The Project Gutenberg eBook of Minna von Barnhelm

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Title: Minna von Barnhelm

Author: Gotthold Ephraim Lessing

Release date: October 1, 2005 [eBook #9187]
Most recently updated: October 11, 2014

Language: German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MINNA VON BARNHELM ***

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MINNA VON BARNHELM

von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

Die Erstausgabe wurde 1767 bei Christian Friedrich Voß in Berlin herausgegeben.

Inhalt: 1. Akt 2. Akt 3. Akt 4. Akt 5. Akt

1. Akt

1. Szene

(Just sitzet in einem Winkel, schlummert und redet im Traume.)

Just
Schurke von einem Wirte! Du, uns?—Frisch, Bruder!—Schlag zu, Bruder!
(Er holt aus und erwacht durch die Bewegung.) Heda! schon wieder?
Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Hätte er
nur erst die Hälfte von allen den Schlägen!—Doch sieh, es ist Tag!
Ich muß nur bald meinen armen Herrn aufsuchen. Mit meinem Willen soll
er keinen Fuß mehr in das vermaledeite Haus setzen. Wo wird er die
Nacht zugebracht haben?

2. Szene

(Der Wirt. Just.)

Wirt Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so früh auf? Oder soll ich sagen: noch so spät auf?

Just
Sage Er, was Er will.

Wirt
Ich sage nichts als "Guten Morgen"; und das verdient doch wohl, daß
Herr Just "Großen Dank" darauf sagt?

Just
Großen Dank!

Wirt
Man ist verdrießlich, wenn man seine gehörige Ruhe nicht haben kann.
Was gilt's, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat
hier auf ihn gelauert?

Just
Was der Mann nicht alles erraten kann!

Wirt
Ich vermute, ich vermute.

Just (kehrt sich um und will gehen). Sein Diener!

Wirt (hält ihn). Nicht doch, Herr Just!

Just
Nun gut; nicht Sein Diener!

Wirt Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, Daß Er noch von gestern her böse ist? Wer wird seinen Zorn über Nacht behalten?

Just
Ich; und über alle folgende Nächte.

Wirt
Ist das christlich?

Just Ebenso christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hause stoßen, auf die Straße werfen.

Wirt
Pfui, wer könnte so gottlos sein?

Just
Ein christlicher Gastwirt.—Meinen Herrn! so einen Mann! so einen
Offizier!

Wirt Den hätte ich aus dem Hause gestoßen? auf die Straße geworfen? Dazu habe ich viel zu viel Achtung für einen Offizier und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Not ein ander Zimmer einräumen müssen.—Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in die Szene.) Holla!—Ich will's auf andere Weise wiedergutmachen. (Ein Junge kömmt.) Bring ein Gläschen; Herr Just will ein Gläschen haben; und was Gutes!

Just Mache Er sich keine Mühe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden, den—Doch ich will nicht schwören; ich bin noch nüchtern!

Wirt (zu dem Jungen, der eine Flasche Likör und ein Glas bringt). Gib her; geh!—Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund. (Er füllt und reicht ihm zu.) Das kann einen überwachten Magen wieder in Ordnung bringen!

Just
Bald dürfte ich nicht!—Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine
Grobheit entgelten lassen?—(Er nimmt und trinkt.)

Wirt
Wohl bekomm's, Herr Just!

Just (indem er das Gläschen wieder zurückgibt). Nicht übel!—Aber, Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!

Wirt Nicht doch, nicht doch!—Geschwind noch eins; auf einem Beine ist nicht gut stehen.

Just (nachdem er getrunken). Das muß ich sagen: gut, sehr gut!—Selbst gemacht, Herr Wirt?—

Wirt
Behüte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!

Just
Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was
heucheln; aber ich kann nicht; es muß raus:—Er ist doch ein Grobian,
Herr Wirt!

Wirt In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt.—Noch eins, Herr Just; aller guten Dinge sind drei!

Just
Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding!—Aber auch die
Wahrheit ist gut Ding.—Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!

Wirt
Wenn ich es wäre, würde ich das wohl so mit anhören?

Just
O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.

Wirt
Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur hält desto besser.

Just Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's Ihn, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben und so schlechte Mores!— Einem Manne wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von dem Er schon so manchen schönen Taler gezogen, der in seinem Leben keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein paar Monate her nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen läßt—in der Abwesenheit das Zimmer auszuräumen!

Wirt Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraussähe, daß der Herr Major es selbst gutwillig würde geräumt haben, wenn wir nur lange auf seine Zurückkunft hätten warten können? Sollte ich denn so eine fremde Herrschaft wieder von meiner Türe wegfahren lassen? Sollte ich einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, daß sie sonstwo unterkommen wäre. Die Wirtshäuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge, schöne, liebenswürdige Dame auf der Straße bleiben? Dazu ist Sein Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt?

Just
Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars
Feuermauern—

Wirt Die Aussicht war wohl sehr schön, ehe sie der verzweifelte Nachbar verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert—

Just
Gewesen!

Wirt
Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stübchen darneben,
Herr Just; was fehlt dem Stübchen? Es hat einen Kamin, der zwar im
Winter ein wenig raucht—

Just Aber doch im Sommer recht hübsch läßt.—Herr, ich glaube gar, Er vexiert uns noch obendrein?—

Wirt
Nu, nu, Herr Just, Herr Just—

Just
Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder—

Wirt
Ich macht' ihn warm? der Danziger tut's!—

Just Einen Offizier wie meinen Herrn! Oder meint Er, daß ein abgedankter Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals brechen kann? Warum waret ihr im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirte? Warum war denn da jeder Offizier ein würdiger Mann und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das bißchen Friede schon so übermütig?

Wirt
Was ereifert Er sich nun, Herr Just?—

Just
Ich will mich ereifern.—

3. Szene

(v. Tellheim. Der Wirt. Just.)

Tellheim (im Hereintreten). Just!

Just (in der Meinung, daß ihn der Wirt nenne). Just?—So bekannt sind wir?—

Tellheim
Just!

Just
Ich dächte, ich wäre wohl Herr Just für Ihn!

Wirt (der den Major gewahr wird). St! st! Herr, Herr, Herr Just—seh Er sich doch um; Sein Herr—

Tellheim
Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?

Wirt Oh, Ihro Gnaden! zanken? da sei Gott vor! Ihr untertänigster Knecht sollte sich unterstehen, mit einem, der die Gnade hat, Ihnen anzugehören, zu zanken?

Just
Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben dürfte!—

Wirt
Es ist wahr, Herr Just spricht für seinen Herrn, und ein wenig hitzig.
 Aber daran tut er recht; ich schätze ihn um so viel höher; ich liebe
ihn darum.—

Just
Daß ich ihm nicht die Zähne austreten soll!

Wirt Nur schade, daß er sich umsonst erhitzt. Denn ich bin gewiß versichert, daß Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen haben, weil—die Not—mich notwendig—

Tellheim Schon zuviel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie räumen mir in meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie müssen bezahlt werden; ich muß wo anders unterzukommen suchen. Sehr natürlich!—

Wirt Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnädiger Herr? Ich unglücklicher Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muß die Dame das Quartier wieder räumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muß fort; ich kann ihr nicht helfen.—Ich gehe, gnädiger Herr—

Tellheim
Freund, nicht zwei dumme Streiche für einen! Die Dame muß in dem
Besitze des Zimmers bleiben.—

Wirt Und Ihro Gnaden sollten glauben, daß ich aus Mißtrauen, aus Sorge für meine Bezahlung?—Als wenn ich nicht wüßte, daß mich Ihro Gnaden bezahlen können, sobald Sie nur wollen.—Das versiegelte Beutelchen— fünfhundert Taler Louisdor stehet drauf—welches Ihro Gnaden in dem Schreibepulte stehen gehabt—ist in guter Verwahrung.—

Tellheim
Das will ich hoffen; so wie meine übrige Sachen.—Just soll sie in
Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat.—

Wirt Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand.—Ich habe immer Ihro Gnaden für einen ordentlichen und vorsichtigen Mann gehalten, der sich niemals ganz ausgibt.—Aber dennoch—wenn ich bar Geld in dem Schreibepulte vermutet hätte—

Tellheim
Würden Sie höflicher mit mir verfahren sein. Ich verstehe Sie.—Gehen
Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem Bedienten zu
sprechen.—

Wirt
Aber, gnädiger Herr—

Tellheim Komm, Just, der Herr will nicht erlauben, daß ich dir in seinem Hause sage, was du tun sollst.—

Wirt
Ich gehe ja schon, gnädiger Herr!—Mein ganzes Haus ist zu Ihren
Diensten.

4. Szene

(v. Tellheim. Just.)

Just (der mit dem Fuße stampft und dem Wirte nachspuckt). Pfui!

Tellheim
Was gibt's?

Just
Ich ersticke vor Bosheit.

Tellheim
Das wäre soviel als an Vollblütigkeit.

Just Und Sie—Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor Ihren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses hämischen, unbarmherzigen Rackers sind! Trotz Galgen und Schwert und Rad hätte ich ihn—hätte ich ihn mit diesen Händen erdrosseln, mit diesen Zähnen zerreißen wollen.—

Tellheim
Bestie!

Just
Lieber Bestie als so ein Mensch!

Tellheim
Was willst du aber?

Just
Ich will, daß Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie beleidiget.

Tellheim
Und dann?

Just
Daß Sie sich rächten.—Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering.—

Tellheim Sondern, daß ich es dir auftrüge, mich zu rächen? Das war von Anfang mein Gedanke. Er hätte mich nicht wieder mit Augen sehen und seine Bezahlung aus deinen Händen empfangen sollen. Ich weiß, daß du eine Handvoll Geld mit einer ziemlich verächtlichen Miene einem hinwerfen kannst.—

Just
So? eine vortreffliche Rache!—

Tellheim
Aber die wir noch verschieben müssen. Ich habe keinen Heller bares
Geld mehr; ich weiß auch keines aufzutreiben.

Just
Kein bares Geld? Und was ist denn das für ein Beutel mit fünfhundert
Taler Louisdor, den der Wirt in Ihrem Schreibpulte gefunden?

Tellheim
Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.

Just Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister vor vier oder fünf Wochen brachte?

Tellheim
Die nämlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?

Just
Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen können
Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung—

Tellheim
Wahrhaftig?

Just
Werner hörte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an die
Generalkriegskasse aufzieht. Er hörte—

Tellheim Daß ich sicherlich zum Bettler werden würde, wenn ich es nicht schon wäre.—Ich bin dir sehr verbunden, Just.—Und diese Nachricht vermochte Wernern, sein bißchen Armut mit mir zu teilen.—Es ist mir doch lieb, daß ich es erraten habe.—Höre, Just, mache mir zugleich auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute.—

Just
Wie? was?

Tellheim
Kein Wort mehr; es kömmt jemand.—

5. Szene

(Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Just.)

Dame
Ich bitte um Verzeihung, mein Herr!—

Tellheim
Wen suchen Sie, Madame?—

Dame
Eben den würdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen.
Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres ehemaligen
Stabsrittmeisters—

Tellheim
Um des Himmels willen, gnädige Frau! welche Veränderung!—

Dame
Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz über den
Verlust meines Mannes warf. Ich muß Ihnen früh beschwerlich fallen,
Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben
auch nicht glückliche Freundin eine Zuflucht vors erste angeboten.—

Tellheim (zu Just). Geh, laß uns allein.—

6. Szene

(Die Dame. v. Tellheim.)

Tellheim Reden Sie frei, gnädige Frau! Vor mir dürfen Sie sich Ihres Unglücks nicht schämen. Kann ich Ihnen worin dienen?

Dame
Mein Herr Major—

Tellheim Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer karg mit diesem Titel.

Dame Wer weiß es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie würden sein letzter Gedanke, Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, hätte nicht die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht für seinen unglücklichen Sohn, für seine unglückliche Gattin gefordert—

Tellheim Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Tränen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten wäre, wider die Vorsicht zu murren.—O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnädige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich es bin—

Dame Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift einzulösen.—

Tellheim
Wie, gnädige Frau? darum kommen Sie?

Dame
Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld aufzähle.

Tellheim
Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein.
Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.)
Ich finde nichts.

Dame Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut nichts zur Sache.—Erlauben Sie—

Tellheim Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis, daß ich nie eine gehabt habe, oder daß sie getilgt und von mir schon zurückgegeben worden.

Dame
Herr Major!—

Tellheim Ganz gewiß, gnädige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig gebleiben. Ich wüßte mich auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals etwas schuldig gewesen wäre. Nicht anders, Madame; er hat mich vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun können, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glück und Unglück, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht vergessen, daß ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein, sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich jetzt selbst befinde—

Dame
Edelmütiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein!
Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget.—

Tellheim Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung, daß mir dieses Geld nicht gehöret? Oder wollen Sie, daß ich die unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame; das würde es in dem eigentlichsten Verstande sein. Ihm gehört es, für ihn legen Sie es an!—

Dame Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiß, wie man Wohltaten annehmen muß. Woher wissen es denn aber auch Sie, daß eine Mutter mehr für ihren Sohn tut, als sie für ihr eigen Leben tun würde? Ich gehe—

Tellheim Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie glücklich! Ich bitte Sie nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie möchte mir zu einer Zeit kommen, wo ich sie nicht nutzen könnte. Aber noch eines, gnädige Frau; bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fordern. Seine Forderungen sind so richtig wie die meinigen. Werden meine bezahlt, so müssen auch die seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafür.—

Dame
Oh! Mein Herr—Aber ich schweige lieber.—Künftige Wohltaten so
vorbereiten, heißt sie in den Augen des Himmels schon erwiesen haben.
Empfangen Sie seine Belohnung und meine Tränen! (Geht ab.)

7. Szene

(v. Tellheim.)

Tellheim
Armes, braves Weib! Ich muß nicht vergessen, den Bettel zu vernichten.
(Er nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er zerreißt.)
Wer steht mir dafür, daß eigner Mangel mich nicht einmal verleiten
könnte, Gebrauch davon zu machen?

8. Szene

(Just. v. Tellheim.)

Tellheim
Bist du da?

Just (indem er sich die Augen wischt). Ja!

Tellheim
Du hast geweint?

Just Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die Küche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!

Tellheim
Gib her.

Just
Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich Weiß wohl, daß die
Menschen mit Ihnen keine haben, aber—

Tellheim
Was willst du?

Just
Ich hätte mir ehr den Tod als meinen Abschied vermutet.

Tellheim Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß mich ohne Bedienten behelfen lernen. (Schlägt die Rechnung auf und lieset.) "Was der Herr Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses an Kleinigkeiten ausgelegt 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Taler 7 Gr. 9 Pf."— Gut, und es ist billig, daß ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.

Just
Die andere Seite, Herr Major—

Tellheim Noch mehr? (Lieset.) Was dem Herrn Major ich schuldig: An den Feldscher für mich bezahlt 25 Taler. Für Wartung und Pflege während meiner Kur für mich bezahlt 39 Taler. Meinem abgebrannten und geplünderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa Summarum 114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Taler 7 Gr. 9 Pf., bleibe dem Herrn Major schuldig 91 Taler 16 Gr. 3 Pf."—Kerl, du bist toll!—

Just Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste. Aber es wäre verlorne Tinte, es dazuzuschreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe—so wollte ich lieber, Sie hätten mich in dem Lazarette krepieren lassen.

Tellheim Wofür siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben sollst als bei mir.

Just
Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstoßen?

Tellheim
Weil ich dir nichts schuldig werden will.

Just Darum? nur darum?—So gewiß ich Ihnen schuldig bin, so gewiß Sie mir nichts schuldig werden können, so gewiß sollen Sie mich nun nicht verstoßen.—Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei Ihnen; ich muß bei Ihnen bleiben.—

Tellheim Und deine Hartnäckigkeit, dein Trotz, dein wildes, ungestümes Wesen gegen alle, von denen du meinest, daß sie dir nichts zu sagen haben, deine tückische Schadenfreude, deine Rachsucht—

Just Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen Winter ging ich in der Dämmerung an dem Kanale und hörte etwas winseln. Ich stieg herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein Kind zu retten, und zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte ich. Der Pudel kam mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn fort, umsonst; ich prügelte ihn von mir, umsonst. Ich ließ ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Türe auf der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stieß ich ihn mit dem Fuße; er schrie, sahe mich an und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brot aus meiner Hand bekommen, und doch bin ich der einzige, dem er hört, und der ihn anrühren darf. Er springt vor mir her und macht mir seine Künste unbefohlen vor. Es ist ein häßlicher Pudel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn er es länger treibt, so höre ich endlich auf, den Pudeln gram zu sein.

Tellheim (beiseite). So wie ich ihm! Nein, es gibt keine völligen Unmenschen! —Just, wir bleiben beisammen.

Just Ganz gewiß!—Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergessen Ihrer Blessuren und daß Sie nur eines Armes mächtig sind. Sie können sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unentbehrlich; und bin— ohne mich selbst zu rühmen, Herr Major—und bin ein Bedienter, der— wenn das Schlimmste zum Schlimmen kömmt—für seinen Herrn betteln und stehlen kann.

Tellheim
Just, wir bleiben nicht beisammen.

Just
Schon gut!

9. Szene

(Ein Bedienter. v. Tellheim. Just.)

Bediente
Bst! Kamerad!

Just
Was gibt's?

Bediente
Kann Er mir nicht den Offizier nachweisen, der gestern noch in diesem
Zimmer (auf eines an der Seite zeigend, von welcher er herkömmt)
gewohnt hat?

Just
Das dürfte ich leicht können. Was bringt Er ihm?

Bediente
Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: ein Kompliment. Meine
Herrschaft hört, daß er durch sie verdrängt worden. Meine Herrschaft
weiß zu leben, und ich soll ihn deshalb um Verzeihung bitten.

Just
Nun, so bitte Er ihn um Verzeihung; da steht er.

Bediente
Was ist er? Wie nennt man ihn?

Tellheim Mein Freund, ich habe Euern Auftrag schon gehört. Es ist eine überflüssige Höflichkeit von Eurer Herrschaft, die ich erkenne, wie ich soll. Macht ihr meinen Empfehl.—Wie heißt Eure Herrschaft?—

Bediente
Wie sie heißt? Sie läßt sich gnädiges Fräulein heißen.

Tellheim
Und ihr Familienname?

Bediente Den habe ich noch nicht gehört, und darnach zu fragen, ist meine Sache nicht. Ich richte mich so ein, daß ich meistenteils alle sechs Wochen eine neue Herrschaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen!—

Just
Bravo, Kamerad!

Bediente Zu dieser bin ich erst vor wenig Tagen in Dresden gekommen. Sie sucht, glaube ich, hier ihren Bräutigam.—

Tellheim Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrschaft wollte ich wissen, aber nicht ihre Geheimnisse. Geht nur!

Bediente
Kamerad, das wäre kein Herr für mich!

10. Szene

(v. Tellheim. Just.)

Tellheim Mache, Just, mache, daß wir aus diesem Hause kommen! Die Höflichkeit der fremden Dame ist mir empfindlicher als die Grobheit des Wirts. Hier, nimm diesen Ring, die einzige Kostbarkeit, die mir übrig ist, von der ich nie geglaubt hätte, einen solchen Gebrauch zu machen!— Versetze ihn! Laß dir achtzig Friedrichsdor darauf geben; die Rechnung des Wirts kann keine dreißig betragen. Bezahle ihn und räume meine Sachen—Ja, wohin?—Wohin du willst. Der wohlfeilste Gasthof der beste. Du sollst mich hier nebenan auf dem Kaffeehause treffen. Ich gehe, mache deine Sache gut.—

Just
Sorgen Sie nicht, Herr Major!—

Tellheim (kömmt wieder zurück). Vor allen Dingen, daß meine Pistolen, die hinter dem Bette gehangen, nicht vergessen werden.

Just
Ich will nichts vergessen.

Tellheim (kömmt nochmals zurück). Noch eins: nimm mir auch deinen Pudel mit; hörst du, Just!—

11. Szene

(Just)

Just Der Pudel wird nicht zurückbleiben. Dafür laß ich den Pudel sorgen.— Hm! Auch den kostbaren Ring hat der Herr noch gehabt? Und trug ihn in der Tasche, anstatt am Finger?—Guter Wirt, wir sind so kahl noch nicht, als wir scheinen. Bei ihm, bei ihm selbst will ich dich versetzen, schönes Ringelchen! Ich weiß, er ärgert sich, daß du in seinem Hause nicht ganz sollst verzehrt werden!—Ah—

12. Szene

(Paul Werner. Just.)

Just
Sieh da, Werner! guten Tag, Werner! willkommen in der Stadt!

Werner
Das verwünschte Dorf! Ich kann's unmöglich wieder gewohne werden.
Lustig, Kinder, lustig; ich bringe frisches Geld! Wo ist der Major?

Just
Er muß dir begegnet sein; er ging eben die Treppe herab.

Werner Ich komme die Hintertreppe herauf. Nun, wie geht's ihm? Ich wäre schon vorige Woche bei euch gewesen, aber—

Just
Nun? was hat dich abgehalten?—

Werner
—Just—hast du von dem Prinzen Heraklius gehört?

Just
Heraklius? Ich wüßte nicht.

Werner
Kennst du den großen Helden im Morgenlande nicht?

Just
Die Weisen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr mit dem
Sterne herumlaufen.—

Werner Mensch, ich glaube, du liesest ebensowenig die Zeitungen als die Bibel?—Du kennst den Prinzen Heraklius nicht? den braven Mann nicht, der Persien weggenommen und nächster Tage die Ottomanische Pforte einsprengen wird? Gott sei Dank, daß doch noch irgendwo in der Welt Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder losgehen. Aber da sitzen sie und heilen sich die Haut. Nein, Soldat war ich, Soldat muß ich wieder sein! Kurz—(indem er sich schüchtern umsieht, ob ihn jemand behorcht) im Vertrauen, Just, ich wandere nach Persien, um unter Sr. Königlichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein paar Feldzüge wider den Türken zu machen.

Just
Du?

Werner Ich, wie du mich hier siehst! Unsere Vorfahren zogen fleißig wider den Türken, und das sollten wir noch tun, wenn wir ehrliche Kerls und gute Christen wären. Freilich begreife ich wohl, daß ein Feldzug wider den Türken nicht halb so lustig sein kann, als einer wider den Franzosen; aber dafür muß er auch desto verdienstlicher sein, in diesem und in jenem Leben. Die Türken haben dir alle Säbels, mit Diamanten besetzt—

Just
Um mir von so einem Säbel den Kopf spalten zu lassen, reise ich nicht
eine Meile. Du wirst doch nicht toll sein und dein schönes
Schulzengerichte verlasen?—

Werner
Oh, das nehme ich mit!—Merkst du was?—Das Gütchen ist verkauft—

Just
Verkauft?

Werner St!—hier sind hundert Dukaten, die ich gestern auf den Kauf bekommen; die bring ich dem Major—

Just
Und was soll der damit?

Werner Was er damit soll? Verzehren soll er sie, verspielen, vertrinken, ver—, wie er will. Der Mann muß Geld haben, und es ist schlecht genug, daß man ihm das Seinige so sauer macht! Aber ich wüßte schon, was ich täte, wenn ich an seiner Stelle wäre! Ich dächte: hol euch hier alle der Henker, und ginge mit Paul Wernern, nach Persien!—Blitz!—Der Prinz Heraklius muß ja wohl von dem Major Tellheim gehört haben, wenn er auch schon seinen gewesenen Wachtmeister, Paul Wernern, nicht kennt. Unsere Affäre bei den Katzenhäusern—

Just
Soll ich dir die erzählen?—

Werner Du mir?—Ich merke wohl, daß eine schöne Disposition über deinen Verstand geht. Ich will meine Perlen nicht vor die Säue werfen.—Da nimm die hundert Dukaten; gib sie dem Major. Sage ihm, er soll mir auch die aufheben. Ich muß jetzt auf den Markt; ich habe zwei Winspel Roggen hereingeschickt; was ich daraus löse, kann er gleichfalls haben. —

Just
Werner, du meinest es herzlich gut; aber wir mögen dein Geld nicht.
Behalte deine Dukaten, und deine hundert Pistolen kannst du auch
unversehrt wiederbekommen, sobald als du willst.—

Werner
So? Hat denn der Major noch Geld?

Just
Nein.

Werner
Hat er sich wo welches geborgt?

Just
Nein.

Werner
Und wovon lebt ihr denn?

Just Wir lassen anschreiben, und wenn man nicht mehr anschreiben will und uns zum Hause hinauswirft, so versetzen wir, was wir noch haben, und ziehen weiter.—Höre nur, Paul; dem Wirte hier müssen wir einen Possen spielen.

Werner
Hat er dem Major was in den Weg gelegt?—Ich bin dabei!—

Just Wie wär's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie kömmt, aufpaßten und ihn brav durchprügelten?—

Werner
Des Abends?—aufpaßten?—ihre zwei, einem?—Das ist nichts.—

Just
Oder wenn wir ihm das Haus über dem Kopf ansteckten?—

Werner Sengen und brennen?—Kerl, man hört's, daß du Packknecht gewesen bist und nicht Soldat—pfui!

Just Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar verdammt häßlich—

Werner Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?

Just
Komm nur, du sollst dein Wunder hören!

Werner
So ist der Teufel wohl hier gar los?

Just
Jawohl; komm nur!

Werner
Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!

2. Akt

1. Szene

(Die Szene ist in dem Zimmer des Fräuleins.) (Minna von Barnhelm.
Franziska.)

Fräulein (im Negligé, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch sehr früh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.

Franziska Wer kann denn in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals— das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger wäre als zur Ruhe. —Eine Tasse Tee, gnädiges Fräulein?—

Fräulein
Der Tee schmeckt mir nicht.—

Franziska
Ich will von unserer Schokolade machen lassen.

Fräulein
Laß machen, für dich!

Franziska Für mich? Ich wollte ebensogern für mich allein plaudern als für mich allein trinken.—Freilich wird uns die Zeit so lang werden.—Wir werden vor langer Weile uns putzen müssen und das Kleid versuchen, in welchem wir den ersten Sturm geben wollen.

Fräulein
Was redest du von Stürmen, da ich bloß herkomme, die Haltung der
Kapitulation zu fordern?

Franziska Und der Herr Offizier, den wir vertrieben, und dem wir das Kompliment darüber machen lassen; er muß auch nicht die feinste Lebensart haben; sonst hätte er wohl um die Ehre können bitten lassen, uns seine Aufwartung machen zu dürfen.—

Fräulein Es sind nicht alle Offiziere Tellheims. Die Wahrheit zu sagen, ich ließ ihm das Kompliment auch bloß machen, um Gelegenheit zu haben, mich nach diesem bei ihm zu erkundigen.—Franziska, mein Herz sagt es mir, daß meine Reise glücklich sein wird, daß ich ihn finden werde.—

Franziska Das Herz, gnädiges Fräulein? Man traue doch ja seinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul ebenso geneigt wäre, nach dem Herzen zu reden, so wäre die Mode längst aufgekommen, die Mäuler unterm Schlosse zu tragen.

Fräulein Ha! ha! Mit deinen Mäulern unterm Schlosse! Die Mode wäre mir eben recht!

Franziska
Lieber die schönsten Zähne nicht gezeigt, als alle Augenblicke das
Herz darüber springen lassen!

Fräulein
Was? Bist du so zurückhaltend?—

Franziska Nein, gnädiges Fräulein, sondern ich wollte es gern mehr sein. Man spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto öftrer von der, die uns fehlt.

Fräulein
Siehst du, Franziska? Da hast du eine sehr gute Anmerkung gemacht.—

Franziska
Gemacht? Macht man das, was einem so einfällt?—

Fräulein Und weißt du, warum ich eigentlich diese Anmerkung so gut finde? Sie hat viel Beziehung auf meinen Tellheim.

Franziska
Was hätte bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?

Fräulein Freund und Feind sagen, daß er der tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hören? Er hat das rechtschaffenste Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.

Franziska
Von was für Tugenden spricht er denn?

Fräulein
Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.

Franziska
Das wollte ich nur hören.

Fräulein
Warte, Franziska, ich besinne mich. Er spricht sehr oft von Ökonomie.
Im Vertrauen, Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.

Franziska Noch eins, gnädiges Fräulein. Ich habe ihn auch sehr oft der Treue und Beständigkeit gegen Sie erwähnen hören. Wie, wenn der Herr auch ein Flattergeist wäre?

Fräulein
Du Unglückliche!—Aber meinest du das im Ernste, Franziska?

Franziska
Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht geschrieben?

Fräulein
Ach! seit dem Frieden hat er mir nur ein einziges Mal geschrieben.

Franziska Auch ein Seufzer wider den Frieden! Wunderbar! Der Friede sollte nur das Böse wieder gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerrüttet auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht sein!—Und wie lange haben wir schon Friede? Die Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig Neuigkeiten gibt.—Umsonst gehen die Posten wieder richtig; niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.

Fräulein
"Es ist Friede", schrieb er mir, "und ich nähere mich der Erfüllung
meiner Wünsche." Aber daß er mir dieses nur einmal, nur ein einziges
Mal geschrieben—

Franziska Daß er uns zwingt, dieser Erfüllung der Wünsche selbst entgegenzueilen: finden wir ihn nur, das soll er uns entgelten!—Wenn indes der Mann doch Wünsche erfüllt hätte, und wir erführen hier—

Fräulein (ängstlich und hitzig). Daß er tot wäre?

Franziska
Für Sie, gnädiges Fräulein, in den Armen einer andern.—

Fräulein Du Quälgeist! Warte, Franziska, er soll dir es gedenken!—Doch schwatze nur; sonst schlafen wir wieder ein.—Sein Regiment ward nach dem Frieden zerrissen. Wer weiß, in welche Verwirrung von Rechnungen und Nachweisungen er dadurch geraten? Wer weiß, zu welchem andern Regimente, in welche entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiß, welche Umstände—Es pocht jemand.

Franziska
Herein!

2. Szene

(Der Wirt. Die Vorigen.)

Wirt (den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt, meine gnädige Herrschaft?—

Franziska
Unser Herr Wirt?—Nur vollends herein.

Wirt (mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und ein Schreibezeug in der Hand). Ich komme, gnädiges Fräulein, Ihnen einen untertänigen guten Morgen zu wünschen—(zur Franziska) und auch Ihr, mein schönes Kind—

Franziska
Ein höflicher Mann!

Fräulein
Wir bedanken uns.

Franziska
Und wünschen Ihm auch einen guten Morgen.

Wirt Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden diese erste Nacht unter meinem schlechten Dache geruhet?—

Franziska Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten hätten besser sein können.

Wirt
Was höre ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, daß die gar zu große
Ermüdung von der Reise—

Fräulein
Es kann sein.

Wirt
Gewiß, gewiß! denn sonst—Indes sollte etwas nicht vollkommen nach
Ihro Gnaden Bequemlichket gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu
befehlen.

Franziska Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht blöde; und am wenigsten muß man im Gasthofe blöde sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern hätten.

Wirt Hiernächst komme ich zugleich—(indem er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht).

Franziska
Nun?—

Wirt
Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer
Polizei.

Fräulein
Nicht im geringsten, Herr Wirt—

Wirt
Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts
er auch sei, vierundzwanzig Stunden zu behausen, ohne seinen Namen,
Heimat, Charakter, hiesige Geschäfte, vermutliche Dauer des
Aufenthalts und so weiter gehörigen Orts schriftlich einzureichen.

Fräulein
Sehr wohl.

Wirt Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen—(indem er an einen Tisch tritt und sich fertig macht zu schreiben).

Fräulein
Sehr gern—Ich heiße—

Wirt
Einen kleinen Augenblick Geduld!—(Er schreibt.) "Dato, den 22.
August a.c. allhier zum Könige von Spanien angelangt"—Nun Dero Namen,
gnädiges Fräulein?

Fräulein
Das Fräulein von Barnhelm.

Wirt (schreibt). "von Barnhelm"—Kommend? woher, gnädiges Fräulein?

Fräulein
Von meinen Gütern aus Sachsen.

Wirt (schreibt). "Gütern aus Sachsen"—Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen, gnädiges Fräulein? aus Sachsen?

Franziska
Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Sünde, aus
Sachsen zu sein?

Wirt Eine Sünde? Behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde!—Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen!—Aber wo mir recht ist, gnädiges Fräulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere—wie soll ich es nennen?—Distrikte, Provinzen.—Unsere Polizei ist sehr exakt, gnädiges Fräulein.—

Fräulein
Ich verstehe: von meinen Gütern aus Thüringen also.

Wirt
Aus Thüringen! Ja, das ist besser, gnädiges Fräulein, das ist genauer.
—(Schreibt und liest.) "Das Fräulein von Barnhelm, kommend von ihren
Gütern aus Thüringen, nebst einer Kammerfrau und zwei Bedienten"—

Franziska
Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?

Wirt
Ja, mein schönes Kind.—

Franziska Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau Kammerjungfer.—Ich höre, die Polizei ist sehr exakt; es möchte ein Mißverständnis geben, welches mir bei meinem Aufgebote einmal Händel machen könnte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer und heiße Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig; Franziska Willig. Ich bin auch aus Thüringen. Mein Vater war Müller auf einem von den Gütern des gnädigen Fräuleins. Es heißt Klein-Rammsdorf. Die Mühle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf den Hof und ward mit dem gnädigen Fräulein erzogen. Wir sind von einem Alter, künftige Lichtmess einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnädige Fräulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht kennt.

Wirt
Gut, mein schönes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage merken.
—Aber nunmehr, gnädiges Fräulein, Dero Verrichtungen allhier?—

Fräulein
Meine Verrichtungen?

Wirt
Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Königs Majestät?

Fräulein
O nein!

Wirt
Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?

Fräulein
Auch nicht.

Wirt
Oder—

Fräulein
Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.

Wirt
Ganz wohl, gnädiges Fräulein, aber wie nennen sich diese eigne
Angelegenheiten?

Fräulein
Sie nennen sich—Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.

Franziska
Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines
Frauenzimmers zu wissen verlangen?

Wirt Allerdings, mein schönes Kind: die Polizei will alles, alles wissen; und besonders Geheimnisse.

Franziska
Ja nun, gnädiges Fräulein; was ist zu tun?—So hören Sie nur, Herr
Wirt—aber daß es ja unter uns und der Polizei bleibt!—

Fräulein
Was wird ihm die Närrin sagen?

Franziska
Wir kommen, dem Könige einen Offizier wegzukapern—

Wirt
Wie? was? Mein Kind! mein Kind!—

Franziska
Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.

Fräulein Franziska, bist du toll?—Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten. —

Wirt Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei—

Fräulein Wissen Sie was, Herr Wirt?—Ich weiß mich in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich dächte, Sie ließen die ganze Schreiberei bis auf die Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglückte zwei Meilen von hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, daß mich dieser Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich mußte also voran. Wenn er vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das längste.

Wirt
Nun ja, gnädiges Fräulein, so wollen wir ihn erwarten.

Fräulein Er wird auf Ihre Fragen besser antworten können. Er wird wissen, wem und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschäften anzeigen muß und was er davon verschweigen darf.

Wirt Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Mädchen (die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen, daß es eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft traktiere—

Fräulein
Und die Zimmer für ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?

Wirt
Völlig, gnädiges Fräulein, völlig; bis auf das eine—

Franziska Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben müssen?

Wirt Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnädiges Fräulein, sind wohl sehr mitleidig.—

Fräulein Doch, Herr Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber hätten Sie uns nicht einnehmen sollen.

Wirt
Wieso, gnädiges Fräulein, wieso?

Fräulein
Ich höre, daß der Offizier, welcher durch uns verdrängt worden—

Wirt
Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnädiges Fräulein.—

Fräulein
Wenn schon!—

Wirt
Mit dem es zu Ende geht.—

Fräulein
Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.

Wirt
Ich sage Ihnen ja, daß er abgedankt ist.

Fräulein
Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen.

Wirt
O gewiß, er kennt sie, er kennt sie alle.—

Fräulein
So kann er sie nicht alle belohnen.

Wirt Sie wären alle belohnt, wenn sie darnach gelebt hätten. Aber so lebten die Herren während des Krieges, als ob ewig Krieg bleiben würde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben sein würde. Jetzt liegen alle Wirtshäuser und Gasthöfe von ihnen voll, und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in acht zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so ziemlich weggekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch noch Geldeswert, und zwei, drei Monate hätte ich ihn freilich noch ruhig können sitzen lassen. Doch besser ist besser.—Apropos, gnädiges Fräulein; Sie verstehen sich doch auf Juwelen?—

Fräulein
Nicht sonderlich.

Wirt Was sollten Ihro Gnaden nicht?—Ich muß Ihnen einen Ring zeigen, einen kostbaren Ring. Zwar gnädiges Fräulein haben da auch einen sehr schönen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muß ich mich wundern, daß er dem meinigen so ähnlich ist.—Oh! sehen Sie doch, sehen Sie doch! (Indem er ihn aus dem Futteral herausnimmt und dem Fräulein zureicht.) Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein wiegt über fünf Karat.

Fräulein (ihn betrachtend). Wo bin ich? Was seh ich? Dieser Ring—

Wirt
Ist seine fünfzehnhundert Taler unter Brüdern wert.

Fräulein
Franziska!—Sieh doch!—

Wirt Ich habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Pistolen darauf zu leihen.

Fräulein
Erkennst du ihn nicht, Franziska?

Franziska
Der nämliche!—Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her?—

Wirt
Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?

Franziska
Wir kein Recht an diesem Ringe?—Inwärts auf dem Kasten muß des
Fräuleins verzogener Name stehn.—Weisen Sie doch, Fräulein.

Fräulein
Er ist's er ist's!—Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?

Wirt Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt.—Gnädiges Fräulein, gnädiges Fräulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Unglück bringen wollen? Was weiß ich, wo sich der Ring eigentlich herschreibt? Während des Krieges hat manches seinen Herrn sehr oft, mit und ohne Vorbewußt des Herrn, verändert. Und Krieg war Krieg. Es werden mehr Ringe aus Sachsen über die Grenze gegangen sein.—Geben Sie mir ihn wieder, gnädiges Fräulein, geben Sie mir ihn wieder!

Franziska
Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?

Wirt Von einem Manne, dem ich so was nicht zutrauen kann, von einem sonst guten Manne—

Fräulein
Von dem besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem
Eigentümer haben.—Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es
selbst, oder wenigstens muß er ihn kennen.

Wirt
Wer denn? wen denn, gnädiges Fräulein?

Franziska
Hören Sie denn nicht? unsern Major.

Wirt Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt hat, und von dem ich ihn habe.

Fräulein
Major von Tellheim.

Wirt
Von Tellheim, ja! Kennen Sie ihn?

Fräulein Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er? er hat in diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen schuldig?—Franziska, die Schatulle her! Schließ auf! (Indem sie Franziska auf den Tisch setzet und öffnet.) Was ist er Ihnen schuldig? Wem ist er mehr schuldig? Bringen Sie mir alle seine Schuldner. Hier ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!

Wirt
Was höre ich?

Fräulein
Wo ist er? wo ist er?

Wirt
Noch vor einer Stunde war er hier.

Fräulein Häßlicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so hart, so grausam sein?

Wirt
Ihro Gnaden verzeihen—

Fräulein
Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur Stelle.

Wirt Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, daß er ihn aufsuchen soll?

Fräulein Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; für diesen Dienst allein will ich es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind.—

Franziska
Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! (Stößt ihn heraus.)

3. Szene

(Das Fräulein. Franziska)

Fräulein Nun habe ich ihn wieder, Franziska! Siehst du, nun habe ich ihn wieder! Ich weiß nicht, wo ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit, liebe Franziska. Aber freilich, warum du? Doch du sollst dich, du mußt dich mit mir freuen. Komm, Liebe, ich will dich beschenken, damit du dich mit mir freuen kannst. Sprich, Franziska, was soll ich dir geben? Was steht dir von meinen Sachen an? Was hättest du gern? Nimm, was du willst, aber freue dich nur. Ich sehe wohl, du wirst dir nichts nehmen. Warte! (sie faßt in die Schatulle) da, liebe Franziska (und gibt ihr Geld), kaufe dir, was du gern hättest. Fordere mehr, wenn es nicht zulangt. Aber freue dich nur mit mir. Es ist so traurig, sich allein zu freuen. Nun, so nimm doch—

Franziska Ich stehle es Ihnen, Fräulein; Sie sind trunken, von Fröhlichkeit trunken.—

Fräulein Mädchen, ich habe einen zänkischen Rausch, nimm oder—(Sie zwingt ihr das Geld in die Hand.) Und wenn du dich bedankest!—Warte; gut, daß ich daran denke. (Sie greift nochmals in die Schatulle nach Geld.) Das, liebe Franziska, stecke beiseite, für den ersten blessierten armen Soldaten, der uns anspricht.—

4. Szene

(Der Wirt. Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein
Nun? Wird er kommen?

Wirt
Der widerwärtige, ungeschliffene Kerl!

Fräulein
Wer?

Wirt
Sein Bedienter. Er weigert sich, nach ihm zu gehen.

Franziska Bringen Sie doch den Schurken her.—Des Majors Bediente kenne ich ja wohl alle. Welcher wäre denn das?

Fräulein
Bringen Sie ihn geschwind her. Wenn er uns sieht, wird er schon gehen.
(Der Wirt geht ab.)

5. Szene

(Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein Ich kann den Augenblick nicht erwarten. Aber, Franziska, du bist noch immer so kalt? Du willst dich noch nicht mit mir freuen?

Franziska
Ich wollte von Herzen gern, wenn nur—

Fräulein
Wenn nur?

Franziska Wir haben den Mann wiedergefunden; aber wie haben wir ihn wiedergefunden? Nach allem, was wir von ihm hören, muß es ihm übel gehn. Er muß unglücklich sein, das jammert mich.

Fräulein Jammert dich?—Laß dich dafür umarmen, meine liebste Gespielin! das will ich dir nie vergessen!—Ich bin nur verliebt, und du bist gut.—

6. Szene

(Der Wirt. Just. Die Vorigen.)

Wirt
Mit genauer Not bring ich ihn.

Franziska
Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.

Fräulein
Mein Freund, ist Er bei dem Major von Tellheim?

Just
Ja.

Fräulein
Wo ist Sein Herr?

Just
Nicht hier.

Fräulein
Aber Er weiß ihn zu finden?

Just
Ja.

Fräulein
Will Er ihn nicht geschwind herholen?

Just
Nein.

Fräulein
Er erweiset mir damit einen Gefallen.—

Just
Ei!

Fräulein
Und Seinem Herrn einen Dienst.—

Just
Vielleicht auch nicht.—

Fräulein
Woher vermutet Er das?

Just Sie sind doch die fremde Herrschaft, die ihn schon diesen Morgen komplimentieren lassen?

Fräulein
Ja.

Just
So bin ich schon recht.

Fräulein
Weiß Sein Herr meinen Namen?

Just Nein; aber er kann die allzu höflichen Damen ebensowenig leiden als die allzu groben Wirte.

Wirt
Das soll wohl mit auf mich gehn?

Just
Ja.

Wirt So laß Er es doch dem gnädigen Fräulein nicht entgelten, und hole Er ihn geschwind her.

Fräulein (leise zur Franziska). Franziska, gib ihm etwas—

Franziska (die dem Just Geld in die Hand drücken will). Wir verlangen Seine Dienste nicht umsonst.—

Just
Und ich Ihr Geld nicht ohne Dienste.

Franziska
Eines für das andere.

Just Ich kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuräumen. Das tu ich jetzt, und daran bitte ich, mich nicht weiter zu verhindern. Wenn ich fertig bin, so will ich es ihm ja wohl sagen, daß er herkommen kann. Er ist nebenan auf dem Kaffeehause; und wenn er da nichts Bessers zu tun findet, wird er auch wohl kommen. (Will fortgehen.)

Franziska
So warte Er doch.—Das gnädige Fräulein ist des Herrn Majors—
Schwester.—

Fräulein
Ja, ja, seine Schwester.

Just
Das weiß ich besser, daß der Major keine Schwestern hat. Er hat mich
in sechs Monaten zweimal an seine Familie nach Kurland geschickt.—
Zwar es gibt mancherlei Schwestern—

Franziska
Unverschämter!

Just Muß man es nicht sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen? (Geht ab.)

Franziska
Das ist ein Schlingel!

Wirt Ich sagt' es ja. Aber lassen Sie ihn nur! Weiß ich doch nunmehr, wo sein Herr ist. Ich will ihn gleich selbst holen.—Nur, gnädiges Fräulein, bitte ich untertänigst, sodann ja mich bei dem Herrn Major zu entschuldigen, daß ich so unglücklich gewesen, wider meinen Willen einen Mann von seinen Verdiensten—

Fräulein Gehen Sie nur geschwind, Herr Wirt. Das will ich alles wieder gutmachen. (Der Wirt geht ab und hierauf) Franziska, lauf ihm nach: er soll ihm meinen Namen nicht nennen! (Franziska, dem Wirte nach.)

7. Szene

(Das Fräulein und hierauf Franziska)

Fräulein Ich habe ihn wieder!—Bin ich allein?—Ich will nicht umsonst allein sein.(Sie faltet die Hände.) Auch bin ich nicht allein! (Und blickt aufwärts.) Ein einziger dankbarer Gedanke gen Himmel ist das willkommenste Gebet!—Ich hab ihn, ich hab ihn! (Mit ausgebreiteten Armen.) Ich bin glücklich! und fröhlich! Was kann der Schöpfer lieber sehen als ein fröhliches Geschöpf!—(Franziska kömmt.) Bist du wieder da, Franziska?—Er jammert dich? Mich jammert er nicht. Unglück ist auch gut. Vielleicht, daß ihm der Himmel alles nahm, um ihm in mir alles wiederzugeben!

Franziska Er kann den Augenblick hier sein.—Sie sind noch in Ihrem Neglige, gnädiges Fräulein. Wie, wenn Sie sich geschwind ankleideten?

Fräulein Geh! ich bitte dich. Er wird mich von nun an öftrer so als geputzt sehen.

Franziska
Oh, Sie kennen sich, mein Fräulein.

Fräulein (nach einem kurzen Nachdenken). Wahrhaftig, Mädchen, du hast es wiederum getroffen.

Franziska
Wenn wir schön sind, sind wir ungeputzt am schönsten.

Fräulein Müssen wir denn schön sein?—Aber daß wir uns schön glauben, war vielleicht notwendig.—Nein, wenn ich ihm, ihm nur schön bin!— Franziska, wenn alle Mädchens so sind, wie ich mich jetzt fühle, so sind wir—sonderbare Dinger.—Zärtlich und stolz, tugendhaft und eitel, wollüstig und fromm—Du wirst mich nicht verstehen. Ich verstehe mich wohl selbst nicht.—Die Freude macht drehend, wirblicht.—

Franziska
Fassen Sie sich, mein Fräulein; ich höre kommen—

Fräulein
Mich fassen? Ich sollte ihn ruhig empfangen?

8. Szene

(v. Tellheim. Der Wirt. Die Vorigen.)

Tellheim (tritt herein, und indem er sie erblickt, flieht er auf sie zu). Ah! meine Minna!—

Fräulein (ihm entgegenfliehend). Ah! mein Tellheim!—

Tellheim (stutzt auf einmal und tritt wieder zurück). Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein—das Fräulein von Barnhelm hier zu finden—

Fräulein Kann Ihnen doch so gar unerwartet nicht sein?—(Indem sie ihm näher tritt und er mehr zurückweicht.) Verzeihen? Ich soll Ihnen verzeihen, daß ich noch Ihre Minna bin? Verzeih' Ihnen der Himmel, daß ich noch das Fräulein von Barnhelm bin!—

Tellheim
Gnädiges Fräulein—(Sieht starr auf den Wirt und zuckt die Schultern.)

Fräulein (wird den Wirt gewahr und winkt der Franziska). Mein Herr—

Tellheim
Wenn wir uns beiderseits nicht irren—Franziska. Je, Herr Wirt, wen
bringen Sie uns denn da? Geschwind, kommen Sie, lassen Sie uns den
Rechten suchen.

Wirt
Ist es nicht der Rechte? Ei ja doch!

Franziska Ei nicht doch! Geschwind, kommen Sie; ich habe Ihrer Jungfer Tochter noch keinen guten Morgen gesagt.

Wirt
Oh! viel Ehre—(Doch ohne von der Stelle zu gehn.)

Franziska (faßt ihn an). Kommen Sie, wir wollen den Küchenzettel machen.— Lassen Sie sehen, was wir haben werden—

Wirt
Sie sollen haben, vors erste—

Franziska
Still, ja stille! Wenn das Fräulein jetzt schon weiß, was sie zu
Mittag speisen soll, so ist es um ihren Appetit geschehen. Kommen Sie,
das müssen Sie mir allein sagen. (Führet ihn mit Gewalt ab.)

9. Szene

(v. Tellheim. Das Fräulein)

Fräulein
Nun? irren wir uns noch?

Tellheim
Daß es der Himmel wollte!—Aber es gibt nur eine, und Sie sind es.—

Fräulein
Welche Umstände! Was wir uns zu sagen haben, kann jedermann hören.

Tellheim
Sie hier? Was suchen Sie hier, gnädiges Fräulein?

Fräulein Nichts suche ich mehr. (Mit offnen Armen auf ihn zugehend.) Alles, was ich suchte, habe ich gefunden.

Tellheim (zurückweichend). Sie suchten einen glücklichen, einen Ihrer Liebe würdigen Mann, und finden—einen Elenden.

Fräulein
So lieben Sie mich nicht mehr?—Und lieben eine andere?

Tellheim
Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fräulein, der eine andere nach
Ihnen lieben kann.

Fräulein Sie reißen nur einen Stachel aus meiner Seele.—Wenn ich Ihr Herz verloren habe, was liegt daran, ob mich Gleichgültigkeit oder mächtigere Reize darum gebracht?—Sie lieben mich nicht mehr: und lieben auch keine andere?—Unglücklicher Mann, wenn Sie gar nichts lieben!—

Tellheim Recht, gnädiges Fräulein; der Unglückliche muß gar nichts lieben. Er verdient sein Unglück, wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu erhalten weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die, welche er liebt, an seinem Unglück Anteil nehmen dürfen.—Wie schwer ist dieser Sieg!—Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen: was für Mühe habe ich angewandt! Eben wollte ich anfangen zu hoffen, daß diese Mühe nicht ewig vergebens sein würde:—und Sie erscheinen, mein Fräulein!—

Fräulein
Versteh ich Sie recht?—Halten Sie, mein Herr; lassen Sie sehen, wo
wir sind, ehe wir uns weiter verirren!—Wollen Sie mir die einzige
Frage beantworten?

Tellheim
Jede, mein Fräulein—

Fräulein Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit nichts als einem trockenen Ja oder Nein?

Tellheim
Ich will es—wenn ich kann.

Fräulein Sie können es.—Gut: ohngeachtet der Mühe, die Sie angewendet, mich zu vergessen—lieben Sie mich noch, Tellheim?

Tellheim
Mein Fräulein, diese Frage—

Fräulein
Sie haben versprochen, mit nichts als Ja oder Nein zu antworten.

Tellheim
Und hinzugesetzt: wenn ich kann.

Fräulein
Sie können; Sie müssen wissen, was in Ihrem Herzen vorgeht.—Lieben
Sie mich noch, Tellheim?—Ja oder Nein.

Tellheim
Wenn mein Herz—

Fräulein
Ja oder Nein!

Tellheim
Nun, Ja!

Fräulein
Ja?

Tellheim
Ja, ja!—Allein—

Fräulein Geduld!—Sie lieben mich noch: genug für mich.—In was für einen Ton bin ich mit Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer, ansteckender Ton.—Ich nehme den meinigen wieder an.—Nun, mein lieber Unglücklicher, Sie lieben mich noch und haben Ihre Minna noch und sind unglücklich? Hören Sie doch, was Ihre Minna für ein eingebildetes, albernes Ding war—ist. Sie ließ, sie laßt sich träumen, Ihr ganzes Glück sei sie.—Geschwind, kramen Sie Ihr Unglück aus. Sie mag versuchen, wieviel sie dessen aufwiegt.—Nun?

Tellheim
Mein Fräulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.

Fräulein Sehr wohl. Ich wüßte auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse kalte, nachlässige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem Unglücke zu sprechen—

Tellheim
Die im Grunde doch auch geprahlt und geklagt ist.

Fräulein Oh, mein Rechthaber, so hätten Sie sich auch gar nicht unglücklich nennen sollen.—Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus.— Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen befiehlt?—Ich bin eine große Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit.—Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.

Tellheim Wohl denn; so hören Sie, mein Fräulein.—Sie nennen mich Tellheim; der Name trifft ein.—Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in Ihrem Vaterlande gekannt haben; der blühende Mann, voller Ansprüche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen Körpers, seiner ganzen Seele mächtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des Glückes eröffnet standen, der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er schon Ihrer noch nicht würdig war, täglich würdiger zu werden hoffen durfte.—Dieser Tellheim bin ich ebensowenig, als ich mein Vater bin. Beide sind gewesen.—Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner Ehre Gekränkte, der Krüppel, der Bettler.—Jenem, mein Fräulein, versprachen Sie sich: wollen Sie diesem Wort halten?—

Fräulein Das klingt sehr tragisch!—Doch, mein Herr, bis ich jenen wiederfinde— in die Tellheims bin ich nun einmal vernarret—, dieser wird mir schon aus der Not helfen müssen.—Deine Hand, lieber Bettler! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)

Tellheim (der die andere Hand mit dem Hute vor das Gesicht schlägt und sich von ihr abwendet). Das ist zu viel!—Wo bin ich?—Lassen Sie mich, Fräulein! Ihre Güte foltert mich!—Lassen Sie mich.

Fräulein
Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?

Tellheim
Von Ihnen!—

Fräulein
Von mir? (Indem sie seine Hand an ihre Brust zieht.) Träumer!

Tellheim
Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Füßen werfen.

Fräulein
Von mir?

Tellheim Von Ihnen.—Sie nie, nie wiederzusehen.—Oder doch so entschlossen, so fest entschlossen—keine Niederträchtigkeit zu begehen—Sie keine Unbesonnenheit begehen zu lasen.—Lassen Sie mich, Minna! (Reißt sich los und ab.)

Fräulein (ihm nach). Minna Sie lasen? Tellheim! Tellheim!

3. Akt

1. Szene

(Die Szene: Der Saal.) (Just, einen Brief in der Hand)

Just Muß ich doch noch einmal in das verdammte Haus kommen!—Ein Briefchen von meinem Herrn an das gnädige Fräulein, das seine Schwester sein will.—Wenn sich nur da nichts anspinnt!—Sonst wird des Brieftragens kein Ende werden.—Ich wär es gern los, aber ich möchte auch nicht gern ins Zimmer hinein.—Das Frauenszeug fragt so viel, und ich antworte so ungern!—Ha, die Türe geht auf. Wie gewünscht! das Kammerkätzchen!

2. Szene

(Franziska. Just)

Franziska (zur Türe herein, aus der sie kömmt). Sorgen Sie nicht; ich will schon aufpassen.—Sieh! (indem sie Justen gewahr wird) da stieße mir ja gleich was auf. Aber mit dem Vieh ist nichts anzufangen.

Just
Ihr Diener, Jungfer—

Franziska
Ich wollte so einen Diener nicht—

Just
Nu, nu, verzeih Sie mir die Redensart!—Da bring ich ein Briefchen von
meinem Herrn an Ihre Herrschaft, das gnädige Fräulein—Schwester.—
War's nicht so? Schwester.

Franziska
Geb Er her! (Reißt ihm den Brief aus der Hand.)

Just
Sie soll so gut sein, läßt mein Herr bitten, und es übergeben.
Hernach soll Sie so gut sein, läßt mein Herr bitten—daß Sie nicht
etwa denkt, ich bitte was!—

Franziska
Nun denn?

Just Mein Herr versteht den Rummel. Er weiß, daß der Weg zu den Fräuleins durch die Kammermädchen geht:—bild ich mir ein!—Die Jungfer soll also so gut sein—läßt mein Herr bitten—und ihm sagen lassen, ob er nicht das Vergnügen haben könnte, die Jungfer auf ein Viertelstündchen zu sprechen.

Franziska
Mich?

Just
Verzeih Sie mir, wenn ich Ihr einen unrechten Titel gebe.—Ja, Sie!—
Nur auf ein Viertelstündchen; aber allein, ganz allein, insgeheim,
unter vier Augen. Er hätte Ihr was sehr Notwendiges zu sagen.

Franziska Gut! ich habe ihm auch viel zu sagen.—Er kann nur kommen, ich werde zu seinem Befehle sein.

Just
Aber, wenn kann er kommen? Wenn ist es Ihr am gelegensten, Jungfer?
So in der Dämmerung?—

Franziska Wie meint Er das?—Sein Herr kann kommen, wenn er will—und damit packe Er sich nur!

Just
Herzlich gern! (Will fortgehen.)

Franziska
Hör Er doch; noch auf ein Wort.—Wo sind denn die andern Bedienten des
Majors?

Just
Die andern? Dahin, dorthin, überallhin.

Franziska
Wo ist Wilhelm?

Just
Der Kammerdiener? den läßt der Major reisen.

Franziska
So? Und Philipp, wo ist der?

Just
Der Jäger? den hat der Herr aufzuheben gegeben.

Franziska
Weil er jetzt keine Jagd hat, ohne Zweifel.—Aber Martin?

Just
Der Kutscher? der ist weggeritten.

Franziska
Und Fritz?

Just
Der Läufer? der ist avanciert.

Franziska Wo war Er denn, als der Major bei uns in Thüringen im Winterquartiere stand? Er war wohl noch nicht bei ihm?

Just
O ja, ich war Reitknecht bei ihm, aber ich lag im Lazarett.

Franziska
Reitknecht? Und jetzt is Er?

Just
Alles in allem; Kammerdiener und Jäger, Läufer und Reitknecht.

Franziska Das muß ich gestehen! So viele gute, tüchtige Leute von sich zu lassen und gerade den Allerschlechtesten zu behalten! Ich möchte doch wissen, was Sein Herr an Ihm fände!

Just
Vielleicht findet er, daß ich ein ehrlicher Kerl bin.

Franziska Oh, man ist auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts ist als ehrlich.—Wilhelm war ein andrer Mensch—Reisen läßt ihn der Herr?

Just
Ja, er läßt ihn—da er's nicht hindern kann.

Franziska
Wie?

Just
Oh, Wilhelm wird sich alle Ehre auf seinen Reisen machen. Er hat des
Herrn ganze Garderobe mit.

Franziska
Was? Er ist doch nicht damit durchgegangen?

Just Das kann man nun eben nicht sagen; sondern als wir von Nürnberg weggingen, ist er uns nur nicht damit nachgekommen.

Franziska
Oh, der Spitzbube!

Just Es war ein ganzer Mensch! Er konnte frisieren und rasieren und parlieren—und scharmieren—Nicht wahr?

Franziska Sonach hätte ich den Jäger nicht von mir getan, wenn ich wie der Major gewesen wäre. Konnte er ihn schon nicht als Jäger nützen, so war es doch sonst ein tüchtiger Bursche.—Wem hat er ihn denn aufzuheben gegeben?

Just
Dem Kommandanten von Spandau.

Franziska Der Festung? Die Jagd auf den Wällen kann doch da auch nicht groß sein.

Just
Oh, Philipp jagt auch da nicht.

Franziska
Was tut er denn?

Just
Er karrt.

Franziska
Er karrt?

Just
Aber nur auf drei Jahr. Er machte ein kleines Komplott unter des
Herrn Kompanie und wollte sechs Mann durch die Vorposten bringen.—

Franziska
Ich erstaune, der Bösewicht!

Just
Oh, es ist ein tüchtiger Kerl! Ein Jäger, der funfzig Meilen in der
Runde durch Wälder und Moräste alle Fußsteige, alle Schleifwege kennt.
 Und schießen kann er!

Franziska
Gut, daß der Major nur noch den braven Kutscher hat!

Just
Hat er ihn noch?

Franziska Ich denke, Er sagte, Martin wäre weggeritten? So wird er doch wohl wiederkommen?

Just
Meint Sie?

Franziska
Wo ist er denn hingeritten?

Just Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit des Herrn einzigem und letztem Reitpferde—nach der Schwemme.

Franziska
Und ist noch nicht wieder da? Oh, der Galgenstrick!

Just Die Schwemme kann den braven Kutscher auch wohl verschwemmt haben!—Es war gar ein rechter Kutscher! Er hatte in Wien zehn Jahre gefahren. So einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die Pferde im vollen Rennen waren, so durfte er nur machen: "Burr!" und auf einmal standen sie wie die Mauern. Dabei war er ein ausgelernter Roßarzt!

Franziska
Nun ist mir für das Avancement des Läufers bange.

Just Nein, nein, damit hat's seine Richtigkeit. Er ist Trommelschläger bei einem Garnisonregimente geworden.

Franziska
Dacht ich's doch!

Just Fritz hing sich an ein liederliches Mensch, kam des Nachts niemals nach Hause, machte auf des Herrn Namen überall Schulden und tausend infame Streiche. Kurz, der Major sahe, daß er mit aller Gewalt höher wollte: (das Hängen pantomimisch anzeigend) er brachte ihn also auf guten Weg.

Franziska
Oh, der Bube!

Just Aber ein perfekter Läufer ist er, das ist gewiß. Wenn ihm der Herr funfzig Schritte vorgab, so konnte er ihn mit seinem besten Renner nicht einholen. Fritz hingegen kann dem Galgen tausend Schritte vorgeben und, ich wette mein Leben, er holt ihn ein.—Es waren wohl alles Ihre guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm und der Philipp, der Martin und der Fritz?—Nun, Just empfiehlt sich! (Geht ab.)

3. Szene

(Franziska und hernach der Wirt.)

Franziska (die ihm ernsthaft nachsieht). Ich verdiene den Biß!—Ich bedanke mich, Just. Ich setzte die Ehrlichkeit zu tief herab. Ich will die Lehre nicht vergessen.—Ah! der unglückliche Mann! (Kehrt sich um und will nach dem Zimmer des Fräuleins gehen, indem der Wirt kömmt.)

Wirt
Warte Sie doch, mein schönes Kind.

Franziska
Ich habe jetzt nicht Zeit, Herr Wirt—

Wirt
Nun ein kleines Augenblickchen!—Noch keine Nachricht weiter von dem
Herrn Major? Das konnte doch unmöglich sein Abschied sein!—

Franziska
Was denn?

Wirt Hat es Ihr das gnädige Fräulein nicht erzählt?—Als ich Sie, mein schönes Kind, unten in der Küche verließ, so kam ich von ungefähr wieder hier in den Saal—

Franziska
Von ungefähr, in der Absicht, ein wenig zu horchen.

Wirt Ei, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirte läßt nichts übler als Neugierde.—Ich war nicht lange hier, so prellte auf einmal die Türe bei dem gnädigen Fräulein auf. Der Major stürzte heraus, das Fräulein ihm nach, beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung—so was läßt sich nur sehen. Sie ergriff ihn, er riß sich los, sie ergriff ihn wieder. "Tellheim!"—Fräulein, lassen Sie mich!"—"Wohin?"—So zog er sie bis an die Treppe. Mir war schon bange, er würde sie mit herabreißen. Aber er wand sich noch los. Das Fräulein blieb an der obersten Schwelle stehn, sah ihm nach, rief ihm nach, rang die Hände. Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale hin und wider. Hier stand ich, hier ging sie dreimal bei mir vorbei, ohne mich zu sehen. Endlich war es, als ob sie mich sähe, aber, Gott sei bei uns! ich glaube, das Fräulein sahe mich für Sie an, mein Kind. "Franziska", rief sie, die Augen auf mich gerichtet, "bin ich nun glücklich?" Darauf sahe sie steif an die Decke und wiederum: "Bin ich nun glücklich?" Darauf wischte sie sich Tränen aus dem Auge und lächelte und fragte mich wiederum: "Franziska, bin ich nun glücklich?"—Wahrhaftig, ich wußte nicht, wie mir war. Bis sie nach ihrer Türe lief, da kehrte sie sich nochmals nach mir um: "So komm doch, Franziska; wer jammert dich nun?"—Und damit hinein.

Franziska
Oh, Herr Wirt, das hat Ihnen geträumt.

Wirt
Geträumt? Nein, mein schönes Kind, so umständlich träumt man nicht.—
Ja, ich wollte wieviel drum geben—ich bin nicht neugierig—aber ich
wollte wieviel drum geben, wenn ich den Schlüssel dazu hätte.

Franziska Den Schlüssel? zu unsrer Türe? Herr Wirt, der steckt innerhalb; wir haben ihn zur Nacht hereingezogen; wir sind furchtsam.

Wirt
Nicht so einen Schlüssel; ich will sagen, mein schönes Kind, den
Schlüssel, die Auslegung gleichsam, so den eigentlichen Zusammenhang
von dem, was ich gesehen.—

Franziska
Ja so!—Nun, adieu, Herr Wirt. Werden wir bald essen, Herr Wirt?

Wirt
Mein schönes Kind, nicht zu vergessen, was ich eigentlich sagen wollte.

Franziska
Nun? aber nur kurz—

Wirt
Das gnädige Fräulein hat noch meinen Ring; ich nenne ihn meinen—

Franziska
Er soll Ihnen unverloren sein.

Wirt Ich trage darum auch keine Sorge; ich will's nur erinnern, sieht Sie, ich will ihn gar nicht einmal wiederhaben. Ich kann mir doch wohl an den Fingern abzählen, woher sie den Ring kannte, und woher er dem ihrigen so ähnlich sah. Er ist in ihren Händen am besten aufgehoben. Ich mag ihn gar nicht mehr und will indes die hundert Pistolen, die ich darauf gegeben habe, auf des gnädigen Fräuleins Rechnung setzen. Nicht so recht, mein schönes Kind?

4. Szene

(Paul Werner. Der Wirt. Franziska.)

Werner
Da ist er ja!

Franziska
Hundert Pistolen? Ich meinte, nur achtzig.

Wirt
Es ist wahr, nur neunzig, nur neunzig. Das will ich tun, mein schönes
Kind, das will ich tun.

Franziska
Alles das wird sich finden, Herr Wirt.

Werner (der ihnen hinterwärts näher kömmt und auf einmal der Franziska auf die Schulter klopft). Frauenzimmerchen! Frauenzimmerchen!

Franziska (erschrickt). He!

Werner Erschrecke Sie nicht!—Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, ich sehe, Sie ist hübsch und ist wohl gar fremd—Und hübsche fremde Leute müssen gewarnet werden—Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, nehm Sie sich vor dem Manne in acht! (Auf den Wirt zeigend.)

Wirt Je, unvermutete Freude! Herr Paul Werner! Willkommen bei uns, willkommen!—Ah, es ist doch immer noch der lustige, spaßhafte, ehrliche Werner!—Sie soll sich vor mir in acht nehmen, mein schönes Kind! Ha, ha, ha!

Werner
Geh Sie ihm überall aus dem Wege!

Wirt Mir! mir!—Bin ich denn so gefährlich?—Ha, ha, ha! Hör' Sie doch, mein schönes Kind! Wie gefällt Ihr der Spaß?

Werner
Daß es doch immer Seinesgleichen für Spaß erklären, wenn man ihnen die
Wahrheit sagt.

Wirt Die Wahrheit! ha, ha, ha!—Nicht wahr, mein schönes Kind, immer besser! Der Mann kann spaßen! Ich gefährlich?—ich?—So vor zwanzig Jahren war was dran. Ja, ja, mein schönes Kind, da war ich gefährlich; da wußte manche davon zu sagen; aber jetzt—

Werner
Oh, über den alten Narrn!

Wirt
Da steckt's eben! Wenn wir alt werden, ist es mit unsrer
Gefährlichkeit aus. Es wird Ihm auch nicht besser gehen, Herr Werner!

Werner Potz Geck und kein Ende!—Frauenzimmerchen, so viel Verstand wird Sie mir wohl zutrauen, daß ich von der Gefährlichkeit nicht rede. Der eine Teufel hat ihn verlassen, aber es sind dafür sieben andre in ihn gefahren—

Wirt Oh, hör Sie doch, hör Sie doch! Wie er das nun wieder so herumzubringen weiß!—Spaß über Spaß und immer was Neues! Oh, es ist ein vortrefflicher Mann, der Herr Paul Werner!—(Zur Franziska, als ins Ohr.) Ein wohlhabender Mann und noch ledig. Er hat drei Meilen von hier ein schönes Freischulzengerichte. Der hat Beute gemacht im Kriege!—Und ist Wachtmeister bei unserm Herrn Major gewesen. Oh, das ist ein Freund von unserm Herrn Major! das ist ein Freund! der sich für ihn totschlagen ließe!—

Werner Ja! und das ist ein Freund von meinem Major! das ist ein Freund!— den der Major sollte totschlagen lassen.

Wirt
Wie? was?—Nein, Herr Werner, das ist nicht guter Spaß.—Ich kein
Freund vom Herrn Major?—Nein, den Spaß versteh ich nicht.

Werner
Just hat mir schöne Dinge erzählt.

Wirt Just? Ich dacht's wohl, daß Just durch Sie spräche. Just ist ein böser, garstiger Mensch. Aber hier ist ein schönes Kind zur Stelle; das kann reden; das mag sagen, ob ich kein Freund von dem Herrn Major bin? Ob ich ihm keine Dienste erwiesen habe? Und warum sollte ich nicht sein Freund sein? Ist er nicht ein verdienter Mann? Es ist wahr, er hat das Unglück gehabt, abgedankt zu werden: aber was tut das? Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen, und wenn er sie auch alle kennte, so kann er sie nicht alle belohnen.

Werner Das heißt Ihn Gott sprechen!—Aber Just—freilich ist an Justen auch nicht viel Besonders, doch ein Lügner ist Just nicht; und wenn das wahr wäre, was er mir gesagt hat—

Wirt Ich will von Justen nichts hören! Wie gesagt: das schöne Kind hier mag sprechen! (Zu ihr ins Ohr.) Sie weiß, mein Kind, den Ring!— Erzähl' Sie es doch Herrn Wernern. Da wird er mich besser kennenlernen. Und damit es nicht herauskömmt, als ob Sie mir nur zu Gefallen rede, so will ich nicht einmal dabei sein. Ich will nicht dabei sein; ich will gehn; aber Sie sollen mir es wiedersagen, Herr Werner, Sie sollen mir es wiedersagen, ob Just nicht ein garstiger Verleumder ist.

5. Szene

(Paul Werner. Franziska)

Werner
Frauenzimmerchen, kennt Sie denn meinen Major?

Franziska
Den Major von Tellheim? Jawohl kenn ich den braven Mann.

Werner
Ist es nicht ein braver Mann? Ist Sie dem Manne wohl gut?—

Franziska
Vom Grund meines Herzens.

Werner Wahrhaftig? Sieht Sie, Frauenzimmerchen; nun kömmt Sie mir noch einmal so schön vor.—Aber was sind denn das für Dienste, die der Wirt unserm Major will erwiesen haben?

Franziska Ich wüßte eben nicht; es wäre denn, daß er sich das Gute zuschreiben wollte, welches glücklicherweise aus seinem schurkischen Betragen entstanden.

Werner So wäre es ja wahr, was mir Just gesagt hat?—(Gegen die Seite, wo der Wirt abgegangen.) Dein Glück, daß du gegangen bist!—Er hat ihm wirklich die Zimmer ausgeräumt?—So einem Manne so einen Streich zu spielen, weil sich das Eselsgehirn einbildet, daß der Mann kein Geld mehr habe! Der Major kein Geld?

Franziska
So? Hat der Major Geld?

Werner Wie Heu! Er weiß nicht, wieviel er hat. Er weiß nicht, wer ihm alles schuldig ist. Ich bin ihm selber schuldig und bringe ihm hier ein altes Restchen. Sieht Sie, Frauenzimmerchen, hier in diesem Beutelchen (das er aus der einen Tasche zieht) sind hundert Louisdor und in diesem Röllchen (das er aus der andern zieht) hundert Dukaten. Alles sein Geld!

Franziska Wahrhaftig? Aber warum versetzt denn der Major? Er hat ja einen Ring versetzt—

Werner Versetzt! Glaub Sie doch so was nicht. Vielleicht, daß er den Bettel hat gern wollen los sein.

Franziska Es ist kein Bettel! Es ist ein sehr kostbarer Ring, den er wohl noch dazu von lieben Händen hat.

Werner Das wird's auch sein. Von lieben Händen; ja, ja! So was erinnert einen manchmal, woran man nicht gern erinnert sein will. Drum schafft man's aus den Augen.

Franziska
Wie?

Werner Dem Soldaten geht's in Winterquartieren wunderlich. Da hat er nichts zu tun und pflegt sich und macht vor langer Weile Bekanntschaften, die er nur auf den Winter meinet und die das gute Herz, mit dem er sie macht, für zeitlebens annimmt. Husch ist ihm denn ein Ringelchen an den Finger praktiziert; er weiß selbst nicht, wie es dran kömmt. Und nicht selten gäb' er gern den Finger mit drum, wenn er es nur wieder loswerden könnte.

Franziska
Ei! und sollte es dem Major auch so gegangen sein?

Werner Ganz gewiß. Besonders in Sachsen; wenn er zehn Finger an jeder Hand gehabt hätte, er hätte sie alle zwanzig voller Ringe gekriegt.

Franziska (beiseite). Das klingt ja ganz besonders und verdient untersucht zu werden.—Herr Freischulze oder Herr Wachmeister—

Werner Frauenzimmerchen, wenn's Ihr nichts verschlägt:—Herr Wachtmeister, höre ich am liebsten.

Franziska Nun, Herr Wachtmeister, hier habe ich ein Briefchen von dem Herrn Major an meine Herrschaft. Ich will es nur geschwind hereintragen und bin gleich wieder da. Will Er wohl so gut sein und so lange hier warten? Ich möchte gar zu gern mehr mit Ihm plaudern.

Werner Plaudert Sie gern, Frauenzimmerchen? Nun meinetwegen: geh Sie nur; ich plaudre auch gern; ich will warten.

Franziska
Oh, warte Er doch ja! (Geht ab.)

6. Szene

(Paul Werner.)

Werner Das ist kein unebenes Frauenzimmerchen!—Aber ich hätte ihr doch nicht versprechen sollen zu warten.—Denn das Wichtigste wäre wohl, ich suchte den Major auf.—Er will mein Geld nicht und versetzt lieber?— Daran kenn ich ihn.—Es fällt mir ein Schneller ein.—Als ich vor vierzehn Tagen in der Stadt war, besuchte ich die Rittmeisterin Marloff. Das arme Weib lag krank und jammerte, daß ihr Mann dem Major vierhundert Taler schuldig geblieben wäre, die sie nicht wüßte, wie sie sie bezahlen sollte. Heute wollte ich sie wieder besuchen—ich wollte ihr sagen, wenn ich das Geld für mein Gütchen ausgezahlt kriegte, daß ich ihr fünfhundert Taler leihen könnte.—Denn ich muß ja wohl was davon in Sicherheit bringen, wenn's in Persien nicht geht.— Aber sie war über alle Berge. Und ganz gewiß wird sie dem Major nicht haben bezahlen können.—Ja, so will ich's machen; und das je eher, je lieber.—Das Frauenzimmerchen mag mir's nicht übelnehmen; ich kann nicht warten. (Geht in Gedanken ab und stößt fast auf den Major, der ihm entgegenkömmt.)

7. Szene

(v. Tellheim. Paul Werner)

Tellheim
So in Gedanken, Werner?

Werner
Da sind Sie ja! ich wollte eben gehen und Sie in Ihrem neuen
Quartiere besuchen, Herr Major.

Tellheim Um mir auf den Wirt des alten die Ohren vollzufluchen. Gedenke mir nicht daran.

Werner Das hätte ich beiher getan; ja. Aber eigentlich wollte ich mich nur bei Ihnen bedanken, daß Sie so gut gewesen und mir die hundert Louisdor aufgehoben. Just hat mir sie wiedergegeben. Es wäre mir wohl freilich lieb, wenn Sie mir sie noch länger aufheben könnten. Aber Sie sind in ein neu Quartier gezogen, das weder Sie noch ich kennen. Wer weiß, wie's da ist. Sie könnten Ihnen da gestohlen werden, und Sie müßten mir sie ersetzen; da hülfe nichts davor. Also kann ich's Ihnen freilich nicht zumuten.

Tellheim (lächelnd). Seit wenn bist du so vorsichtig, Werner?

Werner Es lernt sich wohl. Man kann heutezutage mit seinem Gelde nicht vorsichtig genug sein.—Darnach hatte ich noch was an Sie zu bestellen, Herr Major; von der Rittmeisterin Marloff; ich kam eben von ihr her. Ihr Mann ist Ihnen ja vierhundert Taler schuldig geblieben; hier schickt sie Ihnen auf Abschlag hundert Dukaten. Das übrige will sie künftige Woche schicken. Ich mochte wohl selber Ursache sein, daß sie die Summe nicht ganz schickt. Denn sie war mir auch ein Taler achtzig schuldig; und weil sie dachte, ich wäre gekommen, sie zu mahnen—wie's denn auch wohl wahr war—, so gab sie mir sie und gab sie mir aus dem Röllchen, das sie für Sie schon zurechtgelegt hatte.—Sie können auch schon eher Ihre hundert Taler ein acht Tage noch missen als ich meine paar Groschen.—Da nehmen Sie doch! (Reicht ihm die Rolle Dukaten.)

Tellheim
Werner!

Werner
Nun? Warum sehen Sie mich so starr an?—So nehmen Sie doch, Herr
Major!—

Tellheim
Werner!

Werner
Was fehlt Ihnen? Was ärgert Sie?

Tellheim (bitter, indem er sich vor die Stirne schlägt und mit dem Fuße auftritt). Daß es—die vierhundert Taler nicht ganz sind!

Werner
Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn nicht verstanden?

Tellheim Eben weil ich dich verstanden habe!—Daß mich doch die besten Menschen heut am meisten quälen müssen!

Werner
Was sagen Sie?

Tellheim Es geht dich nur zur Hälfte an!—Geh, Werner! (Indem er die Hand, mit der ihm Werner die Dukaten reichet, zurückstößt.)

Werner
Sobald ich das los bin!

Tellheim Werner, wenn du nun von mir hörst, daß die Marloffin heute ganz früh selbst bei mir gewesen ist?

Werner
So?

Tellheim
Daß sie mir nichts mehr schuldig ist?

Werner
Wahrhaftig?

Tellheim Daß sie mich bei Heller und Pfennig bezahlt hat: was wirst du denn sagen?

Werner (der sich einen Augenblick besinnt). Ich werde sagen, daß ich gelogen habe, und daß es eine hundsfött'sche Sache ums Lügen ist, weil man drüber ertappt werden kann.

Tellheim Und wirst dich schämen? Aber er, der mich so zu lügen zwingt, was sollte der? Sollte der sich nicht auch schämen? Sehen Sie, Herr Major, wenn ich sagte, daß mich Ihr Verfahren nicht verdrösse, so hätte ich wieder gelogen, und ich will nicht mehr lügen.—

Tellheim Sei nicht verdrießlich, Werner! Ich erkenne dein Herz und deine Liebe zu mir. Aber ich brauche dein Geld nicht.

Werner Sie brauchen es nicht? Und verkaufen lieber und versetzen lieber und bringen sich lieber in der Leute Mäuler?

Tellheim Die Leute mögen es immer wissen, daß ich nichts mehr habe. Man muß nicht reicher scheinen wollen, als man ist.

Werner
Aber warum ärmer?—Wir haben, solange unser Freund hat.

Tellheim
Es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin.

Werner Ziemt sich nicht?—Wenn an einem heißen Tage, den uns die Sonne und der Feind heiß machte, sich Ihr Reitknecht mit den Kantinen verloren hatte, und Sie zu mir kamen und sagten: "Werner, hast du nichts zu trinken?" und ich Ihnen meine Feldflasche reichte, nicht wahr, Sie nahmen und tranken?—Ziemte sich das?—Bei meiner armen Seele, wenn ein Trunk faules Wasser damals nicht oft mehr wert war als alle der Quark! (Indem er auch den Beutel mit den Louisdoren herauszieht und ihm beides hinreicht.) Nehmen Sie, lieber Major! Bilden Sie sich ein, es ist Wasser. Auch das hat Gott für alle geschaffen.

Tellheim
Du marterst mich; du hörst es ja, ich will dein Schuldner nicht sein.

Werner Erst ziemte es sich nicht; nun wollen Sie nicht? Ja, das ist was anders. (Etwas ärgerlich.) Sie wollen mein Schuldner nicht sein? Wenn Sie es denn aber schon wären, Herr Major? Oder sind Sie dem Manne nichts schuldig, der einmal den Hieb auffing, der Ihnen den Kopf spalten sollte, und ein andermal den Arm vom Rumpfe hieb, der eben losdrücken und Ihnen die Kugel durch die Brust jagen wollte?—Was können Sie diesem Manne mehr schuldig werden? Oder hat es mit meinem Halse weniger zu sagen als mit meinem Beutel?—Wenn das vornehm gedacht ist, bei meiner armen Seele, so ist es auch sehr abgeschmackt gedacht!

Tellheim Mit wem sprichst du so, Werner? Wir sind allein; jetzt darf ich es sagen; wenn uns ein Dritter hörte, so wäre es Windbeutelei. Ich bekenne es mit Vergnügen, daß ich dir zweimal mein Leben zu danken habe. Aber, Freund, woran fehlte mir es, daß ich bei Gelegenheit nicht ebensoviel für dich würde getan haben? He!

Werner
Nur an der Gelegenheit! Wer hat daran gezweifelt, Herr Major? Habe
ich Sie nicht hundertmal für den gemeinsten Soldaten, wenn er ins
Gedränge gekommen war, Ihr Leben wagen sehen?

Tellheim
Also!

Werner
Aber—

Tellheim
Warum verstehst du mich nicht recht? Ich sage: es ziemt sich nicht,
daß ich dein Schuldner bin; ich will dein Schuldner nicht sein.
Nämlich in den Umständen nicht, in welchen ich mich jetzt befinde.

Werner So, so! Sie wollen es versparen bis auf bessre Zeiten; Sie wollen ein andermal Geld von mir borgen, wenn Sie keines brauchen, wenn Sie selbst welches haben und ich vielleicht keines.

Tellheim
Man muß nicht borgen, wenn man nicht widerzugeben weiß.

Werner
Einem Manne wie Sie kann es nicht immer fehlen.

Tellheim Du kennst die Welt!—Am wenigsten muß man sodann von einem borgen, der sein Geld selbst braucht.

Werner
O ja, so einer bin ich! Wozu braucht' ich's denn?—Wo man einen
Wachtmeister nötig hat, gibt man ihm auch zu leben.

Tellheim Du brauchst es, mehr als Wachtmeister zu werden, dich auf einer Bahn weiterzubringen, auf der ohne Geld auch der Würdigste zurückbleiben kann.

Werner Mehr als Wachtmeister zu werden? Daran denke ich nicht. Ich bin ein guter Wachtmeister und dürfte leicht ein schlechter Rittmeister und sicherlich noch ein schlechtrer General werden. Die Erfahrung hat man.

Tellheim Mache nicht, daß ich etwas Unrechtes von dir denken muß, Werner! Ich habe es nicht gern gehört, was mir Just gesagt hat. Du hast dein Gut verkauft und willst wieder herumschwärmen. Laß mich nicht von dir glauben, daß du nicht sowohl das Metier als die wilde, liederliche Lebensart liebest, die unglücklicherweise damit verbunden ist. Man muß Soldat sein für sein Land oder aus Liebe zu der Sache, für die gefochten wird. Ohne Absicht heute hier, morgen da dienen, heißt wie ein Fleischerknecht reisen, weiter nichts.

Werner Nun ja doch, Herr Major, ich will Ihnen folgen. Sie wissen besser, was sich gehört. Ich will bei Ihnen bleiben.—Aber, lieber Major, nehmen Sie doch auch derweile mein Geld. Heut oder morgen muß Ihre Sache aus sein. Sie müssen Geld die Menge bekommen. Sie sollen mir es sodann mit Interessen wiedergeben. Ich tu es ja nur der Interessen wegen.

Tellheim
Schweig davon!

Werner Bei meiner armen Seele, ich tu es nur der Interessen wegen!—Wenn ich manchmal dachte: Wie wird es mit dir aufs Alter werden? wenn du zuschanden gehauen bist? wenn du nichts haben wirst? wenn du wirst betteln gehen müssen? so dachte ich wieder: Nein, du wirst nicht betteln gehn; du wirst zum Major Tellheim gehn; der wird seinen letzten Pfennig mit dir teilen; der wird dich zu Tode füttern; bei dem wirst du als ein ehrlicher Kerl sterben können.

Tellheim (indem er Werners Hand ergreift). Und, Kamerad, das denkst du nicht noch?

Werner Nein, das denk ich nicht mehr.—Wer von mir nichts nehmen will, wenn er's bedarf, und ich's habe, der will mir auch nichts geben, wenn er's hat, und ich's bedarf.—Schon gut! (Will gehen.)

Tellheim Mensch, mache mich nicht rasend! Wo willst du hin? (Hält ihn zurück.) Wenn ich dich nun auf meine Ehre versichere, daß ich noch Geld habe; wenn ich dir auf meine Ehre verspreche, daß ich dir es sagen will, wenn ich keines mehr habe; daß du der erste und einzige sein sollst, bei dem ich mir etwas borgen will:—bist du dann zufrieden?

Werner
Muß ich nicht?—Geben Sie mir die Hand darauf, Herr Major.

Tellheim
Da, Paul!—Und nun genug davon. Ich kam hieher, um ein gewisses
Mädchen zu sprechen—

8. Szene

(Franziska, aus dem Zimmer des Fräuleins. v. Tellheim. Paul Werner.)

Franziska (im Hereintreten). Sind Sie noch da, Herr Wachtmeister?—(Indem sie den Tellheim gewahr wird.) Und Sie sind auch da, Herr Major?—Den Augenblick bin ich zu Ihren Diensten. (Geht geschwind wieder in das Zimmer.)

9. Szene

(v. Tellheim. Paul Werner.)

Tellheim
Das war sie!—Aber ich höre ja, du kennst sie, Werner?

Werner
Ja, ich kenne das Frauenzimmerchen.—

Tellheim
Gleichwohl, wenn ich mich recht erinnere, als ich in Thüringen
Winterquartier hatte, warst du nicht bei mir?

Werner
Nein, da besorgte ich in Leipzig Mundierungsstücke.

Tellheim
Woher kennst du sie denn also?

Werner Unsere Bekanntschaft ist noch blutjung. Sie ist von heute. Aber junge Bekanntschaft ist warm.

Tellheim
Also hast du ihr Fräulein wohl auch schon gesehen?

Werner Ist ihre Herrschaft ein Fräulein? Sie hat mir gesagt, Sie kennten ihre Herrschaft.

Tellheim
Hörst du nicht? aus Thüringen her.

Werner
Ist das Fräulein jung?

Tellheim
Ja.

Werner
Schön?

Tellheim
Sehr schön.

Werner
Reich?

Tellheim
Sehr reich.

Werner Ist Ihnen das Fräulein auch so gut wie das Mädchen? Das wäre ja vortrefflich!

Tellheim
Wie meinst du?

10. Szene

(Franziska wieder heraus, mit einem Brief in der Hand. v Tellheim.
Paul Werner.)

Franziska
Herr Major—

Tellheim
Liebe Franziska, ich habe dich noch nicht willkommen heißen können.

Franziska In Gedanken werden Sie es doch schon getan haben. Ich weiß, Sie sind mir gut. Ich Ihnen auch. Aber das ist gar nicht artig, daß Sie Leute, die Ihnen gut sind, so ängstigen.

Werner (vor sich). Ha, nun merk ich. Es ist richtig!

Tellheim
Mein Schicksal, Franziska!—Hast du ihr den Brief übergeben?

Franziska
Ja, und hier übergebe ich Ihnen—(Reicht ihm den Brief.)

Tellheim
Eine Antwort?—

Franziska
Nein, Ihren eignen Brief wieder.

Tellheim
Was? Sie will ihn nicht lesen?

Franziska
Sie wollte wohl, aber—wir können Geschriebenes nicht gut lesen.

Tellheim
Schäkerin!

Franziska Und wir denken, daß das Briefschreiben für die nicht erfunden ist, die sich mündlich miteinander unterhalten können, sobald sie wollen.

Tellheim Welcher Vorwand! Sie muß ihn lesen. Er enthält meine Rechtfertigung— alle die Gründe und Ursachen—

Franziska
Die will das Fräulein von Ihnen selbst hören, nicht lesen.

Tellheim
Von mir selbst hören? Damit mich jedes Wort, jede Miene von ihr
verwirre; damit ich in jedem ihrer Blicke die ganze Größe meines
Verlusts empfinde?—

Franziska
Ohne Barmherzigkeit!—Nehmen Sie! (Sie gibt ihm den Brief.) Sie
erwartet Sie um drei Uhr. Sie will ausfahren und die Stadt besehen.
Sie sollen mit ihr fahren?

Tellheim
Mit ihr fahren?

Franziska Und was geben Sie mir, so laß ich Sie beide ganz allein fahren? Ich will zu Hause bleiben.

Tellheim
Ganz allein?

Franziska
In einem schönen verschloßnen Wagen.

Tellheim
Unmöglich!

Franziska Ja, ja; im Wagen muß der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns nicht entwischen. Darum geschieht es eben.—Kurz, Sie kommen, Herr Major; und Punkte drei.—Nun? Sie wollten mich ja auch allein sprechen. Was haben Sie mir denn zu sagen?—Ja so, wir sind nicht allein. (Indem sie Wernern ansieht.)

Tellheim Doch, Franziska, wir wären allein. Aber da das Fräulein den Brief nicht gelesen hat, so habe ich dir noch nichts zu sagen.

Franziska So? wären wir doch allein? Sie haben vor dem Herrn Wachtmeister keine Geheimnisse?

Tellheim
Nein, keine.

Franziska
Gleichwohl, dünkt mich, sollten Sie welche vor ihm haben.

Tellheim
Wie das?

Werner
Warum das, Frauenzimmerchen?

Franziska
Besonders Geheimnisse von einer gewissen Art.—Alle zwanzig, Herr
Wachtmeister? (Indem sie beide Hände mit gespreizten Fingern in die
Höhe hält.)

Werner
St! st! Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!

Tellheim
Was heißt das?

Franziska Husch ist's am Finger, Herr Wachtmeister? (Als ob sie einen Ring geschwind ansteckte.)

Tellheim
Was habt ihr?

Werner
Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, Sie wird ja wohl Spaß verstehn?

Tellheim Werner, du hast doch nicht vergessen, was ich dir mehrmal gesagt habe, daß man über einen gewissen Punkt mit dem Frauenzimmer nie scherzen muß?

Werner Bei meiner armen Seele, ich kann's vergessen haben!—Frauenzimmerchen, ich bitte—

Franziska
Nun, wenn es Spaß gewesen ist; dasmal will ich es Ihm verzeihen.

Tellheim Wenn ich denn durchaus kommen muß, Franziska: so mache doch nur, daß das Fräulein den Brief vorher noch lieset. Das wird mir die Peinigung ersparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal zu sagen, die ich so gern vergessen möchte. Da, gib ihr ihn! (Indem er den Brief umkehrt und ihr ihn zureichen will, wird er gewahr, daß er erbrochen ist.) Aber sehe ich recht? Der Brief, Franziska, ist ja erbrochen.

Franziska Das kann wohl sein. (Besieht ihn.) Wahrhaftig, er ist erbrochen. Wer muß ihn denn erbrochen haben? Doch gelesen haben wir ihn wirklich nicht, Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht lesen, denn der Schreiber kömmt selbst. Kommen Sie ja; und wissen Sie was, Herr Major? Kommen Sie nicht so, wie Sie da sind, in Stiefeln, kaum frisiert. Sie sind zu entschuldigen, Sie haben uns nicht vermutet. Kommen Sie in Schuhen, und lassen Sie sich frisieren.—So sehen Sie mir gar zu brav, gar zu preußisch aus!

Tellheim
Ich danke dir, Franziska.

Franziska
Sie sehen aus, als ob Sie vorige Nacht kampiert hätten.

Tellheim
Du kannst es erraten haben.

Franziska Wir wollen uns gleich auch putzen und sodann essen. Wir behielten Sie gern zum Essen, aber Ihre Gegenwart möchte uns an dem Essen hindern; und sehen Sie, so gar verliebt sind wir nicht, daß uns nicht hungerte.

Tellheim Ich geh! Franziska, bereite sie indes ein wenig vor, damit ich weder in ihren noch in meinen Augen verächtlich werden darf.—Komm, Werner, du sollst mit mir essen.

Werner
An der Wirtstafel hier im Hause? Da wird mir kein Bissen schmecken.

Tellheim
Bei mir auf der Stube.

Werner
So folge ich Ihnen gleich. Nur noch ein Wort mit dem Frauenzimmerchen.

Tellheim
Das gefällt mir nicht übel! (Geht ab.)

11. Szene

(Paul Werner. Franziska.)

Franziska
Nun, Herr Wachtmeister?—

Werner Frauenzimmerchen, wenn ich wiederkomme, soll ich auch geputzter kommen?

Franziska Komm Er, wie Er will, Herr Wachtmeister; meine Augen werden nichts wider Ihn haben. Aber meine Ohren werden desto mehr auf ihrer Hut gegen Ihn sein müssen.—Zwanzig Finger, alle voller Ringe! Ei, ei, Herr Wachtmeister!

Werner
Nein, Frauenzimmerchen; eben das wollt' ich Ihr noch sagen: die
Schnurre fuhr mir mir so heraus! Es ist nichts dran. Man hat ja wohl
an einem Ringe genug. Und hundert—und aberhundertmal habe ich den
Major sagen hören: "Das muß ein Schurke von einem Soldaten sein, der
ein Mädchen anführen kann!"—So denk ich auch, Frauenzimmerchen.
Verlaß Sie sich darauf!—Ich muß machen, daß ich ihm nachkomme.—Guten
Appetit, Frauenzimmerchen! (Geht ab.)

Franziska
Gleichfalls, Herr Wachtmeister!—Ich glaube, der Mann gefällt mir!
(Indem sie hineingehen will, kömmt ihr das Fräulein entgegen.)

12. Szene

(Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein Ist der Major schon wieder fort?—Franziska, ich glaube, ich wäre jetzt schon wieder ruhig genug, daß ich ihn hätte hierbehalten können.

Franziska
Und ich will Sie noch ruhiger machen.

Fräulein Desto besser! Sein Brief, oh, sein Brief! Jede Zeile sprach den ehrlichen, edlen Mann. Jede Weigerung, mich zu besitzen, beteuerte mir seine Liebe.—Er wird es wohl gemerkt haben, daß wir den Brief gelesen.—Mag er doch, wenn er nur kömmt. Er kömmt doch gewiß?—Bloß ein wenig zu viel Stolz, Franziska, scheint mir in seiner Aufführung zu sein. Denn auch seiner Geliebten sein Glück nicht wollen zu danken haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz! Wenn er mir diesen zu stark merken läßt, Franziska—

Franziska
So wollen Sie seiner entsagen?

Fräulein
Ei, sieh doch! Jammert er dich nicht schon wieder? Nein, liebe
Närrin, eines Fehlers wegen entsagt man keinem Manne. Nein, aber ein
Streich ist mir beigefallen, ihn wegen dieses Stolzes mit ähnlichem
Stolze ein wenig zu martern.

Franziska Nun, da müssen Sie ja recht sehr ruhig sein, mein Fräulein, wenn Ihnen schon wieder Streiche beifallen.

Fräulein Ich bin es auch; komm nur. Du wirst deine Rolle dabei zu spielen haben. (Sie gehen herein.)

4. Akt

1. Szene

(Die Szene: Das Zimmer des Fräuleins.) (Das Fräulein völlig und reich, aber mit Geschmack gekleidet. Franziska. Sie stehen vom Tische auf, den ein Bedienter abräumt.)

Franziska
Sie können unmöglich satt sein, gnädiges Fräulein.

Fräulein Meinst du, Franziska? Vielleicht, daß ich mich nicht hungrig niedersetzte.

Franziska
Wir hatten ausgemacht, seiner während der Mahlzeit nicht zu erwähnen.
Aber wir hätten uns auch vornehmen sollen, an ihn nicht zu denken.

Fräulein
Wirklich, ich habe an nichts als an ihn gedacht.

Franziska
Das merkte ich wohl. Ich fing von hundert Dingen an zu sprechen, und
Sie antworteten mir auf jedes verkehrt. (Ein andrer Bedienter trägt
Kaffee auf.) Hier kömmt eine Nahrung, bei der man eher Grillen machen
kann. Der liebe melancholische Kaffee!

Fräulein Grillen? Ich mache keine. Ich denke bloß der Lektion nach, die ich ihm geben will. Hast du mich recht begriffen, Franziska?

Franziska
O ja; am besten aber wäre es, er ersparte sie uns.

Fraülein Du wirst sehen, daß ich ihn von Grund aus kenne. Der Mann, der mich jetzt mit allen Reichtümern verweigert, wird mich der ganzen Welt streitig machen, sobald er hört, daß ich unglücklich und verlassen bin.

Franziska (sehr ernsthaft). Und so was muß die feinste Eigenliebe unendlich kitzeln.

Fräulein Sittenrichterin! Seht doch! Vorhin ertappte sie mich auf Eitelkeit, jetzt auf Eigenliebe.—Nun, laß mich nur, liebe Franziska. Du sollst mit deinem Wachtmeister auch machen können, was du willst.

Franziska
Mit meinem Wachtmeister?

Fräulein Ja, wenn du es vollends leugnest, so ist es richtig.—Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber aus jedem Worte, das du mir von ihm gesagt hast, prophezeie ich dir deinen Mann.

2. Szene

(Riccaut de la Marliniere. Das Fräulein. Franziska.) Riccaut (noch innerhalb der Szene). Est-il permis, Monsieur le Major?

Franziska
Was ist das? Will das zu uns? (Gegen die Türe gehend.)

Riccaut Parbleu! Ik bin unriktig.—Mais non—Ik bin nit unriktig—C'est sa chambre—

Franziska
Ganz gewiß, gnädiges Fräulein, glaubt dieser Herr, den Major von
Tellheim noch hier zu finden.

Riccaut Iß so!—Le Major de Tellheim; juste, ma belle enfant, c'est lui que je cherche. Ou est-il?

Franziska
Er wohnt nicht mehr hier.

Riccaut Comment? nok vor vier un swansik Stund hier logier? Und logier nit mehr hier? Wo logier er denn?

Fräulein (die auf ihn zukömmt). Mein Herr-Riccaut. Ah, Madame—Mademoiselle— Ihro Gnad verzeih—

Fräulein Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben und Ihre Verwunderung sehr natürlich. Der Herr Major hat die Güte gehabt, mir als einer Fremden, die nicht unterzukommen wußte, sein Zimmer zu überlassen.

Raccaut
Ah, voila de ses politesses! C'est un tres galant-homme que ce Major!

Fräulein Wo er indes hingezogen—wahrhaftig, ich muß mich schämen, es nicht zu wissen.

Riccaut
Ihro Gnad nit wiß? C'est dommage; j'en suis fache.

Fräulein Ich hätte mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich werden ihn seine Freunde noch hier suchen.

Riccaut
Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad—

Fräulein
Franziska, wißt du es nicht?

Franziska
Nein, gnädiges Fräulein.

Riccaut
Ik hätt ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine
Nouvelle, davon er sehr frölik sein wird.

Fräulein Ich bedauere um so viel mehr.—Doch hoffe ich, vielleicht bald ihn zu sprechen. Ist es gleichviel, aus wessen Munde er diese gute Nachricht erfährt, so erbiete ich mich, mein Herr—

Riccaut
Ik versteh.—Mademoiselle parle francais? Mais sans doute; telle que
je la vois!—La demande etait bien impolie; vous me pardonnerez,
Mademoiselle.—

Fräulein
Mein Herr—

Riccaut
Nit? Sie sprek nit Französisch, Ihro Gnad?

Fräulein Mein Herr, in Frankreich würde ich es zu sprechen suchen. Aber warum hier? Ich höre ja, daß Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich, mein Herr, werde Sie gewiß auch verstehen; sprechen Sie, wie es Ihnen beliebt.

Riccaut Gutt, gutt! Ik kann auk mik auf Deutsch explizier.—Sachez donc, Mademoiselle—Ihro Gnad soll also wiß, daß ik komm von die Tafel bei der Minister—Minister von—Minister von—wie heiß der Minister da drauß?—in der lange Straß?—auf die breite Platz?—

Fräulein
Ich bin hier noch völlig unbekannt.

Riccaut Nun, die Minister von der Kriegsdepartement.—Da haben ik zu Mittag gespeisen—ik speisen a l'ordinaire bei ihm—und da iß man gekommen reden auf der Major Tellheim; et le ministre m'a dit en confidence, car Son Excellence est de mes amis, et il n'y a point de mysteres entre nous—Se. Exzellenz, will ik sag, haben mir vertrau, daß die Sak von unserm Major sei auf den Point zu enden und gutt zu enden. Er habe gemakt ein Rapport an den Könik, und der Könik habe darauf resolvier, tout-a-fait en faveur du Major.—Monsieur, m'a dit Son Excellence, vous comprenez bien, que tout depend de la maniere, dont on fait envisager les choses au roi, et vous me connaissez. Cela fait un tres joli garcon que ce Tellheim, et ne sais-je pas que vous l'aimez? Les amis de mes amis sont aussi les miens. Il coute un peu cher au roi ce Tellheim, mais est-ce que l'on sert les rois pour rien? Il faut s'entr'aider en ce monde; et quand il s'agit de pertes, que ce soit le roi, qui en fasse, et non pas un honnete-homme de nous autres. Voila le principe, dont je ne me depars jamais.—Was sag Ihro Gnad hierzu? Nit wahr, das iß ein brav Mann? Ah que Son Excellence a le coer bien place! Er hat mir au reste versiker, wenn der Major nit schon bekommen habe une Lettre de la main—eine Könikliken Handbrief, daß er heut infailliblement müsse bekommen einen.

Fräulein Gewiß, mein Herr, diese Nachricht wird dem Major von Tellheim höchst angenehm sein. Ich wünschte nur, ihm den Freund zugleich mit Namen nennen zu können, der so viel Anteil an seinem Glücke nimmt—

Riccaut Mein Namen wünscht Ihro Gnad?—Vous voyez en moi—Ihro Gnad seh in mik le Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-val, de la branche de Prensd'or.—Ihro Gnad? steh verwundert, mik aus so ein groß, groß Familie zu hören, qui est veritablement du sang Royal.—Il faut le dire; je suis sans doute le cadet le plus avantureux, que la maison a jamais eu.—Ik dien von meiner elfte Jahr. Ein Affaire d'honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr. Papstliken Eilikheit, der Republik St. Marino, der Kron Polen und den Staaten- General, bis ik endlik bin worden gezogen hierher. Ah, Mademoiselle, que je voudrais n'avoir jamais vu ce pays-la! Hätte man mik gelaß im Dienst von den Staaten-General, so müßt ik nun sein aufs wenikst Oberst. Aber so hier immer und ewik Capitaine geblieben, und nun gar sein ein abgedankte Capitaine—

Fräulein
Das ist viel Unglück.

Riccaut
Qui, Mademoiselle, me voila reforme, et par-la mis sur le pave!

Fräulein
Ich beklage sehr.

Riccaut Vous etes bien bonne, Mademoiselle.—Nein, man kenn sik hier nit auf den Verdienst. Einen Mann wie mik su reformir! Einen Mann, der sik nok dasu in diesem Dienst hat rouinir!—Ik haben dabei sugesetzt mehr als swansik tausend Livres. Was hab ik nun? Tranchons le mot; je n'ai pas le sou, et me voila exactement vis-a-vis du rien.—

Fräulein
Es tut mir ungemein leid.

Riccaut Vous etes bien bonne, Mademoiselle. Aber wie man pfleg su sagen: ein jeder Unglück schlepp nak sik seine Bruder; qu'un malheur ne vient jamais seul: so mit mir arrivir. Was ein Honnete-homme von mein Extraction kann anders haben für Ressource als das Spiel? Nun hab ik immer gespielen mit Glück, solang ik hatte nit vonnöten der Glück. Nun ik ihr hätte vonnöten, Mademoiselle, je joue avec un guignon, qui surpasse toute croyance. Seit funfsehn Tag iß vergangen keine, wo sie mik nit hab gesprenkt. Nok gestern hab sie mik gesprenkt dreimal. Je sais bien, qu'il y avait quelque chose de plus que le jeu. Car parmi mes pontes se trouvaient certaines dames—Ik will niks weiter sag. Man muß sein galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir, mir su geben revanche; mais—vous m'entendez, Mademoiselle.—Man muß erst wiß, wovon leben, ehe man haben kann, wovon su spielen—

Fräulein
Ich will nicht hoffen, mein Herr—

Riccaut
Vous etes bien bonne, Mademoiselle—

Fräulein (nimmt die Franziska beiseite). Franziska, der Mann dauert mich im Ernste. Ob er mir es wohl übelnehmen würde, wenn ich ihm etwas anböte?

Franziska
Der sieht mir nicht darnach aus.

Fräulein
Gut!—Mein Herr, ich höre—daß Sie spielen, daß Sie Bank machen; ohne
Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist. Ich muß Ihnen bekennen,
daß ich—gleichfalls das Spiel sehr liebe—

Riccaut Tant mieux, Mademoiselle, tant mieux! Tous les gens d'esprit aiment le jeu a la fureur.

Fräulein
Daß ich sehr gern gewinne; sehr gern mein Geld mit einem Mann wage,
der—zu spielen weiß.—Wären Sie wohl geneigt, mein Herr, mich in
Gesellschaft zu nehmen? mir einen Anteil an Ihrer Bank zu gönnen?

Riccaut Comment, Mademoiselle, vous voulez etre de moitie avec moi? De tout mon coeur.

Fräulein
Vors erste nur mit einer Kleinigkeit—(Geht und langt Geld aus ihrer
Schatulle.)

Riccaut
Ah, Mademoiselle, que vous etes charmante!—

Fräulein Hier habe ich, was ich ohnlängst gewonnen, nur zehn Pistolen—ich muß mich zwar schämen, so wenig—

Riccaut
Donnez toujours, Mademoiselle, donnez. (Nimmt es.)

Fräulein
Ohne Zweifel, daß Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist—

Riccaut Jawohl, sehr ansehnlik. Sehn Pistol? Ihr Gnad soll sein dafür interessir bei meiner Bank auf ein Dreiteil, pour le tiers. Swar auf ein Dreiteil sollen sein—etwas mehr. Dok mit einer schöne Damen muß man es nehmen nit so genau. Ik gratulir mik, su kommen dadurk in liaison mit Ihro Gnad, et de ce moment je recommence a bien augurer de ma fortune.

Fräulein
Ich kann aber nicht dabei sein, wenn Sie spielen, mein Herr.

Riccaut
Was brauk Ihro Gnad dabei su sein? Wir andern Spieler sind ehrlike
Leut untereinander.

Fräulein Wenn wir glücklich sind, mein Herr, so werden Sie mir meinen Anteil schon bringen. Sind wir aber unglücklich—

Riccaut
So komm ik holen Rekruten. Nit wahr, Ihro Gnad?

Fräulein Auf die Länge dürften die Rekruten fehlen. Verteidigen Sie unser Geld daher ja wohl, mein Herr.

Riccaut
Wofür seh mik Ihro Gnad an? Für ein Einfalspinse? für ein dumme
Teuf?

Fräulein
Verzeihen Sie mir—

Riccaut Je suis des bons, Mademoiselle. Savez-vous ce que cela veut dire? Ik bin von die Ausgelernt—

Fräulein
Aber doch wohl, mein Herr—

Riccaut
Je sais monter un coup—

Fräulein (verwundernd). Sollten Sie?

Riccaut
Je file la carte avec une adresse—

Fräulein
Nimmermehr!

Riccaut
Je fais sauter la coupe avec une dexterite—

Fräulein
Sie werden doch nicht, mein Herr?—

Riccaut
Was nit? Ihro Gnade, was nit? Donnez-moi un pigeonneau a plumer, et—

Fräulein
Falsch spielen? betrügen?

Riccaut Comment, Mademoiselle? Vous appellez cela betrügen? Corriger la fortune, l'enchainer sous ses doigts, etre sur de son fait, das nenn die Deutsch betrügen? Betrügen! Oh, was ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak! für ein plump Sprak!

Fräulein
Nein, mein Herr, wenn Sie so denken—

Riccaut Laissez-moi faire, Mademoiselle, und sein Sie ruhik! Was gehn Sie an, wie ik spiel?—Gnug, morgen entweder sehn mik wieder Ihro Gnad mit hundert Pistol, oder seh mik wieder gar nit—Votre tres-humble, Mademoiselle, votre tres-humble—(Eilends ab.)

Fräulein (die ihm mit Erstaunen und Verdruß nachsieht). Ich wünsche das letzte, mein Herr, das letzte!

3. Szene

(Das Fräulein. Franziska)

Franziska (erbittert). Kann ich noch reden? O schön! o schön!

Fräulein Spotte nur; ich verdiene es. (Nach einem kleinen Nachdenken und gelassener.) Spotte nicht, Franziska; ich verdiene es nicht.

Franziska
Vortrefflich! Da haben Sie etwas Allerliebstes getan, einen
Spitzbuben wieder auf die Beine geholfen.

Fräulein
Es war einem Unglücklichen zugedacht.

Franziska Und was das beste dabei ist: der Kerl hält Sie für seinesgleichen.—Oh, ich muß ihm nach und ihm das Geld wieder abnehmen. (Will fort.)

Fräulein
Franziska, laß den Kaffee nicht vollends kalt werden, schenk ein.

Franziska Er muß es Ihnen wiedergeben; Sie haben spielen. Zehn Pistolen! Sie hörten ja, Fräulein, daß es ein Bettler war! (Das Fräulein schenkt indes selbst ein.) Wer wird einem Bettler so viel geben? Und ihm noch dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu ersparen suchen? Den Mildtätigen, der den Bettler aus Großmut verkennen will, verkennt der Bettler wieder. Nun mögen Sie es haben, Fräulein, wenn er Ihre Gabe, ich weiß nicht wofür, ansieht.—(Und reicht der Franziska eine Tasse.) Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Ich mag nicht trinken. (Das Fräulein setzt sie wieder weg.) "Parbleu, Ihro Gnad, man kenn sik hier nit auf den Verdienst." (In dem Tone des Franzosen.) Freilich nicht, wenn man die Spitzbuben so ungehangen herumlaufen läßt.

Fräulein (kalt und nachdenkend, indem sie trinkt). Mädchen, du verstehst dich so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die schlechten ertragen lernen?—Und sie sind doch auch Menschen.—Und öfters bei weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen.—Man muß ihre gute Seite nur aufsuchen.—Ich bilde mir ein, dieser Franzose ist nichts als eitel. Aus bloßer Eitelkeit macht er sich zum falschen Spieler; er will mir nicht verbunden scheinen, er will sich den Dank ersparen. Vielleicht, daß er nun hingeht, seine kleine Schulden bezahlt, von dem Reste, soweit er reicht, still und sparsam lebt und an das Spiel nicht denkt. Wenn das ist, liebe Franziska, so laß ihn Rekruten holen, wenn er will.—(Gibt ihr die Tasse.) Da, setz weg!— Aber, sage mir, sollte Tellheim nicht schon da sein?

Franziska
Nein, gnädiges Fräulein, ich kann beides nicht, weder an einem
schlechten Menschen die gute, noch an einem guten Menschen die böse
Seite aufsuchen.

Fräulein
Er kömmt doch ganz gewiß?—

Franziska Er sollte wegbleiben!—Sie bemerken an ihm, dem besten Manne, ein wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn so grausam necken?

Fräulein Kömmst du da wieder hin?—Schweig, das will ich nun einmal so. Wo du mir diese Lust verdirbst; wo du nicht alles sagst und tust, wie wir es abgeredet haben!—Ich will dich schon allein mit ihm lassen, und dann— Jetzt kömmt er wohl.

4. Szene

(Paul Werner (der in einer steifen Stellung, gleichsam im Dienste, hereintritt). Das Fräulein. Franziska.)

Franziska
Nein, es ist nur sein lieber Wachtmeister.

Fräulein
Lieber Wachtmeister? Auf wen bezieht sich dieses Lieber?

Franziska
Gnädiges Fräulein, machen Sie mir den Mann nicht verwirrt.—Ihre
Dienerin, Herr Wachtmeister; was bringen Sie uns?

Werner (geht, ohne auf die Franziska zu achten, an das Fräulein). Der Major von Tellheim läßt an das gnädige Fräulein von Barnhelm durch mich, den Wachtmeister Werner, seinen untertänigen Respekt vermelden und sagen, daß er sogleich hier sein werde.

Fräulein
Wo bleibt er denn?

Werner Ihro Gnaden werden verzeihen; wir sind noch vor dem Schlage drei aus dem Quartier gegangen, aber da hat ihn der Kriegszahlmeister unterwegens angeredt, und weil mit dergleichen Herren des Redens immer kein Ende ist: so gab er mir einen Wink, dem gnädigen Fräulein den Vorfall zu rapportieren.

Fräulein
Recht wohl, Herr Wachtmeister. Ich wünsche nur, daß der
Kriegszahlmeister dem Major etwas Angenehmes möge zu sagen haben.

Werner Das haben dergleichen Herren den Offizieren selten.—Haben Ihro Gnaden etwas zu befehlen? (Im Begriffe wieder zu gehen.)

Franziska Nun, wo denn schon wieder hin, Herr Wachtmeister? Hätten wir denn nichts miteinander zu plaudern?

Werner (sachte zur Franziska und ernsthaft). Hier nicht, Frauenzimmerchen. Es ist wider den Respekt, wider die Subordination.—Gnädiges Fräulein—

Fräulein Ich danke für Seine Bemühung, Herr Wachtmeister.—Es ist mir lieb gewesen, Ihn kennenzulernen. Franziska hat mir viel Gutes von Ihm gesagt. (Werner macht eine steife Verbeugung und geht ab.)

5. Szene

(Das Fräulein. Franziska.)

Fräulein
Das ist dein Wachtmeister, Franziska?

Franziska Wegen des spöttischen Tones habe ich nicht Zeit, dieses dein nochmals aufzumutzen.—Ja, gnädiges Fräulein, das ist mein Wachtmeister. Sie finden ihn ohne Zweifel ein wenig steif und hölzern. Jetzt kam er mir fast auch so vor. Aber ich merke wohl, er glaubte, vor Ihro Gnaden auf die Parade ziehen zu müssen. Und wenn die Soldaten paradieren—ja freilich scheinen sie da mehr Drechslerpuppen als Männer. Sie sollten ihn hingegen nur sehn und hören, wenn er sich selbst gelassen ist.

Fräulein
Das müßte ich denn wohl!

Franziska Er wird noch auf dem Saale sein. Darf ich nicht gehn und ein wenig mit ihm plaudern?

Fräulein Ich versage dir ungern dieses Vergnügen. Du mußt hierbleiben, Franziska. Du muß bei unserer Unterredung gegenwärtig sein!—Es fällt mir noch etwas bei. (Sie zieht ihren Ring vom Finger.) Da, nimm meinen Ring, verwahre ihn, und gib mir des Majors seinen dafür.

Franziska
Warum das?

Fräulein (indem Franziska den andern Ring holt). Recht weiß ich es selbst nicht, aber mich dünkt, ich sehe so etwas voraus, wo ich ihn brauchen könnte.—Man pocht—Geschwind gib her! (Sie steckt ihn an.) Er ist's!

6. Szene

(v. Tellheim in dem nämlichen Kleide, aber sonst so, wie es Franziska verlangt. Das Fräulein. Franziska.)

Tellheim
Gnädiges Fräulein, Sie werden mein Verweilen entschuldigen—

Fräulein
Oh, Herr Major, so gar militärisch wollen wir es miteinander nicht
nehmen. Sie sind ja da! Und ein Vergnügen erwarten, ist auch ein
Vergnügen.—Nun? (indem sie ihm lächelnd ins Gesicht sieht) lieber
Tellheim, waren wir nicht vorhin Kinder?

Tellheim Jawohl, Kinder, gnädiges Fräulein; Kinder, die sich sperren, wo sie gelassen folgen sollten.

Fräulein Wir wollen ausfahren, lieber Major—die Stadt ein wenig zu besehen—, und hernach meinem Oheim entgegen.

Tellheim
Wie?

Fräulein Sehen Sie, auch das Wichtigste haben wir einander noch nicht sagen können. Ja, er trifft noch heut hier ein. Ein Zufall ist schuld, daß ich einen Tag früher ohne ihn angekommen bin.

Tellheim
Der Graf von Bruchsall? Ist er zurück?

Fräulein Die Unruhen des Krieges verscheuchten ihn nach Italien; der Friede hat ihn wieder zurückgebracht.—Machen Sie sich keine Gedanken, Tellheim. Besorgten wir schon ehemals das stärkste Hindernis unsrer Verbindung von seiner Seite—

Tellheim
Unserer Verbindung?

Fräulein Er ist Ihr Freund. Er hat von zu vielen zu viel Gutes von Ihnen gehört, um es nicht zu sein. Er brennet, den Mann von Antlitz zu kennen, den seine einzige Erbin gewählt hat. Er kömmt als Oheim, als Vormund, als Vater, mich Ihnen zu übergeben.

Tellheim
Ah, Fräulein, warum haben Sie meinen Brief nicht gelesen? Warum haben
Sie ihn nicht lesen wollen?

Fräulein Ihren Brief? Ja, ich erinnere mich, Sie schickten mir einen. Wie war es denn mit diesem Briefe, Franziska? Haben wir ihn gelesen, oder haben wir ihn nicht gelesen? Was schrieben Sie mir denn, lieber Tellheim?—

Tellheim
Nichts, als was mir die Ehre befiehlt.

Fräulein
Das ist, ein ehrliches Mädchen, die Sie liebt, nicht sitzen zu lassen.
 Freilich befiehlt das die Ehre. Gewiß, ich hätte den Brief lesen
sollen. Aber was ich nicht gelesen habe, das höre ich ja.

Tellheim
Ja, Sie sollen es hören—

Fräulein Nein, ich brauch es auch nicht einmal zu hören. Es versteht sich von selbst. Sie könnten eines so häßlichen Streiches fähig sein, daß Sie mich nun nicht wollten? Wissen Sie, daß ich auf Zeit meines Lebens beschimpft wäre? Meine Landsmänninnen würden mit Fingern auf mich weisen.—"Das ist sie", würde es heißen, "das ist das Fräulein von Barnhelm, die sich einbildete, weil sie reich sei, den wackern Tellheim zu bekommen: als ob die wackern Männer für Geld zu haben wären!" So würde es heißen: denn meine Landsmänninnen sind alle neidisch auf mich. Daß ich reich bin, können sie nicht leugnen; aber davon wollen sie nichts wissen, daß ich auch sonst noch ein ziemlich gutes Mädchen bin, das seines Mannes wert ist. Nicht wahr, Tellheim?

Tellheim Ja, ja, gnädiges Fräulein, daran erkenne ich Ihr Landsmanninnen. Sie werden Ihnen einen abgedankten, an seiner Ehre gekränkten Offizier, einen Krüppel, einen Bettler, trefflich beneiden.

Fräulein Und das alles wären Sie? Ich hörte so was, wenn ich mich nicht irre, schon heute vormittage. Da ist Böses und Gutes untereinander. Lassen Sie uns doch jedes näher beleuchten.—Verabschiedet sind Sie? So höre ich. Ich glaubte, Ihr Regiment sei bloß untergesteckt worden. Wie ist es gekommen, daß man einen Mann von Ihren Verdiensten nicht beibehalten?

Tellheim Es ist gekommen, wie es kommen müssen. Die Großen haben sich überzeugt, daß ein Soldat aus Neigung für sie ganz wenig, aus Pflicht nicht viel mehr, aber alles seiner eignen Ehre wegen tut. Was können sie ihm also schuldig zu sein glauben? Der Friede hat ihnen mehrere meinesgleichen entbehrlich gemacht, und am Ende ist ihnen niemand unentbehrlich.

Fräulein Sie sprechen, wie ein Mann sprechen muß, dem die Großen hinwiederum sehr entbehrlich sind. Und niemals waren sie es mehr als jetzt. Ich sage den Großen meinen großen Dank, daß sie ihre Ansprüche auf einen Mann haben fahren lassen, den ich doch nur sehr ungern mit ihnen geteilet hätte.—Ich bin Ihre Gebieterin, Tellheim; Sie brauchen weiter keinen Herrn.—Sie verabschiedet zu finden, das Glück hätte ich mir kaum träumen lassen!—Doch Sie sind nicht bloß verabschiedet: Sie sind noch mehr. Was sind Sie noch mehr? Ein Krüppel: sagten Sie? Nun (indem sie ihn von oben bis unten betrachtet), der Krüppel ist doch noch ziemlich ganz und gerade; scheinet doch noch ziemlich gesund und stark.—Lieber Tellheim, wenn Sie auf den Verlust Ihrer gesunden Gliedmaßen betteln zu gehen denken: so prophezeie ich Ihnen voraus, daß Sie vor den wenigsten Türen etwas bekommen werden; ausgenommen vor den Türen der gutherzigen Mädchen wie ich.

Tellheim
Jetzt höre ich nur das mutwillige Mädchen, liebe Minna.

Fräulein Und ich höre in Ihrem Verweise nur das Liebe Minna—Ich will nicht mehr mutwillig sein. Denn ich besinne mich, daß Sie allerdings ein kleiner Krüppel sind. Ein Schuß hat Ihnen den rechten Arm ein wenig gelähmt.—Doch alles wohl überlegt: so ist auch das so schlimm nicht. Um soviel sichrer bin ich vor Ihren Schlägen.

Tellheim
Fräulein!

Fräulein Sie wollen sagen: Aber Sie um soviel weniger vor meinen. Nun, nun, lieber Tellheim, ich hoffe, Sie werden es nicht dazu kommen lassen.

Tellheim Sie wollen lachen, mein Fräulein. Ich beklage nur, daß ich nicht mitlachen kann.

Fräulein Warum nicht? Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen erhält uns vernünftiger als der Verdruß. Der Beweis liegt vor uns. Ihre lachende Freundin beurteilet Ihre Umstände weit richtiger als Sie selbst. Weil Sie verabschiedet sind, nennen Sie sich an Ihrer Ehre gekränkt; weil Sie einen Schuß in dem Arme haben, machen Sie sich zu einem Krüppel. Ist das so recht? Ist das keine Übertreibung? Und ist es meine Einrichtung, daß alle Übertreibungen des Lächerlichen so fähig sind? Ich wette, wenn ich Ihren Bettler nun vornehme, daß auch dieser ebensowenig Stich halten wird. Sie werden einmal, zweimal, dreimal Ihre Equipage verloren haben; bei dem oder jenem Bankier werden einige Kapitale jetzt mitschwinden; Sie werden diesen und jenen Vorschuß, den Sie im Dienste getan, keine Hoffnung haben wiederzuerhalten: aber sind Sie darum ein Bettler? Wenn Ihnen auch nichts übriggeblieben ist, als was mein Oheim für Sie mitbringt—

Tellheim
Ihr Oheim, gnädiges Fräulein, wird für mich nichts mitbringen.

Fräulein Nichts als die zweitausend Pistolen, die Sie unsern Ständen so großmütig vorschossen.

Tellheim
Hätten Sie doch nur meinen Brief gelesen, gnädiges Fräulein!

Fräulein Nun ja, ich habe ihn gelesen. Aber was ich über diesen Punkt darin gelesen, ist mir ein wahres Rätsel. Unmöglich kann man Ihnen aus einer edlen Handlung ein Verbrechen machen wollen.—Erklären Sie mir doch, lieber Major—

Tellheim Sie erinnern sich, gnädiges Fräulein, daß ich Ordre hatte, in den Ämtern Ihrer Gegend die Kontribution mit der äußersten Strenge bar beizutreiben. Ich wollte mir diese Strenge ersparen und schoß die fehlende Summe selbst vor.—

Fräulein
Jawohl erinnere ich mich.—Ich liebte Sie um dieser Tat willen, ohne
Sie noch gesehen zu haben.

Tellheim Die Stände gaben mir ihren Wechsel, und diesen wollte ich bei Zeichnung des Friedens unter die zu ratihabierende Schulden eintragen lassen. Der Wechsel ward für gültig erkannt, aber mir ward das Eigentum desselben streitig gemacht. Man zog spöttisch das Maul, als ich versicherte, die Valute bar hergegeben zu haben. Man erklärte ihn für eine Bestechung, für das Gratial der Stände, weil ich so bald mit ihnen auf die niedrigste Summe einig geworden war, mit der ich mich nur im äußersten Notfalle zu begnügen Vollmacht hatte. So kam der Wechsel aus meinen Händen, und wenn er bezahlt wird, wird er sicherlich nicht an mich bezahlt.—Hierdurch, mein Fräulein, halte ich meine Ehre für gekränkt; nicht durch den Abschied, den ich gefordert haben würde, wenn ich ihn nicht bekommen hätte.—Sie sind ernsthaft, mein Fräulein? Warum lachen Sie nicht? Ha, ha, ha! Ich lache ja.

Fräulein Oh, ersticken Sie dieses Lachen, Tellheim! Ich beschwöre Sie! Es ist das schreckliche Lachen des Menschenhasses! Nein, Sie sind der Mann nicht, den eine gute Tat reuen kann, weil sie üble Folgen für ihn hat. Nein, unmöglich können diese üble Folgen dauren! Die Wahrheit muß an den Tag kommen. Das Zeugnis meines Oheims, aller unsrer Stände—

Tellheim
Ihres Oheims! Ihrer Stände! Ha, Ha, ha!

Fräulein Ihr Lachen tötet mich, Tellheim! Wenn Sie an Tugend und Vorsicht glauben, Tellheim, so lachen Sie so nicht! Ich habe nie fürchterlicher fluchen hören, als Sie lachen.—Und lassen Sie uns das Schlimmste setzen! Wenn man Sie hier durchaus verkennen will: so kann man Sie bei uns nicht verkennen. Nein, wir können, wir werden Sie nicht verkennen, Tellheim. Und wenn unsere Stände die geringste Empfindung von Ehre haben, so weiß ich, was sie tun müssen. Doch ich bin nicht klug: was wäre das nötig? Bilden Sie sich ein, Tellheim, Sie hätten die zweitausend Pistolen an einem wilden Abende verloren. Der König war eine unglückliche Karte für Sie: die Dame (auf sich weisend) wird Ihnen desto günstiger sein.—Die Vorsicht, glauben Sie mir, hält den ehrlichen Mann immer schadlos; und öfters schon im voraus. Die Tat, die Sie einmal um zweitausend Pistolen bringen sollte, erwarb mich Ihnen. Ohne diese Tat würde ich nie begierig gewesen sein, Sie kennenzulernen. Sie wissen, ich kam uneingeladen in die erste Gesellschaft, wo ich Sie zu finden glaubte. Ich kam bloß Ihrentwegen. Ich kam in dem festen Vorsatze, Sie zu lieben—ich liebte Sie schon!—in dem festen Vorsatze, Sie zu besitzen, wenn ich Sie auch so schwarz und häßlich finden sollte als den Mohr von Venedig. Sie sind so schwarz und häßlich nicht; auch so eifersüchtig werden Sie nicht sein. Aber Tellheim, Tellheim, Sie haben doch noch viel Ähnliches mit ihm! Oh, über die wilden, unbiegsamen Männer, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! für alles andere Gefühl sich verhärten!—Hierher Ihr Auge! auf mich, Tellheim! (Der indes vertieft und unbeweglich mit starren Augen immer auf eine Stelle gesehen.) Woran denken Sie? Sie hören mich nicht?

Tellheim (zerstreut). O ja! Aber sagen Sie mir doch, mein Fräulein: wie kam der Mohr in venetianische Dienste? Hatte der Mohr kein Vaterland? Warum vermietete er seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate?—

Fräulein (erschrocken). Wo sind Sie, Tellheim?—Nun ist es Zeit, daß wir abbrechen.—Kommen Sie! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)— Franziska, laß den Wagen vorfahren.

Tellheim (der sich von dem Fräulein losreißt und der Franziska nachgeht). Nein, Franziska, ich kann nicht die Ehre haben, das Fräulein zu begleiten.— Mein Fräulein, lassen Sie mir noch heute meinen gesunden Verstand, und beurlauben Sie mich. Sie sind auf dem besten Wege, mich darum zu bringen. Ich stemme mich, soviel ich kann.—Aber weil ich noch bei Verstande bin: so hören Sie, mein Fräulein, was ich fest beschlossen habe, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll.—Wenn nicht noch ein glücklicher Wurf für mich im Spiele ist, wenn sich das Blatt nicht völlig wendet, wenn—

Fräulein Ich muß Ihnen ins Wort fallen, Herr Major.—Das hätten wir ihm gleich sagen sollen, Franziska. Du erinnerst mich auch an gar nichts.—Unser Gespräch würde ganz anders gefallen sein, Tellheim, wenn ich mit der guten Nachricht angefangen hätte, die Ihnen der Chevalier de la Marliniere nur eben zu bringen kam.

Tellheim
Der Chevalier de la Marliniere? Wer ist das?

Franziska
Es mag ein ganz guter Mann sein, Herr Major, bis auf—

Fräulein Schweig, Franziska!—Gleichfalls ein verabschiedeter Offizier, der aus holländischen Diensten—

Tellheim
Ha! der Leutnant Riccaut!

Fräulein
Er versicherte, daß er Ihr Freund sei.

Tellheim
Ich versichere, daß ich seiner nicht bin.

Fräulein
Und daß ihm, ich weiß nicht welcher Minister, vertrauet habe, Ihre
Sache sei dem glücklichsten Ausgange nahe. Es müsse ein königliches
Handschreiben an Sie unterwegens sein—

Tellheim Wie kämen Riccaut und ein Minister zusammen?—Etwas zwar muß in meiner Sache geschehen sein. Denn nur jetzt erklärte mir der Kriegszahlmeister, daß der König alles niedergeschlagen habe, was wider mich urgieret worden, und daß ich mein schriftlich gegebenes Ehrenwort, nicht eher von hier zu gehen, als bis man mich völlig entladen habe, wieder zurück- nehmen könne.—Das wird es aber auch alles sein. Man wird mich wollen laufen lassen. Allein man irrt sich; ich werde nicht laufen. Eher soll mich hier das äußerste Elend vor den Augen meiner Verleumder verzehren—

Fräulein
Hartnäckiger Mann!

Tellheim
Ich brauche keine Gnade, ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre—

Fräulein
Die Ehre eines Mannes wie Sie—

Tellheim (hitzig). Nein, mein Fräulein, Sie werden von allen Dingen recht gut urteilen können, nur hierüber nicht. Die Ehre ist nicht die Stimme unsers Gewissen, nicht das Zeugnis weniger Rechtschaffnen—

Fräulein
Nein, nein, ich weiß wohl.—Die Ehre ist—die Ehre.

Tellheim Kurz, mein Fräulein—Sie haben mich nicht ausreden lassen.—Ich wollte sagen: wenn man mir das Meinige so schimpflich vorenthält, wenn meiner Ehre nicht die vollkommenste Genugtuung geschieht, so kann ich, mein Fräulein, der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der Welt nicht wert zu sein. Das Fräulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann. Es ist eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trägt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist ein nichtswürdiger Mann, der sich nicht schämet, sein ganzes Glück einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zärtlichkeit—

Fräulein
Und das ist Ihr Ernst, Herr Major?—(Indem sie ihm plötzlich den
Rücken wendet.) Franziska!

Tellheim
Werden Sie nicht ungehalten, mein Fräulein—

Fräulein (beiseite zur Franziska). Jetzt wäre es Zeit! Was rätst du mir, Franziska?—

Franziska
Ich rate nichts. Aber freilich macht er es Ihnen ein wenig zu bunt.—

Tellheim (der sie zu unterbrechen kömmt). Sie sind ungehalten, mein Fräulein—

Fräulein (höhnisch). Ich? im geringsten nicht.

Tellheim
Wenn ich Sie weniger liebte, mein Fräulein—

Fräulein (noch in diesem Tone). O gewiß, es wäre mein Unglück!—Und sehen Sie, Herr Major, ich will Ihr Unglück auch nicht.—Mann muß ganz uneigennützig lieben.—Ebensogut, daß ich nicht offenherziger gewesen bin! Vielleicht würde mir Ihr Mitleid gewähret haben, was mir Ihre Liebe versagt.—(Indem sie den Ring langsam vom Finger zieht.)

Tellheim
Was meinen Sie damit, Fräulein?

Fräulein Nein, keines muß das andere weder glücklicher noch unglücklicher machen. So will es die wahre Liebe! Ich glaube Ihnen, Herr Major; und Sie haben zuviel Ehre, als daß Sie die Liebe verkennen sollten.

Tellheim
Spotten Sie, mein Fräulein?

Fräulein Hier! Nehmen Sie den Ring wieder zurück, mit dem Sie mir Ihre Treue verpflichtet. (Überreicht ihm den Ring.) Es sei drum! Wir wollen einander nicht gekannt haben!

Tellheim
Was höre ich?

Fräulein Und das befremdet Sie?—Nehmen Sie, mein Herr.—Sie haben sich doch wohl nicht bloß gezieret?

Tellheim (indem er den Ring aus ihrer Hand nimmt). Gott! So kann Minna sprechen!—

Fräulein
Sie können der Meinige in einem Falle nicht sein: ich kann die Ihrige
in keinem sein. Ihr Unglück ist wahrscheinlich; meines ist gewiß.—
Leben Sie wohl! (Will fort.)

Tellheim
Wohin, liebste Minna?

Fräulein
Mein Herr, Sie beschimpfen mich jetzt mit dieser vertraulichen
Benennung.

Tellheim
Was ist Ihnen, mein Fräulein? Wohin?

Fräulein
Lassen Sie mich.—Meine Tränen vor Ihnen zu verbergen, Verräter!
(Geht ab.)

7. Szene

(v. Tellheim. Franziska.)

Tellheim
Ihre Tränen? Und ich sollte sie lassen? (Will ihr nach.)

Franziska (die ihn zurückhält). Nicht doch, Herr Major! Sie werden ihr ja nicht in ihr Schlafzimmer folgen wollen?

Tellheim
Ihr Unglück? Sprach sie nicht von Unglück?

Franziska
Nun freilich, das Unglück, Sie zu verlieren, nachdem—

Tellheim
Nachdem? was nachdem? Hierhinter steckt mehr. Was ist es,
Franziska? Rede, sprich—

Franziska
Nachdem sie, wollte ich sagen—Ihnen so vieles aufgeopfert.

Tellheim
Mir aufgeopfert?

Franziska Hören Sie nur kurz.—Es ist für Sie recht gut, Herr Major, daß Sie auf diese Art von ihr losgekommen sind.—Warum soll ich es Ihnen nicht sagen? Es kann doch länger kein Geheimnis bleiben.—Wir sind entflohen!—Der Graf von Bruchsall hat das Fräulein enterbt, weil sie keinen Mann von seiner Hand annehmen wollte. Alles verließ, alles verachtete sie hierauf. Was sollten wir tun? Wir entschlossen uns, denjenigen aufzusuchen, dem wir—

Tellheim
Ich habe genug!—Komm, ich muß mich zu ihren Füßen werfen.

Franziska
Was denken Sie? Gehen Sie vielmehr und danken Ihrem guten Geschicke—

Tellheim Elende! für wen hältst du mich?—Nein, liebe Franziska, der Rat kam nicht aus deinem Herzen. Vergib meinem Unwillen!

Franziska Halten Sie mich nicht länger auf. Ich muß sehen, was sie macht. Wie leicht könnte ihr etwas zugestoßen sein.—Gehen Sie! Kommen Sie lieber wieder, wenn Sie wiederkommen wollen. (Geht dem Fräulein nach.)

8. Szene

(v. Tellheim)

Tellheim
Aber, Franziska!—Oh, ich erwarte euch hier!—Nein, das ist dringender!
—Wenn sie Ernst sieht, kann mir ihre Vergebung nicht entstehen.—Nun
brauch ich dich, ehrlicher Werner!—Nein, Minna, ich bin kein Verräter!
(Eilends ab.)

5. Akt

1. Szene

(Die Szene: Der Saal.) (v. Tellheim von der einen und Werner von der andern Seite.)

Tellheim
Ha, Werner! ich suche dich überall. Wo steckst du?

Werner Und ich habe Sie gesucht, Herr Major; so geht's mit dem Suchen.—Ich bringe Ihnen gar eine gute Nachricht.

Tellheim
Ah, ich brauche jetzt nicht deine Nachrichten: ich brauche dein Geld.
Geschwind, Werner, gib mir, soviel du hast; und denn suche so viel
aufzubringen, als du kannst.

Werner Herr Major?—Nun, bei meiner armen Seele, habe ich's doch gesagt: er wird Geld von mir borgen, wenn er selber welches zu verleihen hat.

Tellheim
Du suchst doch nicht Ausflüchte?

Werner
Damit ich ihm nichts vorzuwerfen habe, so nimmt er mir's mit der
Rechten und gibt mir's mit der Linken wieder.

Tellheim Halte mich nicht auf, Werner!—Ich habe den guten Willen, dir es wiederzugeben, aber wenn und wie?—Das weiß Gott!

Werner
Sie wissen es also noch nicht, daß die Hofstaatskasse Ordre hat, Ihnen
Ihre Gelder zu bezahlen? Eben erfuhr ich es bei—

Tellheim Was plauderst du? Was lässest du dir weismachen? Begreifst du denn nicht, daß, wenn es wahr wäre, ich es doch wohl am ersten wissen müßte?—Kurz, Werner, Geld! Geld!

Werner Je nu, mit Freuden! hier ist was!—das sind die hundert Louisdor und das die hundert Dukaten. / (gibt ihm beides.)

Tellheim Die hundert Louisdor, Werner, geh und bringe Justen. Er soll sogleich den Ring wieder einlösen, den er heute früh versetzt hat.—Aber wo wirst du mehr hernehmen, Werner?—Ich brauche weit mehr.

Werner
Dafür lassen Sie mich sorgen.—Der Mann, der mein Gut gekauft hat,
wohnt in der Stadt. Der Zahlungstermin wäre zwar erst in vierzehn
Tagen, aber das Geld liegt parat, und ein halb Prozentchen Abzug—

Tellheim Nun ja, lieber Werner!—Siehst du, daß ich meine einzige Zuflucht zu dir nehme?—Ich muß dir auch alles vertrauen. Das Fräulein hier—du hast sie gesehn—ist unglücklich—

Werner
O Jammer!

Tellheim
Aber morgen ist sie meine Frau—

Werner
O Freude!

Tellheim
Und übermorgen geh ich mit ihr fort. Ich darf fort, ich will fort.
Lieber hier alles im Stiche gelassen! Wer weiß, wo mir sonst ein
Glück aufgehoben ist. Wenn du willst, Werner, so komm mit. Wir
wollen wieder Dienste nehmen.

Werner
Wahrhaftig?—Aber doch wo's Krieg gibt, Herr Major?

Tellheim
Wo sonst?—Geh, lieber Werner, wir sprechen davon weiter.

Werner O Herzensmajor!—Übermorgen? Warum nicht lieber morgen?—Ich will schon alles zusammenbringen—In Persien, Herr Major, gibt's einen trefflichen Krieg; was meinen Sie?

Tellheim
Wir wollen das überlegen; geh nur, Werner!—

Werner
Juchhe! es lebe der Prinz Heraklius! (Geht ab.)

2. Szene

(v. Tellheim)

Tellheim Wie is mir?—Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen. Mein eignes Unglück schlug mich nieder, machte mich ärgerlich, kurzsichtig, schüchtern, lässig: ihr Unglück hebt mich empor, ich sehe wieder frei um mich und fühle mich willig und stark, alles für sie zu unternehmen— Was verweile ich? (Will nach dem Zimmer des Fräuleins, aus dem ihm Franziska entgegenkömmt.)

3. Szene

(Franziska. v. Tellheim.)

Franziska Sind Sie es doch?—Es war mir, als ob ich Ihre Stimme hörte.—Was wollen Sie, Herr Major?

Tellheim
Was ich will?—Was macht dein Fräulein?—Komm!—

Franziska
Sie will den Augenblick ausfahren.

Tellheim
Und allein? ohne mich? wohin?

Franziska
Haben Sie vergessen, Herr Major?—

Tellheim Bist du nicht klug, Franziska?—Ich habe sie gereizt, und sie ward empfindlich: ich werde sie um Vergebung bitten, und sie wird mir vergeben.

Franziska
Wie?—Nachdem Sie den Ring zurückgenommen, Herr Major?

Tellheim
Ha!—Das tat ich in der Betäubung.—Jetzt denk ich erst wieder an den
Ring.—Wo habe ich ihn hingesteckt?—(Er sucht ihn.) Hier ist er.

Franziska Ist er das? (Indem er ihn wieder einsteckt, beiseite.) Wenn er ihn doch genauer besehen wollte!

Tellheim Sie drang mir ihn auf mit einer Bitterkeit—Ich habe diese Bitterkeit schon vergessen. Ein volles Herz kann die Worte nicht wägen.—Aber sie wird sich auch keinen Augenblick weigern, den Ring wieder anzunehmen.—Und habe ich nicht noch ihren?

Franziska
Den erwartet sie dafür zurück.—Wo haben Sie ihn denn, Herr Major?
Zeigen Sie mir ihn doch.

Tellheim (etwas verlegen). Ich habe—ihn anzustecken vergessen.—Just—Just wird mir ihn gleich nachbringen.

Franziska Es ist wohl einer ziemlich wie der andere; lassen Sie mich doch diesen sehen; ich sehe so was gar zu gern.

Tellheim Ein andermal, Franziska. Jetzt komm—Franziska (beiseite). Er will sich durchaus nicht aus seinem Irrtume bringen lassen.

Tellheim
Was sagst du? Irrtume?

Franziska Es ist ein Irrtum, sag ich, wenn Sie meinen, daß das Fräulein doch noch eine gute Partie sei. Ihr eigenes Vermögen ist gar nicht beträchtlich; durch ein wenig eigennützige Rechnungen können es ihr die Vormünder völlig zu Wasser machen. Sie erwartete alles von dem Oheim, aber dieser grausame Oheim—

Tellheim Laß ihn doch!—Bin ich nicht Manns genug, ihr einmal alles zu ersetzen?—

Franziska
Hören Sie? Sie klingelt; ich muß herein.

Tellheim
Ich gehe mit dir.

Franziska
Um des Himmels willen nicht! Sie hat mir ausdrücklich verboten, mit
Ihnen zu sprechen. Kommen Sie wenigstens mir erst nach.—(Geht herein.)

4. Szene

(v. Tellheim ihr nachrufend.) Melde mich ihr!—Sprich für mich, Franziska!—Ich folge dir sogleich!—Was werde ich ihr sagen?—Wo das Herz reden darf, braucht es keiner Vorbereitung.—Das einzige möchte eine studierte Wendung bedürfen: ihre Zurückhaltung, ihre Bedenklichkeit, sich als unglücklich in meine Arme zu werfen; ihre Beflissenheit, mir ein Glück vorzuspiegeln, das sie durch mich verloren hat. Dieses Mißtrauen in meine Ehre, in ihren eigenen Wert vor ihr selbst zu entschuldigen, vor ihr selbst—Vor mir ist es schon entschuldiget!—Ha! hier kömmt sie.—

5. Szene

(Das Fräulein. Franziska. v. Tellheim.)

Fräulein (im Heraustreten, als ob sie den Major nicht gewahr würde). Der Wagen ist doch vor der Türe, Franziska?—Meinen Fächer!

Tellheim (auf sie zu). Wohin, mein Fräulein?

Fräulein (mit einer affektierten Kälte). Aus, Herr Major.—Ich errate, warum Sie sich nochmals herbemühet haben: mir auch meinen Ring wieder zurückzugeben.—Wohl, Herr Major; haben Sie nur die Güte, ihn der Franziska einzuhändigen.—Franziska, nimm dem Herrn Major den Ring ab! —Ich habe keine Zeit zu verlieren. (Will fort.)

Tellheim (der ihr vortritt). Mein Fräulein!—Ah, was habe ich erfahren, mein Fräulein! Ich war so vieler Liebe nicht wert.

Fräulein
So, Franziska? Du hast dem Herrn Major—

Franziska
Alles entdeckt.

Tellheim. Zürnen Sie nicht auf mich, mein Fräulein. Ich bin kein Verräter. Sie haben um mich in den Augen der Welt viel verloren, aber nicht in den meinen. In meinen Augen haben Sie unendlich durch diesen Verlust gewonnen. Er war Ihnen noch zu neu; Sie fürchteten, er möchte einen allzu nachteiligen Eindruck auf mich machen; Sie wollten mir ihn vors erste verbergen. Ich beschwere mich nicht über dieses Mißtrauen. Es entsprang aus dem Verlangen, mich zu erhalten. Dieses Verlangen ist mein Stolz! Sie fanden mich selbst unglücklich; und Sie wollten Unglück nicht mit Unglück häufen. Sie konnten nicht vermuten, wie sehr mich Ihr Unglück über das meinige hinaussetzen würde.

Fräulein Alles recht gut, Herr Major! Aber es ist nun einmal geschehen. Ich habe Sie Ihrer Verbindlichkeit erlassen; Sie haben durch Zurücknehmung des Ringes—

Tellheim
In nichts gewilliget!—Vielmehr halte ich mich jetzt für gebundener
als jemals.—Sie sind die Meinige, Minna, auf ewig die Meinige.
(Zieht den Ring heraus.) Hier, empfangen Sie es zum zweiten Male, das
Unterpfand meiner Treue—

Fräulein
Ich diesen Ring wiedernehmen? diesen Ring?

Tellheim
Ja, liebste Minna, ja!

Fräulein
Was muten Sie mir zu? diesen Ring?

Tellheim Diesen Ring nahmen Sie das erstemal aus meiner Hand, als unser beider Umstände einander gleich und glücklich waren. Sie sind nicht mehr glücklich, aber wiederum einander gleich. Gleichheit ist immer das festeste Band der Liebe.—Erlauben Sie, liebste Minna!—(Ergreift ihre Hand, um ihr den Ring anzustecken.)

Fräulein Wie? mit Gewalt, Herr Major?—Nein, da ist keine Gewalt in der Welt, die mich zwingen soll, diesen Ring wieder anzunehmen!—Meinen Sie etwa, daß es mir an einem Ringe fehlt?—Oh, Sie sehen ja wohl (auf ihren Ring zeigend), daß ich hier noch einen habe, der Ihrem nicht das geringste nachgibt?—

Franziska
Wenn er es noch nicht merkt!—

Tellheim (indem er die Hand des Fräuleins fahren läßt). Was ist das?—Ich sehe das Fräulein von Barnhelm, aber ich höre es nicht.—Sie zieren sich, mein Fräulein.—Vergeben Sie, daß ich Ihnen dieses Wort nachbrauche.

Fräulein (in ihrem wahren Tone). Hat Sie dieses Wort beleidiget, Herr, Major?

Tellheim
Es hat mir weh getan.

Fräulein (gerührt). Das sollte es nicht, Tellheim.—Verzeihen Sie mir, Tellheim.

Tellheim Ha, dieser vertrauliche Ton sagt mir, daß Sie wieder zu sich kommen, mein Fräulein, daß Sie mich noch lieben, Minna.—

Franziska (herausplatzend). Bald wäre der Spaß auch zu weit gegangen.—

Fräulein (gebieterisch). Ohne dich in unser Spiel zu mengen, Franziska, wenn ich bitten darf!

Franziska (beiseite und betroffen). Noch nicht genug?

Fräulein Ja, mein Herr, es wäre weibliche Eitelkeit, mich kalt und höhnisch zu stellen. Weg damit! Sie verdienen es, mich ebenso wahrhaft zu finden, als Sie selbst sind.—Ich liebe Sie noch, Tellheim, ich liebe Sie noch, aber demohngeachtet—

Tellheim Nicht weiter, liebste Minna, nicht weiter! (Ergreift ihre Hand nochmals, ihr den Ring anzustecken.)

Fräulein
(die ihre Hand zurückzieht). Demohngeachtet—um so viel mehr werde
ich dieses nimmermehr geschehen lassen; nimmermehr!—Wo denken Sie hin,
Herr Major?—Ich meinte, Sie hätten an Ihrem eigenen Unglücke genug.—
Sie müssen hierbleiben; Sie müssen sich die allervollständigste
Genugtuung—ertrotzen. Ich weiß in der Geschwindigkeit kein ander
Wort.—Ertrotzen—und sollte Sie auch das äußerste Elend, vor den
Augen Ihrer Verleumder, darüber verzehren!

Tellheim So dacht' ich, so sprach ich, als ich nicht wußte, was ich dachte und sprach. Ärgernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe selbst in dem vollesten Glanze des Glückes konnte sich darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid, die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel zerstreuet und alle Zugänge meiner Seele den Eindrücken der Zärtlichkeit wiederum öffnet. Der Trieb der Selbsterhaltung erwacht, da ich etwas Kostbarers zu erhalten habe als mich und es durch mich zu erhalten habe. Lassen Sie mich, mein Fräulein, das Wort Mitleid nicht beleidigen. Von der unschuldigen Ursache unsers Unglücks können wir es ohne Erniedrigung hören. Ich bin diese Ursache; durch mich, Minna, verlieren Sie Freunde und Anverwandte, Vermögen und Vaterland. Durch mich, in mir müssen Sie alles dieses wiederfinden, oder ich habe das Verderben der Liebenswürdigsten Ihres Geschlechts auf meiner Seele. Lassen Sie mich keine Zukunft denken, wo ich mich selbst hassen müßte. —Nein, nichts soll mich hier länger halten. Von diesem Augenblicke an will ich dem Unrechte, das mir hier widerfährt, nichts als Verachtung entgegensetzen. Ist dieses Land die Welt? Geht hier allein die Sonne auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienste wird man mir verweigern? Und müßte ich sie unter dem entferntesten Himmel suchen: folgen Sie mir nur getrost, liebste Minna; es soll uns an nichts fehlen.—Ich habe einen Freund, der mich gern unterstützet.

6. Szene

(Ein Feldjäger. v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.)

Franziska (indem sie den Feldjäger gewahr wird). St! Herr Major—

Tellheim (gegen den Feldjäger). Zu wem wollen Sie?

Feldjäger
Ich suche den Herrn Major von Tellheim.—Ah, Sie sind es ja selbst.
Mein Herr Major, dieses königliche Handschreiben (das er aus seiner
Brieftasche nimmt) habe ich an Sie zu übergeben.

Tellheim
An mich?

Feldjäger
Zufolge der Aufschrift—

Fräulein
Franziska, hörst du?—Der Chevalier hat doch wahr geredet!

Feldjäger (indem Tellheim den Brief nimmt). Ich bitte um Verzeihung, Herr Major; Sie hätten es bereits gestern erhalten sollen, aber es ist mir nicht möglich gewesen, Sie auszufragen. Erst heute auf der Parade habe ich Ihre Wohnung von dem Leutnant Riccaut erfahren.

Franziska Gnädiges Fräulein, hören Sie?—Das ist des Chevaliers Minister.—"Wie heißen der Minister da drauß auf die breite Platz?"—

Tellheim
Ich bin Ihnen für Ihre Mühe sehr verbunden.

Feldjäger
Es ist meine Schuldigkeit, Herr Major. (Geht ab.)

7. Szene

(v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.)

Tellheim
Ah, mein Fräulein, was habe ich hier? Was enthält dieses Schreiben?

Fräulein.
Ich bin nicht befugt, meine Neugierde so weit zu erstrecken.

Tellheim Wie? Sie trennen mein Schicksal noch von dem Ihrigen?—Aber warum steh ich an, es zu erbrechen?—Es kann mich nicht unglücklicher machen, als ich bin; nein, liebste Minna, es kann uns nicht unglücklicher machen—wohl aber glücklicher!—Erlauben Sie, mein Fräulein! (Erbricht und lieset den Brief, indes daß der Wirt an die Szene geschlichen kömmt.)

8. Szene

(Der Wirt. Die Vorigen.)

Wirt (gegen die Franziska). Bst! mein schönes Kind! auf ein Wort!

Franziska (die sich ihm nähert). Herr Wirt?—Gewiß, wir wissen selbst noch nicht, was in dem Briefe steht.

Wirt
Wer will vom Briefe wissen?—Ich komme des Ringes wegen. Das gnädige
Fräulein muß mir ihn gleich wiedergeben. Just ist da, er soll ihn
wieder einlösen.

Fräulein (das sich indes gleichfalls dem Wirte genähert). Sagen Sie Justen nur, daß er schon eingelöset sei; und sagen Sie ihm nur, von wem; von mir.

Wirt
Aber—

Fräulein
Ich nehme alles auf mich; gehen Sie doch! (Der Wirt geht ab.)

9. Szene

(v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.)

Franziska
Und nun, gnädiges Fräulein, lassen Sie es mit dem armen Major gut sein.

Fräulein Oh, über die Vorbitterin! Als ob der Knoten sich nicht von selbst bald lösen müßte.

Tellheim (nachdem er gelesen, mit der lebhaftesten Rührung). Ha! er hat sich auch hier nicht verleugnet!—Oh, mein Fräulein, welche Gerechtigkeit!— welche Gnade!—Das ist mehr, als ich erwartet!—Mehr, als ich verdiene! —Mein Glück, meine Ehre, alles ist wiederhergestellt!—Ich träume doch nicht? (Indem er wieder in den Brief sieht, als um sich nochmals zu überzeugen.) Nein, kein Blendwerk meiner Wünsche!—Lesen Sie selbst, mein Fräulein, lesen Sie selbst!

Fräulein
Ich bin nicht so unbescheiden, Herr Major.

Tellheim Unbescheiden? Der Brief ist an mich, an Ihren Tellheim, Minna. Er enthält—was Ihnen Ihr Oheim nicht nehmen kann. Sie müssen ihn lesen; lesen Sie doch!

Fräulein Wenn Ihnen ein Gefalle damit geschieht, Herr Major—(Sie nimmt den Brief und lieset.) ("Mein lieber Major von Tellheim!) Ich tue Euch zu wissen, daß der Handel, der mich um Eure Ehre besorgt machte, sich zu Eurem Vorteil aufgekläret hat. Mein Bruder war des nähern davon unterrichtet, und sein Zeugnis hat Euch für mehr als unschuldig erkläret. Die Hofstaatskasse hat Ordre, Euch den bewußten Wechsel wieder auszuliefern und die getanen Vorschüsse zu bezahlen; auch habe ich befohlen, daß alles, was die Feldkriegskassen wider Eure Rechnungen urgieren, niedergeschlagen werde. Meldet mir, ob Euch Eure Gesundheit erlaubet, wieder Dienste zu nehmen. Ich möchte nicht gern einen Mann von Eurer Bravour und Denkungsart entbehren. Ich bin Euer wohlaffektionierter König" etc.

Tellheim
Nun, was sagen Sie hierzu, mein Fräulein?

Fräulein (indem sie den Brief wieder zusammenschlägt und zurückgibt). Ich? Nichts.

Tellheim
Nichts?

Fräulein
Doch ja: daß Ihr König, der ein großer Mann ist, auch wohl ein guter
Mann sein mag.—Aber was geht mich das an? Er ist nicht mein König.

Tellheim
Und sonst sagen Sie nichts? Nichts in Rücksicht auf uns selbst?

Fräulein
Sie treten wieder in seine Dienste; der Herr Major wird Oberstleutnant,
Oberster vielleicht. Ich gratuliere von Herzen.

Tellheim Und Sie kennen mich nicht besser?—Nein, da mir das Glück so viel zurückgibt, als genug ist, die Wünsche eines vernünftigen Mannes zu befriedigen, soll es einzig von meiner Minna abhangen, ob ich sonst noch jemanden wieder zugehören soll als ihr. Ihrem Dienste allein sei mein ganzes Leben gewidmet! Die Dienste der Großen sind gefährlich und lohnen der Mühe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die sie kosten. Minna ist keine von den Eiteln, die in ihren Männern nichts als den Titel und die Ehrenstelle lieben. Sie wird mich um mich selbst lieben; und ich werde um sie die ganze Welt vergessen. Ich ward Soldat aus Parteilichkeit, ich weiß selbst nicht für welche politische Grundsätze, und aus der Grille, daß es für jeden ehrlichen Mann gut sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang zu versuchen, um sich mit allem, was Gefahr heißt, vertraulich zu machen und Kälte und Entschlossenheit zu lernen. Nur die äußerste Not hätte mich zwingen können, aus diesem Versuche eine Bestimmung, aus dieser gelegentlichen Beschäftigung ein Handwerk zu machen. Aber nun, da mich nichts mehr zwingt, nun ist mein ganzer Ehrgeiz wiederum einzig und allein, ein ruhiger und zufriedener Mensch zu sein. Der werde ich mit Ihnen, liebste Minna, unfehlbar werden; der werde ich in Ihrer Gesellschaft unveränderlich bleiben.—Morgen verbinde uns das heiligste Band; und sodann wollen wir um uns sehen und wollen in der ganzen weiten bewohnten Welt den stillsten, heitersten, lachendsten Winkel suchen, dem zum Paradiese nichts fehlt als ein glückliches Paar. Da wollen wir wohnen; da soll jeder unserer Tage—Was ist Ihnen, mein Fräulein? (Die sich unruhig hin und her wendet und ihre Rührung zu verbergen sucht.)

Fräulein (sich fassend). Sie sind sehr grausam, Tellheim, mir ein Glück so reizend darzustellen, dem ich entsagen muß. Mein Verlust—

Tellheim Ihr Verlust?—Was nennen Sie Ihren Verlust? Alles, was Minna verlieren konnte, ist nicht Minna. Sie sind noch das süßeste, lieblichste, holdseligste, beste Geschöpf unter der Sonne, ganz Güte und Großmut, ganz Unschuld und Freude!—Dann und wann ein kleiner Mutwille; hier und da ein wenig Eigensinn—Desto besser! desto besser! Minna wäre sonst ein Engel, den ich mit Schaudern verehren müßte, den ich nicht lieben könnte. (Ergreift ihre Hand, sie zu küssen.)

Fräulein (die ihre Hand zurückzieht). Nicht so, mein Herr!—(Wie auf einmal so verändert?—Ist dieser schmeichelnde, stürmische Liebhaber der kalte Tellheim?—Konnte nur sein wiederkehrendes Glück ihn in dieses Feuer setzen?—Er erlaube mir, daß ich bei seiner fliegenden Hitze für uns beide Überlegung behalte.—Als er selbst überlegen konnte, hörte ich ihn sagen, es sei eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trage, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen.—Recht, aber ich bestrebe mich einer ebenso reinen und edeln Liebe als er.—Jetzt, da ihn die Ehre ruft, da sich ein großer Monarch um ihn bewirbt, sollte ich zugeben, daß er sich verliebten Träumereien mit mir überließe? daß der ruhmvolle Krieger in einen tändelnden Schäfer ausarte?—Nein, Herr Major, folgen Sie dem Wink Ihres bessern Schicksals—)

Tellheim Nun wohl! Wenn Ihnen die große Welt reizender ist, Minna—wohl! so behalte uns die große Welt!—Wie klein, wie armselig ist diese große Welt!—Sie kennen sie nur erst von ihrer Flitterseite. Aber gewiß, Minna, Sie werden—Es sei! Bis dahin, wohl! Es soll Ihren Vollkommenheiten nicht an Bewundrern fehlen, und meinem Glücke wird es nicht an Neidern gebrechen.

Fräulein
Nein, Tellheim, so ist es nicht gemeint! Ich weise Sie in die große
Welt, auf die Bahn der Ehre zurück, ohne Ihnen dahin folgen zu wollen.
—Dort braucht Tellheim eine unbescholtene Gattin! Ein sächsisches
verlaufenes Fräulein, das sich ihm an den Kopf geworfen—

Tellheim (auffahrend und wild um sich sehend). Wer darf so sprechen?—Ah, Minna, ich erschrecke vor mir selbst, wenn ich mir vorstelle, daß jemand anders dieses gesagt hätte als Sie. Meine Wut gegen ihn würde ohne Grenzen sein.

Fräulein Nun da! Das eben besorge ich. Sie würden nicht die geringste Spötterei über mich dulden, und doch würden Sie täglich die bittersten einzunehmen haben.—Kurz, hören Sie also, Tellheim, was ich fest beschlossen, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll—

Tellheim Ehe Sie ausreden, Fräulein—ich beschwöre Sie, Minna!—überlegen Sie es noch einen Augenblick, daß Sie mir das Urteil über Leben und Tod sprechen!—

Fräulein Ohne weitere Überlegung!—So gewiß ich Ihnen den Ring zurückgegeben, mit welchem Sie mir ehemals Ihre Treue verpflichtet, so gewiß Sie diesen nämlichen Ring zurückgenommen: so gewiß soll die unglückliche Barnhelm die Gattin des glücklichern Tellheims nie werden!

Tellheim
Und hiermit brechen Sie den Stab, Fräulein?

Fräulein Gleichheit ist allein das feste Band der Liebe.—Die glückliche Barnhelm wünschte, nur für den glücklichen Tellheim zu leben. Auch die unglückliche Minna hätte sich endlich überreden lassen, das Unglück ihres Freundes durch sich, es sei zu vermehren oder zu lindern. —Er bemerkte es ja wohl, ehe dieser Brief ankam, der alle Gleichheit zwischen uns wieder aufhebt, wie sehr zum Schein ich mich nur noch weigerte.

Tellheim Ist das wahr, mein Fräulein?—Ich danke Ihnen, Minna, daß Sie den Stab noch nicht gebrochen.—Sie wollen nur den unglücklichen Tellheim? Er ist zu haben. (Kalt.) Ich empfinde eben, daß es mir unanständig ist, diese späte Gerechtigkeit anzunehmen, daß es besser sein wird, wenn ich das, was man durch einen so schimpflichen Verdacht entehrt hat, gar nicht wiederverlange.—Ja, ich will den Brief nicht bekommen haben. Das sei alles, was ich darauf antworte und tue! (Im Begriffe, ihn zu zerreißen.)

Fräulein (das ihm in die Hände greift). Was wollen Sie, Tellheim?

Tellheim
Sie besitzen.

Fräulein
Halten Sie!

Tellheim Fräulein, er ist unfehlbar zerrissen, wenn Sie nicht bald sich anders erklären.—Alsdann wollen wir doch sehen, was Sie noch wider mich einzuwenden haben!

Fräulein Wie? In diesem Tone?—So soll ich, so muß ich in meinen eigenen Augen verächtlich werden? Nimmermehr! Es ist eine nichtswürdige Kreatur, die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken!

Tellheim
Falsch, grundfalsch!

Fräulein
Wollen Sie es wagen, Ihre eigene Rede in meinem Munde zu schelten?

Tellheim Sophistin! So entehrt sich das schwächere Geschlecht durch alles, was dem stärkern nicht ansteht? So soll sich der Mann alles erlauben, was dem Weibe geziemet? Welches bestimmte die Natur zur Stütze des andern?

Fräulein Beruhigen Sie sich, Tellheim!—Ich werde nicht ganz ohne Schutz sein, wenn ich schon die Ehre des Ihrigen ausschlagen muß. So viel muß mir immer noch werden, als die Not erfordert. Ich habe mich bei unserm Gesandten melden lassen. Er will mich noch heute sprechen. Hoffentlich wird er sich meiner annehmen. Die Zeit verfließt. Erlauben Sie, Herr Major—

Tellheim
Ich werde Sie begleiten, gnädiges Fräulein.—

Fräulein
Nicht doch, Herr Major, lassen Sie mich—

Tellheim Eher soll Ihr Schatten Sie verlassen! Kommen Sie nur, mein Fräulein, wohin Sie wollen, zu wem Sie wollen. Überall, an Bekannte und Unbekannte, will ich es erzählen, in Ihrer Gegenwart des Tages hundertmal erzählen, welche Bande Sie an mich verknüpfen, aus welchem grausamen Eigensinne Sie diese Bande trennen wollen—

10. Szene

(Just. Die Vorigen.)

Just (mit Ungestüm). Herr Major! Herr Major!

Tellheim
Nun?

Just
Kommen Sie doch geschwind, geschwind!

Tellheim
Was soll ich? Zu mir her! Sprich, was ist's?

Just
Hören Sie nur—(Redet ihm heimlich ins Ohr.)

Fräulein (indes beiseite zur Franziska). Merkst du was, Franziska?

Franziska
Oh, Sie Unbarmherzige! Ich habe hier gestanden wie auf Kohlen!

Tellheim (zu Justen). Was sagst du?—Das ist nicht möglich!—Sie? (Indem er das Fräulein wild anblickt.)—sag es laut; sag es ihr ins Gesicht!— Hören Sie doch, mein Fräulein!—

Just Der Wirt sagt, das Fräulein von Barnhelm habe den Ring, welchen ich bei ihm versetzt, zu sich genommen; sie habe ihn für den ihrigen erkannt und wolle ihn nicht wieder herausgeben.—

Tellheim
Ist das wahr, mein Fräulein?—Nein, das kann nicht wahr sein!

Fräulein (lächelnd). Und warum nicht, Tellheim?—Warum kann es nicht wahr sein?

Tellheim (heftig). Nun, so sei es wahr!—Welch schreckliches Licht, das mir auf einmal aufgegangen!—Nun erkenne ich Sie, die Falsche, die Ungetreue!

Fräulein (erschrocken). Wer? wer ist diese Ungetreue?

Tellheim
Sie, die ich nicht mehr nennen will!

Fräulein
Tellheim!

Tellheim
Vergessen Sie meinen Namen!—Sie kamen hierher, mit mir zu brechen.
Es ist klar!—Daß der Zufall so gern dem Treulosen zustatten kömmt!
Er führte Ihnen Ihren Ring in die Hände. Ihre Arglist wußte mir den
meinigen zuzuschanzen.

Fräulein Tellheim, was für Gespenster sehen Sie! Fassen Sie sich doch, und hören Sie mich.

Franziska (vor sich). Nun mag sie es haben!

11. Szene

(Werner mit einem Beutel Gold. v. Tellheim. (Das Fräulein.
Franziska. Just.)

Werner
Hier bin ich schon, Herr Major!—

Tellheim (ohne ihn anzusehen). Wer verlangt dich?—

Werner
Hier ist Geld! tausend Pistolen!

Tellheim
Ich will sie nicht!

Werner
Morgen können Sie, Herr Major, über noch einmal so viel befehlen.

Tellheim
Behalte dein Geld!

Werner
Es ist ja Ihr Geld, Herr Major.—Ich glaube, Sie sehen nicht, mit wem
Sie sprechen?

Tellheim
Weg damit! sag ich.

Werner
Was fehlt Ihnen?—Ich bin Werner.

Tellheim
Alle Güte ist Verstellung, alle Dienstfertigkeit Betrug.

Werner
Gilt das mir?

Tellheim
Wie du willst!

Werner
Ich habe ja nur Ihren Befehl vollzogen.—

Tellheim
So vollziehe auch den und packe dich!

Werner
Herr Major! (ärgerlich) ich bin ein Mensch—

Tellheim
Da bist du was Rechts!

Werner
Der auch Galle hat—

Tellheim
Gut! Galle ist noch das Beste, was wir haben.

Werner
Ich bitte Sie, Herr Major—

Tellheim
Wievielmal soll ich dir es sagen? Ich brauche dein Geld nicht!

Werner (zornig). Nun, so brauch es, wer da will! (Indem er ihm den Beutel vor die Füße wirft und beiseite geht.)

Fräulein
(zur Franziska). Ah, liebe Franziska, ich hätte dir folgen sollen.
Ich habe den Scherz zu weit getrieben.—Doch er darf mich ja nur hören
—(Auf ihn zugehend.)

Franziska (die, ohne dem Fräulein zu antworten, sich Wernern nähert). Herr Wachtmeister!—

Werner (mürrisch). Geh Sie!—

Franziska
Hu! was sind das für Männer!

Fräulein Tellheim!—Tellheim! (Der vor Wut an den Fingern naget, das Gesicht wegwendet und nichts höret.)—Nein, das ist zu arg!—Hören Sie mich doch!—Sie betrügen sich!—Ein bloßes Mißverständnis—Tellheim!—Sie wollen Ihre Minna nicht hören?—Können Sie einen solchen Verdacht fassen?—Ich mit Ihnen brechen wollen?—Ich darum hergekommen?— Tellheim!

12. Szene

(Zwei Bediente nacheinander, von verschiedenen Seiten über den Saal laufend. Die Vorigen.)

eine Bediente Gnädiges Fräulein, Ihro Exzellenz, der Graf!—

andere Bediente Er kömmt, gnädiges Fräulein!—

Franziska (die ans Fenster gelaufen). Er ist es! er ist es!

Fräulein
Ist er's?—Oh, nun geschwind, Tellheim—

Tellheim
(auf einmal zu sich selbst kommend). Wer? wer kömmt? Ihr Oheim,
Fräulein? dieser grausame Oheim?—Lassen Sie ihn nur kommen, lassen
Sie ihn nur kommen!—Fürchten Sie nichts! Er soll Sie mit keinem
Blicke beleidigen dürfen! Er hat es mit mir zu tun.—Zwar verdienen
Sie es um mich nicht—

Fräulein
Geschwind umarmen Sie mich, Tellheim, und vergessen Sie alles—

Tellheim
Ha, wenn ich wüßte, daß Sie es bereuen könnten!—

Fräulein
Nein, ich kann es nicht bereuen, mir den Anblick Ihres ganzen Herzens
verschafft zu haben!—Ah, was sind Sie für ein Mann!—Umarmen Sie Ihre
Minna, Ihre glückliche Minna; aber durch nichts glücklicher als durch
Sie! (Sie fällt ihm in die Arme.) Und nun, ihm entgegen!—

Tellheim
Wem entgegen?

Fräulein
Dem besten Ihrer unbekannten Freunde.

Tellheim
Wie?

Fräulein Dem Grafen, meinem Oheim, meinem Vater, Ihrem Vater—Meine Flucht, sein Unwille, meine Enterbung—hören Sie denn nicht, daß alles erdichtet ist?—Leichtgläubiger Ritter!

Tellheim
Erdichtet?—Aber der Ring? der Ring?

Fräulein
Wo haben Sie den Ring, den ich Ihnen zurückgegeben?

Tellheim Sie nehmen ihn wieder?—Oh, so bin ich glücklich!—Hier, Minna!—(Ihn herausziehend.)

Fräulein
So besehen Sie ihn doch erst!—Oh, über die Blinden, die nicht sehen
wollen!—Welcher Ring ist es denn? Den ich von Ihnen habe, oder den
Sie von mir?—Ist es denn nicht eben der, den ich in den Händen des
Wirts nicht lassen wollen?

Tellheim
Gott! was seh ich? was hör ich?

Fräulein
Soll ich ihn nun wiedernehmen? soll ich?—Geben Sie her, geben Sie
her! (Reißt ihn ihm aus der Hand und steckt ihn ihm selbst an den
Finger.) Nun? ist alles richtig?

Tellheim Wo bin ich?—(Ihre Hand küssend.) O boshafter Engel!—mich so zu quälen!

Fräulein Dieses zur Probe, mein lieber Gemahl, daß Sie mir nie einen Streich spielen sollen, ohne daß ich Ihnen nicht gleich darauf wieder einen spiele.—Denken Sie, daß Sie mich nicht auch gequälet hatten?

Tellheim
O Komödiantinnen, ich hätte euch doch kennen sollen.

Franziska Nein, wahrhaftig; ich bin zur Komödiantin verdorben. Ich habe gezittert und gebebt und mir mit der Hand das Maul zuhalten müssen.

Fräulein Leicht ist mir meine Rolle auch nicht geworden.—Aber so kommen Sie doch!

Tellheim
Noch kann ich mich nicht erholen.—Wie wohl, wie ängstlich ist mir!
So erwacht man plötzlich aus einem schreckhaften Traume!

Fräulein
Wir zaudern.—Ich höre ihn schon.

13. Szene

(Der Graf von Bruchsall, von verschiedenen Bedienten und dem Wirte begleitet. Die Vorigen.)

Graf (im Hereintreten). Sie ist doch glücklich angelangt?

Fräulein (die ihm entgegenspringt). Ah, mein Vater!—

Graf Da bin ich, liebe Minna! (Sie umarmend.) Aber was, Mädchen? (Indem er den Tellheim gewahr wird.) Vierundzwanzig Stunden erst hier und schon Bekanntschaft und schon Gesellschaft?

Fräulein
Raten Sie, wer es ist?—

Graf
Doch nicht dein Tellheim?

Fräulein
Wer sonst als er?—Kommen Sie, Tellheim! (Ihn dem Grafen zuführend.)

Graf
Mein Herr, wir haben uns nie gesehen, aber bei dem ersten Anblicke
glaubte ich, Sie zu erkennen. Ich wünschte, daß Sie es sein möchten.—
Umarmen Sie mich.—Sie haben meine völlige Hochachtung. Ich bitte um
Ihre Freundschaft.—Meine Nichte, meine Tochter liebet Sie.—

Fräulein
Das wissen Sie, mein Vater!—Und ist sie blind, meine Liebe?

Graf Nein, Minna, deine Liebe ist nicht blind, aber dein Liebhaber—ist stumm.

Tellheim (sich ihm in die Arme werfend). Lassen Sie mich zu mir selbst kommen, mein Vater!—

Graf So recht, mein Sohn! Ich höre es; wenn dein Mund nicht plaudern kann, so kann dein Herz doch reden.—Ich bin sonst den Offizieren von dieser Farbe (auf Tellheims Uniform weisend) eben nicht gut. Doch Sie sind ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag stecken, in welchem Kleide er will, man muß ihn lieben.

Fräulein
Oh, wenn Sie alles wüßten!—

Graf
Was hindert's, daß ich nicht alles erfahre?—Wo sind meine Zimmer,
Herr Wirt?

Wirt
Wollen Ihro Exzellenz nur die Gnade haben, hier hereinzutreten.

Graf
Komm, Minna! Kommen Sie, Herr Major! (Geht mit dem Wirte und den
Bedienten ab.)

Fräulein
Kommen Sie, Tellheim!

Tellheim Ich folge Ihnen den Augenblick, mein Fräulein. Nur noch ein Wort mit diesem Manne! (Gegen Wernern sich wendend.)

Fräulein Und ja ein recht gutes; mich dünkt, Sie haben es nötig.—Franziska, nicht wahr? (Dem Grafen nach.)

14. Szene

(v. Tellheim. Werner. Just. Franziska.)

Tellheim (auf den Beutel weisend, den Werner weggeworfen). Hier, Just!—Hebe den Beutel auf, und trage ihn nach Hause. Geh!—(Just damit ab.)

Werner (der noch immer mürrisch im Winkel gestanden und an nichts teilzunehmen geschienen, indem er das hört). Ja, nun!

Tellheim (vertraulich auf ihn zugehend). Werner, wann kann ich die andern tausend Pistolen haben?

Werner (auf einmal wieder in seiner guten Laune). Morgen, Herr Major, morgen. —

Tellheim
Ich brauche dein Schuldner nicht zu werden, aber ich will dein
Rentmeister sein. Euch gutherzigen Leuten sollte man allen einen
Vormund setzen. Ihr seid eine Art Verschwender.—Ich habe dich vorhin
erzürnt, Werner!—

Werner
Bei meiner armen Seele, ja!—Ich hätte aber doch so ein Tölpel nicht
sein sollen. Nun seh ich's wohl. Ich verdiente hundert Fuchtel.
Lassen Sie mir sie auch schon geben; nur weiter Keinen Groll, lieber
Major!—

Tellheim Groll?—(Ihm die Hand drückend.) Lies es in meinen Augen, was ich dir nicht alles sagen kann.—Ha! wer ein besseres Mädchen und einen redlichern Freund hat als ich, den will ich sehen!—Franziska, nicht wahr? (Geht ab.)

15. Szene

(Werner. Franziska)

Franziska (vor sich). Ja gewiß, es ist ein gar zu guter Mann!—So einer kömmt mir nicht wieder vor.—Es muß heraus! (Schüchtern und verschämt sich Wernern nähernd.) Herr Wachtmeister!—

Werner (der sich die Augen wischt). Nu?—

Franziska
Herr Wachtmeister—

Werner
Was will Sie denn, Frauenzimmerchen?

Franziska
Seh Er mich einmal an, Herr Wachtmeister.—

Werner
Ich kann noch nicht; ich weiß nicht, was mir in die Augen gekommen.

Franziska
So seh Er mich doch an!

Werner
Ich fürchte, ich habe Sie schon zuviel angesehen, Frauenzimmerchen!—
Nun, da seh ich Sie ja! Was gibt's denn?

Franziska
Herr Wachtmeister—braucht Er keine Frau Wachtmeisterin?

Werner
Ist das Ihr Ernst, Frauenzimmerchen?

Franziska
Mein völliger!

Werner
Zöge Sie wohl auch mit nach Persien?

Franziska
Wohin Er will!

Werner Gewiß?—Holla! Herr Major! nicht groß getan! Nun habe ich wenigstens ein ebenso gutes Mädchen und einen ebenso redlichen Freund als Sie!—Geben Sie mir Ihre Hand, Frauenzimmerchen! Topp!—Über zehn Jahr' ist Sie Frau Generalin oder Witwe!

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Minna von Barnhelm, von Gotthold
Ephraim Lessing.

End of Project Gutenberg's Minna von Barnhelm, by Gotthold Ephraim Lessing