The Project Gutenberg eBook of Der Parasit, oder, die Kunst sein Glück zu machen

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Title: Der Parasit, oder, die Kunst sein Glück zu machen

Author: L.-B. Picard

Friedrich Schiller

Release date: September 1, 2004 [eBook #6504]
Most recently updated: December 29, 2020

Language: German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PARASIT, ODER, DIE KUNST SEIN GLÜCK ZU MACHEN ***

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Friedrich Schiller

Der Parasit oder die Kunst, sein Glück zu machen.

Ein Lustspiel nach dem Französischen [des Picard]

Personen.

Narbonne, Minister.
Madame Belmont, seine Mutter.
Charlotte, seine Tochter.
Selicour, La Roche und Firmin, Subalternen des Ministers.
Karl Firmin, des Letztern Sohn, Lieutenant.
Michel, Kammerdiener des Ministers.
Robineau, ein junger Bauer, Selicours Vetter.

Die Scene ist zu Paris in einem Vorgemach des Ministers.

Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

Firmin, der Vater und Karl Firmin.

Karl. Welch glücklicher Zufall!—Denken Sie doch, Vater!

Firmin. Was ist's?

Karl. Ich habe sie wieder gefunden.

Firmin. Wen?

Karl. Charlotten. Seitdem ich in Paris bin, suchte ich sie an allen öffentlichen Plätzen vergebens—und das erste Mal, daß ich zu Ihnen aufs Bureau komme, führt mein Glücksstern sie mir entgegen.

Firmin. Aber wie denn?

Karl. Denken Sie doch nur! Dieses herrliche Mädchen, das ich zu Colmar im Haus ihrer Tante besuchte—diese Charlotte, die ich liebe und ewig lieben werde—sie ist die Tochter!—

Firmin. Wessen?

Karl. Ihres Principals, des neuen Ministers.—Ich kannte sie immer nur unter dem Namen Charlotte.

Firmin. Sie ist die Tochter?

Karl. Des Herrn von Narbonne.

Firmin. Und du liebst sie noch?

Karl. Mehr als jemals, mein Vater!—Sie hat mich nicht erkannt, glaub' ich; ich wollte ihr eben meine Verbeugung machen, als Sie herein traten.—Und gut, daß Sie mich störten! Denn was hätte ich ihr sagen können! Meine Verwirrung mußte ihr sichtbar werden und meine Gefühle verrathen!—Ich beherrsche mich nicht mehr. Seit den sechs Monaten, daß ich von ihr getrennt bin, ist sie mein einziger Gedanke—sie ist der Inhalt, die Seele meiner Gedichte—der Beifall, den man mir gezollt, ihr allein gebührt er; denn meine Liebe ist der Gott, der mich begeistert.

Firmin. Ein Poet und ein Verliebter überredet sich Vieles, wenn er zwanzig Jahre alt ist.—Auch ich habe in deinen Jahren meine Verse und meine Zeit verloren.—Schade, daß über dem schönen Wahn des Lebens beste Hälfte dahin geht.—Und wenn doch nur wenigstens einige Hoffnung bei dieser Liebe wäre!—Aber nach etwas zu streben, was man niemals erreichen kann!—Charlotte Narbonne ist eines reichen und vornehmen Mannes Tochter—Unser ganzer Reichthum ist meine Stelle und deine Lieutenantsgage.

Karl. Aber ist das nicht ein wenig Ihre eigene Schuld, mein Vater? Verzeihen Sie! Mit Ihren Fähigkeiten, wornach könnten Sie nicht streben! Wollten Sie Ihren Werth geltend machen, Sie wären vielleicht selbst Minister, anstatt sein Commis zu sein, und Ihr Sohn dürfte ungescheut seine Ansprüche zu Charlotten erheben.

Firmin. Dein Vater ist das größte Genie, wenn man dich hört! Laß gut sein, mein Sohn, ich weiß besser, was ich werth bin! Ich habe einige Uebung und bin zu brauchen—Aber wie viele ganz andere Männer, als ich bin, bleiben im Dunkeln und sehen sich von unverschämten Glückspilzen verdrängt—Nein, mein Sohn! Laß uns nicht zu hoch hinaus wollen!

Karl. Aber auch nicht zu wenig auf uns halten! Wie? Sollten Sie nicht unendlich mehr werth sein, als dieser Selicour, Ihr Vorgesetzter—dieser ausgeblasene Hohlkopf, der unter dem vorigen Minister Alles machte, der sich durch Niederträchtigkeiten in seine Gunst einschmeichelte, Stellen vergab, Pensionen erschlich, und der jetzt auch schon bei dem neuen Minister Alles gilt, wie ich höre?

Firmin. Was hast du gegen diesen Selicour? Wird sein Geschäft nicht gethan, wie es sein soll?

Karl. Ja, weil Sie ihm helfen.—Sie können nicht leugnen, daß Sie drei Viertheile seiner Arbeit verrichten.

Firmin. Man muß einander wechselseitig zu Gefallen sein. Versehe ich seine Stelle, so versieht er auch oft die meinige.

Karl. Ganz recht! Darum sollten Sie an seinem Platze stehen, und er an dem Ihren.

Firmin. Ich will keinen Andern aus seinem Platze verdrängen und bin gern da, wo ich stehe, in der Dunkelheit.

Karl. Sie sollten so hoch streben, als Sie reichen können.—Daß Sie unter dem vorigen Minister sich in der Entfernung hielten, machte Ihrer Denkungsart Ehre, und ich bewunderte Sie darum nur desto mehr. —Sie fühlten sich zu edel, um durch die Gunst erlangen zu wollen, was Ihrem Verdienst gebührte. Aber Narbonne, sagt man, ist ein vortrefflicher Mann, der das Verdienst aussucht, der das Gute will. Warum wollen Sie aus übertriebener Bescheidenheit auch jetzt noch der Unfähigkeit und Intrigue das Feld überlassen?

Firmin. Deine Leidenschaft verführt dich, Selicours Fehler und mein Verdienst zu übertreiben.—Sei es auch, daß Selicour für sein mittelmäßiges Talent zu hoch hinaus will, er ist redlich und meint es gut. Mag er seine Arbeit thun oder durch einen Andern thun lassen— wenn sie nur gethan wird!—Und gesetzt, er taugte weniger, tauge ich um derentwillen mehr? Wächst mir ein Verdienst zu aus seinem Unwerth? Ich habe mir bisher in meiner Verborgenheit ganz wohl gefallen und nach keinem höhern Ziel gestrebt. Soll ich in meinem Alter meine Gesinnung ändern? Mein Platz sei zu schlecht für mich! Immerhin! Weit besser, als wenn ich zu schlecht für meine Stelle wäre!

Karl. Und ich müßte also Charlotten entsagen!

Zweiter Auftritt.

La Roche. Beide Firmin.

Firmin. Kommt da nicht La Roche?

La Roche (niedergeschlagen). Er selbst.

Firmin. So schwermüthig? Was ist Ihnen begegnet?

La Roche. Sie gehen aufs Bureau! Wie glücklich sind Sie!—Ich— ich will den angenehmen Morgen genießen und auf dem Wall promenieren.

Firmin. La Roche! Was ist das? Sollten Sie nicht mehr—

La Roche (zuckt die Achseln). Nicht mehr.—Mein Platz ist vergeben.
Seit gestern hab' ich meinen Laufpaß erhalten.

Karl. Um Gotteswillen!

La Roche. Meine Frau weiß noch nichts davon. Lassen Sie sich ja nichts gegen sie merken. Sie ist krank; sie würde den Tod davon haben.

Karl. Sorgen Sie nicht. Von uns soll sie nichts erfahren.

Firmin. Aber sagen Sie mir, La Roche, wie—

La Roche. Hat man mir das Geringste vorzuwerfen? Ich will mich nicht selbst loben; aber ich kann ein Register halten, meine Correspondenz führen, denk' ich, so gut als ein Anderer. Ich habe keine Schulden, gegen meine Sitten ist nichts zu sagen.—Auf dem Burean bin ich der Erste, der kommt, und der Letzte, der abgeht, und doch verabschiedet!

Firmin. Wer Sie kennt, muß Ihnen das Zeugniß geben—

Karl. Aber wer kann Ihnen diesen schlimmen Dienst geleistet haben?

La Roche. Wer? Es ist ein Freundschaftsdienst von dem Selicour.

Karl. Ist's möglich?

La Roche. Ich hab' es von guter Hand.

Firmin. Aber wie?

La Roche. Der Selicour ist aus meinem Ort, wie Sie wissen. Wir haben beide gleiches Alter. Sein bischen Schreiben hat er von mir gelernt, denn mein Vater war Cantor in unserm Dorf. Ich hab' ihn in die Geschäfte eingeführt. Zum Dank dafür schickt er mich jetzt fort, um. Ich weiß nicht welchen Vetter von dem Kammerdiener unsers neuen Ministers in meinen Platz einzuschieben.

Karl. Ein saubres Plänchen!

Firmin. Aber wäre da nicht noch Rath zu schaffen?

La Roche. Den erwart' ich von Ihnen, Herr Firmin!—Zu Ihnen wollt' ich mich eben wenden.—Sie denken rechtschaffen.—Hören Sie! Um meine Stelle ist mir's nicht zu thun; aber rächen will ich mich. Dieser unverschämte Bube, der gegen seine Obern so geschmeidig, so kriechend ist, glaubt einem armen Schlucker, wie ich bin, ungestraft ein Bein unterschlagen zu können.—Aber nimm dich in Acht, Freund Selicour!—Der verachtete Gegner soll dir sehr ernsthafte Händel anrichten!—Und sollt' es mir meine Stelle, meine Versorgung auf immer kosten—ich muß Rache haben! Für meine Freunde gehe ich ins Feuer, aber meine Feinde mögen an mich denken.

Firmin. Nicht doch, lieber La Roche!—Vergeben und vergessen ist die Rache des braven Mannes.

La Roche. Keine Barmherzigkeit, Herr, mit den Schelmen! Schlechte Bursche zu entlarven, ist ein gutes, ein verdienstliches Werk.— Seine Stelle, das wissen Sie recht gut, gebührt von Gott und Rechts wegen Ihnen—und das aus mehr als einem Grund. Aber arbeitet, zerschwitzt euch, laßt's euch sauer werden, ihr habt doch nur Zeit und Mühe umsonst vergeudet! Wer fragt nach eurem Verdienste? Wer bekümmert sich darum?—Kriecht, schmeichelt, macht den Krummbuckel, streicht den Katzenschwanz, das empfiehlt seinen Mann! Das ist der Weg zum Glück und zur Ehre!—So hat's dieser Selicour gemacht, und ihr seht, wie wohl er sich dabei befindet!

Firmin. Aber thun Sie dem guten Manne nicht Unrecht, lieber La Roche?

La Roche. Ich ihm Unrecht! Nun, nun—ich will mich eben für keinen tiefen Menschenkenner geben; aber diesen Selicour, den seh' ich durch! Den hab' ich—ich kenne mich selbst nicht so gut, als ich den kenne.—Schon in der Schule sah man, welch Früchtchen das geben würde! Das schwänzelte um den Lehrmeister herum und horchte und schmeichelte, und wußte sich fremdes Verdienst zuzueignen und seine Eier in fremde Nester zu legen. Das erschrak vor keiner Niederträchtigkeit, um sich einzuschmeicheln, einzunisten. Als er älter ward, ging das alles ins Große. Bald spielte erden Heuchler, bald den Spaßmacher, wie's die Zeit heischte; mit jedem Winde wußte er zu segeln. Denken Sie nicht, daß ich ihn verleumde! Man weiß, wie es unter dem vorigen Minister zuging.—Nun, er ist todt—ich will ihm nichts Böses nachreden.—Aber wie wußte dieser Selicour seinen Schwächen, seinen Lastern durch die schändlichsten Kupplerdienste zu schmeicheln!—Und kaum fällt der Minister, so ist er der Erste, der ihn verläßt, der ihn verleugnet!

Karl. Aber wie kann er sich bei dem neuen Herrn behaupten, der ein so würdiger Mann ist?

La Roche. Wie? Mit Heucheln. Der weiß sich nach seinen Leuten zu richten und seinen Charakter nach den Umständen zu verändern.—Auch auf eine gute Handlung kommt's ihm nicht an, wenn dabei etwas zu gewinnen ist, so wenig, als auf ein Bubenstück, wenn es zum Zwecke führt.

Karl. Aber Herr Narbonne hat einen durchdringenden Geist und wird seinen Mann bald ausgefunden haben.

La Roche. Das ist's eben, was er fürchtet.—Aber so leer sein Kopf an allen nützlichen Kenntnissen ist, so reich ist er an Kniffen.—So, zum Beispiel, spielt er den Ueberhäuften, den Geschäftvollen und weiß dadurch jeder gründlichen Unterredung zu entschlüpfen, wo seine Unwissenheit ans Licht kommen könnte.—Uebrigens trägt er sich mit keinen kleinen Projecten; ich kenne sie recht gut, ob er sie gleich tief zu verbergen glaubt.

Firmin. Wieso? Was sind das für Projecte?

La Roche. Narbonne, der bei dem Gouvernement jetzt sehr viel zu sagen hat, sucht eine fähige Person zu einem großen Gesandtschaftsposten. Er hat die Präsentation; wen er dazu empfiehlt, der ist's. Nun hat dieser Narbonne auch eine einzige Tochter, siebzehn Jahre alt, schön und liebenswürdig und von unermeßlichem Vermögen.—Gelingt's nun dem Selicour, in einem so hohen Posten aus dem Land und dem hellsehenden Minister aus den Augen zu kommen, so kann er mit Hilfe eines geschickten und diskreten Sekretärs seine Hohlköpfigkeit lange verbergen.—Kommt sie aber auch endlich an den Tag, wie es nicht fehlen kann, was thut das alsdann dem Schwiegersohn des Ministers? Der Minister muß also zuerst gewonnen werden, und da gibt man sich nun die Miene eines geübten Diplomatikers.—Die Mutter des Ministers ist eine gute schwatzhafte Alte, die eine Kennerin sein will und sich viel mit der Musik weiß.—Bei dieser Alten hat er sich eingenistet, hat ihr Charaden und Sonette vorgesagt, ja, und der Stümper hat die Dreistigkeit, ihr des Abends Arien und Lieder auf der Guitarre vorzuklimpern.—Das Fräulein hat Romane gelesen; bei ihr macht er den Empfindsamen, den Verliebten, und so ist er der Liebling des ganzen Hauses, von der Mutter gehätschelt, von der Tochter geschätzt. Die Gesandtschaft ist ihm so gut als schon gewiß, und nächstens wird er um die Hand der Tochter anhalten.

Karl. Was hör' ich! Er sollte die Kühnheit haben, sich um
Charlotten zu bewerben?

La Roche. Die hat er, das können Sie mir glauben.

Karl. Charlotten, die ich liebe, die ich anbete.

La Roche. Sie lieben Sie? Sie?

Firmin. Er ist ein Narr! Er ist nicht bei Sinnen! Hören Sie ihn nicht an!

La Roche. Was hör' ich! Ist's möglich?—Nein, nein, Herr Firmin! Diese Liebe ist ganz und gar keine Narrheit.—Wart—wart, die kann uns zu etwas führen.—Diese Liebe kommt mir erwünscht—die paßt ganz in meine Projecte!

Karl. Was träumt er?

La Roche. Dieser Selicour ist in die Luft gesprengt! In die Luft, sag' ich.—Rein verloren!—In seinem Ehrgeiz soll ihn der Vater, in seiner Liebe soll ihn der Sohn aus dem Sattel heben.

Firmin. Aber ich bitte Sie—

La Roche. Laßt nur mich machen! Laßt mich machen, sag' ich! Und über kurz oder lang sind Sie Ambassadeur, und Karl heirathet Fräulein Charlotten.

Karl. Ich Charlotten heirathen!

Firmin. Ich Ambassadeur!

La Roche. Nun! Nun! Warum nicht? Sie verdienten es besser, sollt' ich meinen, als dieser Selicour.

Firmin. Lieber La Roche! Eh Sie uns andern so große Stellen verschaffen, dächte ich, Sie sorgten, Ihre eigene wieder zu erhalten.

Karl. Das gleicht unserm Freund! So ist er! Immer unternehmend! immer Plane schmiedend! Aber damit langt man nicht aus! Es braucht Gewandtheit und Klugheit zur Ausführung—und daß der Freund es so leicht nimmt, das hat ihm schon schwere Händel angerichtet!

La Roche. Es mag sein, ich verspreche vielleicht mehr, als ich halten kann. Aber alles, was ich sehe, belebt meine Hoffnung, und der Versuch kann nichts schaden.—Für mich selbst möchte ich um keinen Preis eine Intrigue spielen—aber diesen Selicour in die Luft zu sprengen, meinen Freunden einen Dienst zu leisten—das ist löblich, das ist köstlich, das macht mir ein himmlisches Vergnügen— und an dem Erfolg—an dem ist gar nicht zu zweifeln.

Firmin. Nicht zu zweifeln? So haben Sie Ihren Plan schon in Ordnung?

La Roche. In Ordnung—wie? Ich habe noch gar nicht daran gedacht; aber das wird sich finden, wird sich finden.

Firmin. Ei!—Ei! Dieser gefährliche Plan ist noch nicht weit gediehen, wie ich sehe.

La Roche. Sorgen Sie nicht—Ich werde mich mit Ehren herausziehn; dieser Selicour soll es mir nicht abgewinnen, das soll er nicht, dafür steh' ich.—Was braucht's der Umwege? Ich gehe geradezu, ich melde mich bei dem Minister, es ist nicht schwer, bei ihm vorzukommen; er liebt Gerechtigkeit, er kann die Wahrheit vertragen.

Firmin. Wie? Was? Sie hätten die Kühnheit—

La Roche. Ei was! Ich bin nicht furchtsam.—Ich fürchte Niemand.— Kurz und gut—Ich—spreche den Minister—ich öffne ihm die Augen. —Er sieht, wie schändlich er betrogen ist—das ist das Werk einer halben Stunde—der Selicour muß fort, fort—mit Schimpf und Schande fort, und ich genieße den vollkommensten Triumph.—Ja, ich stehe nicht dafür, daß mich der arme Teufel nicht dauert, wenn er so mit Schande ans dem Hause muß.

Karl. Was Sie thun, lieber La Roche—Mich und meine Liebe lassen
Sie auf jeden Fall aus dem Spiel!—Ich hoffe nichts—ich darf meine
Wünsche nicht so hoch erheben—aber für meinen Vater können Sie nie
zuviel thun.

Firmin. Laß du mich für mich selbst antworten, mein Freund!—Sie meinen es gut, lieber La Roche, aber der gute Wille geht mit der Ueberlegung durch. Was für ein luftiges Project ist's, das Sie sich ausgesonnen haben! Ein leeres Hirngespinnst!—Und wäre der Erfolg ebenso sicher, als er es nicht ist, so würde ich doch nie meine Stimme dazu geben. Diese glänzenden Stellen sind nicht für mich, und ich bin nicht für sie; Neigung und Schicksal haben mir eine bescheidenere Sphäre angewiesen. Warum soll ich mich verändern, wenn ich mich wohl befinde? Ich hoffe, der Staat wird mich nicht suchen, und ich bin zu stolz, um ein Amt zu betteln—noch viel mehr aber, um einen Andern für mich betteln zu lassen.—Sorgen Sie also nur für sich selbst! Sie haben Freunde genug; es wird sich jeder gern für Sie verwenden.

La Roche. Ihr wollt also Beide meine Dienste nicht?—Liegt nichts dran! Ich mache euer Glück, ihr mögt es wollen oder nicht! (Er geht ab.)

Firmin. Er ist ein Narr; aber ein guter, und sein Unfall geht mir zu
Herzen.

Karl. Auch mich bedauern Sie, mein Vater! Ich bin unglücklicher, als er! Ich werde meine Charlotte verlieren!

Firmin. Ich höre kommen—Es ist der Minister mit seiner Mutter— Laß uns gehen!—Ich will auch den Schein vermeiden, als ob ich mich ihm in den Weg gestellt hätte. (Gehen ab.)

Dritter Auftritt.

Narbonne. Madame Belmont.

Mad. Belmont. War Herr Selicour schon bei dir?

Narbonne. Ich hab' ihn heute noch nicht gesehen!

Mad. Belmont. Das mußt du doch gestehen, mein Sohn, daß du einen wahren Schatz in diesem Manne besitzest.

Narbonne. Er scheint sehr brav in seinem Fach. Und da ich mich einmal von meinem ländlichen Aufenthalt in diese große Stadt und in einen so schwierigen Posten versetzt sehe, wo es mit der Bücherweisheit keineswegs gethan ist. So muß ich's für ein großes Glück achten, daß ich einem Manne, wie Selicour, begegnete.

Mad. Belmont. Der alles versteht—dem nichts fremd ist! Geschmack und Kenntniß—die geistreichste Unterhaltung, die angenehmsten Talente.—Musik, Malerei, Verse, man frage, wonach man will, er ist in allem zu Hause.

Narbonne. Nun, und meine Tochter?

Mad. Belmont. Gut, daß du mich darauf bringst. Sie hat ihre siebzehn Jahre; sie hat Augen; dieser Selicour hat so viele Vorzüge. —Und er ist galant! Sein Ausdruck belebt sich in ihrer Gegenwart.— O es ist mir nicht entgangen! Diese Delikatesse, diese zarten Aufmerksamkeiten, die er ihr beweist, sind nur einen kleinen Schritt weit von der Liebe!

Narbonne. Nun, es wäre keine üble Partie für unser Kind! Ich sehe nicht auf die zufälligen Vorzüge der Geburt; hab' ich nicht selbst meinen Weg von unten auf gemacht? Und dieser Selicour kann es mit seinem Geist, seinen Kenntnissen, seiner Rechtschaffenheit noch weit bringen. Ich habe selbst schon bei einem ehrenvollen Posten, wozu man einen tüchtigen und würdigen Mann sucht, an ihn gedacht.—Nun! Ich will seine Fähigkeiten prüfen—zeigt er sich, wie ich nicht zweifle, eines solchen Postens würdig, und weiß er meiner Tochter zu gefallen, so werde ich ihn mit Freuden zu meinem Sohn annehmen.

Mad. Belmont. Das ist mein einziger Wunsch! Er ist ein gar zu artiger, gefälliger, allerliebster Mann!

Vierter Auftritt.

Vorige. Charlotte.

Charlotte. Guten Morgen, lieber Vater!

Narbonne. Sieh da, mein Mädchen!—Nun, wie gefällt dir die große
Stadt?

Charlotte. Ach, ich wünsche mich doch wieder aufs Land hinaus—denn hier muß ich die Zeit abpassen, um meinen Vater zu sehen.

Narbonne. Ja, ich selbst vermisse meine redlichen Landleute. Mit ihnen scherzte ich und war fröhlich—doch das hoffe ich auch hier zu bleiben.—Mein Posten soll meine Gemüthsart nicht verändern; man kann ein Geschäftsmann sein, und doch seine gute Laune behalten.

Mad. Belmont. Mich entzückt dieser Aufenthalt. Ich—ich bin hier wie im Himmel. Mit aller Welt schon bin ich bekannt—alles kommt mir entgegen—und Herr Selicour wollte mich bei dem Lycée abonnieren.

Charlotte. Denken Sie, Großmama, wen ich heute geglaubt habe zu sehen!—

Mad. Belmont. Wen denn?

Charlotte. Den jungen Offizier—

Mad. Belmont. Welchen Offizier?

Charlotte. Den jungen Karl Firmin—

Mad. Belmont. Der zu Colmar alle Abende zu deiner Tante kam—

Charlotte. Der sich immer mit Ihnen unterhielt—

Mad. Belmont. Ein artiger junger Mensch!

Charlotte. Nicht wahr, Großmama?

Mad. Belmont. Der auch so hübsche Verse machte?

Charlotte. Ja, ja, der!

Mad. Belmont. Nun, da er hier ist, wird er sich auch wohl bei uns melden.

Narbonne. Wo doch der Selicour bleibt? Er läßt diesmal auf sich warten!

Mad. Belmont. Da kommt er eben!

Fünfter Auftritt.

Selicour zu den Vorigen.

Selicour (alles bekomplimentierend). Ganz zum Entzücken find' ich
Sie alle hier beisammen!

Narbonne. Guten Morgen, lieber Selicour!

Selicour (zu Narbonne, Papiere übergebend). Hier überbringe ich den bewußten Aufsatz—ich hielt's für dienlich, ein paar Zeilen zur Erläuterung beizufügen.

Narbonne. Vortrefflich!

Selicour (der Madame ein Billet übergebend). Der gnädigen Frau habe ich für das neue Stück eine Loge besprochen.

Mad. Belmont. Allerliebst!

Selicour. Dem gnädigen Fräulein bring' ich diesen moralischen Roman.

Charlotte. Sie haben ihn doch gelesen, Herr Selicour?

Selicour. Das erste Bändchen, ja, hab' ich flüchtig durchgeblättert.

Charlotte. Nun, und—

Selicour. Sie werden eine rührende Scene darin finden.—Ein unglücklicher Vater—eine ausgeartete Tochter!—Eltern hilflos, im Stich gelassen von undankbaren Kindern!—Gräuel, die ich nicht fasse —davon ich mir keinen Begriff machen kann!—Denn wiegt wohl die ganze Dankbarkeit unsers Lebens die Sorgen auf, die sie unserer hilflosen Kindheit beweisen?

Mad. Belmont. In alles, was er sagt, weiß der würdige Mann doch etwas Delicates zu legen!

Selicour (zu Narbonne). In unsern Bureaux ist eben jetzt ein Chef nöthig.—Der Platz ist von Bedeutung, und Viele bewerben sich darum.

Narbonne. Auf Sie verlass' ich mich, Sie werden die Ansprüche eines
Jeden zu prüfen wissen—die Dienstjahre, der Eifer, die Fähigkeit
und vor allen die Rechtschaffenheit sind in Betrachtung zu ziehen.—
Aber ich vergesse, daß ich zu unterzeichnen habe. Ich gehe!

Selicour. Und ich will auch gleich an meine Geschäfte!

Narbonne. Ich bitte Sie recht sehr, erwarten Sie mich hier, wir haben mit einander zu reden!

Selicour. Aber ich hätte vor Tische noch so Mancherlei auszufertigen.

Narbonne. Bleiben Sie, oder kommen Sie schleunigst wieder! Ich habe
Ihre Gegenwart nöthig! Ein Mann von Ihrer Kenntniß, von Ihrer
Rechtschaffenheit ist's, was ich gerade brauche! Kommen Sie ja bald
zurück!—Ich hab' es gut mit Ihnen vor. (Er geht ab.)

Sechster Auftritt.

Vorige ohne Narbonne.

Mad. Belmont. Sie können sich gar nicht vorstellen, Herr Selicour, wie große Stücke mein Sohn auf Sie hält!—Aber ich hätte zu thun, dächt' ich.—Unsre Verwandten, unsre Freunde speisen diesen Abend hier.—Wird man Sie auch sehen, Herr Selicour?

Selicour. Wenn anders meine vielen Geschäfte—

Mad. Belmont. Daß Sie nur ja nicht ausbleiben, sonst würde unserm
Fest seine Krone fehlen. Sie sind die Seele unsrer Gesellschaft!—
Und Charlotte, wollte ich wohl wetten, würde es recht sehr übel
nehmen, wenn Sie nicht kämen.

Charlotte. Ich, Mama? Nun ja! Ihre und Papa's Freunde sind mir immer herzlich willkommen.

Mad. Belmont. Schon gut! Schon gut!—Jetzt zieh dich an! Es ist die höchste Zeit!—Sie müssen wissen, Herr Selicour, daß ich bei dem Putz präsidiere.

Selicour. So kommt die schöne Kunst noch der schönen Natur zu Hilfe —wer könnte da widerstehen?

Mad. Belmont. Er ist scharmant! Scharmant ist er! Nicht den Mund öffnet er, ohne etwas Geistreiches und Galantes zu sagen. (Geht mit Charlotten.)

Siebenter Auftritt.

Selicour. Michel.

Michel (im Hereintreten). Endlich ist sie fort!—Nun kann ich mein
Wort anbringen!—Hab' ich die Ehre, mit Herrn Selicour—

Selicour (grob und verdrießlich). Das ist mein Name!

Michel. Vergönnen Sie, mein Herr!—

Selicour. Muß ich auch hier belästigt werden? Was will man von mir?

Michel. Mein Herr!—

Selicour. Gewiß eine Bettelei—ein Anliegen.—Ich kann nicht dienen.—

Michel. Erlauben Sie, mein Herr!

Selicour. Nichts! Hier ist der Ort nicht—In meinem Cabinet mag man einmal wieder anfragen!

Michel. Einen so übeln Empfang glaubte ich nicht—

Selicour. Was beliebt?

Michel. Ich komme ja gar nicht, um etwas zu bitten—ich komme, dem
Herrn Selicour meine gehorsame Danksagung abzustatten.

Selicour. Danksagung? Wofür?

Michel. Daß Sie meinem Neffen die Stelle verschafft haben.

Selicour. Was? Wie?

Michel. Ich bin erst seit gestern hier im Hause, weil mich mein Herr auf dem Lande zurückließ. Als ich Ihnen schrieb, hatte ich nicht die Ehre, Sie von Person zu kennen.

Selicour. Was Sie sagen, mein Werthester! Sie wären im Dienst des
Ministers?

Michel. Sein Kammerdiener, Ihnen zu dienen!

Selicour. Mein Gott, welcher Irrthum! Monsieur Michel, Kammerdiener,
Leibdiener, Vertrauter des Herrn Ministers!—Bitte tausendmal um
Verzeihung, Monsieur Michel!—Wahrhaftig, ich schäme mich—ich bin
untröstlich, daß ich Sie so barsch angelassen. Auf Ehre, Monsieur
Michel!—Ich hielt Sie für einen Commis.

Michel. Und wenn ich es auch wäre!

Selicour. Man wird von so vielen Zudringlichen belagert! Man kann es nicht allen Leuten am Rock ansehen.—

Michel. Aber gegen alle kann man höflich sein, dächt' ich!

Selicour. Freilich! Freilich! Es war eine unglückliche Zerstreuung!—

Michel. Eine sehr unangenehme für mich, Herr Selicour!

Selicour. Es thut mir leid, sehr leid—ich kann mir's in Ewigkeit nicht vergeben—

Michel. Lassen wir's gut sein!

Selicour. Nun! Nun!—ich habe Ihnen meinen Eifer bewiesen—der liebe, liebe Neffe, der wäre denn nun versorgt!

Michel. Eben komm' ich von ihm her; er ist nicht auf den Kopf gefallen, der Bursch!

Selicour. Der junge Mann wird seinen Weg machen. Zählen Sie auf mich.

Michel. Schreibt er nicht seine saubre Hand?

Selicour. Er schreibt gar nicht übel!

Michel. Und die Orthographie—

Selicour. Ja! Das ist das Wesen!

Michel. Hören Sie, Herr Selicour! Von meinem Briefe an Sie lassen Sie sich gegen den gnädigen Herrn nichts merken. Er hat uns, da er zur Stadt reiste, streng anbefohlen, um nichts zu sollicitieren.—Er ist so etwas wunderlich, der Herr!

Selicour. Ist er das? So! So!—Sie kennen ihn wohl sehr gut, den
Herrn Minister?

Michel. Da er auf einem vertrauten Fuß mit seiner Dienerschaft umgeht, so weiß ich ihn auswendig,—und kann Ihnen, wenn Sie wollen, völlige Auskunft über ihn geben.

Selicour. Ich glaub's! Ich glaub's! Aber ich bin eben nicht neugierig, ganz und gar nicht! Sehen Sie, Monsieur Michel! Mein Grundsatz ist: Handle recht, scheue Niemand.

Michel. Schön gesagt!

Selicour. Nun also weiter! Fahren Sie nur fort, Monsieur Michel!—
Der gute Herr ist also ein wenig eigen, sagen Sie?

Michel. Er ist wunderlich, aber gut. Sein Herz ist lauter, wie Gold.

Selicour. Er ist reich, er ist ein Wittwer, ein angenehmer Mann und noch in seinen besten Jahren.—Gestehen Sie's nur—er haßt die Weiber nicht, der liebe, würdige Mann.

Michel. Er hat ein gefühlvolles Herz.

Selicour (lächelt fein). He! He! So einige kleine Liebschaften, nicht wahr?

Michel. Mag wohl sein; aber er ist über diesen Punkt—

Selicour. Verstehe, verstehe, Monsieur Michel! Sie sind bescheiden und wissen zu schweigen.—Ich frage in der besten Absicht von der Welt; denn ich bin gewiß, man kann nichts erfahren, als was ihm Ehre bringt.

Michel. Ja! Hören Sie! In einer von den Vorstädten sucht er ein
Quartier.

Selicour. Ein Quartier, und für wen?

Michel. Das will ich schon noch herausbringen.—Aber lassen Sie sich ja nichts verlauten, hören Sie?

Selicour. Bewahre Gott!

Michel. Galant war er in der Jugend.—

Selicour. Und da glauben Sie, daß er jetzt noch sein Liebchen—

Michel. Das eben nicht! Aber—

Selicour. Sei's, was es will! Als ein treuer Diener des würdigen Herrn müssen Sie einen christlichen Mantel auf seine Schwachheit werfen. Und warum könnte es nicht eine heimliche Wohlthat sein? Warum das nicht, Herr Michel?—Ich hasse die schlechten Auslegungen —In den Tod hasse ich, was einer übeln Nachrede gleicht.—Man muß immer das Beste von seinen Wohlthätern denken.—Nun! Nun! Nun, wir sehen uns wieder, Monsieur Michel!—Sie haben mir doch meinen trockenen Empfang verziehen? Haben Sie?—Auf Ehre! Ich bin noch ganz schamroth darüber! (Gibt ihm die Hand.)

Michel (weigert sich). O nicht doch, nicht doch, Herr Selicour! Ich kenne meinen Platz und weiß mich zu bescheiden.

Selicour. Ohne Umstände! Zählen Sie mich unter Ihre Freunde!—Ich bitte mir das aus, Monsieur Michel!

Michel. Das werd' ich mich nimmer unterstehen—ich bin nur ein
Bedienter.

Selicour. Mein Freund! Mein Freund! Kein Unterschied zwischen uns.
Ich bitte mir's recht aus, Monsieur Michel!

(Indem sich Beide becomplimentieren. Fällt der Vorhang.)

Zweiter Aufzug.

Erster Auftritt.

Narbonne und Selicour sitzen.

Narbonne. Sind wir endlich allein?

Selicour (unbehaglich).—Ja.

Narbonne. Es liegt mir sehr viel an dieser Unterredung.—Ich habe schon eine sehr gute Meinung von Ihnen, Herr Selicour, und bin gewiß, sie wird sich um ein Großes vermehren, ehe wir auseinander gehen. Zur Sache also, und die falsche Bescheidenheit bei Seite. Sie sollen in der Diplomatik und im Staatsrecht sehr bewandert sein, sagt man?

Selicour. Ich habe viel darin gearbeitet, und vielleicht nicht ganz ohne Frucht. Aber für sehr kundig möchte ich mich denn darum doch nicht—

Narbonne. Gut! Gut! Fürs erste also lassen Sie hören—Welches halten Sie für die ersten Erfordernisse zu einem guten Gesandten?

Selicour (stockend). Vor allen Dingen habe er eine Gewandtheit in
Geschäften.

Narbonne. Eine Gewandtheit, ja, aber die immer mit der strengsten
Redlichkeit bestehe.

Selicour. So mein' ich's.

Narbonne. Weiter.

Selicour. An dem fremden Hofe, wo er sich aufhält, suche er sich beliebt zu machen.

Narbonne. Ja! Aber ohne seiner Würde etwas zu vergeben. Er behaupte die Ehre des Staats, den er vorstellt, und erwerbe ihm Achtung durch sein Betragen.

Selicour. Das ist's, was ich sagen wollte. Er lasse sich nichts bieten und wisse sich ein Ansehen zu geben.—

Narbonne. Ein Ansehen, ja, aber ohne Anmaßung.

Selicour. So mein' ich's.

Narbonne. Er habe ein wachsames Auge auf alles, was—

Selicour (unterbricht ihn). Ueberall habe er die Augen; er wisse das
Verborgenste aufzuspüren—

Narbonne. Ohne den Aufpasser zu machen.

Selicour. So mein' ich's.—Ohne eine ängstliche Neugierde zu verrathen.

Narbonne. Ohne sie zu haben.—Er wisse zu schweigen, und eine bescheidene Zurückhaltung—

Selicour (rasch). Sein Gesicht sei ein versiegelter Brief.

Narbonne. Ohne den Geheimnißkrämer zu machen.

Selicour. So mein' ich's.

Narbonne. Er besitze einen Geist des Friedens und suche jeder gefährlichen Mißhelligkeit—

Selicour. Möglichst vorzubeugen.

Narbonne. Ganz recht. Er habe eine genaue Kenntniß von der
Volksmenge der verschiedenen Länder—

Selicour. Von ihrer Lage—ihren Erzeugnissen—ihrer Ein- und
Ausfuhr—ihrer Handelsbilanz—

Narbonne. Ganz recht.

Selicour (im Fluß der Rede). Ihren Verfassungen—ihren Bündnissen— ihren Hilfsquellen—ihrer bewaffneten Macht.—

Narbonne. Zum Beispiel: angenommen also, es wäre Schweden oder
Rußland, wohin man Sie verschickte—so würden Sie wohl von diesen
Staaten vorläufig die nöthige Kunde haben.

Selicour (verlegen). Ich—muß gestehen, daß—Ich habe mich mehr mit Italien beschäftigt. Den Norden kenn' ich weniger.

Narbonne. So! Hm!

Selicour. Aber ich bin jetzt eben daran, ihn zu studieren.

Narbonne. Von Italien also!

Selicour. Das Land der Cäsaren fesselte billig meine Aufmerksamkeit zuerst. Hier war die Wiege der Künste, das Vaterland der Helden, der Schauplatz der erhabensten Tugend! Welche rührende Erinnerungen für ein Herz, das empfindet!

Narbonne. Wohl! Wohl! Aber auf unser Thema zurück zu kommen!

Selicour. Wie Sie befehlen! Ach, die schönen Künste haben so viel
Anziehendes! Es läßt sich so Vieles dabei denken!

Narbonne. Venedig ist's, was mir zunächst einfällt.

Selicour. Venedig!—Recht! Gerade über Venedig habe ich einen
Aufsaß angefangen, worin ich mich über alles ausführlich verbreite.—
Ich eile, ihn herzuholen.—(Steht auf.)

Narbonne. Nicht doch! Nicht doch! Eine kleine Geduld.

Zweiter Auftritt.

Vorige. Michel.

Michel. Es ist Jemand draußen, der in einer dringenden Angelegenheit ein geheimes Gehör verlangt.—

Selicour (sehr eilig). Ich will nicht stören.

Narbonne. Nein! Bleiben Sie, Selicour! Dieser Jemand wird sich ja wohl einen Augenblick gedulden.

Selicour. Aber—wenn es dringend—

Narbonne. Das Dringendste ist mir jetzt unsere Unterredung.

Selicour. Erlauben Sie, aber—

Michel. Es sei in ein paar Minuten geschehen, sagt der Herr, und habe gar große Eile. (Selicour eilt ab.)

Narbonne. Kommen Sie ja gleich wieder, ich bitte Sie, wenn der
Besuch fort ist.

Selicour. Ich werde ganz zu Ihren Befehlen sein.

Narbonne (zu Michel). Laß ihn eintreten!

Dritter Auftritt.

Narbonne. La Roche.

La Roche (mit vielen Bücklingen). Ich bin wohl—ich vermuthe—es ist des Herrn Ministers Excellenz, vor dem ich—

Narbonne. Ich bin der Minister. Treten Sie immer näher!

La Roche. Bitte sehr um Vergebung—ich—ich komme—es ist—ich sollte—ich bin wirklich in einiger Verwirrung—der große Respekt—

Narbonne. Ei, so lassen Sie den Respekt und kommen zur Sache! Was führt Sie her?

La Roche. Meine Pflicht, mein Gewissen, die Liebe für mein Land!—
Ich komme, Ihnen einen bedeutenden Wink zu geben.

Narbonne. Reden Sie!

La Roche. Sie haben Ihr Vertrauen einem Manne geschenkt, der weder
Fähigkeit noch Gewissen hat.

Narbonne. Und wer ist dieser Mann?

La Roche. Selicour heißt er.

Narbonne. Was? Sel—

La Roche. Gerade heraus. Dieser Selicour ist eben so unwissend, als er niederträchtig ist. Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine kleine Schilderung von ihm mache.

Narbonne. Eine kleine Geduld! (klingelt.—Michel kommt.) Ruft Herrn
Selicour!

La Roche. Mit nichten, Ihr Excellenz!—Er ist uns bei diesem
Gespräche keineswegs nöthig.

Narbonne. Nicht für Sie, das glaub' ich, aber das ist nun einmal meine Weise. Ich nehme keine Anklage wider Leute an, die sich nicht vertheidigen können.—Wenn er Ihnen gegenüber steht, mögen Sie Ihre Schilderung anfangen.

La Roche. Es ist aber doch mißlich, Jemand ins Angesicht—

Narbonne. Wenn man keine Beweise hat, allerdings—Ist das Ihr Fall—

La Roche. Ich hatte nicht darauf gerechnet, es ihm gerade unter die Angen zu sagen—Er ist ein feiner Schelm, ein besonnener Spitzbube. —Ei nun! Meinetwegen auch ins Angesicht!—Zum Henker, ich fürchte mich nicht vor ihm.—Er mag kommen! Sie sollen sehen, daß ich mich ganz und gar nicht vor ihm fürchte.

Narbonne. Wohl! Wohl! Das wird sich gleich zeigen. Da kommt er!

Vierter Auftritt.

Vorige. Selicour.

Narbonne. Kennen Sie diesen Herrn?

Selicour (sehr verlegen). Es ist Herr La Roche.

Narbonne. Ich habe Sie rufen lassen, sich gegen ihn zu vertheidigen.
Er kommt, Sie anzuklagen. Nun, reden Sie!

La Roche (nachdem er gehustet). Ich muß Ihnen also sagen, daß wir Schulkameraden zusammen waren, daß er mir vielleicht einige Dankbarkeit schuldig ist. Wir singen Beide unsern Weg zugleich an— es sind jetzt fünfzehn Jahre—und traten Beide in dem nämlichen Bureau als Schreiber ein. Herr Selicour aber machte einen glänzenden Weg, ich—sitze noch da, wo ich ausgelaufen bin. Daß er den armen Teufel, der sein Jugendfreund war, seit vielen Jahren vergessen, das mag sein! Ich habe nichts dagegen. Aber nach einer so langen Vergessenheit an seinen alten Jugendfreund nur darum zu denken, um ihn unverdienter Weise aus seinem Brod zu treiben, wie er gethan hat, das ist hart, das muß mich aufbringen! Er kann nicht das geringste Böse wider mich sagen; ich aber sage von ihm und behaupte dreist, daß dieser Herr Selicour, der jetzt gegen Euer Excellenz den redlichen Mann spielt, einen rechten Spitzbuben machte, da die Zeit dazu war. Jetzt hilft er Ihnen das Gute ausführen; Ihrem Vorgänger, weiß ich gewiß, hat er bei seinen schlechten Stückchen redlich beigestanden. Wie ein spitzbübischer Lakai weiß der Heuchler mit der Livree auch jedesmal den Ton seines Herrn anzunehmen. Ein Schmeichler ist er, ein Lügner, ein Großprahler, ein übermüthiger Gesell! Niederträchtig, wenn er etwas sucht, und hochmüthig, unverschämt gegen Alle, die das Unglück haben, ihn zu brauchen. Als Knabe hatte er noch etwas Gutmüthiges; aber über diese menschliche Schwachheit ist er jetzt weit hinaus.—Nun hat er sich in eine prächtige Stelle eingeschlichen, und ich bin überzeugt, daß er ihr nicht gewachsen ist. Auf sich allein zieht er die Augen seines Chefs, und Leute von Fähigkeiten, von Genie, Männer, wie Herr Firmin, läßt er nicht aufkommen.

Narbonne. Firmin! Wie?—Ist Herr Firmin in unsern Bureaux?

La Roche. Ein trefflicher Kopf, das können Sie mir glauben.

Narbonne. Ich weiß von ihm.—Ein ganz vorzüglicher Geschäftsmann!

La Roche. Und Vater einer Familie! Sein Sohn machte in Colmar die
Bekanntschaft Ihrer Tochter.

Narbonne. Karl Firmin! Ja, ja, ganz richtig!

La Roche. Ein talentvoller junger Mann!

Narbonne.—Fahren Sie fort!

La Roche. Nun, das wär' es! Ich habe genug gesagt, denk' ich!

Narbonne (zu Selicour). Verantworten Sie sich!

Selicour. Des Undanks zeiht man mich.—Mich des Undanks! Ich hätte gedacht, mein Freund La Roche sollte mich besser kennen!—An meinem Einfluß und nicht an meinem guten Willen fehlte es, wenn er so lange in der Dunkelheit geblieben.—Welche harte Beschuldigungen gegen einen Mann, den er seit zwanzig Jahren treu gefunden hat! Mit seinem Verdacht so rasch zuzufahren, meine Handlungen aufs schlimmste auszulegen und mich mit dieser Hitze, dieser Galle zu verfolgen!— Zum Beweis, wie sehr ich sein Freund bin—

La Roche. Er mein Freund! Hält er mich für einen Dummkopf?—Und welche Proben hat er mir davon gegeben!

Narbonne. Er hat Sie ausreden lassen!

La Roche. So werde ich Unrecht behalten.

Selicour. Man hat einem Andern seine Stelle gegeben, das ist wahr, und Keiner verdiente diese Zurücksetzung weniger als er. Aber ich hätte gehofft. Mein Freund La Roche, anstatt mich wie einen Feind anzuklagen, würde als Freund zu mir aufs Zimmer kommen und eine Erklärung von mir fordern. Darauf, ich gestehe es, hatte ich gewartet und mich schon im Voraus der angenehmen Ueberraschung gefreut, die ich ihm bereitete. Welche süße Freude für mich, ihn über alle Erwartung glücklich zu machen! Eben zu jenem Chef, wovon ich Eurer Excellenz heut sagte, hatte ich meinen alten Freund La Roche vorzuschlagen.

La Roche. Mich zum Chef! Großen Dank, Herr Selicour!—Ein Schreiber bin ich und kein Geschäftsmann! Meine Feder und nicht mein Kopf muß mich empfehlen, und ich bin Keiner von Denen. Die eine Last auf sich nehmen, der sie nicht gewachsen sind, um sie einem Andern heimlich anfzuladen und sich selbst das Verdienst anzueignen.

Selicour. Die Stelle schickt sich für dich, Kamerad! Glaub' mir, der dich besser kennt, als du selbst. (Zu Narbonne.)—Er ist ein trefflicher Arbeiter, genau, unermüdlich, voll gesunden Verstands; er verdient den Vorzug vor allen seinen Mitbewerbern.—Ich lasse Männer von Genie nicht aufkommen, gibt er mir Schuld, und Herr Firmin ist's, den er anführt.—Das Beispiel ist nicht gut gewählt, so trefflich auch der Mann ist.—Erstlich ist seine jetzige Stelle nicht schlecht —aber ihm gebührt allerdings eine bessere, und sie ist auch schon gefunden—denn eben Herrn Firmin wollte ich Euer Excellenz zu meinem Nachfolger empfehlen, wenn ich in jenen Posten versetzt werden sollte, den mir mein gütiger Gönner bestimmt.—Ich sei meinem jetzigen Amte nicht gewachsen, behauptet man.—Ich weiß wohl, daß ich nur mittelmäßige Gaben besitze.—Aber man sollte bedenken, daß diese Anklage mehr meinen Gönner trifft, als mich selbst!—Bin ich meinem Amte in der That nicht gewachsen, so ist der Chef zu tadeln, der es mir anvertraut und mit meinem schwachen Talent so oft seine Zufriedenheit bezeugt.—Ich soll endlich der Mitschuldige des vorigen Ministers gewesen sein!—Die Stimme der Wahrheit habe ich ihn hören lassen; die Sprache des redlichen Mannes habe ich kühnlich zu einer Zeit geredet, wo sich meine Ankläger vielleicht im Staube vor ihm krümmten.—Zwanzigmal wollte ich diesem unfähigen Minister den Dienst aufkündigen; nichts hielt mich zurück, als die Hoffnung, meinem Vaterlande nützlich zu sein. Welche süße Belohnung für mein Herz, wenn ich hier etwas Böses verhindern, dort etwas Gutes wirken konnte!—Seiner Macht habe ich getrotzt; die gute Sache habe ich gegen ihn verfochten, da er noch im Ansehen war! Er fiel, und ich zollte seinem Unglück das herzlichste Mitleid. Ist das ein Verbrechen, ich bin stolz darauf und rühme mich desselben.—Es ist hart, sehr hart für mich, lieber La Roche, daß ich dich unter meinen Feinden sehe—daß ich genöthigt bin, mich gegen einen Mann zu verteidigen. Den ich schätze und liebe!—Aber komm! Laß uns Frieden machen, schenke mir deine Freundschaft wieder, und alles sei vergessen!

La Roche. Der Spitzbube!—Rührt er mich doch fast selbst!

Narbonne. Nun, was haben Sie darauf zu antworten?

La Roche. Ich?—Nichts! Der verwünschte Schelm bringt mich ganz aus dem Concepte.

Narbonne. Herr La Roche! Es ist brav und löblich, einen Bösewicht, wo er auch stehe, furchtlos anzugreifen und ohne Schonung zu verfolgen—aber auf einem ungerechten Haß eigensinnig bestehen, zeigt ein verderbtes Herz.

Selicour. Er haßt mich nicht! Ganz und gar nicht! Mein Freund La Roche hat das beste Herz von der Welt! Ich kenne ihn—aber er ist hitzig vor der Stirn—er lebt von seiner Stelle—das entschuldigt ihn! Er glaubte sein Brod zu verlieren! Ich habe auch gefehlt—ich gesteh' es—Komm! komm! Laß dich umarmen, alles sei vergessen!

La Roche. Ich ihn umarmen? In Ewigkeit nicht!—Zwar, wie er's anstellt, weiß ich nicht, um mich selbst—um Euer Excellenz zu betrügen—aber kurz! Ich bleibe bei meiner Anklage.—Kein Friede zwischen uns, bis ich ihn entlarvt, ihn in seiner ganzen Blöße dargestellt habe!

Narbonne. Ich bin von seiner Unschuld überzeugt—wenn nicht
Thatsachen, vollwichtige Beweise mich eines Andern überführen.

La Roche. Thatsachen! Beweise! Tausend für einen!

Narbonne. Heraus damit!

La Roche. Beweise genug—die Menge—aber das ist's eben—ich kann nichts damit beweisen!—Solchen abgefeimten Schelmen läßt sich nichts beweisen.—Vormals war er so arm, wie ich; jetzt sitzt er im Ueberfluß! Sagt' ich Ihnen, daß er seinen vorigen Einfluß zu Geld gemacht, daß sich sein ganzer Reichthum davon herschreibt—so kann ich das zwar nicht, wie man sagt, mit Brief und Siegel belegen—aber Gott weiß es, die Wahrheit ist's, ich will darauf leben und sterben.

Selicour. Diese Anklage ist von zu niedriger Art, um mich zu treffen —übrigens unterwerf' ich mich der strengsten Untersuchung!—Was ich besitze, ist die Frucht eines fünfzehnjährigen Fleißes; ich habe es mit saurem Schweiß und Nachtwachen erworben, und ich glaub' es nicht unedel zu verwenden. Es ernährt meine armen Verwandten; es fristet das Leben meiner dürftigen Mutter!

La Roche. Erlogen! Erlogen! Ich kann es freilich nicht beweisen!
Aber gelogen! Unverschämt gelogen!

Narbonne. Mäßigen Sie sich!

Selicour. Mein Gott! Was erleb' ich! Mein Freund La Roche ist's, der so hart mit mir umgeht!—Was für ein Wahnsinn hat dich ergriffen? Ich weiß nicht, soll ich über diese Wuth lachen oder böse werden.—Aber lachen auf Kosten eines Freundes, der sich für beleidigt hält—nein, das kann ich nicht, das ist zu ernsthaft!— Deinen alten Freund so zu verkennen!—Komm doch zu dir selbst, lieber La Roche, und bringe dich wenigstens nicht aus übel angebrachtem Trotz um eine so treffliche Stelle, als ich dir zugedacht habe.

Narbonne. Die Wahrheit zu sagen, Herr La Roche, diese
Halsstarrigkeit gibt mir keine gute Meinung von Ihnen,—Muß auch ich
Sie bitten, gegen Ihren Freund gerecht zu sein?—Auf Ehre! Der arme
Herr Selicour dauert mich von Herzen!

La Roche. Ich will das wohl glauben, gnädiger Herr! Hat er mich doch fast selbst, trotz meines gerechten Unwillens, auf einen Augenblick irre gemacht—aber nein, nein! Ich kenne ihn zu gut—zu gewiß bin ich meiner Sache.—Krieg, Krieg zwischen uns und keine Versöhnung! Hier, sehe ich, würde alles weitere Reden vergeblich sein; aber wiewohl der Spitzbube mich aufs Aeußerste treibt, lieber tausendmal Hungers sterben, als ihm mein Brod verdanken. Ich empfehle mich zu Gnaden! (Ab.)

Fünfter Auftritt.

Narbonne. Selicour.

Narbonne. Begreifen Sie diese hartnäckige Verstocktheit—

Selicour. Hat nichts zu sagen! Er ist ein guter Narr! Ich will ihn bald wieder besänftigen.

Narbonne. Er ist rasch und unbesonnen, aber im Grunde mag er ein guter Mann sein.

Selicour. Ein seelenguter Mann, dafür steh' ich—dem aber der Kopf ein wenig verschoben ist.—Es kann auch sein, daß ihn sonst Jemand gegen mich aufhetzt.

Narbonne. Meinen Sie?

Selicour. Es mag so etwas dahinter stecken.—Wer weiß? Irgend ein heimlicher Feind und Neider—denn dieser arme Teufel ist nur eine Maschine.

Narbonne. Wer sollte aber—

Selicour. Es gibt so Viele, die meinen Untergang wünschen!

Narbonne. Haben Sie vielleicht einen Verdacht?

Selicour. Ich unterdrücke ihn! Denn daß ich so etwas von Herrn Firmin denken sollte—Pfui! Pfui! Das wäre schändlich! Das ist nicht möglich!

Narbonne. So denk' ich auch! Der Mann scheint mir dazu viel zu rechtlich und zu bescheiden.

Selicour. Bescheiden, ja, das ist er!

Narbonne. Sie kennen ihn also?

Selicour. Wir sind Freunde.

Narbonne. Nun, was halten Sie von dem Manne?

Selicour. Herr Firmin, muß ich sagen, ist ein Mann, wie man sich ihn für das Bureau eigentlich wünscht—wenn auch eben kein Kopf, doch ein geschickter Arbeiter. Nicht zwar, als ob es ihm an Verstand und Kenntnissen fehlte—Keineswegs! Er mag viel wissen, aber man sieht's ihm nicht an.

Narbonne. Sie machen mich neugierig, ihn zu kennen.

Selicour. Ich hab' ihm schon längst darum angelegen, sich zu zeigen —aber vielleicht fühlt er sich für eine subalterne Rolle und für die Dunkelheit geboren. Ich will ihn indessen—

Narbonne. Bemühen Sie sich nicht!—Gegen einen Mann von Verdiensten kann unser Einer unbeschadet seines Rangs die ersten Schritte thun.— Ich selbst will Herrn Firmin aufsuchen.—Aber jetzt wieder auf unser voriges Thema zurück zu kommen, das dieser La Roche unterbrochen hat.—

Selicour (verlegen). Es ist schon etwas spät.—

Narbonne. Hat nichts zu sagen.

Selicour. Es wird auch jetzt die Zeit zur Audienz sein.

Narbonne (sieht nach der Uhr). Ja, wahrhaftig.

Selicour. Wir können es ja auf morgen—

Narbonne. Gut! Auch das!

Selicour. Ich will also—

Narbonne. Noch ein Wort—

Selicour. Was beliebt?

Narbonne. Ein Geschäft kann ich Ihnen wenigstens noch auftragen, das zugleich Fähigkeit und Muth erfordert.

Selicour. Befehlen Sie!

Narbonne. Mein Vorgänger hat durch seine üble Verwaltung ein Heer von Mißbräuchen einreißen lassen, die trotz aller unsrer Bemühungen noch nicht abgestellt sind. Es wäre daher ein Memoire aufzusetzen, worin man alle Gebrechen aufdeckte und der Regierung selbst ohne Schonung die Wahrheit sagte.

Selicour. Erlauben aber Euer Excellenz—eine solche Schrift könnte für ihren Verfasser, könnte für Sie selbst bedenkliche Folgen haben.

Narbonne. Das kümmert mich nicht—Keine Gefahr, keine persönliche
Rücksicht darf in Anschlag kommen, wo die Pflicht gebietet.

Selicour. Das ist würdig gedacht!

Narbonne. Sie sind der Mann zu diesem Werk—Ich brauche Ihnen weiter nichts darüber zu sagen.—Sie kennen das Uebel so gut und besser noch, als ich selbst.

Selicour. Und ich bin, hoffe ich, mit Ihnen darüber einerlei Meinung.

Narbonne. Ohne Zweifel. Dies Geschäft hat Eile. Ich verlasse Sie; verlieren Sie keine Zeit, es ist gerade jetzt der günstige Augenblick —ich möchte es wo möglich noch heute an die Behörde absenden.—Kurz und bündig—es kann mit Wenigem viel gesagt werden! Leben Sie wohl! Gehen Sie ja gleich an die Arbeit! (Er geht ab.)

Sechster Auftritt.

Selicour. Madame Belmont.

Mad. Belmont. Sind Sie allein, Herr Selicour? Ich wollte erwarten, bis er weggegangen wäre—er darf nichts davon wissen.

Selicour. Wovon ist die Rede, Madame?

Mad. Belmont. Wir wollen heute Abend ein kleines Concert geben, und meine Charlotte soll sich dabei hören lassen.

Selicour. Sie singt so schön!

Mad. Belmont. Sie geben sich auch zuweilen mit Versen ab? Nicht wahr?

Selicour. Wer macht nicht einmal in seinem Leben Verse!

Mad. Belmont. Nun, so machen Sie uns ein Lied oder so etwas für heute Abend!

Selicour. Eine Romanze meinen Sie?

Mad. Belmont. Gut, die Romanzen lieben wir besonders!

Selicour. Wenn der Eifer den Mangel des Genies ersetzen könnte—

Mad. Belmont. Schon gut! Schon gut! Ich verstehe.

Selicour. Und ich brauchte allerdings so ein leichtes Spielwerk zu meiner Erholung!—Ich bin die ganze Nacht aufgewesen, um Acten durchzugehen und Rechnungen zu korrigieren!

Mad. Belmont. Eine niederträchtige Beschäftigung!

Selicour. Daß ich mich wirklich ein wenig angegriffen fühle.—Wer weiß! Die Blume der Dichtkunst erquickt mich vielleicht mit ihrem lieblichen Hauch, und du, Balsam der Herzen, heilige Freundschaft!

Siebenter Auftritt.

Vorige. Robineau.

Robineau (hinter der Scene). Nu! Nu! Wenn er drinn ist, wird mir's wohl auch erlaubt sein. Denk' ich—

Mad. Belmont. Was gibt's da?

Robineau (im Eintreten). Dieses Bedientenpack bildet sich mehr ein als seine Herrschaft.—Ich will den Herrn Selicour sprechen.

Selicour. Ich bin's.

Robineau. Das will ich bald sehen.—Ja, mein Seel, das ist er!— leibhaftig—Ich seh' ihn noch, wie er sich im Dorf mit den Jungens herum jagte.—Nun seh' Er jetzt auch 'mal mich an—betracht' Er mich wohl. Ich bin wohl ein bischen verändert—Kennt Er mich?

Selicour. Nein!

Robineau. Ei, ei, ich bin ja des Robineau's Christoph, des Winzers, der die dicke Madelon heirathete, Seines Großvaters Muhme, Herr Selicour!

Selicour. Ach so!

Robineau. Nun—Vetter pflegen sich sonst zu umarmen, denk' ich.

Selicour. Mit Vergnügen.—Seid mir willkommen, Vetter!

Robineau. Großen Dank, Vetter!

Selicour. Aber laßt uns auf mein Zimmer gehen—ich bin hier nicht zu Hause.

Mad. Belmont. Lassen Sie sich nicht stören, Herr Selicour! Thun
Sie, als wenn ich gar nicht da wäre.

Selicour. Mit Ihrer Erlaubniß, Madame, Sie sind gar zu gütig! Man muß ihm sein schlichtes Wesen zu gute halten; er ist ein guter ehrlicher Landmann und ein Vetter, den ich sehr lieb habe.

Mad. Belmont. Das sieht Ihnen ähnlich, Herr Selicour!

Robineau. Ich komme so eben an, Herr Vetter!

Selicour. So—und woher denn?

Robineau. Ei, woher sonst als von unserm Dorf.—Dieses Paris ist aber auch wie zwanzig Dörfer.—Schon über zwei Stunden, daß ich aus dem Postwagen gestiegen, treib' ich mich herum, um Ihn und den La Roche aufzusuchen, Er weiß ja, Seinen Nachbar und Schulkameraden.— Nun, da find' ich Ihn ja endlich, und nun mag's gut sein!

Selicour. Er kommt in Geschäften nach Paris, Vetter?

Robineau. In Geschäften! Hat sich wohl! Ein Geschäft hab' ich freilich—

Selicour. Und welches denn?

Robineau. Je nun—mein Glück hier zu machen, Vetter!

Selicour. Ha! Ha!

Robineau. Nun, das Geschäft ist wichtig genug, denk' ich.

Selicour (zu Madame Belmont). Excusieren Sie.

Mad. Belmont. Er belustigt mich. Selicour. Er ist sehr kurzweilig.

Robineau. Peter, der Kärrner, meinte, der Vetter habe sich in Paris seine Pfeifen gut geschnitten.—Als er noch klein war, der Vetter, da sei er ein loser Schelm gewesen; da hätt's geheißen: Der verdirbt nicht—der wird seinen Weg schon machen!—Wir hatten auch schon von Ihm gehört; aber die Nachrichten lauteten gar zu schön, als daß wir sie hätten glauben können. Wie wir aber nicht länger daran zweifeln konnten, sagte mein Vater zu mir: Geh hin, Christoph! Suche den Vetter Selicour in Paris auf! Die Reise wird dich nicht reuen— Vielleicht machst du dein Glück mit einer guten Heirath.—Ich, gleich auf den Weg, und da bin ich nun!—Nehmen Sie mir's nicht übel, Madame! Die Robineaus gehen gerade aus; was das Herz denkt, muß die Zunge sagen—und wie ich den lieben Herrn Vetter da so vor mir sah, sehen Sie, so ging mir das Herz auf.

Mad. Belmont. Ei, das ist ganz natürlich.

Robineau. Hör' Er, Vetter, ich möchte herzlich gern auch mein Glück machen! Er weiß das Geheimniß, wie man's anfängt; theil' Er mir's doch mit.

Selicour. Sei immer rechtschaffen, wahr und bescheiden! Das ist mein ganzes Geheimniß, Vetter, weiter hab' ich keins.—Es ist doch alles wohl zu Hause?

Robineau. Zum Preis Gottes, ja! Die Familie gedeiht. Der Bertrand hat seine Susanne geheirathet; sie wird bald niederkommen und hofft, der Herr Vetter wird zu Gevatter stehen. Es ist alles in guten Umständen, bis auf Seine arme Mutter.—Die meint, es war' doch hart, daß sie Noth leiden müsse und einen so steinreichen Sohn in der Stadt habe.

Selicour (leise). Halt's Maul, Dummkopf!

Mad. Belmont. Was sagt er von der Mutter?

Selicour (laut). Ist's möglich? Die tausend Thaler, die ich ihr geschickt, sind also nicht angekommen?—Das thut mir in der Seele weh!—Was das doch für schlechte Anstalten sind auf diesen Posten— Die arme, gute Mutter! Was mag sie ausgestanden haben!

Mad. Belmont. Ja wohl! Man muß ihr helfen.

Selicour. Das versteht sich! Sogleich bitte ich den Minister um
Urlaub—es ist eine gerechte Forderung. Ich kann darauf bestehen—
Die Pflicht der Natur geht allen andern vor—Ich eile nach meinem
Ort—in acht Tagen ist alles abgethan!—Sie hat sich nicht in Paris
niederlassen wollen, wie sehr ich sie auch darum bat! Die liebe alte
Mutter hängt gar zu sehr an ihrem Geburtsort.

Robineau. So kann ich gar nicht aus ihr klug werden; denn zu uns sagte sie, sie wäre gern nach Paris gekommen, aber der Vetter habe es durchaus nicht haben wollen!

Selicour. Die gute Frau weiß selbst nicht immer, was sie will!— Aber sie nothleidend zu wissen—ach Gott! Das jammert mich und schneidet mir ins Herz.

Mad. Belmont. Ich glaub's Ihnen wohl, Herr Selicour! Aber Sie werden bald Rath geschafft haben. Ich gehe jetzt und lasse Sie mit Ihrem Vetter allein.—Glücklich ist die Gattin, die Sie einst besitzen wird. Ein so pflichtvoller Sohn wird gewiß auch ein zärtlicher Gatte werden! (Ab.)

Achter Auftritt.

Selicour und Robineau.

Robineau. Meiner Treu, Herr Vetter, ich bin ganz verwundert über Ihn —eine so herzliche Aufnahme hätt' ich mir gar nicht von Ihm erwartet. Der ist gar stolz und hochmüthig, hieß es, der wird dich gar nicht mehr erkennen!

Selicour (nachdem er wohl nachgesehen, ob Madame Belmont auch fort ist). Sage mir, du Esel! Was fällt dir ein, daß du mir hier so zur Unzeit über den Hals kommst!

Robineau. Nun, nun! Wie ich Ihm schon sagte, ich komme, mein Glück zu machen!

Selicour. Dein Glück zu machen! Der Schafskopf!

Robineau. Ei, ei, Vetter! Wie Er mit mir umgeht; ich lasse mir nicht so begegnen.

Selicour. Du thust wohl gar empfindlich—schade um deinen Zorn—
Von seinem Dorf weg nach Paris zu laufen! Der Tagdieb!

Robineau. Aber was das auf einmal für ein Betragen ist, Herr Vetter! —Erst der freundliche Empfang und jetzt diesen barschen Ton mit mir! —Das ist nicht ehrlich und gerade gehandelt, nehm' Er mir's nicht übel, das ist falsch—und wenn ich das weiter erzählte, wie Er mit mir umgeht—'s würde Ihm schlechte Ehre bringen! Ja, das würd' es!

Selicour (erschrocken). Weitererzählen! Was?

Robineau. Ja, ja, Vetter!

Selicour. Untersteh dich, Bube!—Ich will dich unterbringen—ich will für die Mutter sorgen. Sei ruhig, ich schaffe dir einen Platz, verlaß dich darauf!

Robineau. Nun, wenn Er das—

Selicour. Aber hier können wir nicht davon reden! Fort! Auf mein
Zimmer!

Robineau. Ja, hör' Er, Vetter! Ich möchte so gern ein recht ruhiges und bequemes Brod. Wenn Er mich so bei der Accise unterbringen könnte.

Selicour. Verlaß dich drauf; ich schaffe dich an den rechten Platz.
—Ins Dorf mit dem dummen Dorfteufel über Hals und Kopf.—(Ab.)

Dritter Aufzug.

Erster Auftritt.

La Roche und Karl Firmin begegnen einander.

La Roche. Ich suchte Sie schon längst.—Hören Sie!—Nun, ich hab'
Wort gehalten—ich hab' ihn dem Minister abgeschildert, diesen
Selicour.

Karl. Wirklich? Und es ist also vorbei mit ihm? Ganz vorbei?

La Roche. Das nun eben nicht!—noch nicht ganz—denn ich muß Ihnen sagen, er hat sich herausgelogen, daß ich da stand, wie ein rechter Dummkopf—Der Heuchler stellte sich gerührt, er spielte den zärtlichen Freund, den Großmüthigen mit mir, er überhäufte mich mit Freundschaftsversicherungen und will mich bei dem Bureau als Chef anstellen.

Karl. Wie? Was? Das ist ja ganz vortrefflich! Da wünsche ich
Glück.

La Roche. Für einen Glücksjäger hielt ich ihn; ich hatte geglaubt, daß es ihm nur um Stellen und um Geld zu thun wäre; für so falsch und verrätherisch hätte ich ihn nie gehalten. Der Heuchler mit seinem süßen Geschwätz! Ich war aber sein Narr nicht und hab' es rundweg ausgeschlagen!

Karl. Und so sind wir noch, wo wir waren? Und mein Vater ist nicht besser daran, als vorher?

La Roche. Wohl wahr—aber lassen Sie mich nur machen! Lassen Sie mich machen!

Karl. Ich bin auch nicht weiter. In den Garten hab' ich mich geschlichen, ob ich dort vielleicht meiner Geliebten begegnen möchte. —Aber vergebens! Einige Strophen, die ich mir in der Einsamkeit ausdachte, sind die ganze Ausbeute, die ich zurückbringe.

La Roche. Vortrefflich! Brav! Machen Sie Verse an Ihre Geliebte! Unterdessen will ich die Spur meines Wildes verfolgen :der Schelm betrügt sich sehr, wenn er glaubt, ich habe meinen Plan aufgegeben.

Karl. Lieber La Roche! Das ist unter unserer Würde. Lassen wir diesen Elenden sein schmutziges Handwerk treiben und das durch unser Verdienst erzwingen, was er durch Niederträchtigkeit erschleicht.

La Roche. Weg mit diesem Stolz! Es ist Schwachheit, es ist
Vorurtheil!—Wie? Wollen wir warten, bis die Redlichkeit die Welt
regiert—da würden wir lange warten müssen. Alles schmiedet Ränke!
Wohl, so wollen wir einmal für die gute Sache ein Gleiches versuchen.
—Das geht übrigens Sie nichts an.—Machen Sie Ihre Verse, bilden
Sie Ihr Talent aus, ich will es geltend machen, ich—das ist meine
Sache!

Karl. Ja, aber die Klugheit nicht vergessen.—Sie haben sich heute übel ertappen lassen.

La Roche. Und es wird nicht das letzte Mal sein.—Aber thut nichts! Ich schreite vorwärts. Ich lasse mich nicht abschrecken, ich werde ihm so lange und so oft zusetzen, daß ich ihm endlich doch Eins beibringe. Ich bin lange sein Narr gewesen, jetzt will ich auch ihm einen Possen spielen. Lassen wir's den Buben so forttreiben, wie er's angefangen, so werde ich bald der Schelm und Ihr Vater der Dummkopf sein müssen!

Karl. Man kommt!

La Roche. Er ist es selbst!

Karl. Ich kann seinen Anblick nicht ertragen. In den Garten will ich zurückgehen und mein Gedicht vollenden. (Ab.)

La Roche. Ich will auch fort! Auf der Stelle will ich Hand ans Werk legen. Doch nein—es ist besser, ich bleibe. Der Geck glaubte sonst, ich fürchte mich vor ihm!

Zweiter Auftritt.

Selicour und La Roche.

Selicour. Ach, sieh da! Finde ich den Herrn La Roche hier?

La Roche. Ihn selbst, Herr Selicour!

Selicour. Sehr beschämt, wie ich sehe.

La Roche. Nicht sonderlich.

Selicour. Ihr wüthender Ausfall gegen mich hat nichts gefruchtet—
Der Freund hat seine Bolzen umsonst verschossen.

La Roche. Hat nichts zu sagen.

Selicour. Wahrlich, Freund La Roche! So hart Sie mir auch zusetzten
—Sie haben mir leid gethan mit Ihren närrischen Grillen.

La Roche. Herr Narbonne ist jetzt nicht zugegen.—Zwingt Euch nicht!

Selicour. Was beliebt?

La Roche. Seid unverschämt nach Herzensgelüsten.

Selicour. Sieh doch!

La Roche. Brüstet Euch mit Eurem Triumph. Ihr habt mir's abgewonnen!

Selicour. Freilich, es kann Einen stolz machen, über einen so fürchterlichen Gegner gesiegt zu haben.

La Roche. Wenn ich's heute nicht recht machte, in Eurer Schule will ich's bald besser lernen.

Selicour. Wie, Herr La Roche? Sie haben es noch nicht aufgegeben, mir zu schaden?

La Roche. Um eines unglücklichen Zugs willen verläßt man das Spiel nicht!

Selicour. Ein treuer Schildknappe also des ehrlichen Firmins!—Sieh, sieh!

La Roche. Er muß dir oft aus der Noth helfen, dieser ehrliche Firmin.

Selicour. Was gibt er dir für deine Ritterschaft?

La Roche. Was bezahlst du ihm für die Exercitien, die er dir ausarbeitet?

Selicour. Nimm dich in Acht, Freund Roche!—Ich könnte dir schlimme
Händel anrichten.

La Roche. Werde nicht böse, Freund Selicour!—Der Zorn verräth ein böses Gewissen.

Selicour. Freilich sollte ich über deine Thorheit nur lachen.

La Roche. Du verachtest einen Feind, der dir zu schwach scheint.
Ich will darauf denken, deine Achtung zu verdienen! (Geht ab.)

Dritter Auftritt.

Selicour allein.

Sie wollen den Firmin zum Gesandten haben.—Gemach, Kamerad!—So weit sind wir noch nicht.—Aber Firmin betrug sich immer so gut gegen mich.—Es ist der Sohn vermutlich—der junge Mensch, der sich mit Versen abgibt, ganz gewiß—und dieser La Roche ist's, der sie hetzt!—Dieser Firmin hat Verdienste, ich muß es gestehen, und wenn sie je seinen Ehrgeiz aufwecken, so kenne ich Keinen, der mir gefährlicher wäre.—Das muß verhütet werden!—Aber in welcher Klemme sehe ich mich!—Eben diese beiden Firmins wären mir jetzt gerade höchst nöthig, der Vater mit seinen Einsichten und der Sohn mit seinen Versen.—Laß uns fürs erste Nutzen von ihnen ziehen, und dann schafft man sie sich schon gelegentlich vom Halse.

Vierter Auftritt.

Firmin der Vater und Selicour.

Selicour. Sind Sie's, Herr Firmin? Eben wollte ich zu Ihnen.

Firmin. Zu mir?

Selicour. Mich mit Ihnen zu erklären—

Firmin. Worüber?

Selicour. Ueber eine Armseligkeit—Lieber Firmin, es ist mir ein rechter Trost, Sie zu sehen.—Man hat uns veruneinigen wollen.

Firmin. Uns veruneinigen?

Selicour. Ganz gewiß. Aber es soll ihnen nicht gelingen, hoff' ich.
Ich bin Ihr wahrer und aufrichtiger Freund, und ich hab' es heute
bewiesen, denk' ich, da dieser tollköpfige La Roche mich bei dem
Minister anschwärzen wollte.

Firmin. Wie? Hätte der La Roche—

Selicour. Er hat mich auf das abscheulichste preisgegeben.

Firmin. Er hat seine Stelle verloren.—Setzen Sie sich an seinen
Platz.

Selicour. Er ist ein Undankbarer! Nach allem, was ich für ihn gethan habe—Und es geschehe, sagte er, um Ihnen dadurch einen Dienst zu leisten.—Er diente Ihnen aber schlecht. Da er mir zu schaden suchte.—Was will ich denn anders, als Ihr Glück?—Aber ich weiß besser, als dieser Brauskopf, was Ihnen dient. Darum habe ich mir schon ein Plänchen mit Ihnen ausgedacht.—Das lärmende Treiben der Bureaux ist Ihnen verhaßt, das weiß ich; Sie lieben nicht, in der geräuschvollen Stadt zu leben.—Es soll für Sie gesorgt werden, Herr Firmin!—Sie suchen sich irgend ein einsames stilles Plätzchen aus, ziehen einen guten Gehalt, ich schicke Ihnen Arbeit hinaus, Sie mögen gern arbeiten, es soll Ihnen nicht daran fehlen.

Firmin. Aber wie—

Selicour. Das sind aber bloß noch Ideen, es hat noch Zeit bis dahin. —Glücklich, der auf der ländlichen Flur seine Tage lebt! Ach, Herr Firmin! So wohl wird es mir nicht! Ich bin in die Stadt gebannt, ein Lastthier der Verhältnisse, den Pfeilen der Bosheit preisgegeben. Auch hielt ich's für die Pflicht eines guten Verwandten, einen Vetter, der sich hier niederlassen wollte, über Hals und Kopf wieder aufs Land zurück zu schicken.—Der gute Vetter! Ich bezahlte ihm gern die Reisekosten—denn, sagen Sie selbst, ist's nicht unendlich besser, auf dem Land in der Dunkelheit frei zu leben, als hier in der Stadt sich zu placken und zu quälen?—

Firmin. Das ist meine Meinung auch.—Aber was wollten Sie eigentlich bei mir?

Selicour. Nun, wie ich sagte, vor allen Dingen mich von der Freundschaft meines lieben Mitbruders überzeugen—und alsdann—Sie haben mir so oft schon aus der Verlegenheit geholfen; ich verhehle es nicht, ich bin Ihnen so viel—so Vieles schuldig—mein Posten bringt mich um—mir liegt so Vieles auf dem Halse—wahrhaftig, es braucht meinen ganzen Kopf, um herum zu kommen—Sie sind zufrieden mit unserm Minister?

Firmin. Ich bewundere ihn.

Selicour. Ja, das nenn' ich einmal einen fähigen Chef! Und wahrlich, es war auch die höchste Noth, daß ein solcher an den Platz kam, wenn nicht alles zu Grunde gehen sollte.—Es ist noch nicht alles, wie es soll, sagte ich ihm heute—wollen Sie, daß alles seinen rechten Gang gehe, so müßten Sie ein Memoire einreichen, worin alles, was noch zu verbessern ist, mit der strengsten Wahrheit angezeigt wäre.—Diese meine Idee hat er mit Eifer ergriffen und will eine solche Schrift unverzüglich aufgesetzt haben.—Er trug sie mir auf—aber die unendlichen Geschäfte, die auf mir liegen—in der That, ich zittre, wenn ich an einen Zuwachs denke—

Firmin. Und da rechnen Sie denn auf mich—nicht wahr?

Selicour. Nun ja, ich will's gestehen!

Firmin. Sie konnten sich diesmal an keinen Bessern wenden!

Selicour. O das weiß ich! Das weiß ich!

Firmin. Denn da ich so lange Zeit von den Mißbräuchen unter der vorigen Verwaltung Augenzeuge war—so habe ich, um nicht bloß als müßiger Zuschauer darüber zu seufzen, meine Beschwerden und Verbesserungspläne dem Papiere anvertraut—und so findet sich, daß die Arbeit, die man von Ihnen verlangt, von mir wirklich schon gethan ist!—Ich hatte mir keinen bestimmten Gebrauch dabei gedacht—ich schrieb bloß nieder, um mein Herz zu erleichtern.

Selicour. Ist's möglich? Sie hätten—

Firmin. Es liegt alles bereit, wenn Sie davon Gebrauch machen wollen.

Selicour. Ob ich das will! O mit Freuden!—Das ist ja ein ganz erwünschter Zufall!

Firmin. Aber die Papiere sind nicht in der besten Ordnung!

Selicour. O diese kleine Mühe übernehm' ich gern—noch heute Abend soll der Minister das Memoire haben—Ich nenne Sie als Verfasser, Sie sollen den Ruhm davon haben.

Firmin. Sie wissen, daß mir's darauf eben nicht ankommt! Wenn ich nur Gutes stifte, gleichviel, unter welchem Namen.

Selicour. Würdiger, scharmanter Mann! Niemand läßt Ihrem bescheidnen Verdienst mehr Gerechtigkeit widerfahren, als ich.—Sie wollen mir also die Papiere—

Firmin. Ich kann sie gleich holen. Wenn Sie so lange verziehen wollen.

Selicour. Ja, gehen Sie! Ich will hier warten.

Firmin. Da kommt mein Sohn—Er kann Ihnen unterdessen Gesellschaft leisten—Aber sagen Sie ihm nichts davon—hören Sie! Ich bitte mir's aus!

Selicour. So! Warum denn nicht?

Firmin. Aus Ursachen.

Selicour. Nun, wenn Sie so wollen! Es wird mir zwar sauer werden,
Ihre Gefälligkeit zu verschweigen.—(Wenn Firmin fort ist.) Der arme
Schelm! Er fürchtet wohl gar, sein Sohn werde ihn auszanken.

Fünfter Auftritt.

Karl. Selicour.

Karl (kommt, in einem Papier lesend, das er beim Anblick Selicours schnell verbirgt). Schon wieder dieser Selicour—(Will gehen.)

Selicour. Bleiben Sie doch, mein junger Freund!—Warum fliehen Sie so die Gesellschaft?

Karl. Verzeihung, Herr Selicour!—(Für sich.) Daß ich dem Schwätzer in den Weg laufen mußte!

Selicour. Ich habe mich schon längst darnach gesehnt, Sie zu sehen, mein Bester!—Was machen die Musen? Wie fließen uns die Verse?— Der gute Herr Firmin hat allerlei dagegen, ich weiß aber, er hat Unrecht.—Sie haben ein so entschiednes Talent!—Wenn die Welt Sie nur erst kennte—aber das wird kommen! Noch heute früh sprach ich von Ihnen—

Karl. Von mir?

Selicour. Mit der Mutter unsers Herrn Ministers—und man hat schon ein gutes Vorurtheil für Sie, nach der Art, wie ich Ihrer erwähnte.

Karl. So! Bei welchem Anlaß war das?

Selicour. Sie macht die Kennerin—ich weiß nicht, wie sie dazu kommt—Man schmeichelt ihr, ihres Sohnes wegen.—Wie? Wenn Sie ihr auf eine geschickte feine Art den Hof machten—derentwegen wollte ich Sie eben aufsuchen.—Sie verlangte ein paar Couplets von mir für diesen Abend.—Nun habe ich zwar zu meiner Zeit auch meinen Vers gemacht, wie ein Andrer, aber der Witz ist eingerostet in den leidigen Geschäften! Wie wär's nun, wenn Sie statt meiner die Verschen machten.—Sie vertrauten sie mir an—ich lese sie vor— man ist davon bezaubert—man will von mir wissen—Ich—ich nenne Sie! Ich ergreife diese Gelegenheit, Ihnen eine Lobrede zu halten.— Alles ist voll von Ihrem Ruhm, und nicht lange, so ist der neue Poet fertig, eben so berühmt durch seinen Witz, als seinen Degen!

Karl. Sie eröffnen mir eine glänzende Aussicht!

Selicour. Es steht ganz in Ihrer Gewalt, sie wirklich zu machen!

Karl (für sich). Er will mich beschwatzen! Es ist lauter Falschheit, ich weiß es recht gut, daß er falsch ist—aber, wie schwach bin ich gegen das Lob! Wider meinen Willen könnte er mich beschwatzen.—(Zu Selicour.) Man verlangt also für diesen Abend—

Selicour. Eine Kleinigkeit! Ein Nichts! Ein Liedchen—wo sich auf eine ungezwungene Art so ein feiner Zug zum Lobe des Ministers anbringen ließe.—

Karl. Den Lobredner zu machen, ist meine Sache nicht! Die Würde der Dichtkunst soll durch mich nicht so erniedrigt werden. Jedes Lob, auch wenn es noch so verdient ist, ist Schmeichelei, wenn man es an die Großen richtet.

Selicour. Der ganze Stolz eines echten Musensohns! Nichts von
Lobsprüchen also—aber so etwas von Liebe—Zärtlichkeit—
Empfindung—

Karl (sieht sein Papier an). Konnte ich denken, da ich sie niederschrieb, daß ich so bald Gelegenheit haben würde?

Selicour. Was? Wie? Das sind doch nicht gar Verse—

Karl. O verzeihen Sie! Eine sehr schwache Arbeit—

Selicour. Ei was! Mein Gott! Da hätten wir ja gerade, was wir brauchen!—Her damit, geschwind!—Sie sollen bald die Wirkung davon erfahren—Es braucht auch gerade keine Romanze zu sein—diese Kleinigkeiten—diese artigen Spielereien thun oft mehr, als man glaubt—dadurch gewinnt man die Frauen, und die Frauen machen alles. —Geben Sie! Geben Sie!—Wie! Sie stehen an? Nun, wie Sie wollen! Ich wollte Ihnen nützlich sein—Sie bekannt machen—Sie wollen nicht bekannt sein—Behalten Sie Ihre Verse! Es ist Ihr Vortheil, nicht der meine, den ich dabei beabsichtete.

Karl. Wenn nur—

Selicour. Wenn Sie sich zieren—

Karl. Ich weiß aber nicht—

Selicour (reißt ihm das Papier aus der Hand). Sie sind ein Kind!
Geben Sie! Ich will Ihnen wider Ihren Willen dienen—Ihr Vater
selbst soll Ihrem Talente bald Gerechtigkeit erzeigen. Da kommt er!
(Er steckt das Papier in die rechte Tasche.)

Sechster Auftritt.

Beide Firmins. Selicour.

Firmin. Hier, mein Freund!—aber reinen Mund gehalten! (Gibt ihm das Papier heimlich.)

Selicour. Ich weiß zu schweigen. (Steckt das Papier in die linke
Rocktasche.)

Karl (für sich). That ich Unrecht, sie ihm zu geben—Was kann er aber auch am Ende mit meinen Versen machen?

Selicour. Meine werthen Freunde! Sie haben mir eine köstliche Viertelstunde geschenkt—aber man vergißt sich in Ihrem Umgang.— Der Minister wird auf mich warten—ich reiße mich ungern von Ihnen los, denn man gewinnt immer etwas bei so würdigen Personen. (Geht ab, mit beiden Händen an seine Rocktaschen greifend.)

Siebenter Auftritt.

Beide Firmins.

Firmin. Das ist nun der Mann, den du einen Ränkeschmied und Kabalenmacher nennst—und kein Mensch nimmt hier mehr Antheil an mir, als er!

Karl. Sie mögen mich nun für einen Träumer halten—aber je mehr er
Ihnen schön thut, desto weniger trau' ich ihm—Dieser süße Ton, den
er bei Ihnen annimmt—Entweder er braucht Sie, oder er will Sie zu
Grund richten.

Firmin. Pfui über das Mißtrauen!—Nein, mein Sohn! Und wenn ich auch das Opfer der Bosheit werden sollte—so will ich doch so spät als möglich das Schlechte von Andern glauben.

Achter Auftritt.

Vorige. La Roche.

La Roche. Sind Sie da, Herr Firmin!—Es macht mir herzliche Freude —der Minister will Sie besuchen.

Karl. Meinen Vater?—

Firmin. Mich?

La Roche. Ja, Sie!—Ich hab' es wohl bemerkt, wie ich ein Wort von
Ihnen fallen ließ, daß Sie schon seine Aufmerksamkeit erregt hatten.
—Diesem Selicour ist auch gar nicht wohl dabei zu Muthe—So ist
mein heutiger Schritt doch zu etwas gut gewesen.

Karl. O so sehen Sie sich doch wider Ihren eigenen Willen ans Licht hervorgezogen!—Welche glückliche Begebenheit!

Firmin. Ja, ja! Du siehst mich in deinen Gedanken schon als
Ambassadeur und Minister—Herr von Narbonne wird mir einen kleinen
Auftrag zu geben haben, das wird's alles sein!

La Roche. Nein, nein, sag' ich Ihnen—er will Ihre nähere Bekanntschaft machen—Und das ist's nicht allein! Nein, nein! Die Augen sind ihm endlich aufgegangen! Dieser Selicour, ich weiß es, ist seinem Fall nahe! Noch heute—es ist schändlich und abscheulich —doch ich sage nichts.—Der Minister ließ in Ihrem Hause nach Ihnen fragen; man sagte ihm, Sie seien auf dem Bureau—Ganz gewiß sucht er Sie hier auf! Sagt' ich's nicht? Sieh, da ist er schon! (Er tritt nach dem Hintergrunde zurück.)

Neunter Auftritt.

Narbonne zu den Vorigen.

Narbonne. Ich habe Arbeiten von Ihnen gesehen, Herr Firmin, die mir eine hohe Idee von Ihren Einsichten geben, und von allen Seiten hör' ich Ihre Rechtschaffenheit, Ihre Bescheidenheit rühmen.—Männer Ihrer Art brauche ich höchst nöthig—Ich komme deßwegen, mir Ihren Beistand, Ihren Rath, Ihre Mitwirkung in dem schweren Amte auszubitten, das mir anvertraut ist.—Wollen Sie mir Ihre Freundschaft schenken, Herr Firmin?

Firmin. So viel Zutrauen beschämt mich und macht mich stolz.—Mit Freude und Dankbarkeit nehme ich dieses gütige Anerbieten an—aber ich fürchte, man hat Ihnen eine zu hohe Meinung von mir gegeben.

Karl. Man hat Ihnen nicht mehr gesagt, als wahr ist, Herr von Narbonne!—Ich bitte Sie, meinem Vater in diesem Punkte nicht zu glauben.

Firmin. Mache nicht zu viel Rühmens, mein Sohn, von einem ganz gemeinen Verdienst.

Narbonne. Das ist also Ihr Sohn, Herr Firmin?

Firmin. Ja.

Narbonne. Der Karl Firmin, dessen meine Mutter und Tochter noch heute Morgen gedacht haben?

Karl. Ihre Mutter und die liebenswürdige Charlotte haben sich noch an Karl Firmin erinnert!

Narbonne. Sie haben mir sehr viel Schmeichelhaftes von Ihnen gesagt.

Karl. Möchte ich so viele Güte verdienen!

Narbonne. Es soll mich freuen, mit Ihnen, braver junger Mann, und mit Ihrem würdigen Vater mich näher zu verbinden.—Herr Firmin! Wenn es meine Pflicht ist, Sie aufzusuchen, so ist es die Ihre nicht weniger, sich finden zu lassen. Mag sich der Unfähige einer schimpflichen Trägheit ergeben!—Der Mann von Talent, der sein Vaterland liebet, sucht selbst das Auge seines Chefs und bewirbt sich um die Stelle, die er zu verdienen sich bewußt ist.—Der Dummkopf und der Nichtswürdige sind immer bei der Hand, um sich mit ihrem anmaßlichen Verdienste zu brüsten—Wie soll man das wahre Verdienst unterscheiden, wenn es sich mit seinen verächtlichen Nebenbuhlern nicht einmal in die Schranken stellt?—Bedenken Sie, Herr Firmin, daß man für das Gute, welches man nicht thut, so wie für das Böse, welches man zuläßt, verantwortlich ist.

Karl. Hören Sie' s nun, mein Vater!

Firmin. Geben Sie mir Gelegenheit, meinem Vaterlande zu dienen, ich werde sie mit Freuden ergreifen!

Narbonne. Und mehr verlang' ich nicht—Damit wir besser mit einander bekannt werden, so speisen Sie Beide diesen Abend bei mir. Sie finden eine angenehme Gesellschaft—ein paar gute Freunde, einige Verwandte—Aller Zwang wird entfernt sein, und meine Mutter, die durch meinen neuen Stand nicht stolzer geworden ist, wird Sie aufs freundlichste empfangen, das versprech' ich Ihnen.

Firmin. Wir nehmen Ihre gütige Einladung an.

Karl (für sich). Ich werde Charlotten sehen!

La Roche (bei Seite). Die Sachen sind auf gutem Weg—der Augenblick ist günstig—frisch, noch einen Ausfall auf diesen Selicour! (Kommt vorwärts.) So lassen Sie endlich dem Verdienst Gerechtigkeit widerfahren, gut! Nun ist noch übrig, auch das Laster zu entlarven— Glücklicherweise finde ich Sie hier und kann da fortfahren, wo ich es diesen Morgen gelassen.—Dieser Selicour brachte mich heute zum Stillschweigen—ich machte es ungeschickt, ich gesteh' es, daß ich so mit der Thür ins Haus fiel; aber wahr bleibt wahr! Ich habe doch recht! Sie verlangten Thatsachen—Ich bin damit versehen.

Narbonne. Was? Wie?

La Roche. Dieser Mensch, der sich das Ansehen gibt, als ob er seiner Mutter und seiner ganzen Familie zur Stütze diente, er hat einen armen Teufel von Vetter schön empfangen, der heute in seiner Einfalt, in gutem Vertrauen zu ihm in die Stadt kam, um eine kleine Versorgung durch ihn zu erhalten. Fortgejagt wie einen Taugenichts hat ihn der Heuchler! So geht er mit seinen Verwandten um—und wie schlecht sein Herz ist, davon kann seine nothleidende Mutter—

Firmin. Sie thun ihm sehr Unrecht, lieber La Roche! Eben dieser Vetter, den er soll fortgejagt haben, kehrt mit seinen Wohlthaten überhäuft und von falschen Hoffnungen geheilt in sein Dorf zurück!

Narbonne. Eben mit diesem Vetter hat er sich recht gut betragen.

La Roche. Wie? Was?

Narbonne. Meine Mutter war ja bei dem Gespräch zugegen.

Firmin. Lieber La Roche! Folgen Sie doch nicht so der Eingebung einer blinden Rache.

La Roche. Schön, Herr Firmin! Reden Sie ihm noch das Wort!

Firmin. Er ist abwesend, es ist meine Pflicht, ihn zu verteidigen.

Narbonne. Diese Gesinnung macht Ihnen Ehre, Herr Firmin; auch hat sich Herr Selicour in Ansehung Ihrer noch heute eben so betragen.— Wie erfreut es mich, mich von so würdigen Personen umgeben zu sehen. —(Zu La Roche) Sie aber, der den armen Selicour so unversöhnlich verfolgt, Sie scheinen mir wahrlich der gute Mann nicht zu sein, für den man Sie hält!—Was ich bis jetzt noch von Ihnen sah, bringt Ihnen wahrlich schlechte Ehre!

La Roche für sich). Ich möchte bersten—aber nur Geduld!

Narbonne. Ich bin geneigt, von dem guten Selicour immer besser zu denken, je mehr Schlimmes man mir von ihm sagt, und ich gehe damit um, ihn mir näher zu verbinden.

Karl (betroffen). Wie so?

Narbonne. Meine Mutter hat gewisse Plane, die ich vollkommen gutheiße—Auch mit Ihnen habe ich es gut vor, Herr Firmin!—Diesen Abend ein Mehreres.—Bleiben Sie ja nicht lange aus. (Zu Karl.) Sie, mein junger Freund, legen sich auf die Dichtkunst, hör' ich; meine Mutter hat mir heute Ihr Talent gerühmt.—Lassen Sie uns bald etwas von Ihrer Arbeit hören.—Auch ich liebe die Musen, ob ich gleich ihrem Dienst nicht leben kann.—Ihr Diener, meine Herren!—Ich verbitte mir alle Umstände. (Er geht ab.)

Zehnter Auftritt.

Vorige ohne Narbonne.

Karl. Ich werde sie sehen! Ich werde sie sprechen!—Aber diese gewissen Plane der Großmutter—Gott! Ich zittre.—Es ist gar nicht mehr zu zweifeln, daß sie diesem Selicour bestimmt ist.

Firmin. Nun, mein Sohn! Das ist ja heute ein glücklicher Tag!

La Roche. Für Sie wohl, Herr Firmin—aber für mich?

Firmin. Sei'n Sie außer Sorgen! Ich hoffe, alles wieder ins Gleiche zu bringen.—(Zu Karl.) Betrage dich klug, mein Sohn! Wenigstens unter den Augen des Ministers vergiß dich nicht!

Karl. Sorgen Sie nicht! Aber auch Sie, mein Vater, rühren Sie sich einmal!

Firmin. Schön! Ich erhalte auch meine Lektion.

Karl. Und habe ich nicht recht, Herr La Roche?

Firmin. Laß dir sein Beispiel wenigstens zu einer Warnung dienen.—
Muth gefaßt, La Roche! Wenn meine Fürsprache etwas gilt, so ist Ihre
Sache noch nicht verloren. (Er geht ab.)

Eilfter Auftritt.

Karl Firmin und La Roche.

La Roche. Nun, was sagen Sie? Ist das erlaubt, daß Ihr Vater selbst mich Lügen straft und den Schelmen in Schutz nimmt?

Karl. Bester Freund, ich habe heute früh Ihre Dienste verschmäht, jetzt flehe ich um Ihre Hilfe. Es ist nicht mehr zu zweifeln, daß man ihr den Selicour zum Gemahl bestimmt. Ich bin nicht werth, sie zu besitzen, aber noch weniger verdient es dieser Nichtswürdige!

La Roche. Braucht's noch eines Sporns, mich zu hetzen? Sie sind Zeuge gewesen, wie man mich um seinetwillen mißhandelt hat! Hören Sie mich an! Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Minister ihm noch heute eine sehr wichtige und kitzliche Arbeit aufgetragen, die noch vor Abend fertig sein soll. Er wird sie entweder gar nicht leisten, oder doch etwas höchst Elendes zu Markte bringen. So kommt seine Unfähigkeit ans Licht. Trotz seiner süßlichten Manieren hassen ihn Alle und wünschen seinen Fall. Keiner wird ihm helfen, dafür steh' ich, so verhaßt ist er!

Karl. Meinen Vater will ich schon davon abhalten.—Ich sehe jetzt wohl, zu welchem Zweck er mir mein Gedicht abschwatzte. Sollte er wohl die Stirne haben, sich in meiner Gegenwart für den Verfasser auszugeben?

La Roche. Kommen Sie mit mir in den Garten, er darf uns nicht
beisammen antreffen.—Du nennst dich meinen Meister, Freund Selicour!
Nimm dich in Acht——dein Lehrling formiert sich, und noch vor
Abend sollst du bei ihm in die Schule gehen! (Gehen ab.)

Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.

Madame Belmont. Charlotte.

Mad. Belmont. Bleib da, Charlotte! Wir haben ein Wörtchen mit einander zu reden, eh die Gesellschaft kommt.—Sage mir, mein Kind! Was hältst du von dem Herrn Selicour?

Charlotte. Ich, Mama?

Mad. Belmont. Ja, du!

Charlotte. Nun, ein ganz angenehmer, verdienstvoller, würdiger Mann scheint er mir zu sein.

Mad. Belmont. Das hör' ich gerne! Ich freue mich, liebes Kind, daß du eine so gute Meinung von ihm hast—denn, wenn dein Vater und ich etwas über dich vermögen, so wird Herr Selicour bald dein Gemahl sein.

Charlotte (betroffen). Mein Gemahl!—

Mad. Belmont. Fällt dir das auf?

Charlotte. Herr Selicour?

Mad. Belmont. Wir glaubten nicht besser für dein Glück sorgen zu können.

Charlotte. Von Ihren und meines Vaters Händen will ich gern einen Gatten annehmen—Aber, Sie werden mich für grillenhaft halten, liebe Großmama!—Ich weiß nicht—dieser Herr Selicour, den ich übrigens hochschätze—gegen den ich nichts einzuwenden habe—ich weiß nicht, wie es kommt—wenn ich mir ihn als meinen Gemahl denke, so—so empfinde ich in der Tiefe meines Herzens eine Art von—

Mad. Belmont. Doch nicht von Abneigung?

Charlotte. Von Grauen möcht' ich's sogar nennen! Ich weiß, daß ich ihm Unrecht thue; aber ich kann es nun einmal nicht überwinden—Ich fühle weit mehr Furcht vor ihm, als Liebe.

Mad. Belmont. Schon gut! Diese Furcht kennen wir, meine Tochter!

Charlotte. Nein! Hören Sie!—

Mad. Belmont. Eine angenehme mädchenhafte Schüchternheit! Das muß ich wissen, glaube mir.—Bin ich nicht auch einmal jung gewesen?— Uebrigens steht diese Partie deiner Familie an.—Ein Mann, der alles weiß—ein Mann von Geschmack—ein feiner Kenner—und ein so gefälliger, bewährter Freund.—Auch reißt man sich in allen Häusern um ihn.—Wäre er nicht eben jetzt seiner Mutter wegen bekümmert, so hätte er mir diesen Abend eine Romanze für dich versprochen—denn er kann alles, und dir möchte er gern in jeder Kleinigkeit zu Gefallen sein.—Aber ich hör' ihn kommen! Er läßt doch niemals auf sich warten! Wahrlich, es gibt seines Gleichen nicht!

Zweiter Auftritt.

Selicour zu den Vorigen.

Selicour. Sie verlangten heute ein gefühlvolles zärtliches Lied von mir! Ich habe mein Möglichstes gethan, Madame!—und lege es Ihnen hier zu Füßen.

Mad. Belmont. Wie, Herr Selicour? Sie haben es wirklich schon fertig?—In der That, ich fürchtete, daß die übeln Nachrichten—

Selicour. Welche Nachrichten?

Mad. Belmont. Von Ihrer Mutter—

Selicour. Von meiner Mutter!—Ja—ich—ich habe eben einen Brief von ihr erhalten—einen Brief, worin sie mir meldet, daß sie endlich—

Mad. Belmont. Daß sie die tausend Thaler erhalten—nun, das freut mich—

Selicour. Hätte ich sonst die Fassung haben können?—Aber, dem
Himmel sei Dank!—jetzt ist mir dieser Stein vom Herzen, und in der
ersten Freude setzte ich diese Strophen auf, die ich die Ehre gehabt,
Ihnen zu überreichen.

Mad. Belmont (zu Charlotten). Er hätte dich gejammert, wenn du ihn gesehen hättest—Da war's, wo ich sein ganzes treffliches Herz kennen lernte.—Herr Selicour, ich liebe Ihre Romanze, noch eh' ich sie gelesen.

Dritter Auftritt.

Vorige. Narbonne.

Narbonne. Selicour hier bei Ihnen! Ei, ei, liebe Mutter! Sie ziehen mir ihn von nöthigeren Dingen ab.—Er hat so dringend zu thun, und Sie beladen ihn noch mit unnützen Aufträgen.

Mad. Belmont. Sieh, sieh, mein Sohn!—Will er nicht gar böse werden!

Narbonne. Was soll aus dem Aufsatz werden, der doch so wichtig und so dringend ist?

Selicour. Der Aufsatz ist fertig. Hier ist er!

Narbonne. Was, schon fertig?

Selicour. Und ich bitte Sie, zu glauben. Daß ich weder Zeit noch
Mühe dabei gespart habe.

Narbonne. Aber wie ist das möglich?

Selicour. Die Mißbräuche der vorigen Verwaltung haben mir nur zu oft das Herz schwer gemacht—Ich konnte es nicht dabei bewenden lassen, sie bloß müßig zu beklagen—dem Papiere vertraute ich meinen Unwillen, meinen Tadel, meine Verbesserungsplane an, und so trifft es sich, daß die Arbeit, die Sie mir auftrugen, schon seit lange im Stillen von mir gemacht ist—Es sollte mir wahrlich auch nicht an Muth gefehlt haben, öffentlich damit hervorzutreten, wenn die Regierung nicht endlich von selbst zur Einsicht gekommen wäre und in Ihrer Person einen Mann abgestellt hätte, der alles wieder in Ordnung bringt.—Jetzt ist der Zeitpunkt da, von diesen Papieren öffentlichen Gebrauch zu machen—Es fehlte nichts, als die Blätter zurecht zu legen, und das war in wenig Augenblicken geschehen.

Mad. Belmont. Nun, mein Sohn! Du kannst zufrieden sein, denk' ich —Herr Selicour hat deinen Wunsch erfüllt, eh' er ihn wußte; hat dir in die Hand gearbeitet, und ihr kommt einander durch den glücklichsten Zufall entgegen—

Narbonne. Mit Freuden seh' ich, daß wir einverstanden sind.—Geben
Sie, Herr Selicour, noch heute Abend sende ich den Aufsatz an die
Behörde.

Selicour (für sich). Alles geht gut—Jetzt diesen Firmin weggeschafft, der mir im Weg ist. (Laut.) Werden Sie mir verzeihen, Herr von Narbonne?—Es thut mir leid. Es zu sagen—aber ich muß fürchten, daß die Anklage des Herrn La Roche diesen Morgen doch einigen Eindruck gemacht haben könnte.

Narbonne. Nicht den mindesten.

Selicour. Ich habe es befürchtet.—Nach allem, was ich sehe, hat dieser La Roche meine Stelle schon an Jemanden vergeben.—

Narbonne. Wie?

Selicour. Ich habe immer sehr gut gedacht von Herrn Firmin. Aber, ich gesteh' es—ich fange doch endlich an, an ihm irre zu werden.

Narbonne. Wie? Sie haben mir ja noch heute seine Gutmütigkeit gerühmt.

Selicour. Ist auch den Gutmütigsten bis auf einen gewissen Punkt zu trauen?—Ich sehe mich von Feinden umgeben. Man legt mir Fallstricke.

Narbonne. Sie thun Herrn Firmin Unrecht. Ich kenne ihn besser, und ich stehe für ihn.

Selicour. Ich wünschte, daß ich eben so von ihm denken könnte.

Narbonne. Der schändliche Undank dieses La Roche muß Sie natürlicherweise mißtrauisch machen. Aber wenn Sie auch nur den Schatten eines Zweifels gegen Herrn Firmin haben, so werden Sie sogleich Gelegenheit haben, von Ihrem Irrthum zurück zu kommen.

Selicour. Wie das?

Narbonne. Er wird im Augenblick selbst hier sein.

Selicour. Herr Firmin—hier?

Narbonne. Hier—Ich konnte mir's nicht versagen. Ich hab' ihn gesehen!

Selicour. Gesehen! Vortrefflich!

Narbonne. Er und sein Sohn speisen diesen Abend mit uns.

Selicour. Speisen—Sein Sohn! Vortrefflich!

Mad. Belmont und Charlotte. Karl Firmin?

Narbonne. Der junge Officier, dessen Verdienste Sie mir so oft gerühmt haben—Ich habe Vater und Sohn zum Nachtessen eingeladen.

Mad. Belmont. Ich werde sie mit Vergnügen willkommen heißen.

Narbonne (zu Selicour). Sie haben doch nichts dawider?

Selicour. Ich bitte sehr—ganz im Gegentheil!

Mad. Belmont. Ich bin dem Vater schon im Voraus gut um des Sohnes willen. Und was sagt unsere Charlotte dazu?

Charlotte. Ich, Mama—ich bin ganz Ihrer Meinung!

Narbonne. Sie können sich also ganz offenherzig gegen einander erklären.

Selicour. O das bedarf's nicht—im geringsten nicht—Wenn ich's gestehen soll, ich habe Herrn Firmin immer für den redlichsten Mann gehalten—und that ich ihm einen Augenblick Unrecht, so bekenne ich mit Freuden meinen Irrthum—Ich für meinen Theil bin überzeugt, daß er mein Freund ist.

Narbonne. Er hat es bewiesen! Er spricht mit großer Achtung von Ihnen—Zwar kenne ich ihn nur erst von heute, aber gewiß verdient er—

Selicour (einfallend). Alle die Lobsprüche, die ich ihm, wie Sie wissen, noch vor kurzem ertheilt habe—So bin ich einmal! Mein Herz weiß nichts von Mißgunst.

Narbonne. Er verbindet einen gesunden Kopf mit einem vortrefflichen Herzen, und kein Mensch kann von Ruhmsucht freier sein, als er. Was gilt's, er wär' im Stande, einem Andern das ganze Verdienst von dem zu lassen, was er geleistet hat!

Selicour. Meinen Sie?

Narbonne. Er wäre der Mann dazu!

Mad. Belmont. Sein Sohn möchte in diesem Stück nicht ganz so denken.

Charlotte. Jawohl, der ist ein junger feuriger Dichterkopf, der keinen Scherz versteht.

Selicour. Würde der wohl einem Andern den Ruhm seines Werks abtreten?

Charlotte. O daran zweifle ich sehr.

Narbonne. Ich liebe dieses Feuer an einem jungen Kriegsmann.

Selicour. O allerdings, das verspricht!

Narbonne. Jeder an seinen rechten Platz gestellt, werden sie Beide vortrefflich zu brauchen sein.

Selicour. Es ist doch gar schön, wie Sie die fähigen Leute so aufsuchen!

Narbonne. Das ist meine Pflicht. (Er spricht mit seiner Tochter.)

Selicour. Das war's! (Zu Madame Belmont, bei Seite.) Ein Wort,
Madame!—Man könnte doch glauben, Sie zerstreuten mich von meinen
Berufsgeschäften—Wenn also diesen Abend mein Gedicht sollte
gesungen werden, so—nennen Sie mich nicht!

Mad. Belmont. Wenn Sie nicht wollen, nein.

Selicour. Ja—mir fällt ein.—Wie? Wenn ich, größerer Sicherheit wegen, Jemanden aus der Gesellschaft darum anspräche, sich als Verfasser zu bekennen.—

Mad. Belmont. Wie? Sie könnten einem Andern den Ruhm davon abtreten?

Selicour. Pah! Das ist eine Kleinigkeit! (Beide Firmin treten ein.)

Charlotte (erblickt sie, lebhaft). Da kommen sie!

Vierter Auftritt.

Vorige. Beide Firmins.

Narbonne (ihnen entgegen). Ich habe Sie längst erwartet, meine
Herren!—Nur herein! Nur näher! Sei'n Sie herzlich willkommen!—
Hier Herr Firmin, meine Mutter und hier meine Tochter—Sie sind kein
Fremdling in meiner Familie.

Mad. Belmont (zu Karl Firmin). Ich hatte mir' s nicht erwartet, Sie hier in Paris zu sehen; es ist sehr angenehm, sich mit lieben Freunden so unvermuthet zusammen zu finden.

Karl. Dieser Name hat einen hohen Werth für mich. (Zu Charlotten.)
Sie haben Ihre Tante doch wohl verlassen?

Charlotte. Ja, Herr Firmin!

Karl. Es waren unvergeßliche Tage, die ich in Ihrem Hause verlebte.
Dort war's, mein Fräulein—

Narbonne (zu Firmin, dem Vater). Lassen wir die jungen Leute ihre
Bekanntschaft erneuern.—Nun, Herr Firmin, da ist Selicour!

Selicour (zu Firmin). In der That—ich bin—ich kann nicht genug sagen, wie erfreut ich bin—Sie bei dem Herrn von Narbonne eingeführt zu sehen.

Narbonne. Sie sind Beide die Männer dazu, einander Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. (Zu Firmin.) Er hat etwas auf dem Herzen, ich wünschte, daß Sie sich gegen einander erklärten, meine Herren!

Selicour. O nicht doch! Nicht doch! Herr Firmin kennt mich als seinen Freund.

Narbonne. Und sei'n Sie versichert, er ist auch der Ihrige. Ich wünschte, Sie hätten es gehört, mit welcher Wärme er noch heute Ihre Partei nahm. Ganz gewiß hat dieser La Roche wieder—

Selicour. Aber was in aller Welt mag doch den La Roche so gegen mich aufheben?

Narbonne. Dieser La Roche ist mein Mann nicht—wenigstens hab' ich eine schlechte Meinung von seinem Charakter.

Firmin. Sie thun ihm Unrecht. Ich habe heute gegen ihn gesprochen, aber diesmal muß ich ihn vertheidigen.

Selicour. Es ist ganz und gar nicht nöthig. Ich schätze ihn, ich kenne sein gutes Herz und kenne auch seine Sparren.—Und mag er mich am Ende bei der ganzen Welt anschwärzen, wenn er nur bei Ihnen keinen Glauben fand!—Sie sehen, wir sind fertig—unser Streit ist beigelegt; es braucht keiner weitern Erklärung.

Mad. Belmont. Nun, wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Herren?

Selicour (zu Karl Firmin). Es ist schon übergeben, das Gedicht.

Karl. Wirklich?

Selicour. Die alte Mama hat es, und den Verfasser habe ich ihr nicht verschwiegen. (Madame Belmont bei Seite führend). Wissen Sie, was ich gemacht habe?

Mad. Belmont. Nun!

Selicour. Der junge Firmin—Sie wissen, er gibt sich mit
Versemachen ab.

Mad. Belmont. Ja!—Nun!

Selicour. Ich habe ihn ersucht, sich für den Verfasser des Liedchens zu bekennen—Er läßt sich's gefallen!

Mad. Belmont. Läßt sich's gefallen? Das glaub' ich!

Selicour. Daß Sie mich ja nicht Lügen strafen!

Narbonne. Aber bis unsre andern Gäste kommen, liebe Mutter, lassen Sie uns eine kleine Unterhaltung ausdenken—Zum Spiel lade ich Sie nicht ein—wir können uns besser beschäftigen.

Firmin. Sie haben zu befehlen.

Karl. Es wird von Madame abhängen.

Charlotte. Lieben Sie noch immer die Musik, Herr Firmin?

Narbonne. Es ist ja wahr, du singst nicht übel—Laß hören!—Hast du uns nicht irgend etwas Neues vorzutragen?

Karl. Wenn es Fräulein Charlotte nicht zu viel Mühe macht.

Charlotte. Hier hat man mir so eben einige Strophen zugestellt.

Narbonne. Gut! Ich werde, mit Ihrer Erlaubniß, unterdessen das
Memoire unseres Freundes durchlesen.

Selicour. Aber wir werden Sie stören, Herr von Narbonne!

Narbonne. Nicht doch! Ich bin gewohnt, im ärgsten Geräusch zu arbeiten—und hier ist nur vom Lesen die Rede! (Er geht auf die entgegengesetzte Seite, wo er sich niedersetzt.)

Selicour. Wenn Sie aber doch lieber—

Narbonne. Verzeihen Sie! Aber es leidet keinen Aufschub. Die
Pflicht geht allem vor!

Mad. Belmont. Lassen wir ihn denn, wenn er es so will, und nehmen unser Lied vor. (Alle setzen sich, Charlotte ans Ende, Madame Belmont neben Charlotte, Selicour zwischen Madame Belmont und Karln, neben Letztern Firmin der Vater.)

Charlotte. Die Melodie ist gleich gut gewählt, wie ich sehe.

Madame Belmont. Der Verfasser ist nicht weit,—ich kann ihn ohne
Brille sehen.

Selicour (zu Madame Belmont leise). Verrathen Sie mich nicht.—(Zu
Karl Firmin.) Das gilt Ihnen. Mein Lieber!

Charlotte. Ihm! Wie?

Firmin. Ist das wahr, Karl? Wärest du—

Selicour. Er ist der Verfasser.

Charlotte (zu ihrer Großmutter). Wie? Herr Firmin wäre der
Verfasser!

Mad. Belmont (laut).—Ja!—(heimlich.) Nenne den wahren Verfasser ja nicht—

Charlotte. Warum nicht?

Mad. Belmont. Aus Ursachen. (Zu Selicour.) Wollen Sie Charlotten nicht accompagnieren?

Selicour. Mit Vergnügen.

Firmin (ärgerlich zu seinem Sohn). Gewiß wieder eine übereilte
Arbeit—aber das muß einmal gedichtet sein—

Karl. Aber, lieber Vater, hören Sie doch erst, eh Sie richten!

Charlotte (singt).
     An der Quelle saß der Knabe,
     Blumen band er sich zum Kranz,
     Und er sah sie, fortgerissen,
     Treiben in der Wellen Tanz,—
     "Und so fliehen meine Tage,
     "Wie die Quelle, rastlos hin,
     "Und so schwindet meine Jugend,
     "Wie die Kränze schnell verblühn!"

Mad. Belmont (Selicour ansehend). Dieser Anfang verspricht schon viel!

Selicour (auf Karl Firmin zeigend). Diesem Herrn da gehört das
Compliment.

Mad. Belmont. Gut! Gut! Ich verstehe!

Firmin. Der Gedanke ist alltäglich, gemein.

Karl. Aber er ist doch wahr.

Narbonne (auf der entgegengesetzten Seite mit dem Aufsatz beschäftigt).
Die Einleitung ist sehr gut und erweckt sogleich die Aufmerksamkeit.

Charlotte (singt wieder).

     "Fraget nicht, warum ich traure
     "In des Lebens Blüthenzeit;
     "Alles freuet sich und hoffet,
     "Wenn der Frühling sich erneut!
     "Aber diese tausend Stimmen
     "Der erwachenden Natur
     "Wecken in dem tiefen Busen
     "Mir den schweren Kummer nur!"

Mad. Belmont. Zum Entzücken!

Firmin. Nicht übel.

Selicour (zu Karl Firmin). Sie sehen, wie alles Sie bewundert.

Narbonne (lesend). Trefflich entwickelt und nachdrücklich vorgetragen—Lesen Sie doch mit mir, Herr Firmin!

(Firmin tritt zum Minister und liest über seine linke Schulter.)

Mad. Belmont. Ganz göttlich!

Selicour (zu Narbonne tretend). Ich habe aber freilich dem Herrn Firmin viel, sehr, sehr viel dabei zu danken. (Tritt wieder auf die andere Seite zwischen Karl Firmin und Madame Belmont, doch ohne die andere Gruppe aus den Augen zu verlieren.)

Charlotte (singt wieder).

     "Was kann mir die Freude frommen,
     "Die der schöne Lenz mir beut?
     "Eine nur ist's, die ich suche,
     "Sie ist nah und ewig weit.
     "Sehnend breit ich meine Arme,
     "Nach dem theuren Schattenbild;
     "Ach, ich kann es nicht erreichen,
     "Und das Herz bleibt ungestillt!
     "Komm herab, du schöne Holde,
     "Und verlaß dein stolzes Schloß!
     "Blumen, die der Lenz geboren,
     "Streu' ich dir in deinen Schooß.
     "Horch, der Hain erschallt von Liedern
     "Und die Quelle rieselt klar!
     "Raum ist in der kleinsten Hütte
     "Für ein glücklich liebend Paar."

Mad. Belmont. Wie rührend der Schluß ist!—Das liebe Kind ist ganz davon bewegt worden.

Charlotte. Ja, es mag es gemacht haben, wer will, es ist aus einem
Herzen geflossen, das die Liebe kennt!

Selicour (verneigt sich gegen Charlotten). Dies ist ein schmeichelhaftes Lob.

Karl. Was? Er bedankt sich—

Selicour (schnell zu Karl Firmin sich umdrehend). Nicht wahr, lieber
Freund?

Mad. Belmont. Ich bin ganz davon hingerissen—

Selicour (bückt sich gegen Madame Belmont). Gar zu gütig, Madame!

Karl. Wie versteh' ich das?

Selicour (eben so schnell wieder zu Karl Firmin). Nun! sagt' ich's
Ihnen nicht? Sie haben den vollkommensten Sieg davon getragen.

Karl. Hält er mich zum Narren?

Narbonne. Das Werk ist vortrefflich! Ganz vortrefflich!

Selicour (zu Firmin dem Vater). Sie sehen, ich habe mich ganz an
Ihre Ideen gehalten.

Firmin (lächelt). Ich muß gestehen, ich merke so etwas.

Charlotte. Ich weiß nicht, welchem von beiden Herren—

Selicour (zu Charlotten, indem er auf Karl Firmin deutet). Ein süßer
Triumph für den Verfasser!

Narbonne (den Aufsatz zusammenlegend.) Ein wahres Meisterwerk. In der That!

Selicour (bückt sich gegen Narbonne). Gar zu viel Ehre!

Mad. Belmont (wiederholt die letzte Strophe).

Horch, der Hain erschallt von Liedern,
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
für ein glücklich liebend Paar!

Schön! Himmlisch! Dem widerstehe, wer kann!—Selicour, es bleibt dabei, Sie heirathen meine Charlotte!

Karl. O Himmel!

Charlotte. Was hör' ich!

Narbonne (steht auf). Ich kenne wenig Arbeiten, die so vortrefflich wären—Selicour, Sie sind Gesandter!

Karl. Mein Gott!

Narbonne. Sie sind's! Ich stehe Ihnen für Ihre Ernennung! Wer das schreiben konnte, muß ein rechtschaffener Mann, muß ein Mann von hohem Genie sein!

Selicour. Aber erlauben Sie—ich weiß nicht, ob ich es annehmen darf—Zufrieden mit meinem jetzigen Loose—

Narbonne. Sie müssen sich von allem losreißen, wenn der Staat Sie anderswo nöthig hat.

Selicour. Dürfte ich mir nicht wenigstens Herrn Firmin zu meinem
Secretär ausbitten?

Firmin. Wo denken Sie hin? Mich? Mich? Zu Ihrem Secretär?

Selicour. Ja, Herr Firmin! Ich habe Sie sehr nöthig.

Karl. Das will ich glauben.

Narbonne. Das wird sich finden! Nun! Wie ist die Musik abgelaufen?

Selicour. Fräulein Charlotte hat ganz himmlisch gesungen.

Fünfter Auftritt.

Michel zu den Vorigen.

Michel. Die Gesellschaft ist im Saal versammelt—

Narbonne. Sie sind so gütig, liebe Mutter, sie zu empfangen—Ich will dieses jetzt auf der Stelle absenden—(Leise zu Selicour.) Gewinnen Sie die Einwilligung meiner Tochter, und mit Freuden erwähle ich Sie zum Sohn—Noch einmal! Das Werk ist vortrefflich, und ich gäbe viel darum, es gemacht zu haben. (Ab.)

Selicour (zu Karl). Nun, genießen Sie Ihres Triumphs, Herr Firmin!— (Zu Charlotten.) Unser junger Freund weiß die Complimente ganz gut aufzunehmen.

Charlotte. Nach den hübschen Sachen, die ich von ihm gesehen, hätte ich nicht geglaubt, daß er nöthig haben würde, sich mit fremden Federn zu schmücken.

Selicour. Bloße Gefälligkeit, mein Fräulein!—Aber die Gesellschaft wartet—

Firmin (zu seinem Sohn). Nun, du hast ja ganz gewaltiges Lob eingeerntet! (Selicour gibt Charlotten seinen Arm.)

Karl. Ja, ich hab' Ursache, mich zu rühmen.

Mad. Belmont (zu Selicour). Recht, recht! Führen Sie Charlotten—
Es kleidet ihn doch alles. Er ist ein scharmanter Mann! (Sie nimmt
Firmins Arm.)

Selicour (auf Firmin zeigend). Diesem Herrn, nicht mir, gebührt das Lob—ich weiß in der That nicht, wie ich mir's zueignen darf—Alles, was ich bin, was ich gelte, ist ja sein Verdienst. (Gehen ab.)

Sechster Auftritt.

Karl allein zurückbleibend.

Meine Unruhe würde mich verrathen.—Ich muß mich erst fassen, eh' ich ihnen folgen kann. Habe ich wirklich die Geduld gehabt, dies alles zu ertragen?—Ein schöner Triumph, den ich davon trug.—Aus Spott machten sie mir das Compliment. Es ist offenbar, daß sie ihn, und nicht mich für den Verfasser halten. Ich bin ihr Narr, und der Schelm hat allein die Ehre.

Siebenter Auftritt.

Karl. La Roche.

La Roche. Siehe da, Herr Firmin!—So ganz allein—Es geht alles nach Wunsch vermuthlich.

Karl. O ganz vortrefflich!

La Roche. Ich habe auch gute Hoffnung.

Karl. Selicour steht in größerm Ansehen, als jemals.

La Roche. Sieh doch! Was Sie sagen!

Karl. Es gibt keinen fähigern Kopf, keinen bravern Biedermann.

La Roche. Ist's möglich? Aber dieser wichtige Aufsatz, den der Minister ihm aufgetragen, und dem er so ganz und gar nicht gewachsen ist.

Karl. Der Aufsaß ist fertig.

La Roche. Gehen Sie doch!

Karl. Er ist fertig, sag' ich Ihnen.

La Roche. Sie spotten meiner! Es ist nicht möglich.

Karl. Ein Meisterstück an Styl und Inhalt!

La Roche. Es ist nicht möglich, sag' ich Ihnen!

Karl. Ich sage Ihnen, es ist!—Der Aufsatz ist gelesen, bewundert und wird jetzt eben abgeschickt.

La Roche. So muß er einen Teufel in seinem Solde haben, der für ihn arbeitet.

Karl. Und diese Gesandtschaftsstelle!

La Roche. Nun, die Gesandtschaft—

Karl. Er erhält sie! Er erhält die Hand des Fräuleins!

La Roche. Sie kann ihn nicht leiden.

Karl. Sie wird nachgeben.

La Roche. Die Gesandtschaft mit sammt dem Mädchen! Nein, beim Teufel! Das kann nicht sein! Das darf nicht sein!—Wie? Was? Dieser Heuchler, dieser niederträchtige Bube sollte einen Preis hinwegschnappen, der nur der Lohn des Verdienstes ist.—Nein, so wahr ich lebe! Das dürfen wir nicht zugeben, wir, die wir ihn kennen. Das ist gegen unser Gewissen, wir wären seine Mitschuldigen, wenn wir das duldeten!

Karl. Gleich, auf der Stelle will ich die Großmutter aufsuchen.—
Ich will ihr die Augen öffnen wegen des Gedichts—

La Roche. Wegen des Gedichts—von dem Gedicht ist hier auch die Rede—Bei der alten Mama mag er sich damit in Gunst setzen; aber meinen Sie, daß der Minister sich nach so einer Kleinigkeit bestimmen lasse—Nein, Herr! Dieses Memoire ist's, das so vortrefflich sein soll, und das er irgendwo muß herbeigehext haben—denn gemacht hat er's nicht, nun und nimmer, darauf schwör' ich—aber seine ganze Hexerei sind seine Kniffe! Und mit seinen eignen Waffen müssen wir ihn schlagen. Auf dem geraden Wege ging's nicht—so müssen wir einen krummen versuchen. Halt, da fällt mir ein—Ja, das wird gehen —Nur fort,—fort, daß man uns nicht beisammen findet.

Karl. Aber keine Unbesonnenheit, Herr La Roche! Bedenken Sie, was auf dem Spiele steht!

La Roche. Meine Ehre steht auf dem Spiele, junger Herr, und die liegt mir nicht weniger am Herzen, als euch die Liebe—Fort! Hinein! Sie sollen weiter von mir hören.

Achter Auftritt.

La Roche allein.

Laß sehen—Er suchte von jeher die schwachen Seiten seiner Obern auszuspüren, um sich ihnen nothwendig zu machen. Noch diesen Morgen hatte er's mit dem Kammerdiener—Der Kerl ist ein Plauderer—Es wollte etwas von einem galanten Abenteuer des Ministers verlauten— Er habe Zimmer besprochen in der Vorstadt.—Ich glaube kein Wort davon; aber man könnte versuchen—Doch still! Da kömmt er!

Neunter Auftritt.

La Roche und Selicour.

Selicour (ohne ihn zu bemerken). Alles geht nach Wunsch, und doch bin ich nicht ganz ohne Sorgen—Noch hab' ich weder die Stelle, noch die Braut, und da ist Sohn und Vater, die mir auf den Dienst lauern und mir jeden Augenblick beides wegfischen können—Wenn ich sie entfernen könnte—Aber wie? Dem Minister ist nicht beizukommen— Diese Leute, die ihren geraden Weg gehen, brauchen Niemand—man kann sie nicht in seine Gewalt bekommen—Ja, wenn er etwas zu vertuschen hätte—wenn ich ihm eine Schwäche ablauern könnte, die mich ihm unentbehrlich machte!

La Roche (für sich). Recht so! Der läuft mir in die Hände!

Selicour. Ach, sieh da! Herr La Roche!

La Roche. Ich bin's, und ich komme, Herr Selicour!—

Selicour. Was wollen Sie?

La Roche. Mein Unrecht einzugestehn.

Selicour. Aha!

La Roche. Das mir nicht einmal etwas geholfen hat.

Selicour. Das ist das Beste! Denn es lag wahrlich nicht an Ihrer boshaften Zunge, wenn ich nicht ganz zu Grunde gerichtet bin.

La Roche. Das ist leider wahr, und ich darf daher kaum hoffen, daß
Sie mir vergeben können.

Selicour. Aha! Steht es so? Fangen wir an, geschmeidiger zu werden?

La Roche. Zu der schönen Stelle, die Sie mir zugedacht haben, kann ich mir nun wohl keine Hoffnung mehr machen—Aber um unsrer alten Freundschaft willen, schaden Sie mir wenigstens nicht!

Selicour. Ich Ihnen schaden!

La Roche. Thun Sie's nicht! Haben Sie Mitleid mit einem armen
Teufel!

Selicour. Aber—

La Roche. Und da sich Jemand gefunden, der sich bei dem Minister meiner annehmen will—

Selicour. So? Hat sich Jemand? Und wer ist das?

La Roche. Eine Dame, an die der Kammerdiener Michel mich gewiesen hat.

Selicour. Kammerdiener Michel! So! Kennen Sie diesen Michel?

La Roche. Nicht viel! Aber, weil es sein Neffe ist, der mich aus meiner Stelle vertreibt, so will er mir gern einen Gefallen erzeigen—

Selicour. Die Dame ist wohl eine Anverwandte vom Minister?

La Roche. Sie soll ein schönes Frauenzimmer sein—er soll in der
Vorstadt ein Quartier für sie suchen—

Selicour. Gut, gut, ich will ja das alles nicht wissen.—Und wie heißt die Dame?

La Roche. Das weiß ich nicht.

Selicour. Gut! Gut!

La Roche. Michel wird Ihnen wohl Auskunft darüber geben können.

Selicour. Mir? Meinen Sie, daß mir so viel daran liege?

La Roche. Ich sage das nicht.

Selicour. Ich frage nichts darnach—Ich bekümmere mich ganz und gar nicht um diese Sachen—Morgen wollen Sie diese Dame sprechen?

La Roche. Morgen.

Selicour. Es scheint da ein großes Geheimniß—

La Roche (schnell). Freilich! Freilich! Darum bitte ich Sie, sich ja nichts davon merken zu lassen—

Selicour. Gut, Gut! Nichts mehr davon—Ich werde Ihnen nicht schaden, Herr La Roche!—Es ist einmal mein Schicksal, Undankbare zu verpflichten—Trotz der schlimmen Dienste, die Sie mir haben leisten wollen, liebe ich Sie noch—und daß Sie sehen, wie weit meine Gefälligkeit geht, so will ich mit Ihrer Beschützerin gemeine Sache machen—Ja, das will ich—zählen Sie darauf!

La Roche. Ach, Sie sind gar großmüthig!

Selicour. Aber lassen Sie sich das künftig zur Lehre dienen—

La Roche. O gewiß, Sie sollen sehen—

Selicour. Genug. Lassen wir's gut sein.

La Roche. Er hat angebissen. Er ist so gut, als schon gefangen!
Wie viel schneller kommt man doch mit der Spitzbüberei, als mit der
Ehrlichkeit! (Ab.)

Selicour. Jetzt gleich zu diesem Kammerdiener Michel!—Es ist hier ein Liebeshandel. Ganz gewiß—Vortrefflich! Ich halte dich fest, Narbonne!—Du bist also auch ein Mensch—du hast Schwachheiten— und ich bin dein Gebieter. (Geht ab).

Fünfter Aufzug.

Erster Auftritt.

La Roche kommt.

Sie sitzen noch an Tafel—Er wird gleich herauskommen, der Minister —Hab' ich mich doch ganz außer Athem gelaufen—Aber, dem Himmel sei Dank, ich bin aus der Spur, ich weiß alles.—Hab' ich dich endlich, Freund Selicour!—Mit dem Minister war nichts für dich zu machen, so lang er tugendhaft war—aber Gott segne mir seine Laster! Da gibt's Geheimnisse zu verschweigen, da gibt's Dienste zu erzeigen! Und der Vertraute, der Kuppler hat gewonnen Spiel—Er glaubt dem Minister eine Schwachheit abgemerkt zu haben—Welch herrlicher Spielraum für seine Niederträchtigkeit!—Nur zu! Nur zu! Wir sind besser unterrichtet, Freund Selicour!—Und dir ahnet nicht, daß wir dir eine böse, böse Schlinge legen—Der Minister kommt—Muth gefaßt! Jetzt gilt es, den entscheidenden Streich zu thun.

Zweiter Auftritt.

Narbonne. La Roche.

Narbonne. Was seh' ich? Sind Sie es schon wieder, der mich hat herausrufen lassen?

La Roche. Möge dies die letzte Unterredung sein, die Sie mir bewilligen, Herr von Narbonne, wenn ich Sie auch diesmal nicht überzeugen kann—Ihre eigene Ehre aber und die meine erfordern es, daß ich darauf bestehe—Alles, was ich bis jetzt versucht habe, diesen Herrn Selicour in Ihrer guten Meinung zu stürzen, ist zu seiner Ehre und zu meiner Beschämung ausgeschlagen—dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, ihn endlich zu entlarven.

Narbonne. Das geht zu weit! Meine Geduld ist am Ende!

La Roche. Ein einziges Wort, Herr Minister!—Sie suchen eben jetzt ein Quartier in der Vorstadt? Ist's nicht so?

Narbonne. Wie? Was ist das?

La Roche. Es ist für ein Frauenzimmer bestimmt, die sich mit ihrer ganzen Familie im größten Elend befindet. Hab' ich nicht Recht?

Narbonne. Wie? Was? Sie erdreisten sich, meinen Schritten nachzuspüren?

La Roche. Zürnen Sie nicht—ich hab' es bloß Ihrem Freund Selicour nachgethan. Er war es, der diesen Morgen zuerst diese Nachricht von Ihrem Kammerdiener heraus zu locken wußte—Er gab der Sache sogleich die beleidigendste Auslegung—Ich hingegen habe Ursache, ganz anders davon zu denken. Denn, daß ich's nur gestehe, ich stellte genauere Nachforschung an—ich war dort—ich sah das Frauenzimmer, von dem die Rede ist—(Er lacht.) Sie hat ein ganz ansehnliches Alter— Selicour hält sie für eine junge Schönheit——O entrüsten Sie sich nicht—Ich bitte, lassen Sie ihn ankommen! Hören Sie ihn zu Ende, und wenn Sie ihn nicht als einen ganzen Schurken kennen lernen, so will ich mein ganzes Leben lang ein Schelm sein—Da kommt er—ich will ihm nur Platz machen, damit Sie's auf der Stelle ergründen. (Ab.)

Narbonne. Der rasende Mensch! Wie weit ihn seine Leidenschaft verblendet. Wie? Selicour könnte—Nein, nein, nein, nein, es ist nicht möglich! Nicht möglich!

Dritter Auftritt.

Narbonne. Selicour.

Selicour (bei Seite). Er ist allein! Jetzt kann ich's anbringen!— Wenn ich jetzt nicht eile, mich ihm nothwendig zu machen, so setzt dieser Firmin sich in seine Gunst.—Hab' ich einmal sein Geheimniß, so ist er ganz in meinen Händen.

Narbonne. Ich denke eben daran, lieber Selicour, was man im Ministerium zu Ihrem Aufsatz sagen wird—Ich hab' ihn sogleich abgehen lassen, er wird diesen Augenblick gelesen, und ich zweifle nicht, er wird den vollkommensten Beifall haben.

Selicour. Wenn er den Ihrigen hat, so sind alle meine Wünsche befriedigt. (Für sich). Wie leit' ich's nur ein?—Wagen kann ich dabei nichts, denn die Sache ist richtig. Ich will nur gerade zugehen—

Narbonne. Sie scheinen in Gedanken, lieber Selicour!

Selicour. Ja—ich—ich denke nach, welche boshafte Auslegungen doch die Verleumdung den unschuldigsten Dingen zu geben im Stand ist!

Narbonne. Was meinen Sie damit?

Selicour. Es muß heraus—ich darf es nicht länger bei mir behalten —Böse Zungen haben sich Angriffe gegen Sie erlaubt—Es hat verlauten wollen—Ich bitte—beantworten Sie mir ein paar Fragen, und verzeihen Sie der besorgten Freundschaft, wenn ich unbescheiden scheine.

Narbonne. Fragen Sie! Ich will alles beantworten.

Selicour. Wenn ich Ihrem Kammerdiener glauben darf, so suchen Sie ein Quartier in der Vorstadt?

Narbonne. Weil Sie es denn wissen—ja.

Selicour. Und ganz in geheim, hör' ich.

Narbonne. Ich habe bis jetzt wenigstens ein Geheimniß daraus gemacht.

Selicour. Für ein unverheiratetes Frauenzimmer?

Narbonne. Ja.

Selicour. Die Ihnen sehr—(stockt) sehr werth ist?

Narbonne. Ich gestehe es, ich nehme großen Antheil an ihr.

Selicour (für sich). Er hat es gar keinen Hehl—die Sache ist richtig.—Und Sie möchten gern das Aufsehen vermeiden, nicht wahr?

Narbonne. Wenn es möglich wäre, ja!

Selicour. Ach, gut! Gut! Ich verstehe! Die Sache ist von zärtlicher Natur, und die Welt urtheilt so boshaft.—Aber ich kann Ihnen dienen.

Narbonne. Sie?

Selicour. Kann Ihnen dienen! Verlassen Sie sich auf mich!

Narbonne. Aber wie denn?

Selicour. Ich schaffe Ihnen, was Sie brauchen.

Narbonne. Wie denn? Was denn?

Selicour. Ich hab's! Ich schaff's Ihnen—Ein stilles Häuschen, abgelegen—einfach von außen und unverdächtig!—Aber innen aufs zärtlichste eingerichtet—die Meubles, die Tapeten nach dem neuesten Geschmack—ein Cabinet—himmlisch und reizend—kurz—das schönste Boudoir, das weit und breit zu finden.

Narbonne (für sich). Sollte La Roche Recht behalten—(Laut.) Und welche geheime Ursache hätte ich, ein solches Quartier zu suchen?

Selicour (lächelnd). In Sachen, die man vor mir geheim halten will, weiß ich mich einer vorlauten Neugier zu enthalten—Erkennen Sie übrigens einen dienstfertigen Freund in mir—Es ist nichts, wozu ich nicht bereit wäre, um Ihnen gefällig zu sein. Befehlen Sie, was Sie wollen, ich werde gehorchen, ohne zu untersuchen—Sie verstehen mich.

Narbonne. Vollkommen.

Selicour. Man muß Nachsicht haben.—Ich—ich halte zwar auf gute Sitten—Aber, was diesen Punkt betrifft—wenn man nur den öffentlichen Anstoß vermeidet—Ich gehe vielleicht darin zu weit— aber das gute Herz reißt mich hin—und mein höchster Wunsch ist, Sie glücklich zu sehen—

Vierter Auftritt.

Vorige. Michel.

Michel. So eben gibt man diese Briefe ab.

Narbonne (zu Selicour). Die sind für Sie.

Selicour. Mit Ihrer Erlaubniß! Es sind Geschäftsbriefe, die gleich expediert sein wollen—Frisch zur Arbeit und frisch ans Vergnügen. So bin ich einmal! (Geht ab.)

Fünfter Auftritt.

Narbonne allein.

Kaum kann ich mich von meinem Erstaunen erholen—Dieser Selicour— ja, nun zweifle ich nicht mehr, dieser Selicour war der schändliche Helfershelfer meines Vorgängers—Ich gebe mich nicht für besser, als Andere. Jeder hat seine Fehler—aber sich mit dieser Schamlosigkeit anzubieten!—Und diesem Nichtswürdigen wollte ich mein Kind hinopfern—mit diesem Verräther wollte ich den Staat betrügen?—Aus Freundschaft will er alles für mich thun, sagt er. Sind das unsere Freunde, die unsern Lastern dienen?

Sechster Auftritt.

Narbonne und La Roche.

La Roche. Nun, er ging so eben von Ihnen hinweg—darf ich fragen?

Narbonne. Ich habe Sie und ihn unrecht beurtheilt—Sie haben mir einen wesentlichen Dienst erzeigt, Herr La Roche, und ich lasse Ihnen endlich Gerechtigkeit widerfahren.

La Roche (mit freudiger Rührung). Bin ich endlich für einen redlichen Mann erkannt? Darf ich das Haupt wieder frei erheben?

Narbonne. Sie haben es erreicht—Sie haben den Betrüger entlarvt— aber wie soll ich eine so lang bewährte Ueberzeugung aufgeben, daß Geist und Talent bei keinem verderbten Herzen wohnen?—Dieser Mensch, den ich jetzt als einen Niederträchtigen kennen lerne, er hat mir noch heute eine Schrift zugestellt, die dem größten Staatsmann und Schriftsteller Ehre machte—Ist es möglich? Ich begreife es nicht— so gesunde Begriffe, so viel Geist bei einem so weggeworfenen Charakter! Ich habe das Memoire auf der Stelle ans Gouvernement gesendet, und ich will wetten, daß die Briefe, die ich soeben erhalte, von dem Lobe desselben voll sind. (Er erbricht einen der Briefe und liest.) Ganz richtig! Es ist, wie ich sagte!

La Roche. Ich kann nicht daraus klug werden.—Das Werk ist also wirklich gut?

Narbonne. Vortrefflich!

La Roche. So wollte ich wetten, daß er nicht der Verfasser ist.

Narbonne. Wer sollte es denn sein?

La Roche. Er ist's nicht, ich will meine Seele zum Pfand setzen— denn am Ende will ich ihm doch noch eher Herz als Kopf zugestehen.— Wenn man versuchte—Ja!—richtig—ich hab' es!—Das muß gelingen —Herr von Narbonne! Wenn Sie mir beistehen wollen, so soll er sich selbst verrathen.

Narbonne. Wie denn?

La Roche. Lassen Sie mich machen—Er kömmt! Unterstützen Sie mich!

Siebenter Auftritt.

Vorige. Selicour.

La Roche (mit Leidenschaft). Mein Gott! Welches entsetzliche
Unglück!

Selicour. Was gibt's, Herr La Roche?

La Roche. Welche Veränderung in einem einzigen Augenblick?

Selicour. Was haben Sie? Was bedeutet dieses Jammern, dieser Ausruf des Schreckens?

La Roche. Ich bin wie vom Donner getroffen!

Selicour. Aber was denn?

La Roche. Dieser Unglücksbrief—So eben erhält ihn der Minister—
(Zu Narbonne.) Darf ich? Soll ich?

Narbonne. Sagen Sie alles!

La Roche. Er ist gestürzt!

Selicour. Um Gotteswillen!

La Roche. Seines Amtes entlassen!

Selicour. Es ist nicht möglich!

La Roche. Nur zu wahr! Es wollte schon vorhin etwas davon verlauten; ich wollt' es nicht glauben, ich eilte hieher, mich selbst zu unterrichten—und nun betätigt es der Minister selbst!

Selicour. So ist sie wahr, diese schreckliche Neuigkeit?

(Narbonne bestätigt es mit einem stummen Zeichen.)

Letzter Auftritt.

Vorige. Madame Belmont. Charlotte. Beide Firmin.

La Roche. Kommen Sie, Madame! Kommen Sie, Herr Firmin!—

Mad. Belmont. Was gibt's?

La Roche. Trösten Sie unsern Herrn—Sprechen Sie ihm Muth zu in seinem Unglücke!

Mad. Belmont. Seinem Unglücke!

Charlotte. Mein Gott! Was ist das?

La Roche. Er hat seine Stelle verloren.

Charlotte. Großer Gott!

Selicour. Ich bin erstaunt, wie Sie!

Mad. Belmont. Wer konnte ein solches Unglück vorhersehen!

Karl Firmin (leidenschaftlich). So ist das Talent geächtet, so ist die Redlichkeit ein Verbrechen in diesem verderbten Lande! Der rechtschaffene Mann behauptet sich kaum einen Tag lang, und das Glück bleibt nur dem Nichtswürdigen getreu.

Narbonne (sehr ernst). Nichts übereilt, junger Mann!—Der Himmel ist gerecht, und früher oder später erreicht den Schuldigen die Strafe.

Selicour. Aber sagen Sie mir, kennt man denn nicht wenigstens die
Veranlassung dieses unglücklichen Vorfalls?

La Roche. Leider nur zu gut kennt man sie. Ein gewisses Memoire ist
Schuld an dem ganzen Unglück.

Firmin (lebhaft). Ein Memoire! (Zum Minister) Dasselbe vielleicht, das ich Sie heute lesen sah?

Selicour. Wo die Regierung selbst mit einer Freiheit, einer Kühnheit behandelt wurde—

La Roche. Ganz recht! Das nämliche.

Selicour. Nun, da haben wirs! Hatte ich nun Unrecht, zu sagen, daß es nicht immer räthlich ist, die Wahrheit zu sagen?

Narbonne. Wo die Pflicht spricht, da bedenke ich nichts. Und was auch der Erfolg sei, nie werde ich's bereuen, meine Pflicht gethan zu haben.

Selicour. Schön gedacht! Allerdings! Aber es kostet Ihnen auch einen schönen Platz!

La Roche. Und damit ist's noch nicht alle! Es könnten wohl auch noch Andre um den ihrigen kommen.—Man weiß, daß ein Minister selten Verfasser der Schriften ist, die aus seinen Bureaux heraus kommen.

Selicour. Wie so? Wie das?

La Roche (für sich). Bei dem fällt kein Streich auf die Erde!

Firmin. Erklären Sie sich deutlicher!

La Roche. Man will schlechterdings heraus bringen, wer diese heftige
Schrift geschmiedet hat.

Selicour. Will man? Und da würde er wohl in den Sturz des Ministers mit verwickelt werden?

La Roche. Freilich! Das ist sehr zu besorgen.

Selicour. Nun, ich bin's nicht!

Firmin. Ich bin der Verfasser!

Narbonne. Was hör' ich?

Mad. Belmont. Was? Sie, Herr Firmin?

Firmin. Ich bin's, und ich rühme mich dessen.

La Roche (zu Narbonne). Nun, was sagt' ich Ihnen?

Firmin. Den Ruhm dieser Arbeit konnte ich dem Herrn Selicour gern überlassen, aber nicht so die Gefahr und die Verantwortung—Ich habe geschwiegen bis jetzt, aber nun muß ich mich nennen.

Karl. Recht so, mein Vater! Das heißt als ein Mann von Ehre gesprochen—Seien Sie auf Ihr Unglück stolz, Herr von Narbonne!— Mein Vater kann nichts Strafbares geschrieben haben—O mein Herz sagt mir, dieser Unfall kann eine Quelle des Glückes werden— Charlottens Hand wird kein Opfer der Verhältnisse mehr sein—Die Größe verschwindet, und Muth gewinnt die furchtsame Liebe.

Mad. Belmont. Was hör' ich! Herr Firmin!

Firmin. Verzeihen Sie der Wärme seines Antheils; sein volles Herz vergreift sich im Ausdruck seiner Gefühle!

Narbonne. So hat denn Jeder von Ihnen sein Geheimniß verrathen— Herr Firmin! Sie sind der Verfasser dieses Memoire, so ist es billig, daß Sie auch den Ruhm und die Belohnung davon ernten.—Das Gouvernement ernennt Sie zum Gesandten—(Da Alle ihr Erstaunen bezeugen.) Ja, ich bin noch Minister, und ich freue mich, es zu sein, da ich es in der Gewalt habe, das wahre Verdienst zu belohnen.

Mad. Belmont. Was ist das?

Selicour (in der höchsten Bestürzung). Was hab' ich gemacht!

Narbonne (zu Selicour). Sie sehen Ihr Spiel verrathen—Wir kennen Sie nun, Heuchler an Talent und an Tugend!—Niedriger Mensch, konnten Sie mich für Ihres Gleichen halten?

La Roche. Wie schändlich er eine edle That auslegte! Ich weiß alles aus dem Munde der Dame selbst. Dieses Frauenzimmer, für das er Ihnen eine strafbare Neigung andichtete—es ist eine kranke, eine bejahrte Matrone, die Wittwe eines verdienstvollen Officiers, der im Dienst des Vaterlandes sein Leben ließ und gegen den Sie die Schuld des Staats bezahlten.

Narbonne. Nichts mehr davon, ich bitte Sie! (Zu Selicour.) Sie sehen, daß Sie hier überflüssig sind. (Selicour entfernt sich still.)

La Roche. Es thut mir leid um den armen Schelm—Wohl wußt' ich's vorher, mein Haß würde sich legen, sobald es mit seiner Herrlichkeit aus sein würde.

Firmin (drückt ihm leise die Hand). Lassen Sie's gut sein. Wir wollen ihn zu trösten suchen.

La Roche. Basta, ich bin dabei!

Narbonne (zu Karln). Unser lebhafter junger Freund ist auf einmal ganz stumm geworden—Ich habe in Ihrem Herzen gelesen—lieber Firmin! Der Ueberraschung danke ich Ihr Geheimniß und werde es nie vergessen, daß Ihre Neigung bei unserm Glücke bescheiden schwieg und nur laut wurde bei unserm Unglück.—Charlotte! (Sie wirft sich schweigend in ihres Vaters Arme.) Gut, wir verstehen uns! Erwarte alles von deines Vaters Liebe.

La Roche. Und ich will darauf schwören, Karl Firmin ist der wahre
Verfasser des Gedichts.

Mad. Belmont. Wär's möglich?

Charlotte (mit einem zärtlichen Blick auf ihn). Ich habe nie daran gezweifelt! (Karl küßt ihre Hand mit Feuer.)

Mad. Belmont. O der bescheidene junge Mann! Gewiß, er wird unser
Kind glücklich machen!

Narbonne. Bilden Sie sich nach Ihrem Vater—und mit Freuden werde ich Sie zum Sohn annehmen.—(Halb zu den Mitspielenden, halb zu den Zuschauern.) Diesmal hat das Verdienst den Sieg behalten.—Nicht immer ist es so. Das Gespinnst der Lüge umstrickt den Besten; der Redliche kann nicht durchdringen; die kriechende Mittelmäßigkeit kommt weiter, als das geflügelte Talent; der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.