The Project Gutenberg eBook of Der Todesgruß der Legionen, 3. Band

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Title: Der Todesgruß der Legionen, 3. Band

Author: Gregor Samarow

Release date: October 6, 2004 [eBook #13659]
Most recently updated: December 18, 2020

Language: German

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Der Todesgruß der Legionen

Zeit-Roman

von

Gregor Samarow.

Dritter Band.

Berlin, 1874.

Druck und Verlag von Otto Janke.

Erstes Capitel.

Der Kaiser Napoleon ging in heftiger Bewegung in seinem Cabinet auf und nieder; die krankhafte Abgespanntheit, welche sonst auf seinem Gesicht zu liegen pflegte, war verschwunden, an deren Stelle war eine lebhafte Aufregung getreten, seine Lippen zuckten, seine Augen blickten unruhig hin und her, und sein sonst so wohl geordneter Bart war durch das Spiel seiner zitternden Finger aus der Ordnung gebracht.

Auf seinem Schreibtisch lag eine große Anzahl von Telegrammen über einander geworfen. Er hielt eine Photographie in Cabinetformat in der Hand, die er, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, aufmerksam betrachtete.

„Welch eine Anhäufung von Unruhe und Aufregung,“ sagte er mit einem tiefem Athemzug, „die Erwartung wegen des Ausfalls des Plebiscits wäre allein genügend, um mich in Spannung und in diese so schmerzvolle Nervenerregung zu versetzen, — da muß noch dieses Complott hinzutreten, das mir vor zehn Jahren gleichgültig gewesen wäre, das mir auch heute gleichgültig ist, so weit es sich dabei um die Gefahr für mein Leben handelt, — diesem Complott aber liegt eine größere Gefahr zu Grunde. Mein Tod ist nur ein Theil des Plans, den man hier verfolgt, und so abenteuerlich und thöricht diese Absicht der Zerstörung der Tuilerien und der öffentlichen Gebäude im ersten Augenblick erscheinen mag, so liegt darin doch eine tiefe Kenntniß der so scharf concentrirten Zustände. Würde der Streich gelungen sein, so gehörte ganz Frankreich dem Aufstande. Und,“ sprach er dumpf, vor sich hin starrend, „bin ich denn schon sicher, daß er nicht gelingen wird, bin ich sicher, daß was heute verhindert ist, sich nicht morgen wiederholen kann.“

Er blickte lange auf die Photographie, welche er in seiner Hand hielt und prüfte genau mit scharfem forschendem Blick die Züge des Bildes.

„Dieser Mensch,“ sagte er dann, „ist kein Fanatiker, — das ist kein exaltirter Kopf, der aus überspannten Theorien in dem Gedanken sich für eine große Idee zu opfern, zum Mörder wird, — dies Gesicht ist gemein und gleichgültig. Dieser Mensch ist einfach ein Werkzeug — und wenn er unschädlich gemacht wird, kann man Werkzeuge wie ihn überall wiederfinden, — und man wird sie wiederfinden, wenn dieser Zustand dumpfer Gährung weiter besteht, wenn die allgemeine Unzufriedenheit, wenn das allgemeine Gefühl der Erniedrigung Frankreichs, das in der That in diesem Augenblick die öffentliche Stimmung beherrscht, den tollkühnen Unternehmungen der Verschwörer zu Hülfe kommt. Haben nicht vielleicht Diejenigen doch Recht,“ sagte er in tiefem Gedanken, „welche mir rathen, durch eine militairische Aktion das Gefühl der Nation wieder mit dem Kaiserthum zu verbinden.“

Er warf die Photographie auf den Tisch und ging die Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf tief auf die Brust gesenkt mehrere Male langsam im Zimmer auf und nieder.

„Eine glänzende Action,“ sagte er dann — „ja — aber wenn sie nicht glänzend wäre — wenn das launenhafte Glück nicht über meinen Fahnen schwebte — was dann? Dann würde all das Unheil, welches jetzt unter der Oberfläche glimmt, in hellen Flammen emporlodern, und diese Flammen würden über den Trümmern meines Gebäudes zusammenschlagen — warum aber soll das Glück sich von mir wenden?“ rief er dann stehen bleibend und den aufleuchtenden Blick seines großen geöffneten Auges auf eine Marmorbüste Cäsars richtend, welche auf schwarzem Fuß in der Nähe seines Schreibtisches stand. „War es mir doch bisher günstig wie jenem Römer, dem Vorbild meines Hauses, der zwar unter den Dolchen der Verschwörer fiel, auf dessen Thaten aber sich der glänzende Thron des Augustus erbaute, — warum vermag ich nicht mehr an mein Glück zu glauben — wenn dieses Plebiscit günstig ausfällt, so steht ja wieder der Wille der ganzen Nation hinter mir, und auf diese neue Kraft gestützt, sollte ich es wohl wagen können, dem Glück zu gebieten, denn das Glück beugt sich dem kühnen Muth und dem festen Entschluß, — aber wenn das Plebiscit ungünstig ausfällt,“ sprach er, wieder in sich zusammensinkend, mit dumpfem traurigem Ton. „Doch nein,“ rief er dann, „nein, das ist unmöglich, Alles ist gut vorbereitet, und die ersten Nachrichten über den Erfolg der Abstimmungen lauten überraschend günstig.“

Er trat an den Tisch und durchblätterte die auf demselben liegenden Telegramme. Dann nahm er einen Bleistift, schrieb einige Zahlen ab und addirte dieselben.

„Paris,“ sagte er, „Marseille, Toulouse, Bordeaux, die schlimmsten
Städte haben abgestimmt, und dennoch ergiebt sich nach den vorliegenden
Nachrichten bereits eine Summe von einer Million 400,000 Stimmen für
„Ja“ und nur 200,000 für „Nein.“ Wenn es so weiter geht, so ist der Sieg
gewiß.“

Der Dienst thuende Kammerdiener meldete den Groß-Siegelbewahrer.

„Er ist willkommen,“ rief der Kaiser lebhaft und ging rasch nach der
Thür hin, durch welche Herr Ollivier lächelnd und freudig bewegt
eintrat. Er ergriff mit tiefer Verneigung die dargebotene Hand des
Kaisers, zog dann einige Telegramme aus seiner Tasche und rief, ohne die
Anrede seines Souverains abzuwarten:

„Alles geht vortrefflich, Sire, bis heute morgen war das Resultat von hundertundsechzig Wahlbezirken bekannt. Die Zahl der eingetriebenen Wähler betrug 3,671,400 davon haben 2,614,000 mit Ja gestimmt und 432,000 mit Nein. So eben,“ fuhr er fort, „habe ich dieses zweite Telegramm erhalten, nach welchem nunmehr bis auf sechsundzwanzig Wahlbezirke die Resultate sämmtlich bekannt sind. Für Ja stimmten hiernach 6,399,000, mit Nein 1,349,000. Die Stimmen der Armee und der Marine und der Bevölkerung von Algier sind hierbei noch nicht mitgerechnet; da die Gesammtzahl der Stimmenden ungefähr auf acht bis zehn Millionen anzuschlagen ist, so ist eine colossale Majorität bereits gesichert.“

Der Kaiser athmete tief auf und drückte noch einmal herzlich die Hand seines Ministers.

„Das Glück steht mir noch zur Seite,“ sagte er halblaut, mehr seinem frühern Gedankengang folgend, als zu Herrn Ollivier sprechend. „Dies glänzende Resultat,“ sagte er dann mit unendlich liebenswürdiger Verbindlichkeit, „habe ich zum großen Theil meinen Ministern und Ihnen ins Besondere, mein lieber Herr Ollivier, zu verdanken, da Sie es verstanden haben, die Sympathien des ganzen Volkes um die kaiserliche Regierung zu vereinigen, und vielleicht war dieses unglückliche traurige Complott, das man entdeckt hat, ebenfalls eine glückliche Fügung, da gerade dadurch dem ganzen Lande klar geworden ist, von welchen Gefahren die Ordnung des Staats und der Gesellschaft bedroht wird, von Gefahren, gegen welche nur ein freisinniges und kraftvolles kaiserliches Regiment Schutz und Rettung bieten kann. Seien Sie überzeugt, daß ich die Dienste, welche Sie dem Lande, mir und meinem Hause geleistet haben, niemals vergessen werde.“

Herr Ollivier verneigte sich mit zufriedenem Lächeln.

„Eure Majestät haben ganz mit Recht bemerkt,“ sagte er dann, „daß das verbrecherische Complott, welches die Wachsamkeit der Polizei vor einigen Tagen entdeckt, sehr günstig auf die Theilnahme der gut gesinnten Bevölkerung auf die Abstimmungen gewirkt hat, — dessen ungeachtet“ fuhr er fort, „bleibt die Sache sehr zu beklagen, denn Alles, was man bis jetzt ermittelt hat, zeigt deutlich, daß man es hier mit einem tief angelegten Plan unversöhnlicher Verschwörer zu thun hat, und ich bitte Eure Majestät zu genehmigen, daß nicht wie in frühern ähnlichen Fällen die Angelegenheit mit der Ihnen persönlich so nahe liegenden Milde behandelt, sondern daß hier mit der äußersten Strenge vorgegangen werde, um ein für allemal ernstlich und nachdrücklich von ähnlichen Unternehmungen abzuschrecken.

„Es widerstrebt mir,“ sagte der Kaiser mit einem sanften weichen Ausdruck, „Unternehmungen, welche gegen meine Person und mein Leben gerichtet sind, mit äußerster Strenge zu verfolgen. Nach meinem Gefühl möchte ich Wahnsinnige, die derartiges versuchen, am liebsten völlig ungestraft lassen, und das um so mehr in einem Augenblick, in welchem mir das ganze Volk auf eine so glänzende Weise sein Vertrauen bezeigt. Doch,“ fuhr er ernster fort, „es handelt sich hier nicht allein um mich, man hat nicht nur mich bedroht, sondern zugleich die Sicherheit des ganzen Staatsgebäudes, wie ich dasselbe unter Mitwirkung der besten Kräfte des Landes und der Acclamation des ganzen Volkes errichtet habe; hier darf keine Milde walten! Was hat man weiter entdeckt,“ fuhr er fort. „Ich bin sehr gespannt auf die Ermittelung des Zusammenhangs der Verschwörung.“

„Der Polizeipräfect befindet sich in Eurer Majestät Vorzimmer,“ erwiderte Herr Ollivier, „und wenn Sie es erlauben, kann er hier sogleich seinen Bericht erstatten, und Eure Majestät können die Maßregeln genehmigen, welche ich zur gerichtlichen Verfolgung der Verbrecher und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit vorschlagen möchte.“

Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf.

Herr Ollivier ging hinaus und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem Polizeipräfecten Pietri zurück, dessen bleiches, scharfes Gesicht unbeweglich und kalt wie immer war und dessen scharfe Augen fast noch stechender als gewöhnlich unter dem tiefen Schatten der vorspringenden Stirn hervorblickten.

Auf den Wink des Kaisers nahmen der Justizminister und der Polizeipräfect neben dem Schreibtisch Platz, während Napoleon sich in seinen Lehnstuhl niedersinken ließ, — den Ellenbogen auf das Knie gestützt blickte er Herrn Pietri fragend und erwartungsvoll an.

„Eurer Majestät,“ begann dieser, indem er eine kleine Mappe öffnete und mehrere Papiere aus derselben hervorzog, „erlaube ich mir mitzutheilen, daß der frühere Corporal Beaury in seiner Wohnung in der Rue St. Maur, die er nach seiner Ankunft aus London bezogen hatte, verhaftet wurde. Man hat bei ihm einen Dolch und einen Revolver, eine Summe von etwas über dreihundert Francs gefunden, zugleich aber auch vor allen Dingen Briefe von Gustav Flourens aus London, welche zweifellos beweisen, daß Beaury den Auftrag erhalten und angenommen hatte, Eure Majestät durch die Bomben zu tödten, von denen ich Ihnen bereits eine Probe zu überreichen die Ehre gehabt habe.“

„Die Sprengbomben sind vortrefflich construirt,“ sagte der Kaiser — „ich würde ihrer Wirkung nicht entgangen sein,“ fügte er lächelnd hinzu.

„Die Briefe von Flourens,“ fuhr Pietri fort, „welche ich Eurer Majestät hier vorzulegen die Ehre habe“ — er legte mehrere beschmutzte Papiere auf den Tisch vor dem Kaiser nieder, beweisen aber zugleich, daß es sich nicht nur um ein Attentat gegen Allerhöchst Ihre Person handelte, sondern daß zu gleicher Zeit die Tuilerien und die sämmtlichen öffentlichen Gebäude, in welchen die leitenden Organe der öffentlichen Regierung ihren Sitz haben, zerstört werden sollten. Man hat auf die Aussage Beaury's gestützt, welcher sogleich nach seiner Verhaftung umfassende Geständnisse ablegte, Nachforschungen gehalten und bei einem Kunsttischler Roussel, dessen die Agenten leider bis jetzt noch nicht habhaft geworden sind, eine weitere größere Anzahl von Bomben, Massen von Nitroglycerin, so wie bedeutende Quantitäten Petroleum gefunden; auch steht nach den Aussagen Beaury's die Theilnahme der Internationale an der ganzen Verschwörung außer Zweifel, was zugleich beweist, daß diese Verbindung, welche sich nur mit der Erörterung socialer Fragen und mit der Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zu beschäftigen vorgiebt, die eigentliche Triebfeder aller Attentate gegen die bestehende Staatsordnung ist.“

„Haben Sie alle diese Beweisstücke da,“ fragte der Kaiser.

„Zu Befehl, Majestät,“ erwiderte Pietri, indem er mehrere Briefe und
Protokolle dem Kaiser überreichte.

Dieser legte sie auf seinen Tisch.

„Ich werde das Alles später prüfen,“ sagte er. „Es ist eine schmerzliche Erfahrung für mich,“ fuhr er fort, „daß gerade diese internationale Arbeiterassociation, welcher ich, so weit sie sich mit dem Interesse der Arbeiter beschäftigte, stets wo das mit den Gesetzen vereinbar war, mein Wohlwollen bewiesen, und meinen Schutz gewährt habe, sich jetzt zu solchen Zwecken mißbrauchen läßt.“

„Ich habe Eure Majestät stets darauf aufmerksam gemacht,“ sagte Pietri, „daß diese Organisation selbst unter ihren früheren gemäßigten, so zu sagen philosophischen Führern eine große Gefahr für den Staat und die Gesellschaft in sich schloß, und daß es nothwendig sei, mit der äußersten Strenge gegen dieselbe vorzugehen, um sie und ihren weit verzweigten Einfluß zu zerstören. Nachdem nun ihre gefährlichen und verbrecherischen Ziele so klar an's Tageslicht getreten sind, möchte ich Eure Majestät um die Erlaubniß bitten, die ganze Internationale mit einem Schlage zu zertrümmern, und in allen Städten Frankreichs ihre Führer, die mir sehr wohl bekannt sind, verhaften zu lassen.“

Der Kaiser dachte einen Augenblick nach.

„Ich erkenne die Nothwendigkeit energischer Maßregeln vollkommen an,“ sagte er, „doch weiß ich nicht, ob die Verhaftung der Führer von einigem Nutzen sein wird. So weit mir aus früheren Berichten die Organisation jener Gesellschaft bekannt ist, hat jeder Führer einen Substitut, und die Verhaftung der ersten Leiter würde also für die Unterdrückung der Sache selbst nicht viel nützen, außerdem gehört dieser Internationale eine Menge von Arbeitern an, die im Grunde gut gesinnt sind und die verbrecherischen Absichten der Häupter weder kennen, noch billigen. Ich glaube deshalb, daß es klug wäre, den Maßregeln, welche gegen die Internationale getroffen werden müssen, jeden polizeilichen Character zu nehmen und sie lediglich als die Folgen richterlichen Verfahrens erscheinen zu lassen.“

Er richtete den Blick fragend auf Herrn Ollivier.

„Ich theile vollkommen die Ansicht Eurer Majestät,“ sagte dieser. „Und es sind in diesem Sinne alle Einleitungen getroffen, der Generalprocurator Grandperret soll einen Bericht an mich erstatten, welcher das Complott in seinem ganzen Zusammenhange darstellt und die Einberufung des hohen Gerichtshofes beantragt. Ich werde diesen Bericht des Generalprocurators, der bereits morgen in meinen Händen sein soll, Eurer Majestät überreichen und zugleich den Entwurf eines Decrets beilegen, welcher die Einberufung des hohen Gerichtshofes anordnet. Sobald das geschehen, werden alle Verhaftungen, welche auf Grund der von dem Generalprocurator Grandperret anzustellenden Anklageacte vorgenommen werden müssen, gerichtliche und nicht mehr polizeiliche Maßregeln sein.“

„Sehr gut,“ sagte der Kaiser, „ich erwarte Ihren Bericht, mein lieber Herr Ollivier, und ich hoffe,“ fügte er sich zu Pietri wendend hinzu, „daß Ihre Agenten geschickt genug sein werden, um keinen der Schuldigen entwischen zu lassen.“

„Eure Majestät können überzeugt sein,“ erwiderte der Polizeipräfect, „daß in meinem Ressort geschehen wird, was nur irgend zu thun möglich ist, dennoch aber möchte ich bitten, einige Personen welche ich dem Herrn Generalprocurator bezeichnen werde, von der Verhaftung auszuschließen. Es sind die Personen welche wir genau zu überwachen in der Lage sind, und durch welche wir in Folge dieser Überwachung fortwährend Kunde von den Fäden erhalten, durch welche die revolutionäre Bewegung im ganzen Lande geleitet wird. Würden diese Personen verhaftet werden, so würde uns sich eine Quelle sehr wichtiger Nachrichten verschließen, und wir würden gezwungen sein, viele Zeit aufzuwenden, um neue Netze zu knüpfen.“

Der Kaiser lächelte.

„Ich verstehe,“ sagte er — „nicht wahr, mein lieber Herr Ollivier, Sie finden den Wunsch des Herrn Pietri gerechtfertigt —“

„So fern dadurch,“ sagte der Justizminister, „der gerichtlichen
Verfolgung keine Beweise entzogen werden.“

„Sie können sicher sein,“ sagte Herr Pietri, „daß diejenigen Personen, um welche es sich handelt, — und zu denen in erster Linie der eitle Schwätzer Raoul Rigault gehört, so vollständig umstellt sind, daß keine ihrer Bewegungen, keines ihrer Worte uns entgeht, und daß ihre Verhaftung, wenn sie jemals nothwendig werden sollte, jeden Augenblick stattfinden kann. Es ist aber eine alte Regel der polizeilichen Praxis,“ fügte er hinzu, „in großen und besonders bedeutungsvollen Fällen immer einige der betreffenden Personen in scheinbarer Freiheit zu lassen, um, wenn es nöthig ist, durch sie das herstellen zu können, was man mit dem technischen Ausdruck eine „Mausefalle“ nennt. Hat man einmal alle Personen, von denen man irgend etwas weiß, im Gefängniß eingeschlossen, so ist es kaum möglich, irgend etwas Weiteres und Neues zu erfahren.“

„Ich bitte Sie also,“ sagte Herr Ollivier, „sich mit dem
Generalprocurator Grandperret über diesen Punkt zu verständigen.“

„Der Herr Marschall Kriegsminister,“ meldete der Kammerdiener.

„Ich bitte den Marschall einzutreten,“ erwiderte der Kaiser.

Der Marschall Leboeuf trat in das Cabinet, die militairische Haltung
seiner großen vollen Gestalt, der martialische Ausdruck seines starken
Gesichts mit dem großen, dichten Schnurrbart ließen in ihm trotz des
Civilüberrocks, den er trug, den Soldaten erkennen.

„Nun, mein lieber Marschall,“ rief ihm der Kaiser entgegen. „Sie bringen das Resultat der Abstimmungen der Armee.“

„Zu Befehl, Majestät,“ erwiderte der Marschall. „Leider aber habe ich Eurer Majestät mitzutheilen, daß nach den Mittheilungen, welche nunmehr beinahe abgeschlossen sind dreißigtausend Ihrer Soldaten mit „Nein“ gestimmt haben.“

Der Kaiser ließ einen Augenblick das Haupt auf die Brust sinken, ein trüber, trauriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.

„So großen Einfluß,“ sagte er, „haben die Feinde meiner Regierung also auch in den Reihen meiner Armee gewonnen, daß dreißigtausend kaiserliche Soldaten es wagen, ein Mißtrauensvotum gegen mich auszusprechen.“

„Ich habe Eure Majestät,“ sagte Herr Pietri, „bereits seit lange darauf aufmerksam gemacht, daß es vom polizeilichen Gesichtspunkt aus nicht zweckmäßig sei, die Soldaten so lange, wie das jetzt geschehen ist, oft über drei Jahre lang in denselben Garnisonen zu lassen, sie fraternisiren dadurch zu sehr mit der Bevölkerung, und es sind gerade die revolutionären Elemente, welche in kluger Berechnung und mit großem Geschick stets danach streben, in den Reihen der Armee Propaganda zu machen, — wenn Eure Majestät Ihre Regimenter öfter die Garnisonen wechseln ließen, so würde so etwas nicht vorkommen.“

„Wir wollen darüber nachdenken,“ sagte der Kaiser, sich zum Marschall
Leboeuf wendend. „Wo sind denn besonders Stimmen mit Nein abgegeben
worden,“ fragte er, augenscheinlich noch immer sehr peinlich durch die
Mittheilung des Marschalls berührt.

„Vor allen Dingen hier in Paris,“ erwiderte der Marschall Leboeuf, „bei dem siebenzehnten Jägerbataillon und dem siebenzehnten Linienregiment. — In der Kaserne Prinz Eugene,“ fuhr er fort, „hatte sich, wie man mir meldete, die Garnison bei der Abstimmung in zwei, fast ganz gleiche Theile gespalten. Ich bin selbst dorthin gegangen, habe die Truppen antreten lassen und eine Ansprache an sie gehalten, in welcher ich ihnen auseinandersetzte, daß gerade in diesem Augenblick, in welchem die Revolution es versucht habe, die bestehende Staatsordnung umzustürzen, die feste Treue der Armee gegen den Kaiser eine hohe patriotische Pflicht sei.“

„Und,“ fragte der Kaiser.

„Ein einstimmiges, laut schallendes Vive l'Empereur war die Antwort,“ erwiderte der Marschall. „Ich glaube,“ fuhr er fort, „daß bei dem negativen Votum der einzelnen Soldaten mehr der Reiz maßgebend gewesen ist, einmal ungestraft und unbeengt durch Disciplinarvorschriften ein wenig Opposition machen können. Ich glaube aber nicht, daß diese Opposition gefährlich ist, und daß irgend ein Theil der Armee es an Energie in der Bekämpfung der Revolution fehlen lassen würde, wenn es jemals dazu käme.“

Der Kaiser dachte einen Augenblick nach.

„Der Faubourg du Temple ist unruhig, wie Sie mir heute gemeldet haben,“ sagte er zu Pietri gewendet.

„Zu Befehl, Majestät,“ erwiderte dieser. „Es finden dort Zusammenrottungen statt. Bis jetzt ist noch nichts Ernstes geschehen, als daß einige Laternen umgeworfen wurden, indessen ist zu besorgen, daß mit dem Eintritt der Dunkelheit dort ernstere Unruhen stattfinden möchten, und meine Agenten haben mir bereits berichtet, daß Vorbereitungen zum Barrikadenbau getroffen wurden.“

„Commandiren Sie, mein lieber Marschall, das siebenzehnte Jägerbataillon und das siebente Linienregiment heute Abend nach dem Faubourg du Temple, um gegen die Ruhestörungen, welche man dort versuchen möchte, einzuschreiten. Ich will den Truppen zeigen, daß ich ihr Recht des freien Votums achte, und das mein Vertrauen in die Erfüllung ihrer Dienstpflicht durch den Gebrauch ihres Stimmrechts auch gegen mich nicht erschüttert werden kann. Nun aber,“ fuhr er fort, indem er sich in einer kräftigeren Bewegung als sonst erhob und den Blick stolz und frei über die in seinem Cabinet befindlichen Personen gleiten ließ, „ist es nothwendig, zu der Verfolgung der Verschwörer durch die Gerichte Maßregeln zu treffen, um den Staat gegen alle Attentate zu schützen, welche vielleicht dennoch von denen versucht werden könnten, die sich bisher der Wachsamkeit der Behörden zu entziehen wußten. Lassen Sie, mein lieber Marschall,“ sprach er im festen Ton des Befehls, der keine Erörterung und keinen Widerspruch duldet, „die Truppen sämmtlich in den Kasernen consigniren, die Truppen sollen scharfe Patronen erhalten und jeden Augenblick marschbereit sein. Commandiren Sie ferner nach allen öffentlichen Gebäuden wenigstens zwei Bataillone, welche vor Allem den Befehl erhalten müssen, jeden Eintritt unbekannter Personen zurückzuweisen und die Keller und Souterrainräume zu überwachen. Sodann,“ fuhr er fort, „sollen die Voltigeurs der Garde sämmtlich in die Gallerien commandirt werden, welche den Pavillon des kaiserlichen Prinzen mit dem Neubau vereinigen. Ich werde dem General Frossard den Befehl schicken, daß der Prinz seine Wohnung nicht verläßt, man könnte seinen Wagen für den Meinigen halten, und er könnte das Opfer eines gegen mich gerichteten Attentats werden. Das darf nicht geschehen, denn auf seinem Leben beruht die Zukunft Frankreichs. Jeder Unruhe,“ fuhr er immer in demselben festen Ton fort, „welche heute Abend in den Straßen von Paris stattfinden könnte, soll sofort mit scharfer Waffe und ohne jede Schonung entgegen getreten werden. Die Corpsführer sind mir verantwortlich dafür, daß keine Barricade länger als eine halbe Stunde stehen bleibt, — vor Allem,“ fügte er noch hinzu, „sollen starke Posten in das Erdgeschoß des Pavillons des kaiserlichen Prinzen gelegt werden und Niemand dort zugelassen werden, der sich nicht durch seinen Dienst oder durch einen besonderen Erlaubnißschein legitimiren kann. Außerdem werden Sie, mein lieber Pietri,“ sagte er, sich an den Polizeipräfecten wendend, „den Pavillon des Prinzen ringsum mit Ihren zuverlässigen Agenten umgeben lassen, mit dem bestimmten Befehl, Niemand die Annäherung an denselben zu gestatten.“

Herr Ollivier sah ganz erstaunt den Kaiser an, der Ton desselben, welcher an die Zeit des unumschränkten persönlichen Regiments erinnerte, schien ihn zu befremden.

„Und welche Sicherheitsmaßregeln befehlen Eure Majestät,“ sagte Herr
Pietri, „für den Pavillon de l'Horloge, — für Eurer Majestät eigene
Wohnung?“

„Keine,“ sagte der Kaiser stolz lächelnd, „ich habe die Pflicht, für die Sicherheit des Staates und des Erben meines Thrones zu sorgen. Was mich betrifft, — ich vertraue meinem Stern! — Gehen Sie, meine Herren,“ sagte er mit freundlicher Würde und Hoheit, „und sorgen Sie für die pünktliche Ausführung meiner Befehle. Sie, mein lieber Ollivier, bitte ich, noch zu bleiben, ich habe noch weiter mit Ihnen zu sprechen.“

Der Marschall Leboeuf und Herr Pietri zogen sich zurück.

„Sie wissen,“ sagte der Kaiser, als er mit dem Großsiegelbewahrer allein war, „daß die Kaiserin nach der Verfassung des Reichs zur Regentin bestimmt ist, für den Fall meiner Abwesenheit oder meines Todes während der Minderjährigkeit des Prinzen. Dieser Beaury ist gefangen,“ fuhr er fort, „aber man könnte einen Zweiten und einen Dritten absenden, und irgend ein plötzliches Ereigniß könnte meinem Leben ein Ende machen.“

„Sire,“ rief Ollivier, die Hand auf die Brust legend, „die Vorsehung wird verhüten —“

„Ich hoffe das,“ sagte der Kaiser kalt und ruhig, „indessen muß ich für den Fall eines verhängnißvollen Ereignisses meine Bestimmung treffen, als ob es sich um eine dritte Person handelte. Sollte ich,“ fuhr er fort, „das Opfer eines Dolches, eines Revolvers oder einer Bombe werden, so werden Sie unverzüglich die ganze Garnison von Paris unter die Waffen treten lassen, meinen Sohn zum Kaiser proclamiren und die Truppen ihm und der Regentin den Eid der Treue schwören lassen. Sie werden jeden Versuch einer Bewegung in der Hauptstadt mit rücksichtsloser Strenge niederwerfen und die Regierung genau so fortführen, als ob sich Nichts geändert habe — Nichts,“ fügte er mit einem Anklang leiser Wehmuth hinzu, „als daß neben dem Namen des Kaisers eine IV statt einer III steht. Besprechen Sie mir das, geben Sie mir Ihr Wort darauf.“

Er streckte Ollivier mit einer Bewegung voll Hoheit und liebenswürdiger
Herzlichkeit zugleich die Hand hin.

„Ich schwöre es Eurer Majestät,“ rief Ollivier mit einer von innerer Bewegung erstickten Stimme, indem er seine Hand in die des Kaisers legte.

„So haben wir Vorsorge getroffen,“ sprach Napoleon im ruhigen, heiteren Ton weiter, „für den Fall eines unglücklichen Verhängnisses, jetzt lassen Sie uns an die Gegenwart und ihre Forderungen herantreten. Nachdem das Plebiscit dem Kaiserreich von Neuem die feste Grundlage des Nationalwillens gesichert hat, müssen wir darauf denken, die Regierung, selbst wenn sie sich in einem provisorischen Stadium befindet, wieder zu consolidiren. Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten vor allen Dingen, welches Sie seit dem Rücktritt des Grafen Daru mit so großer Opferbereitwilligkeit neben der Last aller Ihrer übrigen Arbeiten geführt haben, muß, wie es mir scheint, definitiv besetzt werden.“

Herr Ollivier schien durch diese Bemerkung des Kaisers nicht besonders angenehm berührt zu werden.

„Es ist mir eine Freude gewesen, meine Arbeitskraft auch in diesem erhöhten Maße dem Dienste Eurer Majestät zu widmen. Und bis zu diesem Augenblick,“ fügte er mit einem gewissen selbstbewußten Lächeln hinzu, „ist mir diese Last nicht zu schwer geworden. Nicht, um mich den vermehrten Arbeiten zu entziehen, möchte ich Eure Majestät zur Besetzung des auswärtigen Portefeuille drängen.“

„Ich weiß, mein lieber Minister,“ sagte der Kaiser verbindlich, „daß Sie keine Mühe scheuen, und daß Ihre eminente Kraft auch die schwerste Last leicht zu ertragen im Stande ist. Indessen wird die gesammte politische Leitung der Regierung Sie in der nächsten Zeit, in welcher alles jetzt Geschaffene befestigt werden muß, so sehr in Anspruch nehmen, daß ich nicht die Detailarbeiten Ihnen auch noch aufbürden möchte. Es kommt darauf an,“ fuhr er fort, „einen Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu finden, welcher die für den internationalen Verkehr erforderliche Geschmeidigkeit mit dem festen Willen und der Kraft vereint, die Würde und die Interessen Frankreichs nach außen hin energisch zu vertreten, und welcher zugleich mit den Grundsätzen, nach welchen Sie zu meiner großen Freude meine Regierung führen, völlig übereinstimmt. Ich habe geglaubt, daß Drouyn de L'huys, welcher bereits mehrere Male die auswärtige Politik Frankreichs geführt hat, im wesentlichen die erforderlichen Eigenschaften besitzt, es würde nur darauf ankommen, ob Sie glauben, mit demselben in inniger und aufrichtiger Uebereinstimmung zusammen arbeiten zu können.“

Herr Ollivier schien noch immer unter dem Eindruck einer gewissen
Verstimmung sich zu befinden.

„Ich achte Herrn Drouyn de L'huys hoch,“ sagte er mit einiger Zurückhaltung, „er ist ein Mann von großer und ausgedehnter Erfahrung, von tiefen Kenntnissen und großer Charakterfestigkeit. Freilich,“ fuhr er fort, „sagt man, daß diese Charakterfestigkeit zuweilen ein wenig die Grenzen des Eigensinns streifen soll, —“

„Man hat nicht ganz Unrecht,“ fiel Napoleon, leicht das Haupt neigend, ein. „Indeß glaube ich, daß es Ihnen bei Ihrer Gewandtheit, Andere zu überzeugen, nicht schwer werden würde“ —

Die Flügel der Thür des kaiserlichen Cabinets wurden geöffnet. Der
Huissier meldete die Kaiserin.

Unmittelbar darauf trat Ihre Majestät schnell ein, ihre Hand leicht auf den Arm des kaiserlichen Prinzen gelegt. Das schöne Gesicht der Kaiserin leuchtete vor freudiger, innerer Erregung, ihre Augen strahlten, ein triumphirendes Lächeln lag auf ihren Lippen, hoch und stolz trug sie das Haupt auf dem wunderbar schönen, schlanken Halse.

Der kaiserliche Prinz war damals vierzehn Jahre alt, seine Gestalt war schlank und schmächtig, seine Haltung elegant und sicher, sein bleiches Gesicht mit dem dichten, dunkel glänzenden Haar, schien älter als seine Jahre, frühzeitige körperliche Leiden hatten ihm einen gewissen Ausdruck von fast melancholischer Weichheit gegeben. Seine Stirn zeigte eine auffallende Ähnlichkeit mit derjenigen des Kaisers, während der untere Theil des Gesichts, die Nase und der Mund lebhaft an seine Mutter erinnerten. Seine dunklen, sinnigen Augen blickten aufmerksam forschend, es lag in denselben neben einer gewissen, kindlichen, wohlwollenden Offenheit, doch auch ein gewisses prüfendes Mißtrauen.

Der Prinz trug einen einfachen schwarzen Civilanzug und küßte, nachdem die Kaiserin den Kaiser begrüßt, mit liebevoller Ehrerbietung die Hand seines Vaters.

„Ich komme mit unserm Louis,“ rief die Kaiserin, „um die Erste zu sein, welche Ihnen zu dem so glänzenden Ausfall des Plebiscits von ganzem Herzen Glück wünscht, und zugleich,“ sagte sie, mit anmuthiger Bewegung sich zu Ollivier wendend, „dem geistvollen und treuen Rathgeber, dessen eifriger Thätigkeit wir vor allen Dingen dieses glückliche Resultat zu verdanken haben, auch meinen herzlichsten und aufrichtigsten Dank zu sagen.“

Sie reichte Ollivier ihre Hand, auf welche dieser seine Lippen drückte.

„Es scheint,“ sagte der Kaiser, „als ob gerade in diesem Augenblick, in welchem das Glück uns lächelt, die finsteren Dämonen der Revolution von Neuem ihr Haupt erheben, hoffentlich zum letzten Mal. Ich habe,“ fuhr er fort, „soeben, obgleich mir das gerade in diesem Augenblick mehr als je widerstrebt, die Befehle zur energischen Verfolgung der Schuldigen gegeben und zugleich zum Schutz des Staats und der Dynastie die Voltigeurs der Garde in den Pavillon des Prinzen gelegt. Und Du, mein lieber Louis,“ sagte er, leicht mit der Hand über das Haar seines Sohnes streichend, „wirst in den nächsten Tagen Dir gefallen lassen müssen, die Tuilerien nicht zu verlassen, so lange wenigstens, bis das Complott in allen seinen Verzweigungen entdeckt und unschädlich gemacht sein wird.“

„Oh, Papa,“ rief der junge Prinz mit blitzenden Augen, „ich fürchte mich nicht, mögen sie nur kommen, ich werde mich zu vertheidigen wissen, und“ fügte er hinzu, den glänzenden Blick aufwärts gerichtet, „Gott wird nicht erlauben, daß die ruchlosen Pläne dieser Verschwörer gelingen.“

„Ich bin überzeugt, daß Du Dich nicht fürchtest, mein Sohn,“ sagte der Kaiser, indem er seinen Blick voll stolzer Freude auf dem Prinzen ruhen ließ — „Du würdest sonst nicht im Stande sein, Frankreich zu beherrschen, aber Dein Leben gehört der Zukunft Deines Landes, Du darfst es wohl in der Schlacht für die Ehre und den Ruhm Frankreichs einsetzen, aber es soll nicht die Beute heimtückischer Meuchelmörder werden. Wo ist der General Frossard?“ fragte er.

„Der General hat den Prinzen hierher begleitet,“ erwiderte die Kaiserin, „er befindet sich im Vorzimmer.“

Napoleon öffnete selbst die Thür seines Cabinets und rief den General. Dieser, ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem länglichen, ernst und streng blickenden Gesicht trat ein und erwartete schweigend die Befehle des Kaisers.

„Mein lieber General,“ sagte Napoleon, „ich bitte Sie, dafür Sorge zu tragen, daß der Prinz bis auf weitere Befehle sein Zimmer nicht verläßt, und daß er keine Audienzen ertheilt, welche ich nicht vorher genehmigt habe. Gehe mit dem General, mein Sohn,“ fuhr er fort, dem Prinzen freundlich auf die Schulter klopfend, „und beschäftige Dich ein wenig mit Deinen Studien, ich werde später zu Dir kommen und ein wenig sehen, was Du treibst.“

Der Prinz zögerte einen Augenblick, ein leichter Anflug von Unmuth erschien auf seinem Gesicht, er küßte die Hand seines Vaters, umarmte zärtlich die Kaiserin und verließ, vom General Frossard gefolgt, das Cabinet.

„Ich habe soeben einen Brief von Gramont erhalten,“ sagte die Kaiserin — „er sendet uns seine aufrichtigsten Wünsche für den glücklichen Ausfall des Plebiscits und ist entzückt über die ersten Nachrichten, welche der Telegraph nach Wien gebracht hat, und welche bereits erwarten lassen, was sich inzwischen vollzogen hat. Ich würde Dir den Brief vorlesen,“ sagte sie mit einem lächelnden Seitenblick auf Ollivier, „wenn ich nicht fürchten müßte, den Herrn Großsiegelbewahrer in Verlegenheit zu setzen. Der Herzog ist in der That einer seiner glühendsten Bewunderer, er preist Frankreich und das Kaiserreich glücklich, einen solchen Mann zu den ihrigen zu zählen.

Es ist nur zu bedauern,“ fügte sie mit einem leichten Seufzer hinzu, „daß der Herzog so fern von hier auf entlegenem Posten in Wien sich befindet, er wäre ein vortrefflicher Bundesgenosse des Herrn Ollivier, er würde keinen anderen Ehrgeiz haben, als dessen Leitung zu folgen und mit seinem Eifer und seiner Energie die Ideen auszuführen, an denen dieser so reich und so fruchtbar ist,“ sagte sie, mit einem reizenden Lächeln sich gegen den Justizminister verbeugend, der einen schnellen, forschenden Blick auf den Kaiser richtete.

Napoleon hatte den Kopf ein wenig niedergesenkt, sein verschleierter
Blick richtete sich ausdruckslos zu Boden.

„Euer Majestät hatten so eben die Gnade,“ sagte Ollivier, indem er sich halb zur Kaisern wendete, „mit mir über die Besetzung des auswärtigen Ministeriums zu sprechen und den Namen des Herrn Drouyn de L'huys zu nennen“ — ein finsterer Schatten flog einen Augenblick über die Züge der Kaiserin, aber unmittelbar nahmen dieselben wieder ihren ruhig lächelnden, fast gleichgültigen Ausdruck an.

„Drouyn de L'huys,“ sagte sie, „würde reiche Erfahrungen für diesen Posten mitbringen, — er ist ja auch, so weit ich davon gehört habe, im Ganzen vollkommen einverstanden mit der gegenwärtigen Richtung der Regierung. Ich bedaure nur Herrn Ollivier,“ fügte sie in heiterem Tone hinzu, „er wird ein wenig Mühe haben, mit Herrn Drouyn de L'huys fertig zu werden, derselbe hält viel auf seinen eigenen Willen. Aber,“ sagte sie, „es wird ja am Ende nicht schwer sein, sich ihm zu accommodiren, er ist ein Mann von vielem Geist und so viel älter als Herr Ollivier —“

Sie schwieg abbrechend.

Der Justizminister schien einen Augenblick mit seinen Gedanken beschäftigt, dann wandte er sich, wie einem schnellen Entschluß folgend, zum Kaiser und sagte:

„Ich habe Eure Majestät, vorhin die Meinung ausgesprochen, welche ich über Herrn Drouyn de L'huys hege. Ich kann indeß eine Bemerkung nicht unterdrücken, welche ein wenig gegen die Übertragung des auswärtigen Ministeriums an ihn sprechen möchte. Herr Drouyn de L'huys gilt in Folge der Verhältnisse, unter denen er das Portefeuille im Jahre 1866 abgegeben, für einen großen Gegner Preußens und für einen Fürsprecher kriegerischer Unternehmungen.“

„Drouyn de L'huys will durchaus den Frieden aufrecht erhalten wissen,“ sagte der Kaiser schnell.

Der Blick der Kaiserin flammte auf, sie machte eine leichte Wendung und führte einen Augenblick ihr Taschentuch an die Lippen.

„Ich glaube, daß Herr Drouyn de L'huys den Frieden will,“ erwiderte Ollivier, „indessen die Welt und namentlich das Ausland glaubt einmal das Gegentheil von ihm, es wäre vielleicht zu befürchten, daß seine Ernennung von den fremden Mächten, in's Besondere von dem Berliner Cabinet mit Mißtrauen aufgenommen werden möchte, und in diesem Augenblick, in welchem wir so sehr mit den inneren Fragen beschäftigt sind, würde eine Trübung der auswärtigen Beziehungen die Erfüllung der Aufgaben, welche wir dem Willen Eurer Majestät gemäß uns gesteckt haben, sehr erschweren. Es wäre vielleicht gut, das auswärtige Ministerium einem Manne zu übertragen, welcher seit längerer Zeit dem Mittelpunkt der Politik fern gestanden hat, und aus dessen Vergangenheit man keine beunruhigenden Schlüsse zu ziehen im Stande ist. Ihre Majestät die Kaiserin,“ fuhr er fort, „hatten so eben die Güte gehabt, mitzutheilen, daß der Herzog von Gramont sehr freundliche Gesinnungen für meine geringe Person hegt. Ich bin gewiß, Eure Majestät wissen, daß ich weit davon entfernt bin, mich durch persönliche Eindrücke leiten zu lassen, um so mehr als ich in diesem Falle glaube, daß die Sympathie des Herzogs von Gramont vor allen Dingen den Prinzipien gilt, welche ich in Uebereinstimmung mit Eurer Majestät auszuführen unternommen habe, und in dieser Beziehung würde ich allerdings ein Zusammenwirken mit einem Manne, der vollständig von denselben Grundsätzen durchdrungen ist, nur für sehr nützlich halten können.“

„Würden Sie nicht,“ fragte die Kaiserin lächelnd, — „Sie, der bürgerliche
Stoiker, Scheu haben, durch den Herzog von Gramont sich dem Faubourg St.
Germain zu sehr zu nähern?“

„Ich achte alle Klassen der Gesellschaft,“ sagte Ollivier in
pathetischem Ton, „wenn sie sich den Ideen, welche den Staat in unseren
Tagen leiten müssen, unterwerfen, und wenn der alte historische Adel
Frankreichs sich entschließen könnte, den Wegen des Kaisers und seiner
Regierung zu folgen, so würde die ganze Nation dabei gewinnen.“

„Sie nehmen die Sache ernst“, sagte die Kaiserin leicht hin — „ich habe gar keine Ansicht aussprechen und am wenigsten den Erwägungen vorgreifen wollen.“

„Die Andeutungen Eurer Majestät,“ sagte Ollivier, während der Kaiser fortwährend unbeweglich schwieg, „verdienen indeß die höchste Beachtung und vielleicht hat — Euer Majestät verzeihen mir,“ fügte er, sich leicht verneigend hinzu, „hier der weibliche Instinct schneller das Richtige getroffen, als es die ernsthaftesten und tiefsten Erwägungen hätten finden können. Je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr will es mir scheinen, als ob der Herzog von Gramont in der That eine sehr geeignete Persönlichkeit für das auswärtige Ministerium wäre.“

Der Kaiser stand auf.

„Wir wollen darüber nachdenken,“ sagte er in einem Tone, der jede weitere Unterredung darüber abschnitt, „sobald das Plebiscit beendet sein wird. Für jetzt bitte ich Sie,“ fuhr er zu Ollivier gewendet fort, „mich zu begleiten, wenn Ihre Zeit es erlaubt, ich will einen Augenblick auf der Terrasse des Tuileriengartens spazieren gehen.“

„Um Gottes Willen,“ rief die Kaiserin erschrocken, „ganz Paris ist in unruhiger Bewegung, noch hat man nicht die Tiefe der Beschwörung ergründet, noch sind nicht alle Mitschuldige ermittelt und gefangen — ich bitte Sie, Louis, setzen Sie Sich einer solchen Gefahr nicht aus! Wie leicht könnte eine jener entsetzlichen Bomben Sie treffen, bleiben Sie im reservirten Garten.“

Der Kaiser lächelte.

„Sie können Sich überzeugen, Eugenie,“ sagte er, „daß ich für die Sicherheit des Prinzen gesorgt habe, — ich selbst will meinen Feinden und allen Franzosen zeigen, daß wenn es ihnen vielleicht gelingen kann, mich zu tödten, sie doch nicht dahin kommen werden, mich einzuschüchtern.“

Er bewegte schnell die Glocke auf seinem Schreibtisch und nahm seinen Hut und sein spanisches Rohr. Der Huissier öffnete die Thürflügel. Der Kaiser gab seiner Gemahlin den Arm und führte sie durch das Vorzimmer, in welchem der Dienst thuende Adjutant und der Kammerherr der Kaiserin, wartete, bis zum Eingang zu ihren Appartements.

Dann stützte er seinen Arm auf den des Herrn Ollivier, stieg mit ihm die
Treppe herab und schritt langsam nach der reservirten Terrasse des
Tuileriengartens, indem er dem Adjutanten befahl, zurückzubleiben.

Langsam schritt er unmittelbar an der Rampe dieser Terrasse nach der Place de la Concorde hin auf und nieder, indem er sich stets so wandte, daß er an der dem Platze zugekehrten Seite ging.

Bald hatte man ihn erkannt, eine ziemlich dichte Menge sammelte sich unterhalb der Terrasse an und laute Rufe begrüßten den Kaiser.

Napoleon dankte mit der Hand, trat dicht an den Rand der Terrasse und blickte lange auf die immer mehr anwachsende Menge herab.

„Sie sehen,“ sagte er lächelnd, sich zu Ollivier wendend, „daß das Schicksal noch nicht mit mir enden will. Es gehört wahrlich wenig dazu, um mich von dort unten her zu treffen.“

„Je näher Euer Majestät Ihrem Volke treten,“ sagte Ollivier, „um so sicherer werden Sie vor allen Angriffen sein — auch ich gehörte einst zu Ihren Gegnern; es hat nichts weiter bedurft, als daß Euer Majestät mir erlaubten, in Ihre Nähe zu treten, um mich zu Ihrem treuesten und ergebenden Diener zu machen.“

Der Kaiser dankte mit einer leichten Neigung des Hauptes für diese in etwas rhetorischem Tone ausgesprochene Schmeichelei, legte wieder seinen Arm in den des Ministers und setzte noch eine halbe Stunde lang seinen Spaziergang fort, indem er mit der ihm eigentümlichen bezaubernden Liebenswürdigkeit von allen möglichen Dingen plauderte, aber trotz aller Anspielungen Olliviers es vermied, das Thema der Besetzung des auswärtigen Ministeriums wieder zu berühren.

Zweites Capitel.

Es war ungefähr um die neunte Abendstunde desselben Tages, als der Geheimsecretair Pietri durch den besonderen Eingang aus seinem Bureau in das Cabinet des Kaisers trat.

Napoleon saß ernst und gedankenvoll in seinem Lehnstuhl, er trug den Campagneüberrock der Generalsuniform und rauchte eine jener kleinen Cigarretten von türkischem Taback, welche er sich selbst bereitete, träumerisch den kleinen Rauchwolken nachblickend, welche durch das von einer großen, auf dem Schreibtisch stehenden Lampe nur matt erleuchtete Zimmer dahinzogen.

Er richtete sich beim Eintritt Pietris leicht empor und sagte, indem er seinen Vertrauten mit freundlichem Lächeln grüßte.

„Haben Sie nach der Rue de Bondy gesendet?“

„Zu Befehl, Majestät,“ erwiderte Herr Pietri, „die Dame ist hier und wartet in meinem Zimmer.“

Der Kaiser stand auf.

„Es wäre doch wohl besser gewesen, unerkannt dort hinzugehen. Ich erleichtere ihr Metier zu sehr, wenn sie weiß, mit wem sie es zu thun hat.“

„Aber, Sire,“ sagte Pietri, „in diesen Tagen in jene Gegenden sich zu begeben, das wäre nicht mehr Verachtung der Gefahr, das wäre Tollkühnheit, und wenn Euer Majestät dort erkannt worden wären, wenn irgend ein Unglück sich ereignet hätte, so würde man mit Recht ein solches Unternehmen als verbrecherisch verurtheilen.“

„Sie haben vielleicht Recht,“ sagte der Kaiser —

— „auch kann man ja hier die Allwissenheit der Priesterin des Pietismus prüfen, lassen Sie die Dame kommen — Mademoiselle — ?“ versetzte er fragend.

„Mademoiselle Lesueur,“ erwiderte Pietri.

Der Kaiser nickte mit dem Kopfe.

Pietri ging hinaus und führte nach wenigen Augenblicken durch die Portiere eine junge Dame von achtzehn bis neunzehn Jahren in das Cabinet, während er selbst einen ganz einfachen Tisch von leichtem unpolirten Holz in der Hand trug und in die Mitte des Zimmers niedersetzte.

Der Kaiser grüßte die junge Dame mit verbindlicher Artigkeit und betrachtete sie mit forschendem Blick.

Mademoiselle Lesueur war eine äußerst elegante und sympathische Erscheinung, sie trug ein dunkles, einfaches Seidenkleid um den Hals mit einer kleinen Spitzenkrause geschlossen. Ihr dunkelbraunes Haar war in leichten Flechten um den Kopf gewunden, ihr zartes Gesicht dessen durchsichtige Blässe von einer feinen Röthe auf den Wangen belebt wurde, war von klassischer Schönheit, ihre dunklen Augen mit den auffallend langen Wimpern waren voll Geist, Lebendigkeit und Sanftmuth zugleich, und um ihren zierlichen und frischen Mund lag ein Zug von fast kindlicher Harmlosigkeit und Naivität.

Sie verneigte sich ohne alle Befangenheit mit den Manieren der besten
Gesellschaft vor dem Kaiser, welcher ganz erstaunt schien, die berühmte
Sybille in der Gestalt eines so anmuthigen, jungen Mädchens zu
erblicken.

„Man hat mir viel erzählt,“ sagte der Kaiser, „von der besonderen, eigentümlichen Kraft, welche Sie besitzen, das Reich der Geister zu öffnen. Und da ich mich für alle solche Dinge interessire, durch welche man versucht, den Schleier der Geheimnisse zu lüften, welche unser Leben umgeben, so habe ich gewünscht, eine Probe Ihrer Kunst zu sehen.“

„Es macht mich glücklich,“ erwiderte Fräulein Lesueur mit einer ungemein wohltönenden, etwas tiefen Stimme, „Euer Majestät Wunsch zu erfüllen. Es ist keine geheimnißvolle Kunst dabei,“ fuhr sie fort, „meine Mutter hatte die Kraft, durch das Medium dieses kleinen Tisches eine Verbindung mit dem unsichtbaren Reich der Geister herzustellen. Diese ihre Kraft ist auf mich übergegangen, und nach ihrem Tode habe ich es versucht, wie sie die Geister sprechen zu lassen, — es ist mir in vielen Fällen gelungen, und ich hoffe, daß es mir auch Euer Majestät gegenüber gelingen wird.“

„So beginnen wir,“ sagte der Kaiser.

Pietri stellte zwei Stühle einander gegenüber an den kleinen Tisch.

Mademoiselle Lesueur setzte sich auf den einen, zog ihre Handschuhe aus, — legte die Spitzen ihrer zierlichen Finger leicht auf die Tischplatte und sagte:

„Wollen Euer Majestät die Gnade haben, mir gegenüber Platz zu nehmen.“

Der Kaiser setzte sich mit einem fast unwillkürlichen Lächeln an die andere Seite des Tisches.

„Ich bitte Euer Majestät,“ sagte Fräulein Lesueur, „Ihre Hände ebenso wie ich auf die Platte legen zu wollen.“

Der Kaiser that es.

Fräulein Lesueur schwieg einen Augenblick. Dann schlug sie ihre dunklen
Augen mit schwärmerischem Ausdruck empor und sprach mit halb lauter
Stimme:

„Allmächtiger, dreieiniger Gott, der Du herrschest auf der Erde, wie in den Höhen des Himmels und in den Tiefen der Hölle, ich bitte Dich den Geistern, die ich in Deinem Namen rufe, zu erlauben, daß sie aus ihren Wohnungen herabsteigen und auf meine Fragen antworten, zu verkündigen, was sie wissen und was Du ihnen erlaubst, zu sagen.“

Der Kaiser hörte ganz erstaunt diesen im Ton des inbrünstigen Gebets gesprochenen Worten zu.

„Befehlen Euer Majestät,“ sagte die junge Dame sodann, „daß ich einen bestimmten Geist rufen soll, oder wollen Sie den mir persönlich befreundeten Geist hören.“

Abermals konnte der Kaiser ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken.

„Ich bitte Sie zunächst Ihren Geist kommen zu lassen, Mademoiselle,“ sagte er.

„Es ist der Geist meiner Mutter,“ erwiderte Mademoiselle Lesueur, „und er wird sogleich erscheinen.“

Sie beugte sich ein wenig nieder und flüsterte eine unverständliche
Formel leise vor sich hin.

Wenige Augenblicke darauf begann der Tisch leise zu zittern.

Der Kaiser drückte die Hände stärker auf die Platte, allein die unruhige, beinahe wellenförmige Bewegung des Holzes vermehrte sich immer mehr und mehr. Nach kurzer Zeit hob sich der Tisch auf der Seite des Kaisers ein wenig in die Höhe und blieb in dieser schwebenden Stellung stehen.

„Der Geist ist da,“ sagte Mademoiselle Lesueur, „und bereit, Euer Majestät zu antworten. Ich bitte, Euer Majestät, zu fragen, — es ist aber nicht nöthig, daß Sie die Frage aussprechen, Sie können Sie in Gedanken stellen, die Geister haben die Kraft, die Gedanken zu lesen.“

Der Kaiser dachte einen Augenblick nach.

„Kann mir der Geist,“ fragte er, „den Namen nennen, an welchen ich in diesem Augenblick denke?“

„Wie heißt der Name?“ fragte Mademoiselle Lesueur mit gesenktem Haupt und leiser Stimme.

Der Tisch setzte sich sogleich in eine lebhafte Bewegung. Er schwankte einige Male stark hin und her, dann senkten sich die beiden erhobenen Füße desselben nieder, und in rascher Folge begann er scharf und vernehmbar auf das Parquet zu klopfen, immer nach einer gewissen Zahl von Schlägen inne haltend.

Mademoiselle Lesueur folgte aufmerksam diesen Schlägen, mit leiser
Stimme sagte sie: B-e-a-u-r-y.

„Der Name, an den Euer Majestät gedacht, heißt Beaury,“ sprach sie dann ruhig und bestimmt, den Blick fest auf den Kaiser richtend.

Napoleon zuckte zusammen, erschrocken blickte er in das lächelnde
Gesicht der jungen Dame.

„Sie haben Recht,“ sagte er, „der Geist hat den Namen richtig gelesen.“

Er bog sich einen Augenblick zurück und blickte unter den Tisch, dessen
Füße unmittelbar an der Platte befestigt waren.

Die vier Füße standen vollkommen frei, auf dem Boden, Mademoiselle Lesueur etwas vorgebeugt, saß so weit zurück, daß nicht einmal der Saum ihres Kleides die Füße des Tisches berührte.

Der Kaiser schüttelte den Kopf und legte die Hände wieder auf den Tisch.

„Da Ihr Geist,“ sagte er, „den Namen gelesen hat, an welchen ich gedacht, so wird er mir auch eine andere Frage beantworten können, welche sich an diesen Namen knüpft.“

„Ich bitte Euer Majestät,“ sagte Mademoiselle Lesueur, „die Frage in
Ihren Gedanken zu formuliren —“

Abermals begann der Tisch zu schwingen und zu zittern, diesmal stärker als vorher.

Nach kurzer Zeit schlugen die Füße abermals regelmäßig und schnell hinter einander auf das Parquet.

„Wollen Sie die Güte haben, zu schreiben,“ sagte Mademoiselle Lesueur, sich zu Pietri wendend, welcher schnell ein Blatt Papier und einen Bleistift nahm und die Buchstaben notirte, welche Mademoiselle Lesueur in schneller Folge ihm sagte.

Der Tisch hielt an.

„Wollen Sie die Antwort lesen,“ sagte die junge Dame, zu Herrn Pietri gewendet.

Pietri las.

„Der Kaiser wird ruhig im Kreise der Seinen sterben, keine Waffe weder in der Schlacht noch in der Hand des Meuchelmörders wird seinem Leben Gefahr bringen.“

„Diese Antwort paßt allerdings auf meine Frage,“ sagte der Kaiser, „aber sagt sie die Wahrheit?“

„Es steht Eurer Majestät frei, zu glauben oder nicht,“ erwiderte Mademoiselle Lesueur, „ich für meine Person bin davon überzeugt, daß die Geister die Wahrheit sagen, wenn sie sie kennen — sie sind nicht allwissend — das ist Gott allein — aber sie wissen viel, und namentlich ist ihnen die Macht gegeben, das Schicksal derer zu lesen, mit denen ihre körperliche Hülle einst durch die Bande des Blutes verbunden war.

„Noch eine Frage,“ sagte der Kaiser, „wer ist mein bester Freund?“

„Euer Majestät hätten nicht nöthig gehabt, die Frage auszusprechen,“ sagte Mademoiselle Lesueur.

Der Tisch begann seine Schwingungen, die Schläge ertönten auf dem Boden.

Mademoiselle Lesueur flüsterte die Buchstaben vor sich hin, dann sagte sie.

„Die Antwort des Geistes heißt: Napoleon.“

Der Kaiser ließ den Kopf auf die Brust sinken, in tiefem Schweigen saß er einen Augenblick da.

„Der Geist hat Rechte,“ sagte er halblaut, „Niemand ist der Freund eines Souverains, als er selbst, und aus mir allein muß ich die Entschlüsse schöpfen, in mir allein die Kraft suchen, zu erfüllen, was ich mir vorgesteckt.“

„Doch,“ rief er, indem er den brennend aus den Schleiern seiner Augenlider hervortretenden Blick auf Mademoiselle Lesueur richtete, „kann Ihr Geist mir sagen, wer mein größter und gefährlichster Feind ist?“

Abermals bewegte sich der Tisch und Mademoiselle Lesueur buchstabirte:

„Orleans.“

„Wunderbar,“ rief der Kaiser, indem er finster vor sich niederblickte. „Es ist, als ob der Geist in den schwarzen Gedanken lesen könnte, welche Tag und Nacht auf dem Grunde meiner Seele einher ziehen,“ flüsterte er leise vor sich hin. „Noch eins,“ fragte er dann laut, „kann mir Ihr Geist den Namen nennen, welcher bestimmt ist, die Stelle auszufüllen, über welche ich in diesem Augenblick nachdenke.“

Das Spiel des Tisches begann wieder, und Mademoiselle Lesueur sagte, die einzelnen Buchstaben verfolgend:

„Gramont.“

Betroffen zuckte der Kaiser zusammen.

„Sind Sie schon einmal hier in den Tuilerien gewesen,“ fragte er rasch. „Haben Sie irgend Jemand aus dem Schlosse gesprochen? Ich bitte Sie, mir die Wahrheit zu sagen, — die zu erfahren ich in jedem Fall im Stande bin,“ fügte er in strengem Tone hinzu.

„Ich war niemals hier im Schlosse,“ sagte Mademoiselle Lesueur mit offenem, freiem Blick und unbefangenem Lächeln, „ich habe Niemanden von hier jemals gesehen, bis dieser Herr hier,“ sie deutete auf Pietri, „heute zu mir kam und mich ersuchte, ihm hierher zu folgen.“

„Seltsam — sehr seltsam“ sagte der Kaiser, augenscheinlich tief bewegt durch die Antworten, welche er erhalten.

„Sie haben mir vorhin gesagt, sprach er dann — ein wenig zögernd, indem er die junge Dame scharf anblickte, daß die Geister besonders klar über das Schicksal derjenigen zu antworten im Stande sind, mit denen sie durch besonders nahe Bande verbunden sind?“ —

„So ist es, Sire,“ erwiderte Mademoiselle Lesueur. — „Der Geist meiner
Mutter sieht in allen Dingen, die mich betreffen, klarer als in den
Angelegenheiten über welche andere Personen Fragen stellen.“

„Können Sie einen Geist citiren,“ fragte der Kaiser, „den ich Ihnen bezeichnen würde.“

„Eure Majestät haben nicht nöthig, den Geist zu nennen,“ sagte Fräulein Lesueur, — „Sie dürfen nur Ihre Gedanken fest auf denselben richten, — das genügt.“

„Wie kann ich aber wissen, ob wirklich der Geist spricht, den ich zu hören wünsche,“ fragte der Kaiser.

„Eure Majestät werden nur nöthig haben, ihn nach seinem Namen zu fragen,“ erwiderte die junge Dame.

„So beginnen Sie,“ sagte der Kaiser, indem ein tiefer Ernst sich auf seine Züge legte.

„Erlauben Eure Majestät,“ sprach die junge Dame, „daß ich zunächst den
Geist, der Ihnen bisher geantwortet hat, entlasse.“

Sie beugte den Kopf nieder und flüsterte eine Zeitlang leise vor sich hin.

Der Tisch zitterte, hob und senkte sich in leiser Schwankung, — dann stellte er sich fest auf seine vier Füße.

„Nun Sire,“ sagte Fräulein Lesueur, „dann bitte ich Eure Majestät, Ihre Gedanken sehr scharf auf die Person zu richten, deren Geist Sie zu citiren wünschen.“

Der Kaiser nickte mit dem Kopf, immer tieferer Ernst erfüllte sein
Gesicht indem er die beiden Hände fest auf den Tisch legte.

Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel.

Einige Augenblicke herrschte eine so tiefe Stille im Zimmer, daß man den
Herzschlag der drei anwesenden Personen hätte hören können.

Da krachte es in dem Holz der Tischplatte, — diese Platte schien zu zucken, hoch richtete sich der Tisch auf der Seite des Kaisers empor und mit mächtigem hallenden Schlag sank er wieder auf das Parquet nieder.

Der Kaiser fuhr zusammen. Fast schien es als wolle er aufspringen und seinen Platz verlassen.

„Der Geist ist da und bereit Eurer Majestät zu antworten,“ sagte
Mademoiselle Lesueur in ruhigem Tone.

„Will der Geist mir seinen Namen sagen?“ fragte der Kaiser.

Der Tisch begann rasch sich zu bewegen, — er schlug auf das
Parquet — Mademoiselle Lesueur zählte, — und sagte dann sich gegen den
Kaiser verneigend:

„Der Geist antwortet:

„Napoleon.“

Die Bewegung, welche der Kaiser machte indem er den Kopf auf die Brust sinken ließ, war fast eine ehrfurchtsvolle Verneigung.

Er schwieg einige Augenblicke, während Fräulein Lesueur ihn mit ihren klaren Augen erwartungsvoll anblickte.

„Will der Geist, wenn er hier anwesend ist, mir eine Frage beantworten?“ sagte er dann mit einer beinahe demüthigen Stimme.

Der Tisch begann sich schnell zu bewegen.

„Schreiben Sie, mein Herr,“ sagte Mademoiselle Lesueur zu Herrn Pietri
gewendet, und dieser nahm schnell Bleistift und Papier, um die
Buchstaben zu notiren, welche Mademoiselle Lesueur in rascher
Reihenfolge ihm nannte.

„Die Antwort?“ rief der Kaiser, als der Tisch mit einem starken Schlage seine Bewegung beendete.

Herr Pietri las:

„Mir ist nicht vergönnt, auf einzelne kleine Fragen zu antworten; — wer auf dem Throne von Frankreich sitzt und Napoleon heißt, der sollte nicht mit vorsichtiger Neugier einzelne Blicke hinter den Schleier zu werfen suchen, welcher die Zukunft verhüllt, — er sollte mit kühner Hand diesen Schleier selbst heben, indem er die Zukunft sich nach seinem Willen zu gestalten zwingt. Denn dem festen und klaren Willen gehört die Zukunft; aber frage, — ich werde antworten, soweit es mir erlaubt ist, — wenn Deine Fragen das Schicksal des Hauses betreffen, das meinen Namen trägt, und wenn Du keine einzelnen und besonderen Dinge zu wissen verlangst.“

Pietri schwieg.

Der Kaiser starrte einen Augenblick vor sich hin, — brennend richtete sich sein Blick in das Leere, — er schien nach einer sichtbaren Spur des Geistes zu forschen, dessen Worte ihm dieses ruhige und freundlich lächelnde junge Mädchen verdollmetschte.

Dann beugte er sich vor, blickte Mademoiselle Lesueur durchdringend an und öffnete die Lippen.

„Ich bitte Eure Majestät, sich erinnern zu wollen,“ sagte die junge
Dame, „daß es nicht erforderlich ist, die Frage laut zu stellen, — der
Geist kann Ihre Gedanken lesen.“

„Gut denn,“ sagte der Kaiser, — „ich frage.“

Und schweigend blickte er voll Spannung auf den Tisch, welcher sich unter seinen Händen zu bewegen begann.

Fräulein Lesueur nannte diesmal schneller als sonst die
Buchstaben — Pietri schrieb.

„Napoleon IV wird Kaiser der Franzosen sein, — er wird neuen Ruhm und neuen Glanz an den Namen knüpfen, den er trägt.“

Der Kaiser athmete tief auf. Es leuchtete wie ein dankbares Gebet aus seinen Augen, die er mit unbeschreiblich glücklichem Ausdruck emporschlug.

Dann rief er mit dumpfem Ton, wie aus den Tiefen seiner Brust heraus:

„O könnte ich wissen, ob dies die Wahrheit ist.“

Der Tisch zuckte — er hob sich hoch empor und schlug zweimal schallend auf den Boden.

„Es ist die Wahrheit Sire,“ sagte Mademoiselle Lesueur ernst und überzeugungsvoll.

„Werde ich die Armeen Frankreichs noch einmal zum Kriege führen müssen?“ fragte der Kaiser schnell.

Der Tisch schlug abermals laut und fest auf.

„Der Geist bejaht die Frage Eurer Majestät,“ sagte die junge Dame.

„Und welches wird das Schicksal dieses Krieges sein?“ fragte der Kaiser in athemloser Spannung.

Einige Augenblicke vergingen, — dann bewegte sich der Tisch wieder, — Pietri schrieb die Buchstaben nieder welche Mademoiselle Lesueur ihm angab.

„Wie heißt die Antwort?“ rief der Kaiser, welcher vergebens versucht hatte, den schnell gesprochenen Buchstaben zu folgen.

Pietri las:

„Ave Caesar, morituri te salutant!“

Napoleon erbleichte und drückte die Hände an die Stirn.

„Was ist der Sinn der dunkeln Antwort?“ flüsterte er vor sich hin — und schnell sich aufrichtend fragte er mit lauter dringender Stimme:

„Wird der Todesgruß der Sterbenden dem siegreichen Cäsar ertönen?“

Mehrere Minuten vergingen, — der Tisch blieb unbeweglich.

„Der Geist antwortet nicht mehr,“ sagte Mademoiselle Lesueur, — „es würde vergeblich sein, ihn weiter zu fragen. — Erlauben Eure Majestät, daß ich ihm danke und ihn entlasse?“

Der Kaiser neigte tief sinnend das Haupt.

Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel, — der Kaiser faltete die
Hände in andächtigem Schweigen.

„Wünschen Eure Majestät noch eine weitere Citation?“ fragte die junge
Dame.

„Ich danke Ihnen, mein Fräulein,“ erwiderte Napoleon aufstehend, indem sein Gesicht wieder seinen gewöhnlichen ruhigen Ausdruck annahm. — „Ihr Experiment hat mich in hohem Grade interessirt, — ich hatte viel von dem Spiritismus gehört, — aber noch nie einen Versuch gesehen, bei welchem so durchaus kein Apparat angewendet wurde,“ — fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu, das aber mehr verbindlich und artig als ironisch war.

Mademoiselle Lesueur hatte sich erhoben und verneigte sich tief bei den
Worten des Kaisers.

„Ich bin glücklich, Sire“ sagte sie, „daß Eure Majestät zufrieden sind, und hoffe, — oder vielmehr,“ — fügte sie mit sicherem Ausdruck hinzu, „ich bin gewiß, daß Alles Gute, was die Geister Eurer Majestät verkündet haben, sich erfüllen werde.“

„Alles Gute?“ sprach der Kaiser sinnend — „aber war es gut? — was war es? —

Morituri te salutant!“ flüsterte er leise.

Dann wendete er sich zu Pietri und blickte ihn fragend an.

Dieser reichte ihm ein kleines Etui.

Der Kaiser nahm es und sagte mit liebenswürdiger Freundlichkeit zu
Mademoiselle Lesueur:

„Erlauben Sie mir, mein Fräulein, Ihnen ein kleines Erinnerungszeichen an diese Stunde zu geben,“ — er öffnete das Etui ein wenig, — die Facetten eines schönen Solitärs funkelten farbenspielend im Licht der Lampe.

Mit der naiven Freude eines jungen Mädchens ergriff Fräulein Lesueur den Ring und indem sie das Regenbogenspiel der Lichtreflexe entzückt betrachtete, sagte sie:

„Ich werde Gott unablässig bitten, daß er alle seine guten Geister zum
Schutz Eurer Majestät und Frankreichs aussende.“

Sie verneigte sich tief vor dem Kaiser und zog sich von Pietri geleitet, der den kleinen Tisch forttrug, durch die Portiere zurück, durch welche sie in das Cabinet eingeführt worden war.

Napoleon ging in tiefem Sinnen auf und nieder.

„Giebt es einen Zusammenhang mit jener Welt der abgeschiedenen Geister,“ sprach er leise vor sich hin, — „und kann es ihnen erlaubt sein, auf irgend welche Weise uns Mittheilungen zu machen über das, was ihrem Blicke sich öffnet?

„Dieses junge Mädchen scheint aufrichtig von ihrer Sache überzeugt,“ sprach er gedankenvoll, — „ich wüßte nicht, wie sie den Tisch in Bewegung setzen könnte, — und wenn dieses Kind von kaum neunzehn Jahren aus sich selbst heraus die Antworten auf die Fragen construirt hat, die ich ihr stellte, so ist sie ein Phänomen an Menschenkenntniß und Geist! —

„Welch eine treffende Antwort, die mich selbst als meinen besten Freund bezeichnete, — und wie wahr — alles, was mir feindlich ist, in diesen einen Namen Orleans zusammenzufassen.“

Er ging langsam, die Hände auf dem Rücken gekreuzt auf und nieder.

„Und Drouyn de L'huys,“ sagte er kaum hörbar, — „er war der Freund dieser Orleans, — er ist es noch — kann jemand mein Freund sein — der zugleich der Freund meiner Feinde ist? — Gramont“ fuhr er fort, — „der Geist nannte Gramont als den künftigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, — Gramont war Legitimist, — die Legitimität hat keine Möglichkeit einer Zukunft, — sie ist eine fromme Erinnerung, — eine Erinnerung, vor der ich selbst hohe Achtung habe, an die ich anknüpfen, — deren edle Traditionen ich fortsetzen möchte. —

„Seltsam,“ rief er, — „sehr seltsam ist das Alles, — oder sollte auch hier eine Intrigue“ —

Pietri trat wieder ein.

Der Kaiser näherte sich ihm; dicht vor ihm stehen bleibend, legte er den
Arm auf seine Schulter und blickte ihn scharf und durchdringend in die
Augen.

„Pietri“ sagte er, — „haben Sie mit diesem jungen Mädchen über die Politik — über irgend Etwas gesprochen, was auf die gegenwärtige Lage bezug hat?“

„Sire,“ erwiderte Pietri in ernstem und traurigem Ton, — „Eure Majestät sind zum Mißtrauen gegen Jedermann berechtigt, fast verpflichtet, — dennoch schmerzt mich dasselbe, — ich schwöre Eurer Majestät,“ fuhr er fort, den Blick des Kaisers frei und offen erwidernd, „daß ich mit Fräulein Lesueur nichts Anderes gesprochen habe, als was nothwendig war, um den Auftrag Eurer Majestät auszurichten und sie hieher zu führen.“

„Und was denken Sie davon?“ fragte der Kaiser.

Pietri lächelte ein wenig.

„Ich denke, daß dieses junge Mädchen sehr viel Geist hat,“ erwiderte er, — „und daß sie manchen Diplomaten in der scharfen Erkenntniß der Verhältnisse beschämen würde.“

Der Kaiser schüttelte langsam den Kopf.

„Wie dunkel, wie mystisch die Antworten über meine Zukunft waren,“ sagte er. —

„Glauben denn Eure Majestät ernsthaft an solche Dinge?“ fragte Pietri.

„Denken Sie sich,“ erwiderte der Kaiser ernst, — „eine Welt von Blindgebornen, — würde nicht ein Sehender, der unter sie träte, der den Sinn besäße, der ihnen allen fehlte, Wunder unter ihnen verrichten, — würde er ihnen nicht als ein übernatürlicher Prophet erscheinen, — oder als ein Narr verlacht werden, — und das bloß weil er einen Sinn mehr hätte als sie und durch diesen Sinn eine Welt wahrnehmen könnte, welche da ist, welche die andern Alle umgiebt wie ihn, — welche aber ihrer Wahrnehmung sich entzieht, weil ihnen das Medium dazu fehlt. — Können denn nicht auch uns solche Welten umgeben, für welche unser Organismus keinen Sinn besitzt, — und ist es unmöglich, daß Einzelnen dieser Sinn gegeben ist, der sie das erblicken läßt, was uns verschlossen bleibt und was wir deshalb in selbstgenügsamer Beschränktheit für nicht vorhanden erklären?“ —

„Und wenn dem so wäre,“ sagte Pietri, — „Eure Majestät können mit der Perspective, welche Fräulein Lesueur geöffnet, zufrieden sein — Napoleon IV wird Kaiser der Franzosen sein — hat sie ihren Geist antworten lassen, — und“ sprach er mit herzlichem und aufrichtigem Tone, — „ich habe dazu nur den Wunsch hinzuzufügen, daß das recht spät und nach einer noch recht langen und glücklichen Regierung Eurer Majestät eintreten möge.“

„Nun,“ rief der Kaiser mit freudigem Ausdruck, — „wenn nur diese Verkündigung sich erfüllt, so will ich darauf verzichten, das Dunkel zu lichten, welches in den Antworten der Geister meine Zukunft verhüllt, — ein Fürst darf keine Person sein, — er ist ein Glied in einer großen Kette, welche die Epochen der fortschreitenden Weltgeschichte aneinander knüpft — ob, wann und wie ich untergehe, — was liegt daran, wenn nur meine Dynastie erhalten bleibt, um die Vergangenheit und die Zukunft Frankreichs mit einander zu verbinden.“

Er schwieg und blickte wie träumend vor sich hin.

„Gehen Sie zum Prinzen,“ sagte er dann, — „er soll seine Uniform anlegen und sich bereit halten, mich zu begleiten. Ich will die Kaiserin abholen, um jene braven Truppen zu besuchen, welche in den Galerien Wache halten und die Zukunft Frankreichs beschützen.“

Pietri eilte hinaus.

Der Kaiser ergriff das rothe goldgestickte Käppi der Generalsuniform, steckte den neben seinem Tische stehenden Degen an und ging, selbst die Thür öffnend, in das Vorzimmer.

Er nahm den Arm des Generals Castelnau, welcher hier, ebenfalls in der
Campagne-Uniform wartete, und schritt mit ihm nach den Appartements der
Kaiserin.

Am Eingang der Gemächer Ihrer Majestät öffnete der Huissier schnell die
Flügelthüren und eilte den Kaiser ankündigend durch die Vorzimmer in den
kleinen Salon, in welchem die Kaiserin mit der Baronin de Pierres, der
Vicomtesse Aguado und der Gräfin de la Poëze saß.

„Der Kaiser!“ rief der Huissier.

Die Damen standen auf, die Kaiserin ging ihrem Gemahl bis zur Eingangsthür des Salons entgegen, Napoleon küßte ihre Hand und grüßte die Damen verbindlich.

„Sie sind in militärischer Tenne,“ fragte Eugenie, erstaunt den Kaiser und den Grafen Castelnau anblickend, — „zu so später Stunde, — ist denn etwas Außergewöhnliches geschehen?“ fügte sie unruhig hinzu, — „sind die Unruhen in Paris bedenklicher geworden?“ „Seien Sie unbesorgt,“ erwiderte der Kaiser lächelnd, — „es ist nichts Besonderes geschehen, — aber die Truppen sind consignirt — und da muß auch der Kaiser der Consigne folgen und im Dienst sein, — außerdem wollte ich mit Ihnen und Louis die Voltigeurs der Garde besuchen, denen ich die Bewachung der Tuilerien und den Schutz des kaiserlichen Prinzen anvertraut habe.“

Die Kaiserin schlug freudig bewegt die Hände zusammen.

„Das ist ein vortrefflicher Gedanke,“ rief sie lebhaft, „je fester und lebendiger wir die Verbindung mit unseren Truppen erhalten, um so sicherer werden wir über alle unsere Feinde triumphiren. Ich bin sogleich bereit,“ sagte sie, indem sie sich schnell zu dem Tisch wendete und eine kleine, goldene Glocke bewegte, welche auf demselben stand.

Eine Kammerfrau trat ein.

Die Kaiserin warf einen raschen Blick auf einen großen Spiegel, welcher ihr fast ihre ganze Gestalt zeigte. Sie trug eine einfache Robe von blauer Seide.

„Bringen Sie mir eine weiße Mantille und ein rothes Band.“

Nach wenigen Augenblicken, während welcher der Kaiser sich mit den Damen seiner Gemahlin unterhielt, erschien die Kammerfrau wieder. Sie trug eine Mantille von weißem Atlas und ein breites schärpenartiges Band von rother Seide.

Die Kaiserin ließ die Mantille über ihre Schultern legen, näherte sich dann der Gräfin von Poëze und sagte:

„Wollen Sie die Güte haben, meine liebe Gräfin, mir aus diesem Bande eine große Schleife hier zu befestigen.“

Sie deutete mit dem Finger auf den Halsausschnitt ihrer Robe.

Die Gräfin von Poëze machte mit geschickter Hand eine breite Schleife mit langen herabhängenden Enden und befestigte sie dann auf der Robe der Kaiserin.

„Jetzt trage ich die Farben Frankreichs,“ rief Eugenie mit einem Blick auf den Spiegel, „lassen Sie uns gehen,“ fuhr sie zum Kaiser gewendet fort.

„Sie werden,“ sagte Napoleon, indem er seiner Gemahlin den Arm reichte, „diese Farben ebenso unwiderstehlich machen, wie es die Tapferkeit unserer Soldaten auf allen Schlachtfeldern gethan hat.“

Er ging langsam mit der Kaiserin durch das Vorzimmer und wandte sich nach dem Pavillon des kaiserlichen Prinzen; der Graf von Castelnau und die Damen folgten.

Im Vorzimmer seiner Wohnung erwartete der Prinz bereits mit dem General Frossard seine Eltern. Der Prinz trug die Uniform eines Souslieutenants, der General Frossord war ebenfalls in Uniform. Der kaiserliche Prinz trat auf die rechte Seite seines Vaters, der General Frossard schritt voraus und führte den Kaiser und die Kaiserin nach der unmittelbar an den Pavillon stoßenden Gallerie.

Als die Thüre derselben geöffnet wurde, bot sich ein wunderbar belebtes Schauspiel dar, — die weithin ausgedehnten Gallerien strahlten in hellster Beleuchtung, alle Kerzen auf den Lustres und Wandleuchtern brannten, der Marmor und die Vergoldungen glänzten, an den Wänden her standen kleine, mit weißen Leintüchern bedeckte Tische, auf welchen kalte Speisen und rothe und weiße Weine in geschliffenen Crystallcaraffen aufgestellt waren.

An diesen Tischen saßen die Voltigeurs der Garde in vollständiger Feldausrüstung, ihre Waffen neben sich, die Käppis auf den Köpfen, essend, trinkend und fröhlich plaudernd.

In gewissen Zwischenräumen befanden sich kleinere elegant servirte
Tische, an welchen die Officiere soupirten.

Als die große Eingangsthür sich öffnete, und im Rahmen derselben der Kaiser, die Kaiserin und der kaiserliche Prinz erschienen, erhoben sich die langen Reihen der Soldaten. Die Officiere eilten rasch heran und im lauten, einstimmigen Rufen begrüßte diese Elite-Truppe den Kaiser.

Napoleon erhob dankend die Hand, die Kaiserin neigte grüßend das Haupt nach allen Seiten, indem ihr strahlender Blick freudig und stolz über diese muthigen und begeisterten Soldaten hinglitt. Der kaiserliche Prinz hielt sein Käppi in der Hand und verneigte sich ehrerbietig gegen den Commandeur des Regiments, welcher herantrat, um dem Kaiser zu melden, das alle Wachen nach seinen Befehlen bezogen worden seien.

„Lassen Sie die Leute häufig ablösen,“ sagte der Kaiser, „damit ihnen der Dienst nicht zu schwer wird und damit sie Gelegenheit finden, sich hier im Kreise ihrer Kameraden wieder zu erfrischen.“

Er trat an den nächsten Tisch, ergriff eines der dort stehenden Gläser, füllte es aus einer Crystallcaraffe mit rothem Wein und rief mit lauter Stimme:

„Ich trinke auf das Wohl meiner Voltigeurs, auf das Wohl der Garde, auf das Wohl der ganzen Armee, welche die Blüthe des französischen Volkes ist!“ In raschen Zügen leerte er das Glas bis auf den letzten Tropfen.

„Es lebe der Kaiser. Es lebe der kaiserliche Prinz!“ brauste ihm der Ruf der Soldaten entgegen.

„Ich danke Euch, meine Tapferen,“ sagte der Kaiser, als nach einigen Minuten die Rufe der nahe herandrängenden Soldaten verstummt waren, „ich kenne Eure Ergebenheit für mich, ich weiß, daß Ihr gegen jeden Feind Frankreich und das Kaiserreich vertheidigen werdet. Frankreich und das Kaiserreich,“ fügte er hinzu, der Kaiserin die Hand reichend, „deren edle und ruhmvolle Farben meine Gemahlin, die Mutter des kaiserlichen Prinzen, Eures Kameraden trägt.“

„Es lebe die Kaiserin!“ riefen die Officiere, und die Soldaten stimmten in den Ruf ein.

Dann gab Napoleon seiner Gemahlin wieder den Arm, die Officiere schlossen sich dem Gefolge an und umringten den kaiserlichen Prinzen, der ganz stolz und freudig in ihrer Mitte dahinschritt. Und so bewegte sich der Zug langsam durch die weiten Gallerien hin, — oft blieb der Kaiser stehen und redete diesen oder jenen mit der Tapferkeitsmedaille und dem Orden der Ehrenlegion decorirten Soldaten an, ihn fragend, wo er diese Ehrenzeichen erworben habe, und mit liebenswürdigster Geduld den zuweilen etwas breiten und ausführlichen Erzählungen der Soldaten zuhörend. Fast eine Stunde dauerte der Umgang durch die Gallerien, immer fester wurde der Schritt des Kaisers, immer stolzer sein Blick, immer willenskräftiger der Ausdruck seiner Gesichtszüge. Dicht umdrängt von den Soldaten, grüßte er endlich am Eingang der Gallerie noch einmal.

Ein gewaltiges Vive l'Empereur durchzitterte die weiten Räume, die
Officiere verabschiedeten sich vom Kaiser, die Thüren schlossen sich,
Napoleon entließ den kaiserlichen Prinzen, welcher sich mit dem General
Frossard in seine Wohnung zurückzog, und führte dann die Kaiserin nach
ihren Appartements zurück.

„Wenn Marie Antoinette es verstanden hätte,“ sagte die Kaiserin leise zu ihrem Gemahl, „die Begeisterung der Soldaten zu erhalten und zu benutzen, so hätte sie niemals den dornenvollen Weg vom Thron zum Schaffot zu gehen nöthig gehabt.“

„Man muß aus den Beispielen der Geschichte lernen,“ erwiderte der Kaiser, „und die Fehler vermeiden, welche unsere Vorgänger begangen haben.“

Am Eingang der Appartements der Kaiserin küßte er seiner Gemahlin die
Hand, grüßte mit artiger Verbeugung die Damen und begab sich mit dem
General Castelnau nach seinem Cabinet zurück.

Als er dort angekommen war, rief er Pietri.

Der Geheimsecretair trat schnell durch die Portiere, welche der Kaiser erhoben hatte, in das Cabinet ein.

Napoleon ging einige Augenblicke nachdenkend auf und nieder.

„Schreiben Sie sogleich an Gramont,“ sagte er dann, „sagen Sie ihm in kurzen Worten, daß ich entschlossen sei, ihm das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zu übertragen, und daß ich ihn bitte, sogleich hierher zu kommen. Ich wünsche, daß er vor seiner Abreise sich noch ausführlich und definitiv mit dem Grafen Beust unterhalte und dessen Anschauungen über die verschiedenen Fragen und Eventualitäten der europäischen Politik möglichst bestimmt constatire.“

Pietri verneigte sich.

„Eure Majestät sind also entschlossen?“ fragte er.

„Ich bin entschlossen,“ erwiderte der Kaiser, — „legen Sie mir morgen
früh den Brief zur Unterschrift vor, — jetzt will ich ruhen. Wenn irgend
Etwas Außergewöhnliches in Paris vorfällt, soll man mich rufen. Gute
Nacht,“ sagte er freundlich, indem er Pietri die Hand reichte.

Dann bewegte er die Glocke.

Sein Kammerdiener trat ein, folgte dem Kaiser, welcher sich in sein
Schlafzimmer begab.

Drittes Capitel.

Der junge Cappei hatte sich in den ersten Tagen seines Aufenthalts im Hause seines Oheims zu Bodenfeld ganz den Erinnerungen seiner Jugend hingegeben, welche diese Umgebung so lebhaft in ihm erweckte. Er hatte in liebevoller Pietät alle die Orte besucht, welche in dem Leben seiner Kindheit vorzugsweise bedeutungsvoll gewesen waren, und war erstaunt gewesen, wie klein und einfach ihm diese Plätze alle erschienen, die doch in den Bildern seiner Erinnerung so groß und so schön gewesen waren. Dennoch aber hatten alle diese Orte auch jetzt noch ihren Zauber auf ihn ausgeübt, sie hatten die Empfindungen wieder erregt, welche seine kindliche Seele einst erfüllten, und welche, wenn sie nach langer Abwesenheit und selbst im hohen Alter wieder geweckt werden, immer ihre wunderbare und unvergängliche Jugendfrische behalten.

Er hatte einzelne seiner alten Gespielen besucht und war der Gegenstand der Neugier des ganzen Dorfes gewesen, denn die hannöversche Legion in Frankreich, von welcher man so wenig regelmäßige und bestimmte Nachrichten erhielt, war in den Vorstellungen dieser einfachen Bauern fast zu einer Mythe geworden, von der nur geheimnißvolle und beinahe märchenhafte Nachrichten herüber gedrungen waren, über welche man nun von dem in Fleisch und Blut hier erschienenen Mitgliede der Legion Näheres zu hören hoffte.

Cappei war sehr zurückhaltend und vorsichtig in seinen Aeußerungen gewesen und hatte nur das Eine bestimmt bestätigt, daß Alles zu Ende und die Sache des Königs nunmehr ein für allemal aufgegeben sei. Eine Mittheilung, welche bei den Meisten zwar eine gewisse wehmüthige Trauer, doch aber auch zu gleicher Zeit ein Gefühl der Beruhigung verursachte, denn die das Land durchziehenden Agitatoren hatten selbst in den Kreisen dieser einfachen Landbevölkerung eine unbehagliche Unsicherheit erzeugt und den Wunsch hervorgerufen, daß so oder so nun einmal ein Ende werden möge, damit man wisse, woran man sei.

Der junge Cappei war mit seinem Oheim dann auf das Feld hinausgegangen, hatte sich von dem vortrefflichen Zustande der Felder überzeugt und gesehen, daß in den Zeiten seiner Abwesenheit die Wirthschaft bedeutende Fortschritte gemacht und das Besitzthum einen erhöhten Werth erhalten habe.

Abends hatte er sich dann zu seiner Mutter und den alten Bauern hingesetzt und ihnen, die nicht müde wurden, zuzuhören, immer von Neuem von dem Leben in Frankreich erzählt — von dem Leben der Offiziere in Paris, wo er einige Male gewesen war, von dem Leben auf dem Lande, von den französischen Soldaten, von der französischen Feldwirthschaft. Und immer hatte er bei diesen Erzählungen den einen Punkt umgangen, der sein Herz erfüllte, der die Neugier seiner Mutter erregte und von dem sein Oheim in seinem einfachen practischen Sinn nicht das Geringste bemerkte. Dennoch beschäftigte gerade dieser Punkt den jungen Mann auf das Lebhafteste und versetzte sein ganzes inneres Wesen in eine peinliche und schwankende Unruhe.

Er hatte sich gleich am Tage nach seiner Ankunft unter dem Vorwande sich nach Mittag auszuruhen, in seinem Zimmer eingeschlossen und mit großer Mühe einen nicht immer ganz orthographisch gehaltenen Brief an Fräulein Luise Challier geschrieben, um ihr seine glückliche Ankunft in der Heimath anzuzeigen und ihr zu sagen, daß er mit aller Liebe seines Herzens ihrer gedächte und mit heißer Sehnsucht den Tag erwarte, an welchem er nach Ordnung seiner Angelegenheiten zu ihr zurückkehren würde.

Konnte er sich auch ganz geläufig mündlich in französischer Sprache ausdrücken, so fand er seinen Brief, als er ihn geschrieben hatte, dennoch sehr ungenügend, sehr kalt und steif, indeß er hoffte, daß seine Geliebte zwischen den Zeilen das Alles lesen würde, was der Mangel an Gewandtheit des Ausdrucks ihn zu sagen verhinderte. Er hatte diese Hoffnung in einem Postscriptum ausgesprochen, dann seinen Brief sorgfältig verschlossen und sich am Abend mit einiger Mühe von seinem Oheim und seiner Mutter entfernt, um den Brief in den Kasten der Landpostexpedition zu werfen, welcher sich an dem Hause des Gewürzkrämers des Dorfes befand, wobei er zu seinem Verdruß von mehreren Bekannten aufgehalten und beobachtet wurde.

Von einem Tage zum andern hatte er sich dann vorgenommen, über seine Liebe und seine Zukunft zunächst mit seiner Mutter und dann mit seinem Oheim zu sprechen. Indeß immer wieder war er nicht dazu gekommen, immer wieder waren die Worte auf seinen Lippen stecken geblieben, obgleich er doch sonst nicht zu denen gehörte, welche sich scheuen, das auszusprechen, was sie für nothwendig und richtig erkannt haben. Aber er fühlte in seinem Innern einen Widerspruch streitender Empfindungen und sagte sich, daß das, was ihn schmerzlich und peinlich bewegte, seiner Mutter und seinem Oheim noch viel mehr Kummer bereiten müßte.

Die alte Heimath, diese Erde, auf der er erwachsen war, dieses Haus, dieser Garten, diese Felder, um welche sich alle seine Erinnerungen rankten, zogen ihn mit unwiderstehlicher Macht an sich und schmerzlich schnürte sich sein Herz bei dem Gedanken zusammen, daß er hierher zurückgekehrt sei, nur um das Alles wieder zu verlassen. Es war, als ob jeder Baum, jede Blume ihn mit stillem Vorwurf anblickte, daß er dies ihm bestimmte Besitzthum, an welches sein Oheim, um es ihm reicher und blühender zu hinterlassen, so viel Mühe und Fleiß gewendet habe, fremden Händen überlassen solle, um im fernen Lande eine neue Heimath zu suchen.

Auf der andern Seite fühlte er in der Entfernung noch lebhafter und mächtiger die Macht der Liebe, welche ihn zu dem jungen Mädchen hinzog, dessen Umgang seine Verbannung so freundlich verklärt hatte; — wenn er die Augen schloß, so sah er ihr Bild vor sich in lebendiger Frische, er sah ihren seelenvollen Blick, es schien ihm, daß sie die Arme sehnsüchtig nach ihm ausstreckte und ihn fragte, wann er zu ihr zurückkehren werde, um sie nicht mehr zu verlassen.

Dieser Kampf zwischen der Anhänglichkeit an die Heimath und die Liebe seines Herzens, der sich in seinem Innern bereits so schmerzlich fühlbar machte, mußte ja viel heftiger und peinlicher die Seele seiner Mutter bewegen, wenn sie erfahren würde, was mit ihrem Sohn vorgegangen und was für Zukunftspläne er in sich trüge; und erst sein Oheim, der alte Mann mit dem eigenwilligen Bauernsinn, der so fest mit der Scholle verwachsen war, auf welcher er geboren, die er gepflegt und gehütet und welche ihm so reiche und dankbare Frucht für seine Mühe und Arbeit gegeben hat. Was würde er sagen bei dem Gedanken seines Neffen, dies Besitzthum, das ein Theil seines Selbst war, zu verlassen und in der Fremde sich eine Existenz zu gründen. Die Grundlage der ganzen Lebensfassung des alten Bauern war. „Bleibe im Lande und nähre Dich redlich“ — schon der Gedanke, eine Fremde, welche die Sprache der Heimath nicht verstände, als Hausfrau in diesen Bauernhof einziehen zu sehen, mußte dem Gefühl des alten Bauern widersprechen. Was aber sollte er erst sagen, wenn er erführe, daß sein Neffe, den er mit so viel Stolz und Liebe wieder in den wirtschaftlichen Betrieb einführte, nun um nimmer wiederzukehren, abermals in die weite Welt hinausziehen wolle.

Alle diese Gedanken versetzten den jungen Mann in eine fieberhafte Unruhe. Er mußte Klarheit in die Verhältnisse bringen, er mußte das entscheidende Wort sprechen, und doch wußte er, daß dieses Wort die beiden Menschen, welche ihm durch die nächsten Bande auf Erden verknüpft waren, mit Schmerz und Bekümmerniß erfüllen würde.

So hatte er von einem Tage zum andern die Erklärung hinausgeschoben. Seine peinliche Unruhe war noch vermehrt worden, als die Zeit vorübergegangen war, in welcher er eine Antwort auf seinen Brief an seine Geliebte erwarten konnte, ohne daß eine solche eingetroffen wäre. Mit zitternder Ungeduld sah er dem Landbriefträger entgegen, wenn derselbe erschien, um die wenig zahlreichen Postsendungen an die Einwohner des Dorfes zu vertheilen. Einige Male hatte er es über sich vermocht, denselben zu fragen, ob er nichts für ihn habe, aber immer hatte er eine verneinende Antwort erhalten und in quälender Sorge, in einer steigenden bangen Unruhe fragte er sich, welches der Grund dieses unerklärlichen Schweigens seiner Geliebten sein könnte, die doch so fest versprochen hatte, ihm sogleich zu schreiben, sobald er sie von seiner Ankunft in der Heimath benachrichtigt haben würde. Endlich konnte er diesen Zustand widerstreitender Gefühle und quälender Sorge und Unruhe nicht länger ertragen.

Seine Mutter hatte ihn bereits mehrere Male mit freundlicher Theilnahme gefragt, was ihm fehle und ihn gebeten, es ihr zu sagen, wenn ihn ein Kummer bedrücke, — er hatte zum zweiten und dritten Male an Luise geschrieben, sie beschworen, ihm zu antworten oder durch ihren Vater ihm mitteilen zu lassen, wenn sie krank sei, — aber immer erfolglos. Der alte Briefträger hatte nur immer dieselbe Antwort auf seine Fragen, — daß nichts für ihn angekommen sei.

Eines Morgens war sein Oheim allein auf das Feld gegangen, er war unter dem Vorwand einer notwendigen häuslichen Arbeit zu Hause zurückgeblieben, — fast ängstlich, mit ähnlichen Gefühlen, wie einst als Knabe, wenn er irgend einen Fehltritt einzugestehen hatte, trat er in das Wohnzimmer, setzte sich neben den Lehnstuhl seiner Mutter und ergriff die Hand der alten Frau, indem er ihr halb fragend, halb bittend in die Augen sah, die Worte suchend, um die Gefühle seines unruhigen, gedrückten Herzens auszusprechen.

Die alte Frau sah ihren Sohn freundlich und liebevoll mit ihren großen, klaren Augen an. Sie hatte ruhig gewartet, sie wußte, daß der Tag kommen mußte, an welchem sein Herz sich seiner Mutter öffnen würde, die Stunde war da, sie war bereit, ihn anzuhören und sein Vertrauen mit all der selbstlosen Liebe zu erwidern, an welcher das mütterliche Herz so unerschöpflich reich ist.

„Meine Mutter,“ sagte der junge Mann mit leicht zitternder Stimme, „ich bin überaus glücklich gewesen, daß ich Sie und den Oheim, unser Dorf und das alte Haus wiedergesehen habe.“

Er hielt einen Augenblick inne.

„Und wir nicht minder, mein Sohn,“ sagte die alte Frau, „daß wir Dich nach so langer Trennung hier wieder bei uns haben.“

Der junge Cappei schwieg einige Augenblicke, indem er sanft die welke
Hand der alten Frau streichelte.

„Ich bin aber doch,“ sagte er dann, „nicht glücklich, wie ich es sonst bei Euch war, ich bin unruhig und habe lange die Gelegenheit gesucht, mit Euch allein zu sprechen, denn ich muß Euch Alles sagen, bevor ich mit dem Oheim darüber rede, der gleich so heftig und aufbrausend ist.“

Die alte Frau sah ihn mit glänzenden, liebevollen Blicken an, sie fühlte, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, in welchem das Räthsel sich lösen müsse, sie sah die Befangenheit ihres Sohnes mit dem feinen Tact, welcher das Eigenthum der Frauen aller Stände ist, — sie mußte ihm entgegenkommen.

„Du hast liebe Freunde in Frankreich zurückgelassen?“ sagte sie.

„Ach ja, Mutter,“ erwiderte er, „sehr liebe Freunde, sie sind Alle immer so gut gegen mich gewesen, und es wurde mir recht schwer, mich von ihnen zu trennen,“ fügte er seufzend hinzu.

„Sind es bloß Deine Freunde,“ fragte die Alte mit einem freundlichen, beinahe neckischen Lächeln, „oder hast Du auch Dein Herz dort gelassen, hast Du eine Geliebte in dem fernen Lande gefunden, — Du der Du hier so gleichgültig gegen die hübschesten Mädchen unseres Dorfes warst?“

Und mit mütterlichem Stolz strich sie das Haar aus der erröthenden Stirn ihres Sohnes, der halb verlegen, halb glücklich darüber, daß seine Mutter ihm auf halbem Wege entgegenkam, zu ihr aufsah.

„Ja,“ rief er, indem er ihre Hand so heftig drückte, daß sie leise zusammenzuckte, „ja, ich habe dort eine Geliebte gefunden, sie ist so gut und so treu, wie nur irgend ein Mädchen aus der Heimath es sein kann und dabei ist sie doch so anders wie sie hier sind. Und so schön, Mutter, oh, so schön,“ rief er schnell aufbringend, die alte Frau stürmisch umarmend, „so schön, wenn Sie sie sehen würden, Sie würden sie auch lieben, und sie ist so sanft, sie würde Ihnen eine zärtliche und gehorsame Tochter sein, — sie, die selbst keine Mutter mehr hat, bei ihrem Vater aufgewachsen ist, die leitende Hand der Mutter schmerzlich entbehrend, wie sie mir so oft gesagt hat.“

Die alte Frau ordnete die Bänder ihrer Haube, welche durch die stürmische Umarmung ihres Sohnes etwas zerknittert waren. Mit freundlichem, zufriedenem Schmunzeln sah sie den glühend erregten jungen Mann an und sagte:

„Nun das ist ja eine gute Nachricht, und ich begreife nicht, warum Du mir das nicht früher mitgetheilt hast; Du bist ja längst in dem Alter, Dich zu verheirathen, Du kannst eine Frau ernähren, — daß Deine Wahl auf keine Unwürdige gefallen, davon bin ich überzeugt. Ich werde älter und älter, und der Hof hier bedarf einer jungen und rüstigen Hausfrau.“

Ihr Sohn blickte trübe zu Boden.

„Das ist es ja eben, Mutter,“ sagte er mit leiser Stimme, „was mir so viele Sorge gemacht und mir so lange den Mund verschlossen hat. Ich weiß, wie Sie und namentlich der Oheim an dem Hof und an der Heimath hängen und nun — sehen Sie, meine Braut hängt eben so sehr an ihrer Heimath, sie ist die einzige Tochter ihres Vaters, die Erbin seines Geschäfts, eines großen Holzhandels, und sie wünscht so dringend, daß ich zu ihr nach Frankreich kommen möchte, um dort das Geschäft ihres Vaters zu übernehmen und fortzuführen, — ich habe ihr das auch versprochen,“ fuhr er ohne aufzublicken fort, — „als ich bei ihr war, schien mir das so leicht, und nun ich wieder hierher gekommen bin, nun ich wieder unter Euch lebe, nun ich wieder den alten Garten und die alten Felder sehe, da fühle ich,“ sagte er mit zitternder Stimme, „wie schwer es Ihnen werden müßte, mit mir fortzuziehen in ein fremdes Land oder hier zu bleiben, — durch weite Entfernungen von mir getrennt.“

Die Alte sah einen Augenblick schmerzlich bewegt vor sich nieder, sie strich langsam die Falten ihrer weißen Schürze glatt, als wolle sie ihre Gedanken und Gefühle ordnen und glätten wie diese Falten. Dann legte sich ein heiteres und ruhiges Lächeln um ihre Lippen, freundlich, beinahe stolz und glücklich sah sie ihren Sohn an und sagte.

„Gott fügt die Schicksale der Menschen nach seinem Wohlgefallen und hat schon Manchen aus dem Lande seiner Väter fort geführt, um ihn sein Glück in der Ferne finden zu lassen. Es steht geschrieben, daß der Mann Vater und Mutter verlassen wird, um seinem Weibe zu folgen, zu dem sein Herz ihn hinzieht, aber,“ fuhr sie fort, ihm die Hand reichend, „Deine Mutter wird ihren Sohn nicht verlassen, und wenn Du eine alte schwache Frau mit Dir nehmen willst, die wenn sie nichts mehr für Dich thun kann doch Tag und Nacht für Dein Glück beten wird, so bin ich bereit, mit Dir in die Ferne zu ziehen, da wo Du glücklich bist, wo Du Deine Heimath findest, da werde ich auch in fremder Erde sanft ruhen. Gott segne Dich, mein Sohn, und Diejenige, zu welcher Dein Herz Dich hinzieht.“

„Oh, Mutter,“ rief der junge Mann, indem er zu den Füßen der alten Frau auf die Knie niedersank und wie in der fernen glücklichen Kinderzeit sein Haupt auf ihren Schooß legte, „wie danke ich Ihnen für dieses Wort, das eine schwere, schwere Last von meinem Herzen nimmt.“

Einige Augenblicke blieb er so schweigend und unbeweglich, während sie mit den welken, zitternden Händen über sein volles Haar hinstrich. Dann erhob er den Kopf und sah sie sorgenvoll und fragend an.

„Aber der Oheim,“ fragte er, „was wird er dazu sagen?“

„Das wird einen harten, schweren Kampf kosten,“ sagte die alte Frau, den Kopf schüttelnd, „er wird sich so leicht nicht von hier trennen und so leicht auch nicht damit einverstanden sein, daß Du die alte Heimath verläßst — aber,“ sagte sie dann lächelnd nach einigen Augenblicken des Nachdenkens, „der Oheim hat ein gutes, weiches Herz, er liebt Dich wie seinen eigenen Sohn, und wenn er sich überzeugt, daß diese Verbindung Dein Glück ist, so wird auch er zuletzt seine Zustimmung nicht versagen. Laß mich das nur machen, sage Du ihm nichts, ich verstehe ihn zu behandeln, wenn er sieht, das es Dein Ernst ist, so wird er die Reise nicht scheuen, um sich selbst von Allem zu überzeugen, und wenn sich Alles gut fügt, so könnt Ihr ihn ja jedes Jahr hier besuchen, so lange er noch die Kraft hat, seine Wirtschaft zu führen — wer weiß, ob er sich dann nicht auch entschließt, die Menschen und die lebendige Liebe seiner Kinder höher zu stellen, als dieses Haus, und diesen Hof. Wenn er auch Alles äußerlich ruhig hinnimmt und wenig spricht, so weiß ich doch, daß die neuen Verhältnisse hier im Lande ihm wehe thun und ihm den Aufenthalt hier verleiden. Ueberlaß das der Zeit, mein Sohn, und dem lieben Gott, der Alles nach seiner Weisheit fügen wird. Zuerst aber laß mich die Sache dem Oheim mittheilen, ich werde den ersten Sturm seiner Heftigkeit schon auszuhalten wissen.“

„Doch nun, Mutter,“ sagte der junge Mann, indem ein Ausdruck tiefer Traurigkeit auf seinem Gesicht erschien, „muß ich Euch noch etwas sagen, das mir vielen Kummer macht, so große Hoffnungen mir auch Eure liebevollen und freundlichen Worte gegeben haben, — ich habe,“ fuhr er fort, „gleich nach meiner Ankunft hier an meine Braut geschrieben, — ich habe nochmal und nochmal geschrieben, aber bis jetzt habe ich keine Antwort erhalten, — und sie muß doch wissen, wie sehr ich mich nach einem Lebenszeichen, nach einem Gruß von ihr sehne, und wäre es nur eine Zeile, nur ein Wort, das mir eine Botschaft ihrer Liebe brächte — aber nichts, gar nichts,“ — sagte er mit schmerzlich zitternder Stimme. „Was kann das bedeuten, ich habe sie gebeten, wenn sie krank wäre, mir durch ihren Vater Nachricht geben zu lassen, — ich weiß nicht, was ich davon sagen soll,“ fügte er traurig den Kopf schüttelnd hinzu.

„Bist Du der Liebe Deiner Erwählten ganz sicher,“ fragte die Alte, „kannst Du ihrer Treue und Beständigkeit vertrauen, — oder kannst Du Dir irgend eine Veranlassung denken, durch welche sie verhindert sein könnte, Dir Nachricht zu geben.“

„Oh,“ rief der junge Mann mit lauter Stimme, den Blick voll glühender Begeisterung auf seine Mutter richtend, „ich bin ihrer sicher, wie meiner selbst! Sie ist treu wie Gold, auf ihr Wort würde ich Häuser bauen. Auch kann keine äußere Veranlassung sie abhalten, — ich habe mit ihrem Vater gesprochen, er hat unserer Verbindung seinen Segen gegeben, sie konnte offen und ohne Scheu an mich schreiben und dennoch, dennoch,“ sagte er, wieder finster zu Boden blickend, „keine Nachricht trotz aller meiner Bitten, keine Antwort, — oh, es muß ein großes Unglück geschehen sein, sie muß sehr krank oder todt sein, und ihr Vater wagt es nicht, mir diese schmerzvolle Nachricht zu geben.“

„Sei ruhig, mein Sohn“ sagte die Alte, „bei einer so weiten Entfernung kann ja alles Mögliche geschehen, wie leicht kann ein Brief verloren gehen — Alles wird sich aufklären, — sei ruhig, — wenn Du sie kennst und ihres Herzens sicher bist, so darfst Du Dich nicht in unnützer Unruhe aufregen. Du hast ja jetzt mich, Deine Mutter, in deren Herz Du alle Deine Sorgen ausschütten kannst. Laß mich erst mit Deinem Oheim sprechen. Vielleicht,“ sagte sie, wie von einem Gedanken erfaßt, „erwartet ihr Vater erst die bestimmte Mittheilung von der Einwilligung Deiner Angehörigen, bevor er ihr erlaubt, zu schreiben, — ja, ja,“ sagte sie, „so wird es sein; und ich muß sagen,“ fuhr sie immer zuversichtlicher und heiterer fort, „ich würde ihrem Vater ganz Recht geben, — er weiß ja nichts von Deiner Familie, und Du hast ihm auch noch nicht sagen können, daß dieselbe mit Deiner Wahl einverstanden ist.“

„Ja“ sagte der junge Mann sinnend, „so könnte es sein — das wäre möglich“ — und wie getröstet durch den von seiner Mutter angeregten Gedanken, richtete er sich empor und ging einige Male im Zimmer auf und nieder.

„Ich will es Ihnen ganz überlassen, Mutter,“ sagte er dann, „mit dem Oheim zu sprechen. Ich weiß ja, Sie werden es viel besser und geschickter machen, als ich, — aber nun erlauben Sie mir auch, meiner Geliebten sogleich zu schreiben, daß Sie wenigstens mit meiner Wahl einverstanden sind. Und nicht wahr,“ fügte er schmeichelnd über das Gesicht der alten Frau streichelnd, hinzu, „Sie werden einige freundliche Worte unter meinen Brief schreiben — sie versteht zwar nicht deutsch, aber sie wird schon Jemanden finden, der ihr das übersetzt, und dann wird ihr Vater sehen, daß auch hier Alles in Ordnung ist, und wird ihr erlauben, mir zu antworten.“

Die alte Frau versprach ihm lächelnd, seiner Geliebten zu schreiben, und dann setzte er sich zu ihr und plauderte lange mit ihr, und er erzählte von seiner Geliebten, ihren schönen treuen Augen — ihrer süßen Stimme, von dem alten Hause in St. Dizier, von den kreidereichen Weinbergen der Champagne und von den grünen Ufern der Marne, — er malte ihr so glückliche freundliche Bilder der Zukunft aus, wie sie dort bei ihm leben würde, wie seine Luise sie pflegen und wie sie dann die kleinen Enkel hüten und erziehen würde, daß die alte Frau ganz selig und stolz sich mit ihm in diese lieblichen Zukunftsträume vertiefte.

* * * * *

Wieder waren dann mehrere Wochen vergangen, er hatte seinen Brief mit der Nachschrift seiner Mutter abgesendet.

Die Alte hatte dann mit ihrem Bruder über die Sache gesprochen. Es hatte einen großen Sturm gegeben. Der alte Niemeyer war einige Tage in finsterm Brüten schweigend einher gegangen, dann hatte er heftig gescholten über junge Leute, die auf Abenteuer hinauszögen in ferne Länder und den Sinn und die Liebe für die Heimath verlören, — der junge Cappei hatte, dem Rath und dem Wink seiner Mutter folgend, das Alles schweigend und ohne Erwiderung mit angehört; er hatte Abends die beiden alten Leute allein gelassen, und dann hatte seine Mutter in ihrer Weise mit ihrem Bruder gesprochen, sicher daß trotz seines Scheltens und Grollens ihre Worte den Weg zu seinem Herzen fanden. Endlich hatte er seinen Neffen gerufen, ihn ausführlich und scharf inquirirt über die Familie seiner Geliebten, über das Geschäft und Vermögen ihres Vaters, und die klaren, scharfen und bestimmten Antworten des jungen Mannes, welche ihm über das Alles so befriedigende Auskunft gaben, hatten augenscheinlich dazu beigetragen, ihn zu beruhigen und ihn die ganze Sache in einem freundlicheren und milderen Licht ansehen zu lassen.

Dann als nochmals einige Tage vergangen waren, hatte er allmählig angefangen, — wenn auch noch immer murrend und scheltend, — über die Zukunftspläne des jungen Mannes zu sprechen. Er hatte sogar die Absicht angedeutet, trotz seines Alters und seiner Schwerfälligkeit, die Reise nach Frankreich zu machen und mit dem alten Herrn Challier, vor dessen ausgedehntem Geschäft ihm die Mittheilungen seines Neffen einen großen Respect eingeflößt hatten, selbst über die Angelegenheit sich zu berathen.

So weit war Alles gut, und die alte Frau lebte und webte schon in dem
Gedanken an die glückliche Zukunft ihres Sohnes und ihrer künftigen
Schwiegertochter, welche sie bereits mit aller mütterlichen Zärtlichkeit
liebte, obgleich sie sie nie gesehen.

Aber der junge Cappei wurde immer ernster und trauriger, denn auch auf den Brief, welchen er mit der Unterschrift seiner Mutter abgesandt hatte, war keine Antwort erfolgt, und mit jedem Tage wurde die Qual des dumpfen Wartens angstvoller und peinlicher, und immer tiefer schnitten die mißtrauischen Fragen seines Oheims in sein von banger Unruhe gequältes Herz.

Endlich konnte er diesen Zustand nicht länger ertragen, und er kündigte den beiden alten Leuten seinen Entschluß an, selbst nach Frankreich zu reisen und den Grund dieses unerklärlichen Schweigens zu erforschen. Seine Mutter billigte den Entschluß, denn das Leiden ihres Sohnes erfüllte sie mit tiefem Mitgefühl, — auch der alte Niemeyer hatte nichts dagegen einzuwenden, sein practischer Sinn verlangte eine Abänderung dieses Zustandes der Ungewißheit, und im Stillen hoffte er, daß sein Neffe an Ort und Stelle irgend ein Hinderniß fände, welches diese Sache, die so störend in seinen Lebenskreis eintrat, ein für allemal beenden möchte.

Der junge Cappei traf also seine Vorbereitungen zur Abreise, welche nur in der Ordnung seines geringen Gepäcks bestanden und begab sich eines Morgens auf das Amtshaus, um der von ihm übernommenen Verpflichtung gemäß dort um die Erlaubniß zu seiner Reise nachzusuchen und sich einen Urlaubspaß zu erbitten.

Der Amtsverwalter empfing den jungen Mann sehr ernst und hörte schweigend sein Gesuch an.

„Sie wollen nach Frankreich gehen,“ sagte er — „welchen Zweck hat Ihre
Reise.“

Cappei zögerte einen Augenblick.

„Ich bitte Sie, ganz aufrichtig zu sein,“ sagte der Beamte, — „Sie befinden sich in einer besonderen Lage, und jede ausweichende Antwort könnte Ihnen nur nachtheilig sein.“

„Ich habe keinen Grund, meine Absicht zu verheimlichen,“ sagte der junge Mann — „ich habe eine Braut in Frankreich und wünsche dort die zu unserer Verbindung nöthigen Vorbereitungen persönlich zu besprechen.“

„Sie sind landwehrpflichtig,“ sagte der Amtsverwalter, „und es thut mir leid, daß ich im Hinblick auf ihre Vergangenheit Ihnen die nachgesuchte Erlaubniß nicht ertheilen kann.“

„Ich verspreche,“ sagte der junge Mann erbleichend, „meine Adresse hier zu lassen und jedem Ruf sofort Folge zu leisten. Auch wird ohnehin meine Abwesenheit nicht lange dauern, ich werde in spätestens vierzehn Tagen wieder hier sein.“

„Ich kann,“ erwiderte der Beamte, „auch trotz dieses Versprechens Ihnen die Erlaubniß zur Reise und einen Paß nicht geben, — jedenfalls nicht ohne höhere Genehmigung.“

Ein Ausdruck finsterer Entschlossenheit erschien auf dem Gesicht Cappei's, es schien, daß er etwas sagen wollte, doch schwieg er und wandte sich mit kurzer Verbeugung um, um das Zimmer zu verlassen.

Der Amtsverwalter hatte ihn forschend angeblickt.

„Bleiben Sie,“ rief er in strengem Ton.

Cappei wendete sich erstaunt um und wartete.

„Da Sie mir den Wunsch ausgesprochen haben, den Ort zu verlassen,“ sagte der Beamte, „und da ich befürchten muß, daß Sie bei der Verweigerung des Urlaubs heimlich abreisen möchten, so sehe ich mich gezwungen, Sie zu verhaften.“

„Mich zu verhaften,“ rief Cappei mit bebenden Lippen, indem eine tödliche Bläße sein Gesicht überzog, „und warum?“

Der Beamte klingelte, ein Amtsdiener trat herein.

„Der frühere Dragoner Cappei ist Arrestant, er wird einstweilen hier im
Amtsgefängniß bleiben, bis weitere Bestimmung über ihn getroffen ist.
Ich will sogleich ein erstes und vorläufiges Verhör mit ihm vornehmen.“

Der junge Mann stand wie niederschmettert da, seine Gedanken verwirrten sich, er konnte keine Erklärung für diesen Schlag finden, der ihn so unerwartet traf.

Der Beamte zog ein Actenstück aus seinem Schreibtisch hervor, öffnete dasselbe, faltete dann einen Bogen Papier und ergriff eine Feder, bereit das Protocoll aufzunehmen.

„Haben Sie,“ fragte er, sich an Cappei wendend, „seit ihrem Aufenthalt hier mit Personen in Frankreich in Verbindung gestanden und mit demselben correspondirt?“

„Ich habe keine Verbindung dort,“ erwiderte Cappei, „als diejenige mit meiner Braut, welche besuchen zu dürfen, ich soeben um Erlaubniß bat, ich habe mit Niemanden correspondirt, als mit ihr, aber zu meiner tiefen Betrübniß keine Nachricht von ihr erhalten.“

Der Beamte nahm mehrere beschriebene Blätter aus dem ihm vorliegenden
Actenstück und fragte, indem er Cappei winkte, näher heranzutreten.

„Kennen Sie diese Briefe?“

Der junge Mann warf einen Blick auf die Papiere, er zuckte zusammen, ein fast convulsivisches Zittern erschütterte seine Gestalt.

„Es sind die Briefe, welche ich an meine Braut geschrieben,“ rief er mit bebender Stimme.

„Sie erkennen also an, daß diese Briefe von Ihrer Hand geschrieben sind?“

„Gewiß,“ rief Cappei, den starren Blick fortwährend auf die Briefe gerichtet, welchen er einen nach dem andern glaubte abgesendet zu haben, und in welchem er immer dringender und sehnsuchtsvoller um Nachrichten gebeten hatte.

„Sie behaupten also,“ fuhr der Beamte fort, „daß diese Briefe wirklich an ein junges Mädchen gerichtet sind, und daß der Inhalt derselben keinen anderen Sinn hat, als den, welchen die Worte ausdrücken.“

„Welchen anderen Sinn könnte er haben?“ rief Cappei, entsetzt vor diesem
Räthsel stehend, das sich da so plötzlich vor ihm erhob.

„Man hat Beispiele,“ sagte der Beamte, „daß scheinbar unverfängliche Worte eine andere vorher verabredete Bedeutung haben, oder daß sie durch darauf gelegte Papierausschnitte in anderer Reihenfolge erscheinen. Doch das wird sich finden,“ fuhr er fort.

Dann nahm er einige andere Blätter und hielt dieselben dem jungen Manne vor.

„Kennen Sie diese Handschrift?“

„Nein,“ rief Cappei, auf die ihm völlig fremden Schriftstücke blickend.

„Dennoch,“ sagte der Beamte, „sind diese Briefe hier unter Ihrer Adresse angekommen, und sie enthalten sehr bestimmte und compromittirende Fragen, Aufträge über Truppendislocationen und politische Verhältnisse Nachricht zu geben. Sie werden einsehen, daß das Alles sehr verdächtig ist und daß der auf Ihnen ruhende Verdacht durch Ihren Wunsch, jetzt nach Frankreich zu reisen, nur verstärkt werden kann. Ich muß das Resultat meiner polizeilichen Beobachtung, zu welcher meine Pflicht mich Ihnen gegenüber zwang, nunmehr an die Untersuchungsrichter übergeben und kann Sie nur noch darauf aufmerksam machen, daß ein offenes Geständniß Ihre Lage nur verbessern kann, — wenn Sie nicht im Stande sind, sogleich eine genügende Erklärung zu geben.“

Der junge Mann starrte noch immer unbeweglich auf die ihm vorgelegten
Papiere.

„Tragen diese Briefe eine Unterschrift?“ fragte er.

„Nein,“ sagte der Beamte, „solche Correspondenzen pflegt man nicht zu unterschreiben, da der Absender dem Empfänger doch genügend bekannt ist,“ fügte er mit leichtem ironischen Lächeln hinzu.

„Mein Gott, sollte es möglich sein,“ rief Cappei, indem eine glühende Röthe sein Gesicht überflog, „ich erinnere mich, einmal ein Billet von diesem Vergier gelesen zu haben, — sollte es möglich sein, — sollte er —“

„Junger Mann,“ sagte der Beamte mit ernstem Ton, durch welchen ein gewisses Mitleid hindurchklang, ich will glauben, daß Sie irre geleitet sind, und daß Ihre Ergebenheit für Ihren König von gewissenlosen Agenten gemißbraucht ist. Sagen Sie offen und ehrlich Alles, was Sie über die Sache wissen, — ich wiederhole Ihnen, es ist der einzige Weg, um Sie vor scharfer Strafe zu schützen.

„Herr Amtmann,“ rief Cappei in verzweiflungsvollem Ton, „ich muß glauben, daß hier eine niederträchtige Bosheit verübt worden ist, um mich von meiner Geliebten zu trennen. Ich schwöre Ihnen, ich weiß von nichts, — ich bin mir keiner Schuld bewußt, ich habe keine Ahnung von diesen Briefen, und die Schreiben von mir, welche Sie da vor sich haben, enthalten keinen verborgenen Sinn.“

Der Beamte schien betroffen von dem Ton der Wahrheit in den Worten des jungen Mannes.

„Ich will in Ihrem Interesse wünschen,“ sagte er, „daß es so ist, wie Sie sagen, und daß Sie Ihre Unschuld beweisen können. Indeß die Indicien erscheinen zu gravirend, und die Agitationen, um die es sich hier handelt, sind zu staatsgefährlich, als daß ich es verantworten kann, Sie in Freiheit zu lassen. Ich will indeß Anordnungen treffen, daß Sie gut behandelt werden, und dafür sorgen, daß Ihre Sache so schnell als möglich untersucht wird. Denken Sie genau über Alles nach und bedenken Sie, daß die größte Offenherzigkeit in Ihrer Lage das Beste ist.

Führen Sie den Arrestanten ab,“ sagte er, zu dem Amtsdiener gewendet.

In dumpfem Schweigen ließ sich der junge Mann nach dem in einem
Seitenflügel des Amtshauses befindlichen Arrestlocal führen. Er bat den
Amtsdiener nur noch, seinem Oheim und seiner Mutter Nachricht von seiner
Verhaftung zu geben und warf sich dann in dumpfer Verzweiflung auf das
einfache Bett mit einer Strohmatratze, welche nebst einem hölzernen
Tisch das ganze Ameublement des Zimmers ausmachte, dessen Fenster mit
Eisenstäben vergittert waren und vor dessen Thür sich klirrend der
schwere Riegel schob, der ihn von der Freiheit und von allen seinen
Zukunftsträumen und Hoffnungen trennte.

Viertes Capitel.

Wochen waren seit dem Plebiscit verflossen, die große Mehrzahl des französischen Volkes hatte sich in ihrem Votum aufs Neue für das Kaiserreich und die neue Verfassung desselben erklärt, — die Elemente des Aufruhrs, welche einen Augenblick ihr Haupt aus den finsteren Vorstädten von Paris erhoben, hatten sich wieder in ihre dunklen Schlupfwinkel zurückgezogen, die unbequemen Mitglieder des Cabinets waren entfernt, der Herzog von Gramont war von Wien gekommen und hatte das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten übernommen, und der Kaiser sah sich umgeben von lauter Männern, welche sowohl dem Prinzip seiner Regierung, als ihm persönlich vollkommen ergeben waren, und welche er, wenn er sich die Mühe geben wollte, leicht und vollständig nach seinem Willen zu lenken im Stande war.

Alles schien vortrefflich geordnet und glänzend befestigt. Der kaiserliche Hof hatte sich nach Fontainebleau begeben, es fanden dort jene reizenden, kleinen Gartenfeste Statt, welche die Kaiserin mit ihrem intimen Cirkel so ausgezeichnet zu arrangiren verstand. Die Zeitungen beschäftigten sich im Ganzen wenig mit der Politik. Sie berichteten über die Toiletten der Damen bei den Soiréen à la Watteau, welche unter dem tiefen Schatten der Bäume des Parks von St. Cloud Statt fanden. Sie erzählten mit hoher Befriedigung, daß die Gesundheit des Kaisers ganz vortrefflich sei und daß Seine Majestät Napoleon III in seinem kleinen Privatgarten in St. Cloud mit ganz besonderem Eifer sich mit der Cultur der Rosen beschäftige und nahe daran sei, das große Problem der Horticultur zu lösen und eine schwarze Rose zu erzielen.

Die Zeit der Villeggiaturen begann, Graf Bismarck ritt in Varzin
spazieren, Seine Majestät der König Wilhelm badete in Ems, und der
Kaiser Napoleon mit einer blauen Schürze und einer großen Scheere in der
Hand, pflegte seine Rosen im Garten von St. Cloud.

Der Genius des tiefen Friedens hatte sich über Europa herabgesenkt, die Zeitungsredacteure und Correspondenten in allen Hauptstädten der Welt konnten trotz des sorgfältigsten Spürens an dem blauen Sonnenhimmel der Politik kein Wölkchen entdecken, aus welchem sich irgend eine meteorologische Combination hätte machen lassen, — und die Berichte der Zeitungen waren wahr. Denn an einem schönen, glänzenden Sommermorgen hätten diejenigen, welche in das abgeschlossene Innere der Sommerresidenz von St. Cloud zu blicken im Stande gewesen wären, den Kaiser Napoleon in der That sehen können, wie er, einen breiten Strohhut auf dem Kopf, von seinem Gärtner begleitet, zwischen den Rosenbeeten umherging, und mit liebevoller Sorgfalt alle diese Sträucher und Stämme musterte, auf denen so viel gestaltig und verschieden farbig die Königin der Blumen ihre Blüthen entfaltete. Er prüfte genau jeden Stock und jeden Zweig, er schnitt jede welkende Blüthe und jedes trocknende Blatt ab, Alles in ein Körbchen werfend, das der Gärtner trug und sorgfältig darüber wachend, daß kein gelbes Blatt auf den reinen Kies der Gänge fiel. Er forschte sorgfältig nach dem Mehlthau, diesem bösen Feinde der Rosen und blies, wenn er etwas davon entdeckte, den Dampf seiner großen braunen Havannacigarre auf die kleinen Milben, vergnügt zusehend, wie dieselben betäubt zu Boden fielen.

Bei allen diesen Operationen mußte er sich oft zu den kleinen Sträuchern herunterbücken, oft sich neben den hohen und schlanken Stämmen auf die Spitzen der Zehen erheben, wodurch zuweilen sehr complicirte und schwierige Stellungen hervorgerufen wurden, in denen die kleine, von dem großen Panamastrohhut überdachte Gestalt des Kaisers für alle Diejenigen einen sehr befremdenden und erstaunlichen Eindruck gemacht haben würde, welche gewohnt waren, ihn von den Hundertgarden umgeben bei den großen Truppenrevuen oder bei den großen Empfängen in den Tuilerien inmitten der Großwürdenträger unter dem kaiserlichen Thronhimmel stehen zu sehen. Aber das Gesicht des Kaisers war hier, wenn er klein zusammengebückt vor einer Zwergrose saß, oder wenn er sich mit Mühe zu einer hochstämmigen Centifolie emporhob, unendlich heiterer und glücklicher, als in jenen Augenblicken der glänzenden, kaiserlichen Repräsentation, sein sonst so undurchdringlich verschleierter Blick ruhte hier frei und klar auf den Pflanzen und Blüthen, diesen ewig jungen Kindern der stets sich erneuenden Natur, seine Lippen lächelten und auf seinem welken, von den Linien des Alters bereits tief durchfurchten Gesicht lag der Schimmer einer natürlichen, fast kindlichen Heiterkeit. Er war hier der Mensch, der seine Freude hatte an dem, was alle Menschenherzen erfreut hat, seit das Schöpfungswort Gottes allerlei Kräuter und Blumen auf der zwischen Licht und Finsterniß gestellten Erde erwachsen ließ, und alle Diejenigen, welche den Kaiser haßten und bekämpften im großen Ringen des politischen Lebens, sie wären hier vor dem Menschen entwaffnet gewesen, — denn nur ein guter Mensch kann sich in seinem Herzen die kindlich reine Freude an der einfachen Natur bewahren.

Der Kaiser blieb vor einem mittelgroßen Stamm stehen, aus dessen dunkelgrünen Blättern Knospen mit tief dunklen Spitzen hervorragten. Der Kaiser betrachtete sorgfältig prüfend diese Knospen, die alle noch geschlossen waren, vorsichtig die Zweige auseinander biegend, suchte er nach, ob nicht irgend eine sich bereits geöffnet habe.

Plötzlich stieß er einen leichten Schrei aus. An der anderen Seite des kleinen Baumes, welche dem Morgensonnenlicht zugewendet war, entdeckte er eine halb erschlossene Blüthe, deren tief dunkle Blätter so eben die Umhüllung gesprengt hatten.

„Ah,“ sagte er, indem er mit der Hand dem Gärtner winkte, welcher rasch herzutrat, „da ist die Lösung meines Problems, die Blüthe ist erschlossen und“ — er blickte ganz enttäuscht und niedergeschlagen auf die Blume.

Die dunklen Blätter derselben, welche beim ersten Anblick schwarz erschienen waren, schimmerten im Strahl des darüber hin streifenden Sonnenlichts in einem sehr deutlichen Purpurblau.

„Die Rose ist blau,“ sagte der Kaiser, indem er vorsichtig die Blüthe erfaßte und sie hin und her wendete.

Aber von welcher Seite auch der Strahl der Sonne darauf fallen mochte, immer zeigte sich der blaue Glanz.

Der Gärtner lächelte mit einer gewissen Miene der Ueberlegenheit.

„Ich habe es Eurer Majestät immer gesagt,“ sprach er, „daß es Ihnen niemals gelingen wird eine schwarze Rose zu ziehen. Die Natur hat die schwarze Farbe nicht, und so sehr sich auch die verschiedenen Farben immer mehr und mehr verdunkeln mögen, es wird Ihnen doch niemals gelingen, sie bis zum wirklichen Schwarz zu bringen.“

„Aber man hat doch die schwarze Farbe in der Thierwelt,“ sagte der
Kaiser. „Das Haar des Menschen ist schwarz, das Gefieder so manchen
Vogels“ —

„Ich glaube, daß Eure Majestät sich täuschen,“ sagte der Gärtner kopfschüttelnd, „Alles das ist nicht schwarz, — es sind nur tiefe Schattirungen irgend einer anderen Farbe, deren Grundton Sie im Sonnenlicht leicht erkennen können. Die wirklich schwarze Farbe kommt in der Natur nicht vor, sie kann nur von Menschen künstlich geschaffen werden.“

Der Kaiser ließ die Blüthe los. Sein bisher so heiteres Gesicht wurde ernst, seine Augen verschleierten sich, trübe blickte er vor sich nieder.

„Die Natur schafft die schwarze Farbe nicht,“ sagte er — „das menschliche Herz ist auch eine Schöpfung dieser Natur, und doch ist die Sorge so schwarz, welche dieses Menschenherz erfüllt, — die Menschen müssen künstlich die schwarze Farbe schaffen, — — sind alle die Sorgen, die uns quälen, nicht auch künstliche Schöpfungen einer der reinen und heiteren Natur entfremdeten Welt, — aus den wir uns dennoch nicht losmachen können,“ fügte er seufzend hinzu, „um wieder zur Reinheit und Freiheit der Natur zurückzukehren, — einer Welt, aus der uns nur der Tod hinausführt, der uns mit dem letzten und tiefsten Schwarz bedeckt — — werden wir dahinter,“ sprach er tief sinnend weiter, „eine neue Welt voll Licht und Farbenglanz finden, oder wird dieser letzte schwarze Grund für immer alles Licht und alle Farben aufsaugen?“

Er stand noch einige Augenblicke in schweigendem Nachdenken, dann nahm er seine blaue Schürze ab, reichte dieselbe mit der Scheere, deren er sich zum Schneiden der Zweige bedient hatte, dem Gärtner, — grüßte denselben freundlich mit der Hand und warf noch einen langen wehmüthigen Blick über seinen blühenden Rosengarten, — dann wandte er sich schnell um und stieg die Stufen hinauf, welche ihn in sein Zimmer führten.

All das helle Licht, welches ihn im Garten umgeben hatte, all die freundliche Heiterkeit, welche ihn dort erfüllt hatte, schien wie verschwunden zu sein. Ernst und sorgenvoll trat er zu seinem Schreibtisch, auf welchem Pietri am Morgen die zu des Kaisers eigener Durchsicht bestimmten Correspondenzen gelegt hatte und ließ sich in dem davor flehenden tiefen Lehnstuhl von Rohrgeflecht mit einem länglich runden Sitzkissen nieder.

„Die glücklichen Augenblicke des Tages sind vorüber,“ sagte er, „die Sorge tritt wieder in ihr Recht und trotz des Anscheins von Ruhe und Sicherheit, welche Frankreich und die Welt heute darbietet, stehe ich heute mehr als je vor ungelösten Fragen der Zukunft. Dieses Deutschland consolidirt sich,“ sagte er, „Österreich schwankt und trotz aller guten Dispositionen des Königs Victor Emanuel wendet sich die öffentliche Stimmung in Italien mehr und mehr von mir ab, so daß es schwer sein wird, eine Allianz mit dieser Macht, welche ich geschaffen habe, zu schließen. Und selbst wenn es gelänge,“ fuhr er fort, „würde eine solche Allianz im Augenblick einer entscheidenden Action — im Augenblick der Gefahr vielleicht — gehalten werden? Die meisten Sorgen aber,“ sagte er nach einigen Augenblicken, „machen mir diese spanischen Angelegenheiten, die Candidatur des Herzogs von Montpensier wird eifrig betrieben und trotz der geringen persönlichen Popularität des Herzogs kann sie urplötzlich mir entgegentreten, denn schließlich wird man dort nach jedem Auskunftsmittel greifen, um nur wieder zu geordneten Zuständen zu gelangen, und die Orleans verstehen sich auf die Agitationen und die Intriguen. Aber ich muß Alles aufbieten, um ein orleanistisches Königthum in Spanien zu verhindern. Ich habe soeben den Einfluß gebrochen, welchen diese erbittertsten und gefährlichsten Feinde meiner Regierung und meiner Dynastie hier in Frankreich wieder zu erringen begannen, und würden sie jemals in Spanien festen Fuß fassen, so würde ihre Agitation trotz der Pyrenäen mit erneuter Kraft Frankreich durchziehen. Der Erbprinz von Hohenzollern wäre vielleicht eine Lösung gewesen, — und ich will diesen Faden nicht ganz aus der Hand lassen, aber das Erste und Nächstliegende ist doch die Wiederherstellung der Dynastie der Königin Isabella unter dem Prinzen von Asturien. Meine Einleitungen sind getroffen: Olozaga ist der Combination günstig, und dieser eitle Serrano wird lieber der Majordomus des unmündigen Don Alphonso sein, als einfacher General unter dem Herzog von Montpensier, der sich seiner wahrscheinlich bald entledigen würde — was vielleicht Prim auch thun wird,“ fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu — „den ich vorläufig ganz aus dem Spiel lassen muß, um ihn mir für jene hohenzollersche Eventualität im äußersten Falle zu reserviren.“

Er beugte sich über seinen Schreibtisch und ergriff die auf demselben zurecht gelegten Briefe. Nach flüchtigem Überblick warf er mehrere derselben bei Seite, dann ergriff er lebhaft einen andern und lehnte sich, denselben in der Hand haltend, in seinen Stuhl zurück.

„Von meinem Agenten in Spanien,“ rief er, — „vielleicht nähert sich diese
Sache ihrem Ende.“

Er durchflog rasch die ersten Zeilen des Briefes.

„Alles ist vorbereitet,“ las er dann, den Zeilen folgend, „die maßgebenden Personen sind der Proclamation des Prinzen von Asturien günstig. Das Volk im Ganzen mit Ausnahme einiger unterwühlten großen Städte würde jede feste Regierung, welche Ruhe und Stabilität verbürgt, mit Freuden begrüßen. Die Armee ist zum großen Theil ganz alphonsistisch gesinnt und die Proklamation des Prinzen, namentlich wenn derselbe die unmittelbare und bestimmte Anerkennung Frankreichs fände, würde nirgends ernsten Schwierigkeiten begegnen. Vor allen Dingen aber ist es nöthig, daß die Königin Isabella so schnell als möglich feierlich abdicirt und alle ihre Rechte auf ihren Sohn überträgt, zugleich auch jeden Anspruch auf die Regentschaft ausdrücklich aufgiebt und sich verpflichtet, auch nach der etwaigen Thronbesteigung ihres Sohnes im Auslande zu leben und nicht nach Spanien zurückzukehren. Dies Document ist unerläßlich für jede weitere Thätigkeit, denn Niemand, die Alphonsisten ebenso wenig, wie alle Andern, will die Rückkehr der Königin, und man fürchtet, daß selbst bei ihrer persönlichen Anwesenheit in Spanien sie und ihre Umgebung auf die Regierung von Neuem einen Einfluß ausüben würden, den man mit Recht oder Unrecht für verderblich hält. Wenn Eure Majestät die Abdication der Königin in der oben angedeuteten Weise erreichen können, so scheint die Thronbesteigung des Prinzen von Asturien sicher zu sein.“

Der Kaiser warf den Brief zurück.

„Ich kann mich auf diese Mittheilung verlassen,“ sagte er, — „das Glück scheint mir zu lächeln. Die Regierung des Prinzen von Asturien, mag sie in seinem Namen geführt werden, durch wen sie wolle, wird Frankreich günstig sein und in der auswärtigen Politik im Großen und Ganzen derjenigen der Königin Isabella sich anschließen. Vor allen Dingen aber wird sie dem Herzog von Montpensier und den Orleans unversöhnlich feindlich sein — vielleicht ließe sich dann doch noch auf jene Combination zurückkommen, welche durch diese unglückliche Revolution in Spanien vereitelt wurde. —

Die Königin wird sich freilich schwer zur Abdankung entschließen. Das Document darüber ist schon aufgesetzt und befindet sich in ihren Händen. Sie hat bis jetzt die Unterzeichnung verweigert, weil sie Bürgschaft verlangte, daß nach ihrer Abdication die Thronbesteigung ihres Sohnes wirklich gesichert sei. Ich glaube ihr nach dieser Nachricht, welche durch die Mittheilungen Olozaga's vollständig bestätigt wird, jede Garantie geben zu können.“

Er sann einige Minuten nach.

„In Augenblicken wie dieser,“ sagte er dann, „kommt es auf schnelles und entschiedenes Handeln an. Günstige Situationen muß man benutzen und zu rascher Entscheidung führen, — man weiß niemals, wie lange sie dauern können. Ich will sogleich zur Königin, um womöglich gleich die Sache mit einem Schlage zu erledigen.“ Er klingelte.

„Meinen Wagen,“ befahl er dem eintretenden Kammerdiener, „große
Attelage, ich will nach Paris fahren. General Favé soll mich begleiten.“

Er stand auf und ging in sein Toilettenzimmer.

* * * * *

An der Avenue du Roi de Rome liegt das prachtvolle Hotel Basilensky, welches die Königin Isabella gekauft und eingerichtet hatte und über dessen vergoldeten Gitterthoren der Lilienschild des königlichen Wappens von Spanien glänzte.

Die innere Eingangsthür dieses Hotels stand weit offen und ließ durch die Gitter des äußeren Hofes den Blick in die prachtvolle weite Halle dringen, in deren Hintergrund die breite Marmortreppe nach den obern Gemächern emporführt.

In dieser Halle war die Dienerschaft der Königin in ihrer dunkelblauen goldgestickten Livrée mit den rothen Strümpfen aufgestellt, und am Fuß der Treppe stand der Graf von Ezpeleta, der Oberhofmeister der Königin, ein alter Mann mit grauem Haar, mit dem großen blauen Bande des Ordens Karls III. geschmückt; neben ihm der Kammerherr Albacete, ein noch junger, schöner Mann mit schwarzem gelocktem Haar, kleinem schwarzem Schnurrbart und dunklen Augen, mit dem Cordon des Ordens Isabella der Katholischen.

Bereits eine Viertelstunde standen die beiden Herren hier, von Zeit zu
Zeit einige Worte mit einander wechselnd und oft ungeduldig durch die
Thür nach dem Vorhof hinaus blickend, zu welchem wenige Stufen
hinabführten.

Endlich fuhr ein einfaches Coupé mit dunkler Livrée durch das Gitterthor in den Hof und hielt vor dem Haupteingang des Hotels.

Graf Ezpeleta eilte schnell an den Schlag des Wagens, den der vom Bock herabspringende Diener bereits geöffnet hatte. Herr von Albacete folgte ihm, den Hut in der Hand; beide Herren verbeugten sich tief vor einem jungen Manne von etwa zwei und zwanzig Jahren, der hoch und schlank gewachsen war und leicht und gewandt aus seinem Wagen auf den Boden sprang.

Dieser junge Mann hatte ein blasses längliches Gesicht von vornehm strengem, aber ein wenig apathischem Ausdruck. Seine Nase war lang und etwas stark, die von Natur weichen Linien seines Mundes waren durch feste und energische Willenskraft zusammengezogen, — aus seinen kleinen Augen leuchtete ein hoher unbeugsamer Stolz. Er trug einen schwarzen Salonanzug, einen Cylinderhut auf dem Kopf, das goldene Vließ am rothen Bande um den Hals.

Mit einer leichten Neigung des Kopfes, ohne den Hut zu berühren, erwiderte er die ehrfurchtsvollen Begrüßungen des Grafen Ezpeleta und des Herrn von Albacete. Dann stieg er, ohne ein Wort an die Herren zu richten, die Stufen des Eingangs hinauf und schritt durch die Reihen der sich tief verneigenden Lakaien zu der großen Treppe hin, während Herr von Albacete halb rückwärts gewendet, einige Schritte vor ihm herging, und der Graf Ezpeleta ehrerbietig ihm folgte. Der junge Mann stieg mit leichtem elastischem Schritt die Stufen der Treppe hinauf.

Am obern Ende derselben vor dem Eingang in ihre Gemächer stand die Königin Isabella. Sie trug eine weite Robe von dunkelblauer Seide, das rothe Band des goldenen Vließes um den Hals.

Ihr zur Seite befand sich die Gräfin Ezpeleta und einige Hofdamen.

Der junge Mann, welchen die Cavaliere der Königin mit so viel Ehrfurcht begrüßt hatten, stieg ruhig die letzte Stufe der Treppe hinauf, und erst als er unmittelbar vor der Königin stand, nahm er mit einer Bewegung voll ritterlicher Höflichkeit, aber ohne jeden Ausdruck von Ehrerbietung oder Unterwürfigkeit den Hut ab, ergriff die Hand, welche die Königin ihm entgegenstreckte und führte sie leicht an die Lippen.

„Ich danke Ihnen, mein Vetter,“ sagte die Königin, „daß sie gekommen sind, und ich bitte Gott, daß er unsere Begegnung und unsere Unterredung segnen möge zum Wohle Spaniens und zum Wohl unseres Hauses.“

Der Infant Don Carlos, welchem man bei seiner Geburt den Namen des Herzogs von Madrid gegeben, welcher in der Verbannung den Titel eines Grafen von Monte Molin führte, und welchen die spanischen Legitimisten den König Carlos VII nannten, erwiderte nichts auf diese Worte. Schweigend reichte er der Königin den Arm und führte sie durch einen großen, mit reich vergoldeten Meubeln ausstatteten Salon, in welchem über den Fenstern und Thüren, so wie über dem großen prachtvollen Kamin die Lilien des königlichen Hauses von Bourbon auf blauem Grunde glänzten, nach dem Cabinet der Königin, welches von dem vordern Salon durch eine einzige große Glaswand aus mächtigen Spiegelscheiben getrennt war, so daß man aus dem einen Raum vollständig den andern übersehen konnte.

Dies Cabinet, in welchem die Königin ihre Audienzen zu ertheilen pflegte, war mit weißem Marmor ausgelegt, neben dem Kamin, welcher der Glaswand sich gegenüber befand, standen einander gegenüber einige große Fauteuils mit vergoldeter Lehne und mit purpurrothem Seidendamast überzogen.

Die Königin nahm auf einem dieser Lehnstühle Platz. Don Carlos setzte sich, immer schweigend und kalt, ihr gegenüber.

„Erlauben Sie, mein Vetter,“ sagte Isabella, absichtlich jede Titulatur in ihrer Anrede vermeidend, „daß ich Ihnen die Infanten, meine Kinder, vorstelle?“

Der Graf von Monte Molin neigte artig das Haupt.

Die Königin winkte durch die Glaswand nach dem andern Zimmer hin, in welchem ihr Gefolge zurückgeblieben war, und kurze Zeit darauf führte die Gräfin Ezpeleta den dreizehnjährigen Prinzen Alphons von Asturien und seine drei jüngeren Schwestern in das Cabinet, worauf sie sich wieder in das Vorzimmer zurückzog.

Der Prinz von Asturien, ein bleicher, zarter Knabe mit sanftem und kränklichem, aber intelligentem Gesicht, in einen Anzug von schwarzem Sammet gekleidet, welcher die zarte Farbe seines Gesichts noch mehr hervorhob, näherte sich mit offenem und unbefangenem Anstand dem Grafen von Monte Molin. Er küßte seinem Oheim die Hand, während die drei Infantinnen sich in einer gewissen kindlichen Befangenheit neben den Stuhl ihrer Mutter stellten.

„Don Alphonso,“ sagte die Königin, ihren Sohn vorfallend, „Donna Maria del Pilar — Donna Maria della Pay, — Donna Eulalia,“ — fuhr sie fort, die kleinen Prinzessinnen bezeichnend, welche sich nach der Reihe ihrem Oheim näherten und ihre Lippen auf seine Hand drückten.

Das bisher so ernste, strenge und unbewegliche Gesicht des Grafen von Monte Molin wurde einen Augenblick von einem feuchten Schimmer überstrahlt. Ein weiches und inniges Gefühl leuchtete aus seinen Augen, wie in unwillkürlicher Bewegung umarmte er den Prinzen von Asturien, zog dann die kleinen Infantinnen an sich heran und küßte sie eine nach der andern auf die Stirn.

„Die lieben Kinder,“ sagte er, — „die Glücklichen, die noch allen Sorgen des Lebens — und der Politik fern stehen, — Gott segne sie.“

Die Königin hatte mit bewegtem Ausdruck diese Scene mit angesehen, eine tiefe, mächtige Rührung zuckte über ihr Gesicht, ein feuchter Schimmer verhüllte ihren Blick. Dann winkte sie mit der Hand, die Gräfin Ezpeleta erschien wieder und führte, sich tief und ceremoniell verneigend, die Kinder hinaus.

„Ich habe Sie gebeten, zu nur zu kommen, mein Vetter,“ sagte die Königin, „um mit Ihnen über die Lage Spaniens zu sprechen und mit Ihnen zu berathen, was wir, die wir durch unser Blut mit dem Geschick der spanischen Nation verknüpft sind, thun können, um das edle Volk aus seiner traurigen Lage zu befreien und um auch in unserm Hause den Frieden wieder herzustellen.“

Das Gesicht des Grafen von Monte Molin nahm wieder seinen früheren, kalten und strengen Ausdruck an.

„Über die spanische Nation,“ sagte er, „ist das Strafgericht hereingebrochen, dem kein Volk entgehen kann, das sich von Gott abwendet und das heilige Recht seiner Könige verleugnet. Spanien wird durch dieses Strafgericht geläutert und so Gott will, einer glücklichen Zukunft zugeführt werden.“

„Sie haben Recht, mein Vetter,“ sagte die Königin mit sanfter Stimme. „Indeß,“ fuhr sie fort, „ist das spanische Volk vielleicht entschuldbar, wenn es sich über das Recht seiner Fürsten täuscht, da ja bei den Trägern dieses Rechts selbst zwei verschiedene Anschauungen über dasselbe bestehen.“

„Es giebt nur ein Recht,“ erwiderte Don Carlos, „und wenn zwei verschiedene Anschauungen darüber bestehen, so trifft die Schuld denjenigen Fürsten unseres Hauses, welcher in unverzeihlicher Weise die alten, die heiligsten Satzungen nach seiner persönlichen Willkür zu ändern unternommen hat. Und Ruhe und Frieden,“ fuhr er in klangvoller Stimme fort, „wird in Spanien nicht eher wieder herrschen, als bis das alte, gottgeheiligte Recht wieder zur vollen Geltung gekommen ist.“

„Ich will darüber nicht mit Ihnen streiten, mein Vetter,“ sagte die Königin, „wo das wahre Recht liegt. Sie müssen mir aber zugeben,“ fuhr sie fort, indem sie ihn mit weichem Blick ansah und die Hand wie bittend gegen ihn erhob, „daß ich unschuldig bin an dem, was vor mir — was zu meinen Gunsten geschah. Ich habe im guten Glauben meinen Thron bestiegen, überzeugt, daß das Gesetz, welches mich auf denselben berief, ein im Rechte begründetes gewesen sei.“

„Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, meine Cousine,“ sagte Don Carlos, in sanftem Tone, „es ist Ihre Schuld nicht, daß Sie die Vertreterin eines Prinzips geworden sind, welchem dem wahren Königthum und der von Gott eingesetzten Monarchie ebenso feindlich gegenüber steht, als es diese Revolution thut, welche heute unser armes Spanien zerrüttet.“

„Wenn Sie das anerkennen, mein Vetter,“ sagte die Königin, „so werden Sie mit mir auch den Wunsch theilen, daß das traurige Zerwürfniß, welches die Linien unseres königlichen Hauses von einander trennt, und welches uns unsern Gegnern gegenüber schwächt und lähmt, beendet werde. Sie werden gewiß die Hand dazu bieten, daß wieder das Königthum in Spanien einig und in geschlossener Macht den Elementen des Unglaubens und Aufruhrs gegenüber gestellt werde.“

Und in lebhafter, offener Bewegung reichte sie dem Infanten ihre Hand, dieser berührte dieselbe sich artig verbeugend, einen Augenblick und sprach dann, indem er die Königin gerade und fest ansah:

„Sobald sich das ganze königliche Haus von Spanien unter meiner Fahne vereinigt, wird jene traurige Spaltung verschwunden sein, und wir werden kräftiger und erfolgreicher als bisher der Revolution gegenüber treten können.“

Die Königin schwieg einen Augenblick.

„Ich schwöre es Ihnen bei Gott, mein Vetter,“ sagte sie dann, „daß ich mich wahrlich nicht nach der Herrschaft und nach dem Throne sehne, — sie haben mir kein Glück in meinem Leben gebracht. Unruhe, Sorge und Kummer ist mein Loos gewesen, und auch das Glück meines Herzens ist diesem traurigen Glanz der Krone zum Opfer gefallen. Aber,“ fuhr sie fort, „ich habe die Rechte meines Sohnes zu vertreten, und man sagt mir, daß die monarchische Partei in Spanien zu einem großen Theil auf ihn seine Hoffnungen setzt und durch seinen Namen zusammengehalten werde.“

Don Carlos hörte ruhig und unbeweglich zu.

„Ich setze voraus,“ fuhr die Königin fort, „daß in Ihrem Herzen, wie in dem meinen das Wohl Spaniens, die Größe und der Glanz unseres Hauses weit über allen persönlichen Rücksichten und Wünschen stehen — wenn dies der Fall ist, wenn wir uns darüber verständigen könnten, die Vergangenheit und die Gegenwart einer besseren und glücklicheren Zukunft zu opfern, so würde es vielleicht in unsere Hände gegeben sein, das Schicksal Spaniens und unseres Hauses neuem Glück und neuem Glanz entgegen zu führen.“

„Mein Volk und mein Haus stehen mir wahrlich höher, als meine Person,“ erwiderte Don Carlos, „und für das Wohl Beider bin ich jeden Augenblick bereit, mich zum Opfer zu bringen.“

„Oh,“ rief die Königin lebhaft, „dann werden Sie gewiß auf die Idee eingehen, die ich Ihnen aussprechen möchte, — eine Idee, von der mir so viele einsichtsvolle Personen sagen, daß durch sie Spanien aus seinem jetzigen, traurigen Zustand gerettet werden könne.“

Don Carlos sah die Königin fragend an.

„Mein Vetter,“ fuhr Isabella fort, „Sie sind der Vertreter des Rechts der einen Linie unseres Hauses; ich stehe an der Spitze der andern. Sie haben zahlreiche opferbereite Anhänger in Spanien, und auch an mir hängt noch ein großer Theil des Volkes und der Armee. Könnten wir diese Alle vereinigen zu gemeinsamem Kampf, der Sieg müßte unser sein. Und dazu gehört,“ fuhr sie fort, „nichts weiter, als daß wir, Sie und ich auf den Thron verzichten, daß wir die Selbstverleugnung haben, unsere eigenen persönlichen Rechte aufzugeben, um diejenigen unserer Kinder sicher zu stellen. Mein Vetter, vereinigen wir unsere beiden Linien und deren Rechte, beschließen wir die Verbindung meines Sohnes, den Sie so eben gesehen, mit der Infantin, Ihrer Tochter. Wenn ich dann auf die Krone verzichte, die ich getragen und welche die Revolution mir vom Haupte gerissen hat, wenn Sie Ihre persönlichen Ansprüche auf die älteren Rechte Ihrer Linie aufgeben, so wird Don Alphonso der allein berechtigte und allseitig anerkannte König von Spanien werden, Ihre Tochter wird dereinst seinen Thron mit ihm theilen, und in Zukunft wird das vereinigte Blut beider Linien unseres Hauses das ungetheilte monarchische Prinzip aufrecht erhalten.“

Don Carlos sah die Königin, welche immer bewegter gesprochen hatte, mit einem gewissen Erstaunen an.

„Eine Verbindung des Infanten Don Alphonso,“ sagte er, „mit meiner Tochter ist ein Gegenstand, der wohl ernste Erwägung verdient und der allerdings dazu beitragen möchte, die so beklagenswerte Spaltung des königlichen Hauses von Spanien auszugleichen. Doch begreife ich nicht, Madame,“ fuhr er fort, „wie durch eine solche Verbindung Don Alphonso unmittelbare Rechte auf den spanischen Thron erwerben sollte, selbst wenn ich auf die meinigen verzichten würde, was nach meiner Überzeugung kein Fürst, den Gott zum Throne hat geboren werden lassen, thun darf.“

„Wenn Sie, mein Vetter,“ erwiderte die Königin „zugleich mit der besprochenen Verbindung Don Alphonso adoptiren würden, so wären, wie mir scheint, alle Schwierigkeiten gelöst, der Infant würde in seiner Person die Rechte Ihrer und meiner Linie vereinigen und der einzige Mittelpunkt für alle Anhänger und Vertheidiger der Monarchie in Spanien sein.“

Don Carlos richtete sich hoch empor.

„Ich bewundere, Madame,“ sagte er mit schneidendem Hohn, „die Klugheit Ihrer Rathgeber, welche die Schwierigkeiten auf so einfache Weise lösen wollen, auf die so unendlich einfache Weise, daß sie das hohe und unveräußerliche Recht, welches Gott mir und meinen Nachkommen gegeben, einfach wegwerfen und alle die Rechtswidrigkeiten anerkennen, durch welche Spanien in sein gegenwärtiges Unglück gestürzt ist.“

„Aber, mein Gott,“ sagte die Königin erstaunt über die plötzliche Veränderung in dem Gesichtsausdruck und Ton des Grafen von Monte Molin, „der Vorschlag, den ich so eben gemacht, beruht ja auf der Anerkennung Ihres Rechtes, denn mein Sohn soll ja den spanischen Thron gerade gestützt auf unsere beiden bisher sich entgegen stehenden Rechte in Anspruch nehmen.“

„Das heißt mit andern Worten,“ fiel Don Carlos ein, „ich soll mit meinem königlichen Siegel legalisiren, was zur Verletzung des legitimen Rechts geschehen ist. Ich soll aufgeben alle Ansprüche, welche Gottes Willen mir gegeben und soll das alte heilige Recht in den Dienst treten lassen der willkürlichen Verfügungen, welche die unumstößlichen Satzungen des spanischen Königshauses verändert haben. Und wenn ich für meine Person dies Opfer bringen wollte, wenn ich auf mein Recht verzichten wollte, um das Unrecht zu sanctioniren, wie könnte ich eine solche That vertreten meinen Nachkommen gegenüber, das darf ich Sie wohl fragen, — Sie, Madame, die Sie von mir verlangen, daß ich Ihrem Sohn den Anspruch opfern soll auf die Krone der edelsten und vornehmsten Nation der Welt.“

„Aber, mein Vetter,“ sagte die Königin, „Sie haben nur eine Tochter und wenn Sie heute König von Spanien werden, so wäre ja Don Alphonso Ihr legitimer Erbe.“

„Sie vergessen, Madame,“ rief Don Carlos, „daß in den nächsten Tagen vielleicht die Gnade der Vorsehung mir einen neuen Nachkommen schenken wird. Wenn ich heute mit Ihnen diesen Kauf abschlösse,“ rief er lebhaft, „über die Rechte und die Zukunft meines Hauses, und wenn dann dieses Kind, das ich erwarte, ein Sohn wäre, müßte ich nicht erröthend die Augen niederschlagen vor der Wiege des Säuglings, den ich um sein königliches Recht vor seiner Geburt betrogen hätte. Nein, Madame,“ sagte er kalt und ruhig, jedes Wort scharf und nachdrücklich betonend, „seien Sie überzeugt, daß niemals, niemals von mir ein solcher Pact geschlossen werden wird, und selbst wenn ich heute ein Greis wäre, der keine Nachkommenschaft mehr zu erwarten hat — selbst dann würde ich meine persönlichen Rechte nicht veräußern, — versagt mir Gott einen Sohn, so ist der Infant Don Alphonso mein natürlicher und berechtigter Nachfolger, ich werde ihn als solchen lieben und dahin arbeiten, ihm ein großes und ruhmreiches Erbe zu hinterlassen, — aber so lange ich lebe,“ fuhr er fort, indem er aufstand, und die Hand wie zur feierlichen Bekräftigung seiner Worte emporhob, „so lange ich lebe, giebt es in meinen Augen auf Erden keinen anderen König von Spanien als mich — in Gottes Hand steht es, ob ich mein Recht erringen werde, oder ob mir das hohe Ziel um der Sünden meiner Väter und um der meinigen willen versagt bleiben soll — ich aber werde nichts unterlassen, um den Thron, zu dem mich Gott hat geboren werden lassen, mir und meinem Hause wieder zu erobern, mit Niemandem in der Welt werde ich über dieses mein höchstes Recht, das zugleich meine heiligste Pflicht ist, handeln oder Verträge schließen, — und eine innere Stimme sagt mir, daß dereinst noch die alte Fahne des reinen legitimen Rechts siegreich in Spanien wehen wird. Dann, Madame,“ fuhr er mit mildem Tone sich zur Königin wendend fort, „werde ich Sie willkommen heißen im Escurial, Ihr Sohn wird der erste Prinz meines Hauses — und vielleicht mein Nachfolger und Erbe sein. Ich werde Gott bitten, daß er Sie und die Ihrigen erleuchten möge, Sich seinen ewigen Ordnungen zu fügen, ich kann meinerseits von denselben nicht abgehen.“

Die Königin erhob sich ebenfalls.

„Ich bitte Sie, mein Vetter,“ sagte sie, „lassen Sie unsere Unterredung nicht so enden, ich habe so große Hoffnungen auf unsere persönliche Begegnung gebaut, bedenken Sie, daß die Spaltungen zwischen den beiden Linien unseres Hauses ja nur unseren gemeinschaftlichen Feinden nützt.“ —

„Ich darf nichts bedenken,“ erwiderte Don Carlos, „als daß Gott mir das Recht zu bewahren gegeben, das ich aufrecht halten und vertheidigen werde bis zu meinem letzten Athemzuge.“

Er näherte sich der Königin, welche unschlüssig und verwirrt da stand, küßte ihr die Hand und sprach:

„Gott segne Sie, Madame, und die Ihrigen; — wie auch das Schicksal der Zukunft sich wende, ich werde niemals vergessen, daß das gleiche Blut in unsern Adern rollt.“

Die Königin schien sprechen zu wollen. Don Carlos bot ihr mit einer entschiedenen Bewegung seinen Arm, sie legte schweigend mit einem tiefen Seufzer ihre Hand in denselben und geleitete den Infanten durch das Vorzimmer nach der Treppe, wo er mit einer artigen Verbeugung seinen Hut aufsetzte und, von dem Grafen Ezpeleta und dem Herrn von Albacete begleitet, langsam und ruhig die Stufen hinabstieg. Sein Coupé fuhr vor, er winkte leicht grüßend mit der Hand und fuhr durch das Gitterthor des Hofes hinaus.

„Alles vergebens,“ rief die Königin, als der Graf von Ezpeleta zu ihr zurückgekehrt war und fragenden Blickes in ihr Cabinet eintrat, — „Alles vergebens! Er ist unbeugsam! Er steht unerschütterlich fest auf dem Boden seines Rechts. Und es wäre doch so schön gewesen,“ rief sie, „wenn diese Verständigung gelungen wäre. Er hat mächtige Anhänger, wenn sie sich mit den meinigen vereinigten, sie hätten die größten Aussichten auf Erfolg gehabt. Aber so,“ fuhr sie fort, indem sie ihr Taschentuch heftig zusammendrückte, „ist Alles in Frage gestellt. Man verlangt von mir die Abdankung. Aber was wird dadurch gewonnen, wenn nicht zu Gunsten meines Sohnes eine große, monarchische Partei gebildet werden kann? — ich würde mein Recht aufgeben, ohne ihm dadurch die Nachfolge sichern zu können —“

Eine Bewegung machte sich im Vorzimmer bemerkbar.

Eiligst trat Herr von Albacete durch die Thür der großen Glaswand in das
Cabinet der Königin.

„Seine Majestät der Kaiser ist so eben in den Hof gefahren!“ rief er und eilte schnell wieder hinweg, um den Kaiser zu begrüßen.

Der Graf Ezpeleta folgte ihm, und die Königin ging mit ihren Damen abermals nach dem Ausgang der großen Treppe, an welcher sie sich kurz vorher von dem Grafen von Monte Molin verabschiedet hatte.

Langsam und etwas schwerfälligen Schrittes stieg Napoleon die Stufen hinauf.

Er trug einen schwarzen Überrock und hielt seinen Hut und ein spanisches
Rohr mit goldenem Knopf in der Hand. Mit tiefer Verbeugung küßte er der
Königin die Hand und führte sie in das Cabinet zurück.

„Ich habe Ihnen gute Nachrichten zu bringen, Madame,“ sagte er, nachdem er ihr gegenüber vor dem Kamin Platz genommen. „Wie befinden sich die Infanten?“

„Ich danke, Eure Majestät,“ erwiderte die Königin, auf deren Gesicht bei den ersten Worten des Kaisers der Ausdruck gespannter Erwartung erschienen war, „sie befinden sich vortrefflich in dieser schönen Luft des gastfreien Frankreichs, welche für sie nur den einzigen Fehler hat, daß sie die Luft des Exils ist.“

„Und der König Don Franzesco,“ fragte der Kaiser, indem er leicht mit der Hand über seinen Schnurrbart fuhr.

„Er ist in München,“ sagte die Königin, „und braucht dort eine Kur,“ fügte sie mit einem leichten unwillkürlichen Lächeln hinzu, „welche ihm statt seines feinen Organs eine tiefe Stimme geben soll. Vielleicht wird er nicht wieder zurückkehren,“ sagte sie ernst mit blitzenden Augen, „es wäre in der That nicht —“

„Erlauben Eure Majestät,“ fiel der Kaiser ein, „daß ich so schnell als möglich auf den ernsten Gegenstand meines Besuches kommen darf. Ich habe so eben,“ fuhr er fort, „gute und zuverlässige Nachrichten erhalten, daß in der spanischen Armee und in einem großen Theil der Bevölkerung die monarchische Restauration immer mehr Boden gewinnt, und daß sich diese Restauration an den Namen des Prinzen von Asturien knüpft. Der Proclamirung des Prinzen würde, wie ich Eurer Majestät ebenfalls versichern kann, Olozaga und Serrano günstig sein. Es ist also nunmehr die Bedingung eingetreten, welche Eure Majestät, und wie ich glaube mit Recht, stets als unerläßlich für Ihre Abdication bezeichneten. In diesem Augenblick würden Sie durch die Übertragung Ihrer Rechte auf Ihren Sohn demselben nach aller wahrscheinlichen Berechnung wirklich die Nachfolge auf den Thron zu sichern im Stande sein. Ich werde in der Lage mich befinden, viel dafür zu thun, wenn Eure Majestät schleunigst das Document vollziehen, welches den Prinzen von Asturien zum Vertreter Ihrer Rechte macht. Ich habe mir erlaubt, schon vor einiger Zeit Eurer Majestät den Sinn der Erklärung mittheilen zu lassen, welche eine solche Abdankungsurkunde enthalten müßte.“

„Ich weiß es,“ sagte die Königin mit einem bittern Lächeln, „sie soll
nicht nur die Übertragung meiner königlichen Rechte, sondern auch die
Verpflichtung enthalten, daß ich auch nach der Thronbesteigung meines
Sohnes niemals wieder den spanischen Boden betrete.“

„Eure Majestät,“ sagte der Kaiser, „werden überzeugt sein, wie tief ich die unglücklichen Ereignisse beklage, welche sich in Spanien zugetragen haben, und wie dringend und lebhaft ich gewünscht hätte, Sie selbst wieder den spanischen Thron besteigen zu sehen. Allein,“ fuhr er fort, „Eure Majestät werden auch ebenso wie ich die Zukunft Ihres Hauses höher stellen, als persönliche Wünsche, — man muß im politischen Leben stets mit den gegebenen Verhältnissen rechnen und Schweres thun, um ein großes Ziel zu erreichen, — was heute eine Nothwendigkeit ist, um Ihrem Hause seine Krone wieder zu gewinnen, wird nach einiger Zeit verschwinden. Diejenigen, welche sich in so schmählicher Undankbarkeit gegen Eure Majestät erhoben haben, fürchten heute natürlich den Einfluß, den Sie bei Ihrer Anwesenheit in Spanien auf Ihren Sohn und dessen Regierung gewinnen würden. Lassen Sie einige Zeit vorüber gehen — Jene werden ohnehin ihrem Verhängniß verfallen, — und ich sehe den Tag kommen und sollte er auch bis zur Großjährigkeit Ihres Sohnes hinausgeschoben bleiben, an welchem Sie, Madame, unter dem Jubel des Volkes von Spanien als die Mutter seines Königs wieder in Madrid einziehen werden.“

Die Königin blickte nachdenkend vor sich nieder.

„Bedenken Eure Majestät,“ sagte der Kaiser nach einigen Augenblicken, „daß in großen politischen Entscheidungsmomenten jede Zögerung gefährlich werden kann — zögern Sie daher nicht, durch Ihre Abdankung die Action derer zu ermöglichen, welche Ihren Sohn auf den Thron führen wollen. Bedenken Sie, daß gewandte und unermüdliche Gegner ihm gegenüber stehen. Würden Sie Sich je verzeihen können, wenn durch die Verzögerung des Opfers, welches die Verhältnisse von Ihnen verlangen, jener Herzog von Montpensier dennoch endlich an das Ziel seiner Intriguen gelangen sollte.“

„Er,“ rief die Königin mit flammenden Blicken, indem sie den Kopf empor warf, „er, der falsche Heuchler, den ich wie die Andern Alle mit Wohlthaten überschüttet habe! Niemals! Niemals! Und dieser stolze, hochmüthige Graf von Monte Molin,“ fuhr sie fort, „der jede Verständigung zurückwies, der mich behandelt hat, wie ein König eine Infantin seines Hauses — Keiner von ihnen soll triumphiren — ich will jedes Opfer bringen,“ sagte sie mit entschlossenem Ton, „wenn Eure Majestät mir versichern können, daß dadurch wirklich meinem armen Kinde die Krone gesichert wird.“

Sie blickte den Kaiser scharf und forschend an.

„Ich bin weder allwissend, Madame,“ sagte Napoleon, „noch allmächtig, — indeß so weit menschliche Berechnung reicht, stehen in diesem Augenblick die Chancen Ihres Sohnes unendlich günstig, sobald Ihre Abdankung seine Freunde in den Stand setzt, offen für ihn aufzutreten und zu handeln, und sobald den gegenwärtigen Machthabern Garantien geboten werden können, daß sie unter der wieder hergestellten Monarchie die gesicherte Stellung finden, welche ihnen selbst bei der Fortdauer der republikanischen Verwirrung immer zweifelhafter zu werden scheint; — aber, ich wiederhole es,“ fuhr er fort, „es muß schnell gehandelt werden, damit man allen gegenseitigen Intriguen zuvorkommt.“

„Ich werde die Urkunde vollziehen,“ sagte die Königin, indem sie sich mit einem tiefen Athemzug erhob, „man soll von mir nicht sagen können, daß ich es an irgend Etwas habe fehlen lassen, um den Rechten meines Hauses Geltung zu verschaffen.“

„Seien Sie meiner ganzen Unterstützung dafür sicher,“ sagte der Kaiser, indem er ebenfalls aufstand, „und genehmigen Sie den Ausdruck meiner aufrichtigen Dankbarkeit, denn Sie haben durch diesen Entschluß nicht nur Ihrem Hause, sondern auch mir und Frankreich einen großen Dienst geleistet, — Sie wissen, wie viel auch mir daran liegen muß, jenseits der Pyrenäen geordnete Zustände und eine befreundete Regierung zu sehen. Ich darf Eure Majestät bitten,“ fuhr er fort, „sobald die Urkunde vollzogen ist, mir ein Exemplar derselben zugehen zu lassen, damit ich meinerseits alle die Schritte thue, die die Umstände erheischen.“

Er kehrte der Königin den Arm reichend, in das Vorzimmer zurück, sprach mit jedem der Herren und Damen des Gefolges einige höfliche Worte und verließ von den Cavalieren der Königin bis zum Wagen geleitet, das Hotel.

Die Königin rief den Grafen Ezpeleta in ihr Cabinet.

„Lassen Sie sogleich Ihre Majestät die Königin, meine Mutter, bitten, sich in einer wichtigen Angelegenheit hierher bemühen zu wollen. Lassen Sie auch den Herzog von Sesto und den Marquis von Miraflores rufen. In zwei Stunden soll mein ganzer Hof in Gala sich versammeln. Haben Sie das Document in Bereitschaft, das ich Ihnen übergab?“

„Zu Befehl, Eure Majestät,“ erwiderte der Graf von Ezpeleta.

„Ich werde es unterzeichnen,“ sagte die Königin seufzend. „Heute Abend wird Ihr König Don Alphonso heißen.“

* * * * *

Am Abend desselben Tages war in dem Empfangssaal des Hotel Basilensky der Hof der Königin Isabella versammelt.

Der Graf von Ezpeleta, der Kammerherr von Albacete und die übrigen
Cavaliere der Königin trugen die Uniformen ihrer Grade. Die Gräfin
Ezpeleta, welche als Camerera-Major fungirte und die Damen der Königin
waren in großer Toilette.

Die Kerzen brannten auf den Lustres, in der Mitte des Saales stand ein großer runder Tisch mit einer purpurnen Sammetdecke behängt, auf welchem in einer großen Mappe mehrere Papiere lagen, dabei ein kostbares Schreibzeug und einige große Schwanenfedern. In einiger Entfernung von diesem Tisch standen drei mit rothem Sammet überzogene Lehnstühle, an deren Rücklehne sich das königliche Wappen von Spanien befand.

In dem Saal hörte man jenes leise Flüstern, welches an den Höfen dem
Eintritt der Souveraine vorauszugehen pflegt.

Die Stunde war gekommen, zu welcher Ihre Majestät die verschiedenen
Personen befohlen hatte. Die Eingangsthür öffnete sich — aber noch war es
nicht die Königin, sondern es erschien ebenfalls in großem Galacostüm
der Herzog von Sesto, der Gemahl der Wittwe des Grafen von Morny und der
Marquis von Miraflores. Ihnen folgte der Marschall Bazaine in der großen
Uniform der Marschälle von Frankreich und der Präsident des
Civilgerichts Herr Benoist-Champy in der Hofgalatracht der
Justizbeamten.

Abermals verging eine kurze Zeit in schweigender Erwartung. Dann
sprangen die Flügelthüren auf. Graf Ezpeleta eilte in die anstoßenden
Gemächer Ihrer Majestät und trat bald darauf in den Saal zurück, mit dem
Stabe auf das Parquet stoßend und die Königin ankündigend.

Unmittelbar darauf trat die Königin in den Saal, sie trug eine faltige
Robe von schwarzem Sammet, ein Diadem von Brillanten auf dem Haupte,
den Hermelin um die Schultern, das goldene Vließ an der Kette um den
Hals und das große Band vom Orden Karl's III. über der Brust.

An der rechten Seite der Königin, einen Schritt zurück, folgte die Königin Christine, ebenfalls in schwarzen Sammet gekleidet, ebenfalls mit dem goldenem Vließ und dem Orden Karl III. decorirt. Die hohe Gestalt der Königin Christine, ihre scharf geschnittenen, harten und etwas starren Züge zeigten wenig Ähnlichkeit mit ihrer Tochter, deren sanfte, weiche Augen von Thränen geröthet erschienen, und deren großer Mund mit den starken, vollen Lippen, durch den Ausdruck trauriger und stiller Resignation, welcher auf demselben lag, schöner und anmuthiger als sonst erschien.

Zur linken Seite der Königin ebenfalls einen Schritt zurück trat der
Prinz von Asturien in den Saal. Er trug einen Knabenanzug von schwarzem
Sammet, ebenfalls das goldene Vließ um den Hals, das blaue Band von dem
Orden Karl's III. über der Brust, den Stern an dem kleinen Jaquet.

Der Prinz war bleich und blickte voll liebevoller Theilnahme auf seine Mutter hin. Seine ganze Erscheinung war unendlich anmuthig und sympathisch, und als er mit einem halb kindlich verlegenen, halb fürstlich stolzen Kopfnicken, die sich tief verneigende Versammlung begrüßte, bot er ein ungemein interessantes und anziehendes Bild dar.

Der alte Infant Don Sebastian, ein Mann mit grauem Haar und ruhigen, gleichgültigen Gesichtszügen in der großen spanischen Generalsuniform folgte.

Die Königin durchschritt mit dem fürstlichen Anstande, welcher ihr trotz ihrer corpulenten und kleinen Figur eigenthümlich war, den Saal und setzte sich in den mittelsten der drei Lehnstühle.

Die Königin Christine nahm ihr zur Rechten Platz.

Don Alphonso stellte sich neben den dritten Lehnstuhl und der Infant Don
Sebastian hinter den Fauteuil der Königin.

Die Königin winkte dem Grafen Ezpeleta.

Dieser trat an den Tisch, nahm ein großes Pergament aus der dort liegenden Mappe und trat vor den Sessel der Königin.

„Ich, die Königin,“ sprach Donna Isabella, „habe in Erwägung der Interessen meines Landes und meines königlichen Hauses beschlossen, meine königliche Autorität und alle meine politischen Rechte aus freiem Willen und lediglich aus eigenem Antriebe auf meinen viel geliebten Sohn Don Alphonso, Prinzen von Asturien, zu übertragen. Ich habe zugleich beschlossen,“ fuhr sie mit etwas zitternder Stimme fort, „um allen Parteistreitigkeiten vorzubeugen und den innern Frieden meines geliebten spanischen Volkes zu gewährleisten und zu erhalten so viel an mir liegt, für meine Person den spanischen Boden nicht mehr zu betreten; auch wenn mein Sohn durch die Cortes, die das rechtmäßige Votum der Nation vertreten, auf den Thron berufen werden wird. Bis dies geschieht, und so lange mein Sohn außer seinem Vaterlande weilen wird, behalte ich meinen Sohn unter meinem Schutz und meiner Vormundschaft.

Don Alphonso XII. ist also von heute an Euer wahrer König, ein spanischer König, der König der Spanier, nicht der König einer Partei. Ich werde zugleich mit dieser Urkunde über meine Abdankung durch ein Manifest an die spanische Nation dieselbe verkündigen und mir wird nur noch übrig bleiben, in glühenden Gebeten lange Tage des Friedens und des Gedeihens für Spanien zu erflehen und für meinen Sohn, dem ich meinen mütterlichen Segen ertheile, — Weisheit und Vorsicht und mehr Glück auf dem Thron als seine unglückliche Mutter fand, welche bis heute Eure Königin war.“

Die letzten Worte der Königin wurden fast unverständlich durch das
Schluchzen, welches ihre Stimme erstickte.

Der junge Prinz von Asturien näherte sich seiner Mutter und kniete weinend vor ihr nieder.

Die Königin legte die Hände auf sein Haupt und sprach, während große
Thränen über ihre Wangen rannen, mit lauter Stimme:

„Gott erhöre mein Gebet und segne Dich, mein Sohn, mit seinem reichsten
Segen!“

Sie machte über seinem Haupte das Zeichen des Kreuzes und erhob sich dann. Don Alphonso und die Königin Christine standen gleichfalls auf.

Isabella näherte sich dem Tisch, auf welchem der Graf von Ezpeleta die Abdicationsurkunde niedergelegt hatte. Der Herzog von Sesto reichte der Königin die Feder und mit einem raschen, kräftigen Zug unterzeichnete sie das Dokument. Dann wandte sie sich um, ergriff den Prinzen von Asturien bei der Hand und führte ihn zu dem mittleren Lehnstuhl, welchen sie vorhin eingenommen hatte. Sie neigte sich leicht gegen ihren Sohn und setzte sich in den Sessel zu seiner Linken.

Der Hof trat heran, alle anwesenden Spanier defilirten an dem jungen
Prinzen, der hier in der Verbannung zum König von Spanien proclamirt
war, vorüber, beugten das Knie vor ihm und drückten die Lippen auf seine
Hand, die er Jedem reichte.

Nachdem die Ceremonie vorüber war, wandte sich die Königin Isabella an ihren Sohn.

„Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubniß,“ sagte sie in französischer Sprache mit starkem spanischem Guttural-Accent, „in Ihrer Gegenwart noch ein Document aufnehmen zu dürfen, welches nicht die Politik betrifft, sondern nur die Privatangelegenheiten unseres Hauses ordnet. Es ist mein Testament, das ich für den Fall der Rathschluß Gottes die Wiederherstellung des Thrones unseres Hauses nicht gestatten sollte, nach französischem Recht habe aufnehmen lassen, und welches der Herr Präsident des Civilgerichtshofes und der erlauchte Marschall, der uns die Freude seiner Gegenwart macht, als Zeugen unterzeichnen sollen.“

Don Alphonso wandte sich in rascher Bewegung zu seiner Mutter, umarmte sie zärtlich und küßte ihr ehrerbietig die Hand.

Herr Benoist-Champy trat an den Tisch, nahm ein ziemlich umfangreiches
Dokument aus der Mappe und sagte:

„Eure Majestät erklären also hier vor dem Herrn Francois Achille Bazaine, Marschall von Frankreich, und vor mir, daß dieses Document, dessen Inhalt Ihnen wohl bekannt ist, Ihre letztwillige Verfügung über Ihr Privatvermögen enthält, und daß alle darin enthaltenen Bestimmungen im Falle Ihres Todes gültig und unantastbar sein sollen, und wollen in unserer Gegenwart aus völlig freiem Willen und eigenem Entschluß dies durch Ihre Namensunterschrift bekräftigen?“

„Ich will es,“ sagte die Königin, trat an den Tisch und unterzeichnete die Testamentsurkunde.

Der Marschall Bazaine und Herr Benoist-Champy setzten ihre Namen unter denjenigen der Königin.

„Ich bitte nun Eure Majestät, zu befehlen,“ sagte die Königin Isabella, sich abermals an ihren Sohn wendend, „daß von der Abdankungsurkunde ebenso wie von meinem Testamente drei beglaubigte Abschriften genommen werden mögen, und daß von denselben eine dem Herzog von Sesto, eine dem Marquis von Miraflores und eine Seiner Majestät dem Kaiser der Franzosen übergeben werde.“

Don Alphonso neigte mit einer gewissen, kindlichen Verlegenheit bestätigend das Haupt, dann blickte er fragend auf die Königin.

Diese trat zu ihm hin und legte ihren Arm in den seinigen und Beide
verließen unter Vortritt des Grafen Ezpeleta den Saal, um sich in ihre
Gemächer zurückzuziehen. Die Königin Christine und der Infant Don
Sebastian folgten.

Schweigend ging die Versammlung auseinander, — Herr von Albacete begleitete den Marschall Bazaine und Herrn Benoist-Champy bis zum Fuß der Treppe des Hotels.

Fünftes Capitel.

Der Kaiser Napoleon kehrte nach einer Spazierfahrt durch das Bois de Boulogne nach St. Cloud zurück. Als er durch das Gitterthor in den Hof des alten erinnerungsreichen Schlosses eingefahren war, welches die schönen Tage von Marie Antoinette, die weithin glänzende Siegesherrlichkeit Napoleon I. und die letzten Tage des Königthums Carls X. gesehen hatte, und sich auf den Arm des Generals Favé gestützt, nach seinen Gemächern begeben hatte, meldete ihm der Dienst thuende Kammerdiener, der ihm die Thür des Vorzimmers öffnete, daß der Herzog von Gramont angekommen sei und Seine Majestät bitte, ihm in einer dringenden Angelegenheit sogleich nach seiner Rückkehr Gehör zu schenken.

Der Kaiser, welcher sich während der Fahrt heiter und lebhaft mit dem General Favé unterhalten hatte und dessen Gesicht den Ausdruck einer frohen, zufriedenen Stimmung trug, wurde bei dieser Mittheilung ernst und blickte fast finster vor sich nieder.

„Ist es denn nicht möglich,“ sagte er leise, „einen Tag von diesen ewigen Sorgen und Qualen der Politik befreit zu bleiben, die uns wie mit eisernen Klammern festhält, so bald sie uns einmal erfaßt hat und die alles friedliche, menschliche Glück zerstört.“

Seufzend reichte er dem Kammerdiener seinen Hut und seinen Stock und befahl, den Herzog von Gramont einzuführen, welcher wenige Augenblick darauf in das Cabinet seines Souverains trat.

Der Herzog war bleich, sein sonst so ruhiges, gleichmäßiges und lächelndes Gesicht zeigte die Spuren tiefer innerer Erregung. Er hielt einige Papiere in der Hand und erwiderte hastig und ohne seine sonstige etwas ceremonielle und doch anmuthige, verbindliche Höflichkeit die freundliche Begrüßung des Kaisers.

„Ich habe Eurer Majestät,“ sagte er schnell sprechend, „eine ebenso überraschende, als unangenehme Nachricht mitzutheilen, eine Nachricht, welche Eure Majestät ebenso sehr befremden und ebenso peinlich berühren muß, als dies bei mir der Fall gewesen ist.“

Ein Ausdruck von Ermüdung und von Widerwillen erschien auf dem Gesicht des Kaisers. Abermals tief seufzend ließ er sich in einen Lehnstuhl sinken und sagte, indem er dem Herzog einen Sessel neben sich bezeichnete mit matter, tonloser Stimme:

„Sprechen Sie, mein lieber Herzog — Sie wissen,“ fügte er mit einem gezwungenen Lächeln hinzu, „mein großer Oheim pflegte zu sagen, daß die Mittheilung böser Nachrichten niemals aufgeschoben werden müsse, — die guten erfährt man immer früh genug. Leider,“ sagte er ganz leise vor sich hin, „kommen sie nicht häufig.“

„Ich erhielt bereits gestern, Sire,“ sprach der Herzog von Gramont, der vor dem Kaiser stehen geblieben war, „den Wortlaut einer Rede, welche der Marschall Prim in den Cortes gehalten hat, und welche mich auf das Peinlichste berührt. Eure Majestät wissen, wie große Bereitwilligkeit überall gezeigt worden ist, um die Restauration des Prinzen von Asturien einzuleiten und zu unterstützen. Ich mußte daher auf das Höchste erstaunt sein, zu erfahren, daß der Marschall Prim den Cortes gegenüber auf das aller Bestimmteste erklärt hat, daß die bisherigen Negotiationen einen König für Spanien zu finden, sich nach allen Richtungen hin zerschlagen hätten.“

„Nun,“ sagte der Kaiser lächelnd, „das wissen wir ja, das ist vollkommen wahr und sehr zufriedenstellend. Wenn man keinen andern König finden kann, wird man endlich wohl auf den kleinen Don Alphonso zurückkommen müssen.“

„Aber, Sire,“ fuhr der Herzog von Gramont fort, „nachdem der Marschall diese Mittheilung gemacht, hat er hinzugefügt, er werde nicht für das Werk der Restauration arbeiten und zur Zurückführung Don Alphonso's niemals die Hand bieten, und dieses Niemals, Sire, hat er dreimal betont.“

Der Kaiser lächelte abermals.

„Es giebt Fälle,“ sagte er, die Spitzen seines Schnurrbarts drehend, „in denen man Dasjenige am entschiedensten und bestimmtesten zurückweist, was man zu thun entschlossen ist und dessen Ausführung man vorbereitet.“

„Eure Majestät haben vollkommen Recht,“ erwiderte der Herzog von Gramont, „und gerade von diesem Gedanken ausgehend, bin ich dahin gekommen, der Rede des Marschall Prim keinen besonderen Werth beizulegen, obgleich es mich immerhin befremdete, ihn eine Combination, über welche er ja füglich hätte schweigen können, so bestimmt ablehnen zu sehen, während dieselbe doch von Olozaga und Serrano durchaus nicht so absolut zurückgewiesen ist. Die Rede des Marschalls fand aber,“ fuhr er fort, „eine sehr unerfreuliche Ergänzung und Erklärung in einem Bericht des Herrn Mercier de Lostende, Eurer Majestät Botschafter in Madrid. Schon gestern Abend erhielt ich ein Telegramm des Botschafters, in welchem er mir sagt, daß die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern sehr weit fortgeschritten zu sein scheint, — wenn sie nicht schon entschieden sei. Der General Prim selbst habe es ihm gesagt und er habe sogleich Herrn Bartholdy abgesendet, um seinen detaillirten Bericht zu überbringen, denselben durch mündliche Mittheilung zu ergänzen und die Befehle Ihrer kaiserlichen Majestät einzuholen.“

„Die Candidatur Hohenzollerns,“ sagte der Kaiser, — „mein Gott, diese Sache hielt ich ja seit einem Jahre fast für abgethan. Woher ist denn dieselbe jetzt wieder auf die Tagesordnung gekommen,“ fragte er, den Blick scharf und forschend auf den Herzog von Gramont richtend, „und woher kommt es, daß ich garnichts davon erfahren habe? Man hätte sich darüber verständigen können, da sie jetzt so plötzlich hervortritt, ist die Sache in der That sehr unangenehm — ich habe mich der Königin gegenüber,“ fügte er leiser hinzu, „einigermaßen engagirt, sie hat ihre Abdankung unterzeichnet.“

„Es scheint,“ sagte der Herzog von Gramont, „daß der Marschall Prim hier ganz eigenmächtig und hinter dem Rücken seiner Collegen und aller spanischen Staatsmänner gehandelt hat, denn Herr Olozaga, den ich sogleich befragte, erklärte mir, daß er von der ganzen Angelegenheit nichts wisse und sprach sich zugleich in den aller entschiedensten und stärksten Ausdrücken gegen diese ganze Combination aus, von welcher er vollkommen einsah, daß sie nur geeignet sein könne, große Verwirrungen hervorzurufen.“

„Wäre die Sache früher herangetreten,“ sagte der Kaiser, immer noch halb zu sich selbst sprechend, — „man hätte sich darüber verständigen können — in diesem Augenblick als fait accompli setzt es mich in der That in die äußerste Verlegenheit. — — Es scheint, daß der Marschall Prim den Spaniern einen König geben möchte, welcher ihm allein seinen Thron zu verdanken hätte. Er commandirt die Armee und unter einem Könige seiner Erfindung wird er allerdings auf lange hinaus der allmächtige Minister sein. Aber ich begreife in der That nicht, daß Serrano und die Uebrigen darauf haben eingehen können.“

„Es scheint, daß sie überrumpelt sind,“ sagte der Herzog von Gramont, „und daß sie sich in keiner Weise die Consequenzen klar gemacht haben, welche diese Candidatur nach sich ziehen muß, — denn,“ fuhr er fort, „wenn ein preußischer Prinz auf den spanischen Thron steigt, während zugleich der König von Preußen schon jetzt die fast unbestrittene Hegemonie in Deutschland hat, so ist das Reich Carl V. wieder hergestellt und in jedem Kampf mit Deutschland würden unsere Grenzen an den Pyrenäen bedroht sein. Die traditionelle Politik Frankreichs erfordert es, daß wir uns einer solchen Combination auf das Aeußerste und Entschiedenste widersetzen, um so mehr als in der Person des Prinzen von Hohenzollern durch seine Verwandschaftsbeziehungen mit dem portugiesischen Königshause auch die Idee der iberischen Einheit ihren Ausdruck findet.“

Napoleon lächelte ein wenig bei den lebhaft und erregt gesprochenen
Worten des Herzogs.

„Nun,“ sagte er, „der Prinz Leopold wird wohl so bald nicht in der Lage sein, mit der unumschränkten Autorität Carl V. und Philipp II. über die Armeen Spaniens verfügen zu können, und das spanische Nationalgefühl würde es ihm wohl ein wenig schwer machen, im Fall einer Verwickelung mit Deutschland unsere Grenzen zu bedrohen, um so mehr da mit der Herstellung der Monarchie auch der Einfluß Roms auf die spanische Politik wieder erheblich mächtiger werden muß. Allein,“ fuhr er fort, „die Sache ist immerhin unangenehm und berührt mich besonders in diesem Augenblick sehr peinlich. Auch ist die Art und Weise der plötzlichen Mittheilung eines im Stillen vorbereiteten fait accompli durch den Marschall Prim geradezu eine Beleidigung Frankreichs. Man muß auf der Stelle in Madrid erklären lassen, daß Frankreich diese Candidatur nicht annehmen könne. Der Marschall Prim,“ sagte er, „soll fühlen, daß er noch nicht der Mann ist, um ohne mich auch nur zu fragen, Dinge von solcher Wichtigkeit zum Abschluß zu bringen. Wir werden Mercier sofort anweisen müssen, eine sehr energische Sprache zu führen ich glaube, das wird die Sache sehr schnell erledigen.“

„Sire,“ sagte der Herzog von Gramont, „ich stimme mit Eurer Majestät vollkommen darin überein, daß sich hier eine vortreffliche Gelegenheit bietet, um das so tief gesunkene Prestige Frankreichs in Europa wieder herzustellen. Dies Prestige muß allerdings tief gesunken sein, wenn der Marschall Prim, noch dazu ohne Einverständniß seiner Collegen in der Regierung, es wagt, in einer so rücksichtslosen Weise über Frankreich vollkommen hinweg zu gehen. Und es hat sich in Folge dessen auch,“ fuhr er fort, „die öffentliche Meinung in Paris bei der ersten Nachricht über diese neueste Wendung der spanischen Verhältnisse auf das Aeußerste erregt gezeigt. Die Journale führen eine sehr heftige Sprache und verlangen von der Regierung Eurer Majestät, daß dieselbe den Beweis liefere, Frankreich sei noch nicht aus der Reihe der europäischen Großmächte ausgestrichen.“

Der Kaiser trommelte nachdenklich mit den Fingern auf der Lehne seines
Fauteuils. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck einer tiefen Mißstimmung.

„So sehr ich nun auch,“ fuhr der Herzog von Gramont fort, „die Nothwendigkeit anerkenne, schnell und energisch zu handeln, so vermag ich noch nicht die Ansicht zu der meinigen zu machen, daß unsere Action sich gegen Spanien zu richten habe.“

Der Kaiser blickte befremdet auf.

„Aber wohin denn,“ fragte er.

„Sire,“ sagte der Herzog von Gramont, indem ein zufriedenes und fast überlegenes Lächeln um seinen fein geschnittenen Mund spielte, „das Prinzip der Regierung Eurer Majestät beruht auf der unbedingten Anerkennung des souverainen Selbstbestimmungsrechts der Nation. Eure Majestät nennen sich mit berechtigtem Stolz den Kaiser durch die Gnade Gottes und durch den Willen der Nation — diesem Prinzip gemäß hat Frankreich stets das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf das Sorgfältigste geachtet und vertreten, und auch den spanischen Angelegenheiten gegenüber vom ersten Augenblick an officiell erklärt, daß es sich jeder Einmischung in das Recht der spanischen Nation sich nach ihrem eigenen Willen und Belieben zu constituiren, auf das Gewissenhafteste enthalten werde. Würde Eurer Majestät Regierung nun den Spaniern verbieten wollen, sich irgend einen König, der ihnen passend erscheint, zu erwählen, so würde damit einem Prinzip scharf entgegengetreten werden, welches Frankreich so wohl im Innern wie nach außen hin, bis jetzt proclamirt hat. Der Eindruck einer solchen Erklärung müßte beim französischen Volke ein sehr ungünstiger sein, und könnte bei dem großen Nationalstolz der Spanier dahin führen, daß die ganze Nation die Partei des Prinzen von Hohenzollern ergriffe, nur um ihr souveraines Selbstbestimmungsrecht zu wahren, und daß gerade das, was wir vermeiden wollen, vielleicht um so sicherer geschähe. Auch richtet sich der Unwille der öffentlichen Meinung, die sich in den Artikeln der Journale kund giebt, nicht gegen Spanien —“

„Aber wie wollen Sie denn, — —“ fiel der Kaiser ein, indem er den Herzog fragend ansah.

„Sire,“ sprach der Minister lebhaft weiter, „nicht darin, daß die spanische Nation ihr Recht, sich einen König zu wählen, frei ausübt, liegt eine Gefahr für Frankreich, sondern darin, daß ein Prinz des preußischen Königshauses eine solche Wahl annimmt, und daß in Folge dieser Annahme später die preußische Politik im Fall feindlicher Beziehungen zu Frankreich in Madrid Rückhalt und Unterstützung finden wird.“

Der Kaiser neigte mit einem feinen Lächeln das Haupt und strich mit der
Hand über das Kinn.

„Ich verstehe,“ sagte er leise.

„Mir scheint deshalb,“ fuhr der Herzog fort, „daß wir nicht den Spaniern verbieten sollen, sich irgend einen König zu wählen, sondern daß wir uns an den Punkt wenden müssen, wo die Gefahr für uns liegt, und daß wir vom Könige von Preußen verlangen müssen, er solle dem Prinzen von Hohenzollern die Annahme der spanischen Krone verbieten.“

Der Kaiser wiegte gedankenvoll den Kopf hin und her.

„Dadurch enthalten wir uns,“ fuhr der Herzog fort, „jeder Beleidigung der spanischen Nation, jedes Eingriffs in das nationale Selbstbestimmungsrecht — wir folgen dem Zuge der öffentlichen Meinung in Frankreich, welche sich nicht gegen Spanien, sondern ausschließlich gegen Preußen richtet und in der ganzen Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern nur eine Intrigue des Grafen Bismarck erblickt, — wir haben außerdem die Chance des Erfolges für uns, denn ich glaube nicht, daß man in Berlin geneigt sein wird, um dieser Frage willen einen ernsten Conflikt entstehen zu lassen. Und endlich,“ fügte er mit Betonung hinzu, „wird sich durch diese Behandlung der Sache, die so oft vergebens gesuchte Gelegenheit finden, der Welt zu zeigen, daß der Schwerpunkt der öffentlichen Angelegenheiten Europas noch nicht definitiv von Paris nach Berlin verlegt worden ist. Der Rückzug, welchen die preußische Politik in dieser Sache zweifellos antreten wird, kann der öffentlichen Meinung Frankreichs als ein großer moralischer Sieg dargestellt werden und dies wird das schwer erschütterte Prestige mit einem Schlage wieder herstellen. Wenn in Folge unserer Intervention die Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern zurückgezogen werden muß, so wird dies der Regierung Eurer Majestät ebenso viel nützen, als eine gewonnene Schlacht oder die Erwerbung von Compensationsobjecten, zu welcher bisher der vergebliche Versuch gemacht wurde.“

Er schwieg und blickte erwartungsvoll und forschend auf den Kaiser.

Napoleon stand langsam auf, ging einige Male im Zimmer auf und nieder und blieb am Fenster stehen, sinnend auf seine Rosenbeete hinausblickend. Dann wandte er sich, die Hand auf die Fensterbrüstung gestützt, zum Herzog zurück und sprach:

„Es liegt viel Wahres in dem Gedanken, den Sie da so eben ausgesprochen haben. Es wäre vielleicht eine Angelegenheit um die Vergangenheit zu verbessern. Das Ganze würde freilich,“ sagte er achselzuckend, „im Wesentlichen nur ein Theatercoup sein. Aber,“ fügte er hinzu, „die öffentliche Meinung wird ja doch nur durch solche Theatercoups bestimmt, und es ist jedenfalls am besten, wenn man sie ausführen kann ohne ernsthafte Gefahr. Doch,“ sagte er dann mit tiefem Ernst, „sind wir vor solcher Gefahr sicher, sind wir vollkommen gewiß, daß wir in Preußen nicht auch diesmal wie so oft vorher auf einen bestimmten und festen Widerspruch stoßen werden, daß sich aus der Sache nicht ein wirklicher und ernster Conflikt entwickelt, den ich in diesem Augenblicke um keinen Preis heraufbeschwören möchte.“

Der Herzog von Gramont richtete sich noch gerader empor als sonst, mit einem stolzen Lächeln kräuselte er leicht seinen Schnurrbart und sagte:

„Darüber bin ich ganz sicher, man wird es nicht wagen, ernstlichen Widerstand in Berlin zu leisten, wenn wir nur fest und energisch auftreten, — wie ich überzeugt bin,“ fuhr er fort, „daß man es auch bei früheren Gelegenheiten nicht gewagt haben würde, wenn wir bestimmt auf unserer Forderung bestanden hätten. Man hat in Berlin mit so vielen inneren Schwierigkeiten zu kämpfen, die Haltung der süddeutschen Staaten ist höchst widerstrebend, — Oesterreich steht auf unserer Seite und der General Fleury erhält unausgesetzt die zweifellosesten Beweise der Sympathie des Kaisers Alexander für Eure Majestät und für Frankreich. Ich bin sicher, daß man nachgeben wird und zwar um so leichter und schneller, als man die ehrgeizigen Absichten, welche nach meiner Ansicht im Hintergrunde dieser Combination liegen, nicht wird eingestehen wollen.“

„Dessen müßte man aber,“ sagte der Kaiser, „sicher sein, denn die sympathischen Aeußerungen gegen den General Fleury vermag ich für nichts anderes anzusehen, als für Worte und Ausdrücke persönlicher Gesinnungen, welche der Kaiser Alexander gewiß hegt, aber welche kaum jemals irgend einen Einfluß auf die Politik Rußlands ausüben werden, — und was Oesterreich betrifft,“ fügte er achselzuckend hinzu, — „Sie sehen die Verhältnisse dort günstiger an, mein lieber Herzog, als ich es zu thun im Stande bin.“

Er schwieg abermals einige Augenblicke nachdenklich.

„Auch weiß ich nicht,“ sagte er dann, „ob unsere Armee so schlagfertig ist, daß man die Möglichkeit eines ernsten Conflikts in's Auge fassen darf, — Niel ist todt,“ sagte er düster, „und seine sichere und energische Hand ist bis heute noch unersetzt geblieben.

„Doch,“ sprach er dann, „unthätig dürfen wir nicht bleiben, und ich komme immer mehr dahin, mich Ihrem Ideengang anzuschließen. Die Situation ist äußerst günstig, Graf Bismarck ist in Barzin, — mit ihm würde man vielleicht nicht so leichten Kaufs fertig werden. Der König Wilhelm ist in Ems allein, — so sehr er Soldat ist, so hegt er doch eine tiefe Scheu vor einem ernsten Conflikt, der seine Armee, welche sein ganzes Volk repräsentirt, auf die Schlachtfelder führen könnte. Außerdem glaube ich nicht, daß er nach seiner persönlichen Auffassung einen seinem Hause nahe stehenden Prinzen gern das Abenteuer dieses spanischen Königsversuchs wird bestehen lassen. Die Sache kann in Ems vielleicht ganz leicht und glatt erledigt werden, und Ihrer und Olliviers Geschicklichkeit,“ sagte er lächelnd, „wird es dann überlassen sein, das Resultat als einen Triumph unserer Energie der öffentlichen Meinung in Frankreich darzustellen.

„Benedetti ist in Wildbad?“ fragte er.

„Zu Befehl, Majestät,“ sagte der Herzog von Gramont, „er muß seit
einigen Tagen dort sein, der Botschafts-Secretair Le Sourd führt die
Geschäfte in Berlin, welche ohne diesen Zwischenfall im jetzigen
Augenblick fast gänzlich bedeutungslos wären.“

„Geben Sie Benedetti den Auftrag,“ sagte der Kaiser, „sich sogleich nach Ems zum König Wilhelm zu begeben und dort so schnell als möglich und thunlichst ohne jedes Aufsehen die Zurückziehung der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern zu erreichen. Er kann dabei auf das Beispiel Griechenlands hinweisen. Damals wurde ebenfalls bestimmt, daß die Wahl des Königs auf keinen Prinzen aus den regierenden Häusern der Schutzmächte fallen dürfe, auch an das Beispiel Neapels, wo ich selbst dem Prinzen Murat die Aufstellung seiner Candidatur untersagt habe, — Benedetti ist unendlich geschmeidig und insinuant, auch dem Könige Wilhelm eine angenehme und sympathische Person, er wird dort unter den einfachen und zwanglosen Verhältnissen des Badelebens, welche ihm auch eine leichtere Annäherung an den König und einen freieren und natürlicheren Verkehr mit ihm gestatten, ohne Zweifel sehr leicht erreichen können, daß die Candidatur des Erbprinzen zurückgezogen wird. Lassen Sie Benedetti wissen, daß er auf meine höchste Dankbarkeit rechnen kann, wenn er diese Angelegenheit schnell und glücklich zu Ende führt und unterlassen Sie vorläufig jeden officiellen Schritt in Berlin, der verletzen und das Resultat der Unterhandlungen in Ems in Frage stellen könnte.“

Der Herzog verneigte sich.

„Ich werde sofort den Befehl an Benedetti abgehen lassen, Sire,“ sagte er.

Napoleon rieb sich mit heiterem Lächeln die Hände.

„Wenn Benedetti reussirt,“ sagte er, „so wird Alles vortrefflich gehen. Der König Wilhelm wird die ganze Sache als einen Act freundlicher Höflichkeit ansehen und gern entgegenkommen, und mein Freund, der Graf Bismarck,“ fügte er mit eigenthümlicher Betonung hinzu, „wird in seiner ländlichen Einsamkeit zu Barzin nun auch einmal meinerseits eine jener kleinen Ueberraschungen empfinden, die er mir so oft bereitet hat. Vor allen Dingen aber,“ fuhr er fort, „schärfen Sie Benedetti die äußerste Geschmeidigkeit und Rücksicht ein, — handeln Sie schnell und senden Sie mir alle eingehenden Berichte und Telegramme sofort hierher. Wenn wir nach dem Plebiscit dem französischen Nationalgefühl diesen Erfolg vorführen können, so werden wir viel gewonnen haben. Wenn,“ fuhr er nach einem augenblicklichen Nachdenken fort, „Sie dahin wirken können, daß durch Olozaga und Serrano auch von den Spaniern die Candidatur des Prinzen Leopold aufgegeben wird, so wird das um so besser sein, doch muß jeder Schein eine Pression vermieden werden.“

Der Herzog von Gramont ergriff mit ehrerbietiger Verneigung die Hand, welche der Kaiser ihm zum Abschied reichte und ging hinaus.

„Fast scheint es dennoch,“ sagte der Kaiser, „daß das Glück sich mir zuwendet. Diese Candidatur des Prinzen Leopold, dem ich,“ sprach er lächelnd, „diesen zweifelhaften Glanz des spanischen Thrones wirklich gern gegönnt hätte, wird die Handhabe bieten, auch den äußeren Nimbus des Kaiserreichs wieder herzustellen, nachdem dessen nationale Grundlagen wieder durch das Plebiscit befestigt sind, und so wird es mir vielleicht erspart bleiben in die entsetzliche kriegerische Catastrophe, welche seit vier Jahren wie ein Damoklesschwert über meinem Haupte schwebt, hineingerissen zu werden.“

Er zündete eine seiner großen braunen Havannacigarren an, setzte den breitrandigen Strohhut auf und stieg langsam über die, aus seinen Gemächern herabführende Treppe in seinen Rosengarten hinab.

Sechstes Capitel.

Die Morgenpromenade am Kursaal in Ems war äußerst belebt und eine zahlreiche und glänzende Gesellschaft bewegte sich in der großen Allee hin und her. Die Damen in einfachen eleganten Sommertoiletten hielten je nach ihrem Range und der Stellung, die sie sich durch ihre persönlichen Eigenschaften in der Gesellschaft erworben, eine Art von Cercle, indem sie in kurzer Unterhaltung die Herren ihrer Bekanntschaft begrüßten, bald stehen bleibend, bald mit Diesem oder Jenem einige Schritte auf der Promenade machend.

Daneben sah man alte mürrische Herren, welche hierher gekommen waren, um den während des Jahres angesammelten Staub der Bureaux aus ihren Kehlen und ihren Lungen fortzuspülen; Diplomaten, welche hier ihre Sommervilleggiatur hielten, weniger um der Heilkraft der Quellen willen, als weil die Anwesenheit des Königs von Preußen, wenn derselbe auch ganz ausschließlich seiner Badekur lebte, dennoch in dieser Zeit der absoluten Stagnation in der Politik hier noch die meiste Gelegenheit bot, um ein wenig zu hören und zu sehen, was in der Welt vorging oder sich vorbereitete.

In den letzten Tagen war in das Stillleben des Badeaufenthalts ein wenig mehr Leben und Bewegung gekommen; man hatte gelesen, daß der Erbprinz von Hohenzollern als Candidat für den spanischen Thron aufgestellt sei, und daß derselbe diese Candidatur angenommen habe. Man wußte, daß dieses Ereigniß, welches an sich von keiner besondern Bedeutung zu sein schien, eine große Aufregung in der französischen Presse erregt hatte. Im Corps legislatif war eine Interpellation erfolgt, und der Herzog von Gramont hatte eine sehr kategorische und sogar etwas verletzende Erklärung abgegeben; auch war der Botschafter des Norddeutschen Bundes Baron von Werther in Ems angekommen. Das Alles ließ darauf schließen, daß die spanische Thronfrage und die Candidatur des Prinzen Leopold Gegenstand der Verhandlungen zwischen dem Könige Wilhelm und dem Kaiser Napoleon geworden sei oder werden würde und namentlich unter den sich im Ferienaufenthalt hier befindenden Diplomaten war dadurch eine gewiße neugierige Spannung hervorgerufen, doch nahm im Ganzen die Gesellschaft wenig Theil daran. Man war seit einigen Jahren ja gewöhnt, daß hier und da kleine Differenzen zwischen Frankreich und Preußen entstanden, und da dieselben jeder Zeit mit der äußersten Courtoisie von beiden Seiten wieder ausgeglichen waren, so legte man auch diesmal der so plötzlich aufgetauchten Frage keine große Bedeutung bei, und um so weniger als ja die ganze Sache Preußen und Deutschland so unendlich wenig anzugehen schien.

So war denn die ganze Gesellschaft auf der Brunnenpromenade in Ems ebenso heiter, als der blaue sonnige Himmel, welcher sich über dem reizenden Bergthal ausspannte. Es waren nur Worte leichter und fröhlicher Conversation, welche man unter den Klängen der Badecapelle miteinander wechselte.

Bereits war der Prinz Georg von Preußen auf der Promenade erschienen und hatte sich in liebenswürdigster Weise mit den ihm bekannten Damen und Herren der Badegesellschaft unterhalten, und mit allgemeiner Spannung erwartete man den König Wilhelm, welchen man pünktlich zur festgesetzten Stunde auf der Promenade erscheinen zu sehen gewohnt war, um seinen Kränchen-Brunnen zu trinken.

„Ich habe gestern Abend die neuesten Zeitungen mit Nachrichten aus Frankreich gelesen,“ sagte der Präsident des evangelischen Oberkirchenraths Dr. Matthis, eine hagere, trockene Gestalt mit bureaukratisch faltigem, kränklichem Gesicht, indem er sich zu dem Regierungspräsidenten von Bernuth, einem schlanken, hoch blonden Mann mit starkem Schnurrbart, welcher in militairischer kräftiger Haltung neben ihm ging, wandte, „es scheint mir doch ein wenig bunt in Frankreich auszusehen. Wenn ich dazu die plötzliche Ankunft des Baron von Werther nehme, so kommt mir die Lage der Dinge doch etwas beunruhigend vor. Mir scheint die öffentliche Meinung in Paris sehr montirt zu sein, und die Erklärung des Herzogs von Gramont im Corps legislatif beweist, daß die Regierung sich ein wenig unter dem Druck dieser öffentlichen Meinung befindet. Es wäre doch entsetzlich,“ sagte er seufzend, „wenn wir hier aus unserm ruhigen Badeleben durch ernste und gefährliche Catastrophen aufgeschreckt werden sollten.“

„Ich glaube nicht daran, Excellenz,“ sagte Herr von Bernuth, „dieses Spiel hat sich ja seit 1866 schon oftmals wiederholt, — erinnern Sie sich nur an Luxemburg. Damals schrieben die französischen Journale flammende Artikel, und so viel man davon erfuhr, führte auch die französische Diplomatie eine sehr hochmüthige Sprache, so daß Jedermann damals an den Ausbruch des Krieges glaubte. Die ruhige kaltblütige Heftigkeit des Kaisers und des Grafen Bismarck haben damals dem Sturm getrotzt und derselbe hat keine gefährlichen Wetterwolken empor getrieben, — so wird es auch diesmal wieder sein, man wird sich wohl jetzt ebenso wenig einschüchtern lassen, wie damals und die ganze Sache hat ja auch für beide Theile lange nicht die Bedeutung wie die Luxemburger Affaire.“

Der Geheimrath Matthis schüttelte bedenklich den Kopf.

„Mir will das nicht recht geheuer vorkommen,“ sagte er, — „es wäre wirklich traurig, wenn die Kur, die mir so gut bekommt, unterbrochen werden sollte.“

Sie waren an die Quelle gekommen, Herr Matthis füllte seinen Becher und schlürfte vorsichtig in kleinen Zügen das Heil bringende Wasser ein, während Herr von Bernuth rasch in kräftigen Zügen seinen Becher leerte.

„Sehen Sie, Exzellenz,“ sagte er dann, „dort kommt Seine Majestät. Ich bitte, sehen Sie den Herrn an, so lange dies Gesicht so heiter und ruhig blickt, haben wir nichts für den europäischen Frieden zu fürchten.“

Der Geheimrath Matthis hatte bei den Worten des Präsidenten hastig seinen Becher geleert, von der schnell in seine Kehle dringenden Flüssigkeit gereizt, begann er heftig zu husten, und sein Taschentuch vor den Mund haltend, blickte er nach dem Eingang der Allee hin, wo so eben der König Wilhelm in einem einfachen dunklen Civilanzug, einen Cylinderhut auf dem Kopf, einen Stock in der Hand erschien, begleitet von dem Flügeladjutanten, Grafen Lehndorf, einem schönen, hoch gewachsenen Mann mit starkem dunklem Bart, der ebenfalls in Civil erschienen war.

Der Präsident von Bernuth hatte Recht; der König ging so frisch, so leichten und kräftigen Schritts einher; sein Gesicht strahlte von einer so ruhigen milden Heiterkeit, daß man unmöglich dem Gedanken Raum geben konnte, daß ernste Sorgen um den Frieden der Welt ihn erfüllen könnten.

Der König schritt rasch durch die Allee nach der Quelle hin und erwiderte rechts und links freundlich mit der Hand winkend die ehrerbietigen Begrüßungen der bei seinem Vorbeischreiten tief sich verneigenden Badegäste. Der König begrüßte schnell, aber herzlich den Prinzen Georg, welcher ihm entgegentrat und wandte sich dann zu seinem Leibarzt Dr. von Lauer, der den Becher Seiner Majestät aus dem Kränchen-Brunnen füllen ließ.

„Ich habe vortrefflich geschlafen, mein lieber Lauer,“ sagte der König, indem er den Becher ergriff, „überhaupt bekommt mir diesmal die Kur ganz ausgezeichnet. Es ist eine vortreffliche Quelle, die Sie mir verordnet haben, sie bringt meine Natur für ein Jahr immer wieder in Ordnung.“

Er leerte mit langen Zügen seinen Becher und athmete dann tief auf, als fühle er die wohlthätige Wirkung des Getränks.

„Eure Majestät sehen in der That in den letzten Tagen und heute besonders ganz ausnehmend wohl und kräftig aus,“ sagte Herr von Lauer, indem er den scharfen Blick seines klugen und geistvollen Auges auf der kräftigen Gestalt des Königs ruhen ließ. „Aber ich würde, um die Quelle zur vollen Wirksamkeit zu bringen, am liebsten sehen, daß Eure Majestät Ihr Militair- und Civilcabinet zu Hause gelassen hätten, denn die Enthaltung von allen Arbeiten, von aller geistigen Unruhe ist die erste Bedingung einer guten Wirkung des Bades, und leider halten Eure Majestät diese nothwendige geistige Diät nicht mit eben der Sorgfalt, mit welcher Sie die materiellen Diätvorschriften beobachten.“

„Leider ist das nicht so ganz möglich,“ erwiderte der König, „indeß kann ich Sie versichern, daß ich auch in dieser Beziehung so viel als es angeht, Ihren Vorschriften nachkomme, und namentlich habe ich keine aufregenden und beunruhigenden Arbeiten,“ fügte er hinzu, während es wie ein leiser vorübergehender Schatten über sein Gesicht flog.

„Ich fürchte doch, daß Eure Majestät als Bade-Patient immer noch zu viel arbeiten, denn nach der Anzahl von Depeschen, welche einlaufen —“

„Controliren Sie meine Depeschen?“ fragte der König lächelnd.

„Als Eurer Majestät Leibarzt,“ sagte Herr von Lauer, „müßte ich hier im Bade eigentlich Alles controliren, was in Eurer Majestät Leben eingreift; aber zu der Bemerkung, welche ich so eben zu machen mir erlaubte, bin ich auf zufällige Weise gekommen; ich wohne im steinernen Hause neben dem Zimmer des Hofraths St. Blanquart“ —

„Nun,“ fragte der König.

— „der Geheimrath Abeken, Majestät, kommt nun sehr häufig von seiner Wohnung in Huyns Gartenhaus zu St. Blanquart, um von den Depeschen nach ihrer Dechiffrirung sofort Kenntniß zu nehmen, und seit einigen Tagen höre ich bis tief in die Nacht hinein fortwährend das Vorlesen der Zahlen der Chiffres. Diese ruhig und monoton ausgesprochenen Zahlen tönen in meinen Schlaf hinein, und wenn ich morgens früh aufwache, so höre ich bereits wieder, wie sich Zahl an Zahl in der Arbeit des Dechiffrirens an einander reiht; — ob man in der Nacht überhaupt aufgehört hat, weiß ich nicht. Und alle diese unendlichen Zahlenreihen,“ fuhr er fort, „haben doch einen Inhalt, dieser Inhalt muß endlich zu Eurer Majestät gelangen und ist jedenfalls der Feind meiner Kur. Ich bin mehrmals schon sehr böse gewesen und möchte am liebsten das ganze Dechiffrirbureau von Eurer Majestät durch eine chinesische Mauer trennen, so lange bis mein Brunnen seine Wirkung gethan.“

Der König lachte herzlich.

„Nun,“ sagte er, „Abeken und der arme St. Blanquart werden wohl nicht so gefährliche Feinde meiner Gesundheit sein, lassen Sie sie nur immerhin, ich verspreche Ihnen, ich werde mich nicht zu sehr anstrengen.“

Und freundlich den Kopf neigend, wandte er sich zur Seite.

Der Geheimrath Matthis hatte den Hustenanfall überwunden, und der König winkte ihn freundlich heran, fragte ihn nach der Wirkung der Kur und wandte sich dann zu dem Präsidenten von Bernuth.

„Wenn ich hier die Badegesellschaft in Ems ansehe,“ sagte er heiter, so muß ich glauben, daß dies Wasser ein Lebenselixir ist, welches meine ganze Regierungsmaschine durchdringt und verjüngt, meine Kirchenverwaltung, meine Administration, meine Diplomatie und selbst meine Officierscorps suchen sich hier Kraft und Stärkung, und so dringt diese Quelle von Ems in alle Adern des preußischen Staatslebens.“

„Wenn die Quelle Eurer Majestät Kraft und Gesundheit stärkt,“ erwiderte
Herr von Bernuth, „so durchdringt sie ja ohnehin schon den Organismus
des preußischen Staats mit neuer Lebenskraft und verdient die
Dankbarkeit aller Ihrer Unterthanen.“

Der König nickte freundlich mit dem Kopf und trat dann zu dem in der Nähe stehenden Botschafter am Pariser Hofe, Freiherrn von Werther, einem schlanken eleganten Mann mit bleichem Gesicht und militairisch geschnittenem Haar und Bart.

„Benedetti ist diese Nacht angekommen,“ sagte der König mit etwas gedämpfter Stimme, indem er durch einen Wink der Hand Herrn von Werther aufforderte, ihn auf seiner Promenade zu begleiten. „Er hat mich um eine Audienz gebeten, ich habe ihm sagen lassen, daß ich ihn erst Mittags empfangen könne, da ich morgens mit meiner Kur zu thun habe und auch am Vormittage mehrere Geschäfte zu erledigen muß. Er ist jedenfalls nicht zufällig hier, denn er war erst vor wenigen Tagen auf Urlaub nach Wildbad gegangen und hatte so eben seine Kur begonnen. Jedenfalls kommt er in dieser Hohenzollerschen Angelegenheit, welche in Frankreich täglich mehr Staub aufwirbelt. Es würde mir lieb sein, wenn ich bevor ich ihn empfange, über den Gegenstand seiner Mission unterrichtet wäre. Wollen Sie ihn besuchen, und wenn Sie es in der Unterredung mit ihm erfahren können, mir ungefähr mittheilen, was er will. Ich wünsche aber nicht,“ fuhr er fort, „daß Sie in eigentliche Discussion mit ihm eintreten, — wenn er über die Angelegenheit spricht, so sagen Sie ihm einfach, daß der Prinz Leopold mich um Rath gefragt habe, und daß ich nicht im Stande gewesen sei, seinem Wunsch, die spanische Krone anzunehmen, ein Hinderniß entgegenzustellen.“

„Ich zweifle nicht, Majestät,“ sagte Herr von Werther, „daß der Graf Benedetti hierher gesendet ist, um Eurer Majestät dasselbe zu sagen, was mir bereits der Herzog von Gramont und Herr Ollivier in ziemlich allgemeiner Weise ausgesprochen haben, daß nämlich Frankreich die Thronbesteigung des Prinzen von Hohenzollern, den man dort hartnäckig für einen preußischen Prinzen erklärt, nicht dulden könne, und daß man verlangen müsse, daß Eure Majestät den Prinzen zur Verzichtleistung veranlasse.“

„Ich begreife nicht, was sie wollen,“ sagte der König einen Augenblick stehen bleibend, „ich kann mir unmöglich denken, daß der Kaiser Napoleon, dessen Gesundheit in der letzten Zeit immer weniger fest gewesen ist, darauf ausgehen sollte, einen Conflict zu suchen, und doch erscheint diese ganze Behandlung der Hohenzollerschen Candidatur wie eine Provocation, denn einen politischen Grund, sich so sehr darüber zu echauffiren, sehe ich in der That nicht. Der Prinz Leopold ist kein preußischer Prinz — und wenn er es wäre, glaubt man denn, daß er in diesem von Parteien zerrissenen spanischen Lande preußische Politik machen könnte? Jeder König, der dort auf den Thron steigt, wird genug zu thun haben, um sich auf demselben zu erhalten und der inneren Verwirrungen Herr zu werden. Ich begreife die ganze Sache nicht,“ fuhr er fort, — „ich hoffe, daß das Alles nur ein kleines Strohfeuer sein wird, wie man sie in Frankreich von Zeit zu Zeit anzuzünden liebt, und daß der Kaiser Napoleon auch diesmal wie bei der Luxemburger Angelegenheit, die doch eigentlich ernsterer Natur war, das Feuer der Kriegspartei ein wenig dämpfen wird.“

„Auch ich bin davon überzeugt, Majestät,“ erwiderte Herr von Werther, „denn nach all den Eindrücken, die ich habe, wünscht der Kaiser wirklich aufrichtig die Erhaltung des europäischen Friedens und guter Beziehungen zu Eurer Majestät. Indeß läßt sich nicht verkennen,“ fuhr er fort, „daß diese Hohenzollersche Frage die öffentliche Meinung im hohen Grade aufgeregt hat, allerdings unter Vorgang der Regierungsjournale — doch bei meiner Abreise von Paris war diese Aufregung sehr groß, und nach dem, was ich aus den Zeitungen sehe, steigt sie von Tage zu Tage. Ollivier ist äußerst abhängig von der öffentlichen Meinung, der Herzog von Gramont folgt Ollivier, und der Kaiser steht, je mehr sein Körper und seine Nerven schwach werden, immer mehr unter dem Einfluß seiner Minister und seiner Umgebung.“

„Nun,“ sagte der König, „ich werde wahrhaftig nichts dazu thun, um die Situation zu verschlimmern, ich werde ein freundliches Entgegenkommen zeigen, da ich wahrlich kein Interesse daran habe, den Prinzen Leopold zu diesem spanischen Abenteuer zu treiben, aber ebenso wenig kann ich ihm auch dasselbe verbieten, ich würde ja auch dazu eigentlich gar kein Recht haben. Wenn er mich um Rath fragt, so ist das eine Courtoisie, — wenn er aber meinen Rath nicht befolgen will, so kann ich ihn kaum dazu zwingen — jedenfalls bin ich als König von Preußen der ganzen Angelegenheit völlig fremd, meine Regierung hat mit derselben garnichts zu thun. Nun wir werden ja sehen,“ sagte er, „gehen Sie inzwischen zu Benedetti und erklären Sie ihm zugleich nochmals, warum ich ihn erst am Nachmittag empfangen kann, er wohnt in der Stadt Brüssel.“

Mit freundlichem Kopfnicken entließ der König den Baron Werther und wendete sich zu dem Oberpräsidenten von Möller, einem Mann von etwa fünf und fünfzig Jahren, dessen kluges und offenes Gesicht mit den frischen Farben und den hellen Augen sein Alter weniger verrieth als das bereits stark ergraute, ziemlich lang zurückgestrichene Haar.

„Guten Morgen, mein lieber Möller,“ sagte der König, „es freut mich, Sie hier zu sehen. Ich bin begierig, von Ihnen zu erfahren, wie es in Hessen steht, und ob meine neuen Unterthanen dort noch immer so unzufrieden sind, daß sie Preußen geworden sind.“

„Majestät,“ sagte Herr von Möller, „die allgemeine Stimmung in der Provinz, deren Leitung Allerhöchst dieselben mir übertragen haben, söhnt sich immer mehr mit der neuen Ordnung der Dinge aus. Alle Vernünftigen, namentlich auch die Vertreter des Handels und der Industrie empfinden immer mehr die Vorzüge einem großen Staatswesen anzugehören, und ich gebe mir die größte Mühe überall auf die mildeste Weise die alten Verhältnisse mit den neuen Zuständen zu versöhnen.“ —

„Ganz recht, ganz recht,“ fiel der König ein, „Sie handeln darin ganz in meinem Sinn. Man muß alle berechtigten Eigenthümlichkeiten schonen, alle Erinnerungen an die Vergangenheit achten —“

„Die Erinnerungen an die Vergangenheit, Majestät, stehen uns bei der Bevölkerung von Kurhessen vielleicht weniger entgegen, als bei derjenigen von Hannover. Die Hessen haben viele Anhänglichkeit an die Traditionen ihrer Vergangenheit, aber gerade durch die Persönlichkeit des letzten Kurfürsten, der ja überall wenig Sympathie hatte, haben jene Erinnerungen an Intensivität und Einfluß verloren. Den nachdrücklichsten und hartnäckigen Widerstand findet die Regierung leider bei den Geistlichen, welche befürchten, daß die Einverleibung in Preußen dem lutherischen Bekenntniß Gefahr bringen, und daß die Einführung der Union beabsichtigt werden könnte.“

Der König blieb einen Augenblick stehen und blickte sinnend vor sich hin.

„Mein Gott,“ fuhr er fort, „daß doch gerade die Priester des Christenthums sich so wenig zu den Ideen der Liebe und Duldung erheben können, welche den Erlöser selbst erfüllten. Was ist denn die Union, dieses Werk meines unvergeßlichen Vaters, anders, als der Ausdruck der wahrhaft christlichen Toleranz, um alle Bekenner des evangelischen Glaubens zu einer evangelischen Kirche zu vereinigen.

„Nun ich hoffe,“ sprach er weiter, „der gesunde Sinn der Gemeinden wird kräftiger sein, als der eigensinnige Zelotismus der Geglichen. Uebrigens liegt es mir ja unendlich fern, den Gewissen irgend welchen Zwang anthun zu wollen und einen Druck zur Einführung der Union auszuüben. Sie werden mir über das Alles noch ausführlich berichten,“ sagte er, „sobald ich eine Stunde freie Zeit habe.“

Er grüßte Herrn von Möller und wendete sich zu zwei Damen, welche in einfacher Morgentoilette an der Seite der Promenade stehen bleibend, sich tief verneigten.

Es waren die berliner Künstlerinnen, Fräulein Marie Keßler mit dem anmuthig gedankenvollen Ausdruck in den weichen sinnenden Augen und Fräulein Anna Schramm, deren lebhafte Blicke von Geist und Laune funkelten.

„Nun, meine Damen,“ sagte der König, „ich hoffe, daß die Vorstellung, welche Sie mit Herrn Bethge und Herren Behrend zum Besten der Abgebrannten in Pera veranstaltet haben, einen recht günstigen Ertrag für die armen Opfer jener unglücklichen Catastrophe erzielt hat.“

„Die Rechnungen sind noch nicht abgeschlossen, Majestät,“ erwiderte Fräulein Keßler, „doch hoffen wir, daß nach der Gesammteinnahme ein erheblicher Ueberschuß sich ergeben wird.“

„Ich habe mich sehr über Ihr Unternehmen gefreut,“ sagte der König „und spreche Ihnen nochmals meinen Dank dafür aus. Es ist ein schöner Zug des immer mehr erstarkenden und erwachenden Nationalgefühls, daß wenn auch im fernsten Auslande Deutsche von dem Schlage des Unglücks getroffen werden, die besten Kräfte der Nation sich vereinigen, um ihnen beizustehen, und es hat mich hoch erfreut, daß meine berliner Künstler und Künstlerinnen auch in dieser Beziehung mit edlem Beispiel vorangegangen.“

Mit ritterlich artigem Gruß gegen die beiden Damen schritt er weiter, begrüßte noch die verschiedenen Bekannten auf der Promenade, während er die vorgeschriebene Anzahl von Bechern an der Quelle leerte und kehrte dann, vom Grafen Lehndorf gefolgt, nach seiner Wohnung im Badehause zurück.

Rüstigen und leichten Schrittes stieg er die Treppe hinauf, trat durch das Wohnzimmer in den einfachen Raum, welcher ihm als Arbeitscabinet diente; an dem Fenster dieses Zimmers stand der breite Schreibtisch; ein Sopha und einige Lehnstühle mit rothem Plüsch überzogen, bildeten das ganze Ameublement dieses anspruchslosen Aufenthalts des mächtigen Monarchen.

Der Flügeladjudant war im Vorzimmer zurückgeblieben. Der König reichte seinen Hut und seinen Stock seinem Leibkammerdiener Engel, welcher in ernster ruhiger Haltung, in seinem blauen Frack mit den goldenen Knöpfen fast an einen hohen Staatsbeamten erinnernd, seinem königlichen Herrn entgegengetreten war.

„Ich lasse den Geheimrath Abeken bitten,“ sagte der König, setzte sich, während der Kammerdiener hinausging, an seinen Schreibtisch und öffnete einige für ihn dort hingelegte Privatbriefe.

Nach kurzer Zeit trat der Geheime Legationsrath Abeken, seine
Vortragsmappe unter dem Arm in das Zimmer.

Er war ein kleiner Mann von einundsechzig Jahren, dessen ganze Erscheinung trotz der etwas lebhaften und nervösen unruhigen Bewegung noch ein wenig den Stempel des geistlichen Standes trug, für den er sich in seiner Jugend bestimmt hatte. Sein blondes Haar und sein kleiner blonder Schnurrbart erschienen noch wenig ergraut, und aus seinen lebhaften, scharf blickenden Augen blitzte das Feuer jugendlicher Frische.

„Guten Morgen, mein lieber Abeken,“ sagte der König, freundlich mit dem Kopf nickend und seinen langjährigen vertrauten Diener, der ihn als vortragender Rath des auswärtigen Ministeriums auf allen seinen Reisen begleitete, die Hand reichend. „Setzen Sie sich, theilen Sie mir mit, was Neues von Berlin gekommen ist. Ich muß Sie übrigens bitten,“ sagte er schalkhaft lächelnd — während Herr Abeken einen Sessel heranzog und seine Mappe öffnete — „daß Sie die Leute nicht im Schlaf stören —“

Herr Abeken sah ganz erstaunt den König an.

„Ich wüßte nicht, Majestät.“

„Lauer hat sich beklagt,“ fuhr der König in demselben scherzhaften Ton fort, „daß Sie und St. Blanquart am späten Abend und am frühesten Morgen schon wieder ihn fortwährend mit dem monotonen Geräusch der Lectüre der Zahlen des Depeschenchiffres verfolgen.“

„Nun Majestät,“ sagte Herr Abeken lächelnd, „ich hoffe, daran wird sich
Herr von Lauer gewöhnen, wie man sich an das Geräusch einer Mühle
gewöhnt, und wenn er nach Berlin zurückkommt, wird er das
Dechiffrirbureau neben seinem Zimmer vermissen.“

„Wie steht die Hohenzollersche Angelegenheit in Berlin,“ fragte der König. „Sie wissen, daß Benedetti angekommen ist, es scheint, daß es da einige Weitläufigkeiten geben wird.“

„Herr von Thiele berichtet, Majestät,“ sagte der Geheimrath Abeken, indem er einen Bericht aufschlug, den er aus seiner Mappe genommen hatte, „daß der französische Geschäftsträger Le Sourd eine äußerst scharfe und bestimmte Sprache führe und erklärt habe, daß die französische Regierung unter keiner Bedingung die Thronbesteigung des Prinzen von Hohenzollern in Spanien dulden könne. Und diese Sprache des Geschäftsträgers zusammengehalten mit den Aeußerungen des Herzogs von Gramont im Corps legislatif flößen Herrn von Thiele die äußersten Besorgnisse ein, und er fürchtet, daß in Paris ein Hintergedanke bestehe. Der Legationsrath von Kendell ist nach Barzin gegangen, um dem Grafen Bismarck persönlich über die Sache Bericht zu erstatten und demselben den Wunsch auszusprechen, daß er, wenn möglich unter diesen Umständen nach Berlin zurückkehren möchte.“

„Der arme Bismarck,“ sagte der König, „er hat seine ländliche Ruhe so nöthig, und ich gönne sie ihm so von Herzen nach all' den Arbeiten, die er den Winter über gehabt hat. Aber freilich,“ fuhr er fort, „wenn die Sache, was ich noch immer nicht glauben kann, irgend wie ernsthaft werden sollte, so wird er seine Sommerruhe wohl unterbrechen müssen. Ich kann ja auch hier nicht ohne Minister auf irgend welche politische Verhandlungen wirklich eingehen, doch vermag ich in der That kaum abzusehen —“ er schwieg einen Augenblick.

„Was haben Sie sonst noch?“ fragte er.

„Abgesehen von dieser spanischen Frage, Majestät,“ sagte der Geheimrath
Abeken, „ist in der auswärtigen Politik völliger Stillstand. Was Eure
Majestät vielleicht besonders interessiren wird, ist ein Bericht über
die Zustände in Rumänien.“

Der König nickte leicht mit dem Kopf.

„Es sieht dort bunt aus,“ sagte er.

„Sehr bunt, Majestät,“ erwiderte der Geheimrath Abeken, „die Lage ist dort so verworren, daß bereits in den Parteien sich Stimmen erheben, welche das Einschreiten der Schutzmächte gegen die Verfassung von 1860 für dringend nöthig erachten. Es scheint, daß die Zustände in Rumänien keine freie Verfassung ertragen. In allen Schichten der Bevölkerung fehlt es an Vertretern, welche die nötige Einsicht zur Ausübung verfassungsmäßiger Rechte besitzen. Die Verfassung dient nur dem Ehrgeiz der Parteien und legt der Thätigkeit des Fürsten, und wenn er persönlich die größte Energie hätte, überall hemmende Ketten an. Gerade diejenigen welche den Regierungsantritt des Fürsten begünstigten, die Führer der radicalen Partei, sind am wenigsten geneigt seine Autorität zu stärken. Sie wollen ihn zu einem lenkbaren Zögling machen und erschweren ihm das Leben in jeder Weise, Senat und Deputirtenkammer sind seit den vier Jahren der Regierung des Fürsten Carl schon dreimal ausgelöst, und der Auflösung folgte jedes Mal eine Agitation durch das ganze Land, die das öffentliche Leben aufs tiefste erschüttert.“

„Lassen Sie mir den Bericht hier,“ sagte der König, „der arme Carl von Hohenzollern thut mir leid, daß er sich in diese Verwirrung hinein begeben hat, welche zu lösen ihm kaum gelingen möchte. Es ist merkwürdig,“ sagte er, während Herr Abeken den Bericht auf den Schreibtisch des Königs legte, „daß das Beispiel in der Familie, den Prinzen Leopold nicht abhält, auch seinerseits sich auf den Weg ähnlicher Abenteuer zu begeben, die vielleicht noch unangenehmer und verhängnißvoller werden können. Der Fürst Anton hat an diesem kleinen rumänischen Thron schon genügend empfunden, was solche Expeditionen kosten. Das spanische Unternehmen möchte wohl leicht noch etwas theurer werden können. Wenn keine eiligen Sachen mehr da sind,“ sagte er dann, „so bitte ich Sie das Uebrige für morgen zu vertagen. Ich möchte noch hören, ob Wilmowsky etwas Dringendes vorzutragen hat und einige Briefe lesen, die ich so eben erhalten, bevor ich Benedetti empfange,“ sagte er mit leichtem Seufzer. „Der Kronprinz hat mir sehr ausführlich über seine Begegnung mit dem Kaiser Alexander in Breslau geschrieben, und es ist mir eine rechte Herzensfreude gewesen, zu sehen, daß auch dort wieder die mir so lieben Familienbeziehungen den innigsten Ausdruck gefunden haben. Der Kaiser hat dem Kronprinzen selbst den St. Georgsorden zweiter Klasse an die Brust geheftet und zugleich an Fritz Carl denselben Orden geschickt, wozu er mich schon früher um die Erlaubniß gebeten hatte. Das Alles freut mich ungemein, die Beziehungen zu dem russischen Hause hege und pflege ich wie ein theures Vermächtniß meines Vaters und wünsche von Herzen, daß dieselben Beziehungen in der künftigen Generation auch fort leben mögen.“

„Abgesehen von diesen Traditionen,“ sagte der Geheimrath Abeken, welcher
sich erhoben und seine Mappe unter den Arm genommen hatte, „welche ja in
der glorreichsten Geschichte Preußens wurzeln, sind die guten
Beziehungen mit Rußland auch im Hinblick auf die politischen
Verhältnisse der Gegenwart von der äußersten Wichtigkeit, und gerade in
Augenblicken wie der gegenwärtige, in welchem nach anderer Seite hin die
Keime zu Verwickelungen sich zeigen, tritt mir so recht lebhaft die
Nothwendigkeit entgegen, mit dem mächtigen Nachbar im Osten in fester
Einigkeit zu leben, damit für alle Eventualitäten nach dorthin uns der
Rücken gedeckt ist.“

„Nun,“ sagte der König lächelnd, „dafür ist ja gesorgt, in dieser
Beziehung dürfen wir keine Bedenken haben, nötigenfalls unsere ganze
Kraft nach der andern Seite hinzurichten. Auf Wiedersehen, mein lieber
Abeken,“ sagte der König, „wollen Sie veranlassen, daß Benedetti zum
Diner eingeladen wird. Senden Sie mir Wilmowsky und,“ fügte er lächelnd
mit dem Finger drohend hinzu, „stören Sie mir Lauer nicht wieder im
Schlaf.“

Der Geheime Legationsrath verließ das Cabinet.

Kurze Zeit darauf während welcher der König noch einige der für ihn persönlich angekommenen Briefe geöffnet und durchflogen hatte, trat der Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky ein, auf seinem länglichen Gesicht, dessen unterer Theil von einem kurzen weichen Bart umgeben war, lag ruhige Heiterkeit und ein fast humoristischer Zug umgab die klaren und scharf blickenden Augen, seine breite, von vollem ergrautem Haar umgebene Stirn war zugleich hoch und schön gewölbt, und in seiner Haltung zeigte er die ruhige und klare Sicherheit des Hofmannes.

„Sind die Bestimmungen über die Feier des dritten August nunmehr vollständig getroffen,“ fragte der König, nachdem er seinen Cabinetsrath freundlich begrüßt und derselbe ihm gegenüber Platz genommen hatte. „Es liegt mir diese Feier ganz besonders am Herzen. Die Aufrichtung eines Denkmals für den hochseligen König ist eine Pflicht der Dankbarkeit, welche ich schon lange empfunden und welche ich mich besonders freue, noch während meines Lebens abtragen zu können.“

„Eure Majestät hatten befohlen,“ sagte der Geheime Cabinetsrath, „daß von den Civilbehörden außer den Deputationen sämmtlicher in Berlin bestehenden Behörden und der Regierung in Potsdam nur die Oberpräsidenten der Provinzen eingeladen werden sollten.“

„Ganz recht,“ sagte der König, „einfach und schlicht wie der Sinn meines Vaters war, soll auch die Feier der Enthüllung des Denkmals sein, auch wenn kein großer Pomp entfaltet wird, so wird das Gefühl des preußischen Volkes und seine frommen Erinnerungen dennoch diesem Act seine schöne und hohe Bedeutung geben.“

„Von den Rittern des eisernen Kreuzes,“ fuhr der Geheime Cabinetsrath fort, „sollen wie Eure Majestät bestimmten, nur diejenigen von Berlin, Potsdam und Spandau zugezogen werden —“

„Die Ritter des eisernen Kreuzes,“ sagte der König sinnend — „um das Denkmal des verewigten Herrn, dessen einfacher frommer Sinn dieses eiserne Denkzeichen an eine eiserne Zeit stiftete! Sie werden immer weniger,“ fuhr er mit weicher Stimme fort, „diese alten Kämpfer für die Befreiung Deutschlands — noch einige Jahre und das edle Zeichen wird aus meiner Armee verschwunden sein, — sie werden dann dort oben Alle versammelt sein um meinen Vater und meine Mutter — und ich auch! — So Gott will aber soll der Geist nicht verloren gehen, welcher in jenem Zeichen lebt, der Geist der frommen und treuen Hingebung an das Vaterland, der Geist, der uns lehrt, das eiserne Schwert nur zu gebrauchen für eine Sache, auf welcher der Segen des heiligen Kreuzes ruht.“

„Uebrigens,“ fuhr der Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky nach einigen Augenblicken fort, „wird eine umfassende Repräsentation der Stadt Berlin bei der Feier statt finden, worüber der Polizeipräsident von Wurmb, der heute oder morgen hier eintrifft, Eurer Majestät noch nähere Mittheilungen machen wird. Auch von allen Großstädten der Monarchie sind Deputationen angemeldet, ebenso von Seiten der Provinzial-Stände.“

„Wenn es nur nicht zu groß und geräuschvoll wird,“ sagte der König. „Nun,“ fuhr er fort, „Jedermann in Preußen kennt ja den Sinn meines Vaters, und man wird verstehen, daß auch in diesem Sinne die Feier gehalten werden muß. Es sollen Deputationen der russischen Armee erscheinen,“ fuhr er dann fort, „ich will darüber noch mit Treskow das nähere besprechen. Diese Aufmerksamkeit des Kaisers Alexanders freut mich ganz besonders, der hochselige Herr legte ja stets so hohen Werth auf die russische Freundschaft und lächelte stets so still glücklich, wenn es im Palais hieß, die Russen kommen. Es wird ein schöner, aber tief ergreifender Tag werden,“ sagte er, „und ich werde so recht ruhig und zufrieden sein, wenn ich erst das liebe und so schön gelungene Erzbild meines Vaters als ein Denkmal der großen und unvergeßlichen Zeit werde aufgerichtet haben. Lassen Sie mir das ganze Programm hier,“ sagte er dann, „ich will Alles genau noch prüfen, und wenn ich Wurmb gehört habe, Alles definitiv feststellen. Was haben Sie sonst noch?“

Der Geheime Cabinetsrath nahm seine Papiere zur Hand und begann den
Vortrag über die laufenden Geschäftssachen, welche der König hier im
Bade mit derselben Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit erledigte, als in
Berlin.

* * * * *

Um drei Uhr Nachmittags erschien im Badehause der französische Botschafter Graf Benedetti. Er war bereits zum Diner angekleidet und trug unter dem schwarzen Frack das breite Orangeband des Ordens vom schwarzen Adler, den Stern dieses höchsten preußischen Ordens und das Großkreuz der Ehrenlegion auf der Brust. Sein blasses, glattes und bartloses Gesicht, dessen runde Stirn von dünnem ergrauendem Haar umgeben war, zeigte die vollkommenste gleichgültige Ruhe. Ein heiteres, freundlich höfliches Lächeln lag auf seinen Lippen, und seine klaren grauen Augen, welche selten einen bestimmten Ausdruck zeigten, blickten so völlig unbefangen umher, daß Niemand, der den Botschafter in die Wohnung des Königs eintreten sah, an das Vorhandensein irgend einer, auch nur einigermaßen ernsten politischen Frage hätte glauben können.

Der Flügeladjutant vom Dienst meldete den Botschafter sofort Seiner
Majestät und führte ihn unmittelbar darauf in das königliche
Arbeitscabinet.

König Wilhelm hatte sich erhoben, trat dem Grafen Benedetti einen Schritt entgegen und reichte ihm mit freundlicher Bewegung die Hand, welche dieser, sich tief verneigend, ehrerbietig ergriff.

„Ich glaube zu wissen, weßwegen Sie kommen,“ sagte der König, — „wir werden uns leicht darüber verständigen und aus dieser Sache wird kein Conflikt entstehen.“

Er deutete, während er sich vor seinen Schreibtisch setzte, auf einen
Sessel, welcher neben demselben stand.

„Eure Majestät,“ sagte Benedetti, indem er sich niederließ, „haben die Gnade, dieselbe Ueberzeugung auszusprechen, in welcher ich hierher gekommen bin, — ich bin gewiß, daß es unendlich leicht sein wird, den Gegenstand der Beunruhigung verschwinden zu lassen, welcher in den letzten Tagen aufgetaucht ist, und welcher die Regierung des Kaisers, meines allergnädigsten Herrn, sehr lebhaft beschäftigt.“

Der König blickte ruhig und erwartungsvoll in das unbewegliche Gesicht des Botschafters.

„Die öffentliche Meinung in Frankreich, Majestät,“ fuhr dieser fort, „erblickt in der Annahme der spanischen Throncandidatur von Seiten des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern eine ernste Gefährdung der französischen Interessen, und die Regierung des Kaisers, welche,“ fügte er hinzu, „mehr als irgend eine andere Veranlassung hat, der öffentlichen Meinung in ausgedehnter Weise Rechnung zu tragen, kann sich, wenn sie auch weit entfernt von der allgemeinen Aufregung ist, dennoch diesem Einfluß nicht verschließen. Eure Majestät wissen, wie hohen Werth der Kaiser persönlich und alle Mitglieder seiner Regierung darauf legen, daß in den Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich keine Trübung entstehe, und daß kein Mißverständniß die aufrichtige Freundschaft und das Vertrauen stören, welches zum Wohl beider Nationen besteht und zu dessen Erhaltung ich nach meinen Kräften mitzuwirken seit Jahren den ehrenvollen und erfreulichen Beruf habe.“

Der König nickte wie die letzten Worte betätigend leicht mit dem Kopf, ohne etwas zu erwidern.

„Die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern,“ sprach Benedetti weiter, „muß abgesehen von der Irritation in Frankreich, wie die Regierung des Kaisers glaubt und wie auch Eure Majestät gewiß nicht verkennen werden, auch in Spanien selbst eine große Aufregung hervorrufen und wird unausbleiblich dort die Ursache oder wenigstens der Vorwand großer Unruhen und Unordnungen werden. Auch in anderen Ländern, Majestät,“ fuhr er mit fast unmerklich erhöhter Betonung fort, „hat die Sache eine lebhafte Beunruhigung erzeugt, — wenn man den übereinstimmenden Aeußerungen der englischen Presse Glauben schenken darf, so ist auch die öffentliche Meinung in England einig darin, eine Combination zu beklagen, welche die Ruhe Spaniens ebenso sehr zu bedrohen scheint, als die guten Beziehungen, die in diesem Augenblick die großen europäischen Mächte miteinander verbinden. Die Regierung des Kaisers hat keinen andern Wunsch, als allen diesen Beunruhigungen so schnell als möglich ein Ziel zu setzen, und in den Händen Eurer Majestät liegt es, diese Wünsche, diese lebhaften und innigen Wünsche zu erfüllen. Eure Majestät können mit einem Wort alle diese Gefahren beschwören und den Ausbruch eines Bürgerkrieges in der pyrenäischen Halbinsel verhüten, für welche ein Mitglied Ihres Hauses die Verantwortung tragen würde. Der Prinz von Hohenzollern kann die spanische Königskrone nicht annehmen, ohne dazu von Eurer Majestät autorisirt zu werden. Sobald Eure Majestät ihn von diesem auch für ihn selbst gefährlichen Unternehmen, abzuhalten die Gnade haben, so werden die Beunruhigungen, welche jetzt alle Welt erfüllen, in einem Augenblick aufhören. Die hohe Weisheit Eurer Majestät und die großherzigen Gefühle, welche Sie erfüllen, werden Ihren Entschluß bestimmen. Ich beschwöre Eure Majestät, Europa diesen neuen Beweis von den edlen Gesinnungen zu geben, in welchen Allerhöchstdieselben bei jeder Gelegenheit beigetragen haben, den allgemeinen Frieden zu erhalten und zu befestigen. Die Regierung des Kaisers,“ fügte er hinzu, „wird in einem solchen Entschluß Eurer Majestät eine neue und innige Befestigung der guten Beziehungen zwischen Frankreich und Preußen erblicken und wird einen solchen Entschluß, wie ich versichern darf, mit hoher Freude und dankbarer Anerkennung entgegennehmen, ebenso wie sie überzeugt ist, daß derselbe in ganz Europa allgemeine Befriedigung erregen wird.“

Der König hatte vollkommen ruhig und ohne ein äußeres Zeichen seiner Gedanken die Worte des Botschafters angehört, er sah einen Augenblick schweigend zu Boden und richtete dann den klaren Blick seines offenen, freien Auges fest auf Benedetti.

„Mein lieber Graf,“ sagte er, „es ist vor allen Dingen nothwendig, jedes Mißverständniß und jede falsche Auslegung über die Art meiner Intervention in dieser ganzen Angelegenheit auszuschließen. Alle Verhandlungen, welche über den Gegenstand geführt wurden, haben sich ganz ausschließlich zwischen der spanischen Regierung und dem Prinzen von Hohenzollern bewegt. Die preußische Regierung ist allen diesen Verhandlungen nicht nur vollkommen fern geblieben, dieselbe war ihr sogar gänzlich unbekannt, auch ich persönlich habe in keiner Weise in dieselbe eingegriffen. Ich habe es sogar entschieden verweigert, einen Agenten des Marschall Prim zu empfangen, welcher in dieser Sache nach Berlin geschickt wurde und habe mich zum ersten Male über die ganze Frage überhaupt geäußert, als der Prinz Leopold bereits ganz entschieden war, die ihm gemachten Vorschläge anzunehmen und meine Erklärung darüber erbat. Dies fand bei meiner Ankunft in Ems statt, und ich habe mich einfach darauf beschränkt, dem Prinzen zu erklären, daß ich nicht glaubte, seinen Absichten ein Hinderniß in den Weg legen zu sollen. Die ganze, an sich schon sehr unbedeutende Einwirkung, welche ich meinerseits auf die Sache habe üben können, ist also rein passiver Natur gewesen und hat sich ganz ausschließlich auf meine Stellung als Chef des Gesammthauses Hohenzollern bezogen. Lediglich in dieser Eigenschaft und nicht in derjenigen als König von Preußen bin ich von dem Entschluß des Prinzen unterrichtet worden, auch habe ich meinem Ministerrath in keiner Weise die Frage vorgelegt, und die preußische Regierung als solche, ist außer Stande eine Interpellation über die Sache zu beantworten, die ihr vollkommen unbekannt geblieben ist, und für welche sie ebenso wenig verantwortlich sein kann, als irgend ein europäisches Cabinet.“

Der König schwieg.

Benedetti, welcher mit schärfster, ehrerbietigster Aufmerksamkeit seinen Worten gefolgt war, verneigte sich, wie um anzudeuten, daß er den Sinn derselben vollkommen erfaßt habe.

„Eure Majestät wollen mir erlauben,“ sprach er mit seiner sanften, geschmeidigen Stimme, „ehrfurchtsvoll zu bemerken, daß die öffentliche Meinung, namentlich diejenige in Frankreich den Sinn und die Bedeutung des scharfen Unterschiedes in der Stellung Eurer Majestät, welche Allerhöchstdieselben so eben hervorzuheben die Gnade hatten, nach meiner Ueberzeugung nicht zu erfassen im Stande sein wird. Die öffentliche Meinung sieht in dem Erbprinzen von Hohenzollern nichts anderes als ein Mitglied der in Preußen regierenden Familie und kann sich, wie ich glaube, von der Auffassung nicht los machen, daß der Prinz, indem er die spanische Königskrone annimmt, in einer und derselben Dynastie zwei Throne vereinigt. Man wird sich vergebens bemühen, diese Auffassung zu zerstören, das Nationalgefühl Frankreichs ist vollkommen einig in dieser Auffassung, und Eure Majestät werden die Gnade haben, anzuerkennen, daß es der Regierung des Kaisers unmöglich ist, dieser Auffassung gegenüber gleichgültig zu bleiben. Die Regierung des Kaisers befindet sich in der Nothwendigkeit — und ist entschlossen, jener Auffassung der öffentlichen Meinung mit vollem Ernst Rechnung zu tragen.“

„Wenn man die Sache,“ sagte der König, „von einer andern Seite auffaßt, so wird doch aber die Regierung des Kaisers nicht verkennen wollen, daß die gegenwärtige Regierung in Spanien von allen Mächten anerkannt und in ihren Entschließungen vollkommen souverain ist. Ich vermag nicht einzusehen,“ fuhr er fort, „mit welchem Recht eine europäische Macht sich der Thronbesteigung eines Königs widersetzen könnte, welcher durch die Vertreter des spanischen Volkes frei gewählt werden würde. Wie der spanische Gesandte in Berlin mitgetheilt hat,“ fuhr er fort, — „und dies ist,“ fügte er mit Betonung hinzu, „die erste und einzige Mittheilung, welche die preußische Regierung überhaupt in der ganzen Angelegenheit erhalten hat, — werden die spanischen Cortes auf den zwanzigsten dieses Monats zusammen berufen werden. Wenn wirklich für die innere Ruhe Spaniens aus der Candidatur des Prinzen Leopold diejenigen Gefahren zu besorgen sein sollten, auf welche Sie, mein lieber Graf, vorhin aufmerksam gemacht haben, so wird es Sache der Cortes sein, jede Candidatur zurückzuweisen und damit die ganze Sache zu beendigen.“

„Ich bitte um die Erlaubniß, Eurer Majestät bemerken zu dürfen,“ erwiderte Graf Benedetti, „daß die Regierung des Kaisers weit entfernt ist, das freie Selbstbestimmungsrecht des spanischen Volkes beschränken zu wollen. Die kaiserliche Regierung hat nur die Ueberzeugung, daß die Combination, welche eigentlich persönlich von dem Marschall Prim ausgegangen ist, die Quelle großer und trauriger Verwickelungen sein würde. Solchen Verwickelungen gegenüber werden Eure Majestät gewiß selbst ein Mitglied Ihrer hohen Familie nicht zur Annahme der Krone autorisiren wollen. Eure Majestät halten allein das Mittel in Händen, um einer so gefahrvollen Lage ein Ende zu machen; und ich bin beauftragt, mich mit der dringenden Bitte an die Weisheit Eurer Majestät zu wenden, von diesem Mittel Gebrauch zu machen.“

„Die Parteien in Spanien,“ sagte der König „sind so zahlreich und so viel gespalten, daß auch die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern kaum im Stande sein würde, dort einen Bürgerkrieg zu vermeiden. Die Parteien sind es dort gewohnt, sich dem Beschluß der Majorität nicht zu fügen und mit den Waffen in der Hand, ihre Rechte oder ihre Ansichten zu vertreten.“

„Ich erkenne vollkommen die Wahrheit der Bemerkung Eurer königlichen Majestät an,“ erwiderte Benedetti, indem seine schlanke Gestalt sich etwas zusammenbog — „indessen würde jedenfalls, wenn es trotz der Verzichtleistung des Prinzen Leopold in Spanien zu Unruhe und Kämpfen kommen sollte ein Mitglied Ihres Hauses nicht die Verantwortung für vergossenes Blut zu tragen haben.“

Der König senkte einen Augenblick nachdenklich den Blick zu Boden.

„Mein lieber Graf,“ sagte er dann, „Sie können überzeugt sein, daß ich den aufrichtigen Wunsch hege, eine Situation verschwinden zu lassen, welche zu Verwickelungen und Mißverständnissen Veranlassung giebt. Ich muß indeß noch einmal darauf zurückkommen, daß meine ganze persönliche Stellung zu der Frage eine rein negative, wenigstens vollkommen passive ist. Ich habe wahrlich in keiner Weise den Prinzen Leopold irgend wie zur Annahme der ihm angetragenen Candidatur ermuntert, ich habe mich lediglich darauf beschränkt, seinen Entschlüssen kein Hinderniß in den Weg zu legen. Von diesem Standpunkt würde ich mich auch jetzt nur sehr schwer entfernen können, ich kann den Prinzen eben so wenig, wie ich ihn zu seinem Entschluß ermuthigt habe, auch jetzt nicht zwingen, von demselben zurückzukommen. Mir scheint, daß die Regierung des Kaisers, wenn sie wirklich in dieser Sache so große Gefahren erblickt, die ich noch nicht zu sehen im Stande bin, allen ihren Einfluß in Madrid aufwenden sollte, um die dortige Regierung zu bestimmen, daß sie auf das Projekt verzichte.“

„Ich habe bereits die Ehre gehabt, Eurer Majestät zu bemerken, daß die Regierung des Kaisers in keiner Weise in das freie Selbstbestimmungsrecht der spanischen Nation eingreifen möchte. Sie würde die Schwierigkeit der ganzen Lage nur unendlich vergrößern, die kaiserliche Regierung hat vielmehr geglaubt, daß der leichteste und einfachste Weg zur Erledigung der ganzen Angelegenheit der sei, wenn Eure Majestät Allerhöchst Ihre mächtige Autorität gebrauchen, um durch die Verzichtleistung des Prinzen diese Candidatur verschwinden zu lassen. Ich darf mir erlauben, Eure Majestät auf die Präcedenzfälle in Betreff Griechenlands und Neapels aufmerksam zu machen, in welchen ebenfalls das Prinzip festgestellt wurde, daß Prinzen, welche der Dynastie einer Großmacht angehören, nicht zu gleicher Zeit Souveraine eines anderen Landes sein sollen, und auch der Kaiser, mein allergnädigster Herr, hat persönlich dies Prinzip anerkannt, indem er dem Prinzen Murat die Bewerbung um den neapolitanischen Thron untersagte. Eure Majestät werden sich um so mehr in diesem Sinne entscheiden können, als ja Preußen und Deutschland keinen Antheil an den bisherigen Versammlungen genommen haben, also auch keine Concessionen zu machen haben würden, während für Frankreich sehr ernste Interessen auf dem Spiel stehen und während dort, wie ich mir zu wiederholen erlauben muß, die öffentliche Meinung sich in einer sehr bedenklichen Aufregung befindet, einer Aufregung, welche auch der Baron Werther vor seiner Abreise hat wahrnehmen können, und über welche er, wie ich nicht zweifle, Eurer Majestät Bericht erstattet haben wird.“

„Diese Aufregung der öffentlichen Meinung in Frankreich ist mir bekannt,“ sagte der König, „die Thatsache ihrer Existenz beweist aber noch nichts für ihre Berechtigung und dann muß ich Ihnen aufrichtig sagen, daß die Erklärung, welche der Herzog von Gramont im Corps legislatif abgegeben hat, mir weit eher dazu geneigt scheint, die öffentliche Meinung noch mehr zu echauffiren, als sie zu beruhigen. Der erste Theil der Erklärung des Herzogs,“ fuhr der König fort, „ist sehr richtig und sehr correct. Indessen muß ich Ihnen gestehen, daß der Schlußsatz derselben mich allerdings sehr peinlich berührt hat. Die Worte, welche der Herzog über die Absichten einer fremden Macht gesprochen hat, können doch nur auf Preußen bezogen werden. Wie ich Ihnen gesagt, hat die preußische Regierung an der ganzen Sache nicht den geringsten Antheil gehabt. Jene Worte machen daher fast den Eindruck einer Provokation, und wenn ich auch eine solche in denselben nicht finden will, so wird doch dieser Eindruck in Deutschland vorhanden sein, und er kann dazu beitragen, daß auch in Deutschland die öffentliche Meinung sich aufzuregen beginnt, wodurch dann allerdings die ganze Situation sehr erheblich verschlimmert werden würde.“

Der König hatte die letzten Worte mit etwas erhöhtem Tone gesprochen, ohne daß indeß von seinem Gesicht der Ausdruck ruhiger und freundlicher Höflichkeit verschwunden war.

„Ich möchte Eure Majestät bitten, zu berücksichtigen,“ erwiderte Benedetti, „daß der Herzog von Gramont sich in einer auf's höchste aufgeregten Versammlung befand und daß es ihm vor allen Dingen darauf ankommen mußte, jede aufreizende und gefährliche Discussion abzuschneiden und deshalb eine Erklärung abzugeben, welche dieser Versammlung versicherte, daß für den Fall einer Gefährdung der Ehre und der Interessen Frankreichs die Haltung der kaiserlichen Regierung eine feste und entschiedene sein werde. Eure Majestät werden anerkennen, daß die Erklärung des Herzogs von Gramont ihm nur durch den dringenden Wunsch dictirt sein kann, die ganze Frage offen zu halten und alle Erörterungen auszuschließen, welche den guten Beziehungen zu Preußen, auf welche der Kaiser und seine Regierung einen so hohen Werth legen, hätten gefährlich werden können.“

Der König schüttelte langsam den Kopf, als verstehe er diese
Argumentationen des Botschafters nicht.

„Ich begreife nicht,“ sagte er, „wie die Ehre und die Interessen Frankreichs durch den Entschluß des Prinzen von Hohenzollern berührt werden können. Die Verhandlungen, welche zu diesem Entschluß geführt haben, sind ja durch die Regierung in Madrid aus freiem Antriebe begonnen. Keine Regierung hat an denselben irgend welchen Antheil genommen, ich begreife nicht, wie daraus irgend ein Conflikt entstehen kann. Und ich will nicht annehmen,“ fügte er mit scharfer Betonung hinzu, indem er voll Würde und Hoheit den Kopf emporhob, „daß der Krieg aus einem Fall sich entwickeln könne, bei welchem gar keine europäische Macht betheiligt ist.“

Ein leichtes Zucken zeigte sich in den Augenwinkeln Benedetti's, wie abwehrend hob er ein wenig die Hand empor und rief:

„An eine solche Eventualität, Majestät, auch nur zu denken, kann mir nicht in den Sinn kommen. Meine Anwesenheit hier in Ems allein beweist schon, wie dringend die Regierung des Kaisers eine versöhnliche und allgemein befriedigende Lösung der so plötzlich entstandenen Schwierigkeiten ersehnt, gerade um zu einer solchen Lösung zu gelangen, bin ich beauftragt worden, Eurer Majestät alle diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, welche uns zwingen, die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern dringend zu wünschen.“

„Ich kann Ihnen nur nochmal wiederholen,“ sagte der König, „daß es mir unendlich fern liegt, den Prinzen Leopold zur Annahme der spanischen Königskrone zu ermuthigen oder auch eine solche Annahme seinerseits nur zu wünschen, indeß muß ich ihm schon deßhalb, weil er nicht unmittelbar zu meinem königlichen Hause gehört und kein preußischer Prinz ist, die volle Freiheit seines Entschlusses lassen, seine Annahme zurückzuziehen. Indeß,“ fügte er hinzu, „um Ihnen zu beweisen, wie sehr auch ich eine allseitig befriedigende Lösung wünsche, kann ich Ihnen mittheilen, daß ich sogleich, als ich von der großen Aufregung in Frankreich unterrichtet worden bin, mich mit dem Fürsten Anton, der sich in Sigmaringen befindet, in Verbindung gesetzt habe, um ihn über seine und des Prinzen Leopold Ansichten zu befragen und zu erfahren, wie sie über die in Frankreich durch den Entschluß des Prinzen Leopold hervorgerufenen Aufregung dächten.

Wenn der Prinz Leopold und sein Vater die ganze Erörterung über den
Gegenstand zu beseitigen geneigt wären, so würden ja dadurch alle
Schwierigkeiten gehoben, — einen Einfluß auf ihre Entschlüsse auszuüben,
aber halte ich mich nicht für berechtigt, und Sie begreifen, mein lieber
Graf, daß ich erst dann in der Lage sein werde, unsere heutige
Unterredung fortzusetzen, wenn ich genaue Mittheilungen über die
Beschlüsse des Fürsten Anton und seines Sohnes haben werde.“

Der König sagte die letzten Worte in einem Ton, welcher andeutete, daß er die Unterredung für beendet halte.

Benedetti verneigte sich tief, ohne indeß aufzustehen und sagte:

„Ich muß mir erlauben Eurer Majestät ehrerbietigst zu bemerken, daß die Regierung des Kaisers sich der stets wachsenden Aufregung der Kammer und der Presse gegenüber, in großer Verlegenheit befindet und dringend wünschen muß, so bald als irgend möglich bestimmte Erklärungen über die endgültige Erledigung dieses Incidenzfalles abgeben zu können. Eure Majestät würden mir daher eine besondere Gnade erweisen, wenn Sie mir ungefähr den Zeitpunkt bezeichnen könnten, bis zu welchem Sie im Besitz der zu erwartenden Nachricht sein können.“

Der König sann einen Augenblick nach.

„Ich kann den Telegraphen nicht benutzen,“ sagte er dann, „ich habe hier in Ems keinen Chiffre, durch den ich mit dem Prinzen Anton correspondiren kann. Ich weiß auch nicht ganz genau, wo der Prinz Leopold sich in diesem Augenblick befindet, — indeß kann es unmöglich lange dauern. Ich hoffe, sehr bald genau unterrichtet zu sein und werde Sie dann sofort benachrichtigen.“

Benedetti erhob sich.

„Ich stehe zu Eurer Majestät Befehl,“ sagte er, „und habe nur noch den dringenden Wunsch auszusprechen, daß Allerhöchstdieselben mich bald in die Lage setzen möchten, meiner Regierung die glückliche und befriedigende Beseitigung der ganzen Angelegenheit mittheilen zu können.“

„Ich sehe Sie noch bei der Tafel, mein lieber Graf,“ sagte der Kaiser, indem er Benedetti die Hand reichte, „und hoffe, daß Ihr Aufenthalt hier in Ems, so gern ich Sie hier auch sehe, sich nicht zu sehr verlängere, und daß Sie bald Ihre unterbrochene Kur in Wildbad wieder aufnehmen können.“

Mit tiefer Verneigung verließ Benedetti das Cabinet, begab sich durch das Vorzimmer in den länglichen einfenstrigen Raum, in welchem bereits die zum Diner befohlenen Personen sich versammelten.

Der König klingelte. Sein Kammerdiener Engel erschien und in kurzer Zeit hatte Seine Majestät die Toilette für das Diner beendet.

„Rufen Sie mir Abeken noch einmal,“ sagte der König.

Wenige Minuten darauf trat der Geheime Legationsrath Abeken ebenfalls zum Diner angekleidet in das Zimmer.

Ernst und sinnend sagte der König:

„Sie verlangen von mir die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern, sie wollen sich nicht nach Spanien wenden, — es ist in dem Allen ein Hintergedanke, ich fühle das an dem ganzen Wesen Benedetti's, er macht mir den Eindruck, daß er schärfere Instructionen hat, als seine Worte erkennen lassen. Diese fast absichtliche Mühe, die man sich giebt, um die Sache zu einer Frage zwischen Deutschland und Frankreich zu machen, was sie doch nicht ist, kommt mir ein wenig bedenklich vor — und je mehr man sie zu einer deutschen Frage macht, um so weniger bin ich meinerseits im Stande, irgend eine Concession zu gewähren. Jedenfalls telegraphiren Sie nach Berlin, daß Bismarck hierher kommen möge; wenn die Sache irgend eine ernstere Dimension annimmt, muß ich ihn doch bei mir haben. Auch wäre es gut,“ fügte er hinzu, „wenn Moltke von seinem Urlaub zurückkäme, es ist immer besser, für alle Fälle vorbereitet zu sein, als überrascht zu werden. Nach dem Diner theilen Sie mir sogleich alle Nachrichten mit, die weiter von Berlin gekommen sind.“

Der Geheime Legationsrath ging hinaus.

„Sollte es möglich sein,“ sprach der König mit tiefem Sinnen an das Fenster tretend, „daß auch dieser Kampf mir noch beschieden wäre? Die Mahnung an das Standbild meines Vaters — an das eiserne Kreuz ließen so lebhaft in mir die Bilder jener alten vergangenen Zeiten heraufsteigen, — nun,“ sagte er den Blick über die grünen Bäume hin zum Himmel richtend, „in dieser Mahnung liegt auch die Bürgschaft für die Zukunft Preußens und Deutschlands, — wenn Gott den Kampf beschlossen, so wird auch Gott mit uns sein in diesem Kampf!“

Die Thür des Cabinets wurde geöffnet, der Hofmarschall Graf Perponcher trat ein, meldete Seiner Majestät, daß das Diner servirt sei und schritt dann dem Könige voran in den kleinen Versammlungssaal, in welchem das Gefolge und die zur Tafel befohlenen etwa vierzehn Personen versammelt waren.

Der König grüßte die Anwesenden huldvoll und heiter und schritt in den Speisesaal voran, in welchem die königlichen Jäger in ihrer geschmackvollen grünen und silbernen Livree zum Service bereit standen.

Graf Benedetti nahm neben Seiner Majestät Platz, der König unterhielt sich mit ihm während des ganzen Diners in so liebenswürdig, freundlicher und unbefangener Weise, daß alle Anwesenden die Ueberzeugung gewannen, es könnten keine ernsthaften drohenden Wolken am politischen Horizont bestehen, und daß diese Ueberzeugung in schnell sich fortpflanzender Mittheilung am Abend die ganze Badegesellschaft von Ems durchdrungen hatte.

Siebentes Capitel.

Die Sonne sank bereits unter den Horizont und der alte Park von St. Cloud mit fernen gewaltigen Riesenbäumen hüllte sich in dunkle Schatten, als der Wagen des Herzogs von Gramont in das kaiserliche Schloß einfuhr.

Der Herzog stieg aus und schritt eiligst die Treppe zu den Appartements des Kaisers hinauf, in welche er nach der Meldung des Dienst thuenden Adjutanten unmittelbar eingeführt wurde.

Auf dem Tisch des Kaisers brannte bereits eine hohe Lampe mit großem flachem Schirm von bläulichem Glas, während durch das geöffnete Fenster mit den Düften der blühenden Rosenbeete die letzten Strahlen des sinkenden Tages hineindrangen.

Der Kaiser, welcher sich nach dem Familiendiner so eben zurückgezogen und den Frack mit einem leichten weiten Sommerrock vertauscht hatte, lag halb in einem jener großen amerikanischen Schaukelstühle von feinen elastischen Holzstreifen, den Kopf auf eine an der Lehne des Stuhls hängende Schlummerrolle gestützt und in ruhiger Träumerei seine Cigarre rauchend. Mit einem leisen Seufzer über die Störung seines Dolce far niente erhob er sich mit einiger Mühe und ging dem Minister einige Schritte entgegen, welcher sich in einer gewissen Erregung zu befinden schien.

„Ich habe Eurer Majestät eine günstige und wichtige Nachricht mitzutheilen,“ sagte der Herzog von Gramont, „und Ihre Befehle zu erbitten, wie die durch dieselbe geschaffene neue Situation behandelt werden soll.“

Der Kaiser athmete wie erleichtert auf.

„Hat der König Wilhelm die Forderung Benedetti's erfüllt,“ fragte er.
„Ist dieser unangenehme und peinliche Fall erledigt?“

„Der Prinz von Hohenzollern, Sire,“ sagte der Herzog von Gramont, „hat seine Candidatur zurückgezogen. Olozaga ist so eben bei mir gewesen, um mir dies mitzutheilen und nach einem Telegramm von Benedetti hat der König Wilhelm ihm ebenfalls die Verzichtleistung des Prinzen durch einen Adjutanten mittheilen und erklären lassen, daß er diese Verzichtleistung autorisire.“

„Ah,“ sagte der Kaiser mit zufriedenem Lächeln, „unser energisches
Auftreten hat also schnell seine Früchte getragen.“

„Wie immer, Sire,“ sagte der Herzog mit dem Ausdruck stolzer Befriedigung, „für eine Macht wie Frankreich ist Energie und Festigkeit immer die beste Politik, und ich freue mich von ganzem Herzen, daß durch unser Auftreten in dieser Sache nicht nur vor der Nation, sondern vor ganz Europa der Beweis geliefert worden ist, daß das Wort Frankreichs noch nicht ungehört verhalle, und daß die Zeit beendet sei, in welcher man glaubte, ohne unsere Zustimmung die großen und wichtigen europäischen Fragen entscheiden zu können. Das einfache Wort Eurer Majestät hat genügt, um diese Combination des Grafen von Bismarck scheitern zu lassen. Die Situation hat sich ungemein günstig für uns verändert, denn wir haben alle europäischen Cabinette für uns, welche sämmtlich in der Thronbesteigung eines Hohenzollerschen Prinzen in Spanien eine bedenkliche Gefahr für die Ruhe und das Gleichgewicht Europas erblickten. Es kommt nun nur darauf an, den Erfolg, den wir errungen haben, vor den Kammern und der öffentlichen Meinung in das richtige Licht zu stellen, damit alle die Feinde der Regierung sich überzeugen, daß das Kaiserthum noch groß und glänzend da steht, und daß Frankreich nach der langen Zurückhaltung, welche auf die Schlacht von Sadowa folgte, wieder entschlossen ist, mit entscheidender Hand in die Politik einzugreifen.“

„Sehr gut, sehr gut,“ sagte der Kaiser, „das wird einen vortrefflichen Eindruck machen. Wir haben da einen großen Schlag gethan, und zwar ohne alle heftigen Verwickelungen und ohne daß selbst unsere Beziehungen zu Preußen irgend wie getrübt werden, denn Benedetti berichtet ja, daß er mit der größten Auszeichnung vom Könige Wilhelm behandelt worden sei. Ich gratulire Ihnen, mein lieber Herzog, zu diesem ersten Debut als Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Es ist ein Triumph ohne Opfer, und ich bin überzeugt, daß einem solchen vortrefflichen Anfang immer glänzendere Resultate folgen werden.“

Er reichte dem Herzog die Hand, welche dieser, sich verbeugend, mit strahlendem Lächeln ergriff.

„Es kommt nun darauf an,“ fuhr der Kaiser fort, „die Fassung der Mittheilungen dieses so erfreulichen Ereignisses für die Kammer und die Journale fest zu stellen. Es thut mir leid, Sie wieder fort zu schicken, aber ich glaube, Sie müssen sogleich nach Paris zurückkehren, sich mit Ollivier darüber zu verständigen. Er ist ja Meister in der Redewendung, setzen Sie mit ihm eine Erklärung auf, welche in solenner Weise die ganze Angelegenheit beendet und ohne Preußen zu verletzen, im Gegentheil mit anerkennendem Ausdruck für die Weisheit und das Entgegenkommen des Königs Wilhelm, dennoch unsern Sieg in helles Licht stellt.“

„Ollivier,“ erwiderte der Herzog, „hat die Nachricht bereits privatim im Corps legislatif verschiedenen Deputirten mitgetheilt, die Befriedigung darüber war allgemein.“

„Um so besser,“ sagte der Kaiser, „wird morgen die feierliche Erklärung aufgenommen werden. Ich bitte Sie also, dieselbe aufzusetzen und sie mir, so bald Sie sie redigirt haben, mittheilen zu lassen — auf Wiedersehen, lieber Herzog. Nachdem wir diesen Sturm beschworen haben,“ fügte er lächelnd hinzu, „hoffe ich, Sie auf einige Tage hier zu sehen, um sich in ländlicher Ruhe von den Aufregungen der letzten Tage etwas zu erholen.“

Der Herzog empfahl sich Seiner Majestät und verließ immer das stolze zufriedene Lächeln auf den Lippen das Cabinet.

Der Kaiser athmete erleichtert auf, blickte einen Augenblick schweigend nach dem in immer tiefere Schatten versinkenden Park hinaus und ergriff dann eine neue Cigarre, um sie anzuzünden und sich abermals der durch den Besuch seines Ministers unterbrochenen Träumerei zu überlassen.

Da öffnete sich schnell die Thür, General Favé erschien und sagte:

„Der österreichische Botschafter bittet Eure Majestät, ihn empfangen zu wollen.“

Verwundert blickte der Kaiser auf.

„Metternich,“ sagte er, „zu dieser Stunde? Was kann er bringen? — bitten
Sie ihn, einzutreten.“

Indem er seufzend seine Cigarre wieder fortlegte, ging er einige
Schritte dem Fürsten Richard Metternich entgegen, den der General in das
Cabinet führte.

Der Sohn des großen Staatsmannes, welcher einst so lange die Geschicke der österreichischen Monarchie und ein wenig diejenigen von ganz Europa in seinen Händen gehalten hatte, war damals ungefähr zwei und vierzig Jahre alt. Er war eine angenehme, sympathisch anmuthende Erscheinung, die Fülle seiner Gestalt that der elastischen Eleganz seiner Bewegungen keinen Eintrag, sein etwas bleiches Gesicht, auf dessen hohe Stirn die leicht gelockten, dünn gewordenen Haare herabfielen, war von einem starken, lang hinab hängenden Backenbart umrahmt; seine edel geschnittenen Züge zeigten den Ausdruck ruhiger und sorgloser Heiterkeit, während seine geistvollen Augen zugleich scharf beobachtend umher blickten. Heute aber lag auf diesem Gesicht eine gewisse unruhige Aufregung — ernst erwiderte er die Begrüßung des Kaisers und sprach, indem er sich auf den Wink desselben ihm gegenüber setzte, mit leicht erregter Stimme:

„Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, daß ich es wage, noch in so vorgerückter Abendstunde um Gehör zu bitten; aber die beunruhigenden Nachrichten, welche die ganze politische Welt erfüllen, machen es mir zur Pflicht, mich unverzüglich des Auftrages zu entledigen, welchen der Graf Beust, der seine Badekur in Gastein verschoben hat, mir so eben ertheilte.“

Der Kaiser lächelte ein wenig, neigte leicht das Haupt und sprach:

„Sie wissen, lieber Fürst, daß Ihr Besuch mir zu jeder Zeit angenehm und erfreulich ist, auch wenn Sie mir keine Mittheilung des Grafen Beust zu machen hätten. Der Besuch eines Freundes ist immer willkommen, und zu meinen Freunden gehört der Fürst Metternich ebenso sehr als der Botschafter des Kaisers von Oesterreich.“

Der Fürst dankte durch eine ehrerbietige Verneigung für die freundlichen Worte des Kaisers und fuhr dann in demselben ernsten Ton wie vorher fort:

„Das gütige Wohlwollen Eurer Majestät, von welchem ich schon so viele Beweise erhalten habe, und welches Sie so eben von Neuem auszusprechen die Gnade haben, giebt mir die Hoffnung, daß Sie auch dem, was ich Ihnen zu sagen habe, ein gnädiges und aufmerksames Ohr schenken werden. Sire,“ sprach er weiter, „die Regierung meines allergnädigsten Herrn kann sich der Besorgniß nicht erwehren, daß die Erörterungen, welche zwischen Frankreich und Preußen in diesem Augenblick über die Hohenzollersche Candidatur Statt finden, bei der hoch gehenden Aufregung der Volksstimmung in Frankreich und bei dem Beginn einer ähnlichen Aufregung in Deutschland zu ernsten Conflicten und gefährlichen Catastrophen führen möchte. Ich habe zu verschiedenen Zeiten zu meiner großen Genugthuung Gelegenheit gehabt, Eurer Majestät gegenüber zu constatiren, daß die politischen Interessen Frankreichs und Oesterreichs in allen großen Fragen die gleichen seien, und daß eine gleichmäßige Behandlung aller dieser Fragen im Interesse beider Staaten liege. Die gleiche Versicherung hat auch der Herzog von Gramont während seines Aufenthalts in Wien bei jeder Gelegenheit von dem Reichskanzler selbst erhalten.“

Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf.

„Graf Beust hat aber bei allen solchen Gelegenheiten,“ fuhr der Fürst Metternich fort, „dem Herzog gegenüber auch ganz bestimmt betont, daß Oesterreich noch auf lange hinaus nicht in der Lage sei, an irgend einer militairischen Action, selbst wenn dieselbe in seinem Interesse liegen könnte, Theil zu nehmen, ohne dadurch die ruhige Entwickelung und damit die Zukunft der österreichischen Monarchie auf das Höchste zu gefährden, und daß es deßhalb für die österreichische Politik geboten sei, überall und zu jeder Zeit zur Vermeidung von Conflicten beizutragen, welche geeignet wären, kriegerische Consequenzen herbeizuführen. Der gegenwärtige Augenblick und die zwischen Frankreich und Preußen schwebende Frage scheinen nun, wie ich zu bemerken die Ehre hatte, die Befürchtung solcher Consequenzen sehr nahe zu legen, und ich bin deßhalb beauftragt, Eurer Majestät bestimmt zu erklären, daß Oesterreich, wenn aus dieser Hohenzollerschen Candidatur kriegerische Entwickelungen entstehen sollten, nicht im Stande sei, in denselben irgend eine active Rolle zu spielen und sich auf die Seite Frankreichs zu stellen.“

Der Kaiser blickte einen Augenblick schweigend vor sich nieder, dann sagte er.

„Mein lieber Fürst, die Erklärung, welche Herr von Beust mir da durch Sie abgeben läßt, überrascht mich in ihrem allgemeinen Inhalt nicht, dennoch scheint mir ihre bestimmte Wiederholung gerade in diesem Augenblick nicht vollkommen mit der auch vom Grafen Beust anerkannten Identität der politischen Interessen Oesterreichs und Frankreichs übereinzustimmen. Sollte ich jemals in einen ernsten Conflict mit Preußen gerathen, so würde, scheint es mir, der Augenblick gekommen sein, in welchem jene Identität der Interessen sich practisch zu bethätigen hätte, — wenn sie überhaupt irgend eine Bedeutung haben soll, — und Oesterreich müßte doch in der That mit Freuden eine solche Gelegenheit begrüßen, welche ihm die Möglichkeit bietet, ohne große eigene Gefahr das im Jahre 1866 Verlorene wieder zu gewinnen; von vorn herein eine solche Gelegenheit ausschließen zu wollen, scheint mir nicht im Interesse Oesterreichs zu liegen, und wenn eine solche Erklärung öffentlich abgegeben wird, — wenn sie auch andern Cabinetten bekannt wird,“ fügte er mit scharfer Betonung hinzu, „so wird das sehr wenig dazu beitragen können, die nachdrückliche Vertretung der Interessen Frankreichs zu unterstützen.“

„Sire,“ erwiderte der Fürst Metternich, „nach meiner Ueberzeugung, welche wie ich glaube auch diejenige des Grafen Beust ist, würde es allerdings Eventualitäten geben, unter denen es für Oesterreich vortheilhaft, ja geboten erscheinen könnte, im Verein mit Frankreich Preußen von der 1866 eroberten Stellung zurückzuwerfen, — eine solche Eventualität könnte aber nur dann eintreten, wenn einmal der Grund des Conflicts Oesterreich das Recht und die Möglichkeit gebe, in demselben Stellung zu nehmen und wenn sodann die Aussichten des Erfolges einigermaßen sicher sind. In diesem Augenblick ist aber beides nicht der Fall. Der einzige Kriegsgrund für Oesterreich könnte in einem Eingriff Preußens in die unabhängige Selbstständigkeit der Süddeutschen Staaten liegen; bei einem solchen Kriegsgrund würde ein großer Theil der deutschen Nation auf Oesterreichs Seite stehen, und der Kampf würde die großen Fragen von 1866 wieder aufnehmen unter der Mitwirkung Frankreichs, welche damals die Verhältnisse Eurer Majestät unmöglich machten. Gegenwärtig ist aber von einem solchen Kriegsgrunde nicht die Rede, der Erbprinz von Hohenzollern ist ein deutscher Fürst, und wenn Preußen einen Krieg annehmen sollte, weil Frankreich sich der Thronbesteigung eines deutschen Prinzen in Spanien widersetzt, so würde das Nationalgefühl sich auf die Seite Preußens stellen, und eine Alliance Oesterreichs mit Frankreich würde in diesem Falle nur dazu beitragen, Oesterreich als den Nationalfeind Deutschlands vor dem Volk erscheinen zu lassen, das heißt, uns jede moralische Unterstützung zu rauben, welche in einem solchen Kampf unumgänglich nothwendig ist. Außerdem aber, Sire,“ fuhr er fort, „sind die Chancen des Erfolges, wie es mir scheint, äußerst unsicher. Unsere militairischen Vorbereitungen sind nicht beendet, unsere Finanzen sind noch nicht geordnet, schon aus diesem Grunde würde Oesterreich zu einer nachdrücklichen Kriegführung kaum im Stande sein —“

„Man würde aber doch,“ fiel der Kaiser ein, „lediglich durch eine drohende Haltung große preußische Truppenmassen absorbiren.“

„Auch das ist nicht möglich, Sire,“ sagte Fürst Metternich seufzend, „denn leider muß ich Eurer Majestät mittheilen, daß von Seiten Rußlands uns deutlich zu verstehen gegeben worden, jede feindliche Bewegung gegen Preußen werde sofort gleiche Schritte Rußlands gegen unsere Grenzen zur Folge haben. Damit würde also unsere Drohung wirkungslos gemacht und wir gezwungen werden, unsere disponiblen Truppen zur Selbstvertheidigung an die russische Grenze zu schicken.“

„Der Kaiser Alexander,“ fiel Napoleon ein, „hat sich aber doch entschieden gegen die Hohenzollersche Kandidatur erklärt und versichert außerdem den General Fleury unausgesetzt seiner Freundschaft und seiner Sympathien gegen Frankreich.“

„Das Alles wird nicht hindern, Sire,“ sagte der Fürst Metternich, „daß wenn es wirklich zum Conflict kommt, Rußland sehr entschieden auf die Seite Preußens treten und wenigstens ganz bestimmt Oesterreich verhindern wird, irgend etwas zu unternehmen. Ich beschwöre also Eure Majestät,“ fiel er lebhafter sprechend fort, „glauben zu wollen, daß Oesterreich sich von der Liga der Neutralen nicht wird trennen können — ich bitte Eure Majestät inständigst, in dieser ganzen Sache keinen Schritt zu thun, der zu unheilbaren Conflicten führen kann, denn Eure Majestät würden ganz isolirt sein und sich dem hoch aufgeregten deutschen Nationalgefühl gegenüber befinden, welches, von Preußen organisirt, ein furchtbar gefährlicher Gegner sein wird.“

„Glauben Sie,“ sagte der Kaiser, den Blick scharf und forschend auf Metternich richtend, „daß das deutsche Nationalgefühl in Baiern und Würtemberg sich jemals für Preußen wird erheben können, da man dort doch einsehen muß, daß wenn man unter preußischer Führung gegen Frankreich zu Felde zieht, man für immer die eigene Selbstständigkeit aufgiebt. Man hat mir berichtet,“ sagte er, „daß die Stimmung in jenen Staaten sehr preußenfeindlich ist und Sie selbst, lieber Fürst, haben mir früher Aehnliches mitgetheilt. Sollte das Alles sich schnell ändern können?“

„Es wird sich ändern, Sire,“ sagte der Fürst, „und hat sich zum Theil schon geändert, und von Berlin aus wird mit großer Geschicklichkeit gearbeitet, um der öffentlichen Meinung die Haltung Frankreichs gegenüber der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern als eine der ganzen Nation angethane Beleidigung darzustellen. Glauben mir Eure Majestät, die Süddeutschen Staaten werden in dieser Frage mit Preußen gehen — die Süddeutschen Fürsten zunächst, sie haben im Jahre 1866 gesehen, wie unerbittlich Preußen mit seinen Feinden verfährt, und um sich von Neuem in einen Kampf einzulassen, müßten sie eine große Coalition auf ihrer Seite sehen, welche ihnen Gewißheit des Sieges oder wenigstens des Schutzes ihrer Throne gewährt.“

Der Kaiser versank in schweigendes Nachdenken.

Fürst Metternich sah ihn in tiefer Bewegung an. Seine großen, klaren und ausdrucksvollen Augen verschleierten sich mit einem leichten Thränenschimmer und mit dem Ausdruck inniger Ueberzeugung sprach er:

„Eure Majestät haben die Gnade gehabt, die Gefühle der tiefen persönlichen Ergebenheit, welche ich für Allerhöchstdieselben hege, anzuerkennen und mich Ihren Freund zu nennen. Erlauben Sie mir, Sire, jetzt nachdem der Botschafter von Oesterreich gesprochen, auch als treuer und ergebener Freund zu sprechen. Ich weiß sehr gut,“ fuhr er fort, „daß die Strömung der öffentlichen Meinung Frankreichs in diesem Augenblick zum Kriege treibt, und ich weiß ebenso gut, Sire, daß viele Personen in Ihrer Umgebung — in Ihrer nächsten und unmittelbaren Umgebung,“ fügte er mit Betonung hinzu, „sich die angelegentlichste Mühe geben, jene Richtung der öffentlichen Meinung zu unterstützen und Eure Majestät in gefährliche Unternehmungen hineinzudrängen, welche nach meiner innigsten Ueberzeugung in diesem Augenblick nur zum Unglück Frankreichs und zum Unglück Eurer Majestät ausschlagen können. Preußen ist furchtbar gerüstet, Deutschland wird in dieser Hohenzollernschen Frage hinter Preußen stehen und die Eurer Majestät feindlichen Parteien in Frankreich, welche sich augenblicklich vor dem Plebiscit zurückgezogen haben, warten nur auf den Augenblick eines Mißerfolges im Kriege, um sich von Neuem zu erheben und einen entscheidenden Schlag gegen das Kaiserreich zu führen. Ebenso wie man in Italien nur darauf wartet, sich Roms zu bemächtigen. Allen diesen Gefahren gegenüber werden Eure Majestät isolirt da stehen, keine der europäischen Mächte wird sich Frankreich in dieser Frage zur Seite stellen, und ich bitte Eure Majestät, zu glauben, daß die Erklärung, die ich Ihnen als Botschafter gegeben, unbedingte Wahrheit ist. Der Fürst Metternich giebt Ihnen sein Wort darauf. Oesterreich wird nicht für Eure Majestät Partei nehmen, weil es das nicht thun kann, in dieser Frage am allerwenigsten thun kann, und selbst wenn der Graf Beust, selbst wenn der Kaiser dazu geneigt sein sollten, wie der Herzog von Gramont vorauszusetzen scheint, so wird diese Neigung vor dem Widerstande des Grafen Andrassy erfolglos bleiben. Der Graf Andrassy vertritt Ungarn, und Ungarn will keinen Krieg mit Deutschland, da auch der günstige Ausgang desselben nur dahin führen könnte, die dominirende Stellung des deutschen Elements im Kaiserstaate wieder zu befestigen, ohne Ungarn aber, ohne diese wichtigste militairische Hülfsquelle Oesterreichs ist jede Action für uns unmöglich — ich bitte Eure Majestät,“ fuhr er fort, „dies als ganz gewiß anzunehmen, — Graf Andrassy hat hohe Verehrung vor Eurer Majestät und tiefe Sympathie für Frankreich. Täuschen sich aber Eure Majestät nicht über die Bedeutung von Aeußerungen, welche diese seine Gefühle ihm eingegeben haben können. Unter andern Umständen, wenn Frankreich vielleicht mit Italien in Conflikt geriethe, würde Oesterreich bei einer französischen Alliance auf die Unterstützung Ungarns rechnen können, — gegen Deutschland niemals, — am allerwenigsten in einer Frage, in welcher kein Vertragsrecht Oesterreichs Intervention zur Seite steht. Eure Majestät,“ fuhr er mit tief, eindringendem Tone fort, „kennen meine aufrichtige und liebevolle Ergebenheit für Ihre Person, Eure Majestät haben mir Gelegenheit gegeben, die edlen Eigenschaften Ihres Herzens ebenso sehr zu erkennen und zu bewundern, als die Klarheit und die überlegene Schärfe Ihres Geistes — es ist die tiefe Ergebenheit, die aufrichtige Liebe für Eure Majestät, welche mir die Worte in den Mund legt, die ich Ihnen jetzt zu sagen mir erlaube. Hören Eure Majestät die Bitte eines Freundes, welche ich ohne Rücksicht auf meine Eigenschaft als Botschafter Oesterreichs aus treu besorgtem Herzen an Sie richte. Treiben Sie, Sire, diese Sache nicht weiter, betreten Sie den gefahrvollen Weg nicht, auf welchen man Sie drängen möchte und an dessen Ende kaum ein glücklicher Ausgang zu erwarten ist.“

Der Fürst schwieg.

Der Kaiser beugte sich vor, reichte ihm mit einem liebenswürdigen Lächeln die Hand, indem zugleich ein warmer Strahl seinen freien Blick erleuchtete.

„Ich danke Ihnen, mein lieber Fürst,“ sagte er, „für die Aufrichtigkeit und den Eifer, mit welchem Sie mir Ihre Ueberzeugung ausgesprochen und Ihren Rath ertheilt haben. Ihre Gesinnungen für mich machen mich stolz, — doch,“ sagte er dann, „Sie beunruhigen sich ohne Noth, die Besorgnisse, welche gestern noch bestehen konnten, existiren heute nicht mehr, der Prinz von Hohenzollern hat seine Candidatur zurückgezogen.“

Fürst Metternich athmete erleichtert auf.

„Ich hörte davon im Augenblick meiner Abfahrt in Paris,“ sagte er. „Ist die Nachricht bereits offiziell angekommen?“

„Olozaga,“ sagte der Kaiser, „hat die Mittheilung im Auftrage der spanischen Regierung an den Herzog von Gramont gemacht, und somit scheint mir die Angelegenheit erledigt. Die Verzichtleistung des Prinzen wird morgen in den Kammern mitgetheilt werden, und die europäische Diplomatie,“ fügte er lächelnd hinzu, „kann wieder ruhig baden und Brunnen trinken.“

Der Fürst Metternich schwieg einen Augenblick, als zögerte er, einen
Gedanken auszusprechen, der ihn beschäftigte.

„Sire,“ sagte er dann, „die extreme Kriegspartei wird vielleicht nach Andeutungen, die ich hier und da gehört habe, mit der Lösung der Frage noch nicht zufrieden sein, da sie gehofft hat, jetzt endlich mit ihren Ideen durchzudringen. Man wird von Neuem die Stimmung zu reizen und aufzuregen suchen, und da, wie ich weiß, auch in Deutschland bereits die Geister sich zu entflammen beginnen, so könnte leicht irgend ein Incidenzfall eintreten, der die Beruhigung Europa's von Neuem in Frage stellt. Ich bitte, Eure Majestät, aus der Erklärung, welche den Kammern gegeben werden soll, jede provocirende und verletzende Aeußerung gegen Preußen fern halten zu lassen, damit ein für allemal alle Auseinandersetzungen über den Gegenstand aufhören. Graf Bismarck,“ fuhr er fort, „hat bis jetzt alle Conflikte zu vermeiden gesucht, einen günstigeren Kriegsfall als in diesem Augenblick könnte er aber kaum finden, und man muß ihn nicht in die Versuchung führen, durch einen großen Aufschwung des Nationalgefühls aus der Waffenbrüderschaft aller deutschen Staaten ein neues deutsches Reich zusammen zu schmieden.“

Der Kaiser lächelte.

„Seien Sie ganz ruhig, mein lieber Fürst,“ sagte er, „ich habe Gramont den Auftrag ertheilt, mit Ollivier eine definitive Erklärung über die Beendigung der ganzen Sache an die Kammer zu redigiren, und morgen um diese Stunde wird jede Besorgniß für die Störung des Friedens verschwunden sein.“

Fürst Metternich stand auf.

„Ich verlasse Eure Majestät mit erleichtertem Herzen und bitte um die Erlaubniß, sogleich nach Paris zurückkehren zu dürfen, um das so erfreuliche Resultat dieser Unterredung nach Wien melden zu können.“

„Meine herzlichsten Empfehlungen der Fürstin,“ sagte der Kaiser, „ich hoffe, Sie Beide in den nächsten Tagen hier zu sehen.“

Er drückte dem Fürsten die Hand und begleitete ihn einige Schritte nach der Thür hin.

„Durch die Beseitigung der Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern,“ sprach er leise, als er allein war „soll das Prestige Frankreichs wieder hergestellt sein, sagt man mir, — sehr gut, wenn die öffentliche Meinung dies glaubt. Leider,“ fuhr er seufzend fort, „ist es nicht der Fall, jenes Prestige besteht in Wahrheit nicht mehr. Denn wenn es bestände, so würde Österreich nicht zögern, in diesem Augenblick frei und offen auf die Seite Frankreichs zu treten und die Suprematie des Hauses Habsburg in Deutschland wieder zu erringen. Man glaubt nicht mehr an die Macht Frankreichs, und auch meine besten Freunde nicht, — auch Metternich nicht, der wirklich mein Freund ist. Das Ansehen Frankreichs, so wie es früher war, wieder herzustellen, gäbe es nur ein Mittel, und dies Mittel wäre der Sieg — aber,“ sagte er düster vor sich hin starrend, „wo ist die Hand, welche den Sieg mit Sicherheit erkämpfen könnte, — — wenn er mir entginge — —“

Er versank, die Augenbrauen finster zusammengezogen, in tiefes Sinnen.

„Meine Gemahlin wird nicht zufrieden sein,“ sagte er dann, „über die so friedliche Lösung — sie glaubt an den Sieg — ich will ihr selbst die Sache sogleich mitteilen, damit sie vorsichtig in ihren Äußerungen ist und die Kriegspartei nicht durch hingeworfene Worte ermuthigt.“

Er verließ sein Cabinet und begab sich nach den Gemächern der Kaiserin.

Der Huissier öffnete die Thür.

Der Kaiser durchschritt das Vorzimmer und trat in den Salon, an dessen
Schwelle ihn die Kaiserin empfing.

Napoleon blieb einen Augenblick erstaunt stehen, denn hinter seiner Gemahlin, deren Gesichtszüge eine lebhafte Erregung ausdrückten, sah er neben dem, von großen Fauteuils umgebenen, mit Albums aller Art bedeckten Tisch in der Mitte des Salons den Baron Jérome David und den Herzog von Gramont.

Der Baron Jérome David, der Führer der entschiedensten Anhänger des Kaiserreichs im Corps legislatif, war ein Mann von etwa fünfzig Jahren von kräftiger, schlanker Gestalt; sein auf einem kurzen Halse sich erhebender Kopf hatte scharf markirte, von energischer Willenskraft und etwas colerischem Temperament zeugende Gesichtszüge; das dunkle volle Haar war über der niedrigen Stirn leicht gekräuselt; unter hochgeschwungenen Augenbrauen blickten große, etwas hervorstehende Augen hervor, deren etwas stechender Blick fast immer den Ausdruck zorniger und unruhiger Erregung hatte; die etwas abgestumpfte starke Nase, die hoch aufgedrehten Spitzen des dunklen Schnurrbarts und das mächtig hervorspringende Kinn ließen seinen Gesichtsausdruck in der Erregung einer lebhaften Conversation fast herausfordernd erscheinen.

Der Kaiser trat langsam in den Salon und wandte sich mit einer Miene, in welcher eben so viel Erstaunen, als Unzufriedenheit lag, an den Herzog von Gramont.

„Ich hätte nicht erwartet, Sie noch hier zu finden, Herr Herzog,“ sagte er, ohne die Höflichkeit und den verbindlichen Ton, die ihm sonst eigen war.

„Ich glaubte Sie schon in Paris, um mit Ollivier jene Erklärung zu verabreden, über welche wir vorher gesprochen haben.“

„Der Herzog,“ fiel die Kaiserin schnell ein, „wollte vor seiner Rückkehr mich begrüßen, und mir zugleich die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern bringen. Ich habe ihn noch zurückgehalten, um ihm Gelegenheit zu geben, die Mittheilungen anzuhören, welche der Baron Jérome David mir so eben über die Stimmung in Paris und in den Kreisen der Deputirten gemacht hat, und welche vielleicht von einigem Einfluß auf die Entschließungen sein könnten, die man in diesem Augenblick zu fassen hat.“

Der Kaiser verneigte sich leicht gegen den Baron Jérome David und sagte immer noch in demselben strengen Ton seiner Stimme.

„Und welche Mittheilungen haben Sie der Kaiserin gemacht, Baron?“

Er reichte seiner Gemahlin die Hand, führte sie zu einem der neben dem Tisch stehenden Sessel und setzte sich an ihre Seite, den Blick mit gespannter Aufmerksamkeit auf den Baron richtend.

„Sire,“ sagte dieser, „ich habe mir erlaubt, der Kaiserin mitzutheilen, — und würde im nächsten Augenblick mich bei Eurer Majestät haben melden lassen, um auch Ihnen mitzutheilen, — daß die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern auf seine Candidatur in Spanien, welche heute Abend in Paris bekannt wurde, unter den Deputirten und in den journalistischen Kreisen durchaus nicht den befriedigenden und beruhigenden Eindruck gemacht hat, welchen ich bei dem Herzog von Gramont gefunden, also auch bei Eurer Majestät voraussetzen muß.“

„Nun,“ sagte der Kaiser, den Baron fragend und erstaunt anblickend, „die
Sache ist doch erledigt, jene Candidatur ist verschwunden, — — vor der
Intervention Frankreichs verschwunden, — ich begreife nicht, — —“

„Niemand in Frankreich, Sire,“ fiel der Baron Jérome David rasch und lebhaft ein, „hat jemals dem jungen Prinzen von Hohenzollern es verdacht, daß er ein Abenteuer unternehmen wollte, bei welchem der Ehrgeiz eines thatkräftigen Mannes seine Rechnung finden könnte. — Niemandem ist es eingefallen, die spanische Nation in der freien Wahl ihres Königs zu beschränken, die Besorgniß und die Entrüstung Frankreichs über diese Combination hatte nur darin ihren Grund, daß die Hohenzollernsche Candidatur ein Werk der preußischen Politik war, daß diese Combination in Berlin vorbereitet und vom Könige von Preußen feierlich genehmigt wurde, ohne daß man sich mit Frankreich, das doch so nahe und so unmittelbar dabei interessirt ist, auch nur darüber in Vernehmen gesetzt hätte. Das ist eine Nichtachtung der französischen Würde und außerdem eine Bedrohung unserer Interessen durch die offen kund gegebene Absicht an unserer Südgrenze eine Macht aufzurichten, welche bei jeder Gelegenheit die preußische Politik gegen uns zu unterstützen bestimmt sein sollte. Wenn nun der Prinz von Hohenzollern einfach seine Candidatur zurückzieht, so ist Frankreich dadurch keine Genugtuung gegeben, vor allen Dingen aber auch keine Sicherheit, daß die Combination, welche heute gescheitert ist, nicht jeden Augenblick wieder aufgenommen werden könne, wenn die europäische Constellation derselben vielleicht günstiger sein möchte und Preußen die Aussicht hätte, Alliirte in einem Conflikt mit uns zu finden. — Ohne eine Genugthuung für unsere Würde, ohne eine Sicherstellung unserer Interessen für die Zukunft aber,“ — fuhr er laut mit entschiedenem Tone fort, „wird die öffentliche Meinung sich nicht beruhigen die bloße einfache Anzeige der Zurückziehung der Candidatur des Prinzen Leopold wird im Corps legislatif eine sehr ungünstige Aufnahme finden, und wenn die Regierung sich damit begnügt, so wird man das allgemein als ein Zeichen großer Schwäche ansehen, und das so lebhaft erregte Nationalgefühl wird sich auf das Entschiedenste gegen Eure Majestät wenden, zum großen Schaden für den Nimbus des Kaiserreichs, welcher erst so eben durch das Plebiscit wieder hergestellt worden ist.“

„Aber welche Genugthuung, welche Garantien,“ fragte der Kaiser, „könnten denn gegeben werden?“

Die Kaiserin unterdrückte mühsam ihre innere Erregung, während sie ihr
Spitzentaschentuch in der Hand zusammenpreßte.

„Sire,“ antwortete Jérome David, „die Beleidigung Frankreichs bestand darin, daß über die Hohenzollernsche Combination von Preußen keine Mittheilung an Frankreich gemacht wurde. Die Frage für die Zukunft besteht darin, daß jene heut zurückgezogene Candidatur jeden Augenblick wieder aufgenommen werden kann, — dem entsprechend muß die Genugtuung und diese Garantie gefordert werden. Die Genugthuung muß meiner Überzeugung darin bestehen, daß der König von Preußen Eurer Majestät anzeigt, er habe dem Prinzen befohlen und — zwar mit Rücksicht auf die Intervention Frankreichs — von seiner Bewerbung um den spanischen Königsthron Abstand zu nehmen. Die Garantie muß darin bestehen, daß der König weiter erklärt, er werde auch in der Zukunft niemals erlauben, daß der Prinz auf jene Candidatur zurückkomme. Wenn der Kammer eine solche Erklärung vorgelegt wird, so wird der Eindruck ein tiefer und befriedigender sein, jeder andere Abschluß der Sache wird dem Nationalgefühl nicht genügen und dasselbe, wie ich wiederholen muß, gegen Eure Majestät und die kaiserliche Regierung richten.“

Der Kaiser strich langsam mit der Hand über seinen Bart, dann richtete er den Blick fragend auf den Herzog von Gramont.

„Sire,“ sagte dieser, „ich kann den Bemerkungen des Herrn Baron David die innere Berechtigung nicht absprechen, vor Allem aber muß derselbe die Stimmung im Corps legislatif am allerbesten und genauer kennen, als ich; und das Ziel, nach welchem bei der Behandlung dieser ganzen Angelegenheit gestrebt werden muß, ist ja doch jedenfalls die Bestärkung des Ansehens der kaiserlichen Regierung. Nachdem die Sache so weit gediehen ist, dürfen wir nach meiner Ansicht mit keiner Halbheit abschließen, sondern müssen wirklich den als vollgültig anerkannten Beweis liefern, daß man die Würde Frankreichs nicht ungestraft beleidigen, seine Interessen nicht ungestraft gefährden könne.“

„Nur ein solcher Beweis, über alle Zweifel und Mißdeutungen erhaben,“ fiel der Baron Jérome David lebhaft ein, „wird das Corps legislatif und die öffentliche Meinung von ganz Frankreich beruhigen.“

Der Kaiser sank seufzend in sich zusammen.

„Ich war so zufrieden, diese Angelegenheit endlich beendet zu wissen,“ sagte er leise.

Die Kaiserin zuckte fast unmerklich die Achseln, ein Blitz sprühte aus ihren Augen.

„Glauben Sie denn,“ sagte Napoleon sich zum Herzog von Gramont wendend, „daß eine solche Erklärung, wie sie der Baron für nöthig hält, zu erreichen und schnell zu erreichen möglich sei, damit diese Sache nicht noch mehr in die Länge gezogen werde und die öffentliche Meinung sich immer mehr echauffire.“

„Ich bin überzeugt, Sire,“ sagte der Herzog, „daß nichts leichter sein wird, als eine solche definitive Erklärung zu erlangen, um so mehr, wenn man die Form wählt, welche der Baron David so eben schon angedeutet hat, die Form eines persönlichen Briefes des Königs Wilhelm an Eure Majestät und sich damit gewißermassen auf den vom Könige selbst eingenommenen Standpunkt stellt, daß diese ganze Angelegenheit ihn nur persönlich als Chef seines Hauses berühre und die preußische Regierung als solche nichts angehe. Wenn Benedetti, der ja dem Könige eine angenehme und sympathische Person ist, in der ihm eigenen geschickten Weise die Sache dort darstellt, so bin ich überzeugt, daß der König keinen Augenblick zögern wird, einen Brief an Eure Majestät zu schreiben, der die geforderte Erklärung enthält und den man ja dann nachher der öffentlichen Meinung in Frankreich dennoch als einen Act der preußischen Regierung wird darstellen können. Denn,“ fügte er lächelnd hinzu, „diese öffentliche Meinung kann sich nicht zu dem subtilen Unterschied erheben, welchen Seine preußische Majestät zwischen seinen beiden Eigenschaften als Familienchef und Staatsoberhaupt zu machen sich gefällt.“

„Die Sache müßte aber durchaus,“ sagte der Kaiser, „in aller vorsichtigster und versöhnlichster Weise behandelt werden, damit ja kein ernster Conflict daraus entsteht.“

„Und wenn ein solcher Conflict daraus entstünde,“ rief die Kaiserin, welche ihre innere Erregung nicht länger bemeistern konnte, „wollen wir davor zurückschrecken? Soll Frankreich, welches in der Krim und in Italien gesiegt hat, welches die Adler des großen Kaisers auf seinen Fahnen trägt, sich von einem Wege abschrecken lassen, welchen das Recht und die Ehre, die Klugheit, ja die politische Nothwendigkeit vorschreibt, aus Besorgniß, daß der Widerstand der Gegner auf diesem Wege kriegerische Verwickelungen entstehen lassen könnte? Unsere Armee ist im herrlichsten Zustand, sie brennt vor Ungeduld, zu zeigen, daß sie noch immer die erste in Europa ist.“

„Was sagt der Marschall Leboeuf,“ fragte der Kaiser den sinnenden, sorgenvollen, nachdenklichen Blick auf den Herzog von Gramont gerichtet.

„Der Marschall erklärt, so bereit zu sein, als nur immer möglich,“ erwiderte der Herzog, „er wird Eurer Majestät ohne Zweifel den Beweis darüber liefern —“

„Auch sind wir der thätigen Mitwirkung Österreichs sicher,“ rief die Kaiserin, „um dieses übermüthige Preußen von zwei Seiten zu fassen und ihm zu zeigen, was es heißt, Frankreich zu beleidigen.“

„Österreich,“ sagte der Kaiser, abermals fragend den Blick auf den Herzog von Gramont richtend, „glauben Sie, daß wir auf Österreich rechnen können — Fürst Metternich sagt das Gegentheil wie Sie wissen werden,“ fügte er mit scharfer Betonung hinzu.

„Sire,“ sagte der Herzog lächelnd, „Fürst Metternich sagt, was er sagen soll, und was man für die offizielle Constatirung der Haltung Österreichs nöthig zu haben glaubt. Wenn wirklich, was ich in keiner Weise glaube, aus der Behandlung der schwebenden Angelegenheit ein ernster Conflict erwachsen sollte, so wird allerdings Österreich im ersten Augenblick eine neutrale abwartende Stellung einnehmen, schon weil der russische Einfluß lähmend auf seinen Entschlüssen lastet. Nach den ersten Niederlagen der preußischen Armee aber“ —

„Die sehr schnell kommen werden,“ rief die Kaiserin.

„Nach diesen ersten Niederlagen, Sire,“ fuhr der Herzog fort, „wird Österreich aus seiner Reserve hervortreten. Dann wird auch in Rußland die ganze französisch gesinnte Partei mächtig werden, und der vorsichtige Fürst Gortschakoff wird nicht wagen, sich diese Partei und das siegreich vorschreitende Frankreich zu gleicher Zeit zu Feinden zu machen. Dann, Sire, wird der Augenblick gekommen sein, in welchem Preußen isolirt von zwei Seiten gefaßt, von seiner Höhe herabgestürzt werden wird. Das Werk von 1866 wird in Trümmer sinken, und wir werden es in unserer Hand haben, Deutschlands politische Organisation so zu construiren, wie es für unsere Interessen genehm ist, und zugleich für Frankreich diejenigen Gebiete zurück zu nehmen, welche man uns in der Zeit des großen nationalen Unglücks entrissen hat.“

Die Augen des Kaisers leuchteten einen Augenblick in freudigem Stolz auf. Er erhob sein Haupt, als sähe er die Bilder der Zukunft, welche der Herzog andeutete, vor seinem Blick aufzeigen. Dann aber ließ er den Kopf wieder matt herabsinken und sprach:

„Dazu gehören zwei gewonnene Schlachten — und wer giebt mir die Bürgschaft, daß sie gewonnen werden? Gewonnen über eine Armee, von welcher mir der Oberst Stoffel schreibt, daß keine andere in Europa ihr gleich kommt an innerer moralischer Kraft, an Intelligenz und an einheitlicher Organisation.“

„Der Oberst Stoffel,“ sagte der Herzog von Gramont, während die Kaiserin zornig mit den schönen Zähnen auf die Lippen biß, „ist ein wenig geblendet durch die persönlichen Eigenschaften des Grafen Bismarck, durch die Liebenswürdigkeit, mit welcher man ihn dort behandelt — er sieht außerdem nur die Garde und nicht die Linien und die Milizen in den Provinzen, welche nur zögernd und widerwillig in den Krieg ziehen —“

„Das hat das Jahr 1866 nicht bewiesen,“ sagte Napoleon, — „auch beweisen die Berichte des Oberst Stoffel, daß er sehr genau über die ganze militairische Organisation in Preußen unterrichtet ist, daß er namentlich auch die Landwehrorganisation und die ausgezeichneten Eigenschaften des preußischen Generalstabs sehr genau kennt —“

„Vielleicht aber hat er vergessen,“ sagte die Kaiserin heftig, „daß dem Allen gegenüber die feurige und unwiderstehliche Tapferkeit der französischen Armee steht —“

„Und das,“ fiel der Baron Jérome David ein, „in einem solchen Kriege der gewaltig aufflammende Nationalgeist Frankreichs hinter seiner Armee stehen würde, ebenso wie dies in den großen Kriegen Napoleon's I der Fall war. Dieser Geist des Volks ist unbeweglich und,“ fügte er hinzu, „wenn er richtig geleitet wird, so wird bei dieser Gelegenheit eine neue gewaltige Macht zur Alliirten des Kaiserthums gemacht werden können.“

Der Kaiser sah ihn fragend an.

„Diese Macht, Sire,“ sagte der Baron Jérome David, „ist die Marseillaise, die Marseillaise, Sire, welche man verboten hat, weil sie ein Gesang des Aufruhrs geworden, die man aber darum nicht aus dem Herzen der Franzosen hat reißen können. Würde man bewirken können, daß die Marseillaise aufhörte, ein Gesang der Revolution zu sein, daß sie das Kriegslied der französischen Nation würde, daß unter ihren Klängen die kaiserlichen Adler den Feinden entgegen getragen würden, so würde das Kaiserreich und Eurer Majestät Dynastie von dem zauberisch gewaltigen Hauch dieses großen Nationalhymnus auf eine vorher nie geahnte Höhe empor getragen werden. Eine französische Armee, Sire, welche unter den Klängen der Marseillaise ins Feld rückte, würde alle Combinationen des preußischen Generalstabs zertrümmern und die preußischen Landwehren in unaufhaltsamer Flucht vor sich her fegen.“

Die Kaiserin blickte gespannt auf ihren Gemahl.

Napoleon schüttelte langsam und schweigend das Haupt.

„Und wenn dann, Sire,“ fuhr der Baron David fort, „die französische Armee siegreich zurückkehrte, so wäre der Revolution ihre Zauberformel genommen, und die Marseillaise würde aus einem wilden Revolutionsgesang ein kaiserlicher Siegeshymnus geworden sein.“

Abermals leuchteten die Augen des Kaisers auf, seine Brust dehnte sich mit einem tiefen Athemzug aus, und er sprach nach einem Augenblick:

„Wir debattiren da über den Krieg, zu dem es nicht kommen wird — zu dem es nicht kommen soll,“ fügte er mit fester Stimme hinzu. „Doch in Ihrer Bemerkung, mein lieber Baron, liegt eine tiefe Wahrheit, und ich danke Ihnen für die Idee, welche Sie mir gegeben. Je mehr man in Frankreich an die Möglichkeit eines Krieges glaubt, um so höher wird der Triumph sein, wenn man ohne denselben dem Nationalgefühl volle Genugtuung schafft. Die Gelegenheit ist günstig, um die Zaubermacht der Marseillaise über die Franzosen, welche ich kenne und nach ihrem vollen Werth schätze, zu einer mächtigen Waffe des Kaiserreichs zu machen. Ich werde den Befehl geben, daß man die Marseillaise erlaubt, bewirken Sie, daß man sie singt, daß man sie in den Theatern verlangt — das Plebiscit, die Marseillaise und ein diplomatischer Erfolg gegen Preußen — das wird ein festes Fundament für den Thron Napoleon's IV — das wird die Krönung meines Gebäudes sein. Senden Sie also sogleich,“ sagte er zum Herzog von Gramont gewendet, „den Befehl an Benedetti, die besprochene Erklärung vom Könige von Preußen zu erbitten, aber in der geschmeidigsten und sanftesten Form; er muß sie zu erreichen suchen, ohne daß man dort der Sache eine zu große Bedeutung beilegt. Er wird das können, wenn er den Schritt, den wir vom Könige von Preußen verlangen, demselben als eine Unterstützung darstellt, die er mir zur Beruhigung der öffentlichen Meinung gewährt — dann wird sich Alles leicht erledigen.“

Die Kaiserin trat leicht mit dem Fuß auf den Boden, ein Zug fast höhnischen Unmuths erschien auf ihrem Gesicht, dann aber lächelte sie wieder und lehnte sich schweigend in ihren Fauteuil zurück.

„Der Baron Werther kommt heute von Ems zurück, Sire,“ sagte der Herzog von Gramont, „ich werde ihm, nachdem ich die Instructionen an Benedetti abgesendet, die Sache ganz in dem von Eurer Majestät gegebenen Sinn darstellen, und er wird gewiß dazu beitragen, die so wünschenswerthe, baldige und befriedigende Erledigung der Sache zu erreichen.“

„Thun Sie das, Herr Herzog,“ sagte der Kaiser, „und vergessen Sie nicht, Benedetti die äußerste Vorsicht und die höflichste Geschmeidigkeit anzuempfehlen.“

„Und ich, Sire,“ sagte der Baron Jérome David, „werde dafür sorgen, daß morgen in Paris die Marseillaise erklingt, — man wird sich in Berlin erinnern, daß es gefährlich ist, Frankreich entgegenzutreten, wenn dieses Lied über seinen Heeren schwebt, und wenn die Tricolore und die kaiserlichen Adler seinen Regimentern vorangetragen werden.“

Beide Herren verließen nach ehrerbietigem Gruß gegen die Majestäten das
Cabinet.

„Nun,“ sagte der Kaiser, indem er aufstand und sich lächelnd zur Kaiserin wandte, „Sie werden jetzt zufrieden sein, Eugenie, wir werden einen großen Triumph erleben, ohne uns der Gefahr eines Krieges auszusetzen, und Sie werden endlich die Genugthuung haben, die Politik dieses Grafen Bismarck ein wenig gedemüthigt zu sehen. Werden Sie heute Abend noch empfangen?“

„Nur meinen kleinen Cirkel,“ antwortete die Kaiserin leicht hin und etwas zerstreut, als folge sie Gedanken, die unausgesprochen ihr Inneres erfüllten.

„Ich bin ermüdet,“ sagte der Kaiser, „und bitte Sie, mich zu entschuldigen, ich möchte ein wenig meine Privatcorrespondenz ordnen, die ich in den letzten Tagen etwas vernachlässigt habe.“

Er küßte seiner Gemahlin die Hand und kehrte langsam in seine Gemächer zurück.

„Welche Schwäche, welche Unschlüssigkeit!“ rief die Kaiserin, als sie allein war. „Er möchte die Früchte des Sieges genießen und will doch den Kampf nicht wagen. Nun,“ fuhr sie mit flammendem Blick und einem stolzen, fast höhnischen Lächeln fort, „die Verhältnisse werden mächtiger sein, als er; sie werden ihn über den Rubicon drängen, den er nicht wie Cäsar zu überschreiten wagt. So sehr der König von Preußen auch den Frieden zu erhalten wünschen mag, seine Geduld wird sich endlich erschöpfen, wenn Forderung auf Forderung an ihn gestellt wird, und wenn man in Paris erst die Marseillaise singt, wenn die Presse und die Tribüne in immer steigendem Maß das Nationalgefühl erhitzen, so wird trotz aller Unschlüssigkeit der Krieg kommen — dieser Krieg, der mein Krieg ist, den man mir einst danken wird, der mich in den Augen von ganz Frankreich zur wahren Französin machen wird, der nothwendig ist, um meinem Sohn den Thron zu sichern, meinem Sohn, den ich hinaus senden werde, um auf den Schlachtfeldern gegenwärtig zu sein, — wo man ihn niemals gesehen hat, diesen anmaßenden Prinzen Napoleon, welcher es zu behaupten wagt, daß in den Adern seiner Nachkommenschaft allein das Blut des großen Kaisers fließe, und welcher so stolz darauf ist, daß seine Mutter und die Mutter seiner Kinder purpurgeborne Prinzessinnen waren. — Die Stunde der Entscheidung naht — sie wird den Sieg bringen — und dieser Sieg wird Mein sein!“

Sie stand noch einige Augenblicke schweigend, den strahlenden Blick auswärts gerichtet, die schönen Züge verklärt von stolzer Zuversicht.

Dann bewegte sie die Glocke.

„Man soll den Thee serviren,“ befahl sie dem Kammerdiener, „ich lasse meine Damen und die Herren vom Dienst bitten, einzutreten.“

Achtes Capitel.

Die Morgenpromenade in Ems war beendet. Langsam und nachdenklich kehrte Graf Benedetti nach seiner Wohnung in der Stadt Brüssel zurück.

Sein Kammerdiener übergab ihm zwei für ihn eingegangene Depeschen. Benedetti trat in sein Zimmer, und reichte seinem Secretair, welcher ihn erwartete die beiden Telegramme. Dieser zerriß hastig die Umschläge und öffnete den großen Folioband, der den Chiffre des Botschafters enthielt, um die Depeschen zu dechiffriren.

Hier in seinem Zimmer verschwand von dem Gesicht Benedetti's jene gleichgültige, höfliche, freundliche und undurchdringliche Ruhe, welche sonst Alles verhüllte, was in seinen Gedanken vorging. Heftig bewegt schritt er auf und nieder, sein blasses Gesicht zuckte in nervöser Aufregung und seine sonst so klaren, unzerstörbar, heiteren Augen blickten trübe und sorgenvoll vor sich hin.

„Welch eine furchtbare Verantwortung liegt auf meinem Haupt,“ sagte er, „ich fühle, daß der Faden der Unterhandlungen mir entschlüpft, weil man ihn in Paris so scharf anzieht, daß es in der That kaum mehr möglich ist ein anderes Ende, als den Bruch vorherzusehen — den Bruch — das heißt einen Krieg, wie er seit Generationen Europa nicht erschüttert hat; das heißt ein Meer von Blut, das heißt, die Zerstörung so vieler Güter, welche der Fleiß und die Arbeit langer Jahre geschaffen haben.

Was will man in Paris?“ fuhr er fort, indem er die Hand vor die Stirn legte und unruhig nachdenkend schnell auf und nieder ging. „Will man den Krieg? Das ist ja beinahe unmöglich, so wie ich den Kaiser kenne, — er hat viele bessere Gelegenheiten vorübergehen lassen, wie sollte er jetzt die Dinge auf's Äußerste treiben wollen. Sollte man aber wirklich den Krieg wollen — warum es mir verheimlichen? Warum mich diese traurige und undankbare Rolle eines Ueberlästigen spielen lassen? Warum diese unklare Verworrenheit, welche nur dahin führen kann, daß der Bruch, wenn er erfolgt, uns vor den Augen von ganz Europa als die absichtlichen Friedensstörer hinstellt? Warum ist man da nicht gleich mit einer klaren bestimmten Forderung hervorgetreten, die wenigstens zu einem würdigen Abbruch der Verhandlungen hätte führen können? Ich habe,“ sprach er weiter, indem er an das Fenster trat und auf die Straße hinabblickte, „ich habe auf die coulanteste und freundlichste Weise das erste Ziel meiner Mission erreicht — die Zurücknahme der Hohenzollerschen Candidatur unter Autorisation des Königs. Nun steigert man successive die Forderungen — giebt es einen Diplomaten in der Welt, der im Stande wäre, eine solche Negotiation zu einem günstigen und würdevollen Ende zu führen? Man verlangt die Erklärung des Königs, daß er für alle Zukunft eine Wiederaufnahme der jetzt gescheiterten Combination nicht erlauben werde. Eine solche Erklärung hätte sich erreichen lassen, wenn man nicht zugleich die Aufregung in Frankreich begünstigt hätte, wenn man sich größere Reserve bei den Erklärungen im Corps legislatif auferlegt hätte, wenn man das persönliche Gefühl des Königs und den nationalen Stolz in Deutschland nicht verletzt hätte, jetzt aber nach der kurzen Unterredung, die ich so eben mit dem Könige auf der Brunnenpromenade gehabt, ist an Erfüllung dieser Forderung garnicht zu denken. Und wenn sie nicht erfüllt wird,“ sagte er seufzend, „nachdem man einen so starken Anlauf genommen, nachdem man so hohe Worte gebraucht hat, so ist der Krieg unvermeidlich — die Welt wird diesen Grund desselben kaum verstehen, mag man nun den Bruch gewollt haben, oder mag man ohne Willen und Plan zu demselben hingetrieben werden.

Was telegraphirt der Herzog?“

Der Secretair hatte die beiden Depeschen dechiffrirt und reichte sie dem
Botschafter.

Dieser durchflog raschen Blickes die Telegramme, seufzend warf er sie auf den Tisch.

„Die Festigkeit meiner Sprache,“ sagte er bitter lächelnd, „soll nicht dem Ernst der Situation entsprechen. Aber, mein Gott, vergißt man denn in Paris ganz, daß es sich hier um keine Unterhandlungen mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten handelt, sondern daß ich in unmittelbarem persönlichem Verkehr mit dem Souverain stehe? Man kann doch unmöglich von mir verlangen, daß ich die Formen verletzen sollte, welche für diesen Verkehr maßgebend sind. Ich muß noch einen Versuch machen, — vielleicht hat die Bitte, welche ich dem Könige durch den Prinzen Radziwill aussprechen ließ, irgend einen Erfolg, vielleicht entschließt sich der König, irgend ein Wort zu sagen, welches man in Paris als genügend annehmen möchte, wenn der Grundgedanke des Kaisers wirklich ist, den Frieden zu erhalten.“

Der Kammerdiener meldete den Flügeladjutanten Seiner Majestät des Königs von Preußen, und einen Augenblick darauf trat der Oberstlieutenant Prinz Radziwill, ein noch junger, schlanker Mann mit militairisch geschnittenem vollem Bart in Civilmorgenanzug in das Zimmer.

Das Gesicht des Grafen Benedetti hatte seine glatte und undurchdringliche Ruhe wieder angenommen, er trat dem Prinzen mit verbindlicher Höflichkeit entgegen.

„Seine Majestät der König,“ sagte dieser im artigen Ton, „hat mich beauftragt, Eurer Excellenz mitzutheilen, daß er sich nicht in der Lage befinde, von einer neuen Unterredung ein Resultat voraussehen zu können, da seine Entschließungen vollkommen fest ständen. Der König hat mir zugleich befohlen, Eurer Excellenz in seinem Namen zu erklären, daß Seine Majestät die Verzichtleistung des Prinzen Leopold approbirte und zwar in demselben Sinne und demselben Geist, wie er seine Zustimmung zu der Annahme dieser Candidatur ertheilt habe. Was den zweiten Punkt betrifft, eine Verpachtung für die Zukunft zu übernehmen, so könne sich Seine Majestät nur auf diejenige ablehnende Erklärung zurück beziehen, welche er heute Morgen Eurer Excellenz persönlich gegeben habe.“

Keine Muskel bewegte sich im Gesicht Benedetti's, und mit ruhiger, klarer Stimme sprach er:

„Ich bin dem Könige unendlich dankbar, daß er die Gnade gehabt hat, mir diese Erklärung durch Eure Durchlaucht zugehen zu lassen, und ich werde dieselbe sogleich meiner Regierung mittheilen. Doch muß ich,“ fuhr er in demselben ruhigen Ton fort, „Eurer Durchlaucht sagen, daß ich betreffs des zweiten Punktes soeben noch sehr bestimmte Instructionen vom Herzog von Gramont erhalten habe. Ich muß daher meine Bitte um eine neue Unterredung mit Seiner Majestät nochmals wiederholen, um so mehr, als ich dem Könige vielleicht einige neue, noch nicht erwogene Gesichtspunkte mittheilen könnte. Ich muß nach den Instructionen, die ich erhalten, den größten Werth auf die gnädige Gewährung meiner Bitte um eine nochmalige Audienz legen, sei es auch nur, um nochmal von Seiner Majestät die Erklärung wiederholen zu hören, welche er mir heute Morgen gegeben hat. Ich bitte Eure Durchlaucht deshalb, den Wunsch, welchen ich aussprechen muß, nochmal Seiner Majestät mittheilen zu wollen.“

„Ich werde nicht unterlassen, Eurer Excellenz Auftrag sogleich Seiner Majestät auszurichten,“ erwiderte der Fürst Radziwill, „und werde nicht verfehlen, Eurer Excellenz die Allerhöchste Antwort mitzuteilen.“

Mit ausgesuchter Höflichkeit, in welcher jedoch eine gewisse, kalte und stolze Zurückhaltung lag, verneigte er sich und verließ von dem Botschafter bis zur Thür geleitet, das Zimmer.

„Der Krieg liegt in der Luft,“ sagte er dann, indem er sich seufzend an seinen Secretair wandte. „Ich kenne die Höfe, ich fühle, — ich weiß, was geschehen wird. Der König wird mich nicht mehr empfangen — er hat sein letztes Wort gesprochen.“

„Wenn der König den Botschafter Frankreichs zu empfangen verweigert,“ rief der Secretair mit blitzenden Augen, „so ist das allein ein Grund des Krieges, dessen Gerechtigkeit das Gefühl der ganzen Nation anerkennen wird.“

„Sollte es das sein?“ sagte Benedetti leise, indem er nachdenklich den Kopf schüttelte, „das würde freilich die nationale Entrüstung entflammen. Aber,“ fuhr er fort, „würde darum der Kriegsgrund besser werden, der Erfolg gesicherter sein? Doch ich bin erschöpft,“ sagte er dann, „und Sie werden es auch sein, können wir auch die Entbehrung des Schlafs ertragen, so fordert doch die körperliche Natur ihr Recht auf Ergänzung der Substanz, lassen Sie uns frühstücken.“ — Er ließ das Frühstück in seinem Zimmer serviren und beide Herren setzten sich schweigend und gedankenvoll zu Tisch. —

* * * * *

Mehrere Stunden waren verstrichen voll unruhiger Erwartung für den Grafen Benedetti, welcher sich in seinem Zimmer auf ein Canapé niedergelegt hatte, um nach all der Aufregung der letzten Tage wenn nicht Schlaf, so doch wenigstens Ruhe für seine erschöpften und abgespannten Nerven zu finden.

Endlich, es war bereits Abend — die Zeit des Diners des Königs war vorüber — wurde dem Botschafter abermals der Fürst Radziwill gemeldet.

Rasch sprang Benedetti empor und kaum gelang es ihm, den Ausdruck unruhiger Spannung von seinem Gesicht verschwinden zu lassen, als er dem Adjutanten des Königs entgegentrat.

Noch kälter, noch zurückhaltender als vorher war der Ton, in welchem dieser dem Botschafter sagte:

„Der König hat mir befohlen, Eurer Excellenz mitzutheilen, daß er sich verpflichtet sähe, eine neue Discussion über den zweiten, von Ihnen angeregten Punkt — betreffend die Verpflichtungen und Garantien für die Zukunft ganz bestimmt und kategorisch abzulehnen. Was Seine Majestät Eurer Excellenz heute Morgen zugesagt hat, ist des Königs letztes Wort in dieser Angelegenheit, und der König bittet Eure Excellenz sich lediglich und ausschließlich an jenes Wort zu halten.“

Das Gesicht des Grafen Benedetti wurde bei diesen mit äußerster Artigkeit, aber auch mit entschiedenster Festigkeit gesprochenen Worten des Fürsten Radziwill noch um eine Nüance bleicher. Er ließ einen Augenblick die Augenlider herabfallen, wie um den Ausdruck seines Blickes zu verhüllen, und ein leichtes Nervenzucken zeigte sich eine Secunde um seinen Mund. Schweigend neigte er den Kopf und sprach dann mit ruhiger Stimme, in deren Ton keine Aufregung bemerkbar war.

„Ich danke Eurer Durchlaucht für diese Mittheilung und möchte Sie nur noch bitten, mir zu sagen, ob die Ankunft des Grafen Bismarck hier, von welcher in diesen Tagen gesprochen wurde, heute oder morgen zu erwarten ist.“

„Soviel mir bekannt geworden,“ erwiderte der Fürst Radziwill, „hat der Graf Bismarck seine Reise hierher aufgeschoben und morgen jedenfalls wird seine Ankunft hier nicht zu erwarten sein.“

„Dann bitte ich Eure Durchlaucht,“ sagte Benedetti, „Seiner Majestät zu sagen, daß ich nicht weiter auf meiner Bitte bestehe und mich bei den Erklärungen des Königs beruhigen wolle.“

Der Fürst verabschiedete sich. Graf Benedetti begleitete ihn zur Thür und blieb dann einige Augenblicke schweigend in tiefen Gedanken stehen.

„Der Würfel ist gefallen,“ sagte er mit düsterem Ton, „das Verderben ist entfesselt! Wen wird der Blitz treffen, der noch verborgen im Schoß der Wolken ruht, welche den Himmel des europäischen Friedens überziehen.“

Er öffnete die Thür des Nebenzimmers und rief seinen Secretair.

„Bereiten Sie Alles zur Abreise vor,“ sagte er im ernsten Ton, „meine Mission hier ist zu Ende. Doch,“ fuhr er fort, „ich will bis zum letzten Augenblick alle Pflichten der Höflichkeit erfüllen. Wenn es das Schicksal will, kann sich vielleicht doch noch eine Gelegenheit bieten, das Verhängniß zu beschwören. Gehen Sie zum Hause des Königs und sagen Sie dem Adjutanten vom Dienst, daß ich um die Erlaubniß bäte, mich von Seiner Majestät verabschieden zu dürfen. Damit verletze ich keine Form und kann zugleich meinen persönlichen Wunsch erfüllen, von dem Monarchen, der mir soviel Gnade und Wohlwollen bewiesen hat, und von dem ich in so verhängnißvollem Augenblick scheiden muß, einen freundlichen Abschied zu nehmen.“

* * * * *

Die Aufregung unter den Badegästen in Ems, welche die ersten Nachrichten von den Differenzen über die Hohenzollersche Candidatur erregt hatten, war fast vollständig wieder verschwunden. Man hatte zwar die heftigen Artikel der französischen Journale gelesen, die nationale Entrüstung, welche ganz Deutschland bei diesen Provocationen erfaßte, war auch dorthin in die stillen Kreise des Badelebens gedrungen, aber man hatte auch wieder Gelegenheit gehabt, hier in unmittelbarer Nähe den so freundlichen Verkehr des Könige mit dem französischen Botschafter zu sehen. Man hatte gesehen, wie Seine Majestät den Grafen Benedetti täglich auf der Promenade auf das huldvollste anredete und einige Zeit in lebhafter Conversation mit ihm auf- und niederging. Das Lächeln verschwand keinen Augenblick von dem glatten Gesicht des Botschafters und der König war ruhig und heiter wie immer.

Baron Werther war wieder nach Paris zurückgereist; der Minister des Innern, welchen der Graf Bismarck, der von Barzin kommend, in Berlin leicht erkrankt war, zum Könige nach Ems entsendet hatte, war wieder nach Berlin zurückgekehrt; der Finanzminister war angekommen, um wie man erzählte, Seiner Majestät über Angelegenheiten seines Ressorts Vortrag zu halten, und Alles schien wieder in das gewohnte Geleis zurückzukehren.

Als nun gar der Telegraph die Nachricht brachte, daß der Prinz Leopold von Hohenzollern auf seine Candidatur Verzicht geleistet, und daß Graf Bismarck, darin die vollständige Erledigung der ganzen Angelegenheit erblickend, seine Reise nach Ems aufgegeben habe, da verschwanden vollends die letzten Besorgnisse, und man sah auf der Brunnenpromenade nur heitere und lächelnde Gesichter, man verabredete Partien in die Berge, und die Unterhaltung, welche so lange von den ernsten Gegenständen der Politik in Anspruch genommen war, wandte sich wieder den kleinen Ereignissen des Tages zu.

Man sprach von den Toiletten der Herzogin von Ossuna, welche soeben mit ihrem Gemahl angekommen war und Alles durch ihren Geschmack und ihre Eleganz in den Schatten stellte. Man wiederholte die märchenhaften Erzählungen über den Reichthum dieses spanischen Granden, welcher die Königin Isabella am Hofe von St. Petersburg vertreten und an diesem prachtvollsten Hof Europas einen Glanz entwickelt hatte, der selbst dort noch nicht gesehen worden war.

Da plötzlich drang am Nachmittag des 14. Juli in diese wieder zu sorgloser, heiterer Geselligkeit sich zusammenschließenden Kreise wie ein unvorbereiteter Wetterschlag die Nachricht, daß der König, den man, wie er öfter that, nach Coblenz zu seiner Gemahlin hatte fahren sehen, der am Abend zurückerwartet wurde, schon in der Frühe des nächsten Morgens nach Berlin abreisen werde, daß alle Verhandlungen abgebrochen seien, daß Seine Majestät sogar jede weitere Unterredung mit dem Botschafter abgelehnt habe, und daß der Krieg unvermeidlich scheine.

Die tiefste Bestürzung verbreitete sich überall. Diejenigen, welche mit dem einen oder dem andern Herrn aus der Umgebung des Königs bekannt waren, suchten sich demselben zu nähern, um Ausführliches zu erfahren — die Umgebung des Königs vermied es zwar, sich in lange Gespräche über die Situation einzulassen, doch der ernste, fast feierliche Eindruck, welcher auf den Gesichtern aller dieser Herren lag, einzelne hingeworfene Bemerkungen und die Bestätigung der für den nächsten Morgen feststehenden Abreise des Königs zeigten deutlich genug, daß die Befürchtungen, welche überall erregt waren, vollkommen begründet seien.

Der französische Botschafter war noch nicht abgereist, aber er hielt sich in seiner Wohnung und erschien nicht auf der Abendpromenade.

Bis spät in die Nacht hinein waren alle Straßen mit Menschen gefüllt, und die ganze Nacht über dauerte die Unruhe in allen Häusern, denn fast alle fremden Badegäste trafen Anstalten zur schnellen Abreise, und die Bewohner von Ems sahen mit Bekümmerniß dem plötzlichen Ende einer so glänzend begonnenen Saison entgegen.

Schon lange vor acht Uhr am nächsten Morgen, zu welcher Stunde die Abreise des Königs befohlen war, hatte der Bahnhof sich dicht gefüllt mit einem zahlreichen Publikum, unter welchem die Damen und Herren aus dem Kreise der Badegäste, die dem König persönlich bekannt waren, die ersten Reihen am Perron einnahmen, der in der Nacht mit Blumenguirlanden geschmückt worden war.

Allmälig erschien die Umgebung des Königs, welche den Monarchen nach Berlin begleitete. Die Waggons fuhren heran und das zahlreiche Gepäck wurde in den bereits vorgefahrenen Zug, in dessen Mitte man den großen königlichen Salonwagen erblickte, eingeladen.

Zum Erstaunen aller Anwesenden erschien auch der französische Botschafter Graf Benedetti am Bahnhof und begab sich mit unbefangen heiterer Miene, Einen oder den Andern aus der Badegesellschaft begrüßend auf den Perron, wo er seinen Ueberrock ablegte und im schwarzen Anzug, das Band des schwarzen Adlerordens über der Brust, ruhig dastand, mit den Andern den König erwartend, ohne die erstaunten und wenig freundlichen Blicke zu beachten, mit welchen man ihn von allen Seiten ansah.

Die Wagen waren bepackt; die Locomotive war schnaubend herangefahren und hatte sich an die Spitze des Zuges gestellt; die Lakaien in Reiselivreen standen an den Thürschlägen.

Da ertönten vom Badehause einzelne, sich schnell fortpflanzende Hochrufe. Wenige Augenblicke darauf fuhr der König an den Perron heran, er trug Militair-Rock und Mütze. Der Flügel-Adjutant Fürst Radziwill begleitete ihn, der Hofmarschall Graf Perponcher ging dem Könige entgegen und meldete, daß Alles bereit sei.

Der König sah frisch und kräftig aus, seine Haltung war stolz und fest, und trotz des tiefen Ernstes, der auf seinen Zügen lag, blickten seine Augen doch in milder Heiterkeit auf die zu seiner Begrüßung Versammelten hin. Er richtete, schnell die Reihe herabschreitend, mit freundlichem Kopfnicken alle diese ehrerbietigen Grüße erwidernd, an einzelne Bekannte einige Worte. Bei dem Polizei-Präsidenten von Wurmb, welcher im Reiseanzug gegenwärtig war, blieb der König einen Augenblick stehen.

„Ich habe Sie gebeten mit mir abzureisen,“ sagte er. „Sie werden viel zu thun finden, — unsere Vorbereitungen für die Enthüllung des Denkmals des hochseligen Königs,“ fügte er mit wehmüthigem Lächeln hinzu, „werden nun wohl für längere Zeit vertagt bleiben.“

„Möge die Errichtung des ehernen Denkmals auch noch hinausgeschoben werden, Majestät,“ erwiderte Herr von Wurmb mit bewegter Stimme, „das lebendige Denkmal an die große Zeit des hochseligen Herrn, welches in jedem Preußenherzen fest begründet ist, wird in diesen Tagen mit lebendigen Kränzen der Erinnerung und neuer Hoffnung geschmückt. Wieder durchdringt das ganze Volk wie damals der heilige Ruf aus der Zeit des eisernen Kreuzes „Mit Gott für König und Vaterland.“

Der König neigte das Haupt, sein Blick fiel auf das schwarz-weiße Band des eisernen Kreuzes, das er trug, und indem er dasselbe leicht mit der Hand berührte, sagte er halb laut:

„In diesem Zeichen werden wir siegen.“

Er ging weiter. Raschen und festen Schrittes trat er zu dem sich tief verneigenden Grafen Benedetti.

„Sie haben gewünscht, Herr Graf,“ sagte der König mit freundlicher
Höflichkeit, „sich von mir zu verabschieden — leben Sie wohl.“

Trotz der Gewalt, mit welcher der französische Diplomat den Ausdruck seiner Züge beherrschte, zeigte sich doch einen Augenblick eine mächtige Bewegung auf seinem Gesicht.

„Ich danke Eurer Majestät,“ sagte er mit leicht zitternder Stimme, „daß
Sie mir Gelegenheit geben, von Ihnen Abschied zu nehmen, und ich danke
Ihnen auch in diesem Augenblick noch einmal für die Gnade und das
Wohlwollen, welches Sie mir während der Zeit meiner Beglaubigung an
Ihrem Hofe bewiesen haben. Möchte die Zukunft Alles zum Guten wenden.“

„Die Zukunft liegt in Gottes Hand,“ sagte der König mit fester Stimme,
und indem er freundlich den Kopf neigte, wandte er sich zur Thür des
Salonwagens, an welcher der Hofmarschall und die übrigen Herren des
Gefolges ihn erwarteten.

„Kommen Sie zu mir, lieber Abeken,“ sagte der König, „wir haben unterwegs viel zu arbeiten und nehmen Sie St. Blanquart mit, damit alle ankommenden Depeschen sogleich dechiffrirt werden können.“

Der Geheime Legationsrath nahm aus der Hand eines Dieners die große Mappe, welche seine Papiere enthielt, winkte den Hofrath St. Blanquart, welcher in einiger Entfernung von dem königlichen Gefolge stand, heran, und beide folgten dem Könige, welcher bereits eingestiegen war, in den Salonwagen, während die übrigen Herren ihre Plätze in den Coupés vor und hinter demselben einnahmen.

Die Locomotive pfiff, der König trat noch einmal an das Fenster und winkte grüßend mit der Hand.

Ein brausender Hochruf ertönte als Antwort auf den königlichen Abschiedsgruß und wiederholte sich mit wachsender Begeisterung, während der immer schneller dahin rollende Zug den Monarchen aus dem stillen, friedlichen Badeort nach seiner Residenz zurückführte, von wo er bald hinausziehen sollte an der Spitze des waffengerüsteten Deutschlands, um von Neuem den Kampf aufzunehmen gegen den alten Feind seines Hauses und seines Landes.

Der König hatte an dem Fenster des Salonwagens Platz genommen und blickte durch die hellen Glasscheiben in die lachende Gegend hinaus, während der Geheimrath Abeken ihm gegenüber Platz genommen hatte, um ihm die verschiedenen eingegangenen Depeschen vorzutragen.

Der Hofrath St. Blanquart saß am Ende des Salons, den Chiffre vor sich, eine nach der andern die Depeschen dechiffrirend, welche unmittelbar vor der Abreise eingegangen waren und bereit, diejenigen in Empfang zu nehmen, welche man auf den einzelnen Stationen erwarten mußte.

„Ich habe Eurer Majestät,“ sagte der Geheimrath Abeken, „sogleich zu Anfang eine wichtige und erfreuliche Nachricht mitzutheilen. Aus München ist gemeldet, daß der König auf den Vorschlag des Ministeriums erklärt hat den Casus foederis für gegeben zu erachten, auch hat seine Majestät die vorgelegte Mobilisirungsordre genehmigt.“

Der Blick des Königs leuchtete freudig auf.

„Das deutsche Blut der Wittelsbacher verläugnet sich nicht,“ sagte er, „sie haben gegen uns gestanden im Kriege von 1866, und sie lieben dort vielleicht Preußen nicht zu sehr — aber jetzt wo Deutschland in den Kampf tritt, zweifelt dieser junge König nicht, wo sein Platz ist. Nun Deutschland wird ihm das nicht vergessen und ich auch nicht, denn von nun an, wenn Gott uns in diesem Kampfe beisteht, wird ja die Geschichte Preußens und Deutschlands für immer die gleiche sein. Künftig wird die deutsche Armee ins Feld ziehen —“

„Wie Brandenburg Preußen wurde, Majestät,“ sagte der Geheime
Legationsrath, „so wird Preußen Deutschland werden und damit seine große
Mission vollenden.“

Der König blickte schweigend weit hinaus nach dem Horizont, an welchem die an der Bahn liegenden Bäume schnell vorüberflogen.

„Der feste und patriotische Entschluß des Königs Ludwig,“ sagte er nach einigen Augenblicken, „ist um so höher anzuerkennen, als es in Baiern in allen Kreisen nicht an eifrigen Bemühungen gefehlt hat, die Gelegenheit zu benutzen, um eine Sonderpolitik zu machen. Nun ist Deutschland einig, und jede Hoffnung Napoleons, die Südstaaten zu sich herüber zu ziehen, gescheitert. Von Würtemberg sind noch keine Nachrichten da?“

„Noch nicht,“ sagte der Geheime Legationsrath Abeken, „doch hat Herr von Rosenberg berichtet, daß an der patriotischen Haltung Würtembergs nicht zu zweifeln sei.“

„So ist denn Deutschland zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich einig,“ sagte der König, „die Zeit ist gekommen, in welcher jener alte Spottname der Reichsarmee verschwinden wird, und in welcher die deutschen Heere, von Preußen geführt, den alten Kriegsruhm der Nation zu neuem Glanz erheben sollen.“

„Alles vereinigt sich,“ sagte der Geheime Legationsrath, „um die Zuversicht auf den Sieg, welche ich fest in dem Herzen trage, zu bestärken. Auch die Besorgnisse, welche die Haltung Österreichs einflößen könnte, sind beseitigt durch die Gewißheit von der freundlichen Haltung Rußlands, welche Graf Bismarck meldet. Der Ministerpräsident wird Eurer Majestät darüber persönlich ausführlicher berichten, doch ist als gesichert zu betrachten, daß jeder feindlichen Bewegung Österreichs energisch entgegengetreten werden wird, daß der Handel der Ostsee keiner Gefahr ausgesetzt werden soll, alle früheren Besprechungen über diese Eventualität sind von Neuem bestätigt worden und es ist die volle Sicherheit vorhanden, die ganze ungeschwächte und ungetheilte Militairkraft nach der französischen Grenze hin verwenden zu können.“

„Der Kaiser Alexander ist ein treuer Freund,“ sagte der König. „Er erkennt wie ich auch die politische Notwendigkeit, daß Deutschland und Rußland fest zusammenhalten, um gegenseitig ihre Aufgabe zu erfüllen und ihre Zielpunkte zu erreichen. Möchten diese beiden Mächte immer einig bleiben, dann wird Frankreich die übermüthige Prätension aufgeben müssen, die dominirende Rolle in Europa zu spielen.“

Der Zug hielt in Coblenz. Der König trat an das Fenster, nahm die Meldung der Generalität entgegen und begrüßte freundlich die zahlreiche Menge, welche ihm ihr jubelndes Hurrah entgegen rief. Nach wenigen Minuten fuhr man weiter. Depeschen auf Depeschen kamen an. Der Hofrath St. Blanquart entzifferte unermüdlich mit lang geübter Sicherheit deren Inhalt aus den langen Zahlenreihen und der Geheime Legationsrath Abeken trug dem Könige immer neue Nachrichten vor, welche Kunde brachten von der immer mächtiger aufflammenden Begeisterung des deutschen Volkes in allen Gebieten des weiten Vaterlandes.

Nach einigen Stunden wurde im Salonwagen das einfache Frühstück des Königs servirt, der Leibjäger brachte Körbe mit kalter Küche und das einfache Reiseservice.

Und einen Augenblick den Vortrag unterbrechend, aß Seine Majestät etwas
kalten Hummer und trank ein Glas Wein, während er zugleich den Geheimen
Legationsrath Abeken aufforderte, die ermatteten Kräfte nach so langer
Arbeit wieder zu ergänzen.

Dann winkte der König noch einmal dem Leibjäger und ließ sich den Korb reichen. Er nahm ein Butterbrod und etwas kaltes Fleisch und legte es auf einen kleinen Teller.

„Ein Glas Wein,“ befahl er dann.

Der Leibjäger servirte ein Glas Bordeaux.

Der König nahm es in die Hand, den kleinen Teller in die andere und so ging er durch den Salon zum Hofrath St. Blanquart hin, der noch immer eifrig und unermüdlich eine Zahlenreihe nach der andern dechiffrirte.

„Halten Sie einen Augenblick ein,“ sagte der König mit freundlichem Lächeln, „mein lieber St. Blanquart, von Chiffrezahlen kann kein Mensch leben. Nehmen Sie hier, was ich Ihnen bringe, wir müssen uns schon ein wenig an das Campagneleben gewöhnen.“

St. Blanquart stand ganz erschrocken auf.

„Majestät,“ sagte er, „welche Gnade — Eure Majestät denken selbst an mich —“

„Soll ich denn nicht an meine Diener denken,“ sagte der König, „die Tag und Nacht für mich arbeiten — nehmen Sie schnell, wir haben nicht viel Zeit zur Ruhe.“

Er stellte den Teller vor den Hofrath hin, gab ihm das Glas Wein in die Hand und kehrte dann wieder zu seinem Sitz am Fenster zurück, wo er gedankenvoll hinaus in die Ebene schaute, wartend, bis die beiden Herren ihr Frühstück vollendet hatten, dann erst ließ er den Korb und das Service hinaustragen und die Arbeiten wieder aufnehmen.

Weiter und weiter brauste der Zug. An allen Bahnhöfen wurde der König von dichten Menschenmassen begrüßt, deren jubelnde Zurufe immer lebhafter und begeisterter wurden.

„Krieg! Krieg gegen Frankreich!“ hörte man fast überall.

Dazwischen ertönten einzelne Stimmen:

„Nach Paris! Nieder mit Napoleon!“

Auf jede Weise documentirte sich die patriotische Begeisterung des
Volkes.

Bei allen solchen Rufen blickte der König tief ernst über die
Menschenmenge hin.

„Sie rufen nach Krieg,“ sprach er leise, „sie bewegt die patriotische Begeisterung und hebt sie über alle Sorgen der Zukunft hinweg. Aber Niemand kennt so genau wie ich die Opfer, welche die nächste Zeit dem gesammten Vaterlande auflegen wird, und ich muß ja doch das entscheidende Wort sprechen. Nun, Gott weiß, daß dies entscheidende Wort mir abgerungen ist, und daß nicht Ehrgeiz und Übermuth mich zum Kampfe treibt, darum wird mir Gott seinen Segen geben, an dem Alles gelegen ist. Eine solche Hingebung, eine solche Begeisterung des Volkes ist ja der beste Segen Gottes!“

Nachdem in Cassel ein schnelles Diner eingenommen war, nachdem in Magdeburg auf dem geschmückten Bahnhof der König mit hohem Enthusiasmus begrüßt worden, hielt der Zug in Burg. Auch hier war eine Kopf an Kopf gedrängte Menschenmenge versammelt, und ein donnerndes Hurrahrufen begrüßte die Abfahrt des königlichen Salonwagens.

Der König trat abermals an das Fenster und winkte mit der Hand über den
Platz hin.

Da mit einem Mal verstummten die jubelnden Stimmen, eine tiefe Stille trat ein, und ein an der Seite des Perrons aufgestelltes Musikcorps begann eine voll anklingende ergreifende Melodie zu spielen.

Der König lauschte den Tönen, welche hier an Stelle des „Heil Dir im Sieger-Kranz“, das ihn sonst überall begrüßt hatte, ertönten. Er schien in seiner Erinnerung zu suchen nach diesen Tönen und blickte wie fragend auf den Legationsrath Abeken hin, welcher rückwärts vom Fenster neben seinem Sessel stand.

„Es ist die Wacht am Rhein, Majestät,“ sagte der Geheime Legationsrath.

Still schweigend blickte der König vor sich hin.

„Die Wacht am Rhein, — die Wacht am Rhein,“ sagte er tief sinnend, während die Melodie draußen weiter klang, und erst einzelne Stimmen, dann ein immer vollerer Chor die Musik zu begleiten begann. —

„Die Wacht am Rhein, — ja, ja, das ist es, das ist schön — das ist sehr schön, das ist das wahre Wort, welches einfach, herrlich und groß den tiefen Gedanken ausdrückt, der diese Tage bewegt, und der das ganze Volk zusammenführt zur Abwehr des verwegenen Angriffs.“

Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Kein Hurrahrufen erscholl, aber die ganze große Menschenmenge war in den Gesang eingefallen, der voll und gewaltig dem Könige nachklang, welcher am Fenster stand und auf alle diese entblößten Häupter, auf alle diese von Begeisterung flammenden Gesichter hinblickend, mit leisen Bewegungen des Hauptes den Rhythmus der Melodie begleitete, bis dieselbe unter dem Rollen der Räder und dem Schnauben der Maschine in der Ferne verklang.

So kam man näher und näher nach Brandenburg, wo, wie dem Könige durch den Telegraphen gemeldet war, der Kronprinz, Graf Bismarck, der Kriegsminister von Roon und der General von Moltke den König erwarteten.

Endlich, der Abend dunkelte bereits herein, fuhr der Zug in den Bahnhof der alten märkischen Stadt ein. Fast die ganze Bevölkerung war dort versammelt, die Spitzen der Behörden, und die Officiercorps standen auf dem Perron hinter den Ministern; Allen voran der Kronprinz, welcher, als kaum der Zug zum Stehen gebracht war, selbst die Thür öffnete, in den Salonwagen hineinsprang und in tiefer Bewegung die Hand des Königs an seine Lippen führte.

Der König breitete seine Arme aus und drückte seinen Sohn einen
Augenblick schweigend an die Brust.

„Ich hatte gehofft,“ sagte er dann ruhig und milde, „daß der Abend meines Lebens in Frieden enden würde, und daß die Kämpfe der Zukunft Deinem jüngeren und kräftigeren Arm überlassen bleiben sollten, — Gott hat es anders gewollt, Du wirst mir zur Seite stehen, um unser Volk nochmals zum Siege zu führen.“

Dann trat er auf den Perron hinaus und unter den immer von Neuem sich wiederholenden Zurufen, die sich weithin in der Umgebung des Bahnhofs fortpflanzten, begrüßte er mit herzlichem Händedruck den Grafen Bismarck und die Generale von Moltke und von Roon, welche ihm ernst und tief bewegt entgegentraten.

„Der Augenblick ist da,“ sagte Graf Bismarck, „den wir so lange mit aller Anstrengung hinauszuschieben versucht haben. Die letzte Entscheidung naht, und fast möchte ich frei aufathmen, nun da die Nebel zerreißen, da die frische Luft uns umweht und in reiner Klarheit unser großes Ziel vor uns liegt, die heiligsten Güter des Vaterlandes zu vertheidigen, Deutschland heraufzuheben auf den ersten Platz unter den europäischen Nationen. Der Morgen einer großen Zeit bricht an, einer so großen Zeit, wie sie kaum je die Geschichte gekannt hat; und Gott sei Dank, das Schwert Deutschlands liegt in Händen, die es nicht niederlegen werden, bevor der Sieg nicht erkämpft ist.“

Der König neigte nur langsam das Haupt, ohne etwas zu erwidern, dann wandte er sich auf den Perron zu den Officieren und Civilbeamten, sprach mit den obersten Vertretern derselben einige Worte und befahl bald die Weiterreise, indem er den Geheimen Legationsrath Abeken und den Hofrath St. Blanquart entließ und die Minister aufforderte, mit ihm und dem Kronprinzen in den Salonwagen zu steigen.

„Nun, meine Herren,“ sagte der König, als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, „wir werden von Neuem zu Felde ziehen müssen, denn ich glaube nicht, daß jetzt noch eine friedliche Wendung möglich ist und Jeder von uns wird mit Aufbietung aller Kräfte auf dem Posten stehen müssen, denn diesmal handelt es sich um noch schwerere Kämpfe als im Jahre 1866, schwerer vielleicht an Anstrengung und Arbeit,“ fügte er hinzu. „Aber,“ sagte er dann, den hellen, klaren Blick auf den Kronprinzen richtend, „ich ziehe mit leichterem, froherem Herzen ins Feld gegen den alten Feind Deutschlands, als damals, da ich gegen den alten Verbündeten, da ich gegen einen Fürsten aus deutschem Stamme kämpfen mußte.“

„Und Alles ist vorbereitet, Majestät,“ sagte Graf Bismarck fast im heiteren Ton, „um uns nach allen Richtungen den Erfolg zu sichern. Frankreich hat sich durch diesen mit so unglaublichem Unverstand ausgewählten Kriegsfall vollkommen isolirt, so daß auch diejenigen Mächte, welche ihm vielleicht innerlich günstiger gesinnt sind, als uns, sich außer Stande befinden, ihm irgend welche Sympathie zu beweisen, und vor allen Dingen sind wir nach einer vielleicht bedenklichen Seite hin vollkommen gesichert. Ich habe ausführlich mit dem Fürsten Gortschakoff über die Situation verhandelt, die russische Politik ist vollkommen durchdrungen von der Notwendigkeit, den unvermeidlichen Krieg zwischen uns und Frankreich zu localisiren und wird die strenge Neutralität Österreichs überwachen.“

Der König nickte mit dem Kopf.

„Wir werden weiter darüber sprechen,“ sagte er. — „Süddeutschland steht ohne Rückhalt und ohne Schwanken zu uns?“

„Zu Befehl, Majestät,“ erwiderte Graf Bismarck, „trotz aller Agitationen der feindlichen Parteien werden die Könige von Baiern und Würtemberg fest an ihren Verträgen halten, und die Stimmung der Bevölkerung hebt sich nach Allem, was mir berichtet wird, immer mehr zu einmüthiger nationaler Begeisterung. Ich denke meinerseits noch ein wenig dazu beizutragen, die ganze öffentliche Meinung in Deutschland und in den übrigen Ländern von der Gerechtigkeit unserer Sache zu überzeugen und den eigentlichen Kernpunkt des französischen Angriffs klar zu legen.“

Der König blickte den Minister fragend an.

„Eure Majestät erinnern sich,“ sagte Graf Bismarck, „der schmählichen Propositionen, welche von Frankreich uns bei wiederholten Gelegenheiten gemacht worden sind, und welche uns einen unwürdigen Handel um die nationale Entwickelung Deutschlands anboten, indem wir durch Raub an Dritten das erkaufen sollten, was das selbstständige Recht Deutschlands ist. Eure Majestät erinnern sich des Vertragsentwurfs, welchen mir Benedetti einst gegeben hat, und in welchem für die Eroberung Belgiens die Süddeutschen Staaten, über deren Selbständigkeit und Unabhängigkeit man in Paris so viel gesprochen hat, uns von Frankreich überliefert werden sollten.“

„Ich erinnere mich,“ sagte der König.

„Nun, nun, Majestät,“ fuhr Graf Bismarck fort, „der innere, der wahre Grund dieses jetzt so vermessen heraufbeschworenen Krieges liegt darin, daß wir jenen Handel alle Zeit fest und entschieden zurückgewiesen haben. Man will jetzt versuchen mit Gewalt zu nehmen, was wir nicht verkaufen wollten. Ich habe über alle jene Vorschläge bisher das tiefste Stillschweigen beobachtet, damit von unserer Seite nichts geschehe, um einen so verhängnißvollen Bruch herbeizuführen. Nun aber, Majestät, ist wie ich glaube der Augenblick gekommen, um die wahren Absichten und Pläne Frankreichs vor aller Welt zu enthüllen, und wenn Eure Majestät es erlauben, werde ich jenen Vertragsentwurf, den Benedetti und der Kaiser Napoleon nicht ableugnen können, den Vertretern der Mächte und der öffentlichen Meinung Europas mittheilen. Die Süddeutschen werden sehen, wohin sie mit der hier und da gehegten Hoffnung auf Frankreich gekommen wären. England wird sehen, was die Verträge über Belgien in Frankreichs Augen zu bedeuten haben und abgesehen von der äußeren Form dieser unerhörten Provocation wird auch die innere Gerechtigkeit unserer Sache vor den Augen aller Welt klar werden. Damit wird eine große moralische Macht uns zugeführt werden.“

Der König nickte zustimmend mit dem Kopfe.

„Ja, ja, darin liegt der wahre Grund dieses so lang zurückgehaltenen Krieges, und es kann nur nützlich sein, wenn alle Welt das klar erkennt. — Ich habe auch,“ sagte er nach einigen Augenblicken, während eine tiefe Bewegung aus seinen Augen leuchtete, „ich habe auch daran gedacht, unsere Waffenmacht durch eine moralische Kraft zu verstärken und der Begeisterung des Volkes einen idealen Halt, ein heiliges Zeichen zu geben, zu dessen siegreichem Einfluß ich ein gläubiges Vertrauen habe.“

Der Kronprinz und die andern Herren blickten erwartungsvoll in das bewegte Gesicht des Königs.

„Ich will das eiserne Kreuz wieder herstellen,“ sagte der König, indem er wie unwillkürlich die Hände faltete und einen Augenblick die Augen niederschlug, um den feuchten Schimmer zu verbergen, der an seinen Wimpern erglänzte — „das wird die großen, frommen Erinnerungen wach rufen und die Begeisterung jener vergangenen Zeit auch der Gegenwart wieder erwecken. Die Ritter des eisernen Kreuzes sterben aus, ich will das edle Zeichen auch für Dich und Deine Generation,“ sagte er zum Kronprinzen gewendet, „erhalten als ein Vermächtniß der Erinnerung an mich und meinen Vater.“

„Und ich verspreche Dir,“ rief der Kronprinz in mächtiger Erregung, „daß ich nicht ruhen und rasten will, bis ich dies heilige Zeichen mir erkämpft habe.“

Schweigend, voll Liebe und Bewunderung blickten die Minister auf den
König, der noch einige Augenblicke in stillem Sinnen da saß.

Ein langer Pfiff der Lokomotive ertönte. Man fuhr in den provisorischen Potsdamer Bahnhof ein. Bereits war die Dunkelheit des späten Abends herabgesunken, der mit Blumenguirlanden geschmückte Bahnhof war erleuchtet, ein einfacher Kronleuchter hing an der Decke des provisorisch hergestellten königlichen Wartezimmers.

Auf dem Perron erwarteten den König die Spitzen der Behörden, der Magistrat, die Generalität, die Hofchargen und zahlreiche Damen mit prachtvollen Blumenbouquets in der Hand.

Ein mächtiger Hurrahruf erschallte über den ganzen Bahnhofsplatz hin als der königliche Zug am Perron vorfuhr. Auf dem Perron entblößten sich alle Häupter, die Hüte wurden in die Luft erhoben, die Damen wehten mit den Tüchern.

Der König und der Kronprinz stiegen aus.

In der vordersten Reihe stand der greise Feldmarschall Wrangel.

Rasch schritt der König zu demselben hin und reichte ihm die Hand, in tiefer Bewegung beugte sich der Feldmarschall nieder und drückte seine Lippen auf die königliche Rechte.

„Ich begrüße in Ihnen, mein lieber General-Feldmarschall, meine Armee, die von Neuem zeigen wird, daß sie ihrer Veteranen würdig ist.“

Der Feldmarschall wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihm einige
Augenblicke.

„Oh warum, Majestät,“ sagte er endlich in abgebrochenen Worten, „warum gehöre ich heute zu diesen Veteranen, warum wollen die alten Glieder heute nicht so vorwärts wie das Herz, das noch immer nicht alt wird.“

„Nun,“ sagte der König, die Hand leicht auf die Schulter des Feldmarschalls legend, „wenn Sie auch heute nicht mehr ins Feld ziehen können, Ihr Geist und Alles, was Sie für meine Armee gethan, das zieht doch mit hinaus und das wird ebenso schwer bei der Entscheidung wiegen, ja schwerer, als die Kraft der jungen Arme, denn der ruhmvolle Geist der Vergangenheit, der in meiner Armee weht, ist es, der sie zum Siege führen wird. Ich werde,“ fügte er freundlich zu dem Feldmarschall gewendet, hinzu, „das eiserne Kreuz wieder herstellen, damit die Veteranen der künftigen Generation auch dasselbe schöne Zeichen tragen können, das wir Alten uns in den großen Tagen der Vergangenheit erworben haben.“

„Das freut mir von ganzem Herzen,“ sagte der Feldmarschall, indem sein altes, treuherziges Gesicht von Glück und Freude strahlte. „Das haben Eure Majestät recht gemacht, das wird unseren Jungens wieder den Geist von 1813 einhauchen. Dieser Geist fängt schon an zu wehen, ich habe da gestern ein Witzblatt gesehen, worüber ich mir sonst geärgert habe, die Berliner Wespen, die haben einen preußischen Soldaten gemalt, der dem Napoleon die Faust unter die Nase hält und ihm sagt: „Dir hat wohl lange nicht die Nase geblutet.“ Das ist richtiger preußischer Geist, Majestät, und ich habe mir auch gleich hingesetzt und dem Schreiber von diesem Wespenblatt über sein Bild meinen Glückwunsch gesagt.“

Der König lächelte.

„Sie haben Recht, lieber Feldmarschall, je ernster die Zeit, um so weniger darf dem Soldaten der Humor ausgehen, und damit hat es bei uns Berlinern noch gute Wege.“

Er wandte sich um und begrüßte freundlich die Damen, deren dargereichte Bouquets er entgegennahm, sich entschuldigend, daß er sie nicht alle halten könne und sie dem Adjutanten zur Aufbewahrung übergeben müsse. Dann trat er in das Wartezimmer, wohin ihm die Deputationen der städtischen Behörden, die Generale und die Hofchargen folgten.

Der Unterstaatssecretair von Thiele war unterdessen an den Grafen Bismarck herangetreten und hatte ihm ein für ihn angekommenes Telegramm übergeben.

Graf Bismarck durchflog es, dann trat er mit blitzenden Augen in das Wartezimmer zum König, der so eben die Begrüßung des Magistrats entgegennahm.

„Majestät,“ rief der Graf, „ich habe so eben ein Telegramm des
Wolf'schen Bureaus erhalten. Die Entscheidung ist da.“

„Ist der Krieg erklärt?“ fragte der König.

„Die Kriegserklärung ist hier noch nicht übergeben,“ erwiderte Graf Bismarck, „aber die Erklärung, welche Ollivier im Corps legislatif abgegeben hat, ist so gut, wie die formelle Erklärung.

„Ich bitte Sie, zu lesen.“

Graf Bismarck trat, die Depesche in der Hand in den Lichtkreis des
Kronleuchters und begann mit lauter Stimme zu lesen. Das Telegramm
enthielt die Darstellung, welche der Großsiegelbewahrer im
Gesetzgebenden Körper über die Verhandlungen in Ems gegeben hat.

„Der König weigert sich,“ las Graf Bismarck in erhöhtem Ton, „die von uns geforderten Verpflichtungen einzugehen und erklärte Benedetti, er wolle sich für diesen, wie für jeden andern Fall vorbehalten, die Verhältnisse zu Rathe zu ziehen.“

„Richtig,“ sagte der König leise vor sich hin.

„Trotzdem,“ fuhr Graf Bismarck zu lesen fort, „brachen wir aus Friedensliebe die Verhandlungen nicht ab, um so größer war unsere Überraschung, als wir erfuhren, der König von Preußen habe sich geweigert, Benedetti zu empfangen, und die preußische Regierung habe das amtlich mitgeteilt.“

„Ist das geschehen,“ fragte der König.

„Nein, Majestät,“ erwiderte Graf Bismarck, „ein Telegramm darüber ist in den Zeitungen erschienen. Darüber werden die Vertreter Eurer Majestät an den Höfen, bei denen sie beglaubigt sind, gesprochen haben. Es ist eine der Verdrehungen der Wahrheit, welche den Zweck haben, uns die Schuld des Friedensbruchs aufzuladen und die öffentliche Meinung in Frankreich zu erhitzen, vielleicht den Kaiser zum Äußersten zu reizen.“

Finster blickte der König vor sich nieder, und biß die Zähne auf einander, ein bitterer Zug legte sich um seinen Mund.

„Unter diesen Umständen,“ las Graf Bismarck weiter, „wäre es ein
Vergessen unserer Würde und eine Unklugheit gewesen, keine
Vorbereitungen zu treffen. Wir haben uns bereitet den Krieg, den man uns
anbietet, anzunehmen, indem wir Jedem seinen Antheil an der
Verantwortlichkeit hierfür überlassen.“

Zornig trat der König mit dem Fuß auf den Boden, mit dem etwas verkürzten Finger seiner rechten Hand fuhr er mehrfach von oben herab über den Schnurrbart, wie es in Augenblicken heftiger Erregung seine Gewohnheit war.

„General von Roon,“ rief er dann, als Graf Bismarck die Depesche zusammenfaltete, zum Zeichen, daß er zu Ende gelesen.

Der Kriegsminister trat heran.

„Ich befehle die Mobilmachung der ganzen Armee,“ sagte der König im festen Ton, „sorgen Sie für die unmittelbare Ausführung meiner Befehle.“

„Hurrah!“ rief der General-Feldmarschall von Wrangel. „Es lebe der
König!“

Die Umstehenden wiederholten diesen Ruf, brausend setzte sich derselbe weithin über den Platz und durch die Menschen gefüllten Straßen fort.

„Ich erwarte Sie in einer Stunde bei mir, Graf Bismarck und auch Sie, General von Moltke, um alles weiter Erforderliche zu beschließen,“ sagte der König.

Dann grüßte er mit freundlichem Ernst die Anwesenden und bestieg mit dem Kronprinzen seinen Wagen, in welchen bereits in dichter Menge die ihm überreichten Blumenbouquets gelegt waren. Langsam fuhr er durch die jubelnden Menschenmassen nach seinem Palais, von neuen, immer lauter anschwellenden Hurrahrufen begrüßt, stieg er hier aus, trat noch einmal auf die Rampe vor und winkte mit der Hand über den Platz hin.

„Bei einer solchen Begeisterung meines Volkes ist uns der Sieg sicher, wir können der Zukunft ohne Furcht entgegen gehen,“ sagte er dann mit bewegter Stimme, indem er sich langsam abwandte und in sein Palais eintrat.

Lange noch blieb die Menge dicht gedrängt auf dem Platz versammelt, immer nach dem Fenster hinblickend und jedesmal, so oft die Gestalt des Königs oder auch nur ein vorübergehender Schatten dort sichtbar wurde, in erneute Rufe ausbrechend.

Endlich trat ein Leibjäger des Königs auf die Rampe hinaus, winkte einen der dort aufgestellten Schutzmänner heran und sprach einige Worte mit ihm.

Der Schutzmann näherte sich den Ersten in seiner Nähe.

„Meine Herren,“ sagte er, „Seine Majestät läßt bitten, nach Hause zu gehen, der König hat diese Nacht noch viel zu arbeiten.“

„Der König will Ruhe,“ ertönte es unmittelbar durch die Massen hin.
„Nach Hause! Nach Hause!“

Einen Augenblick legte sich eine tiefe Stille über den ganzen Platz.
Dann begannen einige Stimmen die feierliche, allbekannte Melodie des
„Heil Dir im Siegerkranz“ zu intoniren.

Mit gewaltigem Klang stieg dies Lied, das in so einfach großer Weise den Geist der unvergeßlichsten Zeit der preußischen Geschichte ausdrückte, zum nächtlichen Himmel auf, — dann wurde wieder Alles still.

Leise und ruhig nur in flüsternden Gesprächen sich unterhaltend, zerstreute sich diese ganze unabsehbare Menschenmenge, um dem Könige Ruhe zu lassen für seine Arbeit, welche dem deutschen Volk in den großen nationalen Entscheidungskämpfen den Sieg sichern sollte.

Bald lag der ganze weite Platz im schweigenden nächtlichen Dunkel, nur in den Zimmern des Königs brannte bis zum Morgen hin das Licht, welches die Arbeit beleuchtete, in die der unermüdliche Monarch sich mit seinem Minister und seinem Heerführer vertiefte, und durch die Scheiben des Fensters fiel der Strahl dieses Lichts in die Nacht hinaus, auf das aus der Dunkelheit in riesigen Umrissen hervortretende Denkmal des großen Königs hin, — die Sterne des Himmels blickten in ewiger lichter Ruhe herab auf die schlummernde Residenzstadt, welche im täuschenden Schein friedlicher Stille da lag, während sie schon in den nächsten Tagen Tausende ihre Söhne hinaussenden sollte, um auf blutigen Schlachtfeldern von Neuem ihre opferfreudige Treue für den König und das Vaterland zu beweisen.

Neuntes Capitel.

Ernst und still saß Fräulein Luise Challier in dem Wohnzimmer des alten Hauses in St. Dizier. Traurige Wochen und Monate waren verflossen, seit ihr Geliebter sie voll freudiger Hoffnung und Zuversicht verlassen hatte. So schwer auch der Abschied von ihm sie erschüttert hatte, so hatte sie doch in den ersten Tagen glücklich und froh seiner gedacht; sie hatte die Tage gezählt, welche er zu seiner Reise bedurfte, sie hatte ausgerechnet, wie lange ein Brief von Hannover gehen müsse, um zu ihr zu gelangen und hatte nach Verlauf dieser Zeit mit zweifelloser Gewißheit, ungeduldig die Augenblicke zählend, einer Nachricht von ihrem Geliebten entgegengesehen.

Als ein Tag nach dem andern vergangen war, ohne daß eine solche Nachricht eintraf, hatte sie dann alle Möglichkeiten der Verzögerung sich klar gemacht, sie hatte auch wohl mit einem leichten Gefühl von Traurigkeit sich oft gesagt, daß der junge Mann unter dem Eindruck der Rückkehr in seine alte Heimath erfüllt von den lebhaften Gefühlen des Wiedersehens seiner Mutter gezögert habe, ihr zu schreiben. Ja sie hatte sich sogar in eine freudige Stimmung hinein gedacht, indem sie sich sagte, daß ihm die Ordnung seiner Verhältnisse und die Erlangung der Einwilligung seiner Mutter und seines Oheims zu der neuen Wendung seines Schicksals vielleicht schneller gelungen wäre, als er selbst es gehofft, und daß er ihr mit der ersten Nachricht vielleicht zugleicht seine Wiederkehr nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten anzeigen wolle — damit war wieder eine Reihe von Tagen vergangen, bis endlich auch dieser Grund nicht mehr zur Beruhigung ihrer immer banger werdenden Unruhe genügen wollte. Dann war jene entsetzliche, das ganze innere Wesen des Menschen zerstörende Zeit des Wartens gekommen, welche in ihrer dumpfen, bleiernen Schwere auf die Seele und den Geist vernichtender wirkt, als der härteste, aber bestimmt und klar eintretende Unglücksfall.

Wie die Blume vor dem mächtig niederrauschenden Wetter ihr Haupt senkt, um es später wieder frisch und duftig erheben, wie sie, wenn die Blüthe gebrochen wird, neue Blüthen treibt, so kann ein mächtiger Wetterschlag des Schicksals das menschliche Herz und den menschlichen Geist schwer und gewaltig erschüttern; aber nach dieser Erschütterung richtet sich der Muth wieder empor, die Kraft kehrt zurück, und neues Glück, neue Freude können unter wiederkehrendem Sonnenschein freundlicher Schicksalswendungen erwachsen.

Aber wie die Pflanze, der in dürrer Erde das Wasser entzogen wird, langsam erstirbt, vergeblich lechzend nach frischer erquickender Lebenskraft, und wie die vertrockneten Blüthen die verdorrten Blätter, langsam erstarrt und gestorben, sich niemals wieder zu neuem Leben aufrichten können, so tödtet und erstarrt das langsame erbarmungslose Verschwinden der Hoffnung den Glauben des menschlichen Herzens, und wenn es auch mechanisch in regelmäßigem Pulsschlag das Blut durch die Adern treibt, sein inneres Leben, der Duft und die Farben kehren ihm nie wieder zurück, und es ist todt, lange, lange, bevor es aufhört, zu schlagen.

So erstarb langsam und qualvoll die Freude und das Glück und endlich die Hoffnung und der Glaube in dem Herzen des jungen Mädchens, und wenn auch die Liebe, diese Tochter des Himmels, welche in dem geschaffenen Menschen Alles überlebt, weil sie unsterblich ist, wie der Schöpfer, der sie in sein Geschöpf legte, — wenn auch diese Liebe nicht aus ihrem Herzen verschwand, so erfüllte sie doch das Herz nicht mehr mit Licht und Wärme. Es war nur noch eine traurige Flamme frommer Erinnerung wie die ewige Lampe in einem Grabgewölbe.

Luise hatte sich zuerst in ihrer feurigen und kräftigen Natur lebhaft aufgebäumt gegen den Gedanken, daß der, den sie so sehr liebte und an dem ihr Herz mit so vollem und hingebendem Vertrauen hing, sie so schnell habe vergessen können.

Qualvolle Unruhe, Zorn, Erbitterung hatten sie erfüllt, immer und immer wieder hatte sie Gründe für sein Verstummen gesucht, und von Neuem hatte sie ihre Hoffnungen wieder aufgerichtet, um sie immer wieder von Neuem zusammen sinken zu sehen. Und alle diese Kämpfe, alle diese Qualen und Leiden hatte sie tief in sich selbst verschlossen.

Mit lächelnder Miene hatte sie, als ihr Vater anfing, seine Verwunderung über das Schweigen des jungen Mannes auszusprechen, Gründe aufgesucht, an welche sie selbst nicht glaubte. Mit Anstrengung aller Willenskraft hatte sie sich den Tag über aufrecht erhalten, um vor den Augen ihres Vaters und ihrer Hausgenossen ruhig und heiter zu erscheinen; sorgfältig hatte sie am Morgen ihre von Thränen und Nachtwachen gerötheten Augen gekühlt, um die Spuren ihres innern Leidens zu verbergen, und stolz und kalt hatte sie Herrn Vergier, wenn derselbe sie zuweilen mit dem Anschein freundlicher Theilnahme nach dem jungen Cappei fragte, geantwortet, daß derselbe sich vortrefflich befinde, und daß sie hoffe, er werde bald zurückkehren.

Endlich aber war das Alles über ihre Kräfte gegangen, alle Gründe, die sie für sich selbst und ihren Vater aufsuchen mochte, konnten nicht mehr ausreichen, um dies wochenlange Schweigen des jungen Hannoveraners zu erklären, und als endlich eines Tages der alte Challier deutlicher und bestimmter seine Besorgnisse und seine Unruhe über das Benehmen des jungen Mannes, zu dem er so großes Vertrauen gehabt, aussprach, da war sie wie gebrochen in sich zusammen gesunken, zu schwach, den Kampf länger auszuhalten und ihre inneren Qualen unter lächelnder Miene zu verbergen.

Ein Strom heißer Thränen stürzte aus ihren Augen und laut schluchzend warf sie sich in die Arme ihres Vaters.

„Oh, er hat mich verlassen!“ rief sie. „Er hat mich vergessen! Er hat sein Spiel mir getrieben hier in der Verbannung, — nun er zurückgekehrt ist zu den Seinen in sein Vaterland und in seine alte Heimath, da gedenkt er meiner nicht mehr. Und,“ fuhr sie heftiger weinend fort, „da hält er es nicht einmal für nöthig, einen Vorwand zu suchen — mir ein Wort des Abschieds zu sagen! Nein, er läßt mich langsam vergehen in vergeblicher Erwartung! Oh, das ist schlecht,“ rief sie, den Kopf emporhebend und mit fast verwirrtem Blick im Zimmer umher starrend — „das ist schlecht, das habe ich nicht um ihn verdient! Ich habe ihn doch so sehr geliebt, und auch jetzt noch liebe ich ihn,“ rief sie. „Ich zürne, mir selbst, fast möchte ich mich verachten, daß ich ihn noch lieben kann. Aber dann wieder, wenn sein Bild vor mich hintritt, wenn ich an seine Augen denke, die so gut und treu blicken, an alle seine Worte so voll Wahrheit und tiefen Gefühls — dann kann ich es nicht glauben, kann ich es nicht für möglich halten, daß er mich so vergessen, so unwürdig bei Seite werfen sollte, dann erfaßt mich eine namenlose Angst, daß ihm ein Unglück widerfahren sei, daß er todt sein möchte. Oh, mein Gott, mein Gott,“ rief sie laut aufschreiend, „gieb mir ein Ende dieser Qualen, ein Ende dieser Angst, nur einen Lichtblick der Gewißheit, und wäre es die traurigste, die schmerzlichste, sie wäre ein Glück gegen diesen Zustand.“

Ernst und traurig hatte der alte Herr Challier diesen so plötzlichen Ausbruch des Jammers seiner Tochter mit angehört. Voll tiefen, liebevollen Mitgefühls sah er auf das junge Mädchen herab, welches zitternd in sich zusammen geschmiegt vor ihm stand, die Hände gefaltet und den brennenden Blick fragend auf ihn gerichtet, als erwarte sie von ihm das Licht und die Aufklärung nach denen ihre Seele dürstete.

„Meine Tochter,“ sagte er, „gieb Dich nicht der Verzweiflung hin. Das Leben bietet harte und schwere Schicksalsschläge genug, es muß immer in unserm Herzen etwas leben, das uns über das Unglück erhebt, und wäre es nur der Stolz und das muthige Selbstgefühl, welches eine Tochter der Bragars niemals verlassen soll.“

„Oh, mein Vater,“ rief sie, „ich würde Muth und Kraft haben, Alles zu ertragen, wenn er mir gestorben wäre, wenn die Hand der Vorsehung mit unwiderstehlicher übermächtiger Gewalt in meine Hoffnungen und in die Träume meines Glücks eingegriffen hätte; aber daß es so enden soll, daß er mich vergißt, daß er aus dem Kreise meines Lebens verschwindet, ohne daß ich weiß wodurch und warum. Das, mein Vater, zerstört meinen Geist, das zerbricht meinen Willen und meine Kraft, das untergräbt mein Vertrauen an die Gerechtigkeit Gottes.“

„Wenn er sich unwürdig gegen Dich betragen hat, mein Kind, wenn er Dich so leicht vergessen konnte, so sollte Dein Stolz sich um so höher erheben und Dir den Willen und die Kraft Deiner Seele wiedergeben,“ sagte Herr Challier mit ernstem, fast vorwurfsvollem Ton. „Aber,“ fuhr er fort, „noch ist es so weit nicht, noch kann irgend ein Mißverständniß vorliegen. Er kann krank geworden sein, — wenn ich an den jungen Mann zurückdenke, wie ich ihn gekannt habe, als er unter uns lebte, wenn ich mir sein ganzes Wesen, seinen Charakter vergegenwärtige, so kann ich es kaum glauben, daß er Dich so leicht vergessen und verlassen hat; und ich muß fast an irgend ein äußeres Hinderniß glauben, das diesem unerklärlichen Schweigen zu Grunde liegt.“

„Das sagt auch mir mein Herz,“ rief Luise, indem sie mit einem dankbaren und hoffnungsvollen Ausdruck zugleich ihren Vater ansah, „eine Stimme in meinem Innern ruft mir zu, er kann nicht so niedrig, so schlecht und undankbar sein, um, selbst wenn das Schicksal unserer Verbindung unübersteigliche Hindernisse in den Weg entgegenstellte, sich so von mir zu trennen.“

„Wenn Du das glaubst,“ sagte der alte Challier, „so mußt Du an ihn schreiben und Erklärung von ihm verlangen. Ist er krank, was ja möglich ist, so wird der Brief in die Hände der Seinigen kommen, und Alles wird klar werden.“

„Ich soll ihm zuerst schreiben,“ rief Luise, indem eine dunkle Röthe ihr Gesicht überflog, „ich soll ihn mit meiner Liebe verfolgen — wenn er mich vergessen hätte.“

„Wenn Du ihn liebst,“ sagte Herr Challier, „wenn Du Vertrauen zu ihm hast, so bist Du ihm und Dir selber schuldig, jenen Schritt zu thun, der Dir Aufklärung über ein Mißverständniß oder die unleugbare Gewißheit seiner Unwürdigkeit giebt. Es mag ihm widerfahren sein, was da wolle, so wird Dein Brief in die Hände seiner Angehörigen kommen und Du wirst irgend eine Nachricht erhalten. Und nur wenn er Dich wirklich verlassen will, oder wenn er uns eine falsche Adresse gegeben hätte, um seine Spur verschwinden zu lassen, wirst Du ohne Antwort bleiben.“

„Du hast Recht, mein Vater,“ sagte Luise, „ich will den Glauben und das
Vertrauen nicht so leicht aufgeben. Ich will ihm schreiben.“

Sie ging sogleich in ihr Zimmer und schrieb in fliegender Eile Alles, was ihr Herz ihr eingab, und als sie geendet hatte und den Brief nochmal überlas, sprach sie hoch aufathmend zu sich selbst:

„Wenn dieser Brief in die Hände seiner Mutter gelangt, wenn er nur von einem Menschen gelesen wird, der ein fühlendes Herz hat, so werde ich erfahren, was ihm begegnet ist, und warum ich keine Nachricht von ihm erhalten habe.“

Ihr Vater las den Brief, den sie geschrieben, mit wehmüthigem Blick, voll inniger Theilnahme sah er sein Kind an. Die ganze Qual ihres Herzens lag zwischen den Zeilen.

Er siegelte den Brief und versah ihn mit der Adresse, welche Cappei zurückgelassen hatte und brachte ihn selbst zur Post.

Abermals begann nun jene Zeit der unruhigen Erwartung, des bangen Zweifelns zwischen Furcht und Hoffen. Abermals zählte das junge Mädchen die Tage, welche ihr eine Antwort bringen konnten. Abermals aber verflossen diese Tage, ohne daß die ersehnte Nachricht kam, abermals arbeitete sich ihr gemartertes Herz durch alle Fasern dieses entsetzlichen Wartens hindurch, dessen Pein keine Ruhe und Rast, keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht kennt.

Bleicher und bleicher wurden die Züge dieses sonst so lebensfrischen Gesichts, aber es war diesmal nicht die zitternde, sehnsuchtsvolle Unruhe, nicht die schmerzvoll ringende Verzweiflung, welche sich in diesen Zügen malte. Kalt, finster und stolz wurde der Blick des jungen Mädchens, oft lächelten ihre Lippen bitter oder preßten sich mit dem Ausdruck düsterer Resignation auf einander. Kalt und ruhig ging sie einher, verrichtete genau und pünktlich ihre häuslichen Besorgungen, und sorgfältig wich sie jedem Gespräch mit ihrem Vater aus, welcher mit kummervollen Blicken ihr Treiben beobachtete.

Es waren fast drei Wochen vergangen, seit sie ihren Brief abgesendet, da trat sie eines Tages ernst und ruhig vor ihren Vater hin, als derselbe nach dem Diner in seinem Lehnstuhl saß und mit klarem Blick und mit fester Stimme sprach sie zu ihm:

„Es ist jetzt vorbei, mein Vater, der Traum, welcher eine Zeit lang mein Leben erfüllte, ist ausgeträumt. Die Liebe, welche mein ganzes Wesen durchdrang, ist in meinem Herzen gestorben, ich habe sie ausgerissen mit den letzten Wurzeln, ich habe sie verachten gelernt und will sie nun auch vergessen können. Du hast Recht gehabt, mein Vater, der Stolz giebt die Kraft, sich aus dem Bann leidenden Jammers zu erheben und im Gefühl der eigenen Würde die Niedrigkeit und Schlechtigkeit derer zu vergessen, die unser Herz mit Füßen traten. Ich habe ein Jahr meines Lebens verloren — das ist Alles,“ sagte sie bitter und hart, „vielleicht habe ich dabei gewonnen, denn ich habe die Menschen verachten und die eigene Kraft schätzen gelernt. Nimm mich hin, mein Vater, es ist Alles, wie es früher war, Deine Tochter gehört wieder Dir und Dir ganz allein.“

Sie schlang ihre Arme um die Schultern ihres Vaters und ließ ihren Kopf an seine Brust sinken. Ein leises Zittern flog durch ihre Gestalt wie eine letzte Regung des tief schneidenden Schmerzes, der so lange ihr innerstes Wesen erschüttert hatte.

Dann aber hob sie den Kopf empor und blickte ihren Vater fest an, wie um zu zeigen, daß ihre Kraft größer sei, als ihr Schmerz. Ihre Gesichtszüge waren ruhig und unbeweglich, ihre Augen klar und trocken.

Ihr Vater schüttelte langsam und schmerzlich den Kopf.

„Ich freue mich,“ sagte er, „daß Du die eigene Kraft kennen und schätzen gelernt hast, aber nicht so darfst Du in Dein künftiges Leben gehen, Du darfst die Menschen nicht verachten, weil Einer sich Dir niedrig gezeigt hat, weil Einer unwürdig gegen Dich gehandelt. Auch diese Wunde wird heilen, mein Kind, wie so Vieles heilt in der geschaffenen Natur — Du wirst auch das Vertrauen zu den Menschen wieder finden, Du wirst Dich dem Leben und seinen reichen Gaben nicht verschließen. Du bist noch so jung und es wird die Zeit kommen, wo Alles, was Du jetzt gelitten, wie ein ferner Traum verklungen sein wird. Vergiß auch nicht,“ fügte er hinzu, „daß Derjenige, der Dich unwürdig verlassen, kein Sohn Deines edlen Vaterlandes war. Vielleicht ist es ein Glück, daß es so kam, für das Leid, das der Fremde Dir zugefügt, wird, so Gott will, Frankreich Dir Ersatz bieten.“

Luise trat einen Schritt von ihrem Vater zurück, hoch richtete sie sich empor und sprach stolzen, flammenden Blickes.

„Glaube nicht, mein Vater, daß ich mit dem Leben abschließen will, glaube nicht, daß ich etwa daran denke, in klösterlicher Einsamkeit den Unwürdigen zu beweinen, der mein liebevolles Vertrauen getäuscht hat. Nein, ich werde frei und muthig, aber auch klar und kalt in das Leben treten, ich werde alle seine Pflichten erfüllen, — aber mein Herz werde ich für mich allein behalten und — für Dich, mein Vater,“ fügte sie mit einem innigen Blick hinzu. „Es soll nicht wieder der Spielball unwürdiger Laune werden.“ „Das ist brav und recht, mein Kind,“ sagte Herr Challier, „das ist tapfer und meiner Tochter würdig. Und Gott, der die Zukunft der Menschen lenkt,“ fügte er die Hände faltend hinzu, „er wird auch nicht zulassen, daß Dein Herz in kalte Einsamkeit verschlossen bleibt, auch Dir wird noch Glück, Wonne und Freude zu Theil werden.“

Schweigend, mit schmerzlichem Lächeln schüttelte Luise den Kopf und ging hinaus, um die Geschäfte der häuslichen Wirthschaft zu ordnen.

Von diesem Augenblick an war zwischen Vater und Tochter von der Sache nie mehr die Rede, und ruhig ging das einfache Leben in dem alten Hause seinen Weg.

Herr Vergier, welcher sich eine Zeit lang wenig im Hause hatte sehen lassen, kam wieder öfter dorthin. Er leistete dem Alten Gesellschaft, sprach mit ihm über die Geschichte und über die Fragen der Politik, welche die öffentliche Meinung bewegten. Sein früher so heftiges und aufgeregtes Wesen war augenscheinlich ruhiger und sanfter geworden; er schien sich allmählig von den Ansichten des alten Herrn überzeugen zu lassen und hielt sich von allen heftigen Ausfällen gegen das Kaiserthum, von allen scharfen Urtheilen über die Regierung zurück — er hatte während des Plebiscits sich von jeder Agitation der democratischen Partei, mit welcher er früher innig verbunden gewesen war, fern gehalten, — der alte Herr Challier war darüber sehr erfreut und erblickte darin eine Wirkung des Einflusses, den er auf die Ansichten des Herrn Vergier ausübte. Das Verhältniß zwischen Beiden war in Folge dessen ein immer freundschaftlicheres und herzlicheres geworden.

Auch Fräulein Luise trat Herrn Vergier immer näher, er unterhielt sich freundlich und ruhig mit ihr; er sprach mit ihr über viele Dinge, welche den regen Geist des jungen Mädchens interessirten, und niemals kam ein Wort über seine Lippen, das an die Vergangenheit erinnerte oder die Hoffnungen und die Wünsche berührte, die er früher gehegt, und die er früher in so heftiger und leidenschaftlicher Weise gegen sie ausgesprochen hatte.

Das junge Mädchen, das anfänglich verschlossen, kalt und zurückhaltend gegen ihn gewesen war, begann in seiner Unterhaltung Zerstreuung und Beruhigung zu finden, und so kam es, daß nach Verlauf einiger Zeit Herr Vergier wieder der tägliche und gern gesehene Gast im Hause des Herrn Challier war, der in den kleinen Kreis freundliches und heiteres Leben brachte.

Die verhängnißvollen Tage des Juli waren gekommen, die gewaltige Aufregung, welche Paris bewegte, und welche bereits ganz Europa zu ergreifen begann, schlug ihr helles Feuer auch hier in diesem ruhig abgeschlossenen Leben der alten Stadt St. Dizier, und das Gefühl aller dieser Nachkommen der Soldaten Franz I. wallte hoch auf bei den Berichten über die Vorgänge im Corps legislatif, und als die Rede des Herzogs von Gramont in den Journalen erschien, in welcher dieser Träger eines edlen, alt französischen Namens das Nationalgefühl Frankreichs aufrief gegen die Wiederherstellung des Reiches Karl V., dieses deutschen Kaisers, der einst in seinen Kämpfen gegen den ritterlichen König Franz I. die Stadt St. Dizier belagert und vor deren Mauern den entscheidenden Widerstand gegen sein siegreiches Vordringen gefunden hatte, da war in dieser kleinen Stadt nur eine Stimme der Entrüstung und der Begeisterung, und jeder Bürger von St. Dizier wäre bereit gewesen, die Waffen zu ergreifen, um unter den Fahnen Frankreichs hinaus zu ziehen zum Kampf gegen die Nachkommen der Soldaten Karl V.

Die vollste Übereinstimmung zwischen ihren Anschauungen und Gefühlen herrschte zwischen Herrn Challier und Herrn Vergier, und wenn die Abendzeitungen die neuesten Nachrichten über die Vorgänge in Paris und in Ems brachten, so ergingen sich Beide in gleichen und einander ergänzenden Ausdrücken der Entrüstung gegen die deutsche Anmaßung und der begeisterten Hoffnung auf einen siegreichen Krieg Frankreichs; und mit leuchtenden Blicken hörte Luise diesem Gespräch zu, — jedes Wort fand einen Wiederhall in ihrem Herzen. Zum ersten Mal nach langer Zeit schlug dies Herz wieder in höherer Wallung auf, die Erinnerung an ihre verlorene Liebe verschwand fast vor dem Gefühl des nationalen Stolzes, der sie erfüllte.

Eines Abends trat Herr Vergier hastig und von heftiger Aufregung zitternd in das Wohnzimmer, in welchem der alte Challier mit seiner Tochter saß.

„Die Entscheidung ist da,“ rief er, dem alten Herrn ein Zeitungsblatt hinreichend, „alle diplomatischen Künste können diesmal den Krieg, nach welchem Frankreich dürstet, nicht aufhalten. Unsere Ehre ist engagirt, und wenn die Regierung jetzt nicht unmittelbar handelt, so wird das Nationalgefühl dies nicht länger ertragen. Der König von Preußen,“ sagte er, zu Luise gewendet, während Herr Challier das Zeitungsblatt durchlas, „hat es verweigert, den Botschafter Frankreichs anzuhören, ja nur zu empfangen. Das ist eine Beleidigung, wie sie im Verkehr der Nationen noch nicht vorgekommen ist, und zum Überfluß hat die preußische Regierung diese unerhörte Thatsache noch in der schroffsten und verletzendsten Form allen übrigen Cabinetten Europa's mitgetheilt. Die unmittelbare Kriegserklärung ist die einzige mögliche Antwort auf diese Provocation. Bereits sind Eisenbahnzüge angemeldet,“ fuhr er fort, „welche die Truppen nach den Grenzen führen, die Commando's sind vertheilt, und in vierzehn Tagen vielleicht schon können wir die Nachricht von den ersten Siegen unserer Armeen erhalten.“

Einen Augenblick zuckte es schmerzlich über das Gesicht Luisens, dann aber leuchteten ihre Augen in hoher Begeisterung auf, fragend richtete sie den Blick auf ihren Vater.

Dieser hatte das Zeitungsblatt langsam durchgelesen.

„Ja,“ sagte er ernst, „das ist der Krieg. Ein Krieg, der die Welt erschüttern wird, und der hoffentlich alles Unrecht wieder gut machen wird, welches das coalirte Europa uns einst gethan. Gott segne Frankreich!“ fügte er hinzu, die Hände gefaltet.

„Ja, Gott segne Frankreich,“ flüsterte Luise leise, indem ihr Blick sich mit dem Ausdruck innigsten Gebets auswärts richtete.

Herr Vergier schlug einen Moment die Augen zu Boden, dann trat er zu
Luise hin und sprach nach einem leichten Zögern:

„Fräulein Luise, ich habe nie wieder dessen erwähnt, was früher zwischen uns vorgegangen, obgleich die schmerzliche Erinnerung daran mich keinen Augenblick verlassen hat. Verzeihen Sie, wenn ich Sie heute daran erinnere, aber in einem Augenblick wie dieser, in welchem alle Kinder Frankreichs in gemeinsamen Wünschen und Hoffnungen sich begegnen, soll es auch zwischen uns klar werden. Sie haben mir einst schwer gezürnt, als ich dem bitteren Schmerz Worte verlieh, den mein Herz darüber empfand, daß Sie Ihre Liebe einem Fremden, einem Feinde Frankreichs, zugewendet. Fräulein Luise, mein treues und tiefes Gefühl für Sie hat in seinem Instinct das Richtige erkannt, jener Fremde hat Sie verlassen, Ihre Liebe verachtet, — ich habe das nie erwähnt, aber ich habe es wohl gesehen, und ich habe auch gesehen, was Sie gelitten haben. Ich will heute nicht noch einmal den Verdacht aussprechen, den ich gegen jenen Fremden gehegt; die Ereignisse haben jenen Verdacht nicht entkräftet, und vielleicht werden auch Sie heute meine damaligen Besorgnisse anders beurtheilen, als Sie es zu jener Zeit gethan. Ich kann mir,“ fuhr er fort, „nicht denken, daß heute noch in Ihrem Herzen ein Rest von Liebe gegen Denjenigen bestehen soll, der vielleicht in diesem Augenblick schon mit der Waffe in der Hand gegen die Grenzen unseres heiligen Vaterlandes heranzieht —“

Mit stolz blitzenden Augen schüttelte Luise schweigend den Kopf.

„Ich will mir auch nicht anmaßen,“ fuhr Herr Vergier fort, indem bei der Bewegung des jungen Mädchens ein freudiger Strahl in seinen dunklen Augen aufleuchtete, „ich will mir auch nicht anmaßen, daß es mir möglich sei, so schnell in Ihrem Herzen die Gefühle erwecken zu können, welche Sie mir früher versagten, aber Freundschaft und Vertrauen werden Sie mir heute hoffentlich nicht mehr verweigern können, heute, wo alle Franzosen nur eine große Familie bilden.“

Luise reichte ihm mit einer Bewegung voll aufrichtiger Herzlichkeit die
Hand.

„In Zeiten wie die heutigen, in denen wir großen und vielleicht langwierigen Entscheidungskämpfen entgegengehen, bedarf eine Frau mehr als je des Schutzes und der Gewißheit einer sichern und ruhigen Zukunft. Sie wissen, Fräulein Luise, daß ich mein Glück nur an Ihrer Seite finden kann, Sie wissen auch, daß Sie in mir eine treue und feste Stütze für das ganze Leben finden werden, Sie wissen, daß Ihr Vater unsere Verbindung einst wünschte, und daß er sie vielleicht jetzt wieder wünscht. Erlauben Sie mir in diesem großen Augenblick die Frage an Sie zu richten, ob Sie in Erwiderung meiner tiefen und glühenden Liebe mir Vertrauen und Freundschaft schenken, mir Ihr Leben anvertrauen wollen.“

Luise sah ihn klar und frei an.

„Ich danke Ihnen, Herr Vergier,“ sagte sie, „dafür, daß Sie all des Schmerzlichen, das zwischen uns liegt, bisher niemals erwähnt haben, — ob in meinem Herzen Dasjenige jemals wieder erwachen kann, was man die Liebe nennt,“ fuhr sie mit traurigem Ton, durch welchen eine gewisse Bitterkeit hindurchklang, fort, „weiß ich nicht. Freundschaft und Vertrauen glaube ich Ihnen geben zu können, und in dieser Freundschaft und in diesem Vertrauen antworte ich Ihnen frei und offen. Ja, ich will Ihren Antrag annehmen und ich will versuchen, Ihrem Leben soviel Freude und Glück zu geben, als aus meinem Herzen noch erblühen kann.“

Mit ruhigem, freundlichem Lächeln reichte sie ihm die Hand, welche er, seine leidenschaftliche Bewegung bemeisternd, ehrerbietig an die Lippen drückte.

„Aber,“ fuhr Luise fort, „Sie müssen mir versprechen, daß über diesen Gegenstand jetzt nicht weiter gesprochen wird. In diesem Augenblick, in welchem das Vaterland in Gefahr ist, in welchem Frankreich sich zu einem gewaltigen Kampf rüstet, schickt es sich nicht, an etwas Anderes zu denken, als an die Zukunft unseres Landes. An dem Tage, an welchem unsere Heere wieder siegreich in Paris einziehen, will ich Ihnen meine Hand reichen, an jenem Tage soll unsere Verbindung vor dem Altar den Segen des Himmels erhalten.“

„Das ist brav gesprochen,“ rief der alte Challier, „gesprochen wie eine
Französin, wie eine Tochter der alten Bragars.“

„Und damit bin ich von Herzen einverstanden,“ rief Herr Vergier, „und wenn es möglich ist, werden nun meine Wünsche noch glühender die Waffen Frankreichs begleiten, denn der stolze Tag des großen Nationalsieges wird zugleich mit der erneuten herrlichen Größe des Vaterlandes das Glück meines Lebens begründen.“

Luise stand langsam auf und trat an ein Pianino, welches zur Seite des Fensters stand, sie öffnete dasselbe, setzte sich auf den davorstehenden Sessel und schlug in einfachen kräftigen Accorden die ergreifende Melodie des Chant du départ an, welche so mächtig und gewaltig alle französischen Herzen erfaßt und die Erinnerung an jene von Begeisterung glühenden Freiwilligen aufsteigen läßt, die voll Muth und Todesverachtung nach den Grenzen hinauszogen, um dort Zeugniß abzulegen für die edlen und großen Gedanken, welche in der Revolution lebten und welche in dem blutigen Schlamme von Paris untergingen.

Leise bewegte Herr Challier die Lippen, die Melodie begleitend, — Herr Vergier wandte sich ab und trat an das Fenster, nach dem dunkel glühenden Abendhimmel hinausblickend.

„Ich habe gesiegt,“ flüsterte er vor sich hin, — „möchte nun,“ fuhr er fort, indem ein düsterer Grimm in seinen Augen brannte, „die erste französische Kugel jenen verhaßten Feind meines Landes treffen, der fast das Glück meines Lebens zerstört hätte.“

Zehntes Capitel.

Eine unruhige, lebhaft bewegte Menge wogte in den Straßen von Paris auf und nieder. Die Boulevards, die Champs Elysées, der Tuileriengarten, Alles war mit Menschen gefüllt und überall sah man laut sprechende und lebhaft gesticulirende Gruppen.

Die Zeitungen vom Abend vorher hatten die Nachricht verkündet, daß der König von Preußen es verweigert habe, den Botschafter Frankreichs zu empfangen und daß dieses die Würde Frankreichs beleidigende Factum durch eine Depesche von Berlin den europäischen Höfen mitgetheilt sei.

Ungeheuer war die Aufregung, welche diese Mittheilung in ganz Paris hervorgerufen hatte. Diese Aufregung wurde fortwährend gesteigert durch alle die Mittel, über welche die Polizei des Kaiserreichs in so reichem Maße verfügen konnte. Man sprach nicht mehr von der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern auf den spanischen Thron, eine Sache, die man niemals so recht eigentlich begriffen und verstanden hatte. Man sprach nicht mehr von dieser oder jener politischen Frage, man sprach nur noch von der Beleidigung Frankreichs. Die ganze Entrüstung der Bevölkerung richtete sich gegen diesen preußischen Minister, den die Erfolge von Sadowa so weit verblendet hatten, daß er es wagen könne, Frankreich, das unbesiegliche Frankreich, die erste Macht Europa's zu beleidigen. Im Corps legislatif hatten zwar die Tage vorher die Mitglieder der Linken die Vorlegung der Depesche verlangt, durch welche jene Thatsache von Preußen den übrigen Mächten mitgetheilt worden wäre und sie hatten den ausweichenden Antworten der Minister gegenüber die schärfsten Reden gegen dieselben geführt.

Alle diese Reden hatten die Pariser nicht gehört und gelesen, denn man las zu jener Zeit keine Journale, sie hatten sie auch nicht lesen wollen, denn wenn die Pariser einmal bis zu einem gewissen Grade der Erregung gelangt sind, so weisen sie jede Beruhigung zurück und steigern in immer wachsendem Maße ihre Gefühle bis zur höchsten Siedehitze.

Die Nachricht hatte sich verbreitet, daß der Kaiser von St. Cloud kommen werde, um in den Tuilerien einen Ministerrath abzuhalten.

Die glühende Mittagssonne, welche schon so oft die Pariser bis zum politischen Wahnsinn exaltirt hatte, hielt sie auch diesmal nicht ab, in dicht gedrängten Massen auf den Champs Elysées, der Place la Concorde und auf dem Carousselplatz die Ankunft des Kaisers zu erwarten.

Endlich hörte man vom Arc de Triomphe her laute Hochrufe erschallen und bald sah man die beiden Piqueurs in den grün goldenen Livreen, welche der vierspännigen Kalesche des Kaisers voranritten an dem Eingang der Champs Elysées nach dem Place la Concorde zu.

Der Kaiser hatte keine militairische Escorte, er saß in Civil gekleidet,
mit dem General Favé allein im Wagen, der langsam über den
Eintrachtsplatz fuhr, der so von Menschen angefüllt war, daß nur mit
Mühe ein Weg für die kaiserliche Equipage frei gemacht werden konnte.

Der Kaiser sah wohler und heiterer aus, als man ihn in den letzten Tagen zu sehen gewohnt gewesen war. Er saß gerade aufgerichtet da, ein heiteres stolzes Lächeln lag auf seinem Gesicht und mit offenen klaren Blicken sah er über diese Menschenmassen hin, welche ihn mit einem Enthusiasmus, den er in solchem Maße lange nicht mehr gewohnt war, mit unausgesetzten Hurrahrufen begrüßten.

Napoleon dankte wiederholt mit der Hand winkend und wendete sich zuweilen mit heiterer Miene zu dem General, um demselben einige Worte zu sagen.

Als der Wagen dem alten Hotel Talleyrands gegenüber in die Rue Rivoli bog, stimmte eine dort stehende Gruppe junger Leute, die Hüte dem Kaiser entgegen schwenkend mit lauter Stimme die Marseillaise an.

Napoleon wandte schnell den Kopf nach der Seite hin, woher diese so lange in Frankreich verpönten Töne erklangen, — er hätte auf alle Grüße bisher nur mit freundlichen Handbewegungen gedankt. Jetzt nahm er den Hut ab und hielt denselben, den Kopf nach jener Gruppe hinneigend, so lange in der Hand, bis der Wagen sich der Eingangsthür des innern Hofes der Tuilerien näherte.

Ein betäubender Jubelruf, welcher sich bis auf den Carousselplatz fortsetzte, dankte dem Kaiser für diese dem wieder erwachten Nationalhymnus dargebrachte Huldigung, und immer heiterer und stolzer wurde das Gesicht des Kaisers, der nun im schnellen Trabe durch den innern Hof am großen Portal des Pavillon de l'Horloge vorfuhr; indem er sich nur ganz leicht auf den Arm des General Favé stützte, stieg er mit elastischen Schritten die Treppe hinauf und trat in sein Cabinet.

„Sind die Minister hier,“ fragte er den Huissier, der ihm die Thür öffnete.

„Zu Befehl, Sire.“

„Ich lasse Sie bitten sogleich einzutreten.“ Wenige Augenblicke darauf traten der Herzog von Gramont, Herr Emil Ollivier und der Marschall Le Boeuf in das Cabinet des Kaisers.

Trotz seiner vornehmen, ruhigen Sicherheit zeigte der Herzog von Gramont eine gewisse Präoccupation, ein wenig unruhig und leicht befangen blickte er auf den Kaiser, der stolz aufgerichtet, die Hand auf die Lehne seines Sessels gestützt, neben dem runden Tisch in der Mitte des Cabinets stand und mit freundlichem Kopfneigen die drei Minister begrüßte.

Herr Ollivier befand sich in zitternder, nervöser Erregung. Sein Gesicht war bleicher als sonst, seine Lippen zuckten und sein unsicheres Auge blickte fast fieberhaft brennend unter der schmalen Brille hervor.

Die schwere markige Gestalt des Marschall Le Boeuf stand fest und ruhig da wie immer, sein martialisches Gesicht mit den etwas starr blickenden Augen und dem mächtigen Schnurrbart zeigte keinen anderen Ausdruck als den einer ruhigen, sorglosen Sicherheit.

Auf einen Wink des Kaisers nahmen die drei Herren um den Tisch Platz, an dessen Mitte Napoleon sich niederließ.

„Die Lage ist ernst, meine Herren,“ sagte der Kaiser mit fester voll klingender Stimme und ohne jenen Ausdruck unschlüssigen Zögerns, der sonst auf seinem Gesicht zu liegen pflegte. „Preußen hat die Verhandlungen, welche ich in dem versöhnlichsten Sinne begonnen, abgebrochen, und wir werden demgemäß unsere Entschlüsse zu fassen haben. Sie haben mir mitgetheilt, Herr Herzog, daß der König von Preußen in beleidigender Weise Benedetti zu empfangen, verweigert habe.“

Der Herzog hustete leicht.

„Die Beleidigung, welche Preußen gegen uns begangen, Sire,“ sagte er, „liegt nicht so sehr in der Weigerung des Königs mit Benedetti über diesen Gegenstand nicht mehr sprechen zu wollen, da er ihm bereits seine Meinung bestimmt und endgültig mitgetheilt hatte, als in der Thatsache, daß die Weigerung von Berlin aus den übrigen europäischen Mächten mitgetheilt wurde.“

Ein sprühendes Feuer blitzte in den groß geöffneten Augen des Kaisers auf.

„Das hat man gethan?“ rief er.

„Ich habe heute morgen von allen Seiten,“ erwiderte der Herzog von Gramont, „die Mittheilung darüber durch unsere Vertreter erhalten, überall ist das Factum durch die preußischen Diplomaten mitgetheilt worden, und hierin, Sire, erblicke ich das letzte Glied in jener Kette von Nichtachtung, Provokationen und Beleidigungen gegen uns, welche Preußen seit langer Zeit an einander gefügt hat. Mein französisches Gefühl, Sire, empört sich, das Maß der Geduld und Langmuth ist voll. War es schon sachlich, nachdem der König von Preußen die verlangte Genugthuung und Garantie für die Zukunft verweigert, sehr schwer, eine friedliche Lösung für die vorliegende Differenz zu finden, so ist dies nach meiner Überzeugung, welche von meinen Collegen getheilt wird, nunmehr ganz unmöglich. Die öffentliche Meinung ist in einer Weise aufgeregt, daß wenn nicht die energischste und festeste Antwort auf diese preußische Beleidigung erfolgt, der ganze Zorn des empörten Nationalgefühls sich gegen die Regierung wenden wird. Nach meiner Überzeugung kann diese Antwort nur eine einzige sein. Der Würfel ist gefallen, Sire! Wir müssen den Krieg erklären!“

Der Kaiser blickte auf Ollivier und den Marschall Leboeuf.

Auf ihren Zügen lag deutlich die Zustimmung zu den Worten des Collegen.

Napoleon erhob das Haupt und sagte ruhig und fest:

„Ihre Ansicht, Herzog, ist die meinige. Ich habe soeben selbst die mächtige Erregung der Bevölkerung wahrgenommen, und eine Regierung, die wie die meinige auf dem Willen des Volkes beruht, muß einer so gewaltigen und einmüthigen Strömung des Nationalgefühls folgen. Ich konnte in den diplomatischen Fragen der Erhaltung des Friedens Zugeständnisse machen, und ich habe dies gethan seit einer Reihe von Jahren, ich habe die Ansprüche, welche Frankreich machen konnte und vielleicht noch entschiedener hätte machen sollen, um das gestörte Gleichgewicht in Europa wieder herzustellen, vertagt, bis dieselben vielleicht durch günstige diplomatische Constellationen ohne kriegerische Conflicte hätten durchgeführt werden können. Ich habe Vorschläge auf Vorschläge nach Berlin gehen lassen, um durch Erlangung von Compensationen die Freundschaft mit Preußen zu erhalten und vielleicht auch zu einer Allianz mit demselben zu kommen. Man hat das Alles zurückgewiesen und ich habe geschwiegen, — immer wartend, immer noch hoffend, endlich doch ein Arrangement zu erreichen. Jetzt aber handelt es sich nicht mehr um das europäische Gleichgewicht, es handelt sich nicht mehr um diese oder jene politischen Arrangements, — Frankreich ist beleidigt! Die Ehre Frankreichs ist engagirt! — Es giebt für mich nur einen Weg, und diesen Weg bin ich um so fester und um so ruhiger zu gehen entschlossen, als die hohe nationale Begeisterung mir die Bürgschaft giebt, daß selbst im Falle unglücklicher Zwischenfälle das ganze Volk um so einmüthiger und fester hinter mir stehen wird.“

Der Herzog von Gramont athmete auf, seine anfängliche Befangenheit schwand bei den Worten des Kaisers, stolze Freude lag auf seinem Gesicht.

„Ich glaube an den Sieg, Sire,“ rief Ollivier mit einer gewissen, ungeduldigen Hast das Wort ergreifend, als der Kaiser schwieg. „Denn wir sind stark und gerüstet nach allen Seiten. Aber sollte auch ein augenblicklicher Mißerfolg uns treffen, so wird dies die nationale Begeisterung noch mehr und mehr entflammen, und das Kaiserreich wird sich in diesem heiligen Feuer immer fester und unauflöslicher mit dem Blut und Leben der Nation verbinden. Eure Majestät wissen, wie ich den Frieden gewünscht habe, wie die Erhaltung des Friedens meine Bedingung bei Übernahme des Portefeuilles war, wenn ich jetzt sage: Der Krieg ist nothwendig, sofortige Kriegserklärung ist eine nationale Pflicht für Eure Majestät, dann werden Sie überzeugt sein, daß kaum Jemand in Frankreich in diesem Augenblick den Frieden wünschen kann, wenn er nicht zu gleicher Zeit der Feind Eurer Majestät und des Kaiserreichs ist, wenn er nicht wünscht, daß das Kaiserreich sich von dem nationalen Aufschwung trennen und damit den ersten Schritt zu seinem Untergang thun soll.“

„Herr Thiers wünscht den Frieden,“ sagte der Kaiser leicht lächelnd, „er hat sich im Corps legislatif und auch sonst so öffentlich als möglich dafür ausgesprochen.“

„Die öffentliche Meinung, Sire,“ erwiderte Herr Ollivier, „hat ihm sogleich darauf die Antwort gegeben, man hat vor seinem Hotel sehr lebhafte Demonstrationen gemacht und ihm zugerufen. „Nieder mit dem kleinen Preußen!“

„Herr Thiers sollte nicht vergessen,“ sagte der Kaiser, „daß sein König Louis Philippe gefallen ist, weil er einen Krieg nicht führen wollte, den das Nationalgefühl verlangte, und weil er die Demüthigung Frankreichs weiter trieb, als der französische Stolz es ertragen kann. Vielleicht möchte Herr Thiers wünschen daß ich denselben Fehler begehe, um demselben Schicksal zu verfallen, — sein Wunsch soll nicht erfüllt werden. Wollen Sie, mein lieber Herzog, mit Herrn Ollivier die Kriegserklärung entwerfen? Ich werde morgen wieder hereinkommen, da ich Sie in dieser viel bewegten Zeit, nicht durch eine Fahrt nach St. Cloud ihren Geschäften entziehen darf, um dann im gesammten Ministerrath die Erklärung fest zu stellen. Bereiten Sie die Pässe für den Baron Werther vor.“

„Der Baron, Sire,“ erwiderte der Herzog von Gramont, „ist heute bereits bei mir gewesen, um mir anzuzeigen, daß er sich auf Urlaub begebe. Es sind,“ fuhr er fort, „vor seinem Hotel einige unangenehme Demonstrationen vorgekommen.“

„Man soll dort sogleich starke Polizeimacht, — wenn es nöthig ist, Truppen aufstellen,“ rief der Kaiser, „und den Botschafter gegen jede feindliche Kundgebung auf das Entschiedenste schützen. Die nationale Entrüstung darf die Grenzen der völkerrechtlichen Pflichten und des Anstandes, den die civilisirten Nationen unter allen Umständen einander schuldig sind, nicht überschreiten. Nun aber, meine Herren,“ sagte er dann, „nachdem der entscheidende Entschluß gefaßt ist, haben wir nicht mehr rückwärts, sondern vorwärts zu blicken. Wir müssen uns klar machen, auf welche Weise wir alle Chancen des Erfolges auf unserer Seite vereinigen. Wie stehen unsere Beziehungen zu den Mächten? Haben wir Aussichten auf Allianzen und directe Unterstützungen?“ fragte er, zum Herzog von Gramont gewendet, — „unsere ganze Diplomatie muß die höchste Anstrengung entwickeln, um der militairischen Action zur Seite zu stehen.“

„Alle Mächte, Sire,“ erwiderte der Herzog von Gramont, „haben die Gerechtigkeit unserer Forderung auf Beseitigung der Hohenzollernschen Candidatur anerkannt, und es liegt in der Natur der Sache, daß Österreich, Schweden und Dänemark schon zu Anfang eine uns freundliche Neutralität beobachten werden. Auch rechne ich auf die Preußen so äußerst feindliche Stimmung in Süddeutschland, so wie auf die unterwühlten Zustände in den annectirten Provinzen.“

„Alles das ist gut,“ sagte der Kaiser mit einer leichten Nüance von Ungeduld im Ton, „aber wir haben keine bestimmten Thatsachen, keine bestimmten Erklärungen.“

„Ich kann die vielfachen Versicherungen des Herrn von Beust über die Identität der Interessen Frankreichs und Österreichs,“ erwiderte der Herzog, „nur als die Grundlage der bestimmten Erwartung ansehen, daß Österreich mindestens bei den ersten günstigen Erfolgen unserer Waffen activ auf unsere Seite treten werde. Noch gestern habe ich eine Depesche des Herrn von Beust erhalten, in welcher jene Versicherungen wiederholt werden und zugleich ausgesprochen ist, daß Österreich für den Erfolg unserer Waffen Alles in den Grenzen der Möglichkeit Liegende thun werde, — ich habe Eurer Majestät diese Depeschen sofort zugehen lassen —“

„Ich habe sie gelesen,“ sagte Napoleon die Achseln zuckend, „die Grenzen der österreichischen Möglichkeiten sind sehr weit gezogen, — Fürst Metternich hat mich beschworen, den Conflict zu vermeiden.“

„Sire,“ erwiderte der Herzog von Gramont, „ich gebe auf die officiellen Schritte Österreichs wenig, sie werden gethan, um nach allen Seiten hin sich zu decken und die neutrale Haltung constatiren zu können. Ich lege das Hauptgewicht auf meine Kenntnisse der dortigen Verhältnisse und auf den natürlichen und nothwendigen Wunsch, von dem sowohl der Kaiser als Herr von Beust beseelt sein müssen, jede Gelegenheit zu benutzen, um die Niederlage von 1866 wieder gut zu machen.“

„Ich rechne nicht auf Österreich,“ sagte der Kaiser, „seit Jahren habe ich dort nichts gefunden, als ohnmächtige Wünsche und schwankendes Zögern, das sich nach keiner Seite compromittiren möchte. Etwas Anderes ist es mit den Sympathien, die wir in Deutschland selbst finden könnten. Baiern und Würtemberg sind durch Frankreich auf ihre heutige Stellung erhoben, sie werden sich hoffentlich daran erinnern, und in Baiern hat ja die ultramontane Partei eifrig in diesem Sinne gearbeitet. Auf die annectirten Provinzen rechne ich weniger, — höchstens bei einem Rückzug der preußischen Armee könnte uns dort ein Aufstand unterstützen.“

„Ich muß Eurer Majestät mittheilen,“ sagte der Herzog von Gramont, „daß sich ein Graf Breda auf dem auswärtigen Ministerium gemeldet hat, welcher Propositionen zu einem Bündniß mit dem König von Hannover zu machen beauftragt sein will.“

„Graf Breda?“ fragte der Kaiser, „derselbe, der früher bei unserer
Gesandtschaft in Stockholm war und dort —“

„Derselbe, Sire,“ erwiderte der Herzog von Gramont, „er scheint jetzt im Dienste der Depossedirten seine unterbrochene diplomatische Carriere fortsetzen zu wollen.“

Der Kaiser zuckte die Achseln.

„Was proponirt er,“ fragte er.

„Ein hannöversches Corps von zwanzigtausend Mann, wogegen im Fall des
Sieges die früheren Besitzungen des Welfenhauses zu einem
Niedersächsischen Königreich wieder vereinigt werden sollen.“

Napoleon lächelte mitleidig.

„Ein Corps von zwanzigtausend Mann,“ sagte er, — „nachdem der König seine Legion, die ihm vielleicht die Möglichkeit hätte geben können, in die Entwickelung der Action einzugreifen, nach allen vier Winden zerstreut hat. Der arme König,“ fuhr er fort, „welch ein trauriges Schicksal, — in welche Hände ist dieser arme Fürst gefallen, — ich bitte Sie, mein lieber Herzog, diesen Grafen Breda nicht zu empfangen. Der beste Dienst, den ich dem unglücklichen König von Hannover leisten kann, ist der, daß ich solche Propositionen von Personen, die sich für seine Agenten ausgeben, vollständig ignorire. Wollen die Hannoveraner sich zu seinen Gunsten erheben, so mögen sie es thun, ich kann mich mit dieser Sache nicht weiter befassen und ohne jeden Nutzen und Beistand den Kampf mit Preußen nicht auf das Äußerste verbittern, — übrigens bin ich überzeugt, daß der arme König von solchen abenteuerlichen Propositionen selbst garnichts weiß und daß er mir dankbar sein wird, wenn ich dieselben der Vergessenheit übergebe.

„Ich habe ein Programm an die deutschen Völker entworfen,“ sagte er nach einer kurzen Pause, „in welchem ich ihnen sage, daß ich nicht die Grenzen überschreite, um Deutschland den Krieg zu erklären, daß ich im Gegentheil Deutschland befreien will von einer übermächtigen und übermüthigen Gewalt, welche die freie Autonomie und Selbstbestimmung der deutschen Stämme vernichtet, und daß ich vor allen Dingen keine Eroberung auf deutschem Boden machen will —“

„Eine solche Proclamation, Sire,“ fiel Herr Ollivier lebhaft ein, „ist vortrefflich und wird unendlich dazu beitragen, daß Preußen in Deutschland selbst jede moralische Unterstützung verliert. Wenn ich in demselben Sinne eine Rede im Corps legislatif hielte —“

„Das französische Nationalgefühl, Sire,“ sagte der Marschall Leboeuf, indem er seinen großen starken Schnurrbart an beiden Enden heraufdrehte, „wird einen solchen platonischen Krieg nicht verstehen. Der öffentlichen Meinung in Frankreich im Allgemeinen,“ fuhr er fort, „ist es sehr gleichgültig, wie Deutschland sich constituirt, ob es unter preußischer Suprematie steht oder nicht, wenn nur Frankreich den Rhein besitzt, so mag dann auf der andern Seite desselben geschehen, was da will.“

Der Kaiser blickte fragend auf den Herzog von Gramont.

„Was der Herr Marschall so eben bemerkt, Sire,“ sagte dieser, „scheint mir nicht unbegründet, auf der andern Seite aber erkenne ich die Wirkung einer Proclamation, wie Eure Majestät die Gnade hatten, sie anzudeuten im hohen Grade an, sowohl in Betreff ihrer Wirkung auf die süddeutsche Bevölkerung, als auch auf die übrigen europäischen Cabinette. Denn durch eine solche Proclamation würde der Vorwurf eines Eroberungskrieges von Frankreich zurückgewiesen werden. Es käme nur darauf an, durch eine geschickte Fassung der Worte beiden Gesichtspunkten gerecht zu werden, und die Proclamation so zu redigiren, daß sie sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland eine günstige Wirkung erzielt.“

„Eine solche Redaction wird sich finden lassen,“ rief Herr Ollivier, „wenn Eure Majestät —“

„So ganz platonisch,“ sagte der Kaiser lächelnd, „würde übrigens der Krieg nicht sein. Zunächst wird Jedermann erkennen, daß wenn wir siegen und wenn dadurch die Constituirung eines politisch und militairisch geeinigten Deutschlands unter preußischer Führung definitiv verhindert wird, die Erwerbung von Compensationen auf deutschem oder anderem Gebiet weit weniger nothwendig wird, als sie es wäre, wenn wir uns mit dem preußischen Deutschland in Güte verständigen wollten, — sodann aber wird wohl Niemand in ganz Europa dem siegreichen Frankreich das Recht streitig machen wollen, diejenigen Grenzen zurückzufordern, welche man ihm im Jahre 1814 zugestand, als es von der europäischen Coalition besiegt darniederlag, und Niemand wird in der Wiederherstellung dieser damals von ganz Europa sanctionirten Grenzen eine Eroberung erblicken können.“

Der Geheimsecretair Pietri trat durch den besondern, für ihn bestimmten
Eingang in das Cabinet.

„Sire,“ sagte er, „es sind zwei Depeschen vom auswärtigen Amt so eben gebracht worden, um dieselben dem Herrn Herzog von Gramont zu übergeben —“

„Ich habe die Anweisung hinterlassen, Sire,“ fiel der Herzog ein, „alle ankommenden Depeschen sofort hierherzubringen, da sie für die von Eurer Majestät zu fassenden Entschlüsse von Einfluß sein könnten.“

Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf und auf seinen Wink reichte Pietri die beiden Depeschen, welche er in der Hand hielt, dem Herzog von Gramont, der sie schnell eröffnete und ihren Inhalt überflog.

Er erbleichte und eine unruhige, zornige Erregung trat an die Stelle der heitern, sorglosen Zuversicht, welche bisher auf seinen Zügen gelegen hatte.

„Nun,“ fragte der Kaiser, forschend in das so schnell veränderte Gesicht des Herzogs blickend.

„Sire,“ sagte der Herzog von Gramont, indem die Depeschen in seinen
Händen leise zitterten, „eine ebenso unerwartete als unangenehme
Nachricht! Aus München und Stuttgart wird gemeldet, daß man dort an dem
Bündniß mit Preußen festhält, die Armee mobil gemacht und unter den
Befehl des Königs von Preußen gestellt hat, — unsere Gesandten sehen
jeden Augenblick der Zustellung ihrer Pässe entgegen.“

Ollivier blickte ganz erstaunt und unruhig umher.

Der Marschall Leboeuf strich lächelnd über seinen dichten, mächtig hervorspringenden Kinnbart, — der Kaiser blickte einen Augenblick in düsterm Schweigen vor sich nieder, dann hob er mit klarem, stolzem Blick das Haupt wieder empor und sagte.

„So weit wie die Dinge jetzt gekommen sind, darf uns keine fehlgeschlagene Erwartung erschüttern. Das Schicksal will den Entscheidungskampf, und wir müssen mit festem und ungebeugtem Muth in denselben eintreten. Die Geschichte unseres Landes lehrt uns, daß die eigene Kraft Frankreichs die beste und kräftigste Bürgschaft für unseren Erfolg ist. Wir haben,“ fügte er mit erhobener Stimme hinzu, „öfter durch unsere Siege Bundesgenossen gefunden, als durch unsere Bundesgenossen Siege erfochten. Der Gegenstand, über den wir soeben sprachen, ist durch diese Mittheilung erledigt,“ fuhr er fort, indem er einen vor ihm liegenden, ganz mit seiner kleinen zierlichen Handschrift beschriebenen Bogen zusammenfaltete. „Da ganz Deutschland es für gut findet, sich unter die Führung und Botmäßigkeit Preußens zu stellen, so haben wir nicht nöthig, uns für die Ausnutzung unseres Sieges Schranken aufzulegen. Die Proclamation, von der wir sprachen, ist überflüssig geworden. Frankreich wird sich die volle Freiheit erhalten, Alles das zu nehmen und zu behalten, was seine Interessen ihm nothwendig und wünschenswerth machen. Finden wir aber keine Alliirte in Deutschland selbst,“ sagte er dann, „so müssen wir uns um so mehr Diejenigen zu sichern suchen, welche außerhalb Deutschlands durch ihre eigenen Interessen auf uns angewiesen sind. Dänemark hat seine Neutralität erklärt, — das mag gut sein für den Beginn des Krieges; aber ich lege einen großen Werth darauf, daß nach den ersten Erfolgen dort eine für uns freundschaftliche Action eintrete, welche preußische Kräfte absorbirt und uns die Möglichkeit einer Landung erleichtert. Ich will den Herzog von Cadorn in außerordentlicher Mission nach Kopenhagen schicken, damit er den dortigen Hof veranlasse, bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit, aus seiner Neutralität herauszutreten, — ich hoffe, das wird nicht schwer sein, und das Vorgehen Dänemarks wird dasjenige Schwedens auf der Stelle nach sich ziehen, — würde damit auch nichts weiter erreicht, als daß Rußlands Kräfte nach dem Norden gezogen und von einer Pression auf Österreich abgezogen werden, so wird das schon von großer Bedeutung sein. Wollen Sie, mein lieber Herzog die Instructionen und Creditive für Cadorn so schnell als möglich bereit stellen lassen.“

„Zu Befehl, Sire,“ sagte der Herzog sich verneigend, „ich bewundre den
Gedanken Eurer Majestät und die vortreffliche Wahl der Person —“

„Zugleich aber,“ fuhr der Kaiser fort, „ist es nothwendig, eine energische, diplomatische Action in Wien eintreten zu lassen, um auch dort den ersten günstigen Augenblick zu benutzen und Alles aufzubieten, einen schnellen Entschluß hervorzurufen. Der Fürst Latour d'Auvergne muß sogleich seine Thätigkeit beginnen, und ich bitte Sie, auch in dieser Beziehung das Nöthige zu veranlassen, mein lieber Herzog. Man muß auf der Basis derjenigen Unterhandlungen wieder beginnen, welche der General Türr eingeleitet hatte und deren Ziel die im Princip bereits approbirte Vertragsskizze sein wird, nach welcher gegen Abtretung von Welsch-Tyrol Italien im Fall einer russischen Intercession sich zur activen Unterstützung Österreichs und zum Anmarsch gegen die Süddeutschen Grenzen verpflichtet. Herr von Beust hat dem Abschluß dieses Vertrages einst Schwierigkeiten entgegen gestellt, der erste Erfolg unserer Waffen muß benutzt werden, um unter dem dadurch hervorgebrachten Eindruck den unmittelbaren Abschluß jenes Vertrages kategorisch zu fordern.“

Der Herzog von Gramont hatte sich mit einem Crayon einige Notizen auf einem vor ihm liegenden Blatt Papier gemacht und verneigte sich zum Zeichen seines Einverständnisses mit den Anordnungen des Kaisers.

„Nun, mein Herr Marschall,“ sagte Napoleon, sich zum Kriegsminister wendend, — „Sie sehen, daß die Vorbereitungen der Diplomatie getroffen sind, wie steht es mit den Ihrigen?“

„Alles ist bereit, Sire,“ erwiderte der Marschall Leboeuf mit seiner starken rauhen Stimme, „es fehlt nicht ein Knopf an der Ausrüstung der Armee, nicht eine Bajonettspitze an ihrer Bewaffnung. Unsere Magazine sind gefüllt, in Toulon liegen sieben Transportschiffe bereit, um die Armee von Algier herüberzuschaffen. Alle Vorbereitungen sind getroffen, um die Truppen von Châlons in sechszehn Stunden an die Grenze zu bringen. Heute sind zwölftausend Eisenbahnwagen mit Mehl und Zwieback nach den Ostgrenzen abgegangen, und in wenigen Tagen wird Eurer Majestät Armee bereit sein, in Deutschland einzurücken.“

Der Kaiser nickte bei den Mittheilungen des Marschalls mit dem Kopfe.

„Und der Generalstab,“ fragte er dann.

„Der Generalstab, Sire, wie Eurer Majestät Hauptquartier,“ erwiderte der Marschall, „für welches Sie mich zu Ihrem Major-General zu bestimmen die Gnade gehabt haben, ist formirt aus den besten Officieren, die ich habe finden können, und in kürzester Frist werden auch die Generalstäbe der einzelnen Corps mit tüchtigen Kräften besetzt sein.“

„Und hat man genügend Karten von Deutschland,“ fragte der Kaiser, „nicht nur für den Generalstab, sondern auch für die übrigen Officiere?“

„Sire,“ erwiderte der Marschall, sich martialisch aufrichtend, „jeder Officier Ihrer Armee hat eine Karte, welche ihm den sichersten und geradesten Weg nach Berlin zeigen wird, und ich habe die Meinige bei mir.“

Er schlug schallend an seinen Degen, indem er zugleich mit der andern
Hand die Spitzen seines Schnurrbarts emporkräuselte.

Der Kaiser sah ihn einen Augenblick ganz betroffen an, während Herr Ollivier sich ebenfalls mit kriegerisch stolzer Miene aufrichtete, und der Herzog von Gramont noch einige Notizen niederschrieb.

„Die Vortrefflichkeit Ihrer Karten,“ sagte Napoleon lächelnd, „hat sich in den verschiedenen Feldzügen Frankreichs mehrfach bewährt, indessen wäre es doch gut, wenn die Officiere daneben auch noch andere Karten zur Verfügung hätten und nicht bloß auf die magnetische Anziehungskraft angewiesen blieben, welche die feindliche Hauptstadt auf die Spitze ihres Degens ausübt, ich hoffe daß Sie dafür Sorge tragen werden,“ fügte er mit festem und bestimmtem Ton hinzu.

Der Marschall verneigte sich, jedoch zeigte seine Miene dabei deutlich, daß er auf die Hülfsmittel der geographischen Wissenschaft von seinem soldatischen Gesichtspunkt aus einen nicht eben allzugroßen Werth zu legen geneigt sei.

„Ich erwarte Sie morgen in St. Cloud, Herr Marschall,“ fuhr Napoleon fort, „um mir die Bestimmungen über die einzelnen Corps der Armee zur definitiven Entscheidung vorzulegen, — eine Anweisung darüber habe ich Ihnen schon zugehen lassen. Und nun bleibt Ihnen noch überlassen, mein lieber Herr Ollivier,“ fuhr er dann fort, „das große Agens aller Kriege herbeizuschaffen, nämlich das Geld. Wir bedürfen nach den angestellten Berechnungen einen Credit von dreißig Millionen für die Armee und einen weitern Credit von sechzig Millionen für die Marine. Die Vorlage muß so schnell als möglich im Corps legislatif gemacht werden.“

„Und sie wird mit jubelnder Acclamation aufgenommen werden, Sire,“ rief Herr Ollivier, „und wenn Eure Majestät das Doppelte und Dreifache fordern würden, — in diesem Augenblick würde Frankreich Ihnen nichts verweigern.“

„Also, meine Herren,“ sagte Napoleon aufstehend, „ich erwarte die
Vorlage der Kriegserklärung, sowie die schnelle und pünktliche
Ausführung aller eben besprochenen Maßregeln.

„So treten wir denn nun,“ fügte er ernst hinzu, „der großen Entscheidung entgegen, welche so lange wie ein schwüles Wetter über unsern Häuptern geschwebt hat, und es bleibt uns nur noch die Bitte übrig: Gott schütze Frankreich!“

Er sprach diese Worte tief aus der Brust heraus, während er die Augen wie fragend emporschlug.

„Gott schütze Frankreich!“ wiederholten die drei Minister —

Vom Carousselplatz herauf ertönte in diesem Augenblick die Melodie der Marseillaise, welche ein vorüberziehendes Musikkorps intonirte, und in welche die versammelte Menge sogleich laut und kräftig einfiel.

Der Marschall Leboeuf blickte ganz erstaunt auf, Herr Ollivier hob die
Hand empor und rief mit pathetischem Ton:

„Der Geist Frankreichs, Sire, spricht aus diesen Tönen zu Euer Majestät, der Geist der Freiheit und der Civilisation, vor welchem diese preußischen Armeen schnell werden zersprengt werden.“

Der Kaiser lauschte einen Augenblick schweigend den immer mächtiger anschwellenden Klängen.

„Möchten sie,“ sprach er leise, „die Dämonen der Revolution hinausführen auf die Schlachtfelder des nationalen Ruhms, damit ihre gewaltige Kraft sich zu immer festerer Erstarkung des Kaiserthums entwickele.“

Er schwieg noch einige Augenblicke — sein brennender Blick schien den
Schleier der Zukunft durchdringen zu wollen.

Dann sprach er mit liebenswürdiger Artigkeit.

„Nun, meine Herren Minister, schicke ich Sie fort — Jeder von uns muß an seine Arbeit, und die nächste Zeit wird uns deren viele bringen.“

Er reichte den Herren die Hand.

Dieselben verließen ernst und schweigend das Cabinet.

Unmittelbar darauf meldete der Kammerdiener Herrn Rouher, den früheren
Staatsminister und gegenwärtigen Senatspräsidenten.

Auf den zustimmenden Wink Napoleons trat dieser langjährige Leiter der kaiserlichen Regierung langsam und in fast feierlicher Haltung ein.

Der Kaiser ging ihm heiter lächelnd entgegen und reichte ihm die Hand, welche Herr Rouher ehrerbietig ergriff und einen Augenblick in der Seinen hielt, während er mit einem traurigen Ausdruck den Kaiser ansah.

„Nun, mein lieber Rouher,“ sagte Napoleon, „wir stehen an der großen
Entscheidung, und ich hoffe, daß es nunmehr gelingen wird, die Krönung
des Gebäudes zu vollenden, dessen Grundmauern Sie mit so viel Eifer und
Beharrlichkeit aufgeführt haben.“

Das volle Gesicht des Herrn Rouher mit dem feinen beredten Munde und den klaren, scharf blickenden Augen zeigte eine Bewegung, welche diesem scharf berechnenden Meister der Dialektik und der parlamentarischen Debatte sonst nicht eigentümlich war.

„Sire,“ sagte er, „Eure Majestät wissen, mit welcher Mühe ich Jahre lang daran gearbeitet habe, die Krönung des kaiserlichen Gebäudes auf andere Weise und ohne eine kriegerische Catastrophe abzuschließen. Eure Majestät haben die Führung Ihrer Regierung andern Händen anzuvertrauen für gut befunden, und mir bleibt nur zu hoffen übrig, daß der Erfolg den Erwartungen Eurer Majestät und den heißen Wünschen entsprechen möge, welche ich für denselben im Herzen trage.“

Der Kaiser blickte seinen langjährigen Rathgeber einen Augenblick nachdenklich an.

„Sie sind nicht einverstanden, mein lieber Rouher,“ sagte er dann mit
einer gewissen unsichern Befangenheit in der Stimme, „mit dem Gange der
Ereignisse und doch müssen Sie zugeben, daß es jetzt unmöglich ist, die
Dinge auf einen andern Weg zu lenken.“

„Majestät,“ erwiderte Herr Rouher, „ich würde niemals das Verfahren desjenigen billigen können, der durch sichere und ruhige Unternehmungen ein großes Vermögen zu gründen und zu erhalten im Stande ist und der, statt diese Unternehmungen mit Consequenz zu verfolgen, sich auf ein Hazardspiel einläßt, das ihn in einem Augenblick zum Millionair machen, — aber verzeihen Eure Majestät — auch den Verlust vieler erworbenen Güter herbei führen kann. Ebenso —“

„Ebenso,“ fiel der Kaiser ein, „finden Sie, daß der Krieg in der Politik ein Hazardspiel sei, das man nicht unternehmen müsse und das vieles bereits Erreichte in Frage stellen könne. Aber mein Gott,“ fuhr er lebhafter fort, „wenn die ganze Nation den Krieg will, — ich bin der Erwählte der Nation, — ich muß dem Nationalwillen mehr Rechnung tragen, als irgend ein andrer Regent, Sie müssen zugeben, daß ganz Frankreich zum Kriege drängt, daß Ollivier, dieser Mann des Friedens, und die ganze hinter ihm stehende liberale Partei von der Notwendigkeit des Krieges durchdrungen sind und denselben mit Enthusiasmus aufnehmen.“

Herr Rouher schüttelte langsam den Kopf.

„Ollivier, Sire,“ sagte er dann achselzuckend, „wird Alles wollen, was ihm Gelegenheit giebt, eine jener pathetischen Reden zu halten, in denen er sich so sehr gefällt. Wenn Ollivier Eurer Majestät übrigens,“ fuhr er fort, „von der liberalen Partei spricht, welche hinter ihm steht, so möchte ich mir eine abweichende Ansicht auszusprechen erlauben — hinter Ollivier steht Niemand. Eure Majestät haben mit ihm nicht seine früheren Gesinnungsgenossen gewonnen, Eure Majestät haben ihn isolirt und nur einen einzelnen Mann auf Ihre Seite gebracht. Den Werth dieses Gewinns,“ sagte er mit einem leisen Anklang von Ironie, „wird die Zukunft zeigen. Eure Majestät haben ferner,“ sprach er dann weiter, „von der öffentlichen Meinung Frankreichs gesprochen, welche den Krieg verlangt, Eure Majestät haben Recht, die öffentliche Meinung verlangt den Krieg. Aber hat man sie denn nicht dahin gebracht, ihn zu verlangen? — und dann, Sire, die öffentliche Meinung ist ein wunderbares Ding. Sollte dieser Krieg, was Gott verhüten wolle, unglücklich für Frankreich ausfallen, so wird jeder Einzelne aus dieser Menge, deren zusammen tönender Ruf jetzt die öffentliche Meinung bildet, seine Urheberschaft an dem Krieg verleugnen, auf Eure Majestät und Ihre Regierung allein wird man die Schuld desselben werfen.“

„Aber halten Sie es denn für möglich,“ fragte der Kaiser, „jetzt noch den Krieg zu vermeiden?“

„Nein, Majestät,“ erwiderte Herr Rouher, „jetzt nicht mehr. Vor wenigen Tagen vielleicht wäre das noch möglich gewesen. Man konnte die Zurücknahme der Hohenzollernschen Candidatur als einen großen Triumph der französischen Intercession darstellen, und wenn dies von allen Organen der Regierung und der ihr zu Gebote stehenden Presse geschehen wäre, so würde ganz Frankreich in diesem Augenblick ebenso befriedigt sein und ebenso stolz auf das wieder hergestellte Prestige des Kaiserreichs blicken, als es nun nach der Entscheidung durch die Waffen ruft. Wenn diese unglückliche Frage der Garantie für die Zukunft, welche ja doch practisch kaum eine Bedeutung gehabt hätte, nicht gestellt wäre, wenn man der Kammer und der ganzen französischen Nation die Zurückweisung einer fernern Discussion von Seiten des Königs von Preußen nicht als eine Beleidigung des Vertreters Frankreichs dargestellt hätte, dann, Sire, wäre es noch möglich gewesen, dieses gefahrvolle Spiel mit den eisernen Würfeln des Krieges zu vermeiden — jetzt, Sire, ist es nicht mehr möglich! Unter den Umständen, welche jetzt geschaffen sind, können wir nur noch von Gott und unserm Muthe den Triumph des französischen Degens erwarten. Und meine Aufgabe wird es sein, Sire, mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen, durch den Einfluß der Körperschaft, an deren Spitze Eure Majestät mich gestellt haben, ganz Frankreich mit dem Muthe und der Begeisterung zu erfüllen, deren wir in dieser Katastrophe bedürfen. Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubniß, morgen mit einer Deputation des Senats vor Ihnen erscheinen zu dürfen, um die Gefühle auszusprechen, welche in diesem Augenblick ganz Frankreich beseelen müssen. Ich bitte Gott, daß die Befürchtungen, welche ich nicht ganz unterdrücken kann, welche ich aber in die verborgensten Tiefen meines Herzens zu verschließen für heilige Pflicht halte, niemals Wirklichkeiten werden mögen.“

Der Kaiser hatte ernst und sinnend den im Ton tiefer Überzeugung gesprochenen Worten des Herrn Rouher zugehört. Mit einer Bewegung voll herzlicher Freundlichkeit reichte er ihm die Hand und sprach.

„Der Würfel rollt, so bleibt nichts anderes übrig, als muthig zu erwarten, auf welche Seite er fallen wird. Das Unglück nicht zu fürchten, ist das beste Mittel, uns das Glück dienstbar zu machen.“

Herr Rouher verneigte sich schweigend und ging hinaus.

Napoleon blickte ihm lange sinnend nach.

„Vielleicht hat er Recht,“ sagte er, träumerisch vor sich hinblickend, „vielleicht hätte ich versuchen sollen, das Verhängniß aufzuhalten, — nun,“ sagte er tiefaufathmend, „vielleicht findet sich dazu noch der günstige Augenblick, vielleicht ist diese kalte Zurückweisung aller meiner Anerbietungen nur hervorgegangen aus der Voraussetzung, daß ich den letzten und entscheidenden Schritt zu thun nicht wagen würde. Wenn meine Armee schlagfertig an den Grenzen steht, wenn man sieht, daß ich zum vollen Ernst entschlossen bin, dann wird sich vielleicht noch einmal der Augenblick finden, um auf die Frage der Compensationen zurückzukommen, und ich werde dann in der günstigen Lage sein, daß nicht ich es bin, der Vorschläge macht und Anträge stellt.“

Er ging noch einige Augenblicke schweigend und tief nachdenkend auf und nieder; dann klingelte er und befahl seinen Wagen, um nach St. Cloud zurückzufahren.

Langsam fuhr er aus dem Hof der Tuilerien heraus und über den Place la
Concorde nach den Champs Elysées hin. Überall wogten dichte
Menschenmassen, und bis nach dem Bois de Boulogne hin wurde der Kaiser
mit enthusiastischen Hochrufen begrüßt.

„Nieder mit Preußen!“ rief man ihm aus allen Gruppen entgegen.

„Nach Berlin!“

Am Arc de Triomphe begegnete der Kaiser einem Bataillon der Voltigeurs der Garde, welches von einer Feldübung zurückkehrte und bestimmt war, in den nächsten Tagen nach Metz abzugehen.

Der Kaiser fuhr langsam im Schritt an den Soldaten vorbei, welche bei seinem Anblick ihre Käppis auf die Spitze der Bajonette steckten und laut sangen:

  „Ça ira, ça ira, ça ira — Bismarc à la lanterne,
   Ça ira, ça ira, ça ira — Bismarc on le pendra.“

Napoleon legte lächelnd die Hand an den Hut und lange noch klang seinem Wagen diese alte Melodie aus der Schreckenszeit der Revolution nach, welche der Soldatenwitz mit diesem neuen Text versehen hatte.

Der Arc de Triomphe glänzte im Licht der Abendsonne, ruhig blickte das steinerne Antlitz des großen Kaisers von dem stolzen Bau herab.

Die jubelnde Menge begleitete die Soldaten, in ihren Gesang einfallend, während der Kaiser in den frischen, zierlich gepflegten Park einfuhr, in welchem die elegante Welt von Paris ihre Abendpromenade machte, und über welchem am Horizont die gewaltigen Umrisse des Mont Valerien emporragten.

Alles war Freude, Jubel und stolze Siegeszuversicht, und kein Auge durchdrang den Schleier der Zukunft, hinter welchem unmittelbar das furchtbare Bild sich erhob, das die siegreichen deutschen Truppen zeigte, wie sie in geschlossenen Reihen durch diesen Triumphbogen des französischen Ruhmes einzogen, während aus den Tiefen von Paris jene finstern Mächte heraufstiegen, um die Denkmäler der Jahrhunderte in Schutt und Asche zu verwandeln.

* * * * *

Um dieselbe Zeit, während ganz Paris in jubelnder Aufregung sich befand, waren in einem bescheidenen Restaurant der Passage Jeouffroi die Officiere der früheren hannöverschen Legion versammelt.

Sie saßen finster um den Tisch, auf welchem der Kellner mit der großen weißen Schürze soeben ihr Diner zu serviren begann. Auf allen diesen jugendlichen kräftigen Gesichtern war keine Spur von der Heiterkeit ihres Alters zu entdecken, und Sorge und Kummer blickten aus Aller Augen.

Der Lieutenant von Tschirschnitz strich den vollen blonden Schnurrbart zur Seite und sprach, finster die Zähne zusammenbeißend, indem er sich zu dem neben ihm sitzenden Kriegscommissair Ebers, dem einzigen älteren Manne von der Gesellschaft wandte.

„Wie lange kann unsere Kasse noch reichen?“

„Vierzehn Tage vielleicht,“ erwiderte der Commissair Ebers achselzuckend, „wenn wir uns auf das Äußerste einschränken, und wenn wir alle unsere nothwendigsten Kleidungsstücke verkaufen, so können wir vielleicht noch weitere vierzehn Tage gewinnen, dann aber ist es jedenfalls aus.“

„Wer uns das gesagt hätte,“ rief der Lieutenant Götz von Ohlenhusen, indem er einen tiefen Zug aus einem vor ihm stehenden Seidel Dreherschen Bieres that, „als wir von Hannover auszogen und Alles im Stich ließen, um uns dem Dienst des Königs zu erhalten —“

„Der hätte uns jedenfalls einen großen Dienst geleistet,“ sagte Herr von Tschirschnitz, „ich hätte jetzt meine Kompagnie in Sachsen, eine ehrenvolle Stellung und eine schöne Carriere vor mir, während wir uns jetzt hier in einer Lage befinden, die in Wahrheit geeignet ist, selbst unserem bisher unzerstörbaren Humor den Todesstoß zu geben. Hier im fremden Lande ohne Mittel, ohne Stütze, ohne Anhalt — in Deutschland als Hochverräther verurtheilt! — Wir werden bald in der Lage sein, daß kein Fuß breit Erde, kein Athemzug Luft mehr in dieser Welt für uns übrig ist.“

„Was bleibt uns übrig,“ sagte Herr von Götz finster, „als uns irgendwo anwerben zu lassen. Man denkt ja daran, eine Fremdenlegion zu bilden.“

„Ein Glück für uns wäre es gewesen, wenn uns bei Langensalza eine Kugel getroffen hätte,“ rief der Lieutenant von Dinklage, indem er ein großes Glas Rothwein herunterstürzte und das leere Glas dann heftig auf den Tisch stieß, „dann wären wir doch in Ehren aus der Welt gekommen, in welcher wir doch keinen Raum mehr für ein anständiges Leben finden.“

Durch die Reihen der hier zahlreich versammelten Gäste trat schnell der
Major von Düring an den Tisch der Offiziere heran. Ihm folgte der
Regierungsrath Meding im Reiseanzug.

Die Offiziere erhoben sich.

„Mein Gott, Sie hier,“ rief Herr von Tschirschnitz, indem er dem Regierungsrath Meding die Hand reichte, „was führt Sie aus der Schweiz hierher? Will der König uns rufen? Will er irgend etwas unternehmen — in diesem Augenblick?“

„Nein, meine Herren,“ sagte der Regierungsrath, indem er die übrigen Offiziere herzlich begrüßte und mit Herrn von Düring an deren Tisch Platz nahm. „Ich komme nicht vom Könige, ich habe keine Verbindung mit Hietzing und erfahre nur zufällig und auf Umwegen, was dort vorgeht. Ich bin nur hergekommen, weil unser Schicksal uns so lange Zeit mit einander verbunden hat, und weil ich dringend wünschte, in diesem Augenblick der schwersten Krisis, die die Welt seit lange erlebt hat, als Ihr alter Freund und Ihr Genosse der Verbannung, Sie zu warnen und Sie auf das dringendste zu bitten, sich um Gottes Willen in keine gefährlichen und bedenklichen Unternehmungen einzulassen und allen Lockungen und Anforderungen zu widerstehen, sie mögen kommen, woher sie wollen.“

„Wir haben eben darüber gesprochen, was aus uns werden soll,“ erwiderte Herr von Tschirschnitz, „unsere Bezüge von Hietzing sind uns, wie Sie wissen, seit lange entzogen. Wir haben Alle unsere Baarschaft zusammengeschossen und damit diese Zeit her unter den äußerten Einschränkungen gelebt — der Augenblick ist sehr nahe, in welchem wir sämmtlich nichts mehr besitzen werden —“

„und in welchem uns nichts mehr übrig bleiben wird,“ rief Herr von Götz, „als uns, wenn es sein muß, als gemeine Soldaten anwerben zu lassen.“

„Um Gottes Willen, meine Herren,“ rief der Regierungsrath Meding, — „bedenken Sie, was Sie thun. Bedenken Sie, daß es sich in diesem Augenblick nicht um eine erneute Aufnahme des Kampfes von 1866 handelt. Bedenken Sie, daß in diesem Krieg das ganze Deutschland vereint gegen Frankreich steht. Bedenken Sie, daß jeder Deutsche, der in diesem Augenblick in irgend einer Weise auf der Seite der Feinde unseres gesammten Vaterlandes stünde, ewiger Schande verfallen müßte; daß die Verachtung der Franzosen selbst ihn treffen würde, und daß selbst im Falle eines französischen Sieges die deutsche Erde niemals wieder Raum für ihn haben würde. Deshalb bin ich hierher gekommen, um Sie auf das dringendste vor allen übereilten und verzweiflungsvollen Entschlüssen zu warnen. Ich bitte und beschwöre Sie, verlassen Sie Frankreich, gehen Sie nach der Schweiz und warten Sie dort die Ereignisse ab. Ich habe gehört, daß hier durch den Grafen Breda Versuche gemacht werden, die Trümmer der auseinander gesprengten Legion wieder zu vereinigen.“

Herr von Tschirschnitz lachte laut und höhnisch auf.

„Dieser Graf Breda,“ rief er, „ist ein Franzose, ein Agent des dunkelsten Ultramontanismus — daß er sich als Vertreter des Königs von Hannover gerirt und eine hannöversche Legion formiren will, das ist allerdings die Krone von allem, was bis jetzt geschehen.“

„Aber,“ fiel Herr von Düring ein, indem er sich zu dem Regierungsrath Meding wendete, „Sie kennen unsere Lage und ich kann Ihnen nur wiederholen, was ich Ihnen schon sagte, als ich Sie vom Bahnhof hierherbrachte, was bleibt uns denn anders übrig, als uns irgendwo auf die möglichst anständige Weise todtschießen zu lassen. Wir haben keine andere Rettung aus unserer Lage.“

Der Regierungsrath Meding blickte sinnend vor sich nieder.

„Jedes Schicksal ist besser,“ sagte er, „als in den Reihen der Feinde des vereinigten Deutschlands zu fallen, und noch ist ja nicht jede Möglichkeit der Rettung ausgeschlossen. Lassen Sie mich handeln. Ich kann Ihnen nichts versprechen — aber es giebt vielleicht noch einen Weg, der Sie alle mit Ehren vom Rande des Abgrundes zurückführt und Ihnen eine freundliche Zukunft öffnen kann — lassen Sie mich meinen Weg gehen, ich habe ein Gefühl, das mir sagt, er werde zum guten Ende führen. Versprechen Sie mir nur das Eine, daß Sie sich in keine Unternehmungen gegen Deutschland hineinziehen lassen, und daß Sie auch in der verzweiflungsvollsten Lage des Augenblicks nicht den Muth verlieren — den Sie sich ja so lange erhalten haben — versprechen Sie mir das, meine Herren, und wenn es sein kann, verlassen Sie Frankreich so schnell als möglich und geben Sie mir Nachricht, wo Sie zu finden sind — ich hoffe, daß Sie von mir hören sollen. Ich muß Sie wieder verlassen,“ fuhr er fort, „ich muß noch mit dem nächsten Zug wieder abreisen. Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, was ich Ihnen gesagt habe und bitte Sie nochmals um Ihr Versprechen, nichts gegen Deutschland zu unternehmen.“

Er reichte Herrn von Tschirschnitz die Hand.

Dieser schlug kräftig ein und sagte mit bewegter Stimme:

„Ich verspreche es, möge kommen, was da wolle.“

Die übrigen Herren wiederholten die Worte.

„Und ich, meine Herren,“ rief der Regierungsrath Meding, „verspreche Ihnen, daß ich nicht ruhen und rasten will, bis es mir gelungen ist, einen Weg der Rettung zu finden. Leben Sie wohl, und so Gott will, auf baldiges Wiedersehen.“

Er wandte sich tief ergriffen ab, verließ mit Herrn von Düring das Local und stieg mit demselben an der Ecke der Passage in einen dort bereit stehenden Fiaker, in welchem sich bereits sein Diener mit dem kleinen Reisegepäck befand.

Sie kamen auf dem Ostbahnhof eine Viertelstunde vor Abgang nach Basel an. Ernst und schmerzlich bewegt, ging der Regierungsrath Meding mit dem Major von Düring in der großen Vorhalle auf und nieder, von welchem man den großen Platz vor dem Bahnhof und die weite Reihe der neuen Boulevards überblickte, welche bereits im Schein der Gaslaternen schimmerten und auf denen sich eine zahlreiche jubelnde und lärmende Menschenmenge hin und her bewegte.

„Der Anblick dieses Paris,“ sagte der Regierungsrath Meding, „in seinem trunkenen Rausch ist mir tief schmerzlich. Ich liebe Frankreich, und diese Stadt Paris ist mir fast zu einer lieben Heimath geworden. Und ich sehe eine furchtbare Zeit über dies Land und diese schöne Stadt mit ihrem wunderbar reichen Leben heraufziehen, eine Zeit, welche alle diese Jubelklänge, die da jetzt zu uns herübertönen, in Jammer und Wehklage verwandeln wird.“

„Sie glauben an die Niederlage Frankreich,“ fragte Herr von Düring, „an eine so schwere Niederlage?“

„Ich bin von derselben überzeugt,“ erwiderte der Regierungsrath. „Ich bin gestern von Basel herauf bis hierher durch die nach der Grenze hin sich bewegenden Truppen gefahren, aber was ich gesehen habe, läßt mich nur das Traurigste für Frankreich erwarten. Überall habe ich Truppen der verschiedensten Waffen ohne Officiere, Cavallerie ohne Pferde, Geschütze auf den Eisenbahnwagen ohne Bespannung gesehen. Alle diese Leute waren im Zustande der unnatürlichen Aufregung, die meisten berauscht, und wenn ich sie fragte, wohin sie gingen, zu welchem Corps sie gehörten, so konnten sie mir keine genügende Antwort geben, die Meisten antworteten mit dem fanatisch stereotypen Ruf „nach Berlin“. Mit solchen Truppen schlägt man die preußische Armee nicht und der Elan, von dem man so viel spricht, wird wie ein vorübergehender Rausch schnell vor der ruhigen und sichern Taktik der deutschen Heeresleitung verfliegen. Glauben Sie mir,“ fuhr er fort, indem er noch einmal wehmüthig über die glänzenden Reihen der Boulevards hinblickte, „Frankreich wird einen furchtbaren Schlag zu erleiden haben, und das Kaiserreich mit allem seinem Glanz wird vielleicht unter diesem Schlage zusammenbrechen — ich habe hier lange die Elemente beobachtet, welche in der Tiefe der Gesellschaft sich organisirt haben und sie werden nicht zögern, heraufzusteigen, um von unten her das Gebäude zu zersprengen, wenn dessen Zinnen unter den Schlägen der deutschen Waffen fallen werden.“

Das Signal zur Abfahrt des Zuges ertönte.

„Noch einmal, lieber Düring,“ sagte der Regierungsrath Meding, indem er sich am Eingang des Wartezimmers von dem Major verabschiedete, „halten Sie den Muth unserer Freunde aufrecht und sorgen Sie dafür, daß auf unsere, so lange mit Ehren vertheidigte Sache kein Flecken falle.“

Mit Thränen in den Augen trennten sich die beiden mehrjährigen Genossen der Verbannung. Der Regierungsrath Meding stieg in das Coupé und fuhr unter dem gellenden Pfeifen der Locomotive in die Nacht hinaus, während der Major von Düring ernst und traurig über die hellen Boulevards hin zu seinen Kameraden zurückkehrte, um in den Herzen dieser tapfern und treuen Diener einer untergegangenen Sache, welche Heimath und Vaterland, Vergangenheit und Zukunft verloren hatten, die letzten Funken der Hoffnung und des Muthes wieder anzufachen.

Elftes Capitel.

Die Verlobung der Tochter des Commerzienrath Cohnheim mit dem jungen Baron von Rantow war wenige Tage nach der Erledigung der zwischen ihm und dem Lieutenant von Büchenfeld entstandenen Differenz proclamirt worden.

Der Commerzienrath hatte es sich nicht nehmen lassen, bei dieser Gelegenheit ein großes Fest zu veranstalten, bei welchem die zahlreichen Bekannten des Barons zu seiner und seiner Gemahlin höchsten Befriedigung eine Menge hoch aristokratischer Namen und Erscheinungen in seine Salons führten.

Der kleine Commerzienrath schwamm in Entzücken. Noch behaglicher als sonst eilte er hin und her, indem er in gelegentlichen Gesprächen seinem alten Freunde aus der Finanzwelt auf alle diese Elemente der ersten Gesellschaft aufmerksam machte, die sich jetzt bei ihm vereinigten.

Die Commerzienräthin war noch steifer, noch würdevoller, noch unnahbarer als sonst, und Fräulein Anna überstrahlte Alle durch ihre Schönheit und die ausgesuchte Eleganz ihrer Toilette. Aber jener Ausdruck kindlich freier Heiterkeit, welcher früher in ihren Augen gelegen hatte, war verschwunden. Kalt und stolz wie eine Königin blickte sie umher, mit ruhig und sicher gewählten Worten beantwortete sie die Gluckwünsche, welche man an sie richtete, und wenn sie lächelte, so schien es fast, als ob höhnischer Spott mehr Antheil an ihrem Lächeln habe, als die glückliche Freude der Braut.

Der junge Herr von Rantow war dann täglich im Hause des Commerzienraths erschienen, hatte für seine Braut alle Höflichkeit und Aufmerksamkeit, welche dieselbe irgend erwarten konnte und welche sie ebenso höflich und freundlich entgegennahm. Doch war keine innere Annäherung zwischen den beiden jungen Leuten eingetreten. Herr von Rantow blieb mit vollkommenem Takt in einer gewissen Zurückhaltung und Fräulein Anna war ihm dafür von Herzen dankbar und nahm mit um so größerer Aufmerksamkeit alle äußeren Rücksichten, welche ihr Verhältniß erforderte, entgegen; so daß die Commerzienräthin äußerst befriedigt war und ihrer Tochter häufig anerkennende Worte über ihr Verhalten sagte, das so vollkommen dem Brautstand zwischen vornehmen und distinguirten Personen entsprach.

Herr von Rantow hatte sein Staatsexamen überstanden, und die Hochzeit
war für den September festgesetzt, bis zu welcher Zeit der für die
Aufnahme des jungen Paares bestimmte Flügel des Schlosses auf dem
Rantow'schen Familiensitz hergestellt sein sollte, zu dessen
Ausschmückung der Commerzienrath nicht müde wurde, von überall her das
Schönste und Kostbarste an Mobilien und Stoffen kommen zu lassen.

Da brach mitten in diese Vorbereitungen die große Catastrophe herein, welche ganz Europa bewegte. Und wie diese Catastrophe die Fürsten und Diplomaten aus ihren Villeggiaturen und Badekuren aufschreckte und in den furchtbaren Ernst des Lebens zurücktrieb, so unterbrach sie auch die Vorbereitungen zu der Verbindung des Barons von Rantow mit Fräulein Anna Cohnheim.

Sorgenvoll ging der Commerzienrath einher. Es war nicht nur der Aufschub des von ihm so sehnlichst gewünschten Familienereignisses, welcher ihn bewegte und bekümmerte — der plötzlich hereinbrechende Krieg griff auch zerstörend in alle seine finanziellen Operationen ein. Die Unternehmungen, welche er mit dem Baron verabredet hatte, mußten natürlich vorläufig bis zur Wiederkehr ruhiger Verhältnisse aufgeschoben werden.

Der junge Baron von Rantow war zur Zeit seines Eintritts in das militairpflichtige Alter wegen der Anlage zu einem Brustleiden, die ohne unmittelbar gefährlich zu werden, ihm große körperliche Anstrengungen unmöglich machte, für dienstunfähig erklärt. Von dieser Seite hätte daher der Verbindung der beiden jungen Leute nichts entgegen gestanden. Indeß Fräulein Anna erklärte mit großer Bestimmtheit, daß sie vor dem Ende des Krieges, welcher das ganze Vaterland in so große Gefahr stürzte und so viel Trauer in zahlreiche Familien bringen müßte, an die Hochzeit nicht denken wolle.

So war denn die Hochzeit wieder in unbestimmte Fernen hinausgeschoben.

Am Vormittage des verhängnißvollen einunddreißigsten Juli, an welchem der König Berlin verlassen sollte, um zur Armee sich zu begeben, befand sich die Commerzienräthin Cohnheim bei dem Baron von Rantow und seiner Gemahlin.

Die Königin Augusta hatte wenige Tage zuvor einen Aufruf an alle Frauen des Vaterlandes erlassen, um Hülfsmittel für die Verpflegung der Verwundeten an den Rhein zu senden. Und die Commerzienräthin hatte mit Eifer diese Gelegenheit ergriffen, um sich der Baronin von Rantow anzuschließen bei der Bildung eines kleinen Damenvereins zur Erfüllung dieser patriotischen Aufgabe.

Sie war mit ihrer Tochter gekommen, um das Nähere über die Organisation der Thätigkeit dieses Vereins zu verabreden, und Frau von Rantow hatte mit einer gewissen, kalten Zurückhaltung den sehr beträchtlichen Beitrag in Empfang genommen, welchen die Commerzienräthin für die Zwecke des Vereins ihr überreichte.

Die beiden Damen sprachen eifrig über die zweckmäßigste Herstellung von Charpie und Verbandzeug, während der Baron sich mit Fräulein Anna unterhielt, für welche er eine besonders sympathische Zuneigung gefaßt hatte, und welcher er stets mit um so größerer Herzlichkeit begegnete, je weniger es ihm möglich war sich dem Commerzienrath und seiner Gemahlin, deren ganzes Wesen von seinen Lebensanschauungen so tief verschieden war, zu nähern.

„Wir sind glücklicher,“ sagte er, „als so viele andere Familien, deren Söhne zu den Gefahren des Krieges hinausziehen müssen, und doch macht es mich fast traurig, daß in einem Augenblick, wo die ganze Jugend des Landes unter den Fahnen des Königs ins Feld zieht, der Name der Rantows in den Reihen der Armee nicht vertreten ist. Das Gefühl des Vaters und des Patrioten streiten in mir mit einander, und oft möchte ich fast wünschen, daß auch mein Sohn berufen wäre zu dem großen nationalen Kampf.“

„Es bleibt ja auch hier noch genug zu thun,“ erwiderte Fräulein Anna in einem ziemlich kalten und gleichgültigen Ton. „Der Staat braucht ja auch während des Krieges Beamte, vielleicht wäre es gut, wenn Ihr Sohn wenigstens bis zur Beendigung des Krieges seine Carriere wieder aufnehmen würde. Für uns Frauen,“ fuhr sie lebhafter fort, „bildet ja die Zeit ein reiches Feld der Thätigkeit, und ich fühle den lebhaftesten Wunsch, hinauszugehen, um als Pflegerin der Kranken in dieser großen Zeit meine Pflicht zu erfüllen.“

„Sie, mein Kind,“ rief der Baron erstaunt, „Sie, gewöhnt an alle
Bequemlichkeiten des Lebens, fast ein wenig verwöhnt, Sie wollten sich
einer so mühevollen angreifenden Thätigkeit widmen, welche Ihre zarten
Kräfte vielleicht bald aufreiben möchte.“

„Meine zarten Kräfte?“ — sagte Fräulein Anna, die Achseln zuckend, „und wären sie es, — der feste Wille und die Begeisterung für eine große Sache sind im Stande, auch die schwächste Kraft stark zu machen. Und wofür könnte ein Frauenherz sich höher begeistern, als dafür, die Leiden Derjenigen zu erleichtern, welche heldenmüthig ihr Blut und Leben zum Schutz des Vaterlandes, zu unserm Schutz dahin geben. Glauben Sie mir, Herr Baron, ich würde nicht ermatten in einem so hohen und heiligen Beruf. Und wenn der Krieg fortschreitet,“ fuhr sie ernst mit dem Ausdruck eines festen Entschlusses fort, „wenn die Lazarethe sich füllen werden und das Bedürfniß nach weiblicher Pflege immer größer und größer werden wird, dann werde ich doch noch die Erlaubniß meiner Eltern erhalten, dem Zuge meines Gefühls zu folgen, und ich bin überzeugt, daß viele Frauen denken und handeln werden, wie ich.“

Der junge Herr von Rantow trat ein. Er war ernster als sonst, der gleichgültige, oberflächliche Ausdruck, welcher gewöhnlich auf seinem Gesicht lag, war verschwunden. Eine gewisse stolze Befriedigung blickte aus seinen Augen.

„Ich habe einen Entschluß gefaßt,“ sagte er, nachdem er die Damen begrüßt hatte, „einen Entschluß, den meine theure Anna gewiß billigen wird und mit dem auch Du, mein Vater, zufrieden sein wirst.“

Fragend blickte Fräulein Cohnheim auf ihren Verlobten.

„Ich habe,“ fuhr dieser fort, „mich zur Aufnahme in den Johanniterorden gemeldet. Du wünschtest das früher, mein Vater, um mir eine ehrenvolle Decoration zu verschaffen, in dieser Zeit gewinnt das Zeichen des Johanniterordens, zu welchem meine Geburt mich berechtigte, eine höhere und ernstere Bedeutung. Ich habe so eben die Mittheilung erhalten, daß meine Bewerbung angenommen werden wird und habe zugleich die Bitte gestellt, wenn eine Annahme erfolgen sollte, mich einer der Deputationen beizuordnen, welche die Armee zur Leitung der Krankenpflege begleiten werden. So werde auch ich im Stande sein, das Meinige in dem Kampf zu thun und die Pflicht zu erfüllen, welche mein Name mir auflegt und zu welcher mein Gefühl mich treibt.“

Der Baron neigte zustimmend den Kopf.

Fräulein Anna erhob sich schnell und reichte ihrem Verlobten die Hand, indem aus ihrem Blick ein warmes Gefühl leuchtete, wie sie es bisher noch nie dem jungen Manne gegenüber gezeigt hatte.

„Ich danke Ihnen von Herzen für diesen Entschluß,“ sagte sie mit herzlichem Ton, „und da Sie ihn gefaßt haben, darf ich Ihnen sagen, daß mich der Gedanke betrübt hat, Sie in dieser Zeit hier zurückbleiben zu sehen — Sie werden das nicht mißverstehen,“ fügte sie hinzu, „meine treuesten und aufrichtigen Wünsche werden Sie begleiten.“

Herr von Rantow küßte die Hand seiner Braut, seine Mutter blickte liebevoll zu ihm hinüber, und die Commerzienräthin richtete sich hoch auf, indem sie mit feierlicher Stimme sagte:

„Das ist ein sehr edler Entschluß, ganz meines vortrefflichen
Schwiegersohns würdig.“

Der Diener trat ein, meldete den Oberstlieutenant und den Lieutenant von
Büchenfeld.

Schnell erhob sich der Baron, um den Herren entgegen zu gehen.

Die Commerzienräthin warf einen scharfen und strengen Blick auf ihre
Tochter.

Fräulein Anna zuckte zusammen und machte eine Bewegung, als wolle sie das Zimmer verlassen, dann aber faßte sie sich, tief erbleichend stützte sie die Hand auf die Lehne eines neben ihr stehenden Sessels. Kalte und stolze Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht.

Der Oberstlieutenant und sein Sohn traten ein. Der alte Herr trug Uniform, sein Gesicht strahlte vor freudiger Aufregung. Der Lieutenant folgte ihm ernst und still, als er Fräulein Anna und den jungen Herrn von Rantow erblickte, flog eine dunkle Röthe über sein Gesicht. Dann näherte er sich Frau von Rantow, begrüßte dieselbe ehrerbietig und verneigte sich mit kalter Höflichkeit gegen die Übrigen.

Die Commerzienräthin saß gerade und steif da und erwiderte den Gruß der eintretenden Herren mit einer kaum bemerkbaren Neigung des Kopfes.

„Ich bringe Ihnen noch einmal meinen Sohn, gnädige Frau,“ sagte der Oberstlieutenant, „er muß noch heute zu seinem Regiment abgehen, um in die beste Kriegsschule hinauszuziehen, — draußen im Felde, wo man in einem Monat mehr lernt, als in Jahren hinter den Büchern. Er wollte in der Eile gar keine Besuche machen, aber hier von den alten Freunden seines Vaters muß er sich doch verschieden, bevor er auszieht, um sich den Feldmarschallstab zu erkämpfen,“ fügte er lächelnd hinzu. „Er hat es glücklich getroffen, mir wurde es in meiner Jugend nicht so gut, ich habe mich während meiner besten Jahre durch den ewigen Garnisonsdienst hindurch schleppen müssen, in welchem Körper und Geist müde werden.“

„Unsere herzlichsten Wünsche werden Sie begleiten,“ sagte Frau von Rantow zu dem jungen Officier. „Aber Sie, lieber Büchenfeld,“ fuhr sie lächelnd fort, „tragen ja auch wieder Uniform, Sie wollen doch nicht etwa auch mit hinausziehen —“

„Wollte Gott, ich könnte es,“ sagte der Oberstlieutenant traurig, „doch mein Podagra sorgt schon dafür, daß ich hier bleiben muß. Aber,“ fuhr er, sich militairisch aufrichtend, fort, „ich habe mich um ein Etappencommando beworben und es erhalten und so habe ich doch wenigstens das Herzeleid nicht, daß ich in dieser Zeit unthätig im Civilrock einhergehen muß. Ich kann wenigstens die alte Uniform tragen und dem Könige dienen, so gut es mir noch möglich ist.“

Der Oberstlieutenant und sein Sohn blieben etwa eine Viertelstunde lang, während welcher die Unterhaltung fast ausschließlich von dem alten Herrn und dem Baron geführt wurde.

Der Oberstlieutenant war in sprudelnd heiterer Laune, im Herzen des alten Soldaten fand der Gedanke an die Gefahren, denen sein Sohn entgegen ging, keinen Platz, für ihn war der Krieg der Beruf des Officiers, er dachte nur an die Hoffnung auf Ruhm und Ehre, welche dieser Krieg in sich schloß und fühlte sich neu geboren in dem Gedanken, daß auch er in dieser großen Zeit noch einmal in der Lage sei, Dienst zu thun und den Rock des Königs zu tragen.

„Wir müssen aufbrechen,“ sagte er endlich, „ich weiß noch nicht, wo meine Bestimmung sein wird und erwarte dieselbe stündlich, — mein Sohn hat nur noch kurze Zeit bis zu seiner Abreise.“

Er küßte mit ritterlicher, etwas altmodischer Galanterie der Frau von
Rantow die Hand und drückte lange und herzlich die Rechte des Barons.

Der Lieutenant, welcher während der ganzen Zeit ernst und stumm mit niedergeschlagenem Blick da gesessen hatte, erhob sich, in rascher Bewegung trat der junge Herr von Rantow auf ihn zu.

„Lebe wohl, Büchenfeld,“ sprach er, — „in einer Zeit, wie die jetzige, muß jeder vergangene Groll vergessen werden. Gott schütze Dich! Ich werde mit den Johannitern der Armee folgen und sollte Dir ein Unglück begegnen, so hoffe ich, daß ein gütiges Schicksal mich zu Dir führen wird, um Dir beizustehen.“

Der Lieutenant hatte bei den Worten des Barons eine unwillkürliche Bewegung gemacht, als wolle er von demselben zurücktreten. Abermals färbte sich sein Gesicht mit dunklem Roth, er schlug die Augen auf und richtete seine Blicke an dem Baron vorbei, mit bitterem, feindlichem Ausdruck auf Fräulein Anna.

Das junge Mädchen sah ihn mit großen Augen an. Aus diesen Augen strahlte es wunderbar und eigenthümlich zu ihm hin, es lag darin wie eine Bitte, wie eine Frage, ihre Lippen öffneten sich, als wolle sie sprechen, aber nur ein leiser Hauch drang aus denselben hervor und wie unwillkürlich streckte sie zitternd die Hand nach ihm aus.

Ein tiefer Athemzug hob die Brust des Lieutenants, sein kalter, harter Blick wurde weicher und weicher. Kräftig drückte er die Hand des Herrn von Rantow und sagte mit fast erstickter Stimme:

„Vergessen und vergeben!“

Dann trat er rasch, wie einem übermächtigen Zuge folgend, zu Fräulein Anna hin, deren Hand noch immer leicht erhoben, sich gegen ihn ausstreckte und deren Augen mit immer tieferer Innigkeit auf ihm ruhten. Er ergriff die Hand des jungen Mädchens, drückte seine Lippen auf dieselbe und fast unhörbar, nur ihr verständlich, hauchten seine Lippen nochmal die Worte:

„Vergessen und vergeben!“

Dann wandte er sich schnell um und mit kurzer rascher Verbeugung eilte er seinem Vater nach, welcher, von dem Baron geleitet, bereits das Zimmer verlassen hatte, während Fräulein Anna, die Hände faltend, auf einen Stuhl niedersank und ihm mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer nachsah.

* * * * *

König Wilhelm stand an seinem Schreibtisch neben dem Fenster seines Arbeitszimmers. Der König trug den Militairüberrock und blickte mit tiefem Ernst auf den Ministerpräsidenten Grafen Bismarck, welcher in der Uniform des Magdeburgischen Cürassierregiments No. 7 vor Seiner Majestät stand und die letzten noch vor der Abreise zu erledigenden Vortragssachen beendet hatte.

„So ist denn,“ sagte der König, „Alles vorbereitet, was menschliche Berechnung vermag, um nach allen Seiten hin in ungehemmter Spannung unsere Kräfte entfalten zu können, — unser Haus ist bestellt, die Armee ist in ordnungsmäßiger Bewegung und es ist nun an unserem Alliirten da oben, mit uns hinauszuziehen in den Kampf, an dem wir wahrlich unschuldig sind und uns den Sieg zu verleihen, wie er ihn uns schon einmal gab gegen den Übermuth desselben Feindes.“

„Und dieser Sieg wird nicht fehlen, Majestät,“ rief Graf Bismarck, indem seine linke Hand sich fest um den Griff seines Pallaschs spannte, — „er wird schneller und entscheidender kommen, als die Welt ihn erwartet und er wird Alles, was sich im deutschen Nationalleben in diesen Jahren vorbereitet hat, zu herrlicher Erfüllung bringen. Meine Zuversicht steht fest — in diesem Kampfe wird Deutschlands glänzende Zukunft entschieden werden!“

Auch über das Gesicht des Königs zog der lichte Schimmer freudiger
Siegeszuversicht, — aber er sprach sie nicht aus und nachdem er einige
Augenblicke schweigend vor sich niedergeblickt hatte, wendete er sich zu
seinem Schreibtisch und ergriff einen dort liegenden Bogen Papier.

„Wir haben Alles geordnet,“ sagte er, die wenigen Zeilen überlesend, welche dieser Bogen enthielt, — „wir haben die diplomatischen Fäden gezogen, — um unsere wohlwollenden Freunde“ fuhr er mit eigenthümlichem Lächeln fort, „in ihrer neutralen Haltung zu befestigen, — wir haben für die Regierung während meiner Abwesenheit gesorgt. Unsere Pflichten liegen jetzt draußen bei der Armee, — ich habe jetzt nur noch ein Bedürfniß meines Herzens zu erfüllen, das ist ein letztes Wort des Abschieds an mein Volk zu richten, — wenn mich auch die Hoffnung erfüllt, daß wir mit Gott den Sieg erringen werden, so gehen wir doch einer schweren Zeit entgegen, und Niemand vermag zu berechnen, wie bald ich wieder nach der Heimath werde zurückkehren können. Auch kann,“ sprach er mit tiefem Ernst, „eine feindliche Kugel da draußen mein Leben enden. In diesem Augenblick fühle ich mehr wie je den innerlich tiefen Zusammenhang, ich möchte sagen, die Blutsverwandtschaft, welche mich, wie alle Könige meines Hauses mit dem preußischen Volk verbindet, und ich möchte all den Meinen ein so recht herzliches Abschiedswort sagen und ihnen auch eine Gabe des Abschieds geben, die beste Gabe, welche mir zu geben mein königliches Recht vergönnt, — ich möchte in dem Augenblick, in welchem ich hinausziehe zu schwerem Entscheidungskampf, hinter mir den Frieden zurücklassen, — den Frieden und die Versöhnung!“

Erwartungsvoll blickte Graf Bismarck mit seinen hellen, klaren Augen den
König an, welcher wie zögernd, als suche er die Worte für seine
Gedanken, sagte:

„Die letzten Jahre haben viel Verwirrung in Deutschland hervorgerufen, manches an sich edle Gefühl hat viele meiner Unterthanen, namentlich meiner neuen Unterthanen auf Irrwege geführt und mit der nothwendigen Strenge der Gesetze in Conflict gebracht — jetzt, wo ganz Deutschland einmüthig in den Kampf hinauszieht, möchte ich dazu beitragen, jenen Verwirrungen Lösung zu bringen im edelsten und besten Sinne, jetzt, wo ich Gott um Beistand anrufe in dem mir aufgedrungenen Krieg, möchte ich auch die herrliche Lehre des Christenthums befolgen, — die Lehre der Vergebung und nach den Worten handeln. Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet. — Der letzte Abschiedsgruß an mein Volk soll deshalb zugleich eine Amnestie enthalten für alle politischen Verbrechen und Vergehen. Liebe und Versöhnung soll die Vergangenheit abschließen, damit wir freien und leichten Herzens der Zukunft entgegengehen können.“

Er hob den Bogen Papier empor und las langsam, mit tief bewegter Stimme:

„An mein Volk! Indem ich heute zur Armee gehe, um mit ihr für
Deutschlands Ehre und für Erhaltung ihrer höchsten Güter zu kämpfen,
will ich im Hinblick auf die einmüthige Erhebung meines Volkes eine
Amnestie für politische Verbrechen und Vergehen ertheilen.“

„Ich habe das Staatsministerium beauftragt, mir einen Erlaß in diesem
Sinne zu unterbreiten.

„Mein Volk weiß mit mir, daß Friedensbruch und Feindschaft wahrhaftig nicht auf unserer Seite waren.

„Aber herausgefordert, sind wir entschlossen, gleich unsern Vätern und in fester Zuversicht auf Gott, den Kampf zu bestehen zur Errettung des Vaterlandes.“

Er hielt inne und blickte wie fragend auf den Ministerpräsidenten, dessen Züge in mächtiger Rührung zuckten.

„Majestät,“ sagte er, auf die stumme Frage des Königs antwortend, „an diesem Erlaß darf kein Titelchen geändert werden. Es ist das königlichste Wort, das ein christlicher Fürst zu seinen Unterthanen sprechen kann, einfach und groß, wie die Zeit. Und dies königliche Wort wird einen mächtigen Wiederhall finden in allen Herzen.“

Der König neigte den Kopf, wandte sich dann zu seinem Schreibtisch, ergriff eine Feder und setzte mit kräftigen Zügen seinen Namen unter das Papier, das er dem Ministerpräsidenten reichte.

„Sorgen Sie für die Veröffentlichung und für die schleunige Vorlegung des Amnestieerlasses. Nun sind die Geschäfte hier beendet,“ sprach er mit tiefem Athemzug, „ich habe für die Meinigen das Werk des Friedens und der Liebe gethan. Jetzt soll die Spitze unseres Schwertes sich gegen die Feinde richten.“

„Noch möchte ich,“ sagte der Ministerpräsident, „eine Bitte an Eure Majestät richten, eine Bitte, deren Erfüllung ein schöner Nachklang zu dem großen Wort ist, das Eure Majestät soeben gesprochen. Eure Majestät wissen,“ fuhr er fort, als der König ihn fragend ansah, „daß wir von der früher so weit verbreiteten Agitation in Hannover nichts mehr zu befürchten haben, die früheren Führer derselben sind vom Könige Georg getrennt und entschlossen, in diesem Nationalkampf nichts gegen Deutschland zu thun. Einzelne Personen in Hannover, welche vielleicht zu gefährlichen Unternehmungen irre geleitet werden könnten, sind in Sicherheit gebracht, um sie vor sich selbst zu schützen, und um sie durch eine kurze Haft der Möglichkeit zu entziehen, Dinge zu unternehmen, für welche sie in der gegenwärtigen Zeit mit der ganzen Schwere des Gesetzes gestraft werden müßten.“

„Ich weiß, ich weiß,“ sagte der König — „auch der Verdacht gegen den
Grafen Wedell hat sich nicht betätigt? —“

„Nein, Majestät,“ sagte der Ministerpräsident, „Graf Wedell steht mit der Agitation in keiner Verbindung mehr, und es freut mich das um so mehr, da seine ganze Familie ohnehin durch die Ereignisse schwer getroffen ist — doch,“ fuhr er dann fort, „wovon ich Eurer Majestät sprechen wollte, das ist das Schicksal aller hannöverschen Officiere, welche mit der Emigration nach Frankreich gegangen waren und dort die sogenannte Welfenlegion commandirten.“

„Nun?“ fragte der König.

„Diese Officiere, Majestät,“ sprach Graf Bismarck weiter, „befinden sich, wie ich höre, in einer verzweiflungsvollen Lage. Sie waren in Deutschland geächtet, — das ist durch Eurer Majestät großmüthige Amnestie beseitigt — aber sie sind ohne Subsistenzmittel, sie sind sogar der französischen Regierung verdächtigt, und ihre Lage ist derartig, daß nach den Äußerungen Einzelner, die mir mitgetheilt sind — ihnen nichts übrig bliebe, als sich irgendwo mit Anstand todtschießen zu lassen.“

„Die armen, jungen Leute,“ sagte der König — „sie haben sich schwer vergangen, aber es sind doch brave junge Männer und ihre Handlungsweise ist doch nur hervorgegangen aus einem irre geführten, aber innerlich edlen und richtigen Gefühl der Anhänglichkeit an ihren frühern Herrn — was kann ich für sie thun?“ fragte er mit weicher, milder Stimme.

„Majestät,“ sagte Graf Bismarck, „politisch liegt kein Grund vor, ihnen zu Hülfe zu kommen, sie können nicht gefährlich werden, und wenn sie wirklich, durch die Noth gedrängt, sich zu irgend einer strafbaren Handlung hinreißen ließen, so würde dadurch in den Augen von ganz Deutschland die welfische Agitation und alle etwa für dieselbe noch begehende Sympathie vollkommen und für immer vernichtet werden. Aber ich glaube nicht, Majestät,“ fuhr er im wärmeren Ton fort, „daß jenen armen jungen Leuten gegenüber politische Betrachtungen in diesem Augenblick maßgebend sein können. Jene Unglücklichen sind von aller Welt verlassen, sie sind die Opfer ihrer irregeleiteten, aber doch immerhin edlen Treue geworden, und ich möchte Eure Majestät bitten, ihnen zu helfen und ihnen eine Grundlage für ein neues Leben zu gewähren.“

„Mit Freuden,“ rief König Wilhelm lebhaft, „schlagen Sie mir vor, was ich thun soll.“

„Majestät,“ erwiderte Bismarck, „es befinden sich unter diesen Emigranten frühere Offiziere verschiedener Grade, darnach aber zwischen ihnen einen Unterschied zu machen, ist nicht möglich, — der König Georg hat im Exil noch Ernennungen vorgenommen, die doch nicht in Betracht gezogen werden können. Ich würde daher Eurer Majestät unterthänigst vorschlagen, sie Alle gleich zu behandeln und Jedem von ihnen eine lebenslängliche Pension von zwölfhundert Thalern zu geben, damit haben sie eine Basis für ihre Existenz und einen Ersatz für ihre zerbrochene Carriere.“

„Genehmigt,“ rief der König, „genehmigt, mein lieber Graf, es thut mir unendlich wohl, diesen armen jungen Leuten helfen zu können, und ich danke Ihnen, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht und mir Gelegenheit gegeben, noch vor meiner Abreise dies gute Werk zu thun.“

Und leise die Lippen bewegend, flüsterte er vor sich hin:

„Thut wohl denen, die Euch verfolgen.“ — —

„Es müßte dann,“ sagte Graf Bismarck, „eine Garantie von ihnen gegeben werden, daß sie nicht etwa abermals mißleitet werden —“

„Sie sollen ihr Ehrenwort geben, nichts gegen mich zu unternehmen, das genügt,“ sagte der König, „sie haben die Gesetze verletzt, aber ihre Ehre trifft kein Vorwurf und ihrem Ehrenwort will ich glauben.“

„Eure Majestät haben durch diesen Entschluß,“ sagte Graf Bismarck, „einer Anzahl junger und hoffnungsvoller Herzen Leben und Zukunft wieder gegeben, und auch das wird zum Segen unserer Waffen werden. So ist denn auch diese letzte schmerzliche Dissonanz des Jahres 1866 im schönen und wohlthuenden Accord geendet und nun, Majestät, —

Vorwärts mit Gott für König und Vaterland.“

„Auf Wiedersehen am Bahnhof, mein lieber Graf,“ sagte der König, „wir werden hier wohl lange nicht wieder zusammen arbeiten —“

„Dann aber, Majestät,“ rief Graf Bismarck mit leuchtendem Blick, „wird der preußische Adler seinen höchsten Siegesflug vollendet haben, und eine neue, strahlende Krone wird über seinem Haupte glänzen.“

Er ergriff seinen Stahlhelm, der neben ihm auf einem Stuhl lag, richtete sich hoch empor und verließ mit militairischem Gruß das Cabinet.

Der König trat an's Fenster und richtete den sinnenden Blick auf das Standbild Friedrich des Großen. Er bewegte leise die Lippen, ohne daß hörbare Worte aus denselben hervordrangen.

War es ein Gebet, das er sprach, — oder verkehrten seine Gedanken mit dem Geiste seines großen Ahnherrn, der zuerst das alte Brandenburg in Wahrheit zu einer Großmacht Preußens erhoben, der der Königskrone Friedrich I. das schneidige siegreiche Schwert hinzugefügt hatte und der wieder seinen Nachkommen die hohe Aufgabe hinterlassen hatte, durch preußischen Geist und preußische Kraft einst das zerbröckelte Deutschland zu einiger Macht und Herrlichkeit wieder aufzurichten?

Die auf dem Platz vor dem königlichen Palais versammelte Menge erhob beim Anblick des Königs die Hüte und laute Rufe grüßten den Monarchen.

Der König dankte freundlich mit dem Kopfe nickend. Ein Ausdruck heiterer, ruhiger Zuversicht erschien auf seinem Gesicht. Langsam wandte er sich ab, um zur Königin zu gehen und mit seiner Gemahlin das letzte Diner vor seiner Abreise zur Armee einzunehmen.

* * * * *

Es war halb sechs Uhr Abends. Dicht gedrängt standen die Menschenmassen die Linden entlang, vom Thiergarten her bis zum Anhalter Bahnhof. Die sonst so lauten und unruhigen Berliner hatten diesmal ihre gewöhnliche Natur verleugnet, und eine fast lautlose Stille herrschte auf den dicht belebten Straßen.

Da kam vom königlichen Palais her ein einfacher zweispänniger Wagen mit offenem Verdeck dahergefahren. Der König, im Überrock und Helm, fuhr, von seiner Gemahlin begleitet, nach dem Bahnhof und blickte zum letzten Mal ernst und gedankenvoll auf diese Straße seiner Residenz hin, welche bereits so viele Herrscher seines Hauses gesehen hatte in den Tagen des Glücks und des Unglücks, in den Tagen des Leidens und der Demüthigung, wie in den stolzen Triumphzügen nach gewaltigen Siegen — immer aber in gegenseitiger Liebe und Treue innig vereint mit ihrem Volk, welches das Unglück mit ihnen getragen und opferfreudig sein Blut vergossen hatte zur Erringung der Triumphe und Siege.

Kein lauter Ruf ertönte, still und schweigend entblößten sich alle Häupter und durch diese schweigenden, feierlichen Grüße hin fuhr der königliche Wagen hinaus, während der König freundlich ernst mit der Hand winkte und die Königin, von Bewegung überwältigt, ihr Taschentuch vor die Augen drückte.

Im Wartesaal des Bahnhofes erwarteten den König der
Generalfeldzeugmeister Prinz Carl und der jugendliche Erbgroßherzog von
Mecklenburg-Schwerin, die Prinzen Alexander und Georg, der Admiral Prinz
Adalbert, der Herzog Wilhelm von Mecklenburg mit der Großherzogin
Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin, der Prinzessin Karl und der jungen
Herzogin Alexandrine. Daneben sah man alle in Berlin noch anwesenden
Generale, die Minister, den Geheimrath Abeken, den Legationsrath von
Kendell und neben den königlichen Prinzen den Grafen Bismarck, die
Generale von Roon und von Moltke und den alten Feldmarschall Wrangel;
die Angehörigen der Herren, welche den König begleiten sollten, waren
mit anwesend. Neben dem Grafen Bismarck standen seine Gemahlin und seine
Tochter, in letzter wehmüthiger Unterhaltung mit dem Scheidenden. Neben
dem General von Roon, in seiner ernsten strengen Haltung, sah man seinen
Sohn, der Adjutantendienste bei ihm that — auch viele Damen der übrigen
Minister und der Hofchargen waren anwesend.

Auch diese ganze Gesellschaft war ernst und still, wie über der Bevölkerung von Berlin, so lag auch über diesen höchsten Spitzen des preußischen Staats der tiefe Ernst des Augenblicks.

Der königliche Wagen fuhr an die Rampe, der König stieg aus und reichte dann der Königin die Hand, ihr ebenfalls aus dem Wagen zu helfen. Dann blickte er hin über den mit Menschen dicht besetzten Platz und erhob zum letzten Gruß die Hand.

Jetzt zum ersten Mal wurde das ernste, feierliche Schweigen gebrochen, wie ein einziger Ruf, weithin brausend in gewaltigen Klängen die Luft erschütternd, erhob sich ein dreimal wiederholtes Hurrah. Es war als ob wie aus einem Munde, vom gleichen Pulsschlag bewegt, das Volk den scheidenden König begrüßte.

Dann trat abermals tiefe Stille ein.

Der König winkte noch einmal mit der Hand, gab der Königin den Arm und
wandte sich nach dem Wartesaal hin. Da fiel sein Auge auf einen jungen
Officier mit blassem Gesicht, welcher in einem kleinen Rollwagen auf die
Rampe gefahren war und mit leuchtenden Blicken den königlichen
Kriegsherrn ansah, während er die in unwillkürlicher Bewegung erhobenen
Hände gegen ihn ausstreckte.

Der König blieb einen Augenblick stehen, dann schritt er rasch auf den jungen Mann zu und reichte ihm die Hand, dieser aber faßte sie mit seinen beiden Händen und führte sie an die Lippen, indem Thränen aus seinen Augen stürzten. Dann faßte er sich, richtete sich in seinem Wagen empor und sprach im Ton dienstlicher Meldung:

„Lieutenant von Sierrakowsky, Majestät —“

„Ich weiß, ich weiß,“ sagte der König freundlich, durch einen Wink die Meldung unterbrechend, „ich vergesse die Tapfern nicht, die für mich und das Vaterland geblutet haben — Gott hat Ihnen nicht vergönnt, auch in diesem Kampf mit mir hinaus zu ziehen — aber trösten Sie sich, Sie haben dem Vaterland Ihre Schuld reichlich bezahlt und Beispiele, wie das Ihre, werden neue Helden schaffen.“

„Gott segne Eure Majestät!“ sagte der junge Officier, mit erstickter
Stimme; „Gott segne unsere preußischen Fahnen!“

Der König drückte dem armen Invaliden noch einmal herzlich die Hand und trat dann in den Wartesaal. Nur wenige Worte sprach er mit den dort Versammelten. Alle Damen reichten ihm Blumensträuße entgegen.

„Ich kann sie nicht alle mitnehmen,“ sagte der König freundlich
lächelnd, indem er einen schönen Strauß aus den Händen der Gräfin
Itzenplitz entgegennahm. „Diese Blumen sollen mir eine Erinnerung an Sie
Alle und an Ihre guten Wünsche sein.“

Kein Auge blieb trocken, Alle drängten dem scheidenden König nach, der an der Thür des Wartesaals die Königin umarmte und dann mit den Herren des Gefolges schnell in das Coupé stieg.

Dahin brauste der Zug nach dem Westen, nach dem Schauplatz des noch von den dunklen Wolken der Zukunft verhüllten Krieges.

Zwölftes Capitel.

Der junge Cappei hatte in einem fast bewußtlosen Zustand stumpfer Resignation die ersten Tage nach seiner Verhaftung in dem Amtsgefängniß zu Bodenfeld zugebracht. Vergebens strengte er sich an, um die Fäden des Netzes zu entdecken, das ihn so geheimnißvoll und unerklärlich umsponnen hatte. Seine Gedanken verwirrten sich, das fortwährende Schweigen seiner Geliebten, dieser so plötzliche und unerwartet gegen ihn erhobene Vorwurf staatsgefährlicher Verbindungen, das Alles vermochte er in keinen klaren Zusammenhang zu bringen, und nur wenn er auf den Verdacht zurückkam, welchen die Handschrift des ihm vorgelegten Schreibens in ihm erweckte, so erfaßte ihn ein heftiger Paroxismus des Zornes und der Verzweiflung.

Oft war er nahe daran nach Mitteln zu suchen, seinem so plötzlich von der Höhe der glücklichsten Hoffnungen in die Tiefe eines vernichtenden Schmerzes herabgestürzten Leben ein gewaltsames Ende zu machen, und nur die von früher Jugend in ihm gepflegte gläubige Frömmigkeit gab ihm die Kraft, diese traurige Existenz zu ertragen und ließ ihn die Hoffnung nicht verlieren, daß die Vorsehung Wege finden würde, das Dunkel zu erhellen, welches ihn umgab und seine Unschuld dem wider ihn erhobenen Verdacht gegenüber an das Licht zu bringen.

In dieser qualvollen Ungewißheit, allein mit seinen in demselben Kreise sich stets bewegenden Gedanken brachte er drei furchtbare Tage zu, ohne das Geringste von der Außenwelt zu hören oder zu sehen, als ein kleines Stück des Himmels, das über eine hohe Mauer durch das vergitterte Fenster seines Gefängnisses hereinsah.

Dann wurde er zum ersten Verhör vorgeführt. Ein Untersuchungsrichter aus der nächsten Stadt war in Bodenfeld erschienen, um in Gegenwart des Amtmanns die Vernehmung des jungen Menschen vorzunehmen.

Cappei antwortete auf alle an ihn gestellten Fragen im vollen Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit, und der günstige Eindruck, den seine klaren und bestimmten Angaben, die sich in keinem Punkt widersprachen, auf den Richter und den Amtsverwalter machten, war unverkennbar.

Schon begann die Hoffnung in ihm aufzuleben, daß das Alles sich als ein Mißverständniß herausstellen werde, da legte der Untersuchungsrichter ihm aus den beim Amte geführten Acten eine Reihe von Briefen vor mit der Frage, ob er die Handschrift kenne, und ob diese an ihn adressirten Briefe unter ihren scheinbar unverfänglichen Worten einen andern Sinn verbärgen.

Der Richter sprach dabei zugleich nochmal die Ermahnung aus, durch ein offenes Geständniß eine mildere Beurtheilung seiner Handlungen zu ermöglichen, zu denen eine irre geleitete Anhänglichkeit an die frühere Regierung seines Landes ihn bestimmt haben möchte.

Der junge Cappei trat ruhig und unbefangen an den Tisch heran, um die ihm vorgelegten Papiere näher zu betrachten und vielleicht durch dieselben einen Anhalt zur Aufklärung des Mißverständnisses zu gewinnen.

Kaum hatte er indeß einen Blick auf die Briefe geworfen, als eine schnelle fliegende Röthe auf seinem Gesicht erschien. Seine kräftige Gestalt zitterte und bebte, und wie zusammenbrechend stützte er sich mit beiden Händen auf den Tisch, während seine groß geöffneten Augen mit dem starren Ausdruck des Schreckens und des Entsetzens auf den Papieren hafteten.

Er erkannte Luisens Handschrift, und als er sich so weit gesammelt hatte, um die im ersten Augenblick vor seinen Augen hin und her schwirrenden Buchstaben festhalten zu können, las er, in fliegender Hast die Blätter umwendend, immer dringendere, immer sehnsuchtsvollere Bitten um Nachricht, Besorgnisse, daß er krank sein möge, und voll Schmerz und Verzweiflung sah er zwischen den Zeilen dieses Briefes das Bild seiner Geliebten erscheinen, welche in gleicher Ungewißheit und Bangigkeit wie er, gewartet und immer wieder gewartet und vergebens um Antwort und Nachricht gefleht hatte.

Ein dämonischer Einfluß hatte hier die Hand im Spiele gehabt, ein wohl durchdachter Plan voll Hinterlist und Bosheit hatte sich zwischen diese beiden liebenden Herzen gestellt, um nicht nur ihre äußere Verbindung zu unterbrechen, sondern sie auch mit Mißtrauen gegen einander zu erfüllen und ihre Liebe zu zerstören.

Als er die Briefe sämmtlich durchflogen hatte, wurde ihm Alles klar; — wie er schon beim ersten Verhör geglaubt hatte in dem ihm damals vorgelegten an ihn gerichteten compromittirenden Brief die Hand des Herrn Vergier zu erkennen, so wurde ihm jetzt vollkommen deutlich, daß dieser und kein anderer der Urheber dieses Werkes finsterer Heimtücke sei. Und eine wilde, wüthende Verzweiflung, ein brennender Durst nach Rache bemächtigte sich seines ganzen Wesens.

Schweigend starrte er fortwährend auf die vor ihm liegenden Briefe, als sei plötzlich ein drohendes Gespenst vor ihm aufgestiegen, dessen kalte Hand sich todtbringend nach seinem Herzen ausstreckte.

Betroffen blickte ihn der Untersuchungsrichter an. Der ganze bisherige Verlauf des Verhörs hatte einen günstigen Eindruck für den jungen Mann in ihm hervorgebracht, dessen plötzliche, so sichtbar tiefe Bestürzung jedoch schien jenen Eindruck wieder zu verwischen.

„Kennen Sie diese Briefe?“ fragte er mit strengem Ton.

Der junge Cappei fuhr bei dieser Frage, die ihn aus seiner Betäubung aufschreckte, empor und erwiderte, indem seine Stimme vor mächtiger innerer Erregung zitterte:

„Ja, ich kenne sie, sie sind an mich gerichtet, — es sind Briefe meiner Braut, sie haben mir die Augen geöffnet über den ganzen heillosen Plan, welchen eifersüchtiger Haß gesponnen, um uns von einander zu reißen. Diese Briefe haben keinen verborgenen Sinn, sie bedeuten nur das, was mit klaren Worten in ihnen geschrieben steht. Oh, mein Gott,“ rief er, den brennenden Blick aufwärts richtend, „wie ist es möglich, daß so viel Schlechtigkeit auf Erden wohnen kann.“

„Sie behaupten also,“ fuhr der Untersuchungsrichter fort, „daß dies wirklich Briefe eines jungen Mädchens sind, und daß dieselben keine Bedeutung haben? — Ich muß Ihnen sagen,“ fügte er hinzu, „daß Ihre so heftige und sichtbare Bestürzung beim Anblick dieser Papiere nicht zu Ihren Gunsten spricht, um so weniger als unmittelbar nach Ihrer Ankunft ein Schreiben an Sie hierher gekommen ist, in welchem Ihnen die mündliche Verabredung in's Gedächtniß zurückgerufen wird, die Nachrichten, welche man von Ihnen erwartet und die Fragen, welche man an Sie stellen würde, in die Form von einfachen Liebesbriefen zu kleiden.“

„Welch ein Abgrund, — welch ein Abgrund,“ rief der junge Cappei verzweiflungsvoll. „Und kann ich jenen Brief sehen?“ fragte er dann.

Der Untersuchungsrichter nahm ein Papier und legte es ihm vor.

„Ja, ja,“ rief Cappei heftig auffahrend, „es ist dieselbe Handschrift. Es ist die Handschrift jenes Elenden, der mich um mein Glück betrügen will, der es gewagt hat, mich in Frankreich als preußischen Spion zu verdächtigen, und der nun durch seine teuflischen Künste mich hier als Verschwörer verfolgen läßt. Ich schwöre Ihnen, meine Herren, das Alles ist schändlicher Betrug, ich bin das Opfer der Hinterlist eines Todfeindes, der mich verderben will. Ich bitte Sie um Gottes Willen, lassen Sie mich einmal hier in Ihrer Gegenwart einen Brief an meine Braut schreiben. Sie werden die Antwort sehen, Sie werden sehen, daß nichts Geheimnißvolles, nichts Verfängliches dahinter steckt —“

„Die Antwort würde vielleicht ebenso unverfänglich sein, als diese Briefe es sämmtlich zu sein scheinen,“ sagte der Untersuchungsrichter den Kopf schüttelnd. „Ich will zu Ihrem Besten hoffen, junger Mann, daß Ihre Angaben die Wahrheit seien, indessen kann ich Ihnen nicht verbergen, daß das Alles sehr unwahrscheinlich scheint, — ich will für heute das Verhör schließen, um Ihnen Zeit zu lassen, wenn Sie etwas auszusagen haben, durch ein umfassendes und aufrichtiges Geständniß Ihre Lage zu erleichtern.“

„Darf ich nicht,“ fragte der junge Mann im Ton dringendster Bitte, „darf ich nicht zwei Worte nur an meine Braut schreiben?“

„Es würde zu nichts führen,“ sagte der Untersuchungsrichter, „denn eine gleichgültige Antwort würde noch nichts zu Ihren Gunsten beweisen, — wenn diese Briefe wirklich nur der Deckmantel einer geheimen Correspondenz sind, so würde ohne den Schlüssel derselben, ohne Kenntniß der chemischen Mittel,“ fuhr er fort, den Blick scharf auf den jungen Mann richtend, „durch welche etwa andere geheime Schriftzeichen auf dem Papier sichtbar werden, noch immer keine Klarheit in die Sache kommen. Ich wünsche nochmals,“ sprach er dann, „daß Ihre Schuldlosigkeit an den Tag kommen möge, denn ich habe hier über Sie und Ihre Familie nur Gutes gehört. Wenn Sie jetzt unter dem auf Ihren Schultern ruhenden Verdacht bleiben müssen, so trifft die Schuld zunächst davon Diejenigen, welche nicht aufhören durch fortwährende Agitationen das Land zu beunruhigen, und welche uns dadurch zwingen, mit den schärfsten Mitteln den verborgenen Fäden nachzuspüren, durch die jene Agitation geleitet wird.“

In dumpfem Schweigen ließ sich der junge Mann nach seiner Gefängnißzelle zurückführen. Es war eine Art von Ermattung über ihn gekommen, der vernichtende Erfolg, welchen die vor seinen Augen jetzt klar liegende, gegen ihn gespielte Intrigue gehabt, beraubte ihn fast des Glaubens an die ewige Gerechtigkeit, und in stumpfer Resignation brachte er die dem Verhör folgenden Tage zu, ohne sich von seinem Lager zu erheben, nur die nothwendigsten Nahrungsmittel zu sich nehmend. Im Schmerz um sein zerstörtes Liebesglück, um alle seine gebrochenen Lebenshoffnungen, versank er in eine Art von dumpfer Lethargie, aus welcher nur die brennende Sehnsucht emporflammte, sich an demjenigen zu rächen, dessen Hand aus feiger Verborgenheit heraus ihn so tödtlich getroffen hatte.

* * * * *

Kaum hatte er die Tage gezählt, welche in diesem Zustande an ihm vorübergegangen waren, seine ewig auf ein und denselben Punkt gerichteten Gedanken erfüllten sein Gehirn und sein Blut mit Fieber, seine Kräfte begannen sich zu erschöpfen, — zuweilen dachte er fast mit Wonne daran, daß eine tödliche Krankheit ihn ergreifen und seinen Leiden ein Ende machen könnte. Dann wieder versuchte er mit aller Willenskraft, sich aufrecht zu erhalten, um das Ziel seines Lebens, die Rache, nicht zu verlieren.

Da trat eines Morgens der Amtsdiener in sein Zimmer und forderte ihn auf, ihn zum Amtsverwalter zu begleiten.

Cappei sprang auf, ein leiser Hoffnungsschimmer erfüllte ihn, vielleicht war es doch möglich, daß man von seiner Unschuld sich überzeugt, jedenfalls konnte ihm ein neues Verhör Gelegenheit geben, die gegen ihn erhobenen Anklagen zu entkräften, und mühsam zwang er sich, seinen schwankenden Schritten Festigkeit zu geben, als er dem Diener in das Bureauzimmer folgte.

Der Amtmann blickte erschrocken auf den jungen Mann, welcher sich in kurzer Zeit in entsetzlicher Weise verändert hatte.

Seine Augen blickten hohl und trübe, seine Wangen waren eingefallen, sein Mund zuckte fast convulsivisch, sein Haar hing wirr und ungeordnet über die Stirn herab, kaum konnte er sich aufrecht halten und unwillkürlich griff seine Hand nach der Lehne des Sessels.

„Setzen Sie sich,“ sagte der Amtmann freundlich. „Sie sind angegriffen. Ich hoffe, Ihnen Ihre Kraft und Ihren Muth wiedergeben zu können, denn ich habe Ihnen eine gute Nachricht zu geben.“

Wie erstaunt blickte Cappei auf den Beamten. Die Leiden, welche er ausgehalten, hatten ihn fast unfähig gemacht, das Gefühl der Hoffnung zu empfinden.

„Der Krieg mit Frankreich ist ausgebrochen,“ sagte der Beamte ernst, „in wenigen Tagen wird das ganze deutsche Volk in Waffen den frevelhaften Übermuth seiner Erbfeinde zurückweisen. Beim Beginn dieses großen nationalen Kampfes hat Seine Majestät der König eine allgemeine Amnestie für politische Vergehen erlassen, welche vor der Kriegserklärung gegen Frankreich begangen sind. Auch Sie fallen unter diese Amnestie, die Untersuchung gegen Sie ist daher beendet. Sie sind frei.“

Cappei sprang auf. Seine Muskeln spannten sich, seine Gestalt richtete sich kräftig und elastisch empor und mit leuchtenden Blicken rief er:

„Frei! Frei! Oh! mein Gott, vergieb mir, daß ich an Deiner Gerechtigkeit gezweifelt habe. Es war ja unmöglich, daß das Werk finsterer Bosheit triumphiren konnte. Ich darf also zu meiner Mutter zurückkehren, ich darf —“

„Sie sind frei und außer aller Verfolgung,“ sagte der Beamte, „aber Sie stehen in der allgemeinen Landwehrpflicht, hier ist eine Einberufungsordre für Sie, welche Ihnen befiehlt, sich sogleich in Hannover zu stellen, um dem Regiment, für welches Sie bestimmt sind, zugetheilt zu werden. Sind Sie bereit,“ fuhr er mit einem forschenden Blick auf den jungen Mann fort, „diese Pflicht zu erfüllen?“

„Bereit?“ rief Cappei, indem ein Blitz aus seinen Augen zuckte, „bereit? Oh, Herr Amtmann,“ fuhr er fort, den Arm erhebend, „geben Sie mir eine Waffe in die Hand, um hinaus zu ziehen in den Kampf gegen jenes Land, dessen Erde den Elenden trägt, der mich verderben wollte, und der das Glück und die Hoffnung meines Lebens zerstört hat — er wird auch dort nicht müßig gewesen sein,“ fügte er mit bitterm Lachen hinzu, „und nachdem er meiner Luise den Glauben an mich geraubt hat, wird er ihrem leidenden Herzen sich als tröstender Freund genähert haben — aber die rächende Gerechtigkeit wird mich führen, daß ich auf den Wegen dieses Krieges ihm begegne, um ihn zu vernichten und, wenn es Gott will, vielleicht noch seine Pläne zu durchkreuzen.“

„Sie sind also bereit, sich sofort Ihrer Ordre gemäß zu stellen und den Fahneneid zu leisten, den man natürlich nochmals von Ihnen verlangen wird, da Sie früher dem Könige von Hannover geschworen haben.“

„Ich bin bereit,“ sagte Cappei.

„Sie dürfen nicht vergessen,“ fuhr der Beamte ernst fort, „daß wenn Sie den Versuch machen sollten, Ihre Freiheit zu benutzen, um sich Ihrer Landwehrpflicht zu entziehen, Sie damit das Verbrechen der Desertion begehen würden, welches im gegenwärtigen Kriegszustande unfehlbar die Todesstrafe nach sich zieht.“

„Seien Sie unbesorgt, Herr Amtmann,“ rief Cappei, „ich werde mich pünktlich stellen, und ich wünsche nur, daß mein Regiment das erste sei, welches die französischen Grenzen überschreitet. Darf ich vorher meine Mutter und meinen Oheim besuchen?“ fragte er dann.

„Sie sind vollkommen frei zu thun, was Sie wollen,“ sagte der Beamte, „vorausgesetzt, daß Sie sich pünktlich zur rechten Zeit zur Einstellung melden. Leben Sie wohl. Ich freue mich, daß Ihre Angelegenheit dies Ende genommen hat, und ich wünsche, daß Sie gesund und wohl behalten aus dem Kriege zurückkehren mögen.“

Er neigte freundlich den Kopf.

Cappei grüßte in militairischer Haltung und verließ kräftigen und festen
Schrittes das Zimmer.

Groß war die Freude bei seinem Erscheinen in dem Hause seines Oheims, wo seit seiner Verhaftung tiefe Trauer und Bekümmerniß geherrscht hatte.

Groß aber auch war der Schmerz der alten Frau, als sie vernahm, daß sie ihren Sohn nur wiedersehen sollte, um ihn sogleich wieder zu verlieren und ihn hinausziehen zu sehen in die Todesgefahr eines furchtbaren Krieges.

Ernst und feierlich saßen die drei Menschen bei dem letzten Wahl zusammen, welches nach alter Bauernsitte reichlich für den Scheidenden aufgetragen wurde, und welches fast Keiner von ihnen berührte.

Mit thränenden Augen blickte die alte Frau auf den Sohn, der ihr so schnell wieder entrissen werden sollte, nachdem Verbannung und Gefangenschaft ihn getroffen, um noch größeren Gefahren entgegenzugehen — finster saß der alte Niemeyer da.

Er sah zwar lieber den jungen Menschen mit der Waffe in der Hand nach Frankreich hinausziehen, als daß dieser sich eine Heimath gesucht hätte in dem Lande, das er den alten Traditionen nach, doch immer als den Feind Deutschlands ansah, aber die drohende Todesgefahr des Sohnes seiner Schwester, den er wie sein Kind liebte, bewegte ihn tief.

Doch endlich tröstete ihn das glaubensstarke Vertrauen auf die Alles zum Besten kehrende Vorsehung, dies Vertrauen, das in all' den alten markigen Niedersachsen so fest und unerschütterlich lebt und auch in den schwersten Prüfungen ihren Muth aufrecht erhält.

„Gott erhalte Dich, mein Junge,“ sagte er einfach, indem er kräftig die
Hand des Scheidenden schüttelte und obwohl seine Stimme leicht zitterte,
so klang doch die ruhig vertrauensvolle Ergebung in den göttlichen
Willen in diesen Worten wieder.

Die Mutter hatte den Ränzel ihres Sohnes mit Brod, kaltem Fleisch und Branntwein gefüllt, der Oheim fügte eine mit harten Thalern wohlgespickte Börse hinzu und dann beugte sich der junge Mann tief vor der alten Frau nieder.

„Segne mich, meine Mutter,“ sagte er leise.

Die Alte legte ihre zitternden Hände auf das Haupt des Sohnes und bewegte ihre Lippen, ohne daß laute Worte aus denselben hervordrangen, aber die Thränen, welche voll und heiß in diesem letzten Augenblick des Scheidens aus ihren Augen strömten, fielen über das Haar des jungen Mannes herab. Er fühlte, wie diese Tropfen seine Stirne benetzten, und heilige Rührung durchzitterte sein Herz, — er empfand all' den reichen Segen, all' die heißen Gebete, all' die frommen Wünsche, welche die Abschiedsthräne aus dem Mutterauge in sich schließt.

Dann wandte er sich rasch ab und schritt fest und kräftig über den Hof hinaus, vom Thor her sich noch einmal umblickend nach dem alten niedersächsischen Glauben, der an einen letzten Rückblick auf das heimathliche Haus eine frohe und glückliche Heimkehr knüpft.

Bald hatte er die nächste Eisenbahnstation erreicht, wo schon eine Anzahl anderer Einberufener wartete, und nach wenig Augenblicken führte ihn der dahinrollende Zug fort, einer dunklen Zukunft voll Kampf und Gefahr entgegen, während in seinem Herzen alle anderen Gefühle zurücktraten vor der glühenden Sehnsucht, Rache zu nehmen für die Frevelthat an seiner Liebe.

Dreizehntes Capitel.

Ein buntes und lärmendes Treiben herrschte in den Straßen und der Umgebung von Metz. Die Wälle der alten Festungsstadt waren von den weißen Zelten des Lagers der französischen Armee umgeben und Truppen aller Waffengattungen durchzogen die Straßen der Stadt und des Lagers.

Man sah die riesigen Cürassiere ernst und ruhig einherschreiten, — man sah die bunten afrikanischen Truppen, — die leichtfüßigen Voltigeurs und Jäger und all' dies Leben war von fröhlicher Heiterkeit und Siegeszuversicht getragen, — die Truppen im Lager sangen, tranken und spielten, Polichinelbuden waren vorhanden und Alles erwartete mit Ungeduld den Aufbruch gegen den Feind, überzeugt, daß es nur eines Vorstoßes dieser berühmten französischen Armee bedürfe, um siegreich und unüberwindlich bis zum Herzen Deutschlands vorzudringen.

Der Kaiser war seit einigen Tagen von St. Cloud angekommen und hatte mit dem kaiserlichen Prinzen in der Präfectur Wohnung genommen. Vor dem Präfecturgebäude schilderten die Cavallerie-Doppelposten, und die glänzende Generalität mit ihrem Gefolge, die Adjutanten und Ordonnanzofficiere des Kaisers, welcher den ganzen Pomp seines militairischen Hofes entfaltete, gingen aus und ein.

Inmitten all' dieses Lärms und all' dieses Glanzes saß der Kaiser in der Generalscampagneuniform trübe und niederschlagen in seinem Zimmer, dessen Fenster durch dichte Vorhänge beschattet waren, um die heißen Strahlen der Sonne abzuhalten und der Imperator, welcher hier in der Mitte seiner siegesgewissen Truppen sich befand, blickte finster mit einem gramvollen, resignirten Ausdruck vor sich nieder.

Er hielt einige Depeschen in der Hand, welche er eben durchlesen hatte, und die Nachrichten, welche dieselben brachten, schienen nicht erfreulicher Natur zu sein, denn mit einem unwillkürlichen Griff hatten die Hände des Kaisers das Papier zerknittert.

„Welch ein entsetzlicher Zustand in dieser Armee,“ sagte er, „welch ein Chaos unter dieser glänzenden Außenseite — oh, warum habe ich nicht vorher das Alles klar gesehen, was sich jetzt so furchtbar und unerbittlich vor meinem Blick öffnet, — jetzt wo keine Umkehr, kein Einhalt des Verhängnisses mehr möglich ist. Ich habe eine Verständigung im letzten Augenblick noch gehofft, ich habe irgend ein Entgegenkommen von Berlin aus erwartet, um noch an der Spitze der gegenüberstehenden Armeen das drohende Unheil beschwören zu können und die Concessionen zu erreichen, nach denen ich so lange gestrebt. Alles ist vergebens, man ist dort entschlossen, das Äußerste zu wagen. Diese Veröffentlichung des Benedettischen Vertragsentwurfs, diese Depesche des Grafen Bismarck an die Mächte, das Alles beweist mir, daß alle Brücken abgebrochen sind, und daß das furchtbare Verhängniß des Krieges seinen Weg gehen muß. Und welche Hoffnungen bleiben mir,“ sprach er mit dumpfer Stimme, „mir, der ich schon vor dem Beginn des Kampfes ein zerbrochenes Schwert in der Hand halte.“

Er starrte im finstern Schweigen vor sich hin.

Die dienstthuende Ordonnanz trat ein und meldete den Prinzen Napoleon, welcher unmittelbar der Meldung folgend, in das Zimmer trat. Der Prinz trug die Uniform eines Divisionsgenerals und in dieser militairischen Tenue trat seine Ähnlichkeit mit dem großen Kaiser noch mehr als sonst hervor, wenn dieselbe auch immerhin jetzt noch einen gewissen Anflug von Carricatur hatte durch die weit stärkere Corpulenz des Prinzen, durch seine unruhige Haltung und durch die nervösen zuckenden Bewegungen seines Gesichts. Die Augen des Prinzen flammten, eine dunkle Zornesröthe bedeckte seine Stirn, mit hastigen Schritten trat er bis dicht vor den Kaiser hin und die dunklen Augen groß auf seinen wie gebrochen da sitzenden Vetter richtend, rief er, hastig die Worte hervorstoßend:

„Weißt Du, mein Vetter, in welchem Zustande die Armee ist?“

Der Kaiser senkte schweigend das Haupt auf die Brust.

„Ich habe,“ fuhr der Prinz fort, „schon als ich von den Haiden Norwegens nach Paris zurückkehrte, um die erste Entwickelung dieses unseligen Krieges mit anzusehen, Dir gesagt, was ich über dieses Abenteuer denke — das gefährlichste und verhängnißvollste, welches Du seit Deiner Regierung unternommen, — was ich jetzt aber hier täglich, stündlich sehe und erfahre, das übersteigt die Grenzen alles dessen, was ich mir als möglich gedacht habe. Ich sehe einen ungeordneten Haufen Soldaten ohne Organisation, ohne Führung, ohne gesicherte Verpflegung, und wenn jeder dieser Soldaten für sich den alten Paladinen Karl's des Großen an Tapferkeit gleichkäme, so ist es unmöglich, daß sie etwas ausrichten können gegen die Tactik und die Ordnung des preußischen Generalstabes. Wahrlich, mein Vetter, der Marschall Leboeuf muß ein Interesse haben, Dich und uns Alle zu verderben. Selbst die gewaltigste menschliche Dummheit kann ein Verfahren, wie das Seinige, nicht erklären.“

Der Kaiser schwieg noch immer.

„Was denkst Du zu thun? Kannst Du noch Frieden machen?“

„Der Frieden jetzt,“ sagte der Kaiser, „käme der Streichung des französischen Namens aus der Reihe der Großmächte, käme der Abdankung unserer Dynastie gleich,“ fügte er mit leiser, tonloser Stimme hinzu.

„Was aber denkst Du zu thun,“ rief der Prinz, „willst Du Dich, willst Du uns Alle zu den Todten werfen lassen? Willst Du Dich nicht entschließen, an Rigault de Genouilly den Befehl einer unmittelbaren Expedition in der Ostsee zu übergeben. Ich bitte Dich, übertrage mir das Commando der Landungstruppen, wir werden dort die Gegner zwingen, zahlreiche Streitkräfte hinzusenden, um wenigstens uns hier vor einem überwältigenden Angriff zu schützen.“

„Ich darf Rußland nicht verletzen,“ sagte der Kaiser, wie zögernd, „auch England hat sich sehr entschieden gegen eine Bedrohung des preußischen Handels ausgesprochen —“

„Willst Du nach Rußland fragen,“ rief der Prinz, zornig mit dem Fuß auf
den Boden stoßend, „nach England, in dem Augenblick, wo es sich um die
Ehre, um die Existenz Frankreichs handelt und um die Existenz unseres
Hauses?“

„Der Marschall Leboeuf,“ meldete die dienstthuende Ordonnanz.

„Dein böser Genius,“ sagte Prinz Napoleon und wandte sich zum Fenster hin, ohne den Gruß des eintretenden Marschalls zu erwidern, welcher mit ruhig heiterer Miene in das Zimmer trat und mit seiner vollen, langsamen Stimme sagte:

„Die Regimenter, welche Eure Majestät heute zu mustern befahl, stehen an dem Eingang der Straße nach Thionville bereit, wenn Eure Majestät die Gnade haben wollen, hinauszureiten.“

„Der Kaiser sollte lieber die Commandos, die Arsenale und die
Feldzugspläne besichtigen, als diese armen unglücklichen Truppen, die
verlorenen Schlachtopfer einer entsetzlichen Vernachlässigung, in
Augenschein zu nehmen,“ rief der Prinz Napoleon, sich schnell umwendend.

Der Marschall Leboeuf richtete sich hoch auf und blickte mit seinen großen, etwas vorstehenden Augen den Prinzen starr an.

„Das Alles ist von mir geordnet,“ sprach er, „und der Kriegsplan sichert, wie ich glaube, so gut als das möglich ist, den Erfolg.“

„Der Kriegsplan,“ rief der Prinz, „das nennen Sie einen Kriegsplan, Herr Marschall, einen Plan, der darin besteht, auf dieser ganzen weiten Linie von Straßburg bis Thionville die Armeecorps wie einen Zoll-Cordon auszustreuen, so daß sie sich weder einzeln behaupten, noch gegenseitig unterstützen können. Der Vorstoß der preußischen Armee wird das Alles aufrollen und zerbröckeln, ehe man überhaupt noch zum Nachdenken gekommen ist, und all' die Tapferkeit dieser braven Soldaten wird vergebens sein. Wenn der Krieg,“ fuhr er immer heftiger fort, „in dem Gehirn einzelner Menschen seit Monaten beschlossen war, wenn er seit vierzehn Tagen erklärt ist, so verstehe ich nicht, daß während die deutsche Armee in erdrückenden Massen auf uns losrückt, man da nicht ein einziges Corps mit dem Nöthigen versehen, vollständig hat hinstellen können.“

Bevor der Marschall antworten konnte, erhob sich der Kaiser, faltete die zerknitterten Depeschen in seiner Hand auseinander, richte sie dem Marschall und sprach mit kaltem, strengem Ton:

„Ich bitte Sie, Herr Marschall, diese Depeschen zu lesen, welche ich so eben aus Paris erhalten habe.“

Der Marschall nahm die Depeschen eine nach der andern und las:

„General Ducrot an das Kriegsministerium in Paris.

Morgen werden wir kaum fünfzig Mann haben, um den Platz Neu-Breisach zu halten und Mortier, Schlettstadt, Lichtenberg sind in gleicher Weise entblößt. Die Preußen sind Herren aller Defileen des Schwarzwaldes.“

„Lesen Sie weiter,“ sprach der Kaiser, während der Prinz Napoleon die
Hände zusammenschlug.

Der Marschall Leboeuf las:

„Der General-Commandant des vierten Corps an das Kriegs-Ministerium in
Paris.

Das vierte Corps hat weder Cantinen, Ambulancen noch
Ausrüstungsgegenstände. Alles ist vollständig entblößt.“

„Weiter,“ sprach der Kaiser kalt und kurz.

Der Marschall las die folgende Depesche:

„Der Intendant des sechsten Corps an das Kriegs-Ministerium in Paris.

Ich erhalte von dem Chef der Rheinarmee das Verlangen nach vierhundert tausend Rationen Zwieback. Ich habe nicht eine einzige Ration.“

„Immer weiter,“ sagte der Kaiser.

Der Marschall fuhr fort, die nächste Depesche ergreifend.

„Marschall Canrobert an das Kriegs-Ministerium in Paris.

Ich habe weder Kochtöpfe, noch Näpfe, die Kranken sind von Allem entblößt. Wir haben weder Betten, noch Hemden, noch Schuhe.“

„Endlich die letzte,“ sagte der Kaiser, indem er dem Marschall eine
Depesche reichte, die er noch zurückbehalten hatte.

Marschall Leboeuf las immer in demselben ruhigen, gleichmäßigen Ton:

„General Michel an das Kriegs-Ministerium in Paris.

Angekommen zu Belfort, meine Brigade nicht gefunden, Divisionsgeneral nicht gefunden. Was soll ich machen? Ich weiß nicht, wo meine Regimenter sind.“

Mit einem Satz sprang der Prinz zu dem Kaiser heran.

„Dieser General,“ rief er, „welcher im Angesicht des Feindes seine Armee sucht, das ist das Schlußwort aller dieser Lächerlichkeit, einer Lächerlichkeit, welche aber zugleich die furchtbarste Tragödie in sich schließt, da sie der Untergang Frankreichs und des Kaiserreichs sein wird. Ich will hier nichts mehr sehen und hören, ich verlasse die Stadt und beziehe mein Zelt im Lager; wenn ich länger in diesem Hauptquartier bleibe, so wird der Wahnsinn mein Gehirn erfassen.“

Und ohne ein Wort zu sagen, stürmte er hinaus.

„Sire,“ sagte der Marschall Leboeuf im ruhigen Tone, „solche kleine Unordnungen kommen jedesmal vor, wenn eine große Armee sich zusammenzieht. In wenigen Tagen wird sich das Alles von selbst ordnen.“

„Ich glaube nicht, Herr Marschall,“ sagte der Kaiser kalt, „daß ähnliche Unordnungen auf der Seite unserer Feinde vorkommen, und ich wünsche, daß dieselben in der That in wenigen Tagen geordnet sein mögen. Sie werden Ihre ganze Thätigkeit und Energie entwickeln, damit das geschehe, — denn, Herr Marschall, die Verantwortung für die Folgen solcher Unordnungen wird eine große und schwere sein und in voller Wucht auf Ihrem Haupte lasten. Jetzt will ich hinaus, um die Truppen zu sehen.“

Und mit einer stolzen Neigung des Hauptes, welche andeutete, daß er kein Wort weiter zu hören wünsche, wandte er sich von dem ganz erstaunt dastehenden Marschall ab. Indem er sich der Thür näherte, öffnete sich dieselbe schnell und mit Freude strahlendem Gesicht trat der kaiserliche Prinz in seiner kleinen, zierlichen Lieutenantsuniform herein.

Er hielt einen Brief in der Hand, küßte schnell seines Vaters Hand und rief mit fröhlichem Tone:

„Ein Brief von Mama, den man mir so eben gebracht. Alles ist wohl und voll Siegeshoffnungen in Paris. Die kleine Malakoff hat zwei Stück vierblättrigen Klee gefunden, welche Mama mir sendet und welche mir Glück bringen werden. Ich werde die Blätter in ein Medaillon fassen lassen und stets bei mir tragen.“

Er zog den Brief der Kaiserin aus der Enveloppe und hielt die beiden vierblättrigen Kleeblätter ganz stolz dem Kaiser entgegen.

Napoleon antwortete nicht. Mit einem wunderbaren Ausdruck aus Liebe und schmerzlicher Wehmuth gemischt, sah er einige Augenblicke seinen Sohn an, dann beugte er sich zu demselben nieder, drückte seine Lippen auf die reine Stirn und sagte:

„Ich will zu den Truppen hinausreiten, Du sollst mich begleiten.“

Der Prinz steckte die Enveloppe mit den Kleeblättern, ganz überrascht, daß sein Vater dieselben so wenig beachtete, in seine Uniform und ging mit dem Kaiser hinaus.

Der Marschall Leboeuf folgte ihnen. Man stieg zu Pferde.

An der Spitze seines glänzenden Generalstabes ritt der Kaiser hinaus durch die belebten Straßen der Stadt nach dem Felde.

Auf der Straße von Thionville, wo zwei Brigaden der Garde aufgestellt waren, begrüßten diese prächtigen Elitetruppen in ihrer musterhaften Haltung den Kaiser mit jubelnden Hochrufen, in welche die in dichten Massen umherstehenden einzelnen Soldaten laut und begeistert mit einstimmten. Aber das Gesicht Napoleons erhellte sich nicht beim Anblick dieser herrlichen Regimenter. Schweigend ritt er die Front ab, schweigend ließ er die Truppen an sich vorbei defiliren und immer schweigend wandte er nach kurzem Gruß, den Hut erhebend, sein Pferd, um nach der Stadt zurückzureiten.

Noch einmal brauste das vive l'empereur donnernd durch das Lager hin, die Strahlen der Sonne funkelten auf allen diesen Waffenspitzen, auf allen diesen Gold schimmernden Uniformen des Generalstabes, an dessen Spitze der Kaiser gebeugt auf seinem Pferde sitzend, im langsamen Schritt nach der Stadt zurückritt, während der kaiserliche Prinz ungeduldig sein Pferd zügelte, um an der Seite seines Vaters zu bleiben.

Überall grüßten erneute Hochrufe und die Klänge der Musikkorps, welche partant pour la Syrie und die Marseillaise spielten.

Der Kaiser schien von Allem dem nichts zu hören und zu sehen. Ausdruckslos starrten seine Augen in's Leere und leise die Lippen bewegend, sprach er:

„Ave, Caesar, morituri te salutant!“

Ende des dritten Bandes.