The Project Gutenberg eBook of Huttens letzte Tage

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Title: Huttens letzte Tage

Author: Conrad Ferdinand Meyer

Release date: June 1, 2004 [eBook #5801]
Most recently updated: December 29, 2020

Language: German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HUTTENS LETZTE TAGE ***

This etext was prepared by Michelle Mokowska, micaela@poczta.wp.pl

and Mike Pullen, globaltraveler5565@yahoo.com, and proofread by Dr. Mary Cicora, mcicora@yahoo.com.

Huttens letzte Tage

Eine Dichtung

Franz Wille und Eliza Wille zu eigen

Da mir's zum ersten Mal das Herz bewegt,
Hab' ich das Buch auf euern Herd gelegt,

Und nun, so oft es tritt ans Tageslicht,
Vergißt es seine alten Wege nicht.

… ich bin kein ausgeklügelt Buch, Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch…

Die Ufenau

I Die Landung

Schiffer! Wie nennst du dort im Wellenblau
Das Eiland?—"Herr, es ist die Ufenau!"
Ein grüner Ort. Dank, Zwingli, für die Rast,
Die du, der Gute, mir bereitet hast!

In braunen Wölklein wirbelt auf ein Rauch,
Bewohnt von Menschen scheint das Eiland auch.

Willkommen, mein gewünschtes Ithaka!
Ein irrender Odysseus bin ich ja.

Viel kämpften, edler Dulder, beide wir;
In andern Stücken gleich' ich wenig dir

Und nicht im Eignen werd' ich wohnen dort,
Ich bleibe Gast auf Erden immerfort.

Dir, Vielgewandter, ward ein besser Los,
Der du im Fabeln und im Lügen groß!

Auch ohne deine Göttin fahr' ich hier…
Ein Kirchlein winkt herüber still zu mir

Und dort! Ein Mann erwartet mich am Strand.
Er grüßt. Den Priester kündet das Gewand.

Es ist der Arzt, den Zwingli mir verhieß…
Hier waltet Friede wie im Paradies!

Die Wache hält ein Eichbaum düsterkühn
Und färbt den kleinen Hafen dunkelgrün.

Der Ferge mäßigt seinen Ruderschwung
In breiter Abendschatten Dämmerung.

Mein Wirt, der Pfarrer, hat ein mild Gesicht,
Mit diesem Antlitz disputier' ich nicht…

—"Die Hand, Herr Hutten! Tretet aus dem Kahn!
Ihr seid's. Das Falkenauge zeigt es an."

Wes ist der Boden?—"Klostergut. Doch jetzt
Schier herrenlos; hier wohnt Ihr unverletzt."

Wie stark ist, Pfarrer, die Besatzung hier?
—"Der Schaffner drüben, ich und, Ritter, Ihr."

Du gibst mir Herberg unter deinem Dach?
—"Ihr habt in meinem Haus das Gastgemach.

Hierdurch! Jetzt, Ritter, bückt Euch, tretet ein!
Die Tür ist niedrig, das Gemach ist klein;

Doch steht der Bau nach allen Seiten frei,
Ihr schlürfet Bergluft ein als Arzenei

Und schauet auf den hellsten See der Schweiz,
Blickt aus! Er ist nicht ohne Augenreiz.

Dem einen Ufer fern, dem andern nah,
Haust, Ritter, Ihr nicht allzu einsam da.

Macht's Euch bequem! Hier werdet Ihr gesund!"
Ich glaub's. So oder so! Wahr spricht dein Mund.

II Die erste Nacht

Ich hört's im Traum und hör' es noch erwacht:
Ein Glockenreigen wandert durch die Nacht.

Nicht Domesglocken sind es dumpf und schwer,
Des Schaffners Herde weidet um mich her.

Sie läutete vom nahen Wiesenrain
In die Gefilde meines Traums herein.

Mir träumte von der Ahnen Burg so schön,
Die auch umklungen wird von Herdgetön.

Vor zwanzig Jahren aus der Väter Haus
Zog ich mit leichtem Wanderbündel aus.

Ein redlich Stück von Arbeit ist getan,
Nun hebt das Herdeläuten wieder an.

Der Reigen, der die Wiege mir umfing,
Hallt wieder hell und schließt den Schicksalsring.

III Huttens Hausrat

Ich schau' mich um in meinem Kämmerlein
Und räume meine Siebensachen ein.
Ich gebe jedem seinen eignen Ort,
Die Klinge lehn' ich in den Winkel dort.

Die Feder leg' ich, meinen besten Stolz,
Auf diesen Tisch von rohem Tannenholz.

Mein ganzes knappes Hausgerät ist hier,
Mit Schwert und Feder half und riet ich mir.

In einer schwertgewohnten Hand begehrt
Die Feder ihre Fehde, wie das Schwert.

Erst flog sie wie der Pfeil in Feindes Heer,
Doch meine Feder wuchs und ward zum Speer!

Frohlockend stieß ich sie, ein tötend Erz,
Der Priesterlüge mitten durch das Herz.

Und Schwert und Feder, wenn mein Arm erschlafft,
Sind Huttens ganze Hinterlassenschaft.

Mein Schwert, das länger ich nicht führen kann,
Ergreifen mag's getrost ein andrer Mann—

Von keinem Finger werde sie berührt,
Die Feder, welche Huttens Hand geführt!

Die streitet fort. Sie streitet doppelt kühn,
Wann ich vermodert bin im Inselgrün.

IV "Ritter, Tod und Teufel"

Weil etwas kahl mein Kämmerlein ich fand,
Sprach ich zum Pfarrer: Ziere mir die Wand.
—"Da meine Brief' und Helgen! Hutten, schaut,
Was Euch belustigt oder auferbaut!

Ergötzt Euch "Ritter, Tod und Teufel"¹ hier?
Nehmt hin das Blatt! Der Ritter, Herr, seid Ihr."

Das sagst du, Pfarrer, gut. Ich häng' es auf
Und nagl' es an mit meines Schwertes Knauf.

Dem garst'gen Paar, davor den Memmen graut,
Hab' immerdar ich fest ins Aug geschaut.

Mit diesen beiden starken Knappen reit'
Ich auf des Lebens Straßen allezeit,

Bis ich den einen zwing' mit tapferm Sinn
Und von dem andern selbst bezwungen bin.

1. Der berühmte Kupferstich Albrecht Dürers.

V Consultation

Gib deine Weisheit kund! Was ist der Schluß,
Mein Gastfreund, Seelenhirt und Medicus?
Berichtet hab' ich dir, was ich vermocht,
Du hast mir lauschend an die Brust gepocht.

Wie steht's? Sag an!—"Herr Hutten, Eure Kraft
Erliegt dem Stoß der Herzensleidenschaft

Und Euer Geist, das scharfe Schwert, zerstört
Den Leib, die Scheide, die zum Schwert gehört.

Des Leibes strengstes Fasten tut es nicht,
Solang die Seele noch die Fasten bricht.

Beschränket Euch auf dieses Eiland hier!
Horcht nicht hinaus, horcht nicht hinüber mir!

Vergesset, Ritter, was die Welt bewegt
Und Euch in jeder Fiber aufgeregt!

In dieser Bucht erstirbt der Sturm der Zeit:
Vergesset, Hutten, daß Ihr Hutten seid!"

Für deinen weisen Ratschlag habe Dank!
Ich sehe schon, ich bin zum Sterben krank.

Wie? Wenn der Papst die Christenheit betrügt,
So ruf' ich nicht: Der arge Römer lügt?

Wie? Wirft die Wahrheit auf ihr kühn Panier,
So jubl' ich nicht auf meiner Insel hier?

Wie? Springt ein deutsches Heer in heißen Kampf,
So atm' und schlürf' ich nicht den Pulverdampf?

Wie? Sinkt der Sickingen, bedeckt mit Blut,
So brennt mich's nicht, wie eigner Wunde Glut?

Freund, was du mir verschreibst, ist wundervoll:
Nicht leben soll ich, wenn ich leben soll!

Das Buch der Vergangenheit

VI Das Geflüster

Erinnrung plaudert leise hinter mir
Auf diesen stillen Inselpfaden hier.
Sie rauscht im Eichenlaub, im Buchenhag,
Am Ufer plätschert sie im Wellenschlag,

Und mag ich schreiten oder stille stehn,
So kann ich ihrem Flüstern nicht entgehn.

Da streck' ich lieber gleich mich aus ins Gras!
Erinnrung, rede laut! Erzähle was!

Hier lagre dich, zeig dein Geschichtenbuch!
Und wir ergötzen uns an Bild und Spruch.

VII Gloriola

Wir malten eine Sonnenuhr zum Spaß,
Als ich in Fuldas Klosterschule saß.
Ringsum ein Spruch gedankentief und fein
Und schlagend mußte nun ersonnen sein.

Herr Abbas sprach: "Zwei Worte sind gegönnt,
Ihr Schüler, sucht und eifert, ob ihr's könnt!"

Hell träumend ging ich um, mich mied der Schlaf,
Bis mich wie Blitzesstrahl das Rechte traf:

"Ultima latet." Stund um Stunde zeigt
Die Uhr, die doch die letzte dir verschweigt.

Herr Abbas sprach: "Das hast du klug gemacht.
Es ist antik und christlich ist's gedacht."

Manch Kränzlein hab' ich später noch erjagt,
Wie dieses erste hat mir keins behagt;

Denn Süßres gibt es auf der Erde nicht
Als ersten Ruhmes zartes Morgenlicht.

VIII Der Stoff

Als ich von hoher Schule Weisheit troff,
Bat ich die Muse: Jungfrau, gib mir Stoff.
"Wohlan, Herr Ritter", sagte sie, "bedenkt,
Ob etwa jemand Euch das Herz gekränkt?"

Ich sprach: Die Lötze schenkten mir Gewand
Und nahmen's wieder mir mit Räuberhand.

Zornmütiger Querelen zweimal zehn
Ließ gegen Sohn und Vater ich ergehn.

Was, Muse, nun? Gib Stoff! Hilf ab der Not!
Sie sang: "In Schwaben rinnt ein Bächlein rot."

Da rannt' ich wütend Herzog Ulrich an,
Der Vetter Hansen schimpflich abgetan.

Und wieder sprach ich zu der Muse nun:
Ich bin der starke Knecht. Frau, gib zu tun!

Sie lachte. "Ritter, mäßigt Euren Sturm!
Sonst singt Ihr um den Steckelbergerturm."

Gib, Muse, Stoff! Erhöre mein Gesuch!
Gib Stoff! Ein starkes, dauerhaftes Tuch!

"Ein sächsisch Mönchlein aus der Kutte schloff.
Da, Ritter, habt Ihr einen guten Stoff!"

IX Epistolae obscurorum virorum

Wir scharten uns zu lust'gem Mummenschanz,
Kapuzen über vollem Lockenkranz!
Wir trugen Pfaffenlarven heuchlerisch
Und blitzten draus mit Augen jugendfrisch.

Wir schlurften tappig mit Sandalentritt,
Wir äfften nach bis auf der Kutte Schnitt.

Gründlich studierten wir beim Becherklang
Der Mönchlein närrischen Gedankengang.

Die Dummheit haben wir mit Witz verziert,
Die Torheit mit Sentenzen ausstaffiert!

Wir haben sie zum Spott der Welt gemacht,
Wir haben uns und sie zu Tod gelacht!

Zu Tode? Nein. Wir haben sie geweiht
Aristophanischer Unsterblichkeit.

Schleiferius! Caprimulgius! Ochsenhorn!
Schlaraff! Der saubre Täufling Pfefferkorn!

Wir brachen keck in ihre Zellen ein
Und hausten schlimm in ihrem Bücherschrein.

Wir sprachen ihr Latein—ergötzlich Spiel—
Und Briefe schrieben wir im Klosterstil:

"Laetificor archiangelice
Cum una speciosa virgine!"

Hellauf! Der Narrenglöcklein schriller Schall!
Und heißa, hussa, Jagd und Peitschenknall!

Die Pfaffen sprangen über Stock und Stein,
Der Esel bockte, grunzend lief das Schwein.

Du Fest der jugendlichen Grausamkeit,
Verklungen bist du längst! Streng ward die Zeit.

Als wir im losen Mummenschanz getobt,
Da hat man unsres Witzes Salz gelobt;

Doch als die Wahrheit wir im Ernst gesagt,
Da wurden wir, die Jäger, selbst gejagt.

Wir irren heimatlos, geächtet, arm
Und essen fremdes Brot in Not und Harm.

Die Pfäfflein, denen unsre Hetze galt,
Sie tafeln alle noch gesund und alt.

Die Mönchlein, die wir kniffen bis aufs Blut,
Sie bechern alle wieder wohlgemut;

Und schneidet eines apfelschälend sich
Und quillt ein Tropfen Bluts bescheidentlich,

So stöhnt es: "Würd'ge Brüder, schauet hier!
Das blut'ge Märtertum erleiden wir!"

X Der Vetter Hans

Ein schöner Mensch, mit dem das Glück gedahlt,
Hat dunklem Schicksal schweren Zoll bezahlt.
Fortunens Liebling war der Vetter Hans,
Der mich an Lebenskraft verdunkelt ganz.

Oft dacht' ich, dem die Wange früh gebleicht:
In einem solchen Körper lebt sich's leicht!

Das Haupt mit dem gepflegten Bart, er trug's
Siegreich und war von schlankem Edelwuchs.

Er ritt und focht und tanzte meisterhaft,
War aller Fraun und Mädchen Leidenschaft.

Er freite flink. Das junge Weib gefiel
Dem Herzog und der Teufel trat ins Spiel.

Der Herzog sank vor Vetter Hans aufs Knie:
"Dein Weib! Nicht leben kann ich ohne sie!"

Das fand der Vetter Hans ein komisch Wort
Und er bespottet's weidlich hier und dort:

"Der Herzog wendet an den Rechten sich!
Den Mann ums Weib zu bitten! Lächerlich."

Das Lachen ward dem Herzog hinterbracht
Und Vetter Hans hat sich zu Tod gelacht.

XI Der Ritter ohne Furcht und Tadel

Als in Pavia ich studierte, ward
Mir dort gezeigt der tapfre Held Bayard.
Der "Ritter ohne Furcht", der nie geflohn,
Befehligte die welsche Garnison.

Nach längst verschollnen Moden trug er sich,
Er und sein Knappe schritten feierlich.

Die abgekommne Cortesie erhob
Er hoch und seufzt': "Das junge Volk ist grob!"

Entgegen hielt den Spiegel zücht'ger Zeit
Er unsrer heut'gen Ungebundenheit.

Zu Grabe werde, gab er zu verstehn,
Mit ihm der letzte wahre Ritter gehn.

Lang, hager, würdevoll, galant mit Fraun,
Dabei ein bißchen komisch anzuschaun,

Hob er den Zeigefinger, wann er schalt,
Als eine unvergleichliche Gestalt.

Man grüßte tief und raunte sich ins Ohr,
Der "Ritter ohne Tadel" sei ein Tor.

Doch, daß ich sein gespottet, reut mich schwer;
Denn, Hutten, bist du nicht ein Tor wie er?

Ins Abendgold hat er zurückgeschaut—
Dein Auge späht, wo kaum der Morgen graut.

Dein Ohr vernimmt durch Nebel und durch Nacht
Den Siegesjubel einer künft'gen Schlacht.

Wie Mittagsglut hast du den Strahl verspürt,
Der kaum der Berge Spitzen noch berührt.

Bayard sah das Entschwundene verschönt,
Bayard, den du mit manchem Witz verhöhnt!

Er war ein Narr der eignen Phantasie—
Die Zukunft aber, Hutten, kennst du die?

Wer weiß, erlebst du noch die neue Welt,
Ob sie dem fränk'schen Edelblut gefällt!

Wer weiß, ob nicht das Ziel, drob du verscherzt
Der Erde Güter, ist's errreicht, dich schmerzt?

Bayard, der ohne Furcht und Tadel war,
Vergib! Reich mir die Hand! Wir sind ein Paar.

Wir sind ein fahrend Ritterpaar, Bayard,
Und taugen beide nicht zur Gegenwart.

XII Romfahrt

Erwerben wollt' ich fremder Muse Gunst,
Den edlen Kranz der alten Redekunst.
Latein gedrechselt hab' ich manches Jahr
Und ein Latein, das schlank und zierlich war.

Nun blieb mir die Rotunde noch zu sehn,
Als Pilger auf das Capitol zu gehn.

Am Wege traf ich manchen Lorbeerstrauch
Und Myrtenbusch und manchen Fladen auch.

Gewölk und schneid'ger Wind und Tannenduft
Bekommt mir besser als die welsche Luft.

Die Trümmer sah ich alter Römerpracht
Zur Festung dienen einer Priestermacht.

Entartet und verheuchelt sah ich da
Den Kopf des Claudiers und der Claudia.

Ich sah ein Weib, das mit sich handeln ließ,
Die man die "allgemeine Kirche" hieß.

Ich fand von feiler Schreiberschar entweiht
Die ciceronische Beredsamkeit.

Ich sah, wie man in dieser Pfaffenstadt
Uns ohne große Kunst zum Narren hat,

Sah unsrer Väter Glauben in der Hand
Ungläub'ger Priester als ein Gängelband.

Sag' ich es kurz und klassisch, was ich sah
Am Tiberstrom? Cloaca maxima!

Mich freute Tempel nicht, noch Monument.
Mein Volk verachtet sehn! Das würgt und brennt!

Mir den Geschmack zu bilden hofft' ich dort
Und bitter war der Mund mir immerfort.

Mir gor das Blut, die Galle regte sich,
Ich sprach: Jetzt, Hutten, schilt! sonst tötet's dich.

Vor Petri neuem Tempel höhnt' ich laut:
Der Simon hat's mit unserm Geld gebaut!

Was soll die übermüt'ge Pfarre da
Mit Zinne, Porticus und Statua?

Wir wissen es, wer hier zu Miete saß:
Der unverschämten Hölle frechster Spaß!

Der Stier im Wappen sagt: Hie hat gehaust
Der Borgia Lust, davor's dem Teufel graust!

Der zehnte Leo nun verkauft den Geist,
Der über seinem roten Käppchen kreist!

Du malest, Raphael, zu seinem Glanz?
Freund! Mal ihm einen dreisten Totentanz,

Damit der Unfehlbare nicht vergißt,
Daß er, wie wir, ein armer Sünder ist.

Ich ging. Mit einem derben Kohlenstrich
Beschrieb des Vaticanes Mauer ich:

"In diesen tausend Kammern thront der Trug!
Ein Deutscher kam nach Rom und wurde klug."

XIII Die Ablaßbude

Und, sieh, da wälzte sich das Rad der Zeit,
Wir traten mit der welschen Macht in Streit.
Ich schrie: Ihr Männer, geht mir an die Hand:
Des Papstes Ablaßbude wird berannt!

Erkaufen Gold und Silber Seelenheil,
So steht es bald auf allen Märkten feil.

Die Ware wird von Jung und Alt gesucht
Und nur der arme Schlucker bleibt verflucht.

Die Tasche wende jeder! Ist sie leer,
So trete keck in unser Lager er!

Das rat' ich dir, du heilsbedürft'ger Mann,
Der keinen Ablaßzettel lösen kann!

Wir greifen nach dem Himmel unverwehrt!
Uns wird die Seligkeit umsonst beschert!

Ich sprach ein rauhes Deutsch in Hast und Zorn,
Es dröhnte wie vom Turm das Wächterhorn.

Antwort erscholl wie Sturm und Meergebraus:
"Herr Hutten, fasset an und räumet aus!"

XIV Lügengeister

Der Zaubrer Faust erschien am Hof zu Mainz,
Er liebt der Kardinäle Purpur, scheint's.
Verhangen ward ein Saal und blaß erhellt
Für die Besuche der Gespensterwelt.

Der Kurfürst setzte sich. Ihm stand ich links.
Der bleiche Magier harrte seines Winks.

Natürlich ging die erste Frage da
Nach der erlauchten Bübin Helena.

Er rief der Leda Kind. Es zeigte sich
Ein blanker Fuß und tanzte wunderlich.

Das leere Gaukelspiel, das mich verdroß,
Entzückte den vernarrten Pfaffentroß.

Was schiert die Metze mich? Herr Nekromant,
Seid Ihr mit edlern Toten nicht bekannt?

—"Wen fordert Ihr?" Den Kaiser Constantin!
Er rief. Ein Purpurtragender erschien.

Ich frage Majestät, ob ihr gedenkt,
Daß sie dem Papst die ew'ge Stadt geschenkt?

"Ja", nickte das Gespenst. Wie? Wo? Und wann?
Ein Märchen ist's, das Eigennutz ersann!

Es ist Betrug und das beweis' ich stramm
Mit scharfer Kunst, die nennt man Criticam.

Du bist ein Pfaffengeist! Zur Hölle fort!
Der Lügenkaiser schwand vor meinem Wort.

XV Das Hütlein

Es war in Brüssel vor dem Ständehaus.
Die Sage ging: "Der Kaiser reitet aus!"
Noch hatt' ich nie das junge Haupt geschaut,
Dem wir des Reiches höchstes Amt vertraut.

Ein edles Roß ist unsre Zeit. Es stampft.
Es wiehert mutig. Seine Nüster dampft.

Ob er die Zügel klug und kühn ergreift?
Ob er's bewältigt? Ob's ihn wirft und schleift?

Da wir Poeten abergläubisch sind,
Erdacht' ich ein Orakel mir geschwind:

Für diesen Kaiser gelte fort und fort
Das erste seinem Mund entfallne Wort!

Er kam. Ein Hütlein trug er, meiner Treu,
Mit Reiherfedern, funkelnagelneu!

Der Himmel macht' ein mißvergnügt Gesicht,
Sich selber fragend: Regn' ich oder nicht?

Jetzt klatschten Tropfen auf das Pflaster schwer,
Die junge Stirne legt' in Falten er

Und lugte sorgend zu den Wolken auf.
"Mein altes Hütlein!" rief er, "Kämmrer, lauf!"

Ich aber sprach zu mir: Das wird nicht gut!
Sein erster Ruf geht nach dem alten Hut.

XVI Das Kindlein in Mainz

O Mainz, du lust'ger Sitz, du traute Stadt,
Die Huttens Feder oft belobet hat!
Der Mainzer Albrecht war mir redlich hold
Und bot mir manchen Trunk in purem Gold.

Er lauschte meinen kühnen Scherzen gern,
Ich nannt' ihn meinen Freund und meinen Herrn.

Ich spottete vor seinem Ohre dreist,
Er zürnte nicht, er ist ein freier Geist;

Doch in der Stunde der Versuchung, ach,
Der Geist war willig und das Fleisch war schwach.

Ihm hielt ich Treue, bis er mich verstieß.
Wo lebt der Freund, den Hutten je verließ?

Die Kanzelei von Rom schrieb Brief um Brief,
Bis mich der Albrecht nicht mehr zu sich rief.

Geächtet wurde Luther und gebannt…
Ich lebte von der Faust und streift' im Land.

Ein treuer Rüde, stahl ich wieder hin
Zum Mainzer mich und still umschlich ich ihn.

Ich blickt' ihm ins Gemach; er saß beim Mahl,
Landfremden Pfaffen bot er den Pokal.

Gemunkel ging: mit Luther sei's vorbei,
Der eingetan und aufgehoben sei.

Die langen welschen Nasen nickten fein
Und freuten sich an ihren Schelmerein.

Er lächelte! Mir gab es einen Stich—
Mein Edelfalke, Gott behüte dich!

Ade, mein Albrecht, mein verlorner Hort!…
Ich schlich betrübt mich in die Krone fort,

Wo einst bei Becherklang ich manche Nacht
Mit witzigen Gesellen durchgelacht.

Hier setzt' ich mich zu einem Kruge Bier,
Des Wirtes Kind gesellte sich zu mir.

Das Mägdlein, mein' ich, stand im vierten Jahr,
Ich fuhr ihm durch das blonde Ringelhaar:

Sag mir dein Nachtgebetlein, wie du's weißt!
Das Kind hub an: "Gott Vater, Sohn und Geist,

Dein Name sei gelobt! Hüt uns vor drei:
Vor Wassernot und Brand und Kriegsgeschrei!

Den Schiffern gnade Du in Nacht und Sturm!
Sei Bruder Martins Burg und fester Turm!

Umschleicht ihn mit dem Dolch ein Mörder wild,
So deck ihn, Herr, mit Deinem starken Schild!

Und leidet Dein Gerechter Hungersnot,
So schick ihm Du durch Deine Raben Brot!"

Wer lehrte dich, mein Kindlein, dies Gebet?
—"Die Mutter heißt mich's beten früh und spät."

Nun mein' ich aber, daß kein Leid geschieht
Dem Mann, für den in Mainz ein Kindlein kniet.

XVII Die Mainzerspieße

Sie machten mir ein Kämmerlein bereit,
Doch mied der Schlaf mich drinnen lange Zeit.
Ich hörte, wie das Pflaster dumpf erklang:
Die Mainzer Scharwach schritt mit schwerem Gang.

Mich heimelt's aus den alten Zeiten an,
Denn oft mit diesem Heer gedieh mir Span,

Wann nächtlich ich, vom Humpen übermocht,
Mit ihnen auf der Gasse klirrend focht.

Versuchte Männer sind's von Schluck und Hand,
Geworben rings in Hoch—und Niederland.

Ich lauscht' im Finstern heiter und mir schien:
Die Spieße sangen etwas vor sich hin.

Ein alter Bierbaß sang gemütlich vor
Und zehen Bässe brummten nach im Chor:

"Das reine Wort sie sollen lassen stan
Und dafür keinen Dank noch Löhnung han.

Gerichtet ist der Fürste dieser Welt,
Uns tut er nichts, wie saur er auch sich stellt—"

Ich, von den Mainzerspießen auferbaut,
Sang mit in meiner dunkeln Kammer laut:

"Drum fürchten wir uns wahrlich nicht zu sehr,
Denn unser Gott ist eine starke Wehr."

XVIII Die Gebärde

's war in der Krone, daß mich einer fand,
Der mich in meinem ersten Flaum gekannt.
Der Ott von Gemmingen. Er drückte sich
Durch das Gelag und rückte neben mich.

"He da!" Utz! Lieber Utz! Was ward aus dir?
Bist du am Hof von Mainz ein großes Tier?

Bist Doctor juris utriusque du?
Des Kaisers Schreiber oder Rat dazu?

Nein? Nun, was bist du denn? Des Hofgerichts?"
Ich aber sagte trocken: Ich bin nichts.

Jetzt mustert' er mein ausgedient Gewand,
Die hohlen Wangen auch, die magre Hand.

"Eins bist du: Siech! Das redet dein Gesicht!"
Ich glaubte mich geheilt und bin es nicht.

Da streckt' den Finger er und zog damit
Sich sauber um die Gurgel einen Schnitt.

Du rätst…? Er nickte. Drob hab' ich gelacht.
Dann hab' ich der Gebärde nachgedacht.

Unleidlich scheint dem frohen Kind der Welt
Dein Dasein, Hutten—drum verbrauch's als Held!

Wovor des kühnsten Mannes Busen zagt,
Das sei von dir in freier Lust gewagt!

XIX Mißverständnis

Der Vater sprach zu mir mit leisem Hohn:
"Verstehst du's, bau mir eine Presse, Sohn!"
(Sie nennen Presse dort im Frankenland,
Was andern Ortes Kelter wird genannt.)

Sprach's und verritt. Ich ohne viel Geschrei
Berief die Meister schwarzer Kunst herbei.

Da ward gesetzt, gedruckt, gepreßt, gedreht,
Viel tausend Blätter flogen rings verweht.

Auf einem ward dem Cajetan gedroht:
"Schlagt, fromme Leute, den Legaten tot!"

Hier stand: "Und würd' ich drüber Lands verjagt,
Ich Hutten breche durch, ich hab's gewagt!"

Und dort: "Die harsche Luft der Freiheit weht,
Ich Hutten sporn' und stachle früh und spät."

Das war ein heißer und ein zorn'ger Wein,
Den ich gepreßt am Steckelbergerrain.

XX Jacta est alea

Nachdem ich meinen großen Wurf getan,
Da hub der Vater mich zu schelten an:
"Du trittst mit Rom in Fehde? Bist du toll?
Mich wundert's, Ulrich, wie das enden soll!

Poet war schlimm und klingt erbärmlich schon,
Doch Ketzer ist noch weit ein schlimmrer Ton!

Erlebt' ich's nicht! Ein Sohn in Bann und Acht,
Der meinen grauen Haaren Schande macht!

So, Ulrich, mehrst du deines Stammes Glanz?
Jetzt gehst du halb zerlumpt, bald bist du's ganz!

Was kümmert dich, ob unser Haus zerfällt?
Was kümmert irgend noch dich auf der Welt?

Wenn nur in Holzschnitt du und Kupferstich
Den Lorbeer trägst—was anders kümmert dich?

Du lächelst? Du verziehst den Mund zum Scherz?
Ich wußt' es nicht: du hast ein schlechtes Herz."

Der Vater sprach's und blickte finster drein,
Mit Tränen bat das fromme Mütterlein:

"Mein süßer Ulrich, laß das böse Spiel!"
Ich gab zur Antwort: Nein! Der Würfel fiel.

Mein Mütterlein, behalt mich lieb und gern!
Bleib du mir milde wie der Abendstern!

Du kränkst mich, Vater, nicht, so herb du bist!
Hier schlägt ein Herz, das guter Meinung ist.

Beleidigt dich mein abgebraucht Gewand,
So laß mich treten aus des Hauses Band!

Ich sei ein Fremdling dir! Du bleibst in Ruh,
Mein Gut, du teilst es meinem Bruder zu.

Und ärgre, Vater, dich am Lorbeer nicht,
Der nur im Bildnis mir die Stirn umflicht!

Ich selber trage sonder Prunk und Glanz
Im Leben einen schlichten Dornenkranz.

Wozu der Lorbeer? Das hat keinen Sinn.
Ein jeder weiß, daß ich der Hutten bin,

Den weder Zeit noch Tod noch Acht noch Bann
Vom Herzen seines Volkes scheiden kann!

Burg Steckelberg, die von der Höhe schaut,
Von Frankens schönen Hügeln rings umblaut,

Die Brücke nieder! Öffne mir dein Tor!
Ich reit' aus dir zum letzten Mal hervor.

Blas, Türmer, blas mir noch ein tapfer Stück!
Ich fahr' in Kampf und kehre nicht zurück.

XXI Der Edelstein

Als ich gen Zürich ritt im Abendschein,
Da rief ich aus: "Du schmucker Edelstein!"
Bei Meister Zwingli lebte man nicht schlecht,
Er deckte mir den Tisch mit einem Hecht.

Den hab' ich auf der Brücke dann verdaut,
Lustwandelnd nahes Schneegebirg geschaut—

Da sah ich einen unterm Volke gehn,
Von dessen Hute Geierfedern wehn.

Dem bog ich fluchend aus dem Wege schnell,
Denn Herzog Ulrich war's, der Mordgesell!

O blaue Flut, o freier Bergeshauch,
Gibst ein Asyl du dem Tyrannen auch?

XXII Der Comtur

Als ich entlang das helle Seegestad
Nach Pfäffers ritt ins heiße Felsenbad,
Wo man in Unterwelt und Wellenguß
An schwankem Seile niederschweben muß,

Wo keck zur Hölle fahren Mann und Weib
Und wiederkehren mit geheiltem Leib—

Fand ich in Küsnach gastlich Nachtquartier
Und scherzend sagte der Comtur zu mir:

"Braucht Ihr Moneten? Tuet nicht verschämt!
Der Pächter brachte zwanzig Gulden. Nehmt!

Werft keinen nieder! Hier ist's unerlaubt.
Nehmt! Und Ihr habet bloß den Staat beraubt!

Mein teurer Ritter, nehmet ungeziert!
Wir werden morgen säkularisiert

Und lieber als dem Staat, der alles frißt,
Gönn' Euch ich's, der ein Mensch und Würfler ist."

Ich strich es ein und schwang mich in den Sitz
Und lachte: Herr Comtur, Ihr habet Witz.

Und weiter oben, wo sich biegt der See
Und nah und näher tritt der ew'ge Schnee,

Bespiegelt' in der Flut ein Eiland sich,
Daran ich leichten Sinns vorüber strich.

Ich ließ es rechts im flücht'gen Wellenspiel
Und ahnte nicht mein letztes Wanderziel.

Die Einsamkeit

XXIII Die Flut

In meine Kammer blickt das blaue Licht
Der nahen Flut. Ich widerstehe nicht.
Die Mittagssonne rüstet mir das Bad,
Ich schleiche mich verstohlen ans Gestad.

Ich hab' es eilig. Wär' mein Pfleger hier,
Mich hieß' er Waghals und verwehrt' es mir.

Zum Strande nieder führt mich diese Schlucht
Und krause Wellchen plätschern in der Bucht.

Hinaus! Hinaus! Du abgrundkühle Flut,
Wie tust du meinem heißen Herzen gut.

Mit blauen Bannern ziehst du weit heran
Und immer neue Heere seh' ich nahn.

Die Reihen schlagen mit gelindem Prall
Mir an die Brust und brechen sich am Wall.

Noch lob' ich meiner Arme Schwung und Zug—
Nur etwas sachter—eben Kraft genug.

Die Kunst des Knaben hab' ich nicht verlernt,
Doch sind die Ufer weiter hier entfernt.

Ich schlug als Kind in übermüt'ger Lust
Den sanften Main und trat ihn auf die Brust.

Da hab' ich unter mir zu sehn geglaubt
Ein schilfbekränztes, göttlich mildes Haupt.

Es war mir immer nur zu nah das Land,
Mich warf der Flußgott scherzend auf den Sand.

Was einst des Knaben Spiel und Freude war,
Wird nun dem Mann zur Arbeit und Gefahr.

Er weiß es, wenn er ringt und wenn er strebt,
Daß er auf einer Todestiefe schwebt!

XXIV Was die Glocken sagen

Heut geht am See ein endlos Glockenspiel,
Mir scheint, die taufen und begraben viel.
Wann Menschenblut in neuen Adern kreist,
Erneuert sich der träge Menschengeist.

Das Glöcklein sagt, das dort so kläglich schallt:
Ein Päpstler steigt ins Grab vergilbt und alt.

Das Glöcklein sagt, das hier so lustig schellt:
Es kam ein kleiner Protestant zur Welt.

XXV Astrologie

Ihr lieben Sterne tröstet allezeit,
Wer dächte, daß ihr arge Zwingherrn seid!
Ihr seid's! Als sich die Erde mir erhellt,
Ward mir ein widrig Horoskop gestellt.

Weil, als ich kam, der Widder just geglüht,
Bin ich von unverträglichem Gemüt.

Ein flackernd Himmelsirrlicht trägt die Schuld
An meiner Wanderlust und Ungeduld.

Gewissen, lasse fürder mich in Ruh!
Den Sternen schreib' ich meine Sünden zu.

Doch überleg es Hutten! Dreimal nein!
Ein Sklave willst du nie gewesen sein.

Du bist ein Feind von jeder Tyrannei
Und deine Sünden auch begingst du frei!

XXVI Homo sum

Ich halte Leib und Geist in strenger Zucht
Und werde doch vom Teufel scharf versucht.
Ich möchte meiner Seele Seligkeit
Und bin mit Petri Schlüsselamt im Streit.

Am Tisch der Fugger speist' ich dort und hie
Und schimpfte weidlich Pfeffersäcke sie.

Den Städterhochmut haßt' ich allezeit
Und hätte gern ein städtisch Kind gefreit.

Auf ehrenfeste Sitten geb' ich viel
Und fröne dem verdammten Würfelspiel.

Ich bin des Kaisers treuster Untertan
Und riet dem Sickingen Empörung an.

Das plumpe Recht der Faust ist mir verhaßt
Und selber hab' ich wohl am Weg gepaßt.

Ich bete christlich, daß es Friede sei,
Und mich ergötzen Krieg und Kriegsgeschrei.

Der Heiland weidet alle Völker gleich—
Nur meinen Deutschen gönn' ich Ruhm und Reich!

Das heißt: ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.

XXVII Ariost

Die Feder leg' ich weg. Heut ist ein Tag,
Da keine Zeile mir geraten mag!
Wie wend' ich ab der langen Weile Fluch?
Ein Buch, Herr Pfarrer! Ein ergötzlich Buch!

—"Zu Dienst, Herr Ritter! Wenn Ihr Welsch versteht?"
Ich konnt' es einst und meine noch, es geht.

Woher das Buch?—"Ein welscher Architekt
Las drinnen hier und hat's nicht eingesteckt."

Roland in Furie. Verse, welscher Gauch?
Nun, Verse machen kann der Hutten auch.

Nur keinen Schwulst, mein Dichter, keinen Frost!
Dein Name lautet? Ludwig Ariost.

Mir unbekannt. Dein Erstling, junges Blut?
Respekt! Ich bin ein Alter! Zieh den Hut!

Du hoffst, daß ich dich lese? Wahn! mein Kind.
Ich sause durch die Blätter, wie der Wind.

Verwunschene Prinzessen—Drachenbrut—
Das tolle Zeug ist für die Kinder gut.

Was soll uns noch die bunte Wunderzeit?
Wir fußen jetzt in harter Wirklichkeit.

Ein frisches Bild! Nun ja—ein feiner Spruch!
Ei Zauber! Üppig Grün entsprießt dem Buch!

Da setzen zwei Verliebte sich hinein,
Das Blatt gewendet und sie sind allein.

Es kracht! Ein Ritterpaar, das Lanzen bricht!
Die Splitter fliegen auf zum Sonnenlicht

Und fallen nieder, schwärzlich angebrannt,
Auf die Behelmten, die sich umgerannt.

Hanswurst, gemach! Das lohn' der Teufel dir!
Verspottest du das löbliche Turnier?

Wes Geistes Kind? Laß sehen! Blättre, Hand!
Ein Feldgeschütz erobert Held Roland

Und flucht der Kugel und dem Pulverknall,
Als wären sie des Rittertums Verfall—

Der Sickingen erfuhr's, den, ach, ein scharf
Gezielter Schuß zum Sterben niederwarf!

Gewiß, viel änderte der Pulverblitz!
Und hier—das ist ein kapitaler Witz—

Hier läuft ein Kerl und schwingt die Halebard,
Der's nicht bemerkt, daß er getötet ward!

Bei meinem Bart! Das Bild der alten Zeit,
Die noch die Waffe führt und schilt und schreit,

Den jungen Tag bekämpft mit Trutz und List
Und nicht bemerkt, daß sie verstorben ist!

Ich wittre, Welscher, deinen Schlich und Brauch,
Des Witzes scharfen Bolzen schoß ich auch:

Aus wunderbaren Mären seh' ich braun
Und lachend eines Schalkes Augen schaun.

Vor einer Fabelwelt verbeugst du dich
Und grüßest hübsch—und machst sie lächerlich.

Was ich befehdet mit des Herzens Kraft,
Zerstörst du mit des Scherzes Meisterschaft.

Ich reich' dir über das Gebirg die Hand,
Mein Meister Ludowig im welschen Land!

In deines Maskenscherzes Fröhlichkeit
Bist du, wie ich, ein echtes Kind der Zeit.

XXVIII Bin ich ein Dichter?

Das Lied des Welschen wandelt voller Glanz,
Es schwebt wie Musenschritt und Grazientanz.
Der Reim des Welschen hat ein hell Geläut—
Ob ich ein Dichter bin? Das plagt mich heut.

Du zweifelst, Hutten? Hat dich eines Tags
In Augsburg nicht gekrönt der Kaiser Max?

Das gilt!… Auch neben diesem welschen Lied?
Wär' ich am Ende bloß ein Verseschmied?

Ich bin ein Verseschmied! So nenn' ich mich!
Am Feuer meines Zornes schmiedet' ich

Rüstung und Waffen zu des Tags Bedarf
Und wahrlich, meine Schwerter schneiden scharf!

XXIX Der letzte Humpen

Herr Konrad der Comtur vergaß mich nicht
Und seine Sendung lacht wie Sonnenlicht.
Sie ist, ob auch in schlichtes Stroh gehüllt,
Bis oben an den Rand mit Geist gefüllt.

Statt eines Briefs hat der Bequeme mir
Geschickt das Fläschchen Rüdesheimer hier.

Dank! Einmal solche würz'ge Labe noch!
Ihr Gutes hat die Pfaffengasse doch.

Der Arzt verordnet mir den Wasserstrahl,
Wohlan, ich zeche heut zum letzten Mal!

Nicht brauch' ich dich zu schwenken, du bist rein,
Du kommst vom Brunnen, hölzern Becherlein!

Herr Rüdesheim, was gibt's am Rhein? Wie geht's
Der Klerisei von Mainz? Sie durstet stets?

Erlaucht, auf Schweizerboden keinen Stolz!
Bequemet Euch in dies Gefäß von Holz!

Lab' ich allein mich aus dem Zauberquell?
Liegt nirgend hier im Gras ein Zechgesell?

Allein zu trinken ist mir schwer verhaßt,
Ein Mönchlein selber wär' mir recht als Gast.

Ein Mönchlein! Wäre nur der Luther hier,
Mit Feuerzungen sprächen beide wir!

Ihn traf der Frundsberg auf der Dornenbahn
Zu Worms mit einem vollen Humpen an

Und sprach ihm zu: "Mach dir die Kehle naß!
Dann rede frisch! in vino veritas."

Im Weine Wahrheit! Doch auch du bist hie,
Anmut'ge Lüge, Traum und Poesie!

Aus meinem Becher steigt ein Reigen klar
Und lächelnd grüßt mich eine Geisterschar.

Voraus die ewig junge Lebenslust,
Sie legt den Lockenkopf mir an die Brust

Und schaut zu mir mit hellen Augen auf:
"Du wirst genesen, Hutten! Zähle drauf!"

Und hier die Blasse mit dem süßen Schein
Der trauten Blicke muß die Liebe sein!

Sie flüstert das beseligende Wort:
"Noch hüte, Hutten, ich dir einen Hort!"

Mit beiden Armen winkt sie Heil mir zu:
"Es ist die Schönste, Hutten! Traue du!"

Und der Poet in meinem Herzen singt,
Von holder Erdefreuden Chor umringt,

In tausend Melodieen ein Getön:
O Erde, du bist lustig, du bist schön!…

Verbleiche, Reigen! Sinnentanz, erlisch!
Herr Reformator Hutten, auf vom Tisch!

Des Weines Hälfte blieb, die heb' ich auf
Dem Freunde, kehrt er müd vom Arzteslauf.

Drei Züge noch, das ist die heil'ge Zahl!
Drei Sprüche noch und sonder lange Wahl!

Den ersten Trunk dem heil'gen röm'schen Reich!
Möcht' es ein weltlich deutsches sein zugleich!

Den zweiten meinem Kaiser! Möcht' er sein,
Der fünfte Karl, so echt, wie dieser Wein!

Den dritten bring' ich jedem auf der Welt,
Der sich und seinen Becher wacker hält!

XXX Der Uli

Gelassen schreitet dort im Ackerfeld
Ein rüst'ger Mann, der späte Saat bestellt.
Schön ist ein jedes Werk, das Jahr entlang,
Am liebsten doch ist mir des Säers Gang…

Mein wackrer Albrecht Dürer, mal mir heut
Den lieben Heiland, wie er Körner streut,

Mit einem deutschen Himmel frisch und klar
Und deutscher Landschaft—für den Fronaltar…

Als ich mit Zwingli jüngst am Mahle saß,
Erzählt' er etwas, das ich nicht vergaß.

Er sprach: "Das wilde Tal, das mich gebar,
Bringt weder Wein noch Frucht im wärmsten Jahr.

So kam's, daß ich gelebt der Jahre zehn,
Bevor ich Egge, Pflug und Saat gesehn.

Da nahm der Vater mich zu Tale mit,
Die Säer drunten zählten Schritt um Schritt

Und streuten edeln Wurfs, geheimen Winks
Die wundersamen Körner rechts und links.

Ich schaute die Gebärden allesamt,
Streng und gemessen, wie beim heil'gen Amt,

Und endlich frug ich mit erstauntem Wort:
'Vater! Was tun die Männer Frommes dort?'

Er lachte: 'Solches sahst du nie zu Haus!
Sie streun das Brot des lieben Gottes aus.

Was ist dir, Uli? Weinst du? Schäme dich!'
'Ei, Vater, es ist gar so feierlich.'"

XXXI Die deutsche Bibel

Ein frommer Tag, da ich, gestreckt ins Gras,
Die "Schrift, verdeutscht durch Martin Luther" las.
Gern hör' ich deiner Sprache, Luther, zu,
Wer braucht das Wort gewaltiger als du?

Auf einer grün umwachsnen Burg versteckt,
Hast du die Bibel und das Deutsch entdeckt.

Ich las und alte Mär aus Morgenland
In Fleisch und Blut verwandelt vor mir stand.

Den Heiland hör' ich, der mich traulich lehrt,
Aus einem Fischerboot mir zugekehrt.

Und plaudert' hier am Brunn im Schattenraum
Mit einem Weiblein er, mich wundert's kaum.

Vielleicht dortüben wandelt am Gestad
Durchs hohe Korn er auf verdecktem Pfad…

Der Rittersmann, der Knecht im Bauerkleid
Vernimmt von ihm den Weg zur Seligkeit—

Auch seine Henker tragen deutsche Tracht,
Zu Köln wird er im Dornenkranz verlacht

Und spottend geht an seinem Kreuz vorbei
Ein Chorherr aus der Mainzerklerisei….

Leer steht das Holz. Ein Zettel flattert dran
Mit got'scher Schrift. Es hebt die Predigt an.

Die Feuerzungen wehn. Fest Pfingsten flammt.
Martinus tritt in das Apostelamt.

Der Sturm erbraust und jede Sprache tönt—
Wie tief das Erz der deutschen Zunge dröhnt!

XXXII Luther

Je schwerer sich ein Erdensohn befreit,
Je mächt'ger rührt er unsre Menschlichkeit.
Der selber ich der Zelle früh entsprang,
Mir graut, wie lang der Luther drinnen rang!

Er trug in seiner Brust den Kampf verhüllt,
Der jetzt der Erde halben Kreis erfüllt.

Er brach in Todesnot den Klosterbann—
Das Große tut, nur wer nicht anders kann!

Er fühlt der Zeiten ungeheuren Bruch
Und fest umklammert er sein Bibelbuch.

In seiner Seele kämpft, was wird und war,
Ein keuchend hart verschlungen Ringerpaar.

Sein Geist ist zweier Zeiten Schlachtgebiet—
Mich wundert's nicht, daß er Dämonen sieht!

XXXIII Die Vorrede

Heut übermochte mich—seit langer Zeit
Zum ersten Mal—ein Sturm von Lustigkeit.
Ich lag im Gras. Da blitzt' mir durch den Sinn,
Wie mit dem Papst ich umgesprungen bin.

Unbändig lacht' ich in der grünen Saat
Und freute mich der frechen Jugendtat.

In einer Widmung und Praefatio
Schrieb ich an unsern heil'gen Vater so:

"Die dir im Amt vorangegangen sind,
Die taugten nichts. Das weiß ein jedes Kind.

Sie fälschten, stahlen, raubten allezeit,
Ein beßrer Mensch ist deine Heiligkeit.

Sie waren Schelme. Meinst du nicht? Verglich'
Ich dich mit ihnen, es betrübte dich!

Du billigst meine Rede, weiß ich schon,
Doch gib es, bitt' ich, schriftlich deinem Sohn!

Verkünd es aller Christenheit und gib
Ein Breve: "'Ulrich Hutten ist mir lieb!'"

Ich muß es mir bekennen dann und wann:
Nicht völlig ungerecht bin ich im Bann.

XXXIV Erasmus

Frau Schwermut setzt sich heute neben mich
Und raunt mir zu: "Die Menschen lassen dich.
Du bist ein halbzertrümmert Kriegsgerät,
An dem man achtungslos vorübergeht.

Die Freunde wenden sich von dir mit Scheu,
Nur deine Feinde bleiben dir getreu.

Du warst zu kühn und, streckst du dich erbleicht,
So wird es dir und wird den andern leicht"…

Der Schiffer kommt. Freund! Was ist dein Gesuch?
—"Hier, Ritter, bring' ich etwas wie ein Buch."

Versiegelt ist's. Von wem? Ich weiß es nicht.
Die Hand, sie zaudert, die das Siegel bricht.

Schickt, Büchlein, dich ein Freund, mich zu erfreun?
Ein Feind, mir alte Wunden zu erneun?

Ich, sonst so kampfgewöhnt und wetterhart,
Auf dieser stillen Insel werd' ich zart

Und dessen Hand so rasch zum Schwerte fuhr,
Friedselig werd' ich hier wie die Natur.

Wie? Hutten zagt? Enthieltst du Gottes Spruch
Und Urtel selbst, ans Licht, verhülltes Buch!

"Erasmus gegen Hutten. Offner Brief."
Recht! Hutten und Erasmus wäre schief.

Latein ist gut! Latein verdient ein Lob!
Glatt, elegant… Potz Blitz, da wird es grob!

"Zerlumpter Ritter!" redest du mich an,
Betitelst mich "verkommener Kumpan!"

"Zerlumpter Ritter!" Ein erbaulich Bild!
Mißgönnt der Bankert mir das Wappenschild?

Ich Hutten weiß, wieviel die Tinte tut,
Doch mehr vermag ein dreister Reutersmut!

Der Römling, der in unsern Landen haust,
Erbleicht vor der geschienten Edelfaust!

"Potator, aleator"… Geht's auf mich?
Du munkelst, deutelst, heuchelst—schäme dich!

Und hier… und hier—nicht möglich! Büchlein, schweig!
Ein Musenliebling! Und so schlecht und feig!

Erasmus rät den Zürchern—niedrig Tun—
Mir zu verbieten, hier mich auszuruhn.

Mich aufzunehmen in des Gastes Recht,
Gefährlich sei's! Du kennst die Zürcher schlecht!

Das alles, weil ich, der du brav mir schienst,
Dich werben wollte für der Freiheit Dienst.

Mann, wären nicht gezählt die Tage mir,
Zu Basel auf die Bude stieg' ich dir!

Ich zöge dich mit diesen Armen, glaub
Es mir, hervor aus deinem Bücherstaub.

Doch zittre nicht! dir sollte nichts geschehn,
Ich würde nur dir Aug in Auge sehn.

Dein edles Wissen, spräch' ich, liegt dir tot,
Du bietest Gold und wir bedürfen Brot!

Die Menge hungert, ahntest du es nie?
Hervor mit deinen Schätzen! Sätt'ge sie!

Dein Denken, spräch' ich, ist ein eitler Traum,
Wächst drangvoll nicht daraus ein Lebensbaum…

Was willst du? Weihrauch? Ehrerbietung? Gern.
Du bist ein großes Licht, ein heller Stern!

Vor deinem Ruhme beugt der Hutten sich—
Nun aber, großer Mann, ermanne dich!

Die Satyrmaske lege sie beiseit—
Ein offnes Antlitz fordert unsre Zeit.

Freund—alles ist vergeben, rede frei!
Ich schütze dich vor Papst und Klerisei!

Du kennst die Wahrheit, übe nicht Verrat,
Gib Zeugnis! Wage eine Mannestat!

Bekenn, Erasme, ob du ein Papist,
Ein Römer oder evangelisch bist!

Kein Drittes! Gib in großem Stile dich!
Du kneifst die Lippen—bist du unser? Sprich!…

Dein schlaues Auge blickt mich spöttisch an?…
Vale, Erasme! Tot und abgetan!

XXXV Das Huttenlied

Der Ufenau vorüber glitt ein Kahn
Ganz nah. Fast stieß er an das Ufer an.
Von fahrnden Schülern war der Nachen voll,
Ein Lied aus zwanzig jungen Kehlen scholl.

Im Buchenlaub verborgen, unsichtbar,
Lag nahe zum Berühren ich der Schar.

Das Ruder schlug den Takt der Melodie,
Entlang das Inselufer sangen sie:

"Behüte Christ das edel fränkisch Blut!
Es schreibet uns viel kostlich Bücher gut!

Aus Treuen tut's der Ritter, ohne Lohn,
Die Treu verspürt die deutsche Nation!

Der Römer schickt dir Mörder vor die Tür,
Ach edler Hut aus Franken, sieh dich für!"¹

Sie brachen Zweiglein ab vom Buchenhag
Und keiner ahnte, wer dahinter lag.

1. Huttenlied.

XXXVI Deutsche Libertät

Ein lustig Trommeln zieht den Strand entlang
Mit gellen Pfeifen und mit Kriegsgesang.
Sie lösen ihre Stücke. Rauch und Dampf.
Er lichtet sich. Standarten, Roßgestampf.

Gewalt'ge Körper! Es ist eine Lust,
Wie sie daher stolzieren selbstbewußt.

's ist Schwyzerboden. Üppig fließt der Sold, Wild, immer wilder brennt der Durst nach Gold.

Die Älpler haben Lebensüberfluß
Und starkes Blut, daß man sie schröpfen muß.

Wem ziehn sie bei? Die Lilien seh' ich wehn,
Zu König Franz wird dieser Reislauf gehn.

Nicht treibt der Schweizer seinen bösen Lauf
Allein. Der Landsknecht nimmt es mit ihm auf.

Der deusche Ritter auch, er ficht und rauft
Für jeden fremdem König, der ihn kauft.

Fürst, Pfaffe, Bauer, Städte, Ritterschaft,
Ein jedes trotzt auf eigne Lebenskraft!

Zum Henker eine Freiheit, die vergißt,
Was sie der Reichesehre schuldig ist!

Zum Teufel eine deutsche Libertät,
Die prahlerisch in Feindeslager steht!

Geduld! Es kommt der Tag, da wird gespannt
Ein einig Zelt ob allem deutschen Land!

Geduld! Wir stehen einst um ein Panier
Und wer uns scheiden will, den morden wir!

Geduld! Ich kenne meines Volkes Mark!
Was langsam wächst, das wird gedoppelt stark.

Geduld! Was langsam reift, das altert spat!
Wann andre welken, werden wir ein Staat.

XXXVII Der Schmied

Am Ufer drüben seh' aus einem Schlot
Ich lust'ge Funken wirbeln purpurrot
Und Schmied und Amboß kommt mir in den Sinn,
Davor ich einst erstaunt gestanden bin.

Als ein vom Weg Verirrter macht' ich Halt:
Es war um Mitternacht im schwarzen Wald.

Ein riesenhafter Schmied am Amboß stand
Und hob den Hammer mit berußter Hand.

Zum ersten schlug er nieder, daß es scholl
Ringsum in finsterm Forst geheimnisvoll,

Und rief: "Mach, erster Streich, den Teufel fest,
Daß ihn die Hölle nicht entfahren läßt!"

Den Hammer er zum andern Male hob,
Den Amboß schlug er, daß es Funken stob,

Und schrie: "Triff du den Reichsfeind, zweiter Schlag,
Daß ihn der Fuß nicht fürder tragen mag!"

Den Hammer hob er noch zum dritten Mal,
Der niederfuhr wie blanker Wetterstrahl,

Und lachte: "Schmiede, dritter, du die Treu
Und unsre alte Kaiserkrone neu!"

Huttens Gast

XXXVIII Der Pilger

Mich drückt der Föhn. Er atmet schwer und schwül.
Dort im Kapellendunkel ist es kühl.
Zu einer Abendruhe kehr' ich ein
Und werde wohl der einz'ge Beter sein.

Grüß Gott, mein schwäb'scher Nachbar Adalrich!¹
Du lächelst blöd. Ein Stümper malte dich.

Ein Kirchlein trägst du sittig in der Hand:
Du schufst ein Kloster, merk' ich, hie zu Land!

Du gingest im Geleite deiner Zeit
Und hast's getan in Herzenslauterkeit.

Mir sinkt das Haupt… Wer da? Bin ich belauscht?
Am Fuß des Altars hat Gewand gerauscht.

Ein Pilger kniet, der stumm die Lippen regt
Und betend seinen Rosenkranz bewegt.

Ein kühner Wuchs, geduckt in Mönchsgewand!
Und—mein' ich—eine schwertgewohnte Hand—

Was haucht mich an? Wie fällt mir plötzlich bei,
Daß dieser Mönch ein böses Wesen sei?…

Was flüstert mir im Ohr, daß dieser still
Versunkne Mensch mir an das Leben will?…

Ein Mörder ist's, gesendet gegen mich!
Nein. Ruhig kniet und edel hebt er sich.

Er wendet sich der Uferbrandung zu—
Du bist ein Ritter! Warum pilgerst du?

1. Der Kirchenheilige der Ufenau

XXXIX Die Mahlzeit

Er steht am Strand und scheint hinauszusehn,
Als wollt' er auf dem Kamm der Wogen gehn.
Ein Blitz! Er stürzte prasselnd in die Flut!
Das Ufer glomm in bleicher Schwefelglut…

Das leidenvolle Schwärmerangesicht
Umgab ein Heil'genschein von Höllenlicht…

Mein armer Hutten—du bist leibesschwach!
Ruf du den Pilger lieber unter Dach!

Ins Trockne, Pilger, eh' der Regen wogt!
Des Hauses Herr ist fort. Ich bin der Vogt.

Was stehet Ihr verzückt? Ihr werdet naß!
Gebt mir die Hand! Wir treten ins Gelaß.

Seid hier willkommen! Machet's Euch bequem!
Wohin die Reise? "Nach Jerusalem."

Das, rüst'ger Pilgrim, liegt meerüber schon.
Ich fragte nach der nächsten Station.

"Dort hinterm Berg Einsiedelns Gnadenhaus."
Leer ist das Nest. Die Vögel flogen aus.

Ihr schlagt ein Kreuz, als wär' der Böse hier?
Erlaubt! Mit einem Christen redet Ihr!

(Die welsche Frömmelei behagt mir schlecht…
Sei freundlich, Hutten! Er hat Gastes Recht!)

Ich wette, Herr, Ihr trugt Soldatentracht,
Nennt mir den Feldzug, den Ihr mitgemacht!

"Pamplonas Wälle, Herr, verteidigt' ich."
Das ehrt. Die Festung hielt sich ritterlich.

Und kämpftet Ihr in keinem neuern Krieg?
"Ich kämpfe stets. Maria gibt den Sieg."

Sein redlich Bündel trägt ein jeder Christ.
"Maria rettet uns vor Satanslist."

(Mit solchen Nonnensprüchlein sticht er mich!
Potz Blut und Wunden… Hutten, zähme dich!)

Pilger, ich hol' Euch einen Becher Wein?
Ihr weigert Euch? So schenkt Euch Wasser ein.

(Er murmelt, exorziert den lautern Quell
In Ketzerland… Unheimlicher Gesell!

Rasch dunkelt's. Lodre, Lämpchen… Ein Gesicht,
Das meinem tiefsten Wesen widerspricht!

Weltfremde Augen voller Traum und Wahn—
Und doch der Mund Entschluß… die Stirne Plan!)

—Hidalgo, Ihr beginget wilde Tat
Und suchet jetzt an heil'gen Orten Rat?

Ihr büßt? (Er kreuzt die Hände auf der Brust
Und schweigt. Auch mir erstirbt der Rede Lust.

's ist besser so, uns dürfte Streit entstehn, Am klügsten ist es, wenn wir schlafen gehn.)

Seht, Pilger, wie der nächt'ge Himmel loht!
Heut abend fändet schwerlich Ihr ein Boot.

Nehmt hier vorlieb, ist auch der Raum beschränkt!
Wir suchen jetzt die Ruhe, wenn Ihr denkt.

Ihr wollet lagern auf dem nackten Stein?
Das duld' ich nicht. Ihr werdet müde sein.

Da meine Decke! Hier den Mantel auch!
Ihr bettet Euch nach schlichtem Feldgebrauch!

Gut' Nacht! Ihr seid ein Spanier? "Ritter, ja."
Und nennet Euch? "Iñigo Loyola."¹

1. Die Pilgerfahrt Loyolas nach Jerusalem fällt in diese Zeit

XL Das Gebet

Ein grauser Wetterschlag! Der Donner kracht.
Was sah ich dort in blitzerhellter Nacht?
Und wieder jetzt! Ein Rücken—schauerlich,
Der Spanier geißelt mit dem Gürtel sich!

An seinen hagern Schultern rieselt Blut!
Zu beten hebt er an in Andachtsglut.

Gezwungen lauschend hör' ich jedes Wort
Auf jenen qualberauschten Lippen dort:

"Maria, makellos empfangne Magd,
Zu Deinen Knie'n hab' ich der Welt entsagt.

Dem ird'schen Rittertum ersterb' ich hier
Und zeichne mich zum ew'gen Knechte Dir.

Wo darf ich bluten? Gib das Feldgeschrei!
Du deutest schmerzlich auf die Ketzerei—

Sie haben Dir die Krone von dem Haupt
Und aus der Hand die Lilie Dir geraubt.

Du weinest? Deine Tränen brennen mich—
Ich führe Deine Sache. Tröste Dich!

Ein Wink von Dir—so stürz' ich in die Schlacht.
Nicht kennst Du selbst die Größe Deiner Macht!

Im Bibelbuche spricht der eigne Sohn
Zu Dir, Du Hohe, nicht in würd'gem Ton.

Die heil'gen Schriften sind der Ketzer Hort—
Du lächelst und besiegst das Bibelwort.

Der ein'ge Richter Christus schreckt die Zeit,
Gern folgt sie eines Weibes Lieblichkeit.

Wenn sich der Sohn zu Martin Luther kehrt,
Dich krönen wir, die nicht der Wonne wehrt!

Du bebst in aller Abendglocken Erz,
Du füllst die Seele, Du beglückst das Herz.

Wir decken Dich mit duft'gen Rosen zu,
Gen Himmel schwebest ungekreuzigt Du!

Die Du dem gläub'gen Spanier oft erschienst,
Ihm glüht der Busen noch von Deinem Dienst.

Dir, Fürstin, werb' ich eine Companie
Und führe gegen Deine Feinde sie.

Ein unbarmherzig Heer, das nie erschlafft,
Versamml' ich unter meiner Hauptmannschaft.

Die Ketzer tötend, doch den Sündern mild,
Bekehren wir die Welt zu Deinem Bild.

Wo wir zerstörte Tempel wieder weihn,
Besteige, Göttin, den Altar allein!

Und wer zum Erdenweibe Dich entweiht,
Gerichtet sei er und vermaledeit!…

Tauch unter, Schwan, und aus der Welle Schoß
Erstehe doppelt blank und makellos!…

Du lächelst Deinem Knecht belohnend zu,
In goldne Himmelsglorie schwindest Du…"

XLI Fiebernacht

Der Morgen graut—des Pilgers Stätte leer?
Beim Hahnenruf verschwand gespenstisch er!
Was ich geschaut, ist's Wahrheit? War es Traum?
Schlief mit dem Teufel ich im gleichen Raum?

Es war ein Spuk! Es war ein Fieberwahn!
Die welsche Fratze hat mir's angetan!

Nein, Wahrheit war's! Kein Morgenwind verweht
Das andachtsvoll irrsinnige Gebet!…

Was quäl' ich mich? Unfähig ist der Tat
Ein Frömmler! Doch ein Spanier? Ein Soldat?

Kein Mönchlein ist's, in Müßiggang erschlafft,
Er hat des Kriegers Zucht und Willenskraft.

Er ist ein Schwärmer! Voller Selbstbetrug!
Daneben ist er wie die Hölle klug!

Ein Weib vergöttern—Aberwitz und Schmach—
Von Even stammend, die den Apfel brach!

Dem Weibe schmeicheln ist der Schlange List!
Ich Hutten weiß, was an den Weibern ist!

Der Wahrheit Trotz und Zorn und Fehdelust
Hat keinen Raum in einer runden Brust.

Zutulich naht die üpp'ge welsche Kunst,
Andacht verkuppelnd mit der Sinne Brunst.

Die Kirche steigt phantastisch wieder auf
Und gürtet sich zu neuem Siegeslauf;

Mit feiger Fürstentyrannei gepaart,
Steht sie um ihre Götzen fest geschart;

Der Drache Rom, getroffen bis ins Mark,
Durch seine Wunde wird er wieder stark

Und von der Wahrheit Schwert des Kopfs beraubt,
Wächst er empor mit einem gift'gern Haupt.

O Menschheit, qualenvoller Sisyphus,
Der seinen Felsen ewig wälzen muß!

Ein flüchtig Vorgefecht hat mich genarrt,
Jetzt erst erblick' ich meinen Widerpart.

Nun ich auf Erden meinen Tag vertan,
Fängt sich der grimmste Feind zu zeigen an.

Verruchter Mördername: "Loyola!"
Blut klebt an diesen roten Silben da.

Der Höllensendling wird die Welt durchziehn!
Was stieß ich nieder nicht im Beten ihn?

Pfui, Hutten, Meucheltat! Das Fieber plagt
Und rüttelt dich. Gottlob, der Morgen tagt…

Vielleicht war's eine Ausgeburt der Nacht?
Und doch! Hätt' ich den Spanier umgebracht!

Menschen

XLII Die Bilderstürmer

Ich sprach: So, Hutten, kann's nicht länger gehn,
Heut mußt du wieder einmal Menschen sehn!
Und sprang ins Boot und bahnte mir den Pfad
Mit Ruderschlag ans rechte Seegestad.

Ein stattlich Dorf erzielt' ich mit dem Boot—
Da regte sich's, als wäre Feuersnot.

Wo sich der Dorfbach in den See ergoß,
Lärmt' eine Männerschar, ein Kindertroß.

Aus ihrem Kirchlein schleppten mit Geschrei
Die Bilder ihrer Heil'gen sie herbei

Und warfen in die Flut den ganzen Hort
Mit manchem schnöden Witz und frechen Wort.

Der Strudel führte weg den alten Graus
Und wusch der Märtrer blut'ge Wunden aus.

Wachsherz, Votivgeschenk, Reliquienschrein
Flog alles lustig in den Bach hinein—

Da werd' ich eines Steingebilds gewahr,
Mit schwiel'gen Händen hob's ein Männerpaar

Und ich erschrak. Es war ein zart Gebild:
Die Magd Maria lächelte so mild

Und sah das grobe Volk so rührend an,
Als spräche sie: Was hab' ich euch getan!

Wie kam das Werk in dieses Kirchleins Raum?
In Nürnberg selber sah ich Beßres kaum.

Man fühlte, daß ein Meister spät und früh
Daran gewendet lauter Lieb und Müh.

Zerstören, was ein gläubig Herze schuf,
Gehorsam einem leisen Engelruf,

Vernichten eine fromme Schöpferlust,
Ein Frevel ist's! Ich fühlt's in tiefer Brust…

Gebiet' ich Halt? Ich? Ulrich Hutten? Nein…
Ihr Männer, stürzt das Götzenbild hinein!

Ich trat hervor und rief's mit strengem Mund.
Sie warfen. Etwas Edles ging zu Grund.

XLIII Der Trunk

Blaufarbne Krüge brachten her sie dann,
Sie schenkten ein und das Gelag begann.
—"Dem fremden Herrn ein Glas! Tut uns Bescheid,
Wenn Ihr nicht einer von den Stolzen seid!

Stoßt an, Herr Ritter!… Ihr verzieht den Mund?
Trinkt! Unser Wein ist süffig und gesund!

Potz Hagel! Ist Euch unser Wein zu schlecht?
Seid Ihr ein Päpstler oder Fürstenknecht?

Schmeckt's?"—Köstlich.—"Noch ein Glas, und eines noch!
Der deutsche Herr auf Ufnau lebe hoch!"

Ich trank und würgt'—es war ein saurer Schluck—
Und schied mit einem biedern Händedruck.

Ich machte mich davon mit guter Art
Und lachte still ergötzt in meinen Bart:

Der ich dem Kaiser und dem Papst gedreut,
Dem Volke zu Gefallen log ich heut.

XLIV Der Schaffner

Im Paradiese selber träfe man
Wohl einen an, den man nicht leiden kann.
So geht es mir auf diesem grünen Platz.
Der Schaffner ist ein Schelm und ist ein Fratz.

Ich möchte höchstens in der Lese sehn
Gekrümmt ihn unter einer Bütte gehn.

Ich Ketzer bin dem Klosterknecht verhaßt
Und seinen Geiz verdrießt der arme Gast.

Er schielt. Er blinzelt gegen's Sonnenlicht
Und meinen graden Blick verträgt er nicht.

Er wünscht mir: "Euch gedeih' der Aufenthalt!"
Und betet: "Hole dich der Teufel bald!"

Ein Schurke, wer mir so ins Angesicht
Und hinter meinem Rücken anders spricht!

Nun hab' ich ihn gelobt und damit gut!
Sein wackrer Junge hat gesundes Blut.

Hier wandeln die Geschlechter sich geschwind
Und anders als der Vater blickt das Kind.

Natur ist in den Hochgebirgen stark
Und ihre Lüfte stählen Herz und Mark:

Der Junge, der mit Hutten saß im Boot,
Wird brav und treu und bleibt's bis in den Tod!

XLV Der kleine Ferge

Laß, Ruodi, deinen Nachen sachter gehn!
In klare Gründe laß mich niedersehn!
Hier im kristallnen Spiegel farbenmild
Erscheint ein Mann und eines Knaben Bild.

Du schaust empor in Ringellockenzier,
Vor zwanzig Sommern, Knabe, glich ich dir.

Und noch ein ander Bildnis schaut empor,
Das tief gefurchte kommt bekannt mir vor!

Nun, diese schwer beschriebne Stirn ist mein—
Führwahr, ich möchte nicht ein andrer sein!

Die Fläche kräuselt sich im Abendwind,
Zergangen beide Bilder! Rudre, Kind!

XLVI Schweizer und Landsknechte

Heut hat man mit Soldaten mir getischt.
Ein ungebunden Volk. Mich hat's erfrischt.
Päpstler und Ketzer saßen im Verein
Bei unsrer lieben Frauen Klosterwein.

Sie kamen eben braun und beuteschwer
Bergüber aus der welschen Sonne her.

Gleich frug ich einen, der ein Pflaster trug:
Bekenn, daß dich ein frommer Landsknecht schlug!

Unsinn, daß ihr euch täglich reizt und rauft,
Landsknecht und Schweizer, beide deutsch getauft!

—"Warum, Herr Ritter, ich vom Leder zog?
Weil Heini Wolleb mein Gefühl betrog.

Zum Imbiß saßen unser zwanzig da
In den 'Drei Königen' von Mantua.

Rings Pfuhl und Wall. Das Fieber hauchte schwül.
Am Seelisberge, dacht' ich, weht es kühl.

Da brüllt's. Ein langgezogen ehrlich Muh.
Mich denkt's der braunen Lisli, unsrer Kuh.

Und wieder brüllt's. Nun kommt mir in den Sinn
Die andre Lisli auch, die Melkerin.

Zum dritten muht's. Aufblinkt der Ürnersee,
Scharf blitzt am Himmel ein Gezack von Schnee.

Mir tropft das Aug. Da lacht der Jauch: 'Du Stier,
Ein Landsknecht brüllt. Kein Rindlein graset hier.'

Ich fuhr empor: 'Bei meinem Eid und Schwur!
So täuschend muht der Heini Wolleb nur!'

Ins Freie rannt' ich. Um die Ecke strich
Der Heini grinsend und verhöhnte mich.

'Steh, Heinz!' Er stand und ehrlich fochten wir,
Wie Zeugnis gibt das schwarze Pflaster hier.

In sumpf'gem Mantovanerboden ruht
Der Heini, der so trefflich hat gemuht.

Ehrbarer Ritter, reichet mir die Hand,
Und wäre sie geächtet und gebannt!

Hier haust Ihr ungekränkt im Firnelicht,
Nur muhet, Herr, auf Eurer Insel nicht!"¹

1. Das Muhen, womit der Landsknecht den Schweizer verspottete, hat in jenen Tagen viel Blut gekostet.

XLVII Vermächtnis

Der Florentiner brummte vor sich her:
"Der Fremde Treppen, ach wie steil, wie schwer!"
Hier sing' ich außerm Reich und doch im Reich:
Der Schweizerrasen tritt sich leicht und weich!

Deutschland, vergiß nicht, wer dem Hutten bot
Den letzten Boden und das letzte Brot!

Zu arm bin ich zu einem Gastgeschenk,
So bleibe meiner Schuld du eingedenk!

XLVIII Abendstimmung

Des Morgens lacht wie eine junge Frau,
Streng blickt am Abend meine Ufenau,
Durch Flutendunkel geisterhaft gestreckt,
Von nahen Bergesschatten zugedeckt.

Lang hat sich das Soldatenschiff ergetzt
An einem Echo. Beide schweigen jetzt.

Verklungen ist der Vesperglocke Schall,
Ein dunkler Friede waltet überall.

Wär' ich ein Jüngling voller Leidenschaft,
Beängstigt von der eignen Lebenskraft,

In Tränen löste sich, was bang und wild
Ein junges Herz bestürmt, vor diesem Bild.

Nun hab' ich handelnd meine Glut gedämpft,
Den Vesperfrieden hab' ich mir erkämpft

Und schreite, wann du, Sonne, dich entfernst,
Getrost durch diesen tiefen Abendernst.

In den gestrengen Zügen der Natur
Empfind' ich die verwandte Seele nur.

XLIX Nachtgespräch

Mit glühnden Spuren ist der Tag entflohn,
Am Himmel blitzen frühe Sterne schon.
Der Alte sitzt auf seiner Lieblingsbank:
Du träumest Pfarrer? Rück ein wenig! Dank.

Was schaust verzückt du auf zum Himmelszelt?
Was siehst du droben?—"Ritter, Welt an Welt!

Erfahrt, daß unter uns, die wir bemüht
Um die Natur sind, ein Geheimnis glüht!

Mir hat's ein fahrnder Schüler anvertraut.
Neigt Euch zu mir! Man sagt's nicht gerne laut.

Ein Chorherr lebt in Thorn, der hat gewacht,
Bis er die Rätsel deutete der Nacht.

Herr Köpernik beweist mit bünd'gem Schluß,
Daß—staunet—unsre Erde wandern muß!

Wißt, um die Fürstin Sonne kreisen wir
Und glaubten dienend uns umkreist von ihr!

Ihr meint, wir sitzen ruhig hier? Erlaubt—
Wir schweben, wie von Adlerkraft geraubt!

Nicht wandern, Ritter, wir allein! Erhebt
Das Haupt! Der ganze Himmel zieht und lebt!

Ein Kreis von Pilgern ist's, der uns umringt,
Von denen jeder sanft den andern zwingt,

Und unser Sternlein ist in dieser Schar
Wohl einer der geringsten Pilger gar.

Wir nahmen Welt und Himmel uns zum Raub,
Wir wähnten uns das All und sind ein Staub.

Doch besser als ein König und allein
Ist Bürger eines großen Reichs zu sein.

Mit höhern Welten bringt uns unser Gang
In einen leuchtenden Zusammenhang!

Ein neues Leben wird uns aufgetan
Auf hellern Stufen nach durchlaufner Bahn.

Ich lieb' Euch, Hutten, und ich möchte gern
Euch wiedersehn auf einem schönern Stern.

Je näher dem Gestirn, das ewig ruht,
Um desto reiner wird die Liebesglut.

Die Leiter ist's, die Jakob einst erblickt.
Ihr lächelt, Ritter? Red' ich ungeschickt?

Ist's zu begehrlich, was mir ahnen will?
Ins Dunkle blicket Ihr und bleibet still…"

—Auf Ufnau, Pfarrer, ist der Abend kühl.
Ruhsame Nacht! Ich suche meinen Pfühl

Und laß Euch mit den Sternen jetzt allein,
Ich möchte morgen wieder wacker sein.

Erst dien' ich aus auf Erden meine Zeit
Und bin ich dannzumal nicht dienstbefreit,

Verteilt man auf den Sternen neues Lehn—
Wohlan! ich denke meinen Mann zu stehn.

L Mythos

"Herr Ritter, habt Ihr, sagt mir's im Vertraun,
Jüngst eines Mönchleins Ohren abgehaun?
Ist's wahr, wo blieb der feine Humanist
Bei der Zyklopentat? Wo blieb der Christ?

Ihr seid ein prächt'ger Hausgeselle zwar,
Doch habt Ihr ein gefährlich Augenpaar:

Im Zwiegespräche leuchtet's heiter mild,
Derweil Ihr sinnt und brütet, droht es wild.

Sagt, tapfrer Ritter, wispert mir ins Ohr,
Ob jenes arme Pfäfflein seins verlor?"

—Pfarrer, Kritik! Bin ich ein Polyphem?
Nie hab' ein Glied gekappt ich irgendwem.

Erwirbt ein Erdensohn sich Lob und Preis,
Gleich bildet sich um ihn ein Sagenkreis.

Dem Pfaffen, merkt, hab' ich das Haar gerupft,
Den fetten Ohrenlappen auch gezupft—

Das, Pfarrer, ist geschichtlich aufgehellt,
Das andre spielt in schwanker Fabelwelt.

LI Der Pfarrer—

Ein müdes Ruder rauscht. Der Pfarrer kehrt
Zurück, mit einem Pflanzenbund bewehrt.
Hier hoch am Etzel wächst ein kräftig Kraut,
Davon er mir ein heilsam Tränklein braut.

Noch weht die Abendluft nicht allzu frisch—
Im Freien rüst' ich beiden uns den Tisch.

Hieher! Dir ist gedeckt! Nimm's nicht genau!
Noch fehlt die Wirtin auf der Ufenau.

Trotz deinem grauen Barte muß du frein!
So reihst du dich der neuen Pfaffheit ein!

Ob diese neue Pfaffenart gedeiht
Und was sie taugt, ist ein Problem der Zeit…

—"Der neuen Pfaffheit wünsch' ich alles Heil,
Mir selbst erkür' ich doch ein ander Teil.

Mich treibt's aus meinem kirchlichen Beruf
Hinaus zu Dem, der mich ernährt und schuf,

Der heute noch gelind auf Erden geht,
Von seinem blauen Mantel weit umweht.

Der Kirche schwere Fragen sind verwirrt,
Und ewiglich verdammt ist, wer sich irrt.

Die laß ich ohne Harm auf sich beruhn
Und halte mich zu meinen Pflanzen nun.

Die Körper heilen sei mein künftig Amt,
Zur Sühne, daß ich Seelen einst verdammt!

Ein großer Arzt, der hier im Land verkehrt,
Hat mich der Kräuter stille Kraft gelehrt.

Von Paracelso habt Ihr, Ritter, schon
Gehört, der Mutter Erde Lieblingssohn,

Dem sie geschäftig Ihre Horte zeigt,
Dem plaudernd kein Geheimnis sie verschweigt?

Unfern von hier am Etzel hält er Haus.
Ich sandte neulich einen Boten aus

Und lud nach Ufenau den Wundermann
Und tröste mich, daß er Euch helfen kann.

Ihr zuckt die Achseln… Seine Kunst ist groß,
Und, Ritter, Ihr seid gar zu glaubenslos!"

Das Todesurteil

LII Paracelsus

Gibt's auf der Welt ein Herz so männlich fest,
Das sich von Hoffnung nicht betören läßt?
Was mir der Freund von Paracelsus sprach,
Das flog mir wie ein lichter Falter nach,

Das senkte sich, mir selber unbewußt,
Ein treibend Keimlein in die sieche Brust.

Ich sehnte mich, bis der Gewünschte kam,
Wie Mägdlein blicken nach dem Bräutigam.

Heut war er da. Ich lag erbärmlich krank
Im Eichenschatten auf der Rasenbank.

Er tat, als würd' er meiner nicht gewahr,
Doch streifte mich sein scharfes Augenpaar.

Er nahm den Pfarrer dort am Strand beiseit
Und sprach zu ihm geheim mit Heftigkeit.

Er hat ein abenteuerlich Gesicht,
So denk' ich mir den ernsten Forscher nicht.

Ich lauschte hin. Ob er mir Rettung schafft?
Und ich vernahm: "Es fehlt die Lebenskraft!"…

Mein feines Ohr hat flüstern ihn gehört:
"Hier ist ein edles Organon zerstört"…

Indem verstohlen er herüber sah,
Raunt' schnell er: "Facies hippocratica!"…

Was spricht der Geck das liebe Deutsch nicht rein
Und mischt so garst'ge fremde Brocken ein!

Er trat heran, er bot die Rechte mir,
Er sprach mit Pomp: "Ich grüße Deutschlands Zier!"

Er nannte mich der Freiheit Turm und Hort,
Von meiner Krankheit redet' er kein Wort.

Mir deucht', daß sich ein Seufzer ihm entwand,
Als seinen Finger ich am Puls empfand.

Drauf hat er meine Verse mir gerühmt,
Der Narr. Er hieß sie "stolz" und "reich beblümt".

"Die Ufnau", sprach er, "wird durch Euch bekannt
Und noch von Kind und Kindeskind genannt.

Nicht einsam lebt Ihr auf dem Eiland hier,
Bevölkert mit Gedanken habt es Ihr!"

Ich dachte: Wie zu dir dein Name paßt!
Bombastus nennst du dich—und sprichst Bombast!

Ihm gab ich das Geleit bis an den Kahn,
Dann stieg den Hügel langsam ich hinan.

Es war ein goldner Morgen im August,
Das zweite Gras gedieh mit Kraft und Lust!

Die ganze dichte blühnde Wiese klang
Und wogt' und schwirrt' und flattert', zirpt' und sang.

Ich schritt in Halm und Blumen, überflammt
Von süßem Sonnenlicht—zum Tod verdammt!

Da warf ich in die duft'ge Wiese mich,
Verbarg das Haupt und weinte bitterlich

Und lange lag ich still im grünen Tal,
Mein eigen Bildnis oder Grabesmal.

LIII Die Beichte

Hier schreit' ich über meinem Grabe nun—
Hei Hutten, willst du deine Beichte tun?
's ist Christenbrauch. Ich schlage mir die Brust.
Wer ist ein Mensch und ist nicht schuldbewußt?

Mich reut mein allzuspät erkanntes Amt!
Mich reut, daß mir zu schwach das Herz geflammt!

Mich reut, daß ich in meine Fehden trat—
Mit schärfren Streichen nicht und kühnrer Tat!

Mich reut die Stunde, die nicht Harnisch trug!
Mich reut der Tag, der keine Wunde schlug!

Mich reut—ich streu' mir Aschen auf das Haupt—
Daß nicht ich fester noch an Sieg geglaubt!

Mich reut, daß ich nur einmal bin gebannt!
Mich reut, daß oft ich Menschenfurcht gekannt!

Mich reut—ich beicht' es mit zerknirschtem Sinn—
Daß nicht ich Hutten stets gewesen bin!

LIV Göttermord

Heut aber tat ich, was die Frommen freut:
Entgöttert meine Schriften hab' ich heut.
Wo "Zeus" und "Herakles" zu lesen stand,
Schrieb "Jesus Christus" ich mit fester Hand.

Statt "Nectarkrügen" und statt "Bacchanal"
Setzt' stracks ich "Abrams Schoß" und "Himmelssaal".

Kein einz'ger Griechenschwur und Römerfluch
Prangt mehr in meinem Dialogenbuch.

Ich löge, sagt' ich, wenn mir Bann und Acht
Des Heidenhimmels großen Kummer macht.

Das Wiesenbächlein flutet leicht und hell,
Was braucht's, daß eine Nymphe bad' im Quell?

Brennt Herz und Stirn dem Zecher minder heiß,
Der nichts vom Kranz des Dionysos weiß?

Schiert's, ob man einen Sohn des Mars ihn tauft,
Den deutschen Knecht, der todeslustig rauft?

Was heißt: "Ich weihe dich der Furienschar?"
"Der Teufel hole dich!" ist kurz und klar.

Heut komm' ich heim aus einer tapfern Schlacht:
Ich habe Götz und Götzin umgebracht!

LV Das fallende Laub

Heut klang ein Beil den ganzen Morgen laut
Und bis zum Abend fort. Der Schaffner baut.
Ein Vordach nur, doch mocht' ich's gerne sehn,
Ist's doch ein Werden, ist's doch ein Entstehn!

Da war ein Zimmrer, der es wacker trieb
Und seinen Balken säuberlich behieb.

In guten Treuen mühte sich der Mann,
Daß ihm das Wasser von der Stirne rann.

Am Abend kam der Zimmermeister leis,
Mit langgelocktem Bart ein güt'ger Greis,

Und rührt' dem Knecht, der nimmer wollte ruhn,
Die Schulter mahnend: "Lieber, feire nun!"

Jetzt ward die Stätte leer; ich aber schlich
Hinaus und auf den Balken setzt' ich mich.

Betrachtend das behaune Tannenstück,
Dacht' ich ans eigne Tagewerk zurück…

Ich starrte nieder, der Gedanken Raub,
Da traf die Schulter mir ein fallend Laub.

Mich schauerte, da ich das Blatt gespürt,
Als hätte mich des Meisters Hand berührt

Und mich gemahnt: Genug! Die Sonn ist fern,
Geh ein, du Knecht, zur Ruhe deines Herrn!

LVI Reife

Es wendet sich das Jahr, die Welle raucht,
Mein Eiland ist in Morgenduft getaucht.
Vor mir in herbstlicher Verschleierung
Bewegt sich einer Barke Ruderschwung.

Herüber glänzt durch schwankes Nebelspiel
Die hochgetürmte Burg von Rapperswyl.

Zu Häupten mir durch hellre Schleier bricht
Das süße Blau, das warme Sonnenlicht;

Und schwerer hangt die Traube schon am Schaft,
Sie schwillt und läutert ihren Purpursaft,

Sie fördert ihre Reife früh und spat—
Was meinst du, Hutten? Auch die deine naht!

Dämonen

LVII Der wilde Hutten

Glückselig schreit' ich hier im Abendglanz,
In klaren Lüften zittert Mückentanz.
Das Heute war so sonnig, wolkenrein,
Das Morgen wird noch wolkenloser sein.

Ein Zug von Tagen warm und wonniglich
Geleitet zu den Todesschatten mich.

So heiter glaubt' ich nicht davon zu ziehn,
Der wilde Hutten fährt in Frieden hin.

Nicht allzu köstlich, reiche Erde, hast
Du mich bewirtet, deinen armen Gast!

Nun nehm' ich Urlaub und zur Scheidezeit
Erweisest du mir alle Lieblichkeit.

Nun geh' ich und du sprichst mit leichtem Sinn:
Du wanderst, Hutten? Sieh, wie schön ich bin!

LVIII Herzog Ulrich

Er war's! Mir pocht das Herz von Groll bewegt
Und jede Fiber zittert aufgeregt.
Er war's! Er stand auf meiner Friedensstatt,
Der mir den Vetter Hans erschlagen hat,

Der ihm, zu seinem Weib entbrannt in Lust,
Den Degen meuchlings rannte durch die Brust,

Der ihm, da bang er mit dem Tode rang,
Ein Henker! um den Hals den Gürtel schlang,

Den ich vertrieb von seiner Väter Herd
Mit meines Gurts und meiner Rede Schwert,

Auf dessen Spur ich wies den Furienchor,
Auf dessen Scheitel ich die Acht beschwor…

Ich saß im Hauskleid still am Hügelrand,
Ein philosophisch Büchlein in der Hand,

Da hört' ich einen Fremden halb bezecht
Den Schaffner loben, wie man lobt den Knecht.

Ich kannte dieser hohen Stimme Schrein!
Er lachte widrig—er gewahrte mein.

Der Trunkne trat mit vollem Humpen vor—
Mir sträubte sich vor Graus das Haar empor;

Mich starr betrachtend, zweifelnd, ungewiß:
"Trink", schrie er, "siecher Bettler, und vergiß!"

Ich bin der Hutten, rief ich, den du kennst!
Er lallte: "Grabentstiegenes Gespenst!"

Ihn stieß ich weg, daß er den Wein vergoß,
Der purpurn über seine Hände floß.

Mit roten Händen, wie im Walde dort
Von meines Vetters Leiche, stürzt' er fort.

Verschollen bin ich auf der Erde schon!
Er wußte nicht, daß ich hieher geflohn.

Warum betrat er meine Friedensflur,
Der Bösewicht, dem ich Verderben schwur?

Der Schaffner wirbt! Schon lange weiß ich drum!
Es treibt sich öfter hier Gesindel um.

Zum Lachen ist's! An meinem Sterbehaus
Hangt Herzog Ulrichs Werbefähnlein aus!

Um Blut gefeilscht wird neben meiner Gruft
Und Schweizerlanzen führen heim den Schuft.

Es scheint, er ist in Zürich angesehn,
Man sieht ihn fleißig in die Predigt gehn.

Doch Ulrich Zwinglis lautres Auge kennt
Den Mann, in dessen Blick die Hölle brennt.

Er weiß, daß dieser wohlbeschaffne Christ
Ein Mörder und ein Ehebrecher ist.

Ich tat Bekenntnis meinem Glück zum Trutz,
Der schnöde Bube tut's aus Eigennutz!

Was mir aus tiefstem Herzen quoll empor,
Hält dieser Heuchler sich als Larve vor!

Mit Christi Jüngern sitzt im Tischverband
Wie Judas er, den Beutel in der Hand.

Der Schurke nahm den reinen Glauben an;
Potz Blut und Wunden, er hat wohl getan!

Der Meuchler hat das reine Wort bekannt!
Darüber jubiliert das Schwabenland!

Der Gleisner Ulrich zahlt—es ist bequem—
Nicht für den Ulrich mehr von ehedem!

"Rom oder Luther", spottet er beim Wein,
"Schuh oder Stiefel—Herzog will ich sein!"

Ich glaub's, daß er in Stuttgart Einzug hält—
Wer thront im Himmel? Wer regiert die Welt?

Wir stehn in gleichem Lebensalter schier,
Um zehen Jahre schien er jünger mir!

Er ist in voller Manneskraft erblüht,
Ich welke mit verbittertem Gemüt!

Ich büße leichte Jugendsünde schwer,
Den Fluch des Bösen überwindet er!

Er atmet unbeklommen, altert heil,
Und ich? Mir keucht die Brust—das Grab mein Teil!

Er wird von einem guten Sohn geehrt,
Wann längst mich ekles Erdgewürm verzehrt…

Dort gleitet durch die Flut des Mörders Boot—
Kein Wetter brütet, keine Wolke droht!

Gerechtigkeit, bist du nicht außer Amt,
Wirf einen Blitz, der tötend niederflammt!

Dort fährt ein Mörder! Hör, Gerechtigkeit,
Was dir der Hutten in die Ohren schreit!

Der Himmel lacht in unverwölktem Licht—
He, hast du Ferien, himmlisch Hofgericht?

Die Waage falsch! Gefälscht das Schuldenbuch!
Wie Wetterlaunen walten Heil und Fluch—

Halt! Frevle nicht! Die Lästrung sei verweht!
Beleid'ge, Hutten, nicht die Majestät!

LIX Sturm und Schilf

Mit Gott zu hadern ist nicht wohlgetan,
Es lockt Gesellschaft von Dämonen an.
Durch meine Fensterluke späh' ich vor,
Der Wurf der Welle sprüht zu mir empor.

Den schwarzen Riesenbaum am Inselhorn
Umlodert flammender Gewitterzorn.

Aufrauscht's im Schilf, wild fährt der Sturm einher,
An tiefsten Lebenswurzeln rüttelt er.

Der Teufel saust im Wind und pfeift und lacht
Und meinen Namen ruft er durch die Nacht.

"Hei Hutten, der, von Wellenschaum umspritzt,
Auf einer öden Klosterinsel sitzt!

Du gleichst dem Helden deines Scherzgedichts,
Du bist der Niemand und zerinnst in nichts!

Der du gedurstet und gehungert hast,
Hinweg! Mach Raum für einen klügern Gast!

Dir schlag' ich eine Grabesinschrift vor:
'Er focht für Wolken und er war ein Tor.'

Fahr hin! Doch eh' du stirbst, der Welt ein Spott,
Erleichtre dir das Herz und lästre Gott!"

—Gebärde, Teufel, dich nicht allzu wild!
Entgegen halt' ich dir des Glaubens Schild!

Den lichten Helm des Heils zerspellst du nicht
Mit deinen Feuerpfeilen, Bösewicht!

Ein Gutes gibt's! Du bist mir ärgerlich—
Und eine Wahrheit! Teufel, hebe dich!

Gesättigt wird das menschliche Geschlecht
Mit Wahrheit werden und getränkt mit Recht!

Der Sturm verstummt. Der Hohn des Bösen schweigt…
Dort! Ein Gebilde, das dem Schilf entsteigt!

Es ringt die Hände, wie ein Geist in Pein!
Gebückt und jammernd, wie mein Mütterlein!

"Was wandeltest den Frieden du in Streit?
Warum zerstörtest du die alte Zeit?

Wo dich die Kirche liebevoll umfing
Mit ihrer sieben Gaben heil'gem Ring!

Wo dich die Kirche mütterlich begrub
Und triumphierend in die Himmel hub!

Der den erprobten Segenskreis zerriß,
Bist, Hutten, du des neuen Pfads gewiß?"

—Wer flüstert mir so traute Worte zu?
Verschlagner Dämon, wieder bist es du!

Ich glaube nicht an alter Zeiten Glück!
Ich breche durch und schaue nicht zurück!

Hinüber retten wir in neue Zeit
Und edle Form den Hort der Frömmigkeit…

Wir ziehn! Die Trommel schlägt! Die Fahne weht!
Nicht weiß ich, welchen Weg die Heerfahrt geht.

Genug, daß ihn der Herr des Krieges weiß—
Sein Plan und Losung! Unser Kampf und Schweiß!

Gesiegt! Doch schwer! Mir keucht die Brust so bang
Wie einem Menschen, der mit Riesen rang.

LX Die Menschheit

Ich schaute—wundersamer Morgentraum—
In eines Kampfs gestaltenvollen Raum.
Ein mächtig Ringen war's der Geisterwelt,
Von wehnden Flammen wechselvoll erhellt.

In Welschland, wenn ich mich besinnen mag,
Sah schier ich so gemalt den jüngsten Tag:

Wo, streng gerichtet, was von Even stammt,
Zur Hälfte steigt, zur Hälfte sinkt verdammt.

Doch nein! Die letzte Scheidung war es nicht.
Es war ein mut'ger Sturm empor ins Licht!

Sie rangen alle mit vereinter Kraft,
Beseelt von eines Kranzes Leidenschaft.

Wankt' einer wie gelähmt von Pfeilgeschoß—
Den riß empor ein stärkrer Kampfgenoß

Und mancher Kühne stieg in schwerem Flug,
Der einen Wunden auf der Schulter trug.

Da hab' ich eines Führers Ruf gehört:
"Der Kerker", schrie er, "Geister, ist zerstört!

Das Tor gebrochen! Offen ist die Bahn!
Befreit die Brüder! Auf! Empor! Hinan!"

Aus lichten Wolken scholl Posaunenton,
Doch war's ein Siegesjubel, nicht ein Drohn.

Da plötzlich stund ich im Gewölke vorn
Und stieß aus voller Brust ins Jägerhorn.

Aufschwebt' der sel'ge Zug in mächt'gem Drang,
Ich stieß ins Horn, daß mir das Herz zersprang.

Das Sterben

LXI Feldmann

Land, Wasser, Himmel—rings dasselbe Grau!
Wer ahnte deine Anmut, Ufenau?
Im Schilfe schwadert eine Entenschar
Und kündet frühen Winter diesem Jahr.

Des Schaffners "Feldmann" stellt zur Jagd sich dort.
Noch eine Birsch, bei meinem Ritterwort!

Mir hangt ein ländlich Armbrust an der Wand…
Hier ist's! Der Spanner fehlt, ich spann' von Hand…

Gehorche, Ding! Schon manches Seil gestrafft
Hat diese Faust… Verdammt! Mir fehlt die Kraft!

Wie? eine Träne?… Nieder, täppisch Tier!
Der wackre Köter leckt die Wange mir.

Gelt, wer die Armbrust nicht mehr spannen kann,
In deinen Augen ist's ein armer Mann!

Die wilde Jagd des Lebens geht zu End…
Komm! Sehn wir, ob im Herd ein Feuer brennt.

LXII "Der arme Heinrich"

Heut saß ich armer Ulrich still daheim
Und las den "armen Heinrich", Reim an Reim.
Des siechen Ritters Abenteuer las
Ich gerne, der durch Wunderwerk genas.

Ihr braven Heil'gen, könntet—frag' ich nun—
Am Hutten ihr ein schließlich Wunder tun?

Am Hutten? Nein. Da fühlt er selber, wißt,
Wie das von euch zu viel gefordert ist.

LXIII Anzeige

Mein Ende steht bevor! Mir hat geahnt.
Mich hat mein Franz der Sickingen gemahnt.
Ich saß im abendstillen Kämmerlein
Just zwischen Tageslicht und Ampelschein—

Stracks ging ein Reutersmann durch mein Gelaß.
Er trug ein rot Barett. So schien er blaß…

Ha, Sickingen, du bist's, mein Kampfgespan!
An meine Brust, du redlicher Kumpan!

Da log Frau Fama wieder einmal dreist!
Sie rief ins Land, daß du getötet seist.

Du lebst, mein Vielgetreuer! Du entrannst!
Ich gönne dir's, daß du noch fechten kannst…

Er schwieg. Ich sah des Auges mindre glut,
Das sonst so trutzig drohte unterm Hut.

Doch schaut' er selig, da die Schattenwelt
Für einen Helden keine Schmach enthält.

An mir vorüber schritt er ohne Wort
Und wandte noch sich an der Schwelle dort

Und winkte mir gelassen mit der Hand,
Als wollt' er sagen: Komm nun!—und verschwand.

LXIV Der letzte Brief

Mein lieber und gewogner Prugner, merk
Es dir und schick mir etwas Feuerwerk!
Die Lese naht. Da blitzt und pufft und knallt
Es rings um meinen Inselaufenthalt.

Raketen kreuzen sich. Der Böller kracht.
Lodernde Räder rollen in der Nacht.

Nicht was sich dreht und schwingt und spritzt und sprüht,
Schick eine Leuchte mir, die stetig glüht!

Schick eine Kugel mir, die ruhig steigt
Und meiner Insel ganzen Umriß zeigt!

An meinem letzten Feste kost' im Schein
Der Geisterfackel ich den neuen Wein.

LXV Die Traube

Freund Holbein, fehlt im Totentanze dir
Der Dichter noch, so komm und mal mich hier,
In meinem Sessel schlummernd ausgestreckt,
Das Angesicht mit stillem Blaß bedeckt!

Daneben trete leis der Tod ins Haus,
Doch laß mir lieber weg der Sense Graus!

Am Bogenfenster siehst die Traube du?
Die male goldig angehaucht hinzu!

Ein blitzend Winzermesser gibst du dann
In die verdorrte Hand dem Knochenmann!

Und der Verständ'ge merkt des Bildes Sinn,
Daß ich die Edeltraube selber bin,

Die heut gekeltert wird und morgen kreist
In Deutschlands Adern als ein Feuergeist.

LXVI Das Kreuz

Heut ist der erste leidenvolle Tag,
Da ich mich nicht vom Lager heben mag!
Auf seiner Meeresinsel stöhnt' und fleht'
Und wimmerte der wunde Philoktet;

Mir geht das Jammern wider die Natur,
Weit eher noch entführe mir ein Schwur.

Doch beiß' ich schweigend nur die Lippe mir;
Denn als ein Christ und Ritter lieg' ich hier.

Fernab die Welt. Im Reiche meines Blicks
An nackter Wand allein das Kruzifix.

An hellen Tagen liebt' in Hof und Saal
Ich nicht das Bild des Schmerzes und der Qual;

Doch Qual und Schmerz ist auch ein irdisch Teil,
Das wußte Christ und schuf am Kreuz das Heil.

Je länger ich's betrachte, wird die Last
Mir abgenommen um die Hälfte fast,

Denn statt des einen leiden unser zwei:
Mein dorngekrönter Bruder steht mir bei.

LXVII Ein christlich Sprüchlein

In meinen Leidensnächten ohne Stern
Erlab' ich mich an guter Sprüche Kern.
Sankt Paule, der du mir zu jeder Frist
Aus dem Apostelbund der liebste bist,

Eins deiner Sprüchlein so von ungefähr
In bittern Nöten bet' ich vor mich her:

"Es ängstet sich, es sehnt sich allezeit
Die Kreatur in ihrer Endlichkeit."

Oft wird der edle Leib, das schöne Sein
Zum dumpfen Kerker ohne Licht und Schein.

Dann ist es nicht ein hergebracht Gebet
Es ist der Geist, der in uns seufzt und fleht,

Und wärst du, Gott und Herr, nicht ewiglich,
Ein solches Stoßgebet erschüfe dich.

LXVIII Ein heidnisches Sprüchlein

Heut fiel mir wieder ein—ich weiß nicht wie—
Ein Spruch aus Sokrates' Apologie:
"Was wartet unser, wann des Erdeseins
Unruhig Licht erlischt—von zweien eins:

Für sel'gen Wandel ein bequemer Raum?
Ein ungekränkter Schlummer ohne Traum?"

Wir Christen haben ein gewisses Licht,
Doch auch ein Heidensprüchlein schadet nicht.

LXIX Der Strom des Lebens

Mir war: ich fuhr in halber Finsternis
Auf einem Strom, der mich von dannen riß.
Unwiderstehlich, ohne Frist und Halt
Entführte mich die jähe Stromgewalt.

Vorüber glitten dunkel Stadt und Schloß.
Ein ferner Donner scholl. Der Nachen schoß.

Und ich erriet, daß ich den Rhein befuhr
Ein wenig über seinem Sturze nur.

LXX Scheiden im Licht

Verschärfte Schmerzen foltern mein Gebein,
Doch, soll ich sterben, muß es Morgen sein!
Doch, soll ich aus der Welt von hinnen gehn,
So muß ich erst erhellte Pfade sehn!

In meine Todesschauer sei gemischt
Der Frühe Schauer, der das All erfrischt!

Verstöhnen laß mich hier im Dunkel nicht,
Befreie deinen Kämpfer, starkes Licht!

Auf deinen goldnen Schwingen trägst du Heil,
Erlege mich mit deinem ersten Pfeil!

LXXI Abfahrt

Ich reise. Freund, ein Boot! Ich reise weit.
Mein letztes Wort… ein Wort der Dankbarkeit…
Auch dir, du Insel, meine grüne Haft!
Den Hutten treibt es auf die Wanderschaft.

Noch gibt's zu tun. Geschwind! Wo bleibt der Kahn?
Die Welle drängt! Ein Segel wallt heran!

Die Firne starren mir ins Angesicht…
Das bleiche Geisterland erschreckt mich nicht…

Ein langer hagrer Ferge rudert dort…
Hehe! Hierher! Es will ein Wandrer fort!

Was hältst du, Freund, mich an die Brust gepreßt?
Bin ich ein Sklave, der sich fesseln läßt?

Gib frei! Gib frei! Zurück! Ich spring' ins Boot…
Fährmann, ich kenne dich! Du bist—der Tod.

Ende dieses Project Gutenberg Etextes "Huttens letzte Tage", by C. F. Meyer