nicht.

(Marchbanks.) Nun, ich kann auch nicht über gleichgültige Dinge sprechen, während mein Herz in seinem Hunger bitterlich weint.

(Proserpina.) Dann—schweigen Sie.

(Marchbanks.) Jawohl, darauf läuft's immer hinaus, wir schweigen.
Unterdrückt das den Schrei Ihres Herzens—denn es schreit, nicht wahr?
Es muß, wenn Sie überhaupt ein Herz haben.

(Proserpina erhebt sich plötzlich und preßt ihre Hand aufs Herz.) Oh, es ist vergeblich, arbeiten zu wollen, während Sie so reden. (Sie verläßt ihren kleinen Tisch und setzt sich auf das Sofa. Ihre Gefühle sind heftig aufgewühlt.) Es kümmert Sie gar nichts, ob mein Herz schreit oder nicht, aber es ist mir so, als müßte ich nun doch über all das zu Ihnen sprechen.

(Marchbanks.) Das brauchen Sie nicht; ich weiß doch, daß es so ist.

(Proserpina.) Merken Sie sich: wenn Sie jemals behaupten sollten, daß ich derlei gesagt habe, dann werde ich es leugnen.

(Marchbanks mitleidig:) Ja, das weiß ich. Deshalb finden Sie auch nicht den Mut, es ihm zu sagen.

(Proserpina aufspringend:) Ihm?! Wem?!

(Marchbanks.) Wem es auch sei. Dem Manne, den Sie lieben. Irgend jemandem. Dem Unterpfarrer Herrn Mill vielleicht.

(Proserpina verachtungsvoll:) Herrn Mill? Wahrhaftig, das ist der rechte Mann, mir das Herz zu brechen. Da wären Sie mir noch lieber.

(Marchbanks zurückweichend:) Nein, wirklich! Es tut mit leid, aber daran dürfen Sie nicht denken. Ich—

(Proserpina scharf, geht ans Feuer und bleibt davor stehen, ihm den Rücken zuwendend:) Oh, fürchten Sie nichts, Sie sind es nicht. Es ist gar keine bestimmte Person.

(Marchbanks.) Ich verstehe. Sie fühlen, daß Sie jeden Mann lieben könnten, der Ihnen sein Herz anböte—

(Proserpina außer sich:) Nein, das könnte ich nicht! Jeden, der mir sein Herz anböte! Für was halten Sie mich?

(Marchbanks entmutigt:) Es ist vergebens, Sie wollen mir keine wirklichen Antworten geben, nur diese leeren Worte, die jedermann sagt. (Er geht nach dem Sofa und setzt sich trostlos nieder.)

(Proserpina die es wurmt, in den Augen eines Aristokraten manierlos zu erscheinen:) Wenn Sie originelle Unterhaltung wünschen, dann ist es besser, Sie sprechen mit sich selbst.

(Marchbanks.) Das tun alle Dichter; sie sprechen laut mit sich selbst; und die Welt überhört sie. Aber es ist furchtbar einsam, nicht manchmal auch jemand anders sprechen zu hören.

(Proserpina.) Warten Sie, bis Herr Morell kommt. Der wird schon mit Ihnen reden. (Marchbanks schaudert.) Oh, Sie brauchen die Nase nicht zu rümpfen, er kann besser sprechen als Sie. (Lebhaft:) Er wird Ihnen den kleinen Kopf schon zurechtsetzen. (Sie ist im Begriff ärgerlich an ihren Platz zurückzugeben, als er, plötzlich erleuchtet, aufspringt und sie anhält.)

(Marchbanks.) Ah, jetzt begreife ich!

(Proserpina errötend:) Was begreifen Sie?

(Marchbanks.) Ihr Geheimnis! Sagen Sie mir, ist es wirklich und wahrhaftig möglich, daß eine Frau ihn liebt?

(Proserpina als ob dies ihr über den Spaß ginge:) Genug!

(Marchbanks leidenschaftlich:) Nein, antworten Sie mir! Ich will es wissen, ich muß es wissen, ich kann es nicht begreifen. Ich kann an ihm nichts finden als Worte, fromme Vorsätze, was die Leute Güte nennen! Sie können ihn deswegen doch nicht lieben!

(Proserpina versucht, ihn durch ihr kühles Wesen stutzig zu machen:) Ich weiß ganz einfach nicht, wovon Sie sprechen—ich verstehe Sie nicht.

(Marchbanks heftig:) Sie verstehen mich ganz gut. Sie lügen!

(Proserpina.) Oh!

(Marchbanks.) Sie verstehen, und Sie wissen. (Entschlossen, eine
Antwort zu bekommen:) Ist es möglich, daß eine Frau ihn lieben kann?
Ja oder nein!

(Proserpina ihm gerade ins Gesicht blickend:) Ja! (Er bedeckt sein Gesicht mit den Händen.) Was in aller Welt fehlt Ihnen denn? (Er nimmt die Hände herab und sieht sie an. Erschreckt über das traurige Gesicht, das sich ihr darbietet, eilt sie so weit wie möglich von ihm fort, behält aber ihre Augen auf ihn gerichtet, bis er sich von ihr abwendet und nach dem Kinderstuhl am Kamin geht, wo er sich in tiefster Trostlosigkeit niederläßt. Proserpina eilt zur Tür, die Tür geht auf und Burgess tritt ein. Als sie ihn erblickt, ruft sie aus:) Gott sei Dank, es kommt jemand! (Setzt sich wieder beruhigt an ihren Tisch. Sie legt einen neuen Bogen in die Maschine, während Burgess zu Eugen hinübergebt.)

(Burgess beflissen, sich um den vornehmen Besucher zu kümmern:) Na, gehört sich das, wie man Sie hier sich selbst überläßt, Herr Marchbanks? Ich bin gekommen, Ihnen Gesellschaft zu leisten. (Marchbanks siebt zu ihm mit einer Bestürzung auf, die Burgess aber gar nicht merkt.) Jakob empfängt eine Deputation im Speisezimmer, und Candy ist oben und unterrichtet eine junge Näherin, für die sie sich interessiert. Sie sitzt bei ihr und lehrt sie lesen, in einem frommen Buche: die himmlischen Zwillinge. (Teilnahmsvoll:) Sie müssen es hier recht langweilig finden, so ohne einen Menschen, mit dem Sie reden können, außer der Schreiberin.

(Proserpina äußerst erbittert:) Er wird sich jetzt ganz wohl fühlen, da er das Glück hat, Ihre gebildete Unterhaltung zu genießen,—das ist schon ein Trost. (Sie beginnt mit heftigem Geräusch zu schreiben.)

(Burgess erstaunt über ihre Kühnheit:) Mit Ihnen hab' ich nicht gesprochen, soviel ich weiß, Sie junges Ding!

(Proserpina scharf zu Marchbanks:) Haben Sie jemals solche Manieren gesehen, Herr Marchbanks?

(Burgess mit wichtigtuendem Ernst:) Herr Marchbanks ist ein Edelmann, der seine Stellung kennt; das ist mehr, als manche Leute von sich sagen können.

(Proserpina zornig:) Glücklicherweise gehören Sie und ich nicht zu den "Damen" und "Herren"; ich würde Ihnen schon meine Meinung sagen, wenn Herr Marchbanks nicht zugegen wäre. (Sie zieht den Brief so heftig aus der Maschine heraus, daß er zerreißt.) So! nun habe ich den Brief verdorben, jetzt kann ich noch mal von vorne anfangen. Oh, ich kann mich nicht beherrschen.—Sie dummer alter Schafskopf, Sie!

(Burgess erhebt sich, atemlos vor Entrüstung:) Was, ein dummer alter
Schafskopf bin ich?! Das ist stark! (Außer Atem:) Gut, gut! Warten
Sie nur, das werde ich Ihrem Prinzipal sagen—ich will Sie lehren—Sie
sollen es sehen!

(Proserpina.) Ich—

(Burgess sie unterbrechend:) Genug, Ihr Reden nützt Ihnen nun nichts mehr, Sie sollen mich kennen lernen! (Proserpina schiebt ihre Walze mit einem zornigen Stoß herum und setzt verachtungsvoll ihre Arbeit fort.) Nehmen Sie keine Notiz von ihr, Herr Marchbanks, sie ist es nicht wert. (Er setzt sich stolz wieder hin.)

(Marchbanks fürchterlich nervös und verlegen:) Wäre es nicht besser, wir würden von etwas anderem sprechen. Ich—ich glaube nicht, daß Fräulein Garnett es böse gemeint hat.

(Proserpina mit fester Überzeugung:) Ob ich es böse gemeint habe!
Doch!

(Burgess.) Ich will mich nicht so weit erniedrigen, von ihr überhaupt noch Notiz zu nehmen. (Eine elektrische Klingel läutet zweimal.)

(Proserpina rafft Notizhlock und Papier zusammen:) Das gilt mir! (Sie eilt hinaus.)

(Burgess ihr nachrufend:) Oh, wir können Sie entbehren. (Er freut sich über den Triumph, das letzte Wort behalten zu haben, und doch halb und halb geneigt, noch mehr zu sagen, sieht er ihr einen Augenblick lang nach, dann läßt er sich auf seinen Platz neben Eugen nieder und spricht sehr vertraulich zu ihm:) Jetzt, wo wir allein sind, Herr Marchbanks, lassen Sie mich Ihnen einen freundlichen Wink geben, den ich nicht jedermann geben würde. Wie lange kennen Sie meinen Schwiegersohn Jakob schon?

(Marchbanks.) Ich weiß nicht. Ich kann mir Daten niemals merken, —vielleicht einige Monate.

(Burgess.) Haben Sie nie etwas Sonderbares an ihm bemerkt?

(Marchbanks.) Nicht daß ich wüßte.

(Burgess ausdrucksvoll:) Das werden Sie auch schwerlich. Darin liegt eben die Gefahr. Nun—er ist verrückt.

(Marchbanks.) Verrückt?!

(Burgess.) Total verrückt. Beobachten Sie ihn nur, und Sie werden es selbst finden.

(Marchbanks ängstlich:) Aber das scheint Ihnen gewiß nur so, weil seine Ansichten—

(Burgess berührt Eugens Knie mit dem Zeigefinger und drückt es, um seine Aufmerksamkeit zu erregen:) Genau dasselbe habe ich früher gedacht, Heir Marchbanks. Ich glaubte lange genug, es wären nur seine Ansichten, obwohl Ansichten zu sehr ernsten Angelegenheiten werden, sobald Leute danach handeln, wie er; aber danach habe ich nicht geurteilt. (Er siebt umher, um sich zu überzeugen, daß sie allein sind, und neigt sich zu Eugens Ohr.) Was, glauben Sie, hat er heute morgen in diesem Zimmer zu mir gesagt?

(Marchbanks.) Was denn?

(Burgess.) Er sagte mir, daß ich—so wahr, als wir hier sitzen—er sagte ganz ruhig: "Ich bin ein Narr und Sie sind ein Schurke"… Ich ein Schurke—bedenken Sie nur—und dann schüttelte er mir die Hand dazu, als ob seine Meinung schmeichelhaft für mich wäre. Wollen Sie behaupten, daß so ein Mensch nicht verrückt ist?

(Morell von außen "Proserpina" rufend, während er die Tür öffnet:)
Schreiben Sie alle Namen und Adressen auf, Fräulein Garnett.

(Proserpina aus der Entfernung:) Jawohl, Herr Pastor! (Morell tritt ein, mit den Dokumenten der Deputation in der Hand.)

(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Oh, da ist er. Beobachten Sie ihn nur, Sie werden schon sehen. (Erhebt sich mit wichtiger Miene:) Ich bedaure, Jakob, mich bei Ihnen beklagen zu müssen. Ich tue es nicht gerne, aber ich fühle, daß es meine Pflicht und mein Recht ist.

(Morell.) Was ist denn geschehen?

(Burgess.) Herr Marchbanks wird es bestätigen, er war Zeuge. (Sehr feierlich:) Ihre Schreiberin vergaß sich so weit, mich einen dummen alten Schafskopf zu nennen.

(Morell mit größter Herzlichkeit:) Oh, sieht das Prossi nicht ganz ähnlich? Sie ist so aufrichtig, sie kann sich nicht beherrschen. Arme Prossi, ha, ha!

(Burgess zitternd vor Wut:) Und erwarten Sie, daß ich mir das von ihresgleichen ruhig gefallen lasse?

(Morell.) Bah, Unsinn. Nehmen Sie keine Notiz davon, lassen Sie's gut sein. (Er geht an das Schreibpult und legt die Papiere in eines der Schubfächer.)

(Burgess.) Oh, ich mache mir nichts daraus. Ich bin über derlei erhaben. Aber war es recht? Das ist es, was ich zu wissen wünsche! —war es recht?

(Morell.) Das ist eine Frage für die Kirche und nicht für Laien. Wurde Ihnen dadurch irgendein Schaden zugefügt? danach müssen Sie fragen—selbstverständlich "nein". Also denken Sie nicht mehr daran. (Er läßt den Gegenstand fallen, geht nach seinem Platz an den Tisch und beginnt an seiner Korrespondenz zu arbeiten.)

(Burgess beiseite zu Marchbanks:) Was habe ich Ihnen gesagt? Total verrückt! (Er geht an den Tisch und fragt mit der Höflichkeit eines Hungrigen:) Wann wird zu Tisch gegangen, Jakob?

(Morell.) Erst nach einigen Stunden.

(Burgess mit klagender Entsagung:) Dann geben Sie mir, bitte, ein hübsches Buch, am Kamin zu lesen—sein Sie so gut, Jakob.

(Morell.) Was für ein Buch,—ein gutes?

(Burgess beinahe mit einem Aufschrei des Widerwillens:) Nein. Irgend was Lustiges, womit man die Zeit totschlagen kann.

(Morell nimmt eine illustrierte Zeitschrift vom Tisch und bietet sie ihm an, er ergreift sie demütig:) Ich danke Ihnen, Jakob. (Er geht zurück zum Kamin, läßt sich bequem in den großen Stuhl nieder und liest.)

(Morell während er schreibt:) Candida wird gleich kommen und Ihnen Gesellschaft leisten. Sie ist jetzt fertig mit ihrer Schülerin und füllt die Lampen.

(Marchbanks fährt empor in wildem Entsetzen:) Aber das wird ihre Hände beschmutzen,—das kann ich nicht dulden, Herr Pastor, das ist eine Schande; ich werde die Lampen füllen. (Er wendet sich nach der Tür.)

(Morell.) Lassen Sie es lieber sein. (Marchbanks bleibt unschlüssig stehen: ) Sie würde Ihnen höchstens meine Schuhe zu putzen geben, um mir die Arbeit zu ersparen, es morgen früh selbst zu tun.

(Burgess mit großer Mißbilligung:) Halten Sie kein Mädchen mehr, Jakob?

(Morell.) Ja, aber es ist keine Sklavin, und das Haus sieht aus, als ob ich drei hielte. Daraus folgt, daß jeder mithelfen muß. Das geht ganz gut. Prossi und ich können nach dem Frühstück, während wir abwaschen, über unsere Geschäfte sprechen; das Abwaschen macht keine Mühe, wenn es zwei besorgen.

(Marchbanks gequält:) Glauben Sie, daß jede Frau so grobkörnig ist wie
Fräulein Garnett?

(Burgess pathetisch:) Sie haben ganz recht, Herr Marchbanks, vollkommen recht,—die ist grobkörnig!

(Morell ruhig und bedeutungsvoll:) Marchbanks!

(Marchbanks.) Ja.

(Morell.) Wie viele Dienstboten hält Ihr Vater?

(Marchbanks.) Oh, ich weiß nicht. (Er gebt unbehaglich an das Sofa zurück, als ob er sich so weit fort wie möglich vor Morells Fragen retten möchte, setzt sich in großer Verstörtheit und denkt an das Petroleum.)

(Morell sehr ernst:) So viele, daß Sie es nicht einmal wissen. (angriffsbereit:) Immerhin, wenn irgendeine grobkörnige Arbeit zu verrichten ist, dann klingeln Sie und halsen sie jemand anders auf—das ist eine der großen Tatsachen in Ihrem Dasein, nicht wahr?

(Marchbanks.) Oh, quälen Sie mich nicht. Die eine große Tatsache hier ist jetzt, daß die wundervollen Finger Ihrer Frau mit Petroleum beschmutzt werden, während Sie bequem hier sitzen und darüber Reden halten—endlose Reden und Predigten—Worte—Worte—nichts als Worte!

(Burgess dem diese Erwiderung sehr gelegen kommt:) Hört, hört! Besser konnte er's ihm nicht geben! (Strahlend:) Da haben Sie es, Jakob! Ganz so ist es. (Candida trat ein, in einer reinen Schürze, mit einer geputzten und gefüllten, zum Anzünden fertigen Arbeitslampe. Sie stellt sie auf den Tisch neben Morell, damit er sie zur Hand hat.)

(Candida reibt ihre Fingerspitzen gegeneinander, mit einem leichten Krausziehen ihrer Nase:) Wenn Sie bei uns bleiben, Eugen, ich glaube, dann werde ich Ihnen das Füllen der Lampe übertragen.

(Marchbanks.) Ich werde überhaupt nur unter der Bedingung bleiben, daß
Sie mir alle grobe Arbeit übertragen.

(Candida.) Das ist zwar sehr galant, aber ich möchte doch vorher wissen, wie Sie sie machen. (Wendet sich zu Morell:) Jakob, du hast in meiner Abwesenheit nicht gehörig nach dem Rechten gesehen.

(Morell.) Was habe ich denn getan oder nicht getan, meine Liebe?

(Candida ernstlich ärgerlich:) Meine eigene kleine Lieblingsnagelbürste wurde zum Stiefelputzen verwendet. (Ein herzzerreißender Klagelaut entringt sich Marchbanks' Brust. Burgess sieht sich erstaunt um, Candida eilt ans Sofa:) Was ist los? Sind Sie krank, Eugen?

(Marchbanks.) Nein, nicht krank. Nur Jammer erfaßt mich, Jammer,
Jammer! (Er schlägt die Hände vor das Gesicht.)

(Burgess erschreckt:) Was haben Sie, Herr Marchbanks? Oh, das ist schlimm in Ihrem Alter; Sie müssen trachten, sich das Trinken nach und nach abzugewöhnen.

(Candida beruhigt:) Unsinn, Papa. Das ist nur poetischer Jammer.
Nicht wahr, Eugen? (Streichelt ihn.)

(Burgess verlegen:) Oh, poetischen Jammer hat er,—verzeihen Sie, das wußte ich nicht. (Er wendet sich wieder nach dem Feuer, seine Unüberlegtheit bereuend.)

(Candida.) Was ist's denn, Eugen? Wegen der Nagelbürste? (Er schaudert.) Es ist ja nichts dabei, lassen Sie's gut sein. (Sie setzt sich neben ihn.) Wollen Sie mir eine hübsche neue schenken, mit Elfenbeinrücken und eingelegtem Perlmutter?

(Marchbanks sanft und melodisch, aber traurig und schmachtend:) Nein, keine Nagelbürste, aber ein Boot, eine kleine Schaluppe, um darin fortzusegeln, weit fort von der Welt, dorthin, wo Marmorböden vom Regen gewaschen und von der Sonne getrocknet werden, und wo der Südwind die wundervoll grünen und purpurnen Teppiche fegt. Oder einen Wagen möchte ich Ihnen schenken; uns hinaufzutragen in den Himmel, wo die Lampen Sterne sind und nicht täglich mit Petroleum gefüllt werden müssen.

(Morell barsch:) Und wo es nichts anderes zu tun gibt, als faul, selbstsüchtig und unnütz zu sein.

(Candida unangenehm berührt:) Oh, Jakob, wie kannst du nur alles so verderben!

(Marchbanks feurig:) Ja: faul, selbstsüchtig und unnütz, das heißt schön, frei und glücklich sein. Hat das nicht jeder Mann mit seiner ganzen Seele für die Frau gewünscht, die er liebte? Das ist auch mein Ideal. Was ist das Ihre und das all der entsetzlichen Menschen, die in diesen fürchterlichen Häuserreihen wohnen? Predigten und Schuhbürsten! Für Sie die Predigten und für Ihre Frau die Bürste!

(Candida drollig:) Er putzt die Schuhe, Eugen. Morgen werden Sie sie putzen müssen, weil Sie das von ihm gesagt haben.

(Marchbanks.) Oh, sprechen Sie nicht von Schuhen; Ihre Füße würden auch in einer Wildnis schön bleiben.

(Candida.) Meine Füße würden auf der Hackneystraße ohne Schuhe nicht sehr schön aussehn.

(Burgess daran Anstoß nehmend:) Geh, Candy, sei nicht ordinär. Herr Marchbanks ist daran nicht gewöhnt. Du hast ihm schon wieder Jammer eingeflößt,—ich meine poetischen Jammer. (Morell schweigt, scheinbar ist er mit seinen Briefen beschäftigt. Tatsächlich ist er aber über seine neue und beunruhigende Erfahrung in sorgenvolle Gedanken vertieft: je sicherer er seiner moralischen Ausfälle ist, desto sicherer und wirkungsvoller pariert sie Eugen. Es schmerzt Morell sehr, daß er einen Menschen zu fürchten anfängt, den er nicht achten kann. Fräulein Garnett kommt mit einem Telegramm herein.)

(Proserpina händigt das Telegramm Morell ein:) Rückantwort bezahlt, der Bote wartet. (Zu Candida, während sie zu ihrer Maschine geht und sich setzt:) Marie wartet auf Sie in der Küche, Frau Morell. (Candida erhebt sich:) Die Zwiebeln sind gekommen.

(Marchbanks krampfhaft:) Zwiebeln!?

(Candida.) Ja, Zwiebeln, und nicht einmal spanische! garstige, kleine rote Zwiebeln! Sie können mir helfen, sie zu zerschneiden; kommen Sie. (Sie nimmt ihn am Handgelenk und läuft, ihn nachziehend, hinaus. Burgess erhebt sich verblüfft und starrt ihnen, auf dem Kaminteppich stehend, nach.)

(Burgess.) Candy sollte den Neffen eines Pairs nicht so behandeln.
Das geht doch zu weit, Jakob. Hat er öfters solche komischen Anfälle?

(Morell kurz, ein Telegramm schreibend:) Ich weiß nicht.

(Burgess sentimental:) Er spricht sehr nett. Ich habe immer etwas Sinn für Poesie gehabt. Candy schlägt mir darin nach. Ich mußte ihr immer Märchen erzählen, als sie noch ein so kleines Mädchen war. (Er hält die Hand ungefähr zwei Fuß hoch über den Fußboden.)

(Morell beschäftigt:) So, wirklich? (Er löscht das Telegramm ab und geht hinaus.)

(Proserpina.) Haben Sie die Märchen, die Sie Ihrer Tochter erzählten, selbst erfunden?

(Burgess würdigt sie keiner Antwort und nimmt vor dem Kamin die
Stellung tiefster Verachtung gegen sie ein.)

(Proserpina sehr ruhig:) Ich hätte nie gedacht, daß Sie derlei könnten. Übrigens möchte ich Sie doch warnen, da Sie so großes Interesse an Herrn Marchbanks nehmen. Er ist verrückt.

(Burgess.) Verrückt! Was? Der auch?

(Proserpina.) Total verrückt! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr er mich vorhin erschreckte—das kann ich Ihnen versichern, gerade bevor Sie kamen.—Haben Sie das merkwürdige Zeug, das er sprach, nicht gehört?

(Burgess.) So, das ist also der poetische Jammer? Potztausend, es ist mir selbst schon ein oder zweimal aufgefallen, daß es nicht ganz richtig mit ihm ist. (Er durchschreitet das Zimmer und hebt seine Stimme, während er geht:) Na, das ist ein hübsches Irrenhaus für einen Menschen, der außer Ihnen niemanden hat, sich um ihn zu kümmern.

(Proserpina während er bei ihr vorbeikommt:) Ja, wie fürchterlich wäre es, wenn Ihnen da etwas zustieße.

(Burgess hochmütig:) Erlauben Sie sich keine Bemerkungen! Sagen Sie Ihrem Prinzipal, daß ich in den Garten gegangen bin, meine Pfeife zu rauchen.

(Proserpina spottend:) Oh!—(Ehe Burgess erwidern kann, kehrt Morell zurück.)

(Burgess gefühlvoll:) Ich gehe in den Garten, meine Pfeife zu rauchen,
Jakob.

(Morell kurz angebunden:) Schon gut, schon gut! (Burgess geht würdevoll hinaus, wie ein müder alter Mann. Morell steht vor dem Tisch, wendet seine Papiere um und spricht zu Proserpina hinüber, halb humorvoll, halb geistesabwesend.)

(Morell.) Nun, Prossi, warum haben Sie meinen Schwiegervater mit
Schimpfnamen belegt?

(Proserpina wird feuerrot und sieht rasch zu ihm auf, halb vorwurfsvoll, halb erschrocken:) Ich—(Sie bricht in Tränen aus.)

(Morell lehnt sich mit leisem Humor zu ihr hinüber und tröstet sie:) Oh, lassen Sie, lassen Sie nur! es ist ja nichts dabei: er ist ein alter Schafskopf, nicht wahr? (Mit einem krampfhaften Schluchzen stürzt sie nach der Tür und verschwindet, die Tür zuschlagend. Morell schüttelt resigniert den Kopf, seufzt und geht müde an seinen Stuhl, wo er sich an die Arbeit setzt. Er sieht alt und vergrämt aus. Candida kommt herein; sie hat ihre häusliche Arbeit beendet und die Schürze abgenommen. Sie bemerkt sofort Morells niedergeschlagenes Aussehen, setzt sich ruhig auf den Besuchsstuhl und betrachtet ihn aufmerksam. Sie schweigt.)

(Morell sieht auf, die Feder einen Moment absetzend:) Nun, wo ist
Eugen?

(Candida.) Er wäscht sich die Hände in der Waschküche—unter der Wasserleitung. Er wird ein ausgezeichneter Koch werden, wenn er nur erst seine Furcht vor Marie überwunden hat.

(Morell kurz:) Gewiß, zweifellos. (Er fängt wieder zu schreiben an.)

(Candida geht näher und legt ihre Hände sanft auf die seinen, um ihn aufzuhalten, und sagt:) Komm zu mir, mein Lieber. Laß dich anschauen. (Er legt seine Feder weg und stellt sich ihr zur Verfügung; sie laßt ihn aufstehen, zieht ihn ein wenig vom Tisch fort und betrachtet ihn mit kritischen Blicken.) Wende dein Gesicht einmal gegen das Licht. (Sie stellt ihn mit dem Gesicht gegen das Fenster.) Mein alter Junge sieht nicht gut aus,—hat er sich überanstrengt?

(Morell.) Nicht mehr als gewöhnlich.

(Candida.) Er sieht sehr bleich und grau, runzelig und alt aus. (Seine Melancholie nimmt zu und Candida faßt sie geflissentlich lustig an.) Komm her. (Sie zieht ihn zum Lehnstuhl:) Du hast für heute genug geschrieben. Überlaß Prossi alles Weitere, und wir wollen ein bißchen plaudern.

(Morell.) Aber—

(Candida nachdrücklich:) Ja, du mußt mit mir plaudern. (Sie zwingt ihn, Platz zu nehmen, und setzt sich auf den Teppich zu seinen Füßen.) Nun (seine Hände streichelnd:) fängst du schon an, besser auszusehen. Warum gibst du alle diese ermüdenden Extraarbeiten nicht auf? Jeden Abend gehst du aus, um zu predigen und zu reden. Freilich, was du sagst, ist alles schön und gut; aber es nützt ja nichts: sie geben nicht das geringste darauf. Sie sind natürlich deiner Ansicht—aber was hat man davon, wenn Leute mit einem einverstanden sind und dann hingehen und das Gegenteil von allem tun, sobald man den Rücken kehrt? Denke nur an unsere Gemeinde in St. Dominik? Warum wollen sie dich jeden Sonntag über Christentum reden hören? Nur weil sie mit ihren Geschäften und Geldangelegenheiten sechs Tage lang so sehr beschäftigt waren, daß sie am siebenten Tage nichts davon hören mögen. Da wollen sie ruhen und sich erbauen, damit sie frisch zurückkehren und besser als je dem Gelde nachjagen können. Du hilfst ihnen nur noch dabei, anstatt sie daran zu hindern.

(Morell mit energischem Ernst:) Du weißt sehr gut, Candida, daß ich sie deswegen oft tüchtig ausschelte. Aber wenn ihr Kirchgang ihnen nichts anderes bedeutet als Ruhe und Zerstreuung, warum wählen sie dann nichts Lustigeres, Angenehmeres? Es muß doch etwas Gutes in der Tatsache liegen, daß sie die Kirche am Sonntag schlimmeren Orten vorziehen.

(Candida.) Oh, die schlimmen Orte sind eben nicht offen, und selbst wenn sie es wären, sie würden sich nicht trauen hinzugehen, aus Angst gesehn zu werden. Überdies, lieber Jakob, predigst du so wundervoll, daß es für sie so gut wie ein Schauspiel ist. Warum, glaubst du, sind die Frauen alle so begeistert?

(Morell verletzt:) Candida!

(Candida.) Oh, ich weiß. Du Ahnungsloser, du glaubst, dein Sozialismus und deine Religion machen es,—doch wenn's bloß das wäre, dann würden sie tun, was du ihnen sagst, anstatt nur hinzugehen und dich anzustarren;—sie haben alle Prossis Leiden.

(Morell.) Prossis Leiden? Was meinst du damit, Candida?

(Candida.) Ja, Prossis und das all der anderen Sekretärinnen, die du hattest. Warum, meinst du, läßt sich Prossi herbei, abzuwaschen, Kartoffeln zu schälen und sich auf alle mögliche Art zu erniedrigen, da sie bei dir doch sechs Schillinge in der Woche weniger verdient, als sie in einem Bureau in der City bekäme? Sie ist verliebt in dich, das ist der Grund,—sie sind alle in dich verliebt. Und du bist ins Predigen verliebt, weil du das so wundervoll kannst. Und du glaubst, es sei alles Enthusiasmus für das Himmelreich auf Erden—und sie glauben es auch—o du lieber Dummkopf, du!

(Morell.) Candida, was ist das für ein schrecklicher, seelenmordender
Zynismus? Scherzest du oder—ist es möglich—bist du eifersüchtig?

(Candida seltsam gedankenvoll:) Ja, manchmal bin ich etwas eifersüchtig.

(Morell ungläubig:) Auf Prossi?

(Candida lachend:) Nein, nein, nein. Nicht eifersüchtig a u f jemanden. Eifersüchtig f ü r jemanden, der n i c h t so geliebt wird, wie er sollte.

(Morell.) Bin ich das?

(Candida.) Du? Nein. Du bist verwöhnt durch Liebe und Verehrung, mehr, als für dich gut ist.—Nein, ich meine Eugen.

(Morell betroffen:) Eugen?

(Candida.) Es scheint mir ungerecht, daß du alle Liebe besitzen sollst und er keine, obgleich er sie so viel nötiger hat als du. (Eine krampfhafte Bewegung schüttelt ihn gegen seinen Willen.) Was ist dir, quäle ich dich?

(Morell rasch:) Durchaus nicht. (Er sieht sie mit unruhiger Spannung an.) Du weißt, daß ich dir blindlings vertraue, Candida.

(Candida.) Du eitler Mann. Bist du deiner Unwiderstehlichkeit so sicher?

(Morell.) Candida, du verletzest mich. Ich habe an Unwiderstehlichkeit nie gedacht. Deiner Frömmigkeit, deiner Reinheit vertraue ich.

(Candida.) Was für häßliche, ungemütliche Dinge du mir da sagst,—oh, du bist wirklich ein Pastor, Jakob, ein Pastor durch und durch!

(Morell ins Herz getroffen, sich von ihr abwendend:) Das sagt Eugen auch.

(Candida neigt sich mit lebhaftem Interesse zu ihm, die Arme auf seinen Knien:) Eugen hat immer recht. Er ist ein wundervoller Junge, ich habe ihn lieber und lieber gewonnen während der ganzen Zeit, wo ich fort war. Weißt du, Jakob, daß er, obwohl er selbst nicht die leiseste Ahnung davon hat, im Begriff steht, sich wahnsinnig in mich zu verlieben?

(Morell grimmig:) Oh, er selbst hat nicht die leiseste Ahnung davon, wirklich?

(Candida.) Nicht die geringste. (Sie nimmt ihre Arme von seinen Knien und wendet sich gedankenvoll ab, wobei sie eine bequeme Stellung einnimmt, die Hände im Schoß.) Eines Tages wird er es wissen,—wenn er erwachsen und erfahren sein wird wie du—da wird er erkannt haben, daß ich es wissen mußte!—Ich bin neugierig, was er dann von mir denken wird.

(Morell.) Nichts Böses, Candida. Ich hoffe und vertraue, nichts Böses.

(Candida zweifelnd:) Das wird davon abhängen…

(Morell erschreckt:) Abhängen!

(Candida ihn ansehend:) Ja, es wird davon abhängen, was er bis dahin erleben wird. Er sieht sie verständnislos an. Begreifst du das nicht? Es hängt ganz davon ab, wie und durch wen ihm bewußt wird, was die Liebe eigentlich ist. Ich meine, es kommt auf die Frau an, die ihn die Liebe lehren wird.

(Morell ganz verwirrt:) Nein,—ja,—ich weiß nicht, was du meinst.

(Candida erklärend:) Wenn eine gute Frau sie ihn lehrt, dann wird alles gut und schön sein, dann wird er mir verzeihen.

(Morell.) Verzeihen?!

(Candida fortfahrend:) Aber gesetzt den Fall, daß eine schlechte Frau sie ihn lehrt, wie dies vielen Männern, ganz besonders dichterisch veranlagten, geschieht, die alle Frauen für Engel halten,—gesetzt den Fall, sage ich, daß er den Wert der Liebe erst dann entdeckt, wenn er sie fortgeworfen und sich in seiner Unwissenheit selbst erniedrigt hat, —glaubst du, daß er mir dann auch verzeihen wird?

(Morell.) Dir verzeihen? Weswegen?

(Candida bemerkt, wie beschränkt er ist, fährt etwas enttäuscht, aber sanft fort:) Verstehst du das nicht? (Er schüttelt den Kopf; sie wendet sich wieder zu ihm, um es ihm mit zartester Vertraulichkeit zu erklären.) Ich meine: wird er mir verzeihen, daß ich selbst ihn die Liebe nicht gelehrt, sondern ihn schlechten Frauen überlassen habe? meiner Frömmigkeit—meiner Reinheit wegen, wie du es nennst! Oh, Jakob, wie wenig du mich doch verstehst, daß du nur immer von deinem Vertrauen in meine Frömmigkeit und Reinheit sprichst. Ich würde sie beide dem armen Eugen so gerne geben, wie einem frierenden Bettler meinen Schal, wenn nichts anderes mich davon abhielte. Vertraue auf meine Liebe zu dir; denn wenn die nicht wäre, aus deinen Predigten würde ich mir sehr wenig machen—das sind bloß leere Phrasen, mit denen du andere und dich selbst jeden Tag belügst. (Sie ist im Begriff aufzustehen.)

(Morell.) Seine Worte!

(Candida schnell innehaltend, indem sie aufsteht:) Wessen Worte?

(Morell.) Eugens!

(Candida entzückt:) Er hat immer recht. Er versteht dich, er versteht mich, er versteht Prossi; und du, Jakob, du verstehst nichts. (Sie lacht und küßt ihn, um ihn zu trösten; er weicht wie gestochen zurück und springt auf.)

(Morell.) Wie kannst du mich küssen, während du—oh, Candida! (Mit
Schmerz in der Stimme:) Ich hätte vorgezogen, daß du mir einen
Widerhaken ins Herz gestoßen hättest, statt mir diesen Kuß zu geben.

(Candida erhebt sich beunruhigt:) Mein Lieber, was ist denn mit dir?

(Morell schüttelt sie wild ab:) Berühre mich nicht!

(Candida erstaunt:) Jakob! Sie werden durch den Eintritt Marchbanks' und Burgess' unterbrochen, der in der Nähe der Tür stehen bleibt und sie anstarrt, während Eugen sich zwischen sie nach vorwärts drängt.

(Marchbanks.) Ist etwas vorgefallen?

(Morell totenbleich, mit eiserner Selbstbeherrschung:) Nichts, als daß entweder Sie heute morgen recht hatten, oder daß Candida verrückt ist!

(Burgess laut protestierend:) Was? Candy auch verrückt? Das ist zuviel! (Er durchschreitet das Zimmer bis zum Kamin, protestiert während des Gehens und klopft dort seine Pfeifenasche aus. Morell setzt sich verzweifelt nieder, lehnt sich nach vorne, um sein Gesicht zu verbergen, und verschlingt seine Finger krampfhaft, damit sie ruhig bleiben.)

(Candida zu Morell, erleichtert und lachend:) Oh, du bist nur verletzt—ist das alles? Wie konventionell ihr unkonventionellen Leute doch alle seid!

(Burgess.) Benimm dich anständig, Candy. Was wird Herr Marchbanks von dir denken?

(Candida.) Das kommt davon, weil Jakob mir immer predigt, nur mir selbst Rechenschaft abzulegen und nie darauf zu achten, was andere Leute über mich denken könnten. Das ist außerordentlich schön und gut, solange ich derselben Meinung bin wie er. Aber jetzt—weil ich gerade etwas anderer Meinung war jetzt schau ihn dir an, schau nur! (Sie weist auf Morell, höchst belustigt. Eugen beobachtet ihn und preßt seine Hand heftig ans Herz, als wenn ihn irgendein Schmerz getroffen hätte; er setzt sich auf das Sofa wie ein Mensch, der einer Tragödie beiwohnt. Burgess auf dem Kaminteppich:) Sie hat recht, Jakob, Sie sehen wirklich nicht so würdig aus wie gewöhnlich.

(Morell mit einem Lachen, das ein halbes Schluchzen ist:) Das kann schon sein, verzeiht mir alle,—ich wußte nicht, daß ich eine Störung verursache. (Sich zusammenraffend:) Es ist schon gut, schon gut, schon gut. (Er geht zurück nach seinem Platz am Tisch und setzt sich, um an seinen Papieren wieder mit entschlossener Heiterkeit weiterzuarbeiten.)

(Candida geht nach dem Sofa und setzt sich neben Marchbanks, noch in heiterster Stimmung:) Nun, Eugen, warum sind Sie traurig? Haben Sie vom Zwiebelschälen geweint? (Morell kann sich nicht enthalten, sie zu beobachten.)

(Marchbanks beiseite zu ihr:) Ihre Grausamkeit ist es, die mich traurig macht.—Ich hasse Grausamkeit. Es ist entsetzlich, mitanzusehen, wie ein Mensch einem andern weh tut.

(Candida ihn streichelnd, ironisch:) Armer Junge, war ich grausam?
Habe ich ihn kleine, rote, häßliche Zwiebel schälen lassen?

(Marchbanks ernst:) Oh, halten Sie ein, halten Sie ein: ich meine nicht mich! Er hat Ihretwegen furchtbar gelitten. Ich fühle seinen Schmerz in meinem eigenen Herzen. Ich weiß, daß Sie nicht schuld daran sind,—es ist etwas geschehen, was geschehen mußte; aber nehmen Sie es nicht so leicht. Mich schaudert, wenn Sie ihn quälen und dabei lachen.

(Candida ungläubig:) Ich Jakob quälen?! Unsinn, Eugen; wie Sie übertreiben! Torheit! (Sie blickt hinüber zu Jakob, der seine Schreiberei hastig fortsetzt; sie gebt zu ihm und steht hinter seinem Stuhl, sich über ihn beugend.) Arbeite nicht länger, mein Lieber, komm und plaudere mit uns.

(Morell liebevoll, aber bitter:) Ach nein: ich kann nicht plaudern, ich kann nur predigen.

(Candida ihn streichelnd:) Nun, dann komm und predige!

(Burgess heftig widersprechend:) Ach nein, Candy! zum Henker mit dem Predigen! (Alexander Mill kommt herein und sieht ängstlich und wichtig aus.)

(Mill beeilt sich, Candida zu begrüßen:) Wie geht es Ihnen, Frau
Morell? Wie freue ich mich, daß Sie wieder zurück sind.

(Candida.) Ich danke Ihnen, Herr Mill. Sie kennen Eugen, nicht wahr?

(Mill.) O ja! Wie geht es Ihnen, Marchbanks?

(Marchbanks.) Danke, gut!

(Mill zu Morell:) Ich komme eben aus der Gilde von Sankt Matthäus. Die Leute sind furchtbar bestürzt über Ihr Telegramm. Es ist doch hoffentlich nichts geschehen?

(Candida.) Was hast du denn telegraphiert, Jakob?

(Mill zu Candida:) Es war vereinbart, daß er heute abend dort sprechen sollte, sie haben den großen Saal in der Marestraße gemietet und eine Menge Geld für Plakate ausgegeben. Der Herr Pastor telegraphierte nun, daß er nicht kommen könnte! Es traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

(Candida überrascht, beginnt zu wittern, daß etwas nicht in Ordnung ist:) Eine Gelegenheit, öffentlich zu sprechen, hast du ausgeschlagen?

(Burgess.) Zum erstenmal in seinem Leben, das möchte ich wetten; —nicht wahr, Candy?

(Mill zu Morell:) Man hat beschlossen, Ihnen ein dringendes Telegramm zu schicken, mit der Bitte, Ihren Entschluß zu ändern. Haben Sie es erhalten?

(Morell mit mühsam verhaltener Ungeduld:) Ja, ja, ich bekam es.

(Mill.) Es war mit bezahlter Rückantwort.

(Morell.) Ja, ich weiß. Ich habe es beantwortet. Ich kann nicht kommen.

(Candida.) Aber warum nicht, Jakob?

(Morell beinahe heftig:) Weil ich nicht mag! Diese Leute vergessen, daß ich auch ein Mensch bin; sie halten mich für eine Redemaschine, die man jeden Abend zu seinem Vergnügen aufziehen kann. Darf ich nicht auch einmal einen Abend zu Hause haben, mit meiner Frau und meinen Freunden? (Sie sind alle über diesen Ausbruch erstaunt mit Ausnahme von Eugen,—sein Ausdruck bleibt unverändert.)

(Candida.) Oh, Jakob, du weißt es selbst: morgen wirst du dann
Gewissensbisse haben, und ich werde darunter leiden müssen.

(Mill eingeschüchtert, aber dringend:) Ich weiß natürlich, daß diese Menschen die unvernünftigsten Anforderungen an Sie stellen; aber sie haben überallhin um einen anderen Redner telegraphiert und können niemanden mehr bekommen als den Präsidenten des Agnostikerbundes.

(Morell rasch:) Nun, das ist ein ausgezeichneter Mann,—was wollen sie denn noch mehr?

(Mill.) Aber er besteht immer so fest auf der Scheidung des Sozialismus vom Christentum. Er wird all das Gute, das wir gestiftet haben, zunichte machen,—natürlich, Sie müssen ja am besten wissen, aber…

(Er zögert.)

(Candida schmeichelnd:) O bitte, geh' doch hin, Jakob. Wir kommen alle mit.

(Burgess brummend:) Schau, Candy, laß uns lieber gemütlich zu Hause am Kamin sitzen. Er braucht ja nicht länger als zwei Stunden wegzubleiben.

(Candida.) Du wirst dich in der Versammlung genau so behaglich fühlen.
Wir werden alle auf dem Podium sitzen und wichtige Leute sein.

(Marchbanks entsetzt:) Oh, bitte, nicht auf dem Podium; nein! Jeder wird uns anstarren,—das hielte ich nicht aus. Ich werde im Hintergrund des Saales bleiben.

(Candida.) Fürchten Sie sich nicht. Man wird viel zu sehr damit beschäftigt sein, Jakob anzustarren als daß man Sie bemerkte.

(Morell wendet den Kopf und sieht Candida vielsagend über die Schulter an:) Prossis Leiden, Candida,—nicht?

(Candida lustig:) Jawohl.

(Burgess neugierig:) Prossis Leiden? Was reden Sie da, Jakob?

(Morell beachtet ihn nicht, erhebt sich, geht nach der Tür, öffnet und ruft in befehlendem Ton hinaus:) Fräulein Garnett!

(Proserpina aus der Entfernung:) Ja, Herr Pastor, ich komme schon. (Sie warten alle mit Ausnahme von Burgess, der verstohlen zu Mill geht und ihn beiseite zieht.)

(Burgess.) Hören Sie, Herr Mill: worin besteht Prossis Leiden? Was fehlt ihr?

(Mill vertraulich:) Ja, ich weiß es nicht genau; aber sie sprach recht seltsame Dinge heute früh;—ich fürchte, es ist manchmal nicht ganz richtig mit ihr.

(Burgess überwältigt:) Nein,—vier in demselben Haus! Es muß ansteckend sein. (Er geht zurück an den Kamin, ganz in Gedanken versunken über die Veränderlichkeit des menschlichen Verstandes in der Umgebung eines Geistlichen.)

(Proserpina erscheint auf der Schwelle:) Was wünschen Sie, Herr Pastor?

(Morell.) Telegraphieren Sie nach der Gilde von Sankt Matthäus, daß ich kommen werde.

(Proserpina überrascht:) Werden Sie denn nicht erwartet?

(Morell gebieterisch:) Tun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe.
(Proserpina setzt sich erschrocken an die Schreibmaschine und gehorcht.)

(Morell geht hinüber zu Burgess. Candida beobachtet seine Bewegungen die ganze Zeit über mit wachsender Verwunderung und Besorgnis.) Burgess, Sie möchten lieber nicht mitkommen?

(Burgess sich entschuldigend:) Oh, so dürfen Sie das nicht auffassen—ich meine nur, wissen Sie—weil heute nicht Sonntag ist.

(Morell.) Das ist schade, ich dachte, Sie würden gerne mit dem Vorsitzenden bekannt werden. Er ist im Provinzialarbeitsausschuß und hat einigen Einfluß bei Abschlüssen von Lieferungen. (Burgess wird mit einem Male lebendig; Morell, der das erwartet hat, hält einen Augenblick inne und sagt:) Sie wollen also doch mitkommen?

(Burgess mit Enthusiasmus:) Das will ich meinen,—ob ich mitkomme,
Jakob! Es ist ja stets ein Genuß, Sie predigen zu hören!

(Morell wendet sich zu Proserpina:) Ich werde Sie nötig haben, damit Sie in der Versammlung einige Notizen machen können, Fräulein Garnett, falls Sie nicht schon vergeben sind. (Sie nickt, aus Angst, sprechen zu müssen.) Sie kommen doch auch mit, Lexi?

(Mill.) Selbstverständlich.

(Candida.) Wir kommen alle mit, Jakob.

(Morell.) Nein! Du kommst nicht mit, und Eugen kommt nicht mit. Du wirst zu Hause bleiben und dich mit ihm unterhalten, zur Feier deiner Rückkehr. (Eugen erhebt sich atemlos.)

(Candida.) Aber Jakob—

(Morell gebieterisch:) Ich bestehe darauf; Ihr habt beide keine Lust zu kommen, weder er, noch du! (Candida will sich dagegen verwahren.) Oh, denkt nicht an mich, ich werde auch ohne euch eine Menge Menschen um mich versammelt sehen. Eure Stühle werden von unbekehrten Leuten besetzt sein, die mich noch nie gehört haben.

(Candida beunruhigt:) Eugen, möchten Sie nicht hingehen?

(Morell.) Ich würde mich fürchten, mich vor Eugen hören zu lassen; er ist Predigten gegenüber sehr kritisch. (Sieht ihn an.) Er weiß, daß ich mich vor ihm fürchte, er hat mir's heute früh selbst gesagt. Nun will ich ihm zeigen, wie sehr ich mich fürchte, indem ich ihn hier allein in deiner Hut lasse, Candida.

(Marchbanks zu sich selbst, mit lebhaftem Gefühl:) Das ist tapfer; das ist schön. (Er setzt sich wieder und hört mit geöffneten Lippen zu.)

(Candida mit ängstlicher Beunruhigung:) Aber, aber—Ist irgend etwas geschehen, Jakob? (Sehr verwirrt:) Ich kann dich nicht begreifen.

(Morell.) Ah, ich dachte, ich sei es, der nichts begreifen kann, meine
Liebe. (Er schließt sie zärtlich in die Arme und küßt sie auf die
Stirn, dann blickt er ruhig auf Marchbanks.)

(Vorhang)

DRITTER AKT

(Es ist nach zehn Uhr abends; die Vorhänge sind zugezogen und die Lampe brennt. Die Schreibmaschine steht in ihrem Kasten. Der breite Tisch ist geordnet worden; alles zeugt davon, daß das Tagewerk vollbracht ist. Candida und Marchbanks sitzen am Feuer; die Leselampe steht auf dem Kaminsims über Marchbanks, der in dem kleinen Stuhl sitzt und laut liest. Auf dem Teppich neben ihm liegt ein kleiner Haufen von Manuskripten und ein paar Bände Gedichte. Candida sitzt im großen Stuhl und hält einen leichten Schürhaken aus Messing aufrecht in der Hand; sie sitzt zurückgelehnt und sieht versonnen auf die funkelnde Messingspitze. Sie hat die Füße gegen das Feuer hin ausgestreckt und läßt ihre Fersen auf dem Kamingitter ruhen, sich ihrer Erscheinung und ihrer Umgebung tief unbewußt.)

(Marchbanks seine Vorlesung unterbrechend:) Jeder Dichter, der je gelebt hat, hat aus diesem Gedanken ein Sonett gemacht. Er muß es, ob er will oder nicht. (Er sieht Candida an, ob sie ihm zustimmt, und bemerkt, daß sie auf den Schürhaken starrt.) Haben Sie nicht zugehört? (Keine Antwort:) Frau Morell!

(Candida auffahrend.) Wie!?

(Marchbanks.) Haben Sie nicht zugehört?

(Candida schuldbewußt, mit übertriebener Höflichkeit:) O ja. Es ist sehr hübsch. Fahren Sie fort, Eugen. Ich bin begierig, zu hören, was dem Engel passiert ist.

(Marchbanks läßt das Manuskript aus der Hand auf den Boden fallen:)
Verzeihen Sie, daß ich Sie langweile!

(Candida.) Aber Sie langweilen mich durchaus nicht, wirklich nicht.
Bitte, fahren Sie fort—bitte, Eugen.

(Marchbanks.) Ich habe das Gedicht über den Engel vor einer Viertelstunde beendet. Ich habe Ihnen seitdem schon verschiedenes vorgelesen.

(Candida reuevoll:) Das tut mir wirklich leid, Eugen. Mir scheint, der Schürhaken hat mich behext. (Sie legt ihn nieder.)

(Marchbanks.) Er hat mich fürchterlich gestört.

(Candida.) Warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ich hätte ihn sofort weggelegt.

(Marchbanks.) Ich fürchtete, Sie auch zu stören; er glich einer Waffe. Wenn ich ein Held aus alten Tagen wäre, würde ich mein gezogenes Schwert zwischen uns gelegt haben. Wenn Morell gekommen wäre, hätte er geglaubt, daß Sie den Schürhaken ergriffen haben, weil kein Schwert zwischen uns liegt.

(Candida verwundert:) Was? (Sie sieht ihn mit verwirrten Blicken an:) Das kann ich nicht recht verstehen. Ihre Sonette haben mich so sehr verwirrt! Warum sollte ein Schwert zwischen uns sein?

(Marchbanks ausweichend:) Oh, lassen wir das. (Er bückt sich, das
Manuskript aufzuheben.)

(Candida.) Legen Sie das wieder hin, Eugen. Mein Hunger nach Poesie hat Grenzen, selbst nach Ihrer Poesie. Sie haben mir länger als zwei Stunden vorgelesen—seit mein Mann fort ist—, ich möchte lieber plaudern.

(Marchbanks erhebt sich, furchtsam:) Nein, ich darf nicht reden. (Er
sieht in seiner verlorenen Weise um sich und fügt plötzlich hinzu:)
Ich glaube, ich mache einen Spaziergang im Park. (Er will nach der
Tür.)

(Candida.) Unsinn! er ist längst geschlossen. Setzen Sie sich auf den Kaminteppich und plaudern wir, wie Sie es gewöhnlich tun! Ich will unterhalten werden,—wollen Sie nicht?

(Marchbanks halb entsetzt, halb hingerissen:) Ja.

(Candida.) Dann kommen Sie her. (Sie rückt ihren Stuhl etwas zurück, um Platz zu machen; er zögert, dann kauert er sich schüchtern hin vor den Kamin, das Gesicht nach oben gekehrt, wirft seinen Kopf zurück auf ihre Knie und sieht zu ihr empor.)

(Marchbanks.) Oh, ich habe mich den ganzen Tag so unglücklich gefühlt, weil ich getan habe, was recht war; und nun, wo ich unrecht tue, bin ich so glücklich.

(Candida zart, belustigt über ihn:) Ja; ich bin überzeugt, nun fühlen Sie sich wie ein großer, erwachsener, böser Verführer—ganz stolz auf sich, nicht wahr?

(Marchbanks erhebt seinen Kopf rasch und wendet sich ein wenig, um sie anzublicken:) Nehmen Sie sich in acht. Ich bin sogar um vieles älter als Sie, Sie wissen es nur nicht. (Er wendet sich auf seinen Knien ganz herum; mit gefalteten Händen und die Arme in ihrem Schoß, spricht er mit wachsender Erregung—sein Blut fängt an zu wallen:) Darf ich Ihnen ein paar schlimme Dinge sagen?

(Candida ohne die leiseste Angst oder Kälte und mit vollkommener Achtung vor seiner Leidenschaft, aber mit einem Schimmer ihres klugkerzigen mütterlichen Humors:) Nein. Aber Sie dürfen alles sagen, was Sie wirklich und wahrhaftig fühlen, was es auch sei, alles! Ich fürchte mich nicht, solange Ihr wirkliches "Selbst" zu mir spricht und nicht eine bloße Pose—eine galante oder eine gottlose, oder selbst eine dichterische Pose. Das verlange ich von Ihnen, bei Ihrer Ehre und Wahrhaftigkeit!—Nun sagen Sie, was Sie wollen.

(Marchbanks der heiße Ausdruck verschwindet vollkommen von seinen Lippen und Nasenflügeln, seine Augen flammen auf in begeistertem Feuer.) Oh, jetzt kann ich nicht mehr alles sagen; denn alle Worte, die ich weiß, gehören mehr oder weniger irgendeiner Pose an, alle—bis auf eines.

(Candida.) Welches Wort ist das?

(Marchbanks sanft, sich dem melodischen Klang des Namens hingebend:) "Candida, Candida, Candida, Candida, Candida"—das muß ich jetzt sagen, da Sie mich bei meiner Ehre und Wahrhaftigkeit fragen, denn ich denke und fühle niemals "Frau Morell", immer nur "Candida".

(Candida.) Selbstverständlich! Und was haben Sie Candida zu sagen?

(Marchbanks.) Nichts als Ihren Namen tausendmal zu wiederholen.
Fühlen Sie nicht, daß es jedesmal ein Gebet zu Ihnen ist?

(Candida.) Macht es Sie nicht glücklich, daß Sie beten können?

(Marchbanks.) Ja, sehr glücklich.

(Candida.) Nun, dieses Glück ist die Antwort auf Ihr Gebet.—Wünschen
Sie sich etwas Besseres?

(Marchbanks selig:) Nein, ich bin im Himmel, wo man wunschlos ist. (Morell tritt ein; er bleibt an der Schwelle stehen und überschaut mit einem Blick die ganze Szene.)

(Morell ernst und mit Selbstbeherrschung:) Hoffentlich störe ich nicht. (Candida fährt heftig auf, aber ohne die leiseste Verlegenheit. Sie lacht über sich selbst. Eugen, noch auf den Knien, schützt sieh vor dem Fallen dadurch, daß er seine Hände auf den Stuhlsitz legt; Morell mit offenem Munde anstarrend, bleibt er in dieser Stellung.)

(Candida im Aufstehen:) Oh, Jakob, wie du mich erschreckt hast; ich war so mit Eugen beschäftigt, daß ich deinen Schlüssel nicht gehört habe. Wie ist die Versammlung verlaufen? Hast du gut gesprochen?

(Morell.) Ich habe in meinem ganzen Leben nicht besser gesprochen.

(Candida.) Das ist ausgezeichnet! Wieviel ist eingegangen?

(Morell.) Ich vergaß zu fragen.

(Candida zu Eugen:) Er muß wundervoll gesprochen haben oder er hätte das nicht vergessen. (Zu Morell:) Wo sind die andern?

(Morell.) Sie verließen den Saal lange ehe ich fortkommen konnte; ich glaube, sie essen irgendwo zur Nacht.

(Candida in ihrer hausmütterlichen Art:) Oh, dann kann Marie zu Bette gehn; ich will es ihr sagen. (Sie geht hinaus in die Küche.)

(Morell blickt strenge auf Marchbanks nieder:) Nun?

(Marchbanks läßt sich mit gekreuzten Beinen auf den Kaminteppich nieder und fühlt sich Morell gegenüber ganz sicher, sogar voll verschmitzten Humors:) Nun?

(Morell.) Haben Sie mir etwas zu sagen?

(Marchbanks.) Nur, daß ich mich hier heimlich zum Narren gemacht habe, während Sie öffentlich dasselbe getan haben.

(Morell.) Ich glaube, kaum auf dieselbe Art.

(Marchbanks springt auf, eifrig:) Ganz genau auf dieselbe Art. Ich habe eben ganz so wie Sie den braven Mann gespielt! ganz so wie Sie. Als Sie Ihr Heldentum, mich hier mit Candida allein zu lassen, begannen—

(Morell unwillkürlich:) Candida?

(Marchbanks.) Ja, so weit bin ich schon. Heldentum ist ansteckend, ich bekam die Krankheit von Ihnen und habe mir geschworen, Candida in Ihrer Abwesenheit nichts zu sagen, was ich nicht schon vor einem Monat in Ihrer Gegenwart gesagt hätte.

(Morell.) Und haben Sie dieses Gelübde gehalten?

(Marchbanks setzt sich plötzlich in grotesker Weise in den Lehnstuhl:) Ich bin bis vor etwa zehn Minuten dumm genug gewesen, es zu halten. Bis dahin habe ich ihr verzweifelt vorgelesen, meine eigenen Gedichte—und andere—um einer Unterhaltung auszuweichen. Ich sah das Himmelstor offen und weigerte mich, einzutreten…. Sie können sich nicht vorstellen, wie heldenhaft das war und wie ungemütlich…. Dann—

(Morell seine Ungeduld bezähmend:) Dann?

(Marchbanks geht prosaisch in eine ganz gewöhnliche Stellung im
Lehnstuhl über:) Dann konnte sie das Vorlesen nicht mehr vertragen.

(Morell.) Und da haben Sie sich dem Himmelstor schließlich genähert?

(Marchbanks.) Ja.

(Morell.) Und dann? (Wild:) Sprechen Sie, Mensch! Haben Sie denn kein Gefühl für mich!

(Marchbanks sanft und melodisch:) Dann wurde sie ein Engel, und ein
Flammenschwert erschien, das mir jeden Zugang versperrte, so daß ich
nicht eintreten konnte und nun begriff, daß dieses Tor in Wahrheit das
Tor der Hölle war.

(Morell triumphierend:) Sie hat Sie zurückgestoßen!

(Marchbanks erhebt sich mit grimmigem Hohn:) Nein, Sie Narr! Wenn sie das getan hätte, würde ich gar nicht gefühlt haben, daß ich schon im Himmel war. Mich zurückgestoßen… glauben Sie, daß mich das gerettet hätte?—Tugendhafte Entrüstung! Oh, Sie sind nicht wert, in einer Welt mit ihr zu leben. (Er wendet sich verachtungsvoll von ihm ab nach der anderen Seite des Zimmers.)

(Morell der ihn ruhig beobachtet hat, ohne seinen Platz zu wechseln:) Glauben Sie, daß Sie dadurch an Wert gewinnen, wenn Sie mich beschimpfen, Eugen?

(Marchbanks.) Hier endet der tausendunderste Text. Morell: ich halte doch nicht viel von Ihrem Predigen. Ich glaube sogar, ich selbst könnte das besser. Der Mann, den ich jetzt vor mir haben möchte, ist der Mann, den Candida geheiratet hat.

(Morell.) Der Mann, den… meinen Sie mich?

(Marchbanks.) Ich meine nicht Hochwürden Jakob Mavor Morell, Moralist und Schwätzer. Ich meine den wirklichen Menschen, den Hochwürden Jakob irgendwo in seiner schwarzen Kutte versteckt haben muß, den Mann, den Candida geliebt hat. Sie können die Liebe einer Frau wie Candida nicht dadurch erreicht haben, daß Sie bloß Ihren Kragen hinten statt vorne knöpfen.

(Morell kühn und standhaft:) Als Candida einwilligte, mich zu heiraten, da war ich derselbe Moralist und Schwätzer, den Sie jetzt vor sich sehen. Ich trug meinen schwarzen Rock, und meinen Kragen knöpfte ich hinten statt vorne. Glauben Sie, daß sie mich mehr geliebt hätte, wenn ich unaufrichtig in meinem Beruf gewesen wäre?

(Marchbanks auf dem Sofa, seine Knöchel umfassend:) Oh, sie hat Ihnen vergeben, so wie sie mir vergibt, daß ich ein Feigling bin und ein Schwächling, und was Sie einen kleinen winselnden Hund—und so weiter—nennen. (Verträumt:) Eine Frau wie diese hat göttlichen Einblick: sie liebt unsere Seele und nicht unsere Narrheiten und Eitelkeiten und Illusionen, oder unsere Kragen und Röcke, oder die andern Fetzen und Lappen, in die wir gehüllt sind. (Er denkt darüber einen Augenblick nach, dann wendet er sich mit gespannter Erwartung um, Morell zu befragen:) Was ich wissen möchte, ist, wie Sie an dem Flammenschwerte, das mich zurückgeschreckt hat, vorbeigekommen sind!

(Morell bedeutungsvoll:) Vielleicht weil ich nicht nach zehn Minuten unterbrochen wurde.

(Marchbanks verblüfft:) Was?

(Morell.) Der Mensch kann auf die höchsten Gipfel steigen; aber er kann nicht lange dort verweilen.

(Marchbanks.) Das ist falsch. Dort kann er ewig verweilen! nur dort!
Anderswo findet er keine Ruhe und hat keinen Sinn für die stille
Schönheit des Lebens. Wo sollte ich meine seligsten Minuten verleben,
wenn nicht auf den Höhen?

(Morell.) In der Küche, Zwiebeln schneidend und Lampen füllend.

(Marchbanks.) Oder auf der Kanzel, Seelen scheuernd die aus billigem
Ton sind.

(Morell.) Ja, das auch! Dort habe ich meinen goldenen Augenblick geerntet und mit ihm das Recht, um Candidas Liebe zu werben. Ich habe mir diese Stunde nicht erborgt, noch habe ich sie benützt, um das Glück eines andern zu stehlen.

(Marchbanks schreitet ziemlich angewidert dem Kamin zu:) Ich zweifle nicht daran, daß Sie Ihre Verrichtungen so ehrenhaft erfüllt haben, als ob Sie ein Pfund Käse abgewogen hätten. (Er hält vor dem Kamin inne und fügt nachdenklich zu sich selbst, Morell den Rücken kehrend, hinzu:) Ich konnte zu ihr nur als Bettler kommen.

(Morell auffabrend:) Als ein frierender Bettler, der sie um ihren
Schal bat, nicht wahr?

(Marchbanks wendet sich überrascht um:) Ich danke Ihnen, daß Sie sich auf mein Gedicht beziehen. Ja, wenn Sie wollen: als ein frierender Bettler, der sie um ihren Schal bat.

(Morell erregt:) Und sie verweigerte ihn. Soll ich Ihnen sagen, warum sie ihn verweigert hat? Ich kann es Ihnen sagen, mit ihrer eigenen Erlaubnis: weil…

(Marchbanks.) Sie hat ihn nicht verweigert!

(Morell.) Nicht?

(Marchbanks.) Sie bot mir alles, worum ich bat: ihren Schal, ihre Flügel, den Sternenkranz aus ihrem Haar, die Lilien in ihrer Hand, den aufgehenden Mond zu ihren Füßen.

(Morell ihn anpackend:) Heraus mit der Wahrheit, Mensch! Meine Frau ist meine Frau: ich habe genug von Ihrem poetischen Flitterkram,—ich weiß ganz gut, daß kein Gesetz Candida an mich binden würde, wenn ich ihre Liebe an Sie verloren hätte!

(Marchbanks bizarr, ohne Furcht oder Widerstand:) Packen Sie mich nur beim Kragen: sie wird ihn dann wieder in Ordnung bringen wie heute morgen. (Mit stiller Begeisterung:) Ich werde wieder die Berührung ihrer Hände fühlen.

(Morell:) Sie junger Fant, fühlen Sie nicht, wie gefährlich es ist, mir das zu sagen! Oder (mit plötzilicher Befürchtung:) hat Sie irgend etwas kühn gemacht?

(Marchbanks.) Ich fürchte mich jetzt nicht mehr! Ich habe Sie bisher
nie leiden mögen, deshalb bin ich bei Ihren Berührung zusammengezuckt.
Aber heute erkannte ich—als Candida Sie quälites—daß Sie sie lieben.
Seitdem bin ich Ihr Freund! Jetzt können sie mich erwürgen, wenn
Sie wollen!

(Morell ihn loslassend:) Eugen, wenn das keine herzlose Lüge ist—wenn Sie noch einen Funken menschlichen Fühlens haben—so werden Sie mir sagen, was im meiner Abwesenheit vergefallen ist!

(Marchbanks:) Was vorgefallen ist? Nun, das Flamenmenschwere…
(Morell stampft ungeduldig mit dem Fuße;),—also im ganz einfacher
Prosa: ich liebte sie so unendlich, daß ich nichts weiter wünschte als
das Glück, so lieben zu für ich und bevor ich—Zote fang vom höchsten
Grafen der Gefür herunterzutaumente—traten Sie ein.

(Morell (scowen leidend:)) Leidenschaftlichem immer nicht erduldig— immer bleibt ihr noch die ehblines Zweifzig.

(Marchbanks.) Quall und wünsche jetzt nichts mehr als Candidas Glück. (Mit leidenschaftlichem Gefühl:) Oh, Morell, geben wir sie beide auf! Warum soll sie wählen müssen zwischen einem elenden, nervösen kleinen Kranken, wie ich es bin, und einem starrköpfigen Pfarrer wie Sie? Gehen wir auf Pilgerschaft, Sie nach Osten und ich nach Westen, auf der Suche nach einem würdigeren Liebhaber, einem schönen Erzengel mit purpurnen Flügeln.

(Morell.) Papperlapapp, dummes Zeug! Oh, wenn sie verrückt genug wäre, mich Ihretwegen zu verlassen, wer sollte sie beschützen, wer sollte ihr helfen, wer sollte für sie arbeiten, wer ihren Kindern ein Vater sein! (Er setzt sich verstört auf das Sofa, seine Ellbogen auf die Knie gestützt und den Kopf zwischen den geballten Fäusten.)

(Marchbanks schnappt wild mit den Fingern:) Sie stellt nicht solche törichte Fragen: sie braucht jemanden, den sie schützen und behüten, für den sie arbeiten kann, jemanden, der ihr Kinder anvertraut, um sie zu beschützen, ihnen zu helfen und für sie zu arbeiten, einen erwachsenen Menschen, der wieder wie ein kleines Kind geworden ist. Oh, Sie Narr, Sie Narr, Sie dreifacher Narr! Ich bin der Mann, Morell, ich bin der Mann! (Er tanzt aufgeregt herum und schreit:) Sie verstehen nicht, was eine Frau ist,—schicken Sie nach ihr, Morell, schicken Sie nach ihr und lassen Sie sie wählen zwischen—(Die Tür öffnet sich und Candida tritt ein; er hält wie versteinert inne.)

(Candida erstaunt an der Schwelle:) Was um alles in der Welt machen
Sie da, Eugen?

(Marchbanks drollig:) Ihr Mann und ich haben ein Wettpredigen veranstaltet, und er verliert dabei. (Candida sieht rasch nach Morell, und als sie bemerkt, daß er traurig ist, eilt sie hin zu ihm und spricht sehr ärgerlich mit heftigem Vorwurf zu Marchbanks.)

(Candida.) Sie haben ihn geärgert. Nein, das dulde ich nicht, Eugen, hören Sie! (Sie legt ihre Hand auf Morells Schulter und vergißt in ihrem Ärger ganz ihren weiblichen Takt:) Mein Liebling soll nicht geärgert werden, ich werde ihn beschützen.

(Morell sich stolz erhebend:) Beschützen?

(Candida nicht auf ihn achtend, zu Eugen:) Was haben Sie ihm gesagt?

(Marchbanks erschreckt:) Nichts. Ich—

(Candida.) Eugen, nichts?

(Marchbanks jämmerlich:) Ich meine—ich—es tut mir sehr leid, ich werde es nicht wieder tun, gewiß nicht, ich werde ihn in Ruhe lassen.

(Morell empört mit einer angreifenden Bewegung gegen Eugen:) Mich in
Ruhe lassen! Sie junger—

(Candida ihm ins Wort fallend:) Sch, nicht doch! laß mich mit ihm reden, Jakob.

(Marchbanks.) Oh, Sie sind mir doch nicht böse?

(Candida strenge:) O ja, ich bin—sehr böse. Ich hätte nicht übel
Lust, Sie aus dem Hause zu jagen.

(Morell von Candidas Heftigkeit überrascht und durchaus nicht willens, sich vor einem andern Mann durch sie retten zu lassen:) Sachte, Candida, sachte. Ich kann mich schon selbst beschützen.

(Candida ihn streichelnd:) Ja, Lieber, natürlich kannst du das. Aber man darf dich nicht ärgern und quälen.

(Marchbanks beinahe in Tränen, sich nach der Türe wendend:) Ich will gehen.

(Candida.) Oh, Sie brauchen nicht zu gehen, so spät kann ich Sie nicht fortschicken. (Heftig:) Aber schämen Sie sich, schämen Sie sich!

(Marchbanks verzweifelt:) Was habe ich denn getan?

(Candida.) Ich weiß, was Sie getan haben, so genau, als ob ich die ganze Zeit hier gewesen wäre.—Oh, es war unwürdig. Sie sind wie ein kleines Kind, Sie können Ihren Mund nicht halten.

(Marchbanks.) Ich würde lieber zehnfachen Tod erleiden, als Ihnen einen Augenblick Kummer bereiten.

(Candida mit größter Geringschätzung gegen diese Kinderei:) Ihr Tod würde mir viel nützen!

(Morell.) Liebste Candida, dieser Wortwechsel ist kaum am Platz. Es handelt sich um eine Angelegenheit zwischen zwei Männern, und ich bin dazu da, sie beizulegen.

(Candida.) Zwei Männer? Nennst du das einen Mann? (Zu Eugen:) Sie schlimmer junge, Sie!

(Marchbanks wird wunderlich liebevoll und mutig, da er ausgezankt wird:) Wenn ich mich auszanken lassen soll wie ein kleiner Junge, muß ich mich auch wie ein kleiner Junge verteidigen dürfen. Er hat angefangen und er ist größer als ich.

(Candida verliert ein wenig ihre Sicherheit, da sie Morells Würde bedroht sieht:) Das kann nicht wahr sein. (Zu Morell:) Du hast doch nicht angefangen, Jakob, nicht wahr, nein?

(Morell verachtungsvoll:) Nein.

(Marchbanks entrüstet:) Oh!

(Morell zu Eugen:) Sie haben angefangen,—heute früh. (Candida bringt dies sofort in Zusammenhang mit der geheimnisvollen Bemerkung, die Jakob nachmittag machte, als er ihr sagte, daß ihm Eugen am Morgen etwas mitgeteilt habe. Sie sieht ihn mit raschem Verdachte forschend an. Morell fährt fort mit dem Pathos der beleidigten Überlegenheit:) Aber Ihre andere Bemerkung ist richtig. Ich bin gewiß der Größere von uns beiden und, wie ich hoffe, Candida, auch der Stärkere! Es wäre daher besser, du überließest die Sache mir.

(Candida ihn wieder besänftigend:) Ja, Lieber—aber (verwirrt:) ich verstehe das nicht wegen heute morgen.

(Morell ein wenig auffahrend:) Das brauchst du auch nicht zu verstehen, meine Liebe.

(Candida.) Aber, Jakob, ich—(Die Hausglocke läutet:) Oh, wie dumm.
Da kommen sie alle! (Sie geht hinaus, sie einzulassen.)

(Marchbanks läuft zu Morell:) Oh, Morell, ist das nicht schrecklich?
Sie ist böse auf uns, sie haßt mich,—was soll ich tun?

(Morell in seltsamer Verzweiflung, sich in die Haare fahrend:) Eugen, es dreht sich mir alles im Kopf, ich werde gleich zu lachen anfangen. (Er geht in der Mitte des Zimmers auf und ab.)

(Marchbanks folgt ihm ängstlich:) Nein, nein! Dann wird sie glauben, ich hätte Sie hysterisch gemacht. Lachen Sie nicht! (Man hört heftiges Stimmengewirr und Gelächter, das immer näher kommt. Alexander Mill, dessen glänzende Augen und dessen ganzes Benehmen eine ungewohnte angeregte Stimmung verraten, tritt mit Burgess ein, der einen schmierigen und selbstgefälligen Eindruck macht, aber vollständig Herr seiner Sinne ist. Fräulein Garnett folgt ihm mit ihrem schönsten Hut und ihrer besten Jacke, aber obwohl ihre Augen glänzender sind als früher, ist sie sichtlich in besorgter Stimmung. Sie stellt sich mit dem Rücken gegen ihren Schreibmaschinentisch, mit einer Hand sich darauf stützend, mit der anderen sich über die Stirne fahrend, als ob sie etwas müde und schwindlig wäre. Marchbanks verfällt wieder in Schüchternheit und schleicht weg in die Nähe des Fensters, wo Morells Bücher sind.)

(Mill begeistert:) Herr Pastor, ich *muß* Ihnen gratulieren, (seine
Hand fassend:)—was für eine edle, herrliche, von Gott eingehauchte
Ansprache Sie gehalten haben! Sie haben sich selbst übertroffen.

(Burgess.) Ja, das haben Sie, Jakob. Ich bin bis zum letzten Worte wach geblieben,—nicht wahr, Fräulein Garnett?

(Proserpina ungeduldig:) Oh, ich habe Sie nicht beachtet, ich habe mich bemüht, Notizen zu machen. (Sie nimmt ihre Notizen heraus, blickt auf ihr Stenogramm und fängt beinahe zu weinen an.)

(Morell.) Habe ich zu schnell gesprochen, Prossi?

(Proserpina.) Viel zu schnell.—Sie wissen, ich kann nicht mehr als neunzig Worte in der Minute schreiben. (Sie macht ihren Gefühlen Luft, indem sie ihr Notizbuch ärgerlich neben die Maschine wirft, wo sie es am nächsten Morgen bereit haben will.)

(Morell besänftigend:) Nun, nun, das macht ja nichts. Habt ihr alle schon zur Nacht gegessen?

(Mill.) Herr Burgess war so liebenswürdig, uns in's Belgrave
Restaurant zu einem geradezu glänzenden Abendessen einzuladen.

(Burgess mit überschwenglicher Großmut:) O bitte, bitte, Herr Mill. (Bescheiden:) Sie waren mir bei meinem bescheidenen Feste herzlich willkommen.

(Proserpina.) Wir haben Champagner getrunken! Ich hatte noch niemals welchen gekostet. Ich bin ganz schwindlig.

(Morell überrascht:) Ein Champagnersouper! Das war sehr hübsch von
Ihnen. Ist meine Beredsamkeit schuld an dieser Verschwendung?

(Mill mit Pathos:) Ihre Beredsamkeit und Herrn Burgess' Herzensgüte.
(Mit erneutem Gefühlsausbruch:) Was für ein herrlicher Mensch der
Vorsitzende war, Herr Morell; er hat auch mit uns gespeist.

(Morell bedeutungsvoll Burgess anblickend:) So, so, der Vorsitzende! —*jetzt* verstehe ich! (Burgess verbirgt hinter einem Hüsteln ein Lächeln der Zufriedenheit über seine diplomatische Geschicklichkeit und setzt sich an den Kamin. Mill verschränkt die Arme und lehnt sich neben das Büchergestell in einer Stellung, die seine Begeisterung zum Ausdruck bringt. Candida kommt mit Gläsern, Zitronen und heißem Wasser auf einem Tablett herein.)

(Candida.) Wer wünscht etwas Limonade? Sie kennen unsere Hausregel: vollkommene Abstinenz! (Sie stellt das Tablett auf den Tisch, nimmt den Zitronenpresser zur Hand und blickt fragend umher.)

(Morell.) Du bemühst dich umsonst, meine Liebe, sie haben alle
Champagner getrunken, Prossi hat ihr Gelübde gebrochen.

(Candida zu Proserpina:) Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie auch
Champagner getrunken haben?

(Proserpina verstockt:) Ja, das hab' ich; ich bin nur eine Bier-, keine Champagnerabstinenzlerin. Ich mag kein Bier.—Sind Briefe für mich zur Beantwortung da, Herr Pastor?

(Morell.) Nichts mehr für heute.

(Proserpina.) Dann gute Nacht allerseits.

(Mill galant:) Wäre es nicht geraten, daß ich Sie nach Hause begleite,
Fräulein Garnett?

(Proserpina.) Nein, ich danke. Ich würde mich heute nacht niemandem anvertrauen wollen! Hätte ich nur nichts von diesem Zeug getrunken! Sie geht rasch hinaus.

(Burgess empört:) Zeug! Dieses Mädel weiß nicht, was Champagner ist.
Pommery und Greno, zwölf Schilling sechs Pence die Flasche. Zwei
Gläser nacheinander hat sie geleert.

(Morell etwas besorgt:) Gehen Sie, Lexi, und sehen Sie nach ihr!

(Mill beunruhigt:) Aber wenn sie wirklich… bedenken Sie, wenn sie in den Straßen zu singen anfängt oder dergleichen!

(Morell.) Eben darum wäre es besser, Sie brächten sie sicher nach
Hause.

(Candida.) Tun Sie es, Lexi, als guter Kamerad! (Sie reicht ihm die
Hand und schiebt ihn sanft nach der Tür.)

(Mill.) Es ist selbstverständlich meine Pflicht, mit ihr zu gehen.
Ich hoffe aber, es wird nicht nötig gewesen sein. Gute Nacht, Frau
Morell. (Zu den übrigen:) Gute Nacht. (Er geht, Candida schließt die
Tür hinter ihm.)

(Burgess.) Er war selbst ganz aus dem Häuschen in lauter Frömmigkeit nach dem zweiten Glas. Heutzutage können die Leute nicht mehr trinken wie früher. (Den Gegenstand fallen lassend, geht er vom Kamin fort.) Nun, Jakob, es ist Zeit, das Haus zu schließen. Herr Marchbanks, werden Sie mir auf dem Heimwege ein Stückchen das Vergnügen Ihrer Gesellschaft schenken?

(Marchbanks erschrocken:) Ja, es ist besser, ich gehe. (Er eilt nach der Tür, aber Candida stellt sich ihm in den Weg.)

(Candida mit ruhiger Würde:) Sie setzen sich noch, Sie werden noch nicht gehen!

(Marchbanks eingeschüchtert:) Nein,—ich—ich wollte ja auch nicht.
(Er kommt zurück in das Zimmer und setzt sich gehorsam auf das Sofa.)

(Candida.) Herr Marchbanks bleibt heute nacht bei uns, Papa.

(Burgess.) Na, dann sage ich gute Nacht. Auf Wiedersehn, Jakob. (Er schüttelt Morell die Hand und geht hinüber zu Eugen.) Lassen Sie sich ein Nachtlicht an Ihr Bett stellen, Herr Marchbanks, es wird Sie beruhigen, falls Sie in der Nacht einen Anfall Ihres Leidens bekommen sollten! Gute Nacht.

(Marchbanks.) Ich danke Ihnen, es soll geschehn. Gute Nacht, Herr
Burgess. (Sie geben einander die Hände, Burgess geht zur Tür.)

(Candida hält Morell zurück, der Burgess begleiten will:) Bleib' hier, mein Lieber, ich werde Papa seinen Rock anziehen helfen. (Sie geht mit Burgess hinaus.)

(Marchbanks.) Herr Pastor, es wird eine schreckliche Szene geben.
Haben Sie keine Angst?

(Morell.) Nicht die geringste.

(Marchbanks.) Ich habe Sie bisher nie um Ihren Mut beneidet. (Er erhebt sich schüchtern und berührt mit seiner Hand flehend Morells Unterarm:) Stehen Sie mir bei,—wollen Sie?

(Morell schüttelt ihn sanft, aber entschieden ab:) Jeder für sich,
Eugen! Sie—muß nun zwischen uns wählen. (Er gebt beim Eintritt
Candidas auf die andere Seite des Zimmers, Eugen setzt sich mit seinem
besten Benehmen wie ein schuldbewußter Schulknabe auf das Sofa.)

(Candida zwischen den beiden, sich zu Eugen wendend:) Tut es Ihnen leid?

(Marchbanks ernst:) Ja, unendlich.

(Candida.) Gut, dann ist Ihnen verziehen. Nun gehen Sie wie ein braver kleiner Junge zu Bett, ich möchte mit Jakob über Sie sprechen.

(Marchbanks erhebt sich mit größter Bestürzung:) Oh, das kann ich nicht.—Herr Pastor, ich muß hierbleiben. Ich will nicht fortgehen. Sagen Sie es ihr!

(Candida die ihren Verdacht bestätigt sieht:) Was soll er mir sagen? (Seine Augen vermeiden die ihrigen, sie wendet sich um und überträgt ihre Frage stumm auf Morell.)

(Morell wappnet sich für die Katastrophe:) Ich habe ihr nichts zu sagen, ausgenommen—(dabei sinkt seine Stimme zu maßvoller, trauriger Zärtlichkeit herab:) daß sie mein größter Schatz auf Erden ist—wenn sie mir wirklich gehört.

(Candida kalt, verletzt, daß er seinem Rednerinstinkt nachgibt und sie behandelt, als ob sie sich unter den Zuhörern der Gilde von St. Matthäus befände:) Ich bin überzeugt, daß Eugen nicht weniger sagen kann, wenn das alles ist.

(Marchbanks entmutigt:) Morell, sie lacht uns aus.

(Morell auffahrend:) Es gibt da nichts zu lachen. Lachst du uns aus,
Candida?

(Candida mit stillem Ärger:) Eugen ist sehr witzig, ich hoffe, daß ich lachen werde—aber vorläufig fürchte ich, mich ärgern zu müssen. (Sie geht an den Kamin und bleibt dort stehen, ihren Arm auf dem Gesims und ihren Fuß auf dem Gitter, während Eugen sich zu Morell hinstiehlt und ihn beim Arm faßt.)

(Marchbanks flüsternd:) Halten Sie ein, Herr Pastor; sagen wir nichts mehr.

(Morell stößt Eugen fort, ohne ihn eines Blickes zu würdigen:) Ich hoffe, daß du mir nicht drohen willst, Candida.

(Candida mit feierlicher Warnung:) Nimm dich in acht, Jakob!—Eugen, ich habe gewünscht, daß Sie gehen sollen,—gehen Sie oder nicht?

(Morell mit dem Fuße stampfend:) Er wird nicht gehen; ich wünsche, daß er bleibt.

(Marchbanks.) Ich will gehen. Ich tue, was Sie wollen. (Er wendet sich zur Tür.)

(Candida.) Bleiben Sie. (Er gehorcht.) Haben Sie nicht gehört, daß Jakob wünscht, daß Sie bleiben sollen? Jakob ist hier der Herr, wissen Sie das nicht?

(Marchbanks errötend, mit der Wut eines jungen Dichters gegen Tyrannei:)
Was gibt ihm das Recht dazu?

(Candida ruhig:) Sag es ihm, Jakob.

(Morell bestürzt:) Meine Liebe, ich bin mir keines Rechtes bewußt, das mich zum Herrn macht; ich bestehe auf keinem solchen Rechte.

(Candida mit schwerem Vorwurf:) Du weißt es nicht? O Jakob, Jakob!
(Zu Eugen nachdenklich:) Ich wüßte gern, ob Sie das verstehen, Eugen…
Nein, Sie sind zu jung. Nun, ich erlaube Ihnen, zu bleiben und zu
lernen. (Sie geht von Kamin fort und stellt sich zwischen die beiden.)
Also, Jakob, was ist's? Komm und sag' es mir.

(Marchbanks flüstert ihm ängstlich zu:) Sagen Sie ihr lieber nichts.

(Candida.) Bitte!—Heraus damit!

(Morell langsam:) Ich wollte dich sorgfältig vorbereiten, Candida, um jedes Mißverständnis zu vermeiden.

(Candida.) Ja, Lieber, das wolltest du gewiß; aber sei unbesorgt, ich werde nichts mißverstehen.

(Morell.) Nun denn, es—(Er zögert, unfähig, die lange Erklärung zu finden, die er für nötig hält.)

(Candida.) Nun?

(Morell klipp und klar:) Eugen behauptet, daß du ihn liebst.

(Marchbanks außer sich:) Nein, nein, nein, nein, niemals, das habe ich nicht behauptet, Frau Morell, es ist nicht wahr! Ich sagte, daß ich Sie liebe und er nicht. Ich sagte, daß ich Sie verstehe und daß er es nicht kann. Und nicht infolgedessen, was sich hier am Kamin zugetragen hat, habe ich das gesagt,—ganz gewiß nicht, auf mein Wort! schon heute morgen hab' ich es ihm gesagt!

(Candida erleuchtet:) Heute morgen?!

(Marchbanks.) Ja! (Er siebt sie um Glauben bittend an und fügt dann einfach hinzu:) Das war auch der Grund, warum mein Kragen in Unordnung geriet.

(Candida nach einer Pause, weil sie nicht gleich begreift, was er meint:) Ihr Kragen! (Sie wendet sich erschrocken zu Morell, verletzt:) O Jakob, hast du ihn—? (Sie hält inne.)

(Morell beschämt:) Du weißt, Candida, daß ich mit meinem Temperament zu kämpfen habe, und er sagte, (schauernd:) daß du mich verachtest in deinem Herzen.

(Candida wendet sich rasch zu Eugen:) Haben Sie das gesagt?

(Marchbanks geängstigt:) Nein!

(Candida strenge:) Dann hat mich also Jakob eben angelogen. Wollen
Sie das behaupten?

(Marchbanks.) Nein, nein: ich—ich… (herausplatzend mit der verzweifelten Erklärung:)—es war die Rede von Davids Frau, nicht bei ihm zu Hause, sondern als sie ihn tanzen sah vor allen Leuten.

(Morell nimmt diesen Fingerzeig mit der Geschicklichkeit eines Wortkämpfers auf:) Ja, als er vor dem ganzen Volke tanzte, Candida, in der Meinung, daß er ihre Herzen dadurch rührte, während sie nur an Prossis Leiden litten. (Sie ist im Begriff zu protestieren, er winkt ihr mit der Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und fährt fort:) Tue nicht als ob du entrüstet wärest, Candida.

(Candida.) Tun als ob?!

(Morell fortfahrend:) Eugen hatte recht! Wie du mir einige Stunden später klarmachtest, hat er immer recht. Er sagte nichts, was du nicht viel besser selbst gesagt hättest. Er ist der Dichter, der alles sieht; und ich bin der arme Pastor, der nichts versteht.

(Candida reuevoll:) Ärgert dich, was ein närrischer junge gesagt hat, weil ich im Scherz etwas Ähnliches sagte?

(Morell.) Der närrische Junge kann mit der Begeisterung eines Kindes und mit der Verschlagenheit einer Schlange sprechen. Er hat behauptet, daß du ihm gehörst und nicht mir, und, ob mit Recht oder Unrecht, ich beginne zu fürchten, daß es wahr sein könnte. Ich will nicht umhergehen von Zweifeln und Verdächtigungen gequält. Ich will nicht mit dir leben und ein Geheimnis vor dir haben. Ich will nicht die entwürdigende Qual der Eifersucht erdulden. Deshalb haben wir beschlossen—er und ich—daß du jetzt zwischen uns wählen sollst! Ich erwarte deine Entscheidung.

(Candida weicht langsam einen Schritt zurück, verletzt über sein Pathos, trotz des aufrichtigen Gefühls, das sie heraushört:) Oh, ich muß also wählen? Ich nehme an, daß eines vollkommen feststeht: daß ich einem o d e r dem andern gehören muß.

(Morell entschlossen:) Vollkommen; du mußt endgültig wählen.

(Marchbanks ängstlich:) Herr Pastor,—Sie verstehen nicht: sie meint, daß sie sich selbst gehört.

(Candida sich zu ihm wendend:) ja, das meine ich, Junker Eugen, und noch sehr viel mehr, wie Ihr beide sofort herausfinden werdet. Und ich frage, meine Herren und Gebieter, was habt Ihr für meine Wahl zu geben? Es scheint, daß ich versteigert werden soll. Wieviel bietest du, Jakob?

(Modell vorwurfsvoll:) Cand…. (Er bricht zusammen, seine Augen füllen sich mit Tränen, und seine Kehle schnürt sich zu, der Redner wird zu einem verwundeten Tier.) Ich kann nicht sprechen.

(Candida geht impulsiv zu ihm hin:) O Liebster!

(Marchbanks in wildem Aufruhr:) Halten Sie ein, das ist nicht gerecht. Sie dürfen ihr nicht zeigen, daß Sie leiden, Morell.—Ich bin auch auf der Folter, aber ich weine nicht.

(Morell nimmt seine ganze Kraft zusammen:) Ja, Sie haben recht. Es ist nicht Mitleid, worum ich bitte. (Er befreit sich von Candida.)

(Candida zieht sich frostig zurück:) Entschuldige, Jakob, ich hatte nicht die Absicht, dich zu berühren. Ich warte auf dein Angebot.

(Morell mit stolzer Demut:) Ich habe dir nichts zu bieten als meine
Kraft zu deinem Schutze, mein ehrliches Wollen für deine Ruhe, meine
Tüchtigkeit und Arbeit für deinen Unterhalt und mein Ansehen und meine
Stellung für deine Würde. Das ist alles, was einem Manne ansteht,
einer Frau zu bieten.

(Candida ganz ruhig:) Und Sie, Eugen, was bieten Sie?

(Marchbanks.) Meine Schwäche! meine Trostlosigkeit! meine Herzensnot!

(Candida gerührt:) Das ist ein gutes Angebot, Eugen; nun weiß ich, wie ich meine Wahl zu treffen habe. (Sie hält inne und blickt seltsam von einem zum andern, als ob sie beide abschätzte. Morell, dessen hochtmütiges Zutrauen sich in herzzerreißende Angst bei Eugens Gebot verwandelt hat, verliert alle Beherrschung, und kann seine Angst nicht verbergen. Eugen dagegen, mit äußerst angespannter Kraft, zuckt mit keiner Wimper.)

(Morell mit halb erstickter Stimme—ein Hilferuf entringt sich den
Tiefen seiner Verzweiflung:) Candida!

(Marchbanks beiseite mit einem Aufwallen der Verachtung:) Feigling!

(Candida bedeutsam:) Ich gebe mich dem Schwächeren von beiden. (Eugen errät ihre Meinung sofort; sein Gesicht wird weiß wie scbmelzender Stahl.)

(Morell neigt seinen Kopf mit der Ruhe der Gebrochenheit:) Ich nehme deine Entscheidung an, Candida.

(Candida.) Verstehen Sie, Eugen?

(Marchbanks.) Oh, ich fühle, ich bin verloren. Er könnte die Last nicht ertragen!

(Morell ungläubig, hebt seinen Kopf empor, mit prosaischer Stumpfheit:)
Meinst du mich, Candida?

(Candida lächelt ein wenig:) Setzen wir uns und plaudern wir gemütlich darüber wie drei Freunde. (Zu Morell:) Setze dich, mein Lieber. (Morell nimmt den Stuhl vom Kamin—den Kindersessel.) Bringen Sie mir diesen Stuhl, Eugen. (Sie weist auf den Lehnstuhl, er holt ihn schweigend, sogar mit etwas wie kühler Beherrschung und setzt ihn neben Morell, etwas hinter ihn. Sie setzt sich, er geht an das Sofa und läßt sich dort nieder, noch immer schweigsam und unergründlich. Als sie alle sitzen, beginnt Candida,—einen Hauch von Ruhe um sich breitend, mit ihrer sanften, gesunden, zärtlichen Stimme:) Sie erinnern sich doch, was Sie mir über sich selbst erzählten, Eugen: wie sich niemand um Sie gekümmert hat, seit Ihre alte Amme starb. Wie Ihre gescheiten, vornehmen Schwestern und erfolgreichen Brüder die Lieblinge Ihrer Eltern waren, wie elend es Ihnen in Eton erging, wie Ihr Vater Sie durch Entbehrungen zwingen will, nach Oxford zurückzukehren, wie Sie leben mußten ohne Behaglichkeit oder Willkommen, ohne Zufluchtsstätte, immer einsam und fast immer ungern gesehen und mißverstanden! Sie armer Junge!

(Marchbanks der Größe seines Schicksals würdig:) Ich hatte meine
Bücher. Ich hatte die Natur. Und endlich bin ich Ihnen begegnet.

(Candida.) Lassen wir das im Augenblick beiseite. Nun möchte ich, daß Sie sich diesen andern Jungen hier betrachten,—meinen verwöhnten Jungen,—verwöhnt von seiner Wiege an. Einmal alle vierzehn Tage besuchen wir seine Eltern. Da sollten Sie mit uns kommen, Eugen, und die Bilder des Helden dieser Familie sehen. Jakob als Baby, das wundervollste aller Babys! Jakob, als er seinen ersten Schulpreis erhielt, gewonnen im reifen Alter von acht Jahren! Jakob als der Führer seiner Mitschüler beim Cricketspiel! Jakob in seinem ersten schwarzen Anzug! Jakob in allen möglichen ruhmvollen Posen. Sie wissen, wie stark er ist—ich hoffe, er hat Ihnen nicht weh getan—wie gescheit er ist—wie glücklich! (Mit wachsendem Ernst:) Fragen Sie Jakobs Mutter und seine drei Schwestern, was es sie gekostet hat, Jakob die Mühe zu ersparen, irgend etwas zu tun, als stark, gescheit und glücklich zu sein. Fragen Sie mich, was es mich kostet, Jakobs Mutter und seine drei Schwestern und seine Frau und Mutter seiner Kinder—alles in einer Person—zu sein! Fragen Sie Prossi und Marie, wieviel Arbeit das Haus gibt, selbst wenn wir keine Besucher haben, die uns helfen Zwiebeln schneiden. Fragen Sie die Geschäftsleute, die Jakob stören und seine prachtvollen Predigten gefährden wollen, wer es ist, der sie abschüttelt! Wenn Geld zu geben ist, so gibt er es; wenn Geld zu verweigern ist, so verweigere ich es. Ich habe ihm ein Schloß von Behaglichkeit, Nachsicht und Liebe erbaut und stehe immer Schildwache davor, um all den täglichen kleinen Lebenssorgen den Eintritt zu verwehren. Ich mache ihn hier zum Herrn, obwohl er es nicht weiß und Ihnen vor einem Augenblicke nicht sagen konnte, wie er dazu gekommen ist, es zu sein. (Mit süßer Ironie:) Und als er dachte, ich könnte mit Ihnen fortgehen, da war seine einzige Sorge, was aus mir werden würde; und um mich zum Bleiben zu bewegen, bot er mir— (sie neigt sich vor und streicht ihm bei jedem Satze über das Haar) seine Kraft zu meinem Schutze, seine Arbeit für meinen Unterhalt, seine Stellung für meine Würde, seine (zögernd:) ah, ich verwechsle deine wunderschönen Sätze und verderbe sie, nicht wahr, Liebling?

(Morell kniet ganz überwältigt neben ihren Stuhl und umschlingt sie mit knabenhafter Leidenschaft:) Alles ist wahr, jedes Wort. Was ich bin, hast du aus mir gemacht, durch die Arbeit deiner Hände und die Liebe deines Herzens. Du bist mein Weib, meine Mutter, meine Schwester,—du bist die Summe aller Liebessorgen für mich.

(Candida in seinen Armen, lächelnd zu Marchbanks:) Bin ich Ihnen auch
Mutter und Schwester, Eugen?

(Marchbanks erhebt sich mit einer heftigen Bewegung des Ekels:) Oh, niemals! Hinaus denn in die Nacht mit mir!

(Candida erhebt sich rasch und unterbricht ihn:) sie werden nicht so von uns gehn, Eugen!

(Marchbanks mit dem Tonfall eines entschlossenen Mannes, nicht mit der Stimme eines Knaben:) Ich weiß, wann die Stunde geschlagen hat. Ich bin ungeduldig zu tun, was getan werden muß.

(Morell erhebt sich von seinen Knien, beunruhigt:) Candida, laß ihn nichts Übereiltes begehen!

(Candida lächelt Eugen vertrauensvoll an:) Oh, sei unbesorgt, er hat gelernt, ohne Glück zu leben.

(Marchbanks.) Ich ersehne nicht mehr Glück; das Leben kann Höheres bieten. Pastor Jakob, ich gebe Ihnen mein Glück mit beiden Händen hin; ich liebe Sie, weil Sie das Herz der Frau, ganz ausgefüllt haben, die ich liebte. Leben Sie wohl! (Er geht zur Tür.)

(Candida.) Ein letztes Wort. (Er hält inne, aber ohne sich nach ihr umzuwenden.) Wie alt sind Sie, Eugen?

(Marchbanks.) Jetzt bin ich so alt wie die Welt. Heute morgen war ich achtzehn Jahre!

(Candida geht zu ihm hin und steht hinter ihm, eine Hand liebkosend auf seiner Schulter:) Achtzehn… Wollen Sie mir zuliebe ein kleines Gedicht aus zwei Zeilen machen, die ich Ihnen sagen will? Und wollen Sie mir versprechen, sich's immer vorzusagen, so oft Sie an mich denken.

(Marchbanks ohne sich zu rühren:) Sagen Sie die beiden Zeilen.

(Candida.) Wenn ich dreißig sein werde, dann wird sie fünfundvierzig sein; wenn ich sechzig sein werde, dann wird sie fünfundsiebzig sein.

(Marchbanks wendet sich nach ihr um:) In hundert Jahren werden wir gleich alt sein! Aber ich trage ein besseres Geheimnis als das in meinem Herzen! Lassen Sie mich jetzt gehen, die Nacht wächst draußen ungeduldig.

(Candida.) Leben Sie wohl! (Sie nimmt sein Gesicht in die Hände, und da er ihre Absicht errät und sein Knie beugt, küßt sie ihn auf die Stirne, dann flieht er hinaus in die Nacht.—Sie wendet sich zu Morell, mit ausgebreiteten Armen:) O Jakob! (Sie umarmen einander. Aber das Geheimnis in des Dichters Herzen, das kennen sie nicht.)

(Vorhang)

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes CANDIDA, von George Bernard Shaw.